Intense*, Wachenheim an der Weinstraße (UPDATE)

„Weniger Hektik im Leben lässt mehr Spielraum für intensives Erlebnis.“ (Tom Borg)

UPDATE (November 2024)

Fast fünf Jahre ist mein erster und bisher einziger Besuch im Intense nun schon her – und seither hat sich (nicht zuletzt durch die Pandemie) einiges geändert: Chefkoch Benjamin Peifer hielt der heimischen Pfalz zwar die Treue, zog aber relativ kurze Zeit nach unserer Stippvisite wegen der räumlichen Gegebenheiten im alten Lokal nach Wachenheim um. Außerdem hat er inzwischen seine damalige Lebensgefährtin und Servicechefin Bettina Thiel geehelicht, doch an der bewährten Aufteilung der Aufgaben von damals hat sich im Grunde genommen nichts geändert. Sein damals aufstrebendes Zweitlokal Izakaya befand sich nur wenige Meter von seinem jetzigen Flaggschiff entfernt, doch vermeldete die Geschäftsleitung in den Medien vor einigen Monaten das überraschende Ende. Somit kann sich der kreative und umtriebige Chef nun voll und ganz seinem Herzensprojekt widmen und weiter an seinen Fähigkeiten arbeiten.

Dass die Rede von einem jungen und auffallend begabten Chef ist, merkten wir auch schon damals, denn schließlich hatte Benjamin Peifer noch vor dem Intense an seiner ersten Wirkungsstätte als Chefkoch, dem Urgestein in Neustadt an der Weinstraße, bereits einen Michelin-Stern erlangen können. Was dann im Intense zu Kallstadt aufgetischt wurde, brach schon gehörig mit so mancher Tradition (siehe den untenstehenden Bericht von damals), doch dem Vernehmen nach konnte man an neuer Wirkungsstätte sogar noch ein bis zwei Schippen drauflegen – dafür sprach zumindest der Umstand, dass fast alle Profiguides ihre Noten in den letzten Jahren immer wieder mal angehoben hatten.

Das damalige „Intense“ in Kallstadt

Grund genug also, die neue Location in Sichtweite der Wachtenburg am Kirchplatz des schmucken Weinörtchens endlich einmal aufzusuchen – und prompt steht man vor einem Gebäude, dessen Fassade das reinste Understatement darstellt. Jedenfalls würden hier nichtsahnende Passanten nie im Leben vermuten, was sich hinter der unscheinbaren Tarnung verbirgt. Offenbar hat sich der ambitionierte Chef von internationalen Standards leiten lassen und dabei ganz auf eine Ästhetik gesetzt, wie man sie hierzulande vor allem von Berlin her kennt: nicht die Verpackung zählt, sondern der Inhalt. Selbst wenn sich mal ein Gast versehentlich hierher verirren sollte, dann muss er leider gleich wieder abgewiesen werden, weil der hier betriebene Aufwand derart immens ist, dass eine Einkehr ohne Reservierung kategorisch ausgeschlossen ist.

Unsereins hat sich selbstredend in weiser Voraussicht einen Platz an der Theke vor der Küche gesichert, wobei genau diese Option bei der Reservierung buchbar ist. Einmal angekommen, spielt dieser Fakt jedoch zunächst keine Rolle, denn man wird nach dem herzlichen Empfang durch Frau Peifer-Thiel in einen kleinen Raum geführt, in dessen Mitte ein Tisch für die Anrichte der ersten Apéros steht. Man nimmt Platz auf einer dunkelgrün bespannten Sitzbank und an einem kleinen Beistelltisch, auf dem auch die ersten Einstimmungen serviert werden. Der Dielenboden und das teils verwendete Geschirr aus Großmutters Zeiten verstärken dabei noch den Eindruck eines Einstiegs, der – wie schon damals in Kallstadt – traditionelle Pfälzer Gerichte zeitgemäß aufhübscht. Insofern ist der Auftakt noch vergleichsweise erwartbar, doch (wie auch schon bei Andreas Caminada auf Schloss Schauenstein in der Schweiz erlebt) nimmt man die ersten Kleinigkeiten in einem anderen Raum als den Rest des Mahls ein. Die Stimmung ist gelöst, denn aus den Lautsprechern tönen Oldies aller Couleur von Siw Malmkvist, Paul Simon oder Earth, Wind and Fire, während die konzentrierte Küchencrew die Petitessen anrichtet und den staunenden Gästen serviert. Zu meiner nicht geringen Überraschung ist ein Pärchen mit ihrer zirka sechsjährigen Tochter erschienen, doch zeigt diese im Laufe des Abends ein für ihr Alter bemerkenswertes Interesse an den Speisen und nervt kein bisschen, zumal sie später zum Teil eigens für sie kreierte Gerichte vorgesetzt bekommt. Kinderfreundlich is(s)t man hier also auch!

Noch zwischen den Apéros bekommen die Gäste bereits die Weinkarte gereicht, welche auch dank des Lesebändchens geschickt getarnt in einem Buch präsentiert wird, das in Wirklichkeit beim Aufschlagen nur eine Ausbuchtung für ein iPad darstellt.

Die Weinkarte ignoriere ich, doch einen Apéritif gönne ich mir dennoch: der alkoholfreie Gin „Momotaro“ von Felix Kaltenthaler wird mit Tonic aufgegossen und schmeckt köstlich, schlägt allerdings später mit einigermaßen stolzen € 15 zu Buche. Die vier Apéros weisen alle ein deutlich regional geprägtes Kolorit auf und repräsentieren virtuose Adaptionen von Pfälzer Klassikern: so wird beispielsweise „Gequellde mit Kees“ (Kartoffeln mit Quark) hier als Tartelette mit Kräuterquark und zu einer Rose geformten Radieschen interpretiert …

… oder „Kesselfläsch mit Kraut“ ganz nebenbei mit Foie Gras und einem Salatblatt auf einem Cracker präsentiert. Was hier vom Autor relativ profan wiedergegeben wird, ist in Wahrheit weitaus komplexer, denn in den Ansagen gehen die Küchenmitarbeiter auf so ziemlich jedes Detail ein, das sich kein normaler Gast merken kann – zumal der spärlich bemessene Platz zu Beginn durch Gläser und Geschirr so gedrängt ist, dass ich die Details erst an der Theke und mit einigem zeitlichen Verzug notiere. Wer übrigens denkt, dass letztgenanntes Gericht eher bayrisch als pfälzisch klingt, sollte bedenken, dass die Pfalz nach dem Wiener Kongress ein gutes Jahrhundert lang zum Königreich Bayern gehörte!

„Zwiwwelkuche“ (Zwiebelkuchen) ist etwas schlichter gehalten, aber das intensive Zwiebelconfit in der Tartelette und der hervorragende Coppa-Schinken obenauf zaubern auch aus diesem rustikalen Klassiker zur Herbsteszeit ein Essvergnügen der gehobenen Sorte, auch wenn dazu kein Federweißer serviert wird.

Ganz ohne Alkohol kommt der Reigen zu Beginn jedoch nicht aus, wobei mir der Abschluss der Ouverture noch vom ersten Besuch her bekannt und überaus gerne gesehen ist: basierend auf dem Rezept der Großmutter, das übrigens unten auf dem Teller platziert ist, kommt als letztes noch „Dampfnudel un Woisoß“ (Dampfnudel und Weinsauce), wobei diese mit den Fingern zu brechen ist und ins Weinglas eingetunkt werden darf. So ändern sich die Zeiten: in früheren Zeiten noch ein absolutes No-go in Sternelokalen, sind solche „Respektlosigkeiten“ nun Teil der Unterhaltung! An meinem Urteil von damals hat sich nichts geändert: ohne dieses wunderbar süffige Finale würde einem Besuch hier etwas Entscheidendes fehlen!

Aus Platzgründen findet im ansonsten zu engen Vorraum noch ein zweites Setting für Gäste statt, die erst um 19.30 Uhr ankommen, so dass die erste Schicht, die eine Stunde zuvor eingetroffen ist, den Platz räumen muss. Keine Sorge – das geht alles ohne jede Hast und ganz entspannt vonstatten! Nach dem Verzehr der ensuite präsentierten Häppchen begleitet der Service den Gast zum eigentlichen Restaurant, doch unterwegs macht man nochmals Station in einem spärlich beleuchteten, kleinen Raum, in welchem so manches, was im Laufe des Abends noch relevant werden mag, erläutert wird. So bekommt der Gast einen Dry-Ager zu sehen, der für die Reifeprozesse von allerlei Fleischsorten angeschafft wurde. Unmittelbar daneben wird in einem zweiten Schrank ein warmes und feuchtes Klima erzeugt, das für die Fermentation mit Koji optimale Bedingungen liefern soll. Geblieben von Kallstadter Zeiten ist weiterhin die Auslage sämtlicher Produkte, die an diesem Abend zum Einsatz kommen werden – darunter etwa Chorizo, Butternut-Kürbis und diverse Obstsorten, um nur wenige zu nennen.

Als Wegzehrung gibt es noch ein hocharomatisches Häppchen von Schweinebauch, das auf einem kleinen japanischen Grill mit Aromen von Zimt geräuchert wird (aufgespießt ist es auf einer Zimtstange!) und mit kandierter Karotte belegt ist. Mandarinenessig und Habanero steuern noch eine ordentliche Prise an Umami bei, so dass der Reigen an Einstimmungen mit einem betont herzhaften Eindruck abgerundet wird.

Wer jetzt denkt, diese Leistungsschau sei schon bemerkenswert genug, der wird sich über die späteren Darbietungen noch gehörig wundern! Der Anteil an heimischen Zutaten nimmt nun etwas zugunsten typischer Luxusprodukte ab, doch eine unverkennbar pfälzische Basis wird trotz allem weiterhin durchscheinen. Ich habe schon jetzt Mühe, mir ins Gedächtnis zu rufen, dass der Chef unter anderem von einem Großmeister der Klassik, nämlich Klaus Erfort, ausgebildet wurde. Dieses Handwerk bildet auch die Basis des Schaffens von Benjamin Peifer, aber ansonsten wird es kaum französische, sondern reichlich japanische Elemente und Techniken an diesem Abend zu bestaunen geben. Angesichts des gigantischen Maßes an Vorbereitung offeriert man hier ein einziges, fix vorgegebenes Omakase-Menü zum fairen Preis von € 210, welches echten Erlebnischarakter haben wird und mich mehr als nur einmal an diesem Abend verblüffen wird. Ganz im Sinne japanischer Gepflogenheiten wird dem Koch hier quasi seitens des Gastes freie Hand gelassen und einfach alles verzehrt, was dieser so im Laufe des Abends serviert. Eines scheint dabei von vornherein aber klar: selbst wenn sich das Lokal im Herzland der Pfälzer Weinstraße befindet, so darf man jedenfalls keine konventionelle Kost oder krachlederne Weinseligkeit erwarten, wenn man hier einkehrt! Nein, vielmehr handelt es sich um eine kulinarische Bildungsreise, die mit jeder Menge Impressionen aufwartet und den kulinarischen Horizont gehörig erweitert.

Schon das Design des Lokals verdient eine gesonderte Erwähnung: nach dem auffallend langen Gang durch den verwinkelten Anbau hinter dem unscheinbaren Haus gelangt man in einen spärlich ausgeleuchteten Raum, der das Herzstück des Restaurants darstellt. Einige Gäste nehmen an den Tischen Platz, die etwas weiter weg stehen von der Küche, während andere (inklusive meiner Wenigkeit) nur allzu bereitwillig an den Barhockern Platz nehmen, von wo aus man einen hervorragenden Einblick in die offene Küche hat. Dort wuseln ca. zehn emsige Mitarbeiter herum, die an insgesamt drei Anrichten die Speisen zusammenstellen, doch der größte Blickfang ist fraglos das mächtige Feuer am offenen Grill an der Hinterwand. Dieses wird über mehrere Stunden lodern und stellt einen unverzichtbaren Bestandteil der Peifer’schen Geschmackswelt dar, der fest an die geschmackliche Kraft glaubt, die durch diese Zubereitung verströmt wird. Auffallend vieles wird an diesem Abend diese Station durchlaufen, so dass ein entsprechend herzhaftes, teils deftiges Essen durchaus erwartbar ist. Ein Grund zur Sorge besteht jedoch nicht, denn zu aktuell 9 GUSTO-Pfannen gelangt man nicht, indem man nur eine eindimensionale, auf Vordergründiges setzende Küche anbietet. Ich verhehle nicht, dass ich überaus gespannt bin, zumal ich kaum mit dem Notieren meiner Wahrnehmungen nachkomme!

Am ehesten lässt sich das Konzept mit dem 100/200 in Hamburg vergleichen, doch bei alledem sollte nicht vergessen werden, dass Wachenheim im Gegensatz zu Hamburg keine Metropole, sondern ein winziges Weindorf darstellt – und doch kann es eine Küche anbieten, die bei genauer Betrachtung so kosmopolitisch daherkommt, dass sie wohl auch in London, Paris oder New York (und Berlin sowieso) reüssieren könnte. Das ist schon bemerkenswert! Ein Teil der Faszination geht natürlich auch von der hier praktizierten Lässigkeit aus, die all jene ansprechen dürfte, die hinter Sterneküche noch immer ausschließlich Flüsteratmosphäre und Spießigkeit vermuten. Moderne Gastrokonzepte findet man in der Bundesrepublik zwar noch immer nicht in vergleichbar großer Zahl wie in anderen westlich geprägten Ländern, aber verstecken muss man sich weiß Gott nicht! Übrigens wird dieser Bereich des Lokals mit Loungemusik und anderen modernen Klängen beschallt, was den meisten Gästen eher die Hemmungen zu nehmen scheint.

Aktive Einbindung des Gastes steht gleich zu Beginn des offiziellen Menüs an, denn mit frittierter Nori-Alge, Koshihikari-Reis und natürlich frisch geriebenem Wasabi stehen traditionelle Zutaten eines Sushi bereit – in diesem Fall handelt es sich um die sogenannte Variante Temaki mit dem augenzwinkernden Zusatz DIY, also das selbständige Einwickeln in ein Algenblatt („DIY“ steht für Do-it-yourself). Die edelste und individuellste Zutat befindet sich im Schälchen unten rechts: Saibling „Aburi“ bedeutet, dass der Fisch kurz auf offener Flamme gegrillt wird und in diesem Fall als Tatar zusammen mit geliertem Dashi-Essig und Mirin (Reiswein) interpretiert wird. Die außergewöhnliche Textur des Fischs schärft ohnehin schon alle Sinne, aber die sorgsam dosierte Würze wertet das Erlebnis noch weiter auf. Fraglos ein bemerkenswerter Auftakt, denn wenn es ein Wort gibt, welches im Vokabular des Chefs nicht existiert, dann ist es wohl „Routine“!

Weiter geht es mit Okonomiyaki, einem traditionellen japanischen Pfannkuchen, der hier ebenfalls gegrillt wurde (was durch den Zusatz „yaki“ angedeutet wird). In der Küche Japans kann er theoretisch mit unterschiedlichsten Toppings garniert werden, wobei diese allerdings so gut wie nie derart in die Höhe schießen wie bei der vorliegenden Interpretation. Die Küchencrew bettet das Küchlein auf einer mit Süßwein abgeschmeckten Aalsauce und balanciert darauf mild geräucherte Forelle mit Haselnüssen, eingelegter gelber Bete, Senfsaat von Karashi und getrockneten Fäden von roter Bete sowie durchaus nicht sparsam dosiertem Meerrettich. Die fragile Konstruktion wirkt auch geschmacklich recht gewagt, aber dank großer Vielfalt bei den Texturen und enormer Binnenspannung unter den eingesetzten Viktualien gelingt das Experiment dennoch. Ob jede der Komponenten tatsächlich etwas zu diesem Gericht beiträgt, sei hier nicht hinterfragt, sondern vielmehr angemerkt, dass das gezeigte Handwerk durchweg stimmig ist und die überwältigende Mehrheit der Gäste hier bislang schwerlich etwas Vergleichbares verkostet hat. Ein dazu kredenztes Getränk, das ich separat bestellt habe, besteht aus wohlschmeckendem Saft von roter Bete, der mit gedarrter Himbeere veredelt wurde – eine Methode, die ich bislang eher mit der Produktion von Whisky in Verbindung brachte, aber schwerlich mit Himbeeren …

Unagi und „Faux Gras“ spielt mit einer klassischen Kombination, denn Aal mit Gänseleber stellt eine Verbindung dar, die man auch durchaus anderswo in Deutschland findet, wie zum Beispiel beim dreifach besternten Chef Kevin Fehling (vom The Table in Hamburg). Leider entging meiner Aufmerksamkeit, woraus die falsche Variante der Leber hergestellt wurde, aber jedenfalls gelangt sie als cremiges Eis unter dem Chip von frittierter Hühnerhaut auf das zu einer Art Millefeuille aufgeschichtete Türmchen. Darunter platziert die Crew nicht nur Kopfsalat, sondern auch den getrockneten japanischen Rettichsalat Kiriboshi Daikon und Texturen von Nashi-Birne, welche die Betreiber interessanterweise direkt aus Wachenheim beziehen! Gewürzt ist die herzhafte Kreation mit Sansho, doch noch vordergründiger erscheint die Würze von Tari, womit der Aal bestrichen wurde. Dabei handelt es sich um eine Sauce, deren Grundzutaten Sake und Mirin darstellen und die mit weiteren Komponenten bereichert werden darf, die zu dem jeweiligen Gang passen. Einerseits könnte man monieren, dass die Kombination unnötig komplex erscheint, aber dafür punktet sie im Gegenzug mit überraschenden geschmacklichen Akzenten zuhauf und wirkt wie die ausgelassene Interpretation eines jungen Wilden (auch wenn Benjamin Peifer inzwischen auf die Vollendung des vierten Jahrzehnts zustrebt).

Konvention bildet zwar an mehreren Stellen die Basis seines Schaffens, aber gleichzeitig ist fast jedes Gericht von der Frage durchdrungen, wie man diese aufbrechen und spannend auf kühne und neuartige Weise inszenieren kann. So scheut er sich im nächsten Gang nicht, auch die pochierte Gillardeau-Auster Nr. 2 zu grillen (eine seltene Zubereitungsart, die bei den meisten Puristen vermutlich auf Ablehnung stoßen dürfte) und mit einer kraftvollen Begleitung samt Austernchip auszustaffieren. Diese erscheint im Lichte der bisherigen Begleitungen fast schon minimalistisch, hat aber bereits nach dem ersten Bissen erkennbar Power zu bieten – kein Wunder, denn mild ist in diesem Schälchen nur klassisches Chawanmuschi (Eierstich), während die aufgegossene Beurre blanc durch beigemischtes Öl aus verbranntem Knoblauch (Mayu) und japanischem Tabasco eine Welle von Umami auslöst, die den Hauptdarsteller zu erschlagen droht. Eine clevere Maßnahme stellt dagegen die Veredelung mit Fingerlimes dar, weil dadurch eine säuerliche Komponente die ansonsten zu eindimensional wirkende Schärfe etwas abfedert. Jedenfalls kann ich mich in meinem ganzen Leben an kein wuchtigeres Gericht mit dem in der Grande Nation so beliebten Schalentier erinnern! Das Gericht mag kontrovers interpretiert werden, aber gleichwohl nötigt mir der Mut dieses Individualisten am Herd Anerkennung ab.

Es fällt mir schon jetzt angesichts der teils rauschhaften Eindrücke an diesem Abend nicht immer leicht, Objektivität und Contenance zu wahren, weil einfach vieles von dem, was bisher auf den Teller gelangte, auch für erfahrene Gourmets nahezu beispiellos ist und sämtliche Sinne schärft. Angesichts eines konstanten Flusses an Adrenalin und der unnachahmlichen Fähigkeit sämtlicher Küchenmitarbeiter, jedes Gericht nicht nur kompetent, sondern auch euphorisch beschreiben zu können, trifft das Intense den Nerv der Zeit, wenn es um neue Konzepte geht. Unverkennbar ziehen sämtliche Mitarbeiter hier an einem Strang und sind voller Begeisterung für ihren Einsatz, in der festen Überzeugung, der Ästhetik ihres Chefs bedingungslos zu folgen.

Dann gelingen auch solche mutigen Meisterwerke wie der nächste Gang, der aus meiner Sicht den Höhepunkt des Abends darstellt. Der tatsächliche Hauptdarsteller ist der punktgenau gegarte Stör, eingewickelt im Mangoldblatt, doch ist es ein wesentliches Detail, welches das Gericht ungemein aufwertet: die Chorizo Iberico Westfalia stammt von Bittor Arginzoniz, einem baskischen Autodidakten, der inzwischen vielen als bester Grillkoch der Welt gilt. Sein Lokal Asador Etxebarri nahe Bilbao ist eines der meist gehypten Lokale der Welt und ein echtes Mekka für Karnivore. Mit dem erlesenen Ausnahmeprodukt dieses Könners belegt Benjamin Peifer den Fisch und potenziert dessen Wirkung durch Tropfen von fermentierter Schalottencrème und Pfifferlingen noch zusätzlich. Kaum weniger Beachtung verdient jedoch der bestens abgeschmeckte Sud von ausgekochten Zwiebeln mit Bärlauchöl, fermentiertem Knoblauch und Tomatenwasser, welcher das Gericht homogen und schlüssig abrundet. Das Zusammenspiel von vegetabilen und leicht säuerlichen Aromen mit den kraftvollen Akzenten von Fisch und Chorizo ist einfach hinreißend, zumal die Fermentation von Zwiebeln und Knoblauch eine stimmige Verbindung zwischen beiden Welten herstellt. Obwohl der hier praktizierte Stil nicht gerade als Produktküche bezeichnet werden kann, finde ich es dennoch erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit hier grandiose Produkte ganz homogen in teils hochkomplexe Kreationen integriert werden. Ein echter Volltreffer!

An dieser Stelle „Brot und Butter“ zu servieren, fiele vermutlich auch nur den wenigsten Chefs ein, doch im Sinne einer Drosselung der Intensität ist man als Gast für den gewählten Zeitpunkt sogar eher dankbar. Theoretisch hätte ein vollständiger Verzicht auf das Brot auch eine Option dargestellt, aber als ursprünglich gelernter Bäcker kann Benjamin Peifer natürlich nicht davon absehen – zumal nicht nur das selbst gebackene Sauerteigbrot, sondern auch die Beigaben in Form von Schweineschmalz sowie Brotmiso mit Brotchips überzeugen.

Zum Hauptgericht darf es glasierter Rehrücken aus dem Pfälzerwald sein, wenngleich der Kürbis dem Hauptdarsteller fast die Show stiehlt. Auf dem erneut kräftig gegrillten, tiefroten und hocharomatischen Fleisch findet sich ein animierendes, fast schon knuspriges Topping von gepufftem Quinoa und gerösteten Kürbiskernen, welches eine organische, herbstlich wirkende Liaison mit den Texturen von Kürbis (darunter Chip und Crème) eingeht. Oben links angedeutet ist noch eine reizende kleine Nocke von erstaunlich würziger Rehkeule mit Quinoa, Schalotten und Koriander, die sich nahtlos einfügt und durch etwas Quittenchutney auf fruchtige Weise integriert wird. Wo bisweilen an anderer Stelle in der Menüfolge eine potentielle Überfrachtung drohte, konzentriert man sich in diesem Fall auf wenige Produkte, deren Vielseitigkeit ins beste Licht gerückt wird. Der Lohn ist ein exzellentes Gericht, das weitgehend auf Überflüssiges verzichtet und so konzentriert wie kaum ein anderer Teller an diesem Abend wirkt.

Das Pré-Dessert namens „Japanese Mule“ geht auf einen Cocktail zurück, der traditionell mit Ginger Beer, Sake, Gurke und Limette hergestellt wird. Allerdings wäre man nicht im Intense, wenn die Grundformel unangetastet bliebe: die Limette wird hier durch Yuzu ersetzt, die sowohl in Form von Sorbet als auch Marmelade Eingang in die Kreation findet; des weiteren wird der Sake durch Gin ersetzt. Geschmacklich machen die Alternativen durchaus Sinn, doch die Krönung des Ganzen ist fraglos die Präsentation an sich: in einer ausgehöhlten Kugel aus Eis, die der Schau wegen auf einer glänzenden, hellgrünen Folie platziert wird, findet man darin die zuvor erwähnten Komponenten, die mit Kakigori abgedeckt werden. Zur Erzeugung dieses in Japan beliebten geraspelten Eises (crushed ice würden Amerikaner dazu sagen) hat das Lokal eigens eine ziemlich laute Vorrichtung angeschafft, die ausschließlich für die Erzeugung dieses Effekts zuständig ist und vom Service fast verächtlich dergestalt beschrieben wird, dass sie „außer Eis raspeln gar nichts kann“! Ein geringer geschmacklicher Mehrwert entsteht durch die aufwendige Präsentation insofern, da der in der Kugel befindliche Inhalt unter dem Kakigori etwas länger kühl bleibt, doch optisch bleibt dieser erfrischende Einsteiger in den süßen Bereich freilich noch eine Weile im Gedächtnis haften.

Praktisch reine geschmackliche Avantgarde ist dagegen das „Waldboden“ getaufte Dessert, das mir auf jeden Fall als eines der am wenigsten süßen Desserts der jüngeren Vergangenheit in Erinnerung bleiben wird. Die Eiscreme aus gegrilltem Apfel erweist sich dabei noch als die gefälligste Komponente, wenngleich durch das Grillen eine deutlich herbere Aromatik als erwartet dominiert. Eine schöne Referenz an die Region ist die Integration der in der Pfalz allseits bekannten und geschätzten „Keschde“, also Esskastanien oder Maronen. Zusammen mit dem leicht malzigen Geschmack der „Blätter“ und den erdig-nussigen Aromen von Walnüssen ist die Basis für ein selten individuelles Dessert gelegt, doch weitere Details hieven diesen Einfall in eine andere Liga. Die sehr gesunden, zwischen süß und säuerlich changierenden Holunderbeeren sowie der Périgord-Trüffel (welcher bedauerlicherweise nicht in der Pfalz wächst und natürlich aus dem französischen Périgord stammt) verstärken den herben Charakter ganz erheblich, doch ist es die höchst seltene und extrem aufwendige Spezialität „Pfälzer Trüffel“, welche dem Gang sein Gepräge verleiht. Sie besteht – anders als der Name vermuten ließe – nicht aus Trüffeln, sondern aus sehr lange eingelegten Walnüssen, die dadurch eine schwarze Farbe annehmen und in der Region als winterliche Delikatesse bekannt sind, welche auch in Feinkostgeschäften erworben werden können. Als der Pâtissier an meinem Platz den atemberaubenden Vorlauf in allen Details schildert, nehme ich fast mitleidig zur Kenntnis, wie rasch das Dessert dann doch verzehrt ist und die meisten Gäste völlig ahnungslos sind, welch immenser Aufwand dahinter steckt. Jedenfalls beansprucht dieses ganz eigenwillige Dessert angesichts all seiner Details die Aufmerksamkeit des Gastes bei langsamem und bewusstem Verzehr bis zum Äußersten – und das ist durchweg positiv zu verstehen. Sprach ich eingangs von einer Horizonterweiterung nach dem Besuch in diesem Lokal, so muss diese Eingebung gesondert als extrem erhellend angesehen werden. Sieht so die Zukunft des Desserts aus? Man weiß es natürlich nicht, aber das fast monothematisch in Brauntönen gehaltene Dessert setzt fraglos Maßstäbe, obwohl es ganz ohne modische grüne oder japanische Elemente auskommt. Zauberhaft in jeder Hinsicht!

Bei den Petits fours ist die investierte Arbeit kaum geringer, wenn man den Ausführungen der Mitarbeiter Glauben schenken darf. So ummantelt die Zuckerwatte nicht nur ein Eis von der besonders seltenen Erdbeersorte „Mieze Schindler“, sondern ist auch mit einem Pulver aus demselben Produkt bestäubt. Die Intensität des Geschmacks rechtfertigt jedenfalls den betriebenen Aufwand und die Wahl der kostspieligen Sorte voll und ganz.

Des weiteren findet man vorne rechts als konservativsten Beitrag eingelegte Nashi-Birne, während die übrigen Satelliten mit Erwartungshaltungen spielen, die gekonnt in die Irre geleitet werden. Dass man hier das Unerwartete erwarten muss, sollte inzwischen hinlänglich klar geworden sein, aber der Trompe-L’oeil-Effekt in Verbindung mit dem „Nougat“ ist kaum zu toppen: dieser besteht in Wirklichkeit aus ausgekochtem Schweinefett (!) und wird mit einer Kokoscrème veredelt – und es schmeckt tatsächlich! Das Toffee im Vordergrund erinnert mich persönlich an amerikanischen Fudge, während die Macaron-Masse ganz links mit Reisperlen und Haselnusscrème begleitet wird. Allein die Beschreibung der Herstellung dieser Petitesse durch den Pâtissier dauert fast eine Minute! Das Erlebnis bleibt somit bis zum Ende das, was es schon von Anfang an war, nämlich intensiv. Der Name des Lokals ist daher fraglos gut gewählt!

Man kommt kaum umhin anzuerkennen, dass Benjamin Peifer hier ein in jeder Hinsicht visionäres Genussrefugium aus dem Boden gestampft hat, das gehörig aus der Reihe tanzt und der teils grassierenden kulinarischen Langeweile den Kampf angesagt hat. Mit großer Energie sucht er unerbittlich nach neuen Wegen und scheut sich nicht, mit festgefahrenen Konventionen zu brechen, wenn ihn dieser Schritt wieder ein kleines Stückchen weiter auf seinem Weg bringt. Man würde solch ein Lokal keineswegs in der für ihre Geselligkeit bekannten Pfalz vermuten, da das Menü ungeheuer weltmännisch erscheint und selbst bodenständige Pfälzer Produkte auf eine Art und Weise integriert und veredelt werden, dass es eine wahre Wonne ist. Mal sehen, wie lange es noch dauert, bis hier der Pfälzer Saumagen auf sternetauglichem Niveau serviert wird …

Apropos Sterne: aus meiner Sicht ist die Vergabe des zweiten Sterns für das Intense überfällig. Zu offenkundig sind die Vorzüge dieses Lokals, welches neue Wege beschreitet und seine Gäste einlädt, sich auf diese spannende Reise einzulassen. Trotz teils ungewöhnlicher Zubereitungen kann man sich als Gast auf ein jederzeit sicheres Handwerk verlassen, das zweckdienlich und niemals der bloßen Show wegen (das Pré-Dessert mag eine kleine Ausnahme darstellen) eingesetzt wird. Als eine der wenigen Anregungen, was es noch zu verbessern gäbe, könnte man noch eine bislang wenig homogene Stilistik monieren: nahezu jedes Gericht konnte hier isoliert betrachtet absolut überzeugen, aber der Vollgas-Modus, der weite Teile des Menüs durchzieht, kann auf Dauer ganz schön fordernd wirken – erst recht dann, wenn man es mit unerfahrenen oder arglosen Gästen zu tun hat. Tatsächlich erinnert mich die Intensität hier an eine Phase von Jan Hartwig (damals noch im Atelier) vor einigen Jahren, als ihm ein ähnlicher Umstand zu schaffen machte und erst fortschreitende Reife ihm zu einer noch klügeren, ausgereifteren Dramaturgie verhalf. Signifikante Fortschritte gegenüber der Zeit in Kallstadt konnte Benjamin Peifer aber auch so schon für sich verbuchen: wirkte damals vieles noch um einiges verspielter, so trat die intendierte geschmackliche Aussage diesmal wesentlich klarer zutage. Vielleicht wäre eine Reduktion des einen oder anderen gefährlich nahe am Rande der Überfrachtung wandelnden Tellers noch eine Überlegung wert. So oder so attestiere ich dem Chef große Fortschritte – und es steht nicht zu befürchten, dass die Entwicklung in absehbarer Zeit jäh beendet sein wird.

Das Serviceteam besteht (mit Ausnahme der Ehefrau des Chefs) mehr oder weniger aus den Küchenmitarbeitern, welche die Gerichte speziell an der Theke direkt aus der offenen Küche vorm Gast abstellen und einen authentischen Eindruck von ihrer Arbeit abgeben. Der geforderte Menüpreis ist im Hinblick auf die eingesetzten Viktualien und deren intensive Verarbeitung mehr als gerechtfertigt, während die Nebenkosten offenbar recht stark teils zur Amortisierung beitragen sollen und dementsprechend etwas höher ausfallen – ohne dabei unverschämt zu sein.

Dass ich diesen Bericht vorgezogen habe, ist einfach dem Umstand geschuldet, dass sich die Mehrzahl der wichtigen Impressionen mit fortschreitender Zeit rasch zu verflüchtigen drohen. Gleichwohl war es mir ein Anliegen, möglichst viele Facetten dieses alles andere als gewöhnlichen Restaurantbesuchs in allen Details zu erfassen, wenngleich mich das Verfassen dieses Berichts wie kaum ein anderer bisher auf Trab hielt und mich fraglos aufs Äußerste forderte. Als ich das Intense wieder gegen 23.15 Uhr verlasse, wandle ich durch ein wie leergefegtes, fast schon ausgestorben wirkendes Weindorf, welches ganz nebenbei ein hochspannendes Lokal vom Format einer Weltmetropole beherbergt – man glaubt es kaum! Da hilft nur eines: selbst hingehen und sich an den außergewöhnlichen Eindrücken berauschen!

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Intense
Weinstraße 31
67157 Wachenheim an der Weinstraße
Tel.: 06322/6004004
www.restaurant-inten.se

Guide Michelin 2024: *
Gault&Millau 2024: 3 Toques
GUSTO 2025: 9 Pfannen
FEINSCHMECKER 2025: 4 F

7-gängiges Omakase-Menü: € 210

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“ ’s werd gesse, was uf de Disch kummt!“ (Benjamin Peifer)

Februar 2020

Das kleine Örtchen Kallstadt liegt nördlich vom pfälzischen Bad Dürkheim direkt an der Deutschen Weinstraße und verdankt seinen halbwegs prominenten Status in erster Linie dem Umstand, dass die Großeltern väterlicherseits von Donald Trump ihre einstige Heimat hier verließen, um in den USA nach einem besseren Leben zu trachten. Dabei hätte das schmucke Weindorf mehr als nur das zu bieten, nämlich eines der besten Sternerestaurants der gesamten Pfalz. Hier schwingt ein junger und talentierter Chef den Kochlöffel, der nur so vor Ideen strotzt und binnen kürzester Zeit ein Konzept auf den Weg gebracht hat, das schon jetzt unverwechselbar wirkt und über weite Strecken sehr überzeugend gerät. Der gelernte Bäcker Benjamin Peifer hat hier zusammen mit seiner Freundin Bettina Thiel, die den Service leitet, ein kleines und ungewöhnliches Refugium etabliert, das schon für einige Furore sorgen konnte: so wurde das Lokal des Mittdreißigers vom FEINSCHMECKER im Jahr 2018 zum „Restaurant des Jahres“ gekürt. Bis vor einigen Jahren stand er noch am Herd des Urgestein in Neustadt an der Weinstraße, doch bedarf es nicht viel Phantasie sich auszumalen, dass diese eher etwas konservativ geprägte Adresse nicht dem Tatendrang des ambitionierten Aufsteigers entsprach und der gewagte Sprung in die Selbständigkeit die logische Konsequenz war.

Seither befindet sich also in einem unscheinbaren Fachwerkhaus direkt an der Ortsdurchfahrt diese ungewöhnliche Adresse, die sogar noch einen altmodischen (aber nicht mehr intakten) Klingelzug aufweist. Der Gastraum selbst ist ein weißes Gewölbe, doch die dunkle Ausleuchtung, die punktgenau illuminierten und blanken Holztische sowie der große Abstand zu den anderen Gästen machen schon in puncto Gestaltung aus diesem Restaurant ein höchst ungewöhnlich und eigenwillig gestaltetes Etablissement, das mit der klischeehaften Einrichtung typisch pfälzischer Weinlokale so überhaupt nichts zu tun haben will. Dies ist nur folgerichtig, denn was hier auf den Teller gelangt, sind allenfalls pfälzische Produkte, deren Darbietung allerdings nichts mit standardisierter Wirtshauskost zu tun hat. Vieles wird zwar nicht übermäßig verfremdet, aber fast immer mit fernöstlichen Techniken zubereitet und mit ungewöhnlichen Begleitern kombiniert – man könnte dies durchaus als eigenwillige Fusion-Küche bezeichnen. Dezidiert japanisch wirkt dabei die Tatsache, dass quasi ein Omakase-Menü angeboten wird: eine mehrteilige Menüfolge mit 15 Gängen (logischerweise von unterschiedlicher Größe), bei der nichts wählbar ist und alles dem Gusto des Chefs unterworfen ist – daher auch das Eingangszitat des Chefs auf der Homepage des Lokals. Mit Improvisation hat dies allerdings nichts zu tun, denn die gesamte Speisenfolge sowie die Menü- und Getränkekarten sind auf einem großen iPad, das zu Beginn des Abends auf den Tisch gelegt wird und dort auch bleibt, in aller Ausführlichkeit beschrieben und sogar zuhause online abrufbar. In der Realität dagegen werden dem Gast auf einem Tablett alle Hauptzutaten des Abends vorab optisch präsentiert.

Zum Auftakt des Menüs lasse ich mir PriSecco Nr. 8 von Jörg Geiger (Stachelbeere, unreifer Apfel und Douglasienspitzen) einschenken, während meine Begleitung einer hauskredenzten Kreation mit dem vom Restaurant beworbenen Produkt „Gintense“ aus eigener Herstellung einsteigt. Zum augenzwinkernden Auftakt serviert man den Pfälzer Klassiker „Gequellde mit Kees“, der jedoch auch optisch apart mit Quarkcreme, Radieschen, in Essig eingelegter Zwiebel und Vinaigrette-Gel veredelt wird und gleich zu einem launig-intensiven Apéro mit ausgeprägter Kräuternote gerät.

„Handkees mit Musik“, auch in Hessen ein Klassiker, bedeutet hier ein Tartelette aus getrocknetem Zwiebelpüree. Als Füllung tummeln sich darin Zwiebeln in allen Varianten (eingelegt, geschäumt, roh mariniert und als Gel von Zwiebelconsommée), während Kümmel und Pulver von getrockneter Petersilie aromatische Akzente setzen – auch das gelungen, denn die Verfremdung gelingt durchaus und sorgt für langen Nachhall am Gaumen.

Ein echter Spaß ist danach „Dampfnudel mit Woisoß“, denn der in salziger Butter gebratene Hauptdarsteller soll ausdrücklich mit den Fingern in das Römer-Glas mit wunderbar sämigem und superb ausbalanciertem Rieslingschaum eingetunkt werden.

Die puristischste Prüfung ist die nun folgende, tiefe Dashi aus gerösteter Kartoffelschale und Umamispeck-Brühe, denn alles Weitere, was nach diesem intensiven Shot kommt, wird erheblich komplexer sein.

„Rindfleesch mit Meerrettich“ schließlich entpuppt sich als Carpaccio vom Rücken mit gegrilltem Ochsenfett und frischem Meerrettich (auch als Crème). „Verpackt“ wird der Happen von dezenter Schärfe zwischen zwei kross frittierten Brotscheiben in Form eines Mini-Tacos. Die Apéros vermochten durchaus zu überzeugen – außerdem wurde die Richtung, was uns an diesem Abend noch erwarten würde, klar vorgegeben – die fast schon humoristische und originelle Anrichte wertete den Einstieg sogar noch weiter auf.

Doch trotz der schönen fünf Petitessen wird es nun Zeit, dass die Küche Ernst macht: mit Rote Bete gelingt ein hochkomplexer Einstieg, denn das Grundprodukt wird gegrillt, in Essig mariniert und gegart. Einige der Bete werden auch getrocknet und zum Dashi verarbeitet, in dem die Kreation platziert ist. Außerdem werden rote und gelbe Bete noch getrocknet oder als soufflierter Chip mit Shisopulver hinzugefügt – das Ergebnis ist eine ungemein facettenreiche Eingebung mit diffizilen Aromen, die im Grunde doch nur einem einzigen Produkt entspringen, das aber in allen nur denkbaren Texturen verarbeitet wird. Ein typischer Gang für dieses Haus, aber ein sehr gelungener.

Saibling (über Binchotan gegrillter Bauch, bei dem die Kohle darüber gestrichen wird) bleibt trotz der Grillaromen roh und wird mit Öl aus gegrillten Lauchzwiebeln und Dashi-Crème serviert. Frittierte Haut vom Saibling, Ceta-Kaviar und eine Mirabellen-Crème veredeln den Gang, während à part noch roh marinierter Kohlrabi vegetabile Noten beisteuert. Auch diese Kreation ist etwas für Fortgeschrittene, doch die makellose Frische und das elegante Changieren der Vinaigrette zwischen sauer und würzig zeugt von sorgsam ausgeloteter Balance. Wunderbar!

Dry Aged Forelle kann uns dagegen trotz origineller Interpretation etwas weniger begeistern: der eine Woche getrocknete und dann gegrillte Fisch kommt im Verbund mit Chips aus Dashi und Mehl sowie mit Kopfsalat, Forellenkaviar und Ponzu-Vinaigrette. Subtil wären die Aromen dieses augenzwinkernden Tellers auch hier, doch diesmal dominiert die Schärfe zu sehr – ansonsten wieder ein gelungener Beitrag, wenngleich die Zubereitungen und die Stilistik allmählich etwas vorhersehbarer werden.

Stör, in Salzlake gereift, dann über Binchotan gegrillt und anschließend mit Schweineschmalz glasiert, paart die Küche sodann mit gesalzenem und acht Monate lang gereiftem Nacken vom Iberico-Schwein. Hinzu kommen gegrillte Rosenkohlblätter, glasierte Schwarzwurzel, ein Kartoffelpüree „à la Robuchon“ und ein Sauerkraut-Dashi. (Randnotiz: Nicht-Eingeweihten sei gesagt, dass der 2018 verstorbene Grand Chef Joël Robuchon durch seinen Kartoffelpüree in den 70er-Jahren bekannt wurde, bei dem auf ein Kilo Kartoffeln ein Kilo Butter kam!) Im Zusammenspiel der Texturen sticht die Qualität des Störs heraus, doch insgesamt wirkt dieses Schälchen hier dann doch zu überladen und etwas ungestüm – gut gemeint, aber irgendwie zu viel gewollt. Die Zutaten hätten auch für zwei Teller gereicht.

„Gintense Fizz“ besteht aus einem Koriander-Zitrus-Granité und Schaum aus Gin, Zitrus, Ingwer und Wacholder. Wo andernorts ein Sorbet bestenfalls einen erfrischenden, aber meist routinierten und eher harmloser Einschub darstellt, kann man das hier wahrlich nicht behaupten: der unscheinbar anmutende Schaum lässt den Gast alle Komponenten erkennen und hat dabei doch enorm viel Power. Das erfrischende Granité tut ein Übriges. Großartig!

Freilandente kommt in nicht weniger als drei Zubereitungen. Im Allgemeinen sind wir keine Freunde von Satelliten um den Teller, aber hier machen wir gerne eine Ausnahme. Teil eins nennt sich Korean Fried Duck (eine entfernte Hommage an die Fast-Food-Kette aus den USA, die statt „duck“ eben „chicken“ verwendet) und besteht aus gekochter und in Stärke frittierter Entenkeule. Abgeschmeckt wird sie mit Holunderbeeren-Barbecue, Puffreis (!), Koriander sowie Zitrus und begleitet von kurz blanchiertem Rettich, der einen markanten Kontrapunkt setzt und wohl entfernt an Cole Slaw erinnern soll. Das schmeckt grandios, aber die Fortsetzung macht nahtlos auf demselben Niveau weiter: Teil zwei, bestehend aus trocken gereifter und gegrillter (supersaftiger) Entenbrust schwimmt in einer leicht gebundenen Meisterbrühe und wird mit Sellerie-Trüffelcrème sowie Dim Sum mit Enten-Innereien gekoppelt. Teil drei schließlich ist eine Entenleber-Terrine mit feurigem Sechuan-Gelée, Entenhautchips, Portulak und einem ungewöhnlichen Brioche-Guglhupf, der mit Gänseschmalz und Butter gebacken ist. Was die Küche dem Grundprodukt an Facetten und Nuancen entlockt, ist schlicht umwerfend! Auch geschmacklich ist hier alles bis ins letzte Detail stimmig und grandios in Szene gesetzt. Mein Plädoyer: unbedingt zum Signature Dish küren! Ein phänomenaler Gang, der gekonnt die Grenze zwischen Slow Food und Fast Food verwischt!

Der Käsegang setzt ebenfalls Maßstäbe: Stilton und Nashi-Birne ist weitaus aufregender als es klingt. Der Käse ist nämlich geeist und von eingemachter Birne, frischer Walnuss, einer Walnussöl-Emulsion und getrocknetem Milchschaum mit schwarzem Pfeffer umspielt. Zugegebenermaßen klingt das ziemlich abgefahren, aber die Zertrümmerung althergebrachter Konventionen beim Käsegang (der ohnehin zu einer aussterbenden Rasse zu gehören scheint) funktioniert prächtig. Der Teller sieht nicht einmal wie ein Käsegang aus, doch trotz der vielen Begleiter und der ungewöhnlichen Konsistenz des Hauptdarstellers bleibt der Stilton klar im Mittelpunkt, sowohl aromatisch als auch von den Proportionen der Komponenten her. Durchdacht, originell und ziemlich abgefahren – wenn ich das mal so sagen darf!

Das erste Dessert bringt die erste kleine Enttäuschung seit langer Zeit. Kürbis wird hier in verschiedenen Varianten (Kompott, Krokant und Schaum) in den Mittelpunkt gestellt; auch ein Kürbiskernöl-Eis gesellt sich noch dazu. Ein Gelée aus „Buddhas Hand“ (asiatische Zitrusfrucht) sowie soufflierte und karamellisierte Schweinehaut erweitern das Dessert noch, doch wird das Grundproblem dieses Desserts damit nicht gelöst: inzwischen ist natürlich keiner von uns beiden mehr überrascht, dass Kürbis hier zu einem Dessert gehören kann, doch leider ist die sehr massig eingesetzte, halbsüße Kürbiscrème nicht mein Fall. Außerdem lässt dieses erste Dessert eine klare Aussage darüber, was die kulinarische Absicht dahinter war, doch vermissen. Wir schieben das mal auf die jugendliche Unbekümmertheit und hoffen auf Besserung beim zweiten Dessert …

… und werden nicht enttäuscht. „Baked Fuji“ ist inspiriert vom amerikanischen Klassiker „Baked Alaska“: auf einen bretonischen Mürbteig schichtet die Küche Karottenkuchen und -tatar, Yuzumarmelade, Zitruscrème, Zitronensorbet und knusprigen Sansho-Baiser, der genau wie beim „Baked Alaska“ ganz kurz gebacken wird. Diese souveräne Darbietung überzeugt mit straffer Säure und sorgt doch für Ausgewogenheit dank seiner cremigen Noten. Nicht gerade ein leichtes Dessert zu vorgerückter Stunde, doch das kümmert uns wenig …

Drei Petits fours lassen den Abend schließlich ausklingen: ein (etwas gekünstelt anmutender) Marshmallow „Gintense“ (das hauseigene Produkt wird hier nicht gerade zurückhaltend ins Schaufenster gestellt), eine ausgezeichnete Nussecke aus Mürbteig, Pflaumenmus und Füllung aus Haselnuss, Butter und Vanille sowie ein hervorragender Bienenstich aus Salzkaramell mit Hefe, Mandeln, Honig und Vanille. Ein passendes Ende für einen definitiv höchst intensiven Abend!

Dass die gesamte Brigade, die gerade einmal fünf Personen umfasst, bis in die Haarspitzen motiviert ist, merkt man ihr jederzeit an. Die Grenze zwischen Küchenmitarbeitern und Servicekräften ist fließend, denn im Laufe des Abends werden die jeweiligen Speisen ganz gerne von unterschiedlichen Personen erläutert. Noch während des Entrées präsentiert uns eine junge Dame ein Tablett mit Ausstellungsstücken der verwendeten Produkte und erläutert dabei auf kurzweilige Weise die Bedeutung von solchen Begriffen wie Binchotan, Umeboshi und Kalamansi. Das hätte ich zwar nicht unbedingt nötig gehabt, aber dieses aufmerksame Ritual der Kellnerin wollte ich natürlich nicht unterbrechen. Serviceleiterin Bettina Thiel ist sich auch nicht zu schade, am Tisch in die Knie zu gehen und sich sozusagen auf Augenhöhe mit dem Gast zu unterhalten – absolut selten. Das gilt auch für die gewöhnungsbedürftige Musik aus den Lautsprechern, die ein weites Spektrum von Lounge bis HipHop abdeckt. Lassen wir aber einmal die fast schon grotesken Rahmenbedingungen beiseite und fokussieren uns auf die reine Kulinarik, so fällt mein Fazit fast einhellig wohlwollend aus.

Die gesamte Parade an Darbietungen sprühte nur so vor frechen und neuen Ideen, die aber auch souverän umgesetzt wurden. Das geschmackliche Ergebnis konnte fast immer beeindrucken und hatte mit Routine so gar nichts zu tun. Die Neuinterpretation pfälzischer Klassiker bewies mehr als nur einmal ein Gespür für hintersinnigen Humor, der aber nicht nur auf Effekte abzielt, sondern auch geschmacklich einen Mehrwert mit sich bringt. Der riesige Aufwand, den die Küche betreibt, lässt den geforderten Preis von € 150 für das Menü samt Wasser geradezu preiswert erscheinen. Auszusetzen ist wirklich nicht viel, denn bis auf ein etwas blass gebliebenes erstes Dessert ist kaum ein Gericht einzeln zu kritisieren, sondern allenfalls im Zusammenhang. Was ich damit zum Ausdruck bringen möchte, ist dass die Gerichte mit fortschreitender Dauer eine gewisse Ähnlichkeit aufwiesen, die nach und nach etwas vorhersehbar wirkte – außerdem wurde die Intensität der Gerichte durch Schärfe und aromatische Wucht konstant hoch gehalten. Ich habe keinen Zweifel, dass Benjamin Peifer auch die leiseren Tönen der aromatischen Klaviatur beherrscht, doch den Beweis dafür trat er an diesem Abend nicht an. Gut vorstellbar, dass nach einer typisch jugendlichen Sturm-und-Drang-Phase die Erkenntnis obsiegt, dass man selbst das legendäre Rennen Indy500 nicht dauerhaft im Vollgasmodus gestalten kann. Mit anderen Worten: etwas mehr Variabilität bei der aromatischen Dichte wäre sicherlich noch gewinnbringender. Doch stellt die Behebung dieses Umstands mit Sicherheit keinen dauerhaften Makel dar, denn das Maß, mit dem die jeweiligen Gerichte durchdacht sind, lässt ja bereits auf fortgeschrittene Reife schließen. Mein Plädoyer bewegt sich daher ganz klar Richtung zwei Sterne (die ihm 2020 verwehrt blieben), zumal auch der GUSTO (8,5 Pfannen) und der FEINSCHMECKER (4 F) das Potential des ambitionierten Kochs voll anerkennen. Lediglich der G&M speist Herrn Peifer noch mit 16 Punkten ab, was meines Erachtens zu niedrig angesetzt ist und somit nicht gerechtfertigt erscheint.

Ein Besuch hier ist fraglos fordernd – sei es wegen der Atmosphäre, der Musik oder der programmatischen Intensität der Gerichte. Er stellt aber mit Sicherheit auch eine Erweiterung des kulinarischen Horizonts dar, wenn man nur bewusst genießt und sich bereitwillig auf diese ungewöhnliche kulinarische Reise durch die „japanische Pfalz“ (wie sie ein Kritiker des GUSTO taufte) einlässt. Seit kurzer Zeit gibt es übrigens im unweit gelegenen Wachenheim eine neue Dépendance namens The Izakaya, die stitlistisch ähnlich, aber etwas weniger anspruchsvoll aufkocht und konservativere Gäste in übertragenem Sinne behutsam auf das Intense vorbereiten soll. Uns hat es nach kurzer Eingewöhnung auch ohne Vorbereitung sehr gut gefallen, denn fair kalkulierte Nebenkosten und ein selten zwangloses Ambiente (mit bequemen Drehsesseln) machten aus diesem Abend ein durchaus ungewöhnliches Erlebnis, das man irgendwann mit Sicherheit wiederholen möchte und jedem aufgeschlossenen Gourmet nahegelegt sei.

Zum Zeitpunkt meines Besuchs Ende Februar war die Welt noch in Ordnung – wie wir inzwischen alle wissen, haben gravierende Ereignisse stattgefunden, die tiefgreifende Veränderungen für die Zukunft mit sich bringen werden. Hoffen wir nur, dass die grassierende Corona-Epidemie in absehbarer Zeit zu Ende geht – wahrscheinlich wird es Monate dauern – und die Existenz solcher Lokale nicht bedroht. Das wäre jammerschade, aber derzeit sind andere Dinge wirklich wesentlicher. In diesem Sinne: bleiben Sie alle gesund!

Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten

 

Intense
Weinstraße 80
67169 Kallstadt
Tel.: 06322/9591150
www.restaurant-inten.se

Guide Michelin 2020: *
Gault&Millau 2020: 16 Punkte
GUSTO 2020: 8,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 4 F

15-gängiges Menü: € 150