Ess.Zimmer**, München (UPDATE)

„Der Abschied von einer langen und wichtigen Arbeit ist immer mehr traurig als erfreulich.“
(Friedrich Schiller)

UPDATE (November 2024)

Schon länger hatte ich wieder einmal geplant, dem noblen Ess.Zimmer in der Münchner BMW-Welt einen Besuch abzustatten, doch spätestens mit der Ankündigung der Geschäftsleitung, dass Chefkoch Bobby Bräuer nur noch bis Jahresende am Herd stehen und sich dann nach 40 Jahren im Berufsleben im Sinne der Familie zurückziehen würde, rückte mein Ansinnen auf der Skala meiner Prioritäten ganz weit nach oben. Natürlich ist der Abschied eines solch angesehenen und herausragenden Chefs immer mit einem Moment der Wehmut verbunden, auch wenn es wohl weit und breit keinen Gourmet geben dürfte, der ihm den wohlverdienten Ruhestand nicht gönnt. Gerade in seiner Heimatstadt München hinterließ der scheidende Chef, der nur noch sporadisch für Events oder spezielle Anlässe zur Verfügung stehen will, besonders tiefgreifende Eindrücke. Bevor er 1993 den Posten des Chefkochs im damaligen Königshof übernahm, hatte er sich noch den letzten Feinschliff bei solchen Granden wie Dieter Müller in den Schweizer Stuben und bei Eckart Witzigmann in der Aubergine gegönnt. Nach sieben Jahren verließ er zwar den Königshof, um an weiteren Stationen Erfahrungen zu sammeln (darunter das Victorian in Düsseldorf und das Petit Tirolia in Kitzbühel), doch dem Lockruf des Unternehmens Feinkost Käfer, ein Restaurant in der BMW-Welt zu betreiben, konnte er nicht widerstehen. Mit der unerwarteten Rückkehr nach München gelang es ihm zur großen Freude des Unternehmens, nicht nur den avisierten ersten Michelin-Stern zu holen, sondern ein Jahr später als Krönung auch gleich noch den zweiten zur Sammlung hinzuzufügen – ein unschätzbares Aushängeschild in der kulinarisch besonders umkämpften bayerischen Landeshauptstadt. Somit gehörte die Küche im Ess.Zimmer fortan zu den allerbesten der Stadt (zumal es zu jener Zeit dort keinen Dreisterner gab), doch auch die nach wie vor spektakuläre Lage des vollverglasten Lokals, das wie ein Vogelnest von der Decke herunterzuhängen scheint, stellte eine weitere nicht zu unterschätzende Trumpfkarte dar.

Zehn Jahre später hält Bobby Bräuer noch immer die beiden Sterne und steht nun bereit, das wohnliche Lokal guten Gewissens an seinen langjährigen Souschef Jens Madsen zu übergeben, der ab dem kommenden Jahr seine eigene Stilistik immer stärker einbringen darf und will. Soweit ist es jedoch noch nicht, weshalb wir ein letztes Mal die Kunst dieses eher stillen, aber fraglos bedeutenden Chefs noch ein letztes Mal genießen wollen. Die Liste an Gesinnungsgenossen scheint übrigens sehr lang zu sein, denn bis zum Jahresende sind nur noch ganz wenige Plätze ausschließlich unter der Woche verfügbar. So gerät der nachfolgende Bericht in Teilen eher zu einer Hommage als zu einer echten Rezension, zumal der Termin unserer Einkehr ebenfalls symbolische Bedeutung genießt: es sind auf den Tag genau 45 Jahre, nachdem Bobby Bräuers ehemaliger Chef Eckart Witzigmann mit seinem Restaurant Aubergine erstmals drei Michelin-Sterne nach Deutschland holte. Natürlich erweist sich dies als reiner Zufall, aber meines Wissens unterhalten beide Chefs immer noch bereichernde Kontakte zueinander, zumal die Wertschätzung des Jahrhundertkochs für Bobby Bräuers Arbeit nachweislich immer noch ungebrochen hoch ist.

Der Begriff „Fluktuation“ scheint hier eigentlich ein Fremdwort zu sein, denn dank verlässlicher Beständigkeit konnte man sich im Grunde genommen bei jedem Besuch in der Vergangenheit sicher sein, ein herausragendes Mahl voller Präzisionsarbeit vorgesetzt zu bekommen, das immer wieder aufs Neue Maßstäbe zu setzen vermochte. Zu meiner nicht geringen Überraschung zog der GUSTO in seiner jüngsten Bewertung zwar eine halbe Pfanne ab (was natürlich keinen Beinbruch darstellt), doch einen echten Grund, von einer schwächeren oder nachlässigeren Darbietung auszugehen, stellte dies für mich nicht dar. Bewegung gab es aber doch im Service, denn Sommelier Domenico Durante, der das Amt von seinem deutlich sachlicher agierenden Vorgänger Frank Glüer übernahm, interpretiert seinen Beruf auf eine vergleichsweise lebhafte Weise, für die meine Begleitung ein wenig Eingewöhnungszeit braucht. Ihn flankieren zwei Damen, die den Großteil der Servicearbeit übernehmen, doch in Einzelfällen werden die Speisen auch mal von Küchenmitarbeitern oder gar dem Chef höchstpersönlich erläutert. Routine kommt hier also bestimmt keine auf!

Nach dem freundlichen Empfang bekommen wir zwei Plätze an der Fensterfront mit Paradeblick auf das darunter befindliche Geschehen in der BMW-Welt zugewiesen – kein Wunder, dass da der Blick öfters vom Teller abschweift, selbst wenn hier abends an einem kalten und windigen Tag unter der Woche ein überschaubarer Andrang herrscht. Der wohnlichen und fast schon heimeligen Atmosphäre tut es keinen Abbruch, denn ein gläserner Weinschrank, eine Bar, eine teils einsehbare Küche, mehrere Sitzgelegenheiten abseits der Tische und diverse Bücherregale vermitteln dem Erstbesucher tatsächlich den Eindruck, es könnte sich hier eher um ein hochpreisiges Loft als um ein Spitzenrestaurant handeln. Nach und nach trudeln auch noch zahlreich Gäste ein, die eine heitere, ja fast ausgelassene Stimmung versprühen – von Biederkeit oder Steifheit weit und keine Spur. Selbst der Chef kommt gleich zu Beginn kurz an den Tisch und begrüßt sämtliche Gäste per Handschlag.

Offeriert wird hier seit jeher ein bis zu achtgängiges Menü für € 270, das übrigens auch in einer vegetarischen Variante zum Preis von € 250 erhältlich ist. Wir entscheiden uns angesichts der garstigen Wetterprognose für die leider Gottes am selben Abend anstehende Heimfahrt für eine sechsgängige Variante zu € 230, die unserer Überzeugung nach sicherlich genügend aufschlussreiche Erkenntnisse für ein aussagekräftiges Urteil liefern dürfte. Wie schon öfters erlebt, gibt es auch heuer zahlreiche begleitende Extras, die von Anfang an die Messlatte recht hoch hängen: so bedient das Baiser von Grünkohl (das auch in frittierter Variante obenauf zu finden ist) dank Begleiter wie Schwarzwurst, Senfcrème und Aal eher rustikale Geschmacksbilder, doch finden alle Komponenten zu einem stimmigen Miteinander. Schmunzeln musste ich beim zweiten Apéro, weil das im Ei platzierte Risotto in Wirklichkeit aus Fregola sarda besteht – ein Kniff, den ich bereits zehn Tage zuvor im PALAZZO kennenlernen durfte. Hier ist das falsche Risotto in einem Ei unter dem Schaum mit Eigelb und Guanciale versteckt und erstrahlt dank der deftigen Noten des italienischen Specks ganz wunderbar. Die Vorliebe für asiatische Akzente kommt dagegen bei einem Bao Bun von bemerkenswert fluffiger Konsistenz zum Tragen, wobei Manchego, Schnittlauch, Kirsche und Haselnuss eine gewagte, aber gelungene Bereicherung darstellen. Konventioneller ist die Tartelette gehalten, die eine Vielfalt an Pilzen auf engem Raum drapiert und gut gelingt, auch wenn ihre Intensität im Vergleich zu den restlichen Apéros etwas gedämpft wirkt – alles in allem ein mehr als ordentlicher Auftakt, der mit einem Glas Apfelquitte vom Obsthof Retter in der Steiermark begleitet wird.

Bei der Brotauswahl gab es das sardische Knäckebrot Carta da Musica auch schon beim letzten Mal zu bewundern – und es ist nach wie vor ein gern gesehener Beitrag, da er ein äußerst rarer Gast ist, der zudem qualitativ hochwertig gerät. Hinzu gesellen sich noch ein Kürbiskern-Focaccia mit zweierlei Aufstrichen, nämlich Butter mit Kartoffel, Kerbelwurzel und Pistazie sowie eine aufgeschlagene Rahmbutter mit Kräutern und Meersalz – alles in exzellenter Ausführung.

Das Amuse schließlich wird vom Chef am Platz erläutert: zunächst wirkt gebackener Hecht trotz eines Segments von Avocado noch ziemlich bodenständig, doch angesichts einer Sauce von fermentierten Sojabohnen und koreanischem Kimchi übernehmen asiatische Referenzen schnell das Kommando, zumal der Verzehr sogar mit Stäbchen erfolgt – eine ganz nette Spielerei, die allerdings das kleine Manko mit sich bringt, dass die vorzügliche Sauce damit gar nicht komplett zu würdigen ist. Dem Spannungsfeld zwischen saftig-mildem Fisch und präsenter Würze tut es jedoch keinen Abbruch, weshalb unterm Strich ein überzeugender Eindruck steht.

Nach dieser Ouverture folgt gleich als Entrée ein selten opulenter Auftakt rund um blauen Hummer: zunächst werden quasi als Hors-d’œuvre eine leicht heiße, sämige Hummerbisque sowie ein Tatar des Krustentiers gereicht. Selbiges ist in durchaus generöser Portionierung zwischen zwei mürben Waffeln platziert und präzise mit Gochuyang, Chili und Sesam abgeschmeckt worden. Dank einer höchst angenehmen Mundfülle und variabler Texturen hätte diese luxuriöse Petitesse allein fast schon eine Eloge verdient, doch es folgte ja noch Teil zwei der Interpretation …

… der zu einem ungeahnten Höhepunkt werden sollte. Der hochkomplex ersonnene Hauptteller präsentiert den in Nussbutter confierten Hummer auf einem superben Taschenkrebstatar, doch noch erstaunlicher als die Ansammlung an aristokratischen Produkten an sich ist die Tatsache, wie gut es dem Küchenteam gelingt, die Aromen von Avocado, Seeigelschaum, Sepiachip und Bergamotte auf eine Art und Weise herauszumeißeln, dass sie in absolut erstaunlicher Transparenz allesamt herauszuschmecken sind und wie eine echte Bereicherung der Kreation wirken. Obwohl nur eine fruchtige Komponente mitwirkt, erscheint dieser Teller höchst frisch, bekömmlich und schwebend leicht. Als ein typisches Gericht für den Stil des Chefs empfinde ich diese Kreation, die viel wagt und alles gewinnt, zwar nicht, aber einen so ausbalancierten und gleichzeitig fulminanten Auftakt in ein Menü habe ich schon länger nicht mehr erleben dürfen!

Auch der zweiten Gang startet mit einem puristischen Einstieg: Tatar von roh marinierter Jakobsmuschel auf einem Sesam-Brotchip entpuppt sich als konzentrierte und exakt umgesetzte Überleitung zum Hauptteller, wo der Hauptdarsteller als glasiges Carpaccio auf durchaus animierende, fast aufregende Weise umspielt wird: das Bett aus Kartoffelmousseline und das Topping von edlem Impérial-Kaviar sind noch vergleichsweise gewöhnlich, doch mit Peperino und frittierter Kombualge bekommt der ungewöhnliche Gang einen durchaus würzigen Anstrich, der auf uns sehr durchdacht und individuell wirkt. Einigermaßen überrascht stelle ich fest, wie geschickt die Küche diesmal mit Erwartungen spielt und diese dann ad absurdum führt. Obwohl einigermaßen klassisch verankert, wagte sich die Brigade diesmal öfters an Kreationen, die recht mutig erschienen und jeden Anflug von Langeweile vertreiben wollen. Bei alledem kann man sich als Gast jedoch stets auf das ausgezeichnete Handwerk verlassen, so dass Enttäuschungen trotz eines gewissen Risikos bislang ausbleiben.

Deutlich reduzierter (und damit irgendwie auch typischer für Bobby Bräuers Stil) kommt der Saibling von der Kinsauer Mühle daher. Angesichts seines dichten Geschmacks tippe ich auf längeres Confieren (ohne es bestätigen zu können), zumal er beim Verzehr fast abblättert. Gebettet ist das zarte und saftige Fischlein auf einer Champagner-Holunder-Sauce mit Öl von Kürbiskernen, doch der eigentliche Clou ist obenauf versteckt. Zwischen Puntarella (Chicorée) versteckt sich Topinambur in gehobelter Form und als Tatar, das fast umweht wird von Aromen der Macadamianuss – ein winziger, aber höchst subtiler und faszinierender Effekt, da die nussige Note völlig unerwartet kommt und zu einer hocheleganten geschmacklichen Veredelung führt. Das ist große Kunst auf engem Raum und ein Teller, bei welchem das Team ganz bei sich ist.

Interessanterweise streut die Küche als Intermezzo bereits einen Gang vor dem Hauptgericht ein Quittensorbet ein, das auf einer Marmelade derselben Frucht thront. Eine noch spritzigere und säuerlichere Nöte steuert der Champagnersud bei, der fast schon verwegen mit tasmanischem Pfeffer gewürzt wird. Der neue Mut zur Würze in einem solchen Ausmaß erstaunt mich und nötigt mir Respekt ab, wenngleich das Ergebnis trotz allem ein wenig kontroverser als die bisherigen Eindrücke ausfällt.

In einer Art dreiteiligen Leistungsschau wird nachfolgend das Potential des Ochsenschwanz durchdekliniert: da wäre zum einen eine intensive, fast noch brühend heiße, mit roter Bete verfeinerte Essenz, die angesichts ihrer Dichte und minimal öligen Konsistenz sogar leichte Schlieren am Glas hinterlässt, die an Engelstränen bei Spirituosen erinnern. Kaum weniger intensiv erscheint das Ragout mit gehobelten Champignons, während das mürbe Fleisch auf dem Hauptteller die Bühne weitgehend der Terrine von Gänseleber auf getrockneter Aprikose und an Kapern überlassen wird. Die drei puristische Varianten zwingen den Gast zu aufmerksamem Verzehr, doch selbst dann stellt sich nicht ganz dasselbe Maß an Faszination wie bei den Vorgängern ein, sondern eher eine leise Bewunderung für die mustergültige Umsetzung und die Reduktion auf das Wesentliche.

Das Plat principal ist einem erklärten Lieblingsprodukt des Chefs gewidmet: der Rücken vom Reh (aus dem Poltinger Forst) in der Gewürzkruste ist diesmal so spärlich bemessen, dass der Fokus offenbar stärker als gewöhnlich auf die Begleiter gelenkt werden soll. Nachvollziehbar ist dies insofern, da das Bällchen von Rosenkohl mit einer Füllung von im Tempurateig gebackenen Zwiebelconfit oder das Confit von Muskatkürbis allemal Anerkennung verdienen. Mein persönlicher Favorit ist jedoch – nicht zuletzt wegen des bereits angedeuteten Jahrestags – die gebackene Aubergine, die nicht nur unbewusst zu einer Hommage an Eckart Witzigmann wurde, sondern auch nahezu fettfrei mit unverwechselbarem Geschmack zu punkten vermag. Auch die Wildjus wird mit raren Begleitern wie Granatapfelkernen oder gar Kaktusfeige aufgewertet, so dass den Nebendarstellern summa summarum ein bedeutendes Gewicht zugestanden wird. Dennoch hätte ein etwas größeres Stück Fleisch wohl zumindest nicht geschadet, da das vorzügliche Reh so fast zum Statisten verkommt – das hat es nicht verdient.

Einen echten Höhepunkt (nachdem wir auf den Käsegang und das Pré-Dessert verzichtet haben) zauberte die Pâtisserie zum Schluss auf den Teller: der erfreulich herbe und nur wenig süße Ausklang setzt voll auf saisonale, nussige Aromen und punktet auch mit einem ästhetischen Design. Zusammengehalten wird der Taco von zwei hauchdünnen Scheiben an weißer Schokolade, die von einem gehaltvollen Eis und einer schön dichten Ganache von Schlosskastanie flankiert werden. Ein wahres Füllhorn an Texturen und Produkten wie Getreide, Tahiti Vanille, Meringue sowie weitere kaum bis ins Detail zu enträtselnde Komponenten finden hier in großartiger Harmonie zusammen. Das ist dank zweckdienlicher Effekte spannend bis zum letzten Bissen und absolut tief beglückend – ein wirklich großer Wurf!

Bevor wir entlassen werden, schickt die süße Abteilung noch drei Petits fours: ein klassisches Profiterol mit einer Füllung von Mango-Kokosnuss-Crème, ein Mandel-Quarkbällchen und eine Tartelette mit Mais, Papaya und höchst überraschender, animierender Schärfe von Koriander. Auch die kleinen Pralinen aus weißer Schokolade, Eiskonfekt mit Cashew sowie Spekulatius runden den überaus stimmigen Eindruck würdig ab.

Das Menü, das wir an diesem Abend genießen durften, wies keinerlei Spuren von Müdigkeit oder Verschleißerscheinungen auf – die Menüfolge wirkte im Gegenteil so inspiriert, frisch und voller jugendlichem Elan, dass sie mich an mehr als nur einer Stelle gehörig und positiv zu überraschen vermochte. Selbstverständlich waren verlässliche Konstanten im Schaffen des Chefs wie die punktgenaue Zubereitung, die präzise Detailarbeit und die klare Struktur häufig anzutreffen, doch diesmal war das Menü zusätzlich von einer Dosis an Mut durchzogen, den ich in diesem Ausmaß bisher nicht zu kennen glaubte. Gerade die sehr komplexe Inszenierung des Hummers mit einer ungewohnt hohen Vielzahl an Komponenten ließ mich aufhorchen, doch das damit einhergehende Maß an Transparenz und Harmonie erstaunte mich erst recht. Das Maß an Esprit manifestierte sich beispielsweise auch bei der ungewöhnlich begleiteten Jakobsmuschel oder dem erfreulich herben und saisonalen Dessert, dem überhaupt nichts Vorhersehbares anhaftete. Bei alledem kam dem Chef sein jahrzehntelang angeeignetes Wissen zugute, denn ein so erfahrener Herdkünstler vermeidet den Eindruck von Forciertheit oder gekünstelter Angeberei natürlich um jeden Preis – nein, die große aromatische Ausdruckskraft der Teller möge für sich sprechen und ohne Effekthascherei auskommen. Nicht zuletzt dank der stets aparten und doch angemessen dezenten Optik wird die Parade an Speisen zu einem Fest für den Gaumen, der sich von Anfang bis Ende auf typische Luxusprodukte in herausragender Qualität und makelloser Zubereitung freuen darf. Tatsächlich wirkte dieses Menü um einiges kosmopolitischer als die Darbietungen vergangener Jahre, weil es diesmal von etwas weniger regionalen Produkten als sonst bei Bobby Bräuer üblich geprägt war – was der Qualität freilich keinerlei Abbruch tat. Der geforderte Menüpreis hat angesichts hochpreisiger Produkte, durchweg exzellenter Teller und stattlicher Extras sicherlich seine Berechtigung, wenngleich die empfindlichen Nebenkosten eine gesonderte Erwähnung verdienen. Als konsumfreundlich sind diese schwerlich zu bezeichnen, aber die Mehrzahl der Gäste in Deutschlands ohnehin teuerster Großstadt dürfte dieser Umstand wohl kaum in den Ruin treiben …

Mit dieser von Anfang bis Ende überzeugenden Speisenfolge machte der scheidende Chef seinen Gästen den Abschied besonders schwer, denn schon bald werden diese merken, was ihnen in Zukunft fehlen wird und was sie an diesem Chef hatten. Sollte irgendein Gast im Angesicht des bevorstehenden Ruhestands von einem langsamen Austrudeln ausgegangen sein, so wurde dieser schnell und nachdrücklich eines Besseren belehrt, denn zumindest meinem subjektiven Empfinden nach war dieser finale Akt sogar unter meinen vier Besuchen der allerbeste. Das macht Bobby Bräuers Ausscheiden umso bedauerlicher, doch einen mehr als versöhnlichen Abschied gab es dank des gemeinsamen Fotos dennoch.

Mir bleibt nur noch, dem Grand Chef für seine jahrzehntelange Hingabe im Dienste von Genussfreude und Gastlichkeit meinen tief empfundenen Dank auszusprechen, denn Köche dieses Formats gibt es schließlich nicht an jeder Ecke! München verliert damit einen seiner renommiertesten Herdkünstler, doch gleichzeitig gibt es allen Grund zur Annahme, dass mit der Beförderung von Jens Madsen vom Souschef zum Chefkoch ein absolut würdiger Nachfolger behutsam aufgebaut werden kann und das Ess.Zimmer auch weiterhin in der Top-Riege der bayrischen Landeshauptstadt mitspielen wird. Ob nun vor Silvester oder erst im neuen Jahr – ein Besuch hier wird sich weiterhin lohnen!

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Ess.Zimmer
Am Olympiapark 1 (BMW-Welt)
80809 München
Tel.: 089/358991814
www.esszimmer-muenchen.de

Guide Michelin 2024: **
Gault&Millau 2024: 4 Toques
GUSTO 2025: 8,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2025: 4 F

6-gängiges Menü: € 230

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„Das Rezept für Gelassenheit ist einfach: Man darf sich nicht über Dinge aufregen, die nicht zu ändern sind.“ (Helen Vita)

UPDATE (Juli 2022)

In diesen Zeiten vergleiche ich Bobby Bräuers Ess.Zimmer ganz gerne mit dem Polarstern. Weshalb? Nun, wie ein Fixstern am Firmament des Münchner Gourmethimmels steht sein Lokal unverrückt im Norden der Landeshauptstadt, von wo aus der Grand Chef mit stoischer Gelassenheit den Aufruhr zu beobachten scheint, der sich gerade im restlichen kulinarischen Epizentrum der „Weltstadt mit Herz“ abspielt. Da verlässt ein Jan Hartwig Knall auf Fall das Atelier und eröffnet Ende Oktober sein eigenes Restaurant JAN, das Tantris vereint jetzt mit neuen Köchen gleich zwei Lokale unter einem Dach, Hans Haas‘ ehemalige Souschefin Sigrid Schelling übernimmt den Werneckhof, deren Vorgänger Tohru Nakamura eröffnet zwei Lokale in der Schreiberei, Anton Gschwendtner übernimmt im Atelier, Edip Sigl hat das Les Deux verlassen, das Tian schließt demnächst und wie es mit dem Königshof weitergeht ist auch noch offen. Bei so viel Chaos kann man leicht den Überblick verlieren, doch welch ein Glück, dass es wenigstens weiterhin eine verlässliche Konstante in der Metropole gibt!

Knapp vier Jahre – und damit eine viel zu lange Zeit – war mein letzter Besuch hier nun schon her. Die Lockdown-Phase hatte das Lokal jedenfalls recht glimpflich überstanden – lediglich der Abgang von Sommelier Frank Glüer musste verkraftet werden, doch welch kleines Problem stellte dies im Vergleich zu den Sorgen der anderen Gastronomen dar!? So durfte man davon ausgehen, dass Chefkoch Bobby Bräuer seine geschmackvolle und qualitativ hochwertige Küche weiterhin ohne große Abstriche würde anbieten können. Der erfahrene Chefkoch hat längst seine innere Mitte gefunden und muss, jetzt wo er die 60 Lenze überschritten hat, längst niemandem mehr etwas beweisen oder sich gar von Grund auf verbiegen. Im Gegenteil: seine Gäste wissen, dass seine unverwechselbare Handschrift Bestand haben wird und ihm genau dieser Umstand die Gäste weiterhin in großer Zahl in sein todschickes Lokal in der Münchner BMW-Welt treibt, das übrigens genauso gut ein Wohnzimmer sein könnte. Mit all seiner Erfahrung und Gelassenheit gelingt es ihm stets aufs Neue, seine Teller trotz aller Artistik geerdet und natürlich wirken zu lassen. Die organische Einbeziehung heimischer Viktualien zeichnete seinen Stil schon immer aus, wobei ich schon während meiner letzten Visite erfreut zur Kenntnis nehmen durfte, dass ihm die Ideen auch weiterhin nicht ausgehen und selbst im Herbst seiner Karriere nicht das geringste Nachlassen damit verbunden zu sein scheint. So hält er scheinbar mühelos Jahr für Jahr seit 2015 die zwei Michelin-Sterne und überzeugt die Tester immer wieder mit seiner gelungenen Mischung aus französischen Tugenden, moderneren Einflüssen und heimatverbundenen Gerichten.

Ein Teil des Gesamterlebnisses ist selbstverständlich schon das Lokal an sich, welches im dritten Stockwerk wie ein Schwalbennest an der Decke zu hängen scheint. Nach der Fahrt mit dem Lift wird man umgehend vom freundlichen Serviceteam in Empfang genommen und vorbei am Prunkstück, den beiden meterhohen gläsernen in die Wand eingelassenen Weinschränken, an den Platz geführt. Da sich dieser für mich erstmalig auch noch direkt an der Fensterfront befindet, die einen unvergleichlichen Blick in die kühne Architektur der BMW-Welt gestattet, kann im Grunde genommen an diesem Abend kaum noch etwas schiefgehen. Mit einem überwiegend aus jungen Damen bestehenden Serviceteam unter der Leitung des neuen Sommeliers Domenico Durante ist zudem den ganzen Abend für das leibliche Wohl der Gäste gesorgt, so dass ich den weiteren Verlauf des Abends bedenkenlos in deren Hände legen kann. Mein Blick schweift wie beim ersten Mal umher, denn noch immer entdeckt man neue Details: der gepflegte Parkettboden, die Teppiche, die todschicken Lampen und die Bücherregale vermitteln wahrhaftig den Eindruck, dass man sich hier ganz wie zuhause fühlen soll.

Zur Reduktion des Aufwands bietet man zwar nur ein achtgängiges Menü zu € 230 an, doch wenigstens bleiben dem Gast an zwei Stellen Optionen zur freien Auswahl. Ich entscheide mich für das volle Programm und bekomme schon bald zu einem alkoholfreien Gin Tonic (Tonic Water von Acqua Monaco aufgegossen über einem Seedlip Spice 94) die Apéros präsentiert: ein Eigelb-Baiser mit Carbonara und Parmesan, ein Hamachi in Filoteig mit Mairübe und Yuzu, dann ein Profiterol mit Rauchfischcrème und Ingwermayonnaise sowie schließlich als Höhepunkt Melone mit Daikon, Gurke, Zitronenmelisse und Sauerrahm in einer gleichermaßen farbenfrohen und höchst wohlschmeckenden Inszenierung. Trotz einiger bayrischer Elemente, die ein unverkennbares Markenzeichen des Chefs sind, geraten diese Einstiege erstaunlich kosmopolitisch und voll überraschender kleiner Einfälle – sie sind bestenfalls etwas rustikal (eben typisch bayrisch …), aber keinesfalls plump. Es ist erfreulich zu sehen, dass hier vergleichsweise viel Gewicht auf die Apéros gelegt wird und ein hohes Niveau von vornherein zementiert wird – ein in den letzten Jahren eher selten zu beobachtendes Phänomen.

Die Brotauswahl besteht aus Focaccia sowie dem sardischen Knäckebrot Carta da Musica, was auch für mich eine Premiere darstellte. Zwei Aufstriche aus Amalfi-Zitrone und Olive runden diese gelungene Auswahl angemessen ab.

Trotzdem wird man noch mit einem Amuse bouche auf das Menü eingestimmt: Meeräsche (ähnlich wie eine Sardelle ganz essbar) in Kombination mit Frittura und einem dichten Espuma von Kartoffel und Safran kommt bestens zur Geltung, weil neben einer feinsinnigen Balance auch die Reduktion der Intensität nach dem recht aromensatten Auftakt spürbar gut tut. Fraglos ein reizender Auftakt, der zugleich demonstriert, dass der Chef in diversen Stilistiken gleichermaßen sicher agiert und sein Handwerk ganz ausgezeichnet beherrscht.

Nein, München liegt neuerdings nicht an der Nordsee – und doch hegt Bobby Bräuer keine falsche Scheu, auch mal Matjes von der Seeforelle auf den Teller zu bringen. Warum auch nicht, wenn sich das intensive Tatar des Fischs und der Forellenkaviar so stimmig mit typisch bayrischen Produkten kombinieren lässt? In diesem Falle verleihen Radieschen und Hüttenkäse dem Gang Lokalkolorit, doch auch die souveräne Einbindung von Gurke und Apfel in diversen Texturen macht aus diesem Gang ein sommerliches Essvergnügen. Maritime Frische und eine trotz der verwendeten Produkte nicht abzustreitende Eleganz veredeln das rustikale Grundprodukt überraschend vielseitig. Der aromatische Feinschliff mit Senfkörnern rundet dieses augenzwinkernde und sehr überzeugende Entrée würdig ab, zumal die Handschrift des Chefs gleich beim ersten Gang so deutlich zutage tritt wie man sich dies wünscht: bayrische Produkte, französische Basis und dezente Modernismen vereinen sich hier zu einem reizenden Teller.

Selbiges lässt sich genauso vom zweiten Teller behaupten: Kaninchen aus der Eifel (gezupft bzw. kurz gegarter Rücken) paart die Küche in Form einer Terrine luxuriös mit etwas Gänseleber, einer trefflichen Rahmsülze und einer Kräutercrème. Diese schlafwandlerisch sicher umgesetzte Darbietung hätte angesichts ihrer Qualität auch notfalls ganz puristisch auf dem Teller ruhen dürfen, doch damit gibt sich ein Bobby Bräuer nicht zufrieden: was er an Begleitung aus eher profanen Produkten wie Artischocken (als Crème) und Tomaten ersinnt, erweist sich als ganz entzückend, zumal Texturen von Taggiasca-Olive und Bittersalate zu einem heiteren Spiel mit verschiedenen aromatischen Intensitäten laden. Die Erdigkeit der Artischocke geht Hand in Hand mit der ansonsten vorherrschenden leichten Säure und führt letztlich zu einem enorm variablen und ausgewogenen Gericht, das nicht zuletzt dank seiner Optik und der vollendeten Terrine zu den Highlights des Abends gezählt werden muss.

Nach zwei Gängen hätte die bloße Auflistung der verwendeten Produkte wohl schon ausgereicht, um den Chefkoch der Menüfolge eindeutig zu bestimmen – Respekt, denn das gelingt wahrlich nicht vielen Köchen! Die kulinarische Reise führt nun eher weiter Richtung Indien, denn der mustergültige Carabinero aus dem Atlantik wird deutlich von dem körperbetonten Espuma aus Kaschmir-Curry flankiert. Ein Dim Sum mit einer von mir nicht dechiffrierten Füllung verstärkt den asiatischen Eindruck weiterhin, doch bleibt der marinierten Wassermelone genug Raum zur Entfaltung, da ihr leichter Biss und die Fruchtigkeit sich deutlich bemerkbar machen. Dieser spürbare reduzierte Gang hält das bisher gezeigte Zwei-Sterne-Niveau weiterhin ganz locker und überzeugt mit einem recht puristisch inszenierten Hauptdarsteller.

Auffallend erscheint mir lediglich, dass nicht nur die fast komplett weibliche Servicetruppe in ihren schicken schwarzen Kleidern mit einem weinroten Gürtel ein hohes Tempo an den Tag legt, sondern auch die Küche ordentlich auf die Tube drückt. Angesichts der anstehenden Heimfahrt soll mir dies nicht unrecht sein, wenn sich der Abend nicht ewig hinzieht, aber andererseits gewinne ich den Eindruck, dass der betriebene Aufwand (zumal bei „voller Hütte“) vermutlich nur durch rechtzeitiges Vorkochen einiger Zutaten zu bewältigen ist – wenn dem so sein sollte, dann erstaunt es mich umso mehr, dass dabei trotzdem keinerlei Abstriche zu erkennen sind.

Weiter geht die Reise auf die iberische Halbinsel, denn Zackenbarsch von der Algarve (gegart und confiert) wird durch einen zupackenden Essig von altem Sherry schlank und zugleich straff begleitet. Die größere optische Aufmerksamkeit beansprucht ein Lauchring, der mit pochiertem Eigelb gefüllt ist sowie dessen grüne Färbung durch Beigabe des selten verwendeten Würzkrauts Gundermann. Ein paar Pfifferlinge sowie ein frittierter Lauchchip runden ein kreativ und abermals überzeugend umgesetztes Gericht würdig ab.

Eine Petitesse vor dem Hauptgang erhöht die Spannung nochmals ein wenig, zumal sie toll gelingt: die Karotte wird in marinierter Form, als Crème und Eis gleich dreifach durchdekliniert und ruht auf einer Crème aus Karottengrün (löblich, dass möglichst viel verwertet wird) und Pumpernickel. Süßlicher hätte die Aromatik kaum geraten dürfen, aber dank der texturellen Vielfalt wird dies geschickt aufgefangen. Dieser ungewohnt moderne, für die Verhältnisse dieses Hauses fast avantgardistisch anmutende Einschub setzt ein beachtliches Statement: auch ein Bobby Bräuer weiß, dass „wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit“. Stark!

Perlhuhn aus der Bresse kommt als Brust und Keule und wird – typisch für ein Hauptgericht – mit nur wenig Schnickschnack begleitet. In diesem Falle handelt es sich um confierte Tomate, ein Auberginentatar, ein Misosud und etwas Feta am Tellerrand, der mit Stickstoff behandelt wurde. Diesmal bleiben mir die geschmacklichen Auswirkungen davon allerdings wenig erkennbar, sodass unterm Strich ein durchschnittliches Gericht steht, das vielleicht bislang am wenigsten individuelles Profil erkennen ließ und daher trotz eines nicht zu beanstandenden Handwerks eher wenig eindringlich gerät. Von einer Enttäuschung zu sprechen wäre allerdings auch vermessen.

Tête de Moine thront (wie üblich) als auffällige Rose im Mittelpunkt des Geschehens. Gebettet ist er auf einer Crème von Haselnuss, wobei selbige auch als reine Nuss und Perlen auf den Teller gelangt. Zusammen mit einer erdigen Vinaigrette von Trüffel aus dem Périgord und etwas jungem Lauch wird daraus ein unspektakulär anmutendes Intermezzo, welches seinen Reiz aus der kompakten Umsetzung der Idee bezieht, die Cremigkeit des Käses mit den nussigen Noten korrespondieren zu lassen. Ein Gang von eher stiller Größe, aber zweifellos gelungen!

Den französichen Pâtisserie-Klassiker Baba tränkt die Küche zum Pré-Dessert nicht wie üblich in Rum, sondern in Campari. Dazu gesellt sich eingelegter Weinberg-Pfirsich sowie Tahiti-Vanille in zweierlei Varianten – im Vordergrund als Espuma, im Hintergrund als Eis. Diese tropisch angehauchte Erfrischung überzeugt mit reduzierter Struktur auf den Schälchen und gelingt sehr schön.

Alle Register ihres Könnens zieht die Pâtisserie dann nochmals beim finalen Dessert: Schokolade (Cru de Virunga) ist als Ganache gleichmäßig auf einem keksartigen Boden verteilt und sorgt so zunächst für ein gleichmäßig herbes Geschmacksbild. Darüber tummeln sich in farbenfroher Heiterkeit beste Erdbeeren der Sorte Mara des Bois in variablen Texturen sowie Holunder (als Schaum und Crème). Die straffe Säure wird komplementär mit etwas tasmanischem Pfeffer aufgefangen, so dass aus dieser recht simplen Idee auch dank essbarer Blüten letztlich ein Geschmackserlebnis der stärkeren Sorte wird. Gerne hätte ich hier noch eine ausführlichere Erläuterung angeboten, doch befiel mich kurz nach dem Hauptgang eine unerklärliche temporäre Müdigkeit, die meine Aufmerksamkeit bei den Ankündigungen durch den Service spürbar erlahmen ließ. Das ist jedoch in keinster Weise despektierlich gemeint, denn dieses Menü hätte meine volle Aufmerksamkeit bis zum Schluss verdient.

Die Petits fours bestehen aus einem Cornetto mit Kokos, Ananas und Limette, gefolgt von einem Yuzu-Macaron und schließlich einer Johannisbeerpraline mit Kaffeecrème. Zu meiner nicht geringen Überraschung folgen noch zwei weitere Pralinen (ohne Foto) von Kirsche-Mohn und Fichte-Nuss, was einen wirklich gelungenen Abschluss eines überaus launigen Menüs darstellt.

Ein längst etabliertes und schönes Ritual ist die Verabschiedung der Gäste durch den Chef persönlich, bevor es mit dem Lift wieder nach unten in die Tiefgarage geht. Dabei ist Bobby Bräuer an einem ehrlichen Urteil seiner Gäste durchaus gelegen: ich spreche ihn dabei auf die Terrine im zweiten Gang an, denn – genau wie nur wenige Tage zuvor im Adler zu Rosenberg – diese Präsentationsform bekommt man inzwischen eher selten geboten. Als ehemaliger Schüler von Witzigmann finde ich diese indirekte Referenz an den großen Meister, welcher sich zu seiner aktiven Zeit für die Terrine stark machte, eine gelungene Idee für Eingeweihte. Doch auch so mangelt es dem Menü keineswegs an augenzwinkernden Einfällen und schönen Momenten, in denen der Verzehr der Gerichte auch ohne die große intellektuelle Annäherung gewinnbringend geraten kann. Schon in der Vergangenheit wurde auch mal beiläufig Radi (bayrischer Rettich) eingebaut oder wie diesmal körniger Frischkäse, doch stets machte alles Sinn und wirkte organisch. Bei alldem versteht es dieser gewiefte Chef, seine Kunst oft unscheinbar wirken zu lassen, doch bezieht sie ihre Klasse immer wieder aus intensiven Gerichten, die für meine Begriffe eine besonders genaue Einhaltung von Garzeiten erfordern und gleichzeitig optisch einiges hermachen. Gerade der Gang mit der Terrine hinterließ bei mir diesbezüglich einen besonders nachhaltigen Eindruck, war er doch in aromatischer Hinsicht höchst transparent umgesetzt und reichlich mit kleinen Überraschungen ausgestattet.

Es geschieht wohl nicht ohne Grund, dass Bobby Bräuer in so manch oberbayrischem Sternerestaurant ein gefragter Gast bei den derzeit beliebten Four-Hands-Cooking-Events zu sein scheint. Neben seinen offenkundigen Fähigkeiten als Koch scheinen mir aber auch zwei weitere Elemente dabei eine große Rolle zu spielen: zum einen seine bescheidene und authentisch wirkende Art, zum anderen seine superbe Vernetzung in der Szene mit Kontakten zu allerlei Kollegen und Lieferanten. Ich lasse es mir beispielsweise nicht nehmen, ihn bei der Verabschiedung zu fragen, ob er noch regelmäßigen Kontakt zu seinem Lehrmeister Eckart Witzigmann pflegt und ob er weiß, wie es ihm derzeit gehe. Selbstverständlich erteilt der Chef bereitwillig Auskunft und macht mir Hoffnung, dass es an einem Premierenabend des neuen Monats im Salzburger Ikarus mit einer Begegnung durchaus klappen könnte.

Kaum ein anderer Chef in München wirkt so geerdet und tiefenentspannt wie Herr Bräuer. Das bleibt nicht ohne Auswirkung auf die Teller, deren Vorzüge im schönsten Licht erstrahlen und einen unbeschwerten Abend mit reinem Genuss versprechen. In diesen turbulenten Zeiten kann man einem solchen Fels in der Brandung gar nicht genug danken, denn letztlich ist es doch immer wieder Beständigkeit, die uns allen in Phasen der Unsicherheit Halt gibt. Diesen bekommt man hier geboten mit einer Küche frei von Allüren, überdrehten Modernismen und Experimenten. An deren Stelle treten leichte Fassbarkeit, reizende Einfälle und bekömmliche Gerichte von hinreißendem Charme – da dies heutzutage beileibe keine Selbstverständlichkeit darstellt, danke ich es dem Lokal bestimmt mit weiteren regelmäßigen Besuchen, zumal auch die Nebenkosten noch im erschwinglichen Bereich angesiedelt sind. Wer es mir nachmacht, dürfte dies schwerlich bereuen …

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Ess.Zimmer
Am Olympiapark 1 (BMW-Welt)
80809 München
Tel.: 089/358991814
www.esszimmer-muenchen.de

Guide Michelin 2022: **
Gault&Millau 2022: 3+ Toques
GUSTO 2022: 9 Pfannen
FEINSCHMECKER 2022: 4 F

8-gängiges Menü: € 230

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November 2018

Eines der besten Lokale von München ist das Ess.Zimmer in der BMW-Welt im Norden von München – diese hat inzwischen sogar Schloss Neuschwanstein als Bayerns meistbesuchte Touristenattraktion abgelöst. Dennoch drängt sich mir spontan ein Gedanke auf: Autos und Haute Cuisine ist eine Kombination, die nicht gerade auf der Hand liegt. Ohne großes Nachdenken fallen mir viele Personen ein, die willens wären, einen teuren Neuwagen zu kaufen, aber niemals € 250 für ein Essen ausgeben würden. Auch in Münchens BMW-Welt sieht man immer wieder Kunden, die ohne großes Zögern nach relativ kurzer Zeit einen Neuwagen erwerben, aber niemals den Anlass würdig im Ess.Zimmer feiern würden. Dabei hätte dieses doch wirklich einiges zu bieten: neben den Auszeichnungen (zwei Michelin-Sterne und 18 Punkte im G&M) wäre da ja auch noch die spektakuläre Architektur zu erwähnen. Das Restaurant im 3. Stock wirkt wie von unten an die Decke des Bauwerks geklebt und gestattet einen atemberaubenden Blick auf das Geschehen zu Füssen des Betrachters. Zutritt ist logischerweise nur den Gästen gestattet, die eine Reservierung vorweisen können oder an der Bar einen Drink zu sich nehmen, denn andernfalls könnte sich das Lokal eines Ansturms von ungebetenen Gästen wohl gar nicht mehr erwehren. Doch auch ohne den Ausblick macht dieses Restaurant, das übrigens von der noblen Adresse Feinkost Käfer betrieben wird, enorm viel her. Da wäre zum einen die überaus wohnliche Einrichtung mit Schränken, Bücherregalen, schicken Lampen, Parkettboden (zum Teil mit Teppichen) und eine extrem hohe Decke. Ein Blick in die Küche ist von manchen Plätzen aus auch möglich, und als absoluter Blickfang fungiert ein mehrere Meter hoher gläserner Weinschrank, der für den Service lediglich die nachteilige Folge hat, dass die oberen Bouteillen nur mit Hilfe einer Leiter erreichbar sind. Na ja, was macht man nicht alles, wenn ein Gast willens ist, für eine Flasche Wein einen vierstelligen Betrag zu zahlen?!

Die Gourmets freut die Weitsicht des Managements jedenfalls, denn aus Münchens Gastro-Szene ist dieses Lokal schon lange nicht mehr wegzudenken. Dies liegt zum einen natürlich an den Kochkünsten von Bobby Bräuer, auf die weiter unten noch ausführlich eingegangen wird, zum anderen aber auch an der mustergültigen Leistung des Serviceteams. Unter der Leitung von Sommelier Frank Glüer (den der Gault&Millau 2016 übrigens völlig zurecht zum „Sommelier des Jahres“ auszeichnete) agiert eine Truppe aus überwiegend jungen Männern und wenigen Frauen vollkommen sicher und nah am Gast, ohne dabei je aufdringlich oder indiskret zu wirken. In einer gelungenen und hinreissenden Mischung aus Seriosität und Humor wird hier zusammen mit der einmaligen Atmosphäre des Lokals eine Wohlfühl-Stimmung erzeugt als würde man gerade zuhause sitzen und von der großartigen Servicebrigade umschwärmt – da passt es auch ins Bild, dass die Kellner zum Anzug Chucks tragen. Zum einen würden ja zuhause auch die wenigsten Leute Lackschuhe tragen und zum anderen macht bequemes Schuhwerk Sinn, da die zurückzulegenden Wege der Servicekräfte aufgrund der räumlichen Ausdehnung des Lokals durchaus beträchtlich sind. Als Herr Bräuer nach getaner Arbeit dann seiner Patisserie-Abteilung die Küche überlassen hatte und öfters im Gastraum zu sehen war, scherzte Herr Glüer in bester Laune auch mehr als nur einmal mit ihm!

Ein wenig nach mir trifft übrigens eine große Gesellschaft von zwölf Personen ein, drei davon Kinder im Alter von unter 12 Jahren. Es war ungemein angenehm zu sehen, dass die Kinder nie bevormundet wurden und Chef Bobby Bräuer höchstpersönlich spezielle Kreationen, die auf die Bedürfnisse der Kinder ausgerichtet waren, vorbereitet hatte. Doch damit nicht genug: nach vollbrachtem Mahl nahm sich Herr Glüer auch noch jede Menge Zeit für einen Plausch mit mir, nachdem er festgestellt hatte, dass ich kein ganz ahnungsloser Gast war. Ich flachste übrigens über eines der Petits fours (siehe unten), ein Ei aus Nuss-Nougat. Da dieses falsche Ei auch noch in einer Eierschachtel präsentiert wurde, erlaubte ich mir den Scherz zu fragen, wo es die Hühner gäbe, die solche Eier legen würden. Er quittierte meine Frage mit einem Schmunzeln und fragte mich stattdessen, ob ich noch eines davon wollen würde! Nun denn, wenn das so ist …

Bis vor wenigen Tagen hätte ich noch die Leistung des Service im Lorenz Adlon Esszimmer in Berlin als die bislang beste des Jahres eingestuft. Nach diesem Besuch muss ich sagen, dass dieser Eindruck schon wieder passé ist, auch wenn dies die Eindrücke aus dem Berliner Vorzeigelokals in keinster Weise schmälern soll. An diesem Abend passte aber (selten genug, dass so etwas vorkommt) einfach alles, wenn man von einem eingerissenen Etikett auf einer Flasche PriSecco absieht. Ein auffälligerer Mangel als dieser wahrhaft gravierende und schlimme Fauxpas war einfach nicht auszumachen!

Bleibt also nur noch die Frage nach der Küchenleistung im Münchner Ess.Zimmer zu beantworten. Der gebürtige Münchner Bobby Bräuer offeriert hier zwei Menüfolgen, von denen eine sieben Gänge und die andere acht aufweist. Tausche zwischen den Menüs sind genauso möglich wie Reduktionen des Umfangs, so dass wahrlich für jeden etwas Passendes dabei sein sollte. Meine Wahl fällt auf das achtgängige Menü mit Zusatzoption (siehe unten) zum Preis von € 205; dafür lasse ich im Gegenzug des Käse weg, obwohl rein objektiv natürlich gar nichts gegen die herausragenden Produkte von Affineur Maître Antony spricht.

Zum Einstieg mit PriSecco „weißduftig“ (zu insgesamt fairen Nebenkosten) reicht man drei Kleinigkeiten: ein wunderbar herzhaftes und heißes Maronisüppchen sowie Schweinekopf in zwei Varianten: einmal in geflämmter Form mit Sesam und Rettich und zum anderen mariniert auf einem Chip mit etwas klein geschnittenem und eingelegten Blumenkohl, wenn ich mich noch recht erinnere. Vor den zwei weiteren Amuses reicht man die Brotauswahl, die vor allem im Hinblick auf die Aufstriche (Karotten- und Kartoffelbutter mit Zwiebeln sowie ein großartiges, recht herbes Geflügelleberpaté) eine überdurchschnittliche Qualität aufweisen kann. Mit den beiden Amuses beweist Bräuer, dass er scheinbar ganz mühelos eher derbe, typisch bayrische Produkte so veredeln kann, dass sie etwas hermachen: nicht ganz so überzeugend finde ich zwar die Blaukrautroulade mit Williams-Birne, Walnuss und Rehschinken, weil mir das Blaukraut zu massig eingesetzt und dominant wirkt. Umso gelungener dagegen die zweite Eingebung: ein Sauerkraut-Macaron mit Blutwurstcreme gefüllt, einem Würfel Aal und ganz oben – mit einem Augenzwinkern – Blattgold! Wenn selbst so rustikale Grundprodukte für würdig befunden werden, mit Gold getoppt zu werden, dann nährt das die Erwartungshaltung an die Kreation: diese wird auch erfüllt, denn diese Petitesse ist spannungsgeladen, ungewöhnlich und aromentechnisch superb ausbalanciert.

Bereits der erste Gang hängt die Messlatte hoch: Gänseleber paart die Küche hier mit Sellerie, Kaffee und Holunderbeere. Die Terrine ist komplett ummantelt mit dem Holunder, während die beiden anderen Komponenten wohldosierte Kontraste setzen. Die eigentliche Krönung des Gerichts ist aber die dünnflüssige Crème, die mit Roter Bete aromatisiert wurde und die Komponenten auf kongeniale Weise zu einem stimmigen Ganzen verbindet. Der klassischen Vorsehbarkeit vieler Gänseleber-Gerichte hat Bräuer hier eine Variante entgegengesetzt, die sehr originell wirkt und reich an Überraschungen ist.

Der eingangs erwähnte optionale Gang ist Alba-Trüffel auf Nussbutterschaum und Spinat mit frittierten Zwiebeln obenauf. Diese Referenz an den großen Eckart Witzigmann kommt nicht von ungefähr, denn zur Blütezeit von Witzigmanns damals weltbekanntem Lokal Aubergine am Maximiliansplatz Ende der 80er-Jahre stand Bräuer bereits neben Witzigmann, einem der vier „Köche des Jahrhunderts“ (Gault&Millau), am Herd. Laut dem Service war Herr Witzigmann selbst zwei Wochen vor mir im Lokal und meinte über das Gericht, da stecke schon einiges an „Bräuer“ drin! Was er genau damit meinte, erschloss sich mir nicht, aber die sicheren Gefilde dieses klassischen Gerichts anzusteuern muss per se ja nichts Schlechtes sein, zumal wenn es so schmeckt wie hier! Der keineswegs sparsame eingesetzte Trüffel verbindet sich wunderbar mit dem schmelzigen Nussbutterschaum und gerät zum ersten Höhepunkt des Menüs.

Grünes Curry wird als Sud über einem Arrangement von Herz-, Jakobs und Bouchotmuscheln aufgegossen. Teil der Inszenierung sind zudem Segmente von Alge und Zuckerschoten, die für den nötigen Biss sorgen. Die dezente Schärfe sowie die jodige Aromatik der Muscheln passen zur Jahreszeit, und in aromatischer Hinsicht ist dieser Teller wesentlich komplexer und teifgründiger geraten als die vergleichsweise harmlos klingende Annoncierung vielleicht vermuten ließe.

Ein ganz großer Wurf ist meiner Meinung nach der Wolfsbarsch, der ungewöhnlich mit Passionsfrucht, Polenta und Blumenkohl inszeniert wird. Die größte Überraschung für mich ist, dass zwei Tranchen auf den Teller kommen: die eine ganz klassisch mit krosser Haut, die andere mit ungewohnt glasiger Konsistenz (meine bisweilen immer noch spärliche Kompetenz gerät hier an ihre Grenzen – ich habe keine Ahnung, wie die Küche das hinbekommen hat). Die feinsäuerlichen Noten der Passionsfrucht sind recht dominant, verleihen diesem Gang aber eine Frische, die ihresgleichen sucht. Das federleichte Gericht überzeugt mich voll und ganz (der zweite Höhepunkt nach dem Trüffelgang), während zwei Tage zuvor ein kompetenter und vom Fach stammender Gourmet-Reporter laut Herrn Glüer das Gericht als „sehr gewagt“ empfunden hätte. Unterschiedliche Urteile über identische Gerichte gehören nun mal dazu und beleben eher die Neugierde der Gäste.

Seeteufelbäckchen mit bunten Linsen, Paprika und saurer Sahne weist eine gewisse optische und sogar kulinarische Ähnlichkeit mit einem Chili con Carne auf: die würzigen Paprikanoten federt die Sahne geschickt ab, während die Linsen (ähnlich wie Kidneybohnen bei Chili) für etwas Biss sorgen, nur dass im Gegensatz zum Chili hier das Hackfleisch fehlt und stattdessen durch zwei edle Stücke vom Seeteufel ersetzt wird. Wer allerdings solche Produktqualität offerieren kann, muss nicht jeden Teller mit unnötigem Schnickschnack überfrachten.

Kalbsbries zum Hauptgericht ist mir meines Wissens in all den Jahren auch noch nicht untergekommen: diese Variante mit Spitzkohl, Mandel und Getreideessig ist durchaus ungewohnt, hat aber nicht ganz die aromatische Spannung so mancher anderer Teller. Die Vielfalt an Texturen gleicht dieses kleine Manko bis zu einem gewissen Grad wieder auf, aber die deutschland-weite Ausnahmestellung von Jan Hartwig (vom Atelier in München) in Sachen Kalbsbries bleibt unangefochten. Zur Erinnerung: die besten drei Kalbsbries-Gerichte aller Zeiten habe ich allesamt bei meinen drei Besuchen bei Jan Hartwig genossen. Alle anderen, die das Atelier noch nicht besucht haben, können aber sehr wohl mit dieser Variante hier leben!

Als angenehme Erfrischung vor den Desserts erweist sich ein Sauerrahmeis mit Schaum von Schlehe und Gin. Diese Petitesse ist vergleichsweise puristisch, punktet aber mit genau dosiertem Gin, der keinesfalls alle andere Aromen übertüncht. Als kleine Überraschung sorgen unter dem Schaum versteckte karamellisierte Buchweizenkörner für angenehmen Biss.

Dessert Nr. 1 ist eine ungeheuer dichte Inszenierung, die theoretisch mit einem einzigen ambitionierten Bissen zu bewältigen wäre. Doch welche Sünde wäre das! Die kleine Kugel aus Blaubeere, Sauerampfer und Limette badet in einer herben Buttermlich und gibt ihre aromatischen Geheimnisse erst bei langsamem und konzentriertem Verzehr preis: eine Vielzahl winziger Segmente aus den Komponenten in unterschiedlichen Texturen ist deutlich herauszuschmecken und mutet angesichts der schieren Größe (kleiner als ein Hühnerei) als erstaunliche Komprimierung von Aromen auf engstem Raum an. Dabei kommt das Dessert vollkommen ohne plakative Süße aus und leitet geschickt zum zweiten, weitaus opulenteren Dessert über …

… das aus Zwetschge, Shiso, Petersilie und Buchweizen besteht. Auch hier lässt schon die Zutatenliste erahnen, dass dieses Dessert ebenfalls herbere Töne als gewöhnlich anschlägt. Basis des kreisrund angeordneten Desserts ist eine knallgrüne Crème aus der Shiso-Kresse, die mit den anderen Zutaten getoppt ist. In diesem Zusammenhang ist besonders die gelierte Skulptur aus Zwetschge zu erwähnen, die speziell auf weniger erfahrene Gäste Eindruck machen dürfte. Wie schon beim Gang zuvor punktet das aromatisch äußerst dichte Geflecht auf sparsamem Raum, nicht zuletzt weil zu viel Süße konsequent vermieden und stattdessen auf weniger geläufige Aromenallianzen gesetzt wurde.

Bemerkenswerterweise wurde dieser Abend trotz „Full House“ binnen drei Stunden ohne einen Anflug von Hektik abgewickelt. Die vier kleinen Ausklänge zum Schluss rundeten einen trefflichen Abend würdig ab: ein Mocca-Macaron, ein klassisches und ausgezeichnetes Cannelé, ein Blaubeer-Törtchen sowie das bereits eingangs erwähnte Nuss-Nougat-Ei.

Die Stärken dieser Küche liegen meines Erachtens vor allem in der Veredelung von vermeintlich einfachen Grundprodukten und in der Kreativität der Küche an sich, die es nicht nötig hat, ständig nur auf Bewährtes zu setzen oder von Kollegen abzukupfern. Etliche der durchaus überraschenden Gerichte habe ich in vergleichbarer Form noch nicht erlebt, und ganz allgemein gilt die Feststellung, dass in der Küche konzentriert, aber ohne Anspannung gearbeitet wurde. Handwerkliche Fehler konnte ich keine entdecken, während die teils übermütigen Kreationen trotz ihrer Komplexität mit trennscharfen Aromen zu überzeugen wussten. Außerdem geht die Küche von Herrn Bräuer gleichermaßen souverän mit Luxusprodukten wie mit simplen Viktualien um – ein Phänomen, das bei weitem nicht so landläufig ist wie man vielleicht denken sollte. Die Urteile der professionellen Kritiker sind für mich jedenfalls absolut nachvollziehbar, angemessen und gerechtfertigt.

Kleine Randnotiz noch: wer mit dem PKW anreist, bekommt nach dem Besuch ein Parkticket, das die kostenlose Ausfahrt aus der Tiefgarage ermöglicht. Wer dagegen mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreist, kann den kostenlosen Shuttle Service im BMW in die Innenstadt nutzen (zum Beispiel zurück ins Hotel oder zum Hauptbahnhof). Auch das ist eine sehr angenehme Erscheinung …

Auch wenn dieser Abend knapp an meinen TopTen-Besuchen aller Zeiten vorbeischrammt, so bleibt doch eines festzuhalten: ich kann mich nicht erinnern, dass ich in den sieben Jahren seit Beginn meiner Leidenschaft ein Lokal derart beschwingt und leichtfüßig wieder verlassen habe! Fazit: unbedingt hingehen!