Landhaus Feckl*, Ehningen

Juli 2019

In Ehningen, südwestlich von Böblingen, liegt der Landgasthof Feckl keine 500 Meter von der A81 entfernt – Anlass genug für Franz Feckl, den Patron des Hauses, sein Etablissement scherzhaft als beste „Autobahngaststätte Deutschlands“ zu bezeichnen. Ein Michelin-Stern sowie 17 Punkte im Gault&Millau sind ja auch sehr beachtliche Referenzen für einen Landgasthof. Bei den beiden bisherigen Besuchen fiel mein Urteil allerdings eher ernüchternd aus, weshalb ich dem Lokal nochmals eine Chance geben und im Gegensatz zu den ersten beiden Besuchen diesmal das volle Programm wählen wollte, um zu einem möglichst aussagekräftigen Ergebnis zu kommen.

Das Lokal ist in überwiegend weißen und magenta-farbenen Tönen gehalten, wobei viel Holz für eine etwas rustikale Atmosphäre sorgt. Ansonsten ist der Raum angesichts großer Fenster lichtdurchflutet und sorgt für ein natürliches Wohlfühlambiente. Die durchweg weibliche und recht junge Servicebrigade tritt den Dienst auch in traditioneller, schon vom nahen Schwarzwald inspirierter Kleidung an. Dennoch kann ich gleich beim Empfang die erste kleine Merkwürdigkeit konstatieren: kaum Platz genommen, wird nicht etwa ein Gruß aus der Küche, sondern sogleich die Brotauswahl mit Butter aufgetischt und die Menükarte gereicht. Wären da nicht die diversen Gewürzmischungen für das Brot, dann müsste man über diese Auswahl auch keine weiteren Worte verlieren. Der Eindruck, dass man hier gleich mit der Tür ins Haus fällt, irritierte mich mehr, da der Gruß aus der Küche erst einiges später serviert wurde. Ich entscheide mich für das fünfgängige Gourmetmenü zu € 98 (außerdem wird noch ein vegetarisches sowie ein Menü mit reduzierten Kohlenhydraten angeboten) und stelle bei der Lektüre der Karte fest, dass ein Großteil der Gerichte, die nicht zum Gourmetmenü gehören, schon vor Jahren genau so auf der Karte standen. Offensichtlich gilt es hier, die Erwartungshaltung einer weitgehend konservativen und wenig aufgeschlossenen Hotelgäste-Klientel zu erfüllen, die man auf keinen Fall überfordern oder gar erschrecken möchte (wobei sich das betagte Ehepaar am Nachbartisch ganz unkonservativ mindestens dreißig Minuten am Stück mit dem Smartphone beschäftigte und dem Essen offenbar keine größere Bedeutung beimaß).

Zu einem hausgemachten Fruchtcocktail kommt ein länglicher Teller in drei Segmenten (der legendäre Heinz Winkler lässt grüßen …), der mit folgenden Kreationen belegt ist: zweierlei Paprikamousse (ziemlich beliebig), gebratene Entenwurst auf Avocadocreme (belanglos) und schließlich eine Kalbskopfsülze, die angesichts wenig eindringlicher Aromen den Vergleich mit so manchem Konkurrenten scheuen muss. All das ist ein erschreckend banaler Einstieg ohne Charme und hängt die Messlatte sehr tief. Wer erwartet hatte, dass nach diesen kleinen Einstiegen noch ein weiteres Amuse folgen würde, sah sich getäuscht. Stattdessen wird zum Beginn des Menüs der Platz nun mit nicht weniger als acht platzraubenden Werkzeugen gleichzeitig eingedeckt. Immerhin ist im Vergleich zu den vergangenen Besuchen die Aufmerksamkeit beim Thema „leeres Wasserglas“ geschärft worden, da diese schneller als zuletzt wieder aufgefüllt wurden. Trotzdem beobachte ich so manches, das in einem Sternelokal so niemals zu erwarten wäre: an nahezu jedem Tisch wird Bier bestellt. Absolut beispiellos gerät auch die Tatsache, dass ein Mann an einem Nachbartisch sein Mahl um die für ein Sternelokal absolut unvorstellbare Uhrzeit von 20:15 Uhr bereits beendet hat, der Tisch sodann neu eingedeckt und am selben Abend nochmals gegen 21:30 Uhr besetzt wird – quasi Sterneküche in Eilabfertigung …

Feines vom Kaninchen mit gebratenem Kalbsbries, Erbse und eingelegten Radieschen erweist sich als ein solides Gericht auf gehobenem Wirtshausniveau, doch kann auch die schöne Präsentation (z.B. Kaninchen als Saltimbocca) nicht darüber hinwegtäuschen, dass einige der Erbsen recht bissfest sind und das Kalbsbries aromatisch blass bleibt. Insgesamt ist der Teller zu voll, als dass subtileren Nuancen irgendwelcher Raum zur Entfaltung gegeben würde. Alles in allem ein solider Teller, der aber keine Begeisterung aufkommen lässt.

Seeteufel-Medaillon auf karamellisierten Kopfsalatherzen im Pfifferlingsfond punktet zumindest mit dem saftigen und tadellos zubereiteten Edelfisch. Weniger schlüssig ist die Karamell-Note, die zudem sehr dominant auftritt. Außerdem befinden sich weite Teile des Kopfsalats im Sud oder Schaum wieder, so dass er eine unangenehm durchweichte Konsistenz dabei entwickelt – kein Gericht, das man nicht auch in einem Gasthof der besseren Sorte ohne Michelin-Stern bekommen könnte.

Störfilet in Champagnersauce mit dreierlei Kaviar und grünen Spargelspitzen kann trotz einer erstmals sternewürdigen Inszenierung ebenfalls nicht vollständig überzeugen. Die Konsistenz des Fischs wirft die Frage auf, ob das Übergaren hier gerade noch vermieden wurde. Der nahezu geschmacksneutrale Champagnerschaum überlässt dem Spargel praktisch komplett das Feld, doch weshalb Anfang Juli überhaupt noch Spargel auf den Teller kommen muss, verstand ich ebenfalls nicht. Die zwischen allerlei Tupfen und Crèmes (Wasabi!) aufgestellten Spargelspitzen wussten zu gefallen, während die zwei Stangen des grünen Spargels mit dem Fischmesser praktisch nicht durchzuschneiden waren. Offenbar war dafür ein anderes Messer gedacht, doch dies brachte die Kellnerin erst zwei Bissen vor dem Ende an den Platz …

Gefüllte Wachtel in Portweinsauce auf Spitzkohl gerät zu einem massigen Hauptgang, da der Vogel als Ganzes auf den Teller gelangt und auch bei den Begleitern mengenmäßig keineswegs gespart wurde (eine sehr gute geschmälzte Zwiebel sowie der getrocknete, aufgerollte Spitzkohl sollen hier nicht verschwiegen werden). Die Portweinsauce überzeugte auf ganzer Linie, doch die schiere Menge (mit frittierten Semmelbröseln als Füllung für die Wachtel) ließ das Gericht irgendwann eindimensional werden – keine Kritik an einem Wirtshausgericht, aber doch eine an einem Gericht auf Sterne-Niveau.

Beim frei wählbaren Dessert fällt meine Wahl auf Mousse von dreierlei Schokoladen – insbesondere, weil ich dieses Gericht schon einmal in der Vergangenheit kennenlernen durfte und neugierig war, ob irgendwelche Veränderungen daran stattgefunden hatten. Nach dem Auftragen des Gangs erwies sich diese Hoffnung als Trugschluss. Die weiße Schokolade wird leicht geeist auf den Teller drapiert, die Mousse der dunklen Schokolade wird in zwei großen dreieckigen Schnitten mit Kokos ummantelt, und die helle Mousse befindet sich in einem Türmchen aus Sesam und Krokant. Dazu kommen noch frische Früchte, denen es allerdings auch nicht gelingt, dem Gericht die Schwere auszutreiben. Die plakative Süße des Gerichts führt erwartungsgemäß zu einem vollkommenen Sättigungsgefühl, das aber mit echter Beglückung wenig zu tun hat. Die Ausklänge als absoluter Tiefpunkt schließlich bestehen aus so einfallslosen Dingen wie Erdbeere oder Physalis, die zur Hälfte kurz in flüssige Schokolade getaucht und dann wieder abgekühlt wurden. Das wirkt in erster Linie pflichtbewusst, aber auf den zweiten Blick vollkommen entbehrlich.

Um den heißen Brei herumzureden dürfte sich nach diesem Bericht als überflüssig erweisen. Der Service agiert zwar freundlich und ohne Steifheit, doch dies ist – wie zum Beispiel bei meinen jüngsten Besuchen im PURS oder Yunico deutlich zu erkennen war – auch in Sternelokalen seit Jahren kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Der außerordentlich hilfreiche Kommentar zum Hauptgericht („Die Wachtel für Sie!“) mag beispielhaft verdeutlichen, dass trotz aller Bemühtheit und Liebenswürdigkeit auch im Service kein durchschnittliches Sterneniveau erreicht wird (möglicherweise ist dies sogar beabsichtigt). Damit keine Missverständnisse aufkommen: ich ziehe meinen Hut vor der Leistung, über solch einen langen Zeitraum einen Landgasthof erfolgreich zu führen.

Rätselhaft ist mir allerdings, dass eine recht dürftige Küchenleistung wie diese solch hohe Auszeichnungen erlangen kann. Die gezeigte Darbietung entspricht dem Niveau eines gehobenen Landgasthofs und damit einem Level, das natürlich (leider Gottes) immer noch erheblich besser ist als das, was die meisten Zeitgenossen sich jemals kulinarisch leisten würden – dementsprechend fiel die Einschätzung der diesbezüglich unerfahrenen Gäste an den übrigen Tischen fast einhellig wohlwollend aus. Dennoch ist der Abstand zur Sterneküche hier spürbar: zu kleineren handwerklichen Mängeln gesellten sich weitgehend vorhersehbare Gänge ohne echten Esprit und Überraschungen. Hinzu kommt, dass viele Gerichte seit Jahren unverändert auf der Karte stehen – dagegen wäre ja auch nichts einzuwenden, wenn es sich dabei um legendäre, denkwürdige Klassiker handeln würde. Das Dessert demonstrierte jedoch deutlich, dass es keinerlei Veränderungen seit meinem ersten Besuch vor fünf Jahren durchlaufen hatte und dennoch nicht überzeugte. Wer hier einen zwanglosen Sonntagnachmittag mit gehobener Küche (und spürbaren Nebenkosten) erleben möchte, dem sei das Lokal durchaus nahegelegt. Wer indes ein Mahl auf echtem Sterneniveau erwartet, wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit enttäuscht wieder gehen. Jedenfalls fallen mir unter all den von mir bisher besuchten Sternerestaurants in Deutschland gerade einmal zwei weitere ein, bei denen ein solch niedriger Maßstab zur Erlangung eines Sterns angelegt wurde (das Alt Wyk auf Föhr und die Wielandshöhe in Stuttgart).

Noch mysteriöser fällt das Urteil des Gault&Millau mit sage und schreibe 17 Punkten aus: in den langen Listen im einleitenden Teil des Gourmetführers, in denen sämtliche Restaurants mit derselben Punktzahl aufgelistet werden, steht es damit – einfach lachhaft! – auf einer Stufe mit Lokalen wie dem Le Cerf in Zweiflingen oder der Residenz Heinz Winkler in Aschau, die fraglos in einer ganz anderen Liga spielen. Doch auch wenn der gelbe Restaurantführer die Leser instruiert, keinesfalls Punktzahlen von Restaurants miteinander zu vergleichen, die in ganz andere Kategorien fallen (beispielsweise Landgasthof vs. Luxusherberge), so bleibt dies angesichts der Auflistung aller Restaurants in Deutschland mit dieser Note kaum aus. Doch auch der Vergleich mit anderen Landgasthöfen fällt ernüchternd aus: das Restaurant Joachim Kaiser (vormals Meyers Keller) in Nördlingen, der Gasthof Zum Bad in Langenau oder selbst das noch neue ursprung in Königsbronn bieten beträchtlich Besseres als die weitgehend in Routine verharrende Küche im Landgasthof Feckl – mit 14 Punkten (gemäß dem Selbstverständnis des G&M „eine gute Küche, die mehr als das Alltägliche bietet“) wäre dieses Lokal meines Erachtens angemessen bewertet. Der GUSTO vergibt übrigens sieben Pfannen (auch zu optimistisch für meine Begriffe), während der FEINSCHMECKER zumindest vor zwei Jahren die Note von 3F auf 2,5F senkte. So steht vor allem aufgrund der durch die Profiguides genährten Erwartungshaltung unterm Strich ein ernüchterndes Fazit nach meinem dritten und letzten Besuch hier: nicht immer sind aller guten Dinge drei.