einsunternull*, Berlin

Anmerkung: dieses Restaurant ist inzwischen geschlossen.

August 2019

Dieses schmucke kleine Restaurant liegt nördlich der Spree im Berliner Bezirk Mitte unweit des Naturkundemuseums. Das von außen völlig unscheinbare Lokal, an dem sicher schon so mancher bei der Suche daran vorbei gelaufen ist, ist (noch) so etwas wie ein Geheimtipp, denn die geradezu surreal anmutenden Schicksalsschläge, die dieses Etablissement in den letzten Monaten durchmachen musste, haben bisher einen höheren Bekanntheitsgrad verhindert, auch wenn die letzten Bewertungen immerhin einen Michelin-Stern und 17 Punkte im Gault&Millau ergaben. Normalerweise befindet sich der Gastraum im Kellergeschoss (daher auch der Name des Restaurants), doch ein verheerender Wasserschaden zwang den Geschäftsführer Ivo Ebert dazu, seine Gäste vorübergehend im Erdgeschoss zu bewirten. Der erneute Umzug in den Keller ist nach weiteren Rückschlägen (Ärger mit der Versicherung, falsche Vermessung, der ganze Boden nochmals raus usw.) inzwischen für Anfang September geplant. Da das Lokal an diesem Sonntagabend nahezu leer ist (letzter Ferientag in Berlin), nimmt sich Herr Ebert die Zeit, uns die Räumlichkeiten zu zeigen und uns einzuweihen, was er in den letzten Monaten durchmachen musste: es war derart viel, dass andere längst die Flinte ins Korn geworfen hätten. Zu allem Überfluss zog sich im Frühjahr auch noch der bisherige Chefkoch Andreas Rieger aus privaten Gründen zurück, so dass der Wunsch nach endlich mehr Kontinuität hier geradezu zu greifen ist.

Der neue Mann am Herd ist Silvio Pfeufer, zuvor Junior-Chef bei Jan Hartwig im Münchner Atelier. Für die Küchenstilistik bedeutet dies laut dem Betreiber eine Abkehr von der streng regional orientierten und bisweilen nordisch anmutenden Küche hin zu einer etwas kosmopolitischeren Variante, die sich der Inspirationen aus dem Umfeld Berlins bedient – auch Döner und Currywurst bleiben da unter Umständen nicht außen vor, wenngleich diese Einflüsse natürlich hier auf ein anderes Niveau gehievt werden. Der Einrichtungsstil entspricht voll dem aktuellen Trend: blanke Holztische ohne Decken, Designergeschirr (die Saucenlöffel sind allerdings nicht flach genug für meinen Geschmack) und eine hohe Decke – hinzu kommen die einsehbare Küche und eine Art überdimensionaler Setzkasten an der Wand. Alles in allem ein heller, beruhigend wirkender Raum mit viel Holz, der einen glatt vergessen lassen kann, dass der Verkehr auf der Straße vorm Lokal reichlich und direkt passiert.

Den Service selbst hat Ivo Ebert mit Hilfe einer noch nicht perfekt des Deutschen mächtigen weiblichen Servicekraft übernommen, doch angesichts von nur vier Gästen hat der Service alles jederzeit im Griff. Manche Gerichte werden auch von Küchenmitarbeitern an den Tisch gebracht und erläutert, so dass für Abwechslung an einem wirklich zwanglosen und unterhaltsamen Abend gesorgt ist. Ohne Bevormundung oder Besserwisserei empfiehlt Herr Ebert zudem hier Weine wie hausgemachte Säfte gleichermaßen kompetent und stilsicher.

Es gibt hier zwei ähnliche Menüfolgen mit sieben Gängen zu € 129, wobei das zweite Menü im Wesentlichen eine vegetarische Variante des eigentlichen Menüs darstellt. Im Mittelpunkt der Gerichte steht meist Fisch oder Fleisch – in den meisten Fällen werden sie allerdings in sparsamen Portionen von sehr präsentem Gemüse oder Obst umspielt, so dass der Fokus auf absolut gewinnbringende Weise öfters weg vom eigentlichen Hauptdarsteller führt. Trotz eines noch so jungen Kochs ist eine kulinarische Handschrift schon deutlich zu erkennen – keineswegs eine Selbstverständlichkeit, die ich bei der Lektüre der Speisekarte wohlwollend zur Kenntnis nehme.

Drei keinesfalls sparsam bemessene Amuses bouches stimmen in den Abend ein: als erstes ein Süppchen aus rohen und gekochten Erbsen, das aufgrund subtiler Verfeinerung wesentlich besser schmeckt als zu befürchten war. Saubere Arbeit liefert die Küche auch beim herzhaften Kalbstatar ab, das sie mit Rote Bete und Kapernschaum kombiniert. Der Höhepunkt ist jedoch der dritte Teil der Trilogie, der die neue Stilistik gleich betont: ein Schusterjunge (ein typisches Berliner Brötchen, meist aus Roggen- oder Dinkelmehl) sieht hier aus wie ein „Mini-Berliner“, ist aber mit Meerrettich-Pulver bestäubt und enthält eine intensive (und heiße!) Blutwurstcrème, die regelrecht süchtig macht – Gleiches gilt natürlich auch für die PriSeccos von Jörg Geiger zum Aperitif. Zur Brotauswahl gibt es „nur“ salzige Butter, aber dafür ist die Qualität des Brots absolut überdurchschnittlich.

Im ersten Gang gelangt Forelle auf den Teller, die von der Küche mit einem knalligen Gurkeneis kombiniert wird. Tupfen von Buttermilch und Segmente von Wassermelone ergeben zudem im Verbund mit Mini-Gurken ein Bouquet voll ansprechender Farben und sommerlichen Aromen, die gut aufeinander abgestimmt sind, zumal die Forelle selbst nur kurz gekocht wurde (damit man sie besser enthäuten kann) und auch als geräuchterte Crème variiert wird. Leicht und ansprechend!

Eine Makrele von selten elegantem Geschmack, ruhend auf einem Foccaccia, steht im Mittelpunkt des nächsten Gangs: der in einem Tomaten-Petersilien-Sud ruhende Fisch bekommt zusätzlich durch die weiche Textur der Samenanlage der Tomate und durch Calamares obenauf schöne aromatische Kontrapunkte zur Seite gestellt, die besser harmonieren als erwartet – auch das ist ein bekömmlicher Gang von recht puristischem Design auf dem Teller.

Zu einem Höhepunkt des Abends geriet der herrlich mürbe Ostseelachs, der mit Estragonschaum und einem nach Limette schmeckenden Sud begleitet wurde. Das hinreißend diffizile Aromenspiel changiert elegant zwischen herb und fruchtig, doch auch Texturen von Karotte und gelber Bete bringen eine leicht herbstliche Note ins Spiel, die dafür sorgt, dass das Gericht nicht zu leichtgewichtig wird. Große Klasse!

Etwas weniger gefällt uns Stör mit Passepierre-Algen und Bottarga (Fischrogen). Das äußerst herb interpretierte Gericht wird noch mit wenig hilfreichen Texturen von Sellerie begleitet und bringt das gewünschte Ergebnis nicht so sehr auf den Punkt wie die Gänge zuvor. Ein geschmacklicher Kontrast durch eine weitere Komponente wäre hier unseres Erachtens gewinnbringend gewesen. Kein wirklich schlechter Gang, aber über die beabsichtigte Wirkung rätselten wir noch einige Zeit.

Sehr viel überzeugender wird es wieder mit Kaninchen, dessen Fleisch von der Schulter und der Keule sowohl in einer Art Rillette als auch in kräftig rosa gebratener Form auf den Teller kommt. Umspielt wird der Hauptdarsteller mit diversen, gut erkennbaren Gemüsesorten (wie z.B. Frühlingszwiebel). Ein kleiner Gag, der sich dennoch als Mehrwert herausstellt, ist das confierte Wachtelei am Rand des Tellers. Das Kaninchen (ein seltener Gast auf den Speisekarten), das die Küche hier aus dem Hut – pardon, der Kochhaube – zauberte, kann sich durchaus sehen lassen.

Das rustikale Schwein wird hier mit Sauerkraut, Schinken und Zwiebel gepaart. Das sieht optisch sehr schön aus, doch leider sind die Teile des Gerichts, die in der Kartoffelmousseline oder dem aromatischen Sud untergebracht sind, etwas breiig in der Konsistenz. Wenn man einmal davon jedoch absieht, gelingt es der Küche hier bereits recht gut, diese eher derben Zutaten gekonnt zu veredeln und zu einem Gericht zu verquicken, das sternewürdig ist.

Das eingeschobene Pré-Dessert ist nicht nur ein echter Hingucker, sondern eine geschmackliche Wucht: das dezentral auf einem großen Teller angerichtete Vanille-Rum-Eis von außerordentlicher Qualität ruht auf einem Blätterteig und wird kreisrund mit Sahne und Tupfen von Zitrone so stimmig und souverän umspielt, dass der Verzehr eine reine Wonne ist – keineswegs eine Selbstverständlichkeit in eher nordisch inspirierten Lokalen, wo vermeintliche Geniestreiche allzu oft dazu führen, dass ein toller Einfall und das geschmackliche Ergebnis nicht immer auf demselben Niveau stehen.

Das eigentliche Dessert dreht sich um eine schöne und interessante Idee: zweierlei Eis von fruchtiger Erdbeere und herbem Basilikum stehen sich auf dem Teller symmetrisch gegenüber, wobei die Vielzahl an kleinen Begleitern (Pinienkerne, rote Grütze, diverse Crumbles) nicht im Geringsten vom farbigen Widerstreit der konträren Eissorten (rot vs. grün) ablenkt. Noch bemerkenswerter erscheint die Tatsache, dass das kulinarische Ergebnis keinen Deut abfällt gegenüber der bloßen Idee auf dem Teller. Auch die drei hausgemachten Pralinen zum Abschluss um weiße, braune und dunkle Schokolade mit verschiedenen Füllungen (z.B. Banane), überzeugen auf ganzer Linie und sind phantastisch.

Das war ein wirklich zwangloser und tiefenentspannter Abend wie wir ihn lange nicht mehr erleben durften. Das absolut legere Ambiente und die aufmerksame Leitung von Ivo Ebert trugen beide ihren Teil zu einem besonderen Erlebnis bei, von dem ich glaube, dass es auch 2020 trotz des neuen Küchenchefs wieder zu einem Michelin-Stern und mindestens 16 Punkten im G&M reichen sollte. Sicheres Handwerk trifft hier auf übersichtliche und doch adrett gestaltete Teller mit viel Charme. Die verwendeten Produkte sind mehrheitlich gut erkennbar und gelangen ohne viel Schnickschnack auf den Teller. Sicherlich könnte so mancher Gang in der Feinjustierung noch verbessert werden, doch angesichts eines Kochs, der erst 29 Jahre alt ist, muss man sicherlich noch weitere Zeit für Reifeprüfungen einplanen. Doch auch so hat dieser Abend unsere Erwartungen deutlich übertroffen und dafür gesorgt, dass der Rückweg zum Hotel in ausgesprochen beschwingter Stimmung erfolgte. Wäre Berlin nicht so weit weg von der Ostalb, dann könnte ich mir regelmäßigere Besuche hier allemal vorstellen, zumal auch die Preispolitik in diesem Haus absolut fair ist und die Unterstützung solcher Lokale, die ohne potenten Sponsor auskommen müssen, absolut begrüßenswert ist. Fazit: gerne wieder, wenn es sich ergibt!