Eisenbahn*, Schwäbisch Hall (UPDATE)

„Die kleinen Stationen sind sehr stolz darauf, dass die Schnellzüge an ihnen vorbei müssen.“ (Karl Kraus)

UPDATE (Juni 2023)

Der charmante Familienbetrieb des Landhauses Wolf in Schwäbisch Hall, genauer gesagt im Stadtteil Hessental, gehört längst zu den etablierten und wenigen herausragenden Adressen im Nordosten von Baden-Württemberg. Seit nunmehr vier Generationen wird dieses Haus mit einer selten gewordenen Herzlichkeit und sehr viel Engagement geführt, woran offenbar selbst die leidige Pandemie nichts zu ändern vermochte. Längst haben Thomas und Christa Wolf ihren Sohn Thomas in die Arbeit eingebunden und so sichergestellt, dass der Betrieb offenbar allen Widrigkeiten zum Trotz (Personalmangel und hohe Energiekosten sind die meistgenannten Probleme dieser Tage) weitergeführt werden kann. Praktischerweise ist das Hotel auch in fußläufiger Entfernung zum Bahnhof gelegen, so dass Gäste mit dem 49-Euro-Ticket mir durchaus nacheifern und auch eine Anreise per Bahn durchaus erwägen können.

Wie passend, dass das Sternerestaurant des Etablissements den Namen Eisenbahn trägt, obwohl hier natürlich schon längst keine Züge mehr hier verkehren. Zusammen mit Rebers Pflug im Stadtteil Weckrieden bildet es die kulinarische Spitze der Region und hat sich einen Ruf erarbeitet, der weit über die Grenzen der Region hinaus bekannt ist. Das von uns an Silvester 2018 besuchte Lokal (für Details siehe die untenstehende Rezension) blieb damals allerdings einiges schuldig, nicht zuletzt weil wir den Eindruck gewannen, dass dieses Etablissement nicht für derart große Feiern ausgerichtet ist und daher mehrmals überfordert wirkte. Diese Kritik bezog sich vor allem auf den Service, der teils für diesen Abend angeworben schien und dementsprechend hilflos agierte, doch auch die Küchenleistung konnte uns damals nicht überzeugen. Zeit also für eine neue Bestandsaufnahme mit frischen Eindrücken …

Bei der Anreise fällt mir schon auf dem kurzen Fußweg vom Bahnhof auf, dass die Fassade des Gasthauses leicht verändert aussieht und hier offenbar während der Pandemie Geld in die Hand genommen wurde, um das Ambiente etwas aufzufrischen. Ich sehe mich bestätigt, denn bei der wie immer herzlichen Begrüßung durch Christa Wolf stelle ich schnell fest, dass der Gastraum ein verändertes Aussehen hat. Das früher etwas heller wirkende, crèmefarbene Ambiente mit den illuminierten Fotos aus längst vergangenen Tagen in den Glaskästen an den Wänden ist nun einem dunkleren und rustikaleren Interieur gewichen, das noch ländlicher wirkt und trotzdem etwas sehr Einladendes hat. Den bei meiner letzten Visite monierten fehlenden Willen zur Erneuerung kann ich also bezüglich der Inneneinrichtung schon mal zu den Akten legen – fragt sich nur, ob dies auch auf die Küche zutrifft. Jedenfalls ist gegenüber früheren Tagen zu erkennen, dass die landläufige Ein-Menü-Politik inzwischen auch hier Einzug gehalten hat, während gerade das üppige Angebot à la carte und zwei offerierte Menüs dem Lokal damals zwei klare Trumpfkarten in die Hände gaben. Ein As im Ärmel hat die Eisenbahn dennoch parat: der für diese Region geradezu unfassbar opulente Vorrat an raren Bouteillen ist in einer kiloschweren Weinkarte zusammengefasst und dürfte für so manchen Gast den noch wichtigeren Grund darstellen, eine Einkehr hier zu erwägen. Beispiel gefällig? Das Kronjuwel der atemberaubenden Sammlung ist der La Tache 1996 der weltbekannten Weinlage Doc Romanée-Conti, welcher hier für vergleichsweise günstige € 6.000 zu haben ist, laut dem neuen Sommelier Christian Richter aber noch nie hier geordert wurde …

Zu meiner Überraschung wird das Lokal selbst an diesem frühsommerlich warmen Samstagabend nicht ausgebucht sein, doch der allgemein guten (und weinseligen) Laune unter den Gästen tut dies keinen Abbruch. Christian Richter bildet im Wesentlichen zusammen mit einem farbigen Kellner, der sehr gut Deutsch spricht, und Gastgeberin Christa Wolf das Serviceteam, das trotz nur dreier Personen alles im Griff hat und sicher durch den Abend geleitet. Kaum am klassisch eingedeckten Platz angekommen, fällt meine Wahl auf einen sommerlich-herben Cocktail aus Ingwer, Kurkuma und Zitrusfrüchten, welcher einen trefflichen Einstieg darstellt und später nochmals von mir nachbestellt wird. Dazu reicht man die ersten Apéros, welche aus folgenden vier Beiträgen bestehen: ein ausdrucksloses Foie-gras-Tartelette erweist sich dabei als der schwächste Beitrag, während das Cornetto mit einer Füllung von Tomate und Parmesan trotz zurückhaltender Würzung schon etwas besser gefällt. Der modernste Beitrag ist das für dieses Haus doch recht modern und zeitgemäß anmutende Löffelintermezzo mit einem Krustentiergelée, Avocado und Fliegenfischkaviar, doch der beste Beitrag ist die mit einer Farce von Kürbis und Grünkern veredelte Falafel, welche zudem stilecht und in genau richtiger Dosierung mit nordafrikanischem Ras el-Hanout gewürzt ist – alles in allem ein Einstieg von wechselhafter Qualität, der zudem keine klare Stilistik erkennen lässt. Die Brotauswahl wird mit Crème fraîche, Olivenöl und einer bemerkenswert guten Steinpilzbutter gereicht und rundet so die ersten Eindrücke solide ab.

Das Amuse bouche besteht aus einer Variation von Karotte und verdient im Kontext mit diesem Haus eine gesonderte Erwähnung, und zwar aus zwei Gründen: sowohl ein rein vegetarischer Beitrag als auch die vergleichsweise kühne Optik in ausgefallenen Texturen durfte man in diesem doch eher konservativ ausgerichteten Haus so nicht unbedingt erwarten. Immerhin tritt die Karotte als Mousse, Gelée und in Form von getrockneten Chips auf, zumal alles auf einer Essenz desselben Produkts gebettet ist. Einen weiteren Feinschliff erfährt dieser Einfall durch die wohldosierte Beigabe von Ingwer, so dass unterm Strich ein recht originelles Amuse mit interessantem erdigem Geschmack steht, der allerdings noch etwas mehr in die Tiefe gehen könnte. Dennoch hätte ich in diesem Umfeld ein so zeitgemäß anmutendes und ordentliches Häppchen nicht wirklich erwartet. Hat man also die Zeichen der Zeit auch hier erkannt?

Das inzwischen alternativlose Menu Prestige (€ 160), das dem Gast lediglich beim Hauptgang eine Wahl lässt, besteht aus sieben Gängen und kann auf bis zu drei Beiträge gekürzt werden. Da ich auf die letzte Bahn angewiesen bin, entscheide ich mich allerdings nicht nur aus diesem Grund diesmal für eine viergängige Variante (€ 110): zu präsent waren zum einen noch die Eindrücke vom letzten Besuch, und zum anderen kommt mir so mancher Beitrag auf der Karte in identischer oder zumindest sehr ähnlicher Form noch von früheren Besuchen bekannt vor, obwohl diese ja bekanntlich mehrere Jahre zurückliegen. Ein Beispiel dafür ist die Gänseleber, die in dieser Jahreszeit gefühlt immer mit Rhabarber interpretiert wird und welche ich daher auslasse. Den Einstieg bildet daher diesmal Dreierlei von der Gelbflossenmakrele, wobei das lauwarm in Kataifi-Fäden gebackene Krustentier außerdem als Tatar und Carpaccio auftritt. Fruchtig-exotisch mit Aromen von Mango und Passionsfrucht akzentuiert, gewinnt man den Eindruck, dass die Küche hier ihre Stärken ausspielt und ein klassisch interpretiertes Gericht ohne Biederkeit schafft. Dank der bemerkenswerten Produktqualität erweist sich dies als ein solider Einstieg, der freilich mit keinen neuen Techniken überrascht, sondern einfach mit unverfälschtem Geschmack auf typischem Ein-Stern-Niveau punktet. Es sind solche Gerichte, deretwegen man herkommt!

Dem nächsten Gang kann man hingegen schwerlich Wirtshauscharakter attestieren – man kommt sich im Gegenteil vor wie im Herzen von Paris oder in einem Lokal an der bretonischen Küste. Die strukturelle Klarheit und Reduktion auf das Essentielle ist selbst für dieses Haus höchst ungewöhnlich – und dennoch riskant, weil bei einem solch puristischen Gericht einfach alles stimmen sollte. Auf einer unverkennbar mit Verjus veredelten Beurre blanc thront Scherenfleisch von Atlantikhummer, dessen Garpunkt man gerne noch etwas hätte hinauszögern dürfen, sowie Hummertatar und persischer Kaviar zur Abrundung der Salinität. Ich hätte einen solchen Gang hier nicht erwartet – wäre das Hummerfleisch nicht einen Tick zu bissfest gewesen, hätte die Küche hier einen durch und durch französischen Gang praktisch perfekt und ohne Verstaubtheit auf den Teller gezaubert. Trotzdem sehr beachtlich!

Feines vom Salzwiesenlamm zum Hauptgericht wirkt dagegen risikofrei und ziemlich bieder: gebettet auf grünen Bohnen, bleibt das im Teigmantel mit Gremolata gebackene Lamm aromatisch eher blass, wird aber glücklicherweise von dem Ragout à part wenigstens etwas kompensiert. Pimento-Couscous ist ein bewährter und passender Begleiter in für Sterneniveau durchschnittlicher Zubereitung, doch selbst Details wie die Lammjus, die hauchdünne Ummantelung des Couscous mit Zucchini oder zweierlei Pesto von Tomate und Erbse auf Artischocke vermögen am letztlich vorhersehbaren Gesamteindruck und der sicheren Gewissheit, das alles schon öfters in besserer Qualität und mit mehr Esprit gegessen zu haben, nur wenig zu ändern. Das ist ergo recht schnell wieder vergessen.

Immer wieder scheint sich die Küche mal ganz vorsichtig an Moderneres zu wagen, wenn sie zum Beispiel wie beim Pré-Dessert ein Sorbet von Grüntee unter einem Kalamansischaum versteckt und mit einer Crème von weißer Schokolade paart. Da das Gericht dank des massigen Schaums optisch nur wenig im Vorfeld preisgibt, funktioniert die Überraschung sogar noch besser, wenn der Service ausnahmsweise mal erst im Anschluss die Komponenten nennt und stattdessen den Gast erstmal rätseln lässt. Von solchem (wenn auch nur dezenten) Mut hätte man sich durchaus mehr an diesem Abend gewünscht.

Saisonal bedingt huldigt das Dessert dem Thema Erdbeere – und das in einer durchaus ansprechenden Form. Nicht nur auf der Rosette der dünnen Scheiben thront eine flüssige und unerwartet intensive Erdbeersphäre, sondern auch in dem massigen französischen Baiser finden sich weitere Segmente marinierter Erdbeeren. Mit dem begleitenden und recht säuerlich betonten Zitronen-Basilikum-Sorbet umschifft die Pâtisserie die Gefahr einer zu dominanten Süße gekonnt, und auch die recht gut versteckte Limone-Mascarpone im Baiser sorgt für einen erfrischenden Ausklang. Die Kombination klingt bewährt, aber die individuelle Umsetzung macht aus diesem Dessert dennoch ein Finale ohne Langeweile. Gut gelungen! Die Petits fours wirken im Gegensatz dazu uninspiriert, denn so sattsam Bekanntes und Vorhersehbares wie dunkle Schokolade und Himbeertörtchen würden den erfahrenen Gast wohl nur bei exzeptioneller Qualität vom Hocker reißen – was hier leider nicht der Fall ist.

Das schon eingangs erwähnte Engagement der Betreiber, sich in diesen schwierigen Zeiten weiterhin voll und ganz der Gastronomie zu verschreiben, verdient auf jeden Fall unsere Anerkennung. Mit der Erneuerung der Inneneinrichtung gab man ja auch zu verstehen, dass die Zeit eben nicht stehen bleibt – nur hat sich diese Erkenntnis noch nicht im selben Maße in der Küche durchsetzen können. Wer hier einkehrt, darf im besten Fall auf wirklich ansprechende Gerichte hoffen, wenn die Küche ganz bei sich ist und trotzdem einen gewissen Wagemut erkennen lässt. Dem gegenüber stehen häufiger sattsam bekannte Gerichte in höchstens leicht modifizierter Form, deren Qualität zudem anspruchsvolle Gourmets nur hin und wieder zu begeistern vermag. Neue oder gar bahnbrechende Erkenntnisse über jüngste Entwicklungen des Kochens darf man hier schwerlich erwarten, zumal die offenbar weitgehend konservativ gestrickten Habitués in ihrer Erwartungshaltung bestärkt sein wollen. Das führt zu meist handwerklich untadeligen, aber oftmals erwartbaren und im schlimmsten Fall leider auch langweiligen Gerichten. Viele der hier präsentierten Speisen habe ich schon öfters in ähnlicher Form (teils auch im selben Haus) gegessen, so dass sich mir eben reichlich Vergleichsmöglichkeiten auftun, die nicht immer zum Vorteil dieses Restaurants ausfallen.

Der neue Sommelier Christian Richter erweist sich dagegen als ein eloquent und selbstsicher auftretender Meister seines Fachs, der kenntnisreich passende Flaschen zu höchst fairen Preisen an den Mann bringt. Sein Wissen ist jedoch keineswegs auf vergorenen Traubensaft beschränkt, sondern umfasst auch wesentliches Vokabular der Küche, so dass ein Gespräch auf fachlichem Niveau mit ihm ohne Weiteres möglich ist. Wem also der Sinn nach einem gediegenen und eher konservativ anmutenden Essen mit erlesenen Weinen steht, der kann hier wenig falsch machen. Wer dagegen eher auf zeitgemäßer anmutende und insgesamt inspirierter wirkende Gerichte Wert legt, ist im nur wenige Kilometer entfernten Rebers Pflug wohl besser aufgehoben.

Immerhin wertete der Gault&Millau die Eisenbahn kurz nach meinem Besuch von zwei schwarzen auf zwei rote Hauben auf, und auch für mich bestand die wichtigste und beruhigendste Erkenntnis dieses Abends zweifelsohne in der Tatsache, dass die teils offenkundigen handwerklichen Mängel an jenem Silvesterabend 2018 wohl der besonders stressigen Situation geschuldet waren (auch wenn dies im Grunde genommen keine echte Entschuldigung dafür darstellt). Ich für meinen Teil kann – in der sicheren Gewissheit, nichts Entscheidendes zu verpassen – gut mit der Erkenntnis leben, dass eine Einkehr alle paar Jahre hier vollkommen ausreichend ist. Neulingen der Szene oder gelegentlichen Besseressern kann diese herzliche Adresse trotz allem empfohlen werden, zumal die Gerichte niemanden überfordern und die faire Preispolitik einen weiteren Grund für ein ideales Einstiegslokal darstellen sollte.

Mein Gesamturteil: 16 von 20 Punkten

 

Eisenbahn
Karl-Kurz-Str. 2
74523 Schwäbisch Hall
Tel.: 0791/930600
www.landhauswolf.eu

Guide Michelin 2023: *
Gault&Millau 2022: 2 Toques
GUSTO 2023: 7,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2023: 3 F

4-gängiges Menu Prestige: € 110

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UPDATE (Dezember 2018)

Zugegeben: das Silvesterarrangement liest sich im Vorfeld schon recht attraktiv. Für € 208 pro Kopf bekommt man ein sechsgängiges Galamenü, Wasser, Kaffee, eine Übernachtung im Doppelzimmer und Frühstück am nächsten Morgen. Während andere Etablissements an Silvester kräftig aufschlagen und schon mal gerne das Anderthalbfache oder gar Doppelte des üblichen Preises für ein Menü aufrufen, bewegt sich die Preispolitik dieses Landgasthofs immer noch in moderatem Rahmen. An diesem Abend werden auch nicht weniger als 80 Gäste bewirtet (die nicht alle übernachten), so dass in der Küche natürlich ein reges Treiben und schlicht eine Ausnahmesituation herrscht. Dies mag für die folgenden Beobachtungen während des Menüs bis zu einem gewissen Grad als Ausrede herhalten, doch insgesamt konnte dies am Gesamteindruck nicht allzu viel verändern. Schnell wird deutlich, dass das Lokal nicht unbedingt gut für solche großen Events aufgestellt ist.

Steigen wir ein mit einem alkoholfreien Fruchtcocktail, zu dem nach und nach eine belanglose Brotauswahl und drei Kleinigkeiten gereicht werden, die ebenfalls wenig originell ausfallen: drei Brotchips – eins davon belegt mit Crème fraiche, das zweite mit roh marinierter Entenleber und das dritte mit Parmesancrème, unter der ein Tomatenragout versteckt ist. Das schmeckt in Summe genauso aufregend wie die Beschreibung vermuten lässt – ein wenig überzeugender, banaler und langweiliger Einstieg. Der zweite Gruß hebt das Niveau zum Glück merklich an, denn die gebackene Gamba auf einem Ananas-Mango-Chutney gehörte sicherlich schon zu den Höhepunkten des Abends. Hier schmiegt sich die Fruchtigkeit der Begleitung schön an den festfleischigen Hauptdarsteller an – davon hätte es gerne noch mehr sein dürfen.

Stattdessen folgt nun der offizielle Einstieg ins vorgegebene Silvestermenü mit marinierter Périgord-Gänseleber mit Blutorange und Brioche. Die Leber kommt auch als Eis auf den Teller, doch die Begleitung mit Blutorange in Form von echten Obststücken und dem dünnen Gel auf der Leber, die nicht ganz von optimaler Qualität ist, bleibt recht bieder. Zwar harmoniert die Fruchtigkeit gut mit der Süße der Leber, doch in puncto Kreativität ist das Gericht recht bescheiden geblieben.

Dagegen gerät das Duett von Hamachi und Jakobsmuschel (gebackene Praline, Tatar und Champagner-Vinaigrette) zu einem diffusen Aromenbild. Die Konsistenz der Komponenten ist mit Ausnahme der Praline durchweg sehr weich und wird zudem sehr säuerlich interpretiert. Die beiden Hauptdarsteller sind geschmacklich kaum auseinanderzuhalten und verlieren in diesem wenig differenzierten Umfeld den letzten Rest ihres Charmes – eine seltsame Inszenierung, die mich nachhaltig verstört.

Weißer Alba-Trüffel mit Kartoffelschaum und Bio-Ei habe ich in ähnlicher Form auch schon mindestens zwanzig Mal in meinem Leben besser gegessen. Der Trüffel ist in fünf kleinen Fetzen verstreut, die als fertiges Mikroskop-Präparat herhalten könnten. Ärgerlich ist nicht nur, dass derartig beim Trüffel gespart wurde, sondern auch, dass diesem Gericht jedweder Esprit fehlte. Die Küche langweilte hier schlicht auf ganzer Linie. Es klingt grotesk, aber das danach eingestreute erfrischende Limonensorbet gehörte zu den gelungensten Eingebungen des Abends.

Mit dem Hauptgericht steigt das Niveau wenigstens wieder deutlich an: Boeuf de Hohenlohe „Wellington“ mit Sauce Périgueux badet in einer schlotzigen Trüffelsauce, hätte aber durchaus noch ein bis zwei Begleiter, wie beispielsweise Schwarzwurzelgemüse, vertragen. So muss das ausgezeichnete und intensive Fleisch eben mit der klassischen Ummantelung von Blätterteig und Purée aus gehackten Champignons allein auskommen. Trotz fehlender Beilagen war dies dennoch das beste Gericht des Abends.

Einen Rückfall in die Banalität stellt dagegen der Käsegang dar, der lediglich einen Morbier in der Größe einer Streichholzschachtel, eine Walnuss und vier Weintrauben auf dem Teller zu bieten hat. In puncto Kreativität – man kann es sich schon denken – war dies der Tiefpunkt des Abends. Unter diesen Umständen hätte man diesen Alibi-Käsegang besser gleich ganz weggelassen.

Das Pré-Dessert erweist sich als komprimierte Kreation, die um einiges besser gerät als vieles andere an diesem Abend: ein Windbeutel, der mit Bananencrème gefüllt ist, thront auf einem Sorbet aus Passionsfrucht und wird mit etwas Valrhona-Schokolade veredelt. Die recht unterschiedlichen Aromen harmonieren besser als gedacht, zumal auch in optischer Hinsicht diese Petitesse trotz knalliger Farben besser als vieles andere an diesem Abend abschneidet.

Das Dessert bestätigt zumindest, dass die Desserts in diesem Haus meist recht originell ausfallen: grüner Apfel und Tonkabohnenschaum. Eine große grüne Kugel aus geeistem grünen Apfel ummantelt den intensiven Schaum innen, während kleine Stückchen vom Apfel und ein Apfelschaum außen das Gericht aufwerten. Die originelle Idee verliert allerdings schnell ihren Reiz, denn die Portion ist hoffnungslos überdimensioniert, wirkt angesichts der Dominanz des Hauptdarstellers schnell eindimensional und passt zur winterlichen Jahreszeit etwa so gut wie ein Long Island Ice Tea. Angesichts des bisherigen Verlaufs an diesem Abend wunderten mich die braven Petits fours zum Abschluss schon längst nicht mehr.

Das mit Abstand Beständigste an diesem Abend war der – wie immer – herzliche Service der Patronin Christa Wolf, Ehefrau des Chefs Josef Wolf. Was die Küche an diesem Abend insgesamt schuldig blieb, wurde durch ihr Auftreten bis zu einem gewissen Grad kompensiert; leider agierten andere Servicekräfte teils nicht annähernd so souverän und herzlich. Wie schon eingangs erwähnt, kann in Ausnahmesituationen schwerlich alles genauso gut wie an einem gewöhnlichen Abend funktionieren, doch die Liste der augenfälligen Patzer war schon recht lang: vergessene Getränke, nicht aufgefüllte Brotauswahl und teils nicht annoncierte Gerichte, die kommentarlos abgestellt wurden.

Was mich summa summarum dennoch mehr irritierte, war die höchst mäßige Küchenleistung selbst. Viele der Gerichte kamen mir von früheren Besuchen zumindest in ähnlicher Weise bekannt vor, zumal auch die vor dem Eingang ausgehängte reguläre Karte (die an diesem Abend natürlich nicht galt) ebenfalls jede Menge Teller auflistete, die mir von früheren Besuchen vertraut vorkamen – dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn dies durchweg legendäre Gerichte wären. Insgesamt scheint mir die Küche aber derzeit in einer Art Stagnation zu verharren, da neue Gerichte schon seit längerer Zeit nur noch sporadisch den Weg auf die Karte finden. An diesem Abend waren zudem einige Gerichte nachlässig in Szene gesetzt oder – wie beim Dessert – von der Jahreszeit her einfach deplatziert. Insgesamt wurde diesmal ein biederes und vorsehbares Menü mit sehr wenigen Überraschungen geboten, das doch einiges zu wünschen übrig ließ. Unterm Strich war dies definitiv der mit Abstand schwächste Besuch hier bislang. Ich hoffe natürlich auf Besserung, da ich im Laufe der letzten Jahre immer wieder mal ganz gerne hier eingekehrt bin. Dennoch bin ich mir fast sicher, dass bei gleich bleibender Entwicklung der Gault&Millau nächstes Jahr einen Punkt abziehen wird, da einfach zu viele offensichtliche Kritikpunkte in diesem Bericht vorkommen und diese den Profis wohl kaum entgehen dürften.

Überhaupt darf man gespannt sein, wie dieser Familienbetrieb in Zukunft aussehen soll. Junior-Chef Thomas Wolf steht schon in den Startlöchern: er hilft bereits kräftig im elterlichen Betrieb mit und hat wohl gute Aussichten, demnächst das Zepter ganz zu übernehmen. Josef Wolf hat schließlich das 60. Lebensjahr schon überschritten und befände sich jedenfalls in guter Gesellschaft, wenn er demnächst aufhören und sich ganz und gar wohlverdient auf seiner Lebensleistung ausruhen würde. Keiner würde es ihm verdenken, denn auch ein Harald Wohlfahrt (Schwarzwaldstube in Baiersbronn), ein Karl-Emil-Kuntz (Zur Krone in Herxheim) und ein Diethard Urbansky (Dallmayr in München) hängten erst kürzlich knapp nach ihrem 60. Geburtstag den Kochlöffel an den Nagel – und haben es meines Wissens nie bereut.

Seien wir also gespannt, wie es hier weitergeht. Das Potential, um in Zukunft nicht aufs Abstellgleis zu geraten, hat die Eisenbahn nicht zuletzt auch wegen ihres Weinfundus allemal: die Zeit für frische, dringend notwendige Impulse scheint mir allerdings inzwischen gekommen. Die treue Stammkundschaft würde das sicherlich akzeptieren, zumal die Region Hohenlohe nicht so viele ausgezeichnete Adressen zu bieten hat.

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März 2017

Das Restaurant Eisenbahn gehört heute zum Landhaus Wolf in Schwäbisch Hall – Hessental und liegt etwa fünf Kilometer von der Altstadt entfernt. Die Anreise per Bahn empfiehlt sich durchaus, denn das Lokal ist nur drei Steinwürfe vom Bahnhof entfernt, der seinerseits an der Strecke Stuttgart – Crailsheim liegt und an dem regelmäßig Züge halten. Wer mit dem PKW anreist, muss so manche kurvige Landstraße wählen, kann aber dafür einen lohnenswerten Ausflug zum etwa 2 Kilometer entfernten Kloster Großcomburg mit einbeziehen.

Die Region Hohenlohe ist nicht gerade eine Hochburg für Feinschmecker in Baden-Württemberg und wartet dementsprechend mit nur wenigen bemerkenswerten Adressen auf. Unter ihnen dürfte die „Eisenbahn“ in der Region Hohenlohe derzeit den Spitzenrang einnehmen. Andererseits mag man sich kaum ausmalen, welche Möglichkeiten die Haute Cuisine hätte, wenn der omnipräsente Milliardär und Kunstförderer Reinhold Würth sich auch diesbezüglich in Schwäbisch Hall und nicht nur in Öhringen (im Schlosshotel Friedrichsruhe) engagieren würde.

Die Gastgeberfamilie Wolf pflegt ihren Betrieb inzwischen in vierter Generation und darf sich heuer auf 20 Jahre mit einem Michelin-Stern freuen. Chefkoch Josef Wolf hat sich hier mit Ehefrau Christa einen Namen gemacht und pflegt mit viel Liebe und Bodenständigkeit weiterhin seinen Landgasthof. Seit einiger Zeit ist auch Sohn Thomas Wolf intensiv in den Familienbetrieb mit eingebunden. Der Speisesaal ist ein überwiegend in Cremetönen gehaltener Raum, der recht konservativ, aber durchaus stilvoll eingerichtet ist. Neben weißen Tischdecken, Kerzen und schwerem Teppich fallen vor allem drei Sepia-Bilder aus den Pioniertagen der Bahn auf, die von hinten beleuchtet sind und auf die ursprüngliche Bedeutung dieses Lokals als einfacher Bahnhofsgaststätte hinweisen – von diesen Zeiten ist allerdings nichts mehr geblieben.

Was man angesichts dieser Vorzeichen von der Küche erwarten darf, ist recht offenkundig und wird so im Großen und Ganzen bestätigt: ehrliches, schnörkelloses und solides Handwerk, das regionale Produkte durchaus berücksichtigt, aber auch Produkten aus der weiten Welt die Tür offen lässt. Das alles wird präsentiert in zeitgemäßen und leicht verständlichen Kreationen, die niemanden überfordern und doch (zumindest in den besten Momenten) einen ganz speziellen Reiz ausüben.

Zur Wahl stehen etliche A-la-carte-Gerichte (die teils auch in den Menüs auftauchen) sowie zwei Menüs zu sieben bzw. fünf Gängen und ein vegetarisches Menü. Nach dem Fruchtcocktail (Blutorange und Tonic Water) fällt die Wahl angesichts der Anreise von über einer Stunde schnell auf das große Menü – die Brotauswahl vorab fällt durchschnittlich aus.

Steigen wir also ein mit den Grüßen: Parmesanschaum auf Tomatencoulis, gebratene Gänseleber auf Brotchip sowie eine frittierte Kugel mit Meeresfrüchten innen auf Pfirsichcoulis sind ein gelungener Einstieg, mit dem das Tempo langsam hochgefahren wird.

Mehr Fahrt nimmt das Amuse bouche auf: Kalamansi mit Gurke, Crème fraiche und Champagnervinaigrette ist eine überzeugende Kreation, wenngleich es der Küche nicht ganz gelang, die letzte Prise an geschmacklicher Intensität aus dem Gericht herauszukitzeln.

Den offiziellen Einstieg bildet marinierte Périgord-Gänseleber mit Rhabarber, Gänselebereis und Brioche. Josef Wolf beginnt sein 7-gängiges Prestige-Menü fast immer mit Gänseleber, die er inzwischen auf viele Arten geschickt zu begleiten weiß. Das nicht allzu üppig dimensionierte Gericht punktet trotzdem mit dem herben Rhabarbergelée, das die Leber ummantelt, sowie dem erfrischenden Eis. Dies alles wird von dem exzellenten Brioche noch getoppt. Sehr gut.

Volle Fahrt erreicht die Eisenbahn dann schließlich bei Tatar vom Taschenkrebs in Krustentiergelée, Thaispargel und Champagnervinaigrette. Der auch mit hinreißender Optik punktende Teller überzeugt auf ganzer Linie dank ultrafrischer Produkte und feinst aufeinander abgestimmter Produkte und Proportionen. Dieser Gang gerät zum komplexen Spiel mit überwiegend säuerlichen Noten und ist – wie sich später herausstellen sollte – der Höhepunkt des Menüs.

Die Bretonische Jakobsmuschel mit Rote Bete, Chicorée, Ingwer und Beurre blanc gerät zu einer erstaunlich würzigen Liaison. Diesen Produktklassiker erlebt man wahrlich selten so mutig in Szene gesetzt, zumal das Wagnis voll aufgeht und der kross frittierte Chicorée dem Gericht angenehmen Biss verleiht.

Seezunge mit Parmesankruste, Reiscreme, Currynage und asiatisch gewürztem Gemüse verblüffte ebenfalls durch eine äußerst stimmig geratene Balance zwischen den Produkten und großer geschmacklicher Intensität. Die butterzarte Seezunge harmonierte prächtig mit dem asiatischen Gewand und konnte, eingebettet von Gemüse Julienne, ebenfalls überzeugen.

Filet vom Iowa-Beef mit BBQ Lack, Zwiebelcreme und Kartoffelschaum war ein Beleg dafür, dass man hier immer wieder mal Gerichte vorgesetzt bekommt, die man noch von früheren Besuchen her kannte – es aber selten so wenig störend empfunden wird wie hier. Eine echte Eingebung ist das klassisch geratene Gericht schwerlich, doch ausgezeichnete Produktqualität und nur dezent begleitende Nebendarsteller machen das Hauptgericht trotzdem immer wieder zu einem echten Essvergnügen.

Die Käseauswahl fällt in puncto Angebot und Extras durchschnittlich aus, hat aber trotzdem für jeden etwas zu bieten. Außerdem ist der gute alte Käsewagen in Etablissements dieser Kategorie inzwischen eine echte Seltenheit geworden.

Als kleines Pré-Dessert reicht man Kalamansischaum auf Eis von Matcha-Tee und weißer Crème. Der überraschend intensive Schaum bleibt noch lange im Gedächtnis haften und funktioniert in diesem Umfeld bestens.

Geradezu avantgardistisch in puncto Präsentation wirkt das Dessert Blutorangen-Sorbet-Kugel „Kindheitstraum“ im Schaumbad. Dieses Dessert kreist letztlich nur um ein einziges Produkt und wird aber in vielen Facetten beleuchtet. Schaum, „Schale“ der Kugel und Inhalt (Sorbet) bestehen allesamt aus Blutorange und erzeugen in Verbindung mit den kleinen versteckten Brauseperlen im Inneren ein ungewöhnliches Mundgefühl, das nur aufgrund der relativ großen Portion irgendwann etwas zu eindimensional wird. Von der Idee her ist dies im Vergleich zur bisherigen Menüfolge aber geradezu ein Risiko, das sich indes auszahlt. Unter den Petits fours schließlich erweisen sich ein Macaron von Himbeere und eine mit Cornflakes ummantelte Schokokugel als bemerkenswert.

Wie bereits angedeutet weisen die Menüs im Laufe der Jahre immer wieder mal Wiederholungen auf, die allerdings eher als Hommage an langjährige Klassiker zu verstehen sind und dementsprechend gepflegt werden. Manches ist hier so vergnüglich, dass man es einfach immer wieder gerne isst.

Der sonst unter der charmanten Leitung von Christa Wolf agierende Service hatte diesmal einen „Ersatz-Chef“: Sohn Thomas Wolf war eingesprungen, weil die Grande Dame des Hauses nach Vollendung des 60. Lebensjahres mit ihrer Tochter feiernd derzeit am anderen Ende der Welt weilte. Junior-Chef Thomas Wolf machte seine Sache ausgezeichnet und scheute sich auch durchaus nicht, Dialekt zu verwenden. Das etwas eigentümliche Fränkische, das viele in der Region Hohenlohe sprechen, verleiht dem Service etwas Regionales und Heimatverbundenes. Die Servicedamen unter der Ägide des Chefs agieren leider weniger charmant und wirken in ihrem Tun eher pflichtbewusst als herzlich, zumal auch die Beschreibungen der Gerichte eher kryptisch und aphoristisch ausfallen. Dafür kann im Gegenzug das Preis-Leistungs-Verhältnis nur als sehr fair bezeichnet werden: hier darf man noch ohne Reue (jedenfalls mit Blick aufs Portemonnaie) auch mal ein Gläschen mehr genießen.

Alles in allem sind der Michelin-Stern und die 17 Punkte im Gault&Millau angemessen. Für eine höhere Wertung fehlt es dann doch an mehr Kreativität, Aromentiefe und auch Zeitgeist. Allerdings scheinen die Gäste dies hier auch nicht unbedingt zu erwarten, so dass Gourmets, die auch mit weniger als dem Allerbesten leben können, hier durchaus auch in den nächsten Jahren eine ansprechende Adresse finden sollten.