Falco**, Leipzig (UPDATE)

Anmerkung: das Restaurant ist seit November 2023 geschlossen.

„Man verbindet das Falco mit mir, und ich denke das ist auch wichtig. Es ist einfach ein Kult geworden.“ (Peter Maria Schnurr)

UPDATE (Oktober 2021)

Meine letzte Stippvisite in der Sachsenmetropole datiert nun auch schon wieder vom Februar 2018. In der Zwischenzeit konnte sich das Falco mit nunmehr 19 Punkten im Gault&Millau endgültig in der Spitzengruppe der deutschen Sternerestaurants etablieren. Zwei Michelin-Sterne sowie 10 Pfannen im GUSTO (zeitweilig sogar mit Bonuspfeil) hatte das Lokal dagegen schon einige Zeit inne, so dass ein erneuter Besuch hier tatsächlich mal wieder dringend geboten war, zumal Peter Maria Schnurrs Restaurant mit Fug und Recht als einiges der wenigen wirklich avantgardistischen und – ja, kultigen – Restaurants der Republik bezeichnet werden kann. Tatsächlich würde ich dem Chef in seinem Eingangszitat beipflichten wollen, denn während in anderen Lokalen der Republik bei etlichen Gästen eine ähnlich starke Assoziation zwischen Lokal und Chefkoch durchaus auch geweckt werden kann, so ist doch die Lage in Leipzig, fernab von Hochburgen der Spitzenküche, etwas ganz Spezielles. Gerade in Leipzig, was in den letzten Jahren oft alternative Namen wie „Hypezig“ oder „das bessere Berlin“ verpasst bekam, scheint ein solch krasses Etablissement zu passen wie der Topf auf den Deckel.

Ansonsten hat sich nicht allzu viel verändert: wie immer nimmt man nach dem Durchschreiten der Hotellobby den Expresslift in den 27. Stock des Hotels The Westin Grand, von wo aus die nächtliche Sicht auf Leipzig erwartungsgemäß grandios ist. Das Lokal selbst hat vor kurzer Zeit ein Facelifting erhalten, das allerdings recht dezent ausfiel und den loungeartigen Charakter des Interieurs bewahrt hat. Nach wie vor nimmt man an den kreisrunden Milchglastischen neben der großzügigen Fensterfront Platz und lässt sich die nachfolgenden Darbietungen präsentieren. Neugierige Erstbesucher oder unerfahrene Gäste können übrigens auch am Tisch neben der reich bestückten Bar zu € 99 für vier Gänge reservieren, doch erfahrungsgemäß ist die Vorlauffrist bei den Reservierungen hier noch um einiges länger als im Flaggschiff direkt daneben.

Die Werbung für das Lokal in der Innenstadt ist für deutsche Verhältnisse immer noch ungewohnt präsent, selbst wenn sie nicht mehr so dominant ausfällt wie bei meinem letzten Besuch. Überhaupt – soviel sei vorweggenommen – scheint beim Chef mit dem Überschreiten der Altersgrenze eines halben Jahrhunderts eine ganz leichte Milde einzusetzen, die den Geschmack inzwischen höher als die Optik bewertet. Keine Sorge – das soll nicht heißen, dass jetzt hier auf einmal alles ganz brav und bieder zuginge! Nach wie vor sind Bescheidenheit und Kompromissbereitschaft absolute Fremdwörter hier: ersteres erkennt man daran, dass sich der Chef werbetechnisch als eine Art Halbgott zwischen Himmel und Leipziger Boden inszeniert, während letzteres sich dahingehend bemerkbar macht, dass die Menükarte wegen Lieferengpässen kurzerhand von sieben auf fünf Gänge reduziert wurde. Einerseits ist es ärgerlich, dass die lange Anreise mit vergleichsweise wenigen Gängen belohnt wird, aber besser fünf hochwertige Teller als sieben durchschnittliche. Von enormem Selbstbewusstsein zeugen auch die geforderten Preise, die in den letzten Jahren mehr als merklich angezogen haben. Wurden bei meinem ersten Besuch 2013 noch für sieben Gänge € 179 gefordert, so wären es diesmal (bei sieben Gängen, die es ja nicht gab) mindestens € 262 gewesen – die Lage des Lokals und die Kosten bewegen sich inzwischen somit auf Augenhöhe.

Der Abend beginnt wie immer mit einem mehr als üppigen und ausgelassenen Reigen an Apéros, die gerne auch im Laufe des Abends erst verzehrt werden können und die nicht zwingend vor dem ersten Gang vertilgt sein müssen – eine pragmatische Empfehlung, denn die aromatische Spannbreite dieser Eingebungen könnte bei zu raschem Verzehr zu einer Art Reizüberflutung führen. Darum wäre es nun wirklich schade, denn die Parade zu Beginn zählt zu denjenigen, deren Pracht und Phantasie nur wenige andere Lokale in Deutschland erreichen (spontan kommen mir nur das Victor’s Fine Dining in Perl-Nennig und das bianc in Hamburg in den Sinn). Diesmal ist die Darbietung siebenteilig und beinhaltet wie immer das ikonische Nummernschild mit der Aufschrift „Trust Me!“, das seit einigen Jahren zum festen Inventar hier gehört. Darauf platziert ist diesmal ein Pancake mit Rosenkohl, Segmenten von Himbeere und Nussbutter – ein filigraner und sehr komplexer Einfall mit tollen Konsistenzen und einem spannungsreichen Aroma. Das schon bekannte Karottenbrot mit dem Dip von Joghurt, Nashi-Birne, Nori-Algen und Jalapeño klingt (wie immer) exotisch, geht aber (wie immer) bestens auf. Der alkoholfreie Jus de Pomme aus dem Hause Galipette erweist sich als würdiger Kompagnon.

Auf der gelben Unterlage befindet sich ein Schaschlik mit rohen Gamberoni, geschmorten Perlzwiebeln und Crème von roter Paprika mit gegrillten Zwiebeln – wie schon beim Pancake zuvor ist es die atemberaubend hohe Dichte an diversen Aromen auf so engem Raum, die am stärksten beeindruckt. Rechts hinten ein Dumpling mit Bisonfleisch, Wasserkastanie, Röstzwiebeln und Gari (Ingwer), welches durch sehr subtile Effekte besonders gut gelingt. Die Auster im Vordergrund wird mit Jakobsmuschel (!), Calamaretti, Rambutan, Wasabi, Tonic Gelee und Christe Marine (Meerfenchel) in völlig abgedrehter Weise zu einem „Ozeansalat“ vermengt – fraglos die kühnste Interpretation einer Auster, die mir jemals untergekommen ist – und doch ein Spektrum an Geschmack entfaltet, dass es eine reine Wonne ist.

Auf der gewagten Blechkonstruktion in Form eines Stiers thront ein Wackelpeter von Culatello und Champignon auf getrocknetem Graubrot und garniert mit einem Häubchen Kaviar Royal Premium – was wie ein überaus deftiger Happen klingt, erweist sich als gar nicht so derber und recht edler Einfall von schlichtem Luxus, während das mit Passionsfrucht aromatisierte Kimchi unten fraglos die Krone dieses Defilées bildet: der säurebetonte koreanische Klassiker, der allzu oft einfach an penetranter Säure scheitert, wird hier mit der dezenten Süße des Obstes genial konterkariert, so dass der Verzehr dieser mehr als üppigen Portion (für zwei Personen) keine Sekunde eindimensional oder gar langweilig wird. Fraglos waren überraschende Effekte schon immer ein Faible des Chefs, aber selten haben wir sie als so subtil und nicht plakativ wie in dieser Ouverture empfunden. Das ist schon nochmals eine beachtliche Weiterentwicklung!

Wer hier à la carte speisen möchte, kann dies übrigens auch tun – ich rate allerdings wegen der damit verbundenen Kosten massiv davon ab. Was hätte es auch für einen Sinn, für ein derartiges Gericht einen Preis zu zahlen, der an der Grenze zu € 200 (!) kratzt, wenn sowieso nahezu alle Gerichte in der Menüfolge enthalten sind?

Die Menüfolge lässt dem Gast beim ersten Gang und dem Hauptgericht übrigens eine Wahl, doch dazu gleich noch mehr. Unser Abend beginnt nun jedenfalls offiziell mit Foie agrume, also Entenleber mit Zitrusfrüchten. Im Detail verquickt die Küche gefrostete Entenstopfleberspäne mit roten Gamberoni, Fenchelpollen, schwarzem Knoblauch und Zitrusfrüchten (wir glauben, vor allem Grapefruit und Kiwi am deutlichsten herauszuschmecken). Wir empfinden es schon als einigermaßen bemerkenswert, dass nicht noch mehr Köche auf die Idee kommen, die Leber so zu präsentieren – in einer Zeit, in der Kopieren mangels Kreativität landauf, landab geschieht, fände ich das nicht ungewöhnlich. Warum ich das erwähne? Aus dem einfachen Grund, dass das Gericht trotz seiner kühnen Konzeption bestens funktioniert! Die sauer eingelegten Fenchelpollen erweisen sich als der eigentliche Clou, der dem leicht süßlichen Charakter des Gangs eine dringend erforderliche, herbe Note an die Seite stellt und einem zu eindimensionalen Aroma entgegenwirkt. Außerdem ist der Verzehr aufgrund der Vielfalt an Texturen und auch Temperaturen ein echter sensorischer Genuss – auf jeden Fall ein mehr als gelungener Einstieg. Hätten wir stattdessen Thunfischbauch mit Kaviar genommen, so hätte sich der Menüpreis gleich nochmals um satte € 33 erhöht – und wer weiß, ob das besser geraten wäre?!

Als weniger überdreht und stärker auf die Qualität des Grundprodukts fokussiert empfinden wir den schottischen Loch Duart Lachs, der mit lauwarmer Temperatur und herrlich mürber Konsistenz hinreißend gerät. Gebettet auf einem Nussbutterschaum, gießt der Service am Platz dazu einen Sternanis-Limequat-Sud dazu auf. Etwas Apfelgel verleiht dem Gang eine noch komplexere Fruchtigkeit, während klein gestoßene Cashews und getrockneter Blumenkohl für angenehmen Biss sorgen und gleichzeitig nussig-vegetabile Aromen beisteuern. Ob die Hühnerhaut obenauf notwendig war sei dahingestellt, aber die geschmackliche Abrundung mit Curry und Tandoori-Rettich verfehlte ihre Wirkung nicht. Es gelingt nicht vielen Köchen, ein derart breites aromatisches Spektrum aufzuspannen (manche würden es auch gar nicht wollen), aber ein Peter Maria Schnurr weiß inzwischen offenbar ganz genau, wieviel Begleitung so ein Gang vertragen kann, ohne dabei überfrachtet zu wirken. Mit anderen Worten: trotz seiner Komplexität bleibt der Lachs im Mittelpunkt und das Gericht somit fassbar, wenngleich die „Dechiffrierung“ sämtlicher Aromen eine durchaus fordernde Angelegenheit ist.

Als eine echte Spezialität des Chefs hat sich in den letzten Jahren Rochenflügel entpuppt – sollten Sie also jemals hier aufkreuzen und dieses seltene Produkt auf der Karte stehen, dann verzichten Sie ja nicht darauf! Diesmal paart Schnurr sein Lieblingsprodukt mit gehackter Jakobsmuschel, Jalapeños, Maggikraut und Pomelo-Salsa. Während das leicht jodige Aroma der glasigen Jakobsmuschel an sich schon bemerkenswert gerät, so ist es doch die unübertroffene Konsistenz des butterzarten Hauptdarstellers, die alles andere in den Schatten stellt. Die Beurre blanc rundet einen Gang, dem nichts weniger als das Prädikat der Weltklasse bescheinigt werden muss, kongenial ab. Ich grüble jetzt schon darüber, ob mir jemals der Verzehr eines noch bessern Rochenflügels vergönnt sein wird?! Machen wir es kurz: das ist Zubereitung in Perfektion. Bravo!

Eine kleine Erfrischung vor dem Hauptgang streut der Service noch ein, als er ein mit Eigelb und Yuzusud begleitetes Mandarinensorbet auftischt. Das ist zwar ein eher schlicht gehaltener, aber erfrischender und gekonnt den Gaumen kitzelnder Einschub, der die Geschmackspapillen vor dem Hauptgang nochmals auf Touren bringt.

Beim Hauptgang sollte der hier sehr selten zu beobachtende Fall eintreten, dass die Begleitung besser als das Hauptprodukt gelingen sollte: die beigefarbene, ganz hervorragende Topinambur-Crème begleitet im Verbund mit eingeweckter Sommergurke und Ananas (wer außer Schnurr würde sich das sonst noch trauen?!) ein aromatisch zurückhaltend interpretiertes Stück vom Klosterschwein. Gerade angesichts des wunderbar erdigen Suds und weiterer Texturen von Aal hätte für meine Begriffe eine knalligere Zubereitung hier mehr Dividenden eingebracht: angesichts der aromatischen Wucht und des fettlastigen Charakters des Aals hätte sich das Fleisch bestimmt nicht zu dominant in den Vordergrund gedrängt, zumal eine leichte Sake-Marinade das ohnehin schon gehaltvolle Gericht noch intensiver macht. Ein verwunderlicher Fall von eher unangebrachter Zurückhaltung, doch zumindest hat das umgebende Bouquet voll eingeschlagen. Jedenfalls hätte das Wagyu-Striploin der Marmorierungsstufe A4 als Alternative im Hauptgang weitere € 44 pro Kopf auf den Rechnungsbetrag aufgesattelt.

Beim Pré-Dessert zieht die Küche wieder einige kreative Register: ein Salzkeks-Eis (!) mit Chartreuse-Crème, Toffee und einem säuerlichen Gelée, dessen Grundzutat ich leider nicht enträtseln konnte, machen aus diesem Einschub einen stimmig umgesetzten Einfall mit Mut zum Risiko. Geschmacklich ist das interessant und bleibt einige Zeit im Gedächtnis haften.

Beim Dessert setzt man auf ungewöhnliche Zutaten: „Foolish Apricot“ stellt die weiße Elfenbeinschokolade stärker in den Mittelpunkt als den Balm von getrockneten Aprikosen aus Tibet (haben wir hierzulande keine hochwertigen Aprikosen?!). Abgeschmeckt wird dieser Gang mit gerösteten Salzpistazien und Dill (!), was dem Gang zwar seine Gefälligkeit nimmt, aber in Summe nicht so gut wie schon manches andere Dessert hier gelingt. Das Spiel mit Texturen dominiert hier über den Geschmack, der zwar solide, aber nicht überragend gerät – dafür fehlt mir bei diesem Gang doch eine zündende Idee: die bloße Verwendung exotischer Produkte selbst macht noch kein überragendes Dessert aus.

Zum Ausklang gibt es den Klassiker „Boccia am Strand“ mit einer geeisten Schokopraline. Heuer ist sie mit Ingwer und Zitrusfrüchten gefüllt, während der essbare „Sand“ auf dem Badeschlappen aus Pekannuss hergestellt und mit Nori-Algen sowie Steinpilzen aromatisiert ist. Dennoch muss man festhalten, dass diese Idee inzwischen auch gut fünf Jahre alt ist und das Potential zur Provokation keinen Stammgast mehr vom Hocker reißen dürfte. Anders ausgedrückt: hier wäre es mal wieder an der Zeit für eine neue Idee, zumal diese den einzigen Ausklang darstellt – quasi Kontrastprogramm zur Opulenz des Einstiegs. Vielleicht könnte man die Idee mit dem Badeschlappen mal probehalber in Heinz Winklers erzklassischer Residenz in Aschau anwenden?! Da würde man dies mit Sicherheit noch als geschmacklose Provokation empfinden …

Sieht man einmal davon ab, dass gegen Ende die Spannung ein wenig nachließ, war dies doch mal wieder ein gelungener Abend mit unzähligen Höhepunkten und vollauf gelungenen Überraschungen. Insgesamt wirkte der diesmal an den Tag gelegte Stil etwas weniger überdreht als in vergangenen Tagen, doch all das, was diese Küche sonst so auszeichnet, war dennoch vorhanden: Mut zum Risiko, gewagte Kombinationen, Experimentierfreude und fast schon grelle Aromen. Dennoch nahmen wir wahr, dass die ganz großen optischen Knaller vergangener Tage (meist noch mit quietschbunten Unterlagen als Teller – ich erinnere mich an eine Platzdecke im Stile von Andy Warhols berühmter Marilyn-Monroe-Lithographie) heuer nicht mehr vorkamen. Dennoch strebt der Chef mit voller Energie immer das aus seiner Sicht bestmögliche geschmackliche Ergebnis an: ein Arbeiten mit zweitklassigen Produkten wird sowieso kategorisch abgelehnt, und das Ergebnis muss sich stets an der Unverwechselbarkeit – die oberste Maxime seiner Küche – messen lassen. Inzwischen scheint Schnurr die bevorzugten Techniken bei seinen Lieblingsprodukten ausgemacht zu haben: so kann man inzwischen einigermaßen sicher sein, Entenleber fast immer gefroren oder den besten Rochenflügel weit und breit zu bekommen.

Dass hier der dritte Michelin-Stern fraglos angestrebt wird und als Krönung einer langen Entwicklung verstanden werden könnte, steht für mich außer Frage. Allerdings sehe ich vor allem bei der doch etwas spartanischen Darbietung der Pâtisserie zum Ausklang noch gewisse Defizite. Wenn man zum Vergleich den Schlussakkord im Münchner Atelier oder im Bareiss zu Baiersbronn heranzieht, so muss man doch feststellen, dass hier noch ein mehr als signifikanter Abstand besteht. Bei der (allerdings nicht zurückhaltend bepreisten) Weinauswahl muss man sich hingegen keine Sorgen machen – schade nur, dass die Auswahl an heimischen Gewächsen aus Sachsen oder der Saale-Unstrut-Region immer noch sehr überschaubar ist. Da diese Regionen in westlichen Bundesländern eher selten auf der Karte stehen, würde ich gerade darin ein brachliegendes Potential sehen wollen. Die junge, Chucks tragende und schwarzgekleidete Servicetruppe verrichtet ihren Dienst ordentlich und kann kompetent auf Nachfragen antworten. Sehr persönlich ist der Service nicht unbedingt, aber zu beanstanden gibt es jedenfalls nichts.

Eine günstige Angelegenheit ist ein Besuch hier leider nicht, doch wer eine preiswerte und keineswegs zweitklassige Alternative in Leipzig sucht, dem sei bei dieser Gelegenheit der Stadtpfeiffer, den wir am nächsten Tag besuchten, dringend empfohlen – Rezension folgt. Jedenfalls komponiert Peter Maria Schnurr in seinen besten Momenten (und davon gibt es meist nicht wenige) mit seinem Team Gerichte, die ihm kein Zweiter nachmacht – und das hat nun mal seinen Preis. Genau aus diesem Grund erfreut sich das noble Etablissement ja nach wie vor einer großen Gästeklientel, die aufgeschlossen und neugierig genug erscheint, sich auf die gewagten Experimente der Küche einzulassen. Dabei werden sie weit seltener enttäuscht als beglückt. Wer schon immer das Besondere suchte, wird hier wohl kaum enttäuscht werden!

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

Falco
Gerberstraße 15
04105 Leipzig
Tel.: 0341/9882727
www.falco-leipzig.de

Guide Michelin 2021: **
Gault&Millau 2021: 19 Punkte
GUSTO 2022: 10 Pfannen
FEINSCHMECKER 2021: 4,5 F

5-gängiges Menü: € 221

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Februar 2018

Hoch über Leipzig, im 27. Stock des Westin Hotels, befindet sich das fraglos beste Restaurant der neuen Bundesländer (zwei Michelin-Sterne, 19 Gault&Millau-Punkte). Hier kocht mit Peter Maria Schnurr ein unkonventioneller und vor Energie strotzender Vertreter seiner Zunft, der mit seiner Kunst inzwischen Gäste von weit her anlockt. Wer in der asiatisch anmutenden Lobby den Express-Lift in den 27. Stock nimmt, betritt eine in dunklen Farben gehaltene, lounge-artige Räumlichkeit mit einem hervorragend bestückten, gläsernen Weinschrank als Raumteiler. Das rundum stimmige Ambiente imponiert, denn hier wird selbst der Gang zur wahrlich außergewöhnlichen Toilette ein Erlebnis! Die Trumpfkarte des Restaurants schlechthin ist und bleibt aber der Paradeblick durch die großen Panoramafenster über die nächtliche Altstadt bis zum Völkerschlachtdenkmal.

Alle diese Umstände rechtfertigen natürlich auch meinen inzwischen vierten Besuch dort bei klirrend kalten Temperaturen und eisigem Wind. Man geleitet mich zu dem Milchglastisch, der einerseits geschickt die Illusion eines Tischtuchs vermittelt, aber andererseits unangenehme Kratzgeräusche verursacht, wenn ein Glas oder ein Besteckteil versehentlich über den Tisch geschoben wird. Der zu Beginn (mit Ausnahme des Brottellers und der Serviette) vollkommen kahle und kreisrunde Tisch wird jedoch zügig mit einem Reigen an derart beeindruckenden Einstimmungen dekoriert, dass er meines Wissens in puncto Qualität so kein zweites Mal in Deutschland vorkommt – spontan drängt sich mir der Vergleich mit Simon Taxacher (Kirchberg in Tirol) auf, der mir als bisher einziger einen genauso kongenialen Einstieg auftischen ließ. Die zeitgleich servierten neun Einstimmungen offerieren eine atemberaubende Bandbreite an besten Produkten, die zudem hochgradig originell und aromenintensiv in Szene gesetzt werden. Diese alle aufzuzählen würde jede Gedächtnisleistung sprengen, weshalb hier nur die prägnantesten erwähnt seien: allen voran waren dies zwei bestens abgeschmeckte Hackfleischbällchen in asiatischem Gewand sowie die marinierte Hamachi auf einem krossen Chip. Ebenfalls herausragend eine Komposition von Blutorange zum Löffeln aus einem Hühnerei. Teil der Inszenierung ist auch, dass vier dieser Einstimmungen auf einem eigens angefertigten Nummernschild mit dem Aufdruck „Trust me“ präsentiert werden – einer Aufforderung, der ich gerne nachkomme! Nicht zu vergessen: die inzwischen schon klassischen Karottenbrotsticks – dazu reicht man eine mit Nashi-Birne und Jalapeno verfeinerte Crème fraiche als Dip. Keine Frage: hier will jemand von vornherein ein kulinarisches Signal setzen und imponieren – es gelingt auch vortrefflich. Dies gilt auch für den superben Aperitif, einem Cocktail aus Quitte, Holunder und Limette.

Auffällig ist die Reduzierung auf ein einziges siebengängiges Menü, während früher noch ein fünf- sowie ein siebengängiges Menü zur Auswahl standen. Angesichts des enormen Aufwands, den die Küche betreibt, ist diese Maßnahme trotz allem nachvollziehbar – und wenn sie der weiteren Perfektion dient, dann soll mir dies auch recht sein! Die Produktqualität leidet jedenfalls kein bisschen unter dieser Maßnahme, denn Schnurr gehört zu den kompromisslosesten Köchen in Deutschland, wenn es um die Güte seiner verwendeten Produkte geht. Insofern ist der Preis von € 199 für dieses Menü angemessen und berechtigt. Berücksichtigt man die Vielzahl an Einstimmungen sowie die diversen Extras zwischendurch, ist dies für das gebotene Niveau sogar noch ein sehr günstiger Preis. Die Nebenkosten sind dagegen spürbar, aber kaum als überzogen zu bezeichnen. Alles in allem natürlich kein ganz billiges Vergnügen, aber dass deutsche Spitzenklasse ihren Preis hat sollte nicht verwunderlich sein. Wer es klassischer liebt, findet direkt neben dem Gewandhaus mit dem Stadtpfeiffer übrigens eine weitere ansprechende Adresse in Leipzig.

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Zurück zum Falco: die Gerichte werden hier oft auf geradezu dadaistisch wirkende Weise angekündigt und sorgen bei der Lektüre der Menüfolge oft für gewisse Heiterkeitsanfälle oder zumindest einige Schmunzler beim Gast. So geht es los mit HONG KONG FOIE (gefrostete Entenleberspäne, drunken Sake Oyster : alter Mirin : duck tea : Lychee jam : daikon). Das auf einem rechteckigen, gläsernen und geriffelten Teller in grüner Farbe servierte Gericht gelingt vortrefflich. In einer Art Millefeuille werden die Komponenten von den gehobelten Entenleberspänen verdeckt und erhöhen so die Spannung, auf was da darunter noch kommen mag. Auster mit Entenleber (noch dazu in geeister Form) zu kombinieren ist ein Wagnis allererster Güte. Die sorgsam ausgelotete geschmackliche Balance durch die Beigabe der vielen Begleiter gelingt jedoch trefflich und macht schnell Lust auf mehr. Viel gewagt und alles gewonnen, kann man da nur sagen!

OZAKI KOBE STRIPLOIN (schwarzer Kombu Essig : Dörr Kirschen : Muschel Mayo : Grill Gurke : Nashi Dashi) ist eine fast wie ein kleiner kreisrunder Salat angerichtete, komplett kalte Vorspeise, deren aromatische Spannkraft kaum beschreibbare Dimensionen erreicht – ein traumhaftes, rasches Changieren zwischen leicht süßlichen und dann wieder herberen Elementen, das einen in den Bann zieht. Wie es Schnurr gelingt, alle diese Begleiter harmonisch miteinander zu verflechten, ist ganz große Kunst, die sich kaum in Worte fassen lässt.

BONDAGE (Kalbszunge : Langoustine stark geröstet : Lauchmark : Mandarine : Shisoblatt grün : Wasabi Ganache) ist ein weniger kontrovers geratenes Gericht, das die beiden Hauptdarsteller stärker in den Mittelpunkt stellt als bei den Vorgängern. Die recht süßlichen Begleiter erfahren einen genialen Kontrapunkt durch die Wasabi-Ganache, die federnd leicht aromatische Akzente setzt und das Ganze zusammenhält. Die herausragende Produktqualität und die makellose Zubereitung blieben mir noch lange im Gedächtnis haften.

Höhepunkt des Abends wurde meiner Meinung nach jedoch ATLANTIK ROCHENFLÜGEL gegrillt (Knollensellerie nach Hurenart (sic!) : grünes Oliven Pistou : heiße Zitrone) klingt nicht nur ungewohnt puristisch für Schnurr’sche Verhältnisse, sondern ist es auch tatsächlich. Der Sellerie toppt den wunderbar saftigen Rochenflügel in allen nur denkbaren Texturen und offeriert ein scheinbar grenzenloses aromatisches Spektrum, während das nur spärlich eingesetzte Pistou den zarten Geschmack nicht kaschiert. Genialer Höhepunkt des Gerichts ist jedoch die Zitronensauce, die sich so himmlisch leicht und souverän an das Hauptprodukt anschmiegt, dass diese Kreation in himmlische Sphären vorzudringen scheint. Umwerfend gut!

Geschmolzener Schweinebauch (gehackter blauer Hummer : Weißkohl à la Escoffier : besoffene Rosinen) ist ein Wagnis erster Güte: derart Deftiges mit Hummer zu kombinieren dürfte auch nicht vielen Köchen einfallen – Schnurr jedoch probiert es eben einfach! Die Güte der verwendeten Grundprodukte ist so makellos, dass das vergleichsweise schlicht drapierte Gericht seine Wirkung dennoch nicht verfehlt. Die Liaison von Fleisch und Krustentier gelingt absolut trefflich!

Vor dem Hauptgericht wird das Aromengewitter durch eine kurze, wohltuende Erfrischung unterbrochen: ein mit (der derzeit wohl unvermeidlichen) Salatgurke aromatisierter Ayran wird getoppt von einem Mango-Ananas-Eis. Das kann doch nicht schmecken?! Doch, bei Schnurr schon …

Eine wunderbare und überraschend große Tranche saftiger CHALLANS ENTE mit Harissa Stängelrübe, gebrannter Victoria-Ananas, grünem Samt und Périgord-Trüffel gewinnt vor allem durch eine kongeniale Würzmischung aus nicht weniger als 25 Gewürzen an geschmacklicher Kontur. Das süß-saure und leicht asiatisch wirkende aromatische Umfeld gerät hinreissend und sorgt für eine enorme und lang anhaltende Endorphin-Ausschüttung.

Als Pré-Dessert gibt es ein Champagnersorbet, das mit Noten von Cassis und Wacholder umspielt wird. Sehr schön!

DRACULA (Rote Rübe : Goldsaft : Tasmanischer Pfeffer : Brombeere : Ayran) ist ein erstaunlich herbes Gericht, das seinen Reiz aus der dominierenden rote Farbe bezieht – gut, der Titel des Gerichts ließ ja auch nicht wirklich etwas anderes erwarten! Der erst am Tisch aufgegossene Goldsaft (eine Mischung aus den verwendeten Komponenten, wie mir eine Servicekraft auf Nachfrage erklärt) toppt ein Gericht, das vor allem die Bete und die Himbeere in diversen Texturen auf einem halbtransparenten Teller zur Schau stellt. Vielleicht nicht der Höhepunkt des Abends, aber doch eine Komposition mit angenehm sparsam dosierter Süße.

Der traditionelle Ausklang „Boccia im Strand“ wird auf einem Badeschlappen (!) serviert, auf dem sich falscher Sand (vermutlich ein leicht eingedicktes Pulver aus Zucker und Zimt) und zwei Kugeln befinden. Diese Schokoladenkugeln waren mit Pekannuss und Steinpilz (!) aromatisiert, doch leider verfehlte dieser Ausklang seine Wirkung ein wenig aufgrund der zu tiefgefrorenen Kugeln, die unangenehm kalt im Mund gerieten und nicht kälter hätten sein dürfen. Schade!

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Maitre Hannes Fischer und Sommelier Christian Wilhem delegieren eine flink, aber nie aufdringlich wirkende Servicetruppe, die (bis auf den Sommelier) komplett in Schwarz gekleidet ist. Die Menüfolge wird zügig, aber ohne Hast abgewickelt – Zeit für einen kleinen Plausch und die Nachfrage nach jedem Gang, wie es zugesagt hat, bleibt da immer noch genug. Überhaupt ist die angenehm legere Atmosphäre (zu der auch die sehr bequemen Drehsessel ihren Teil beitragen) ein weiteres Markenzeichen dieses Etablissements. Steifheit und weihevolle Würde sind diesem Restaurant so fremd wie nur irgend denkbar. Sommelier Christian Wilhelm herrscht nicht nur über einen umfangreichen Weinfundus mit etlichen Pretiosen, sondern bemüht sich auch durchaus um eine Steigerung des Ansehens ostdeutscher Weine (zumal die Weinbauregion Saale-Unstrut ja nicht so weit entfernt ist). Wer allerdings nach hochpreisigen Klassikern verlangt wird ebenfalls nicht enttäuscht werden.

Peter Maria Schnurr steht zusammen mit Joachim Wissler („Vendome“ in Bergisch Gladbach) und Christian Grünwald („August“ in Augsburg) an der absoluten Spitze der Avantgarde in Deutschland. Knallige Aromen, abgefahrene Produktkonstellationen und plakative Inszenierungen sind unverwechselbare Bestandteile seiner Kochkunst, die inzwischen nahe an der Perfektion angelangt ist. Hier werden mühelos scheinbar völlig disparitätische Produkte kombiniert, die so überzeugend dem Gaumen schmeicheln, dass man meinen könnte, dies wäre völlig selbstverständlich. Wer hier speist, sollte schon ein gewisses Maß an Toleranz mitbringen (man denke nur an den Badeschlappen …) und dem Chef vertrauen (siehe das eigens angefertigte „Nummernschild“ mit dem Aufdruck „Trust me“). Wer all dies mitbringt, hat jedoch beste Voraussetzungen, um einen absolut ungewöhnlichen Abend auf Spitzenniveau zu erleben. Wenn der Chef – wie an diesem Abend – seine Topform abruft, zähle ich sein Restaurant inzwischen zur erweiterten Weltspitze. So gilt für 2019 auch wieder, was im Prinzip schon für all die Jahre zuvor galt: das Falco (das seinen Namen übrigens nicht dem schrillen österreichischen Pop-Künstler, sondern dem im Frühjahr dort oben nistenden Falkenpaar verdankt) ist auch diesmal wieder einer der heißesten Anwärter für den dritten Michelin-Stern. Die 19 Punkte im Gault&Millau bedeuten ja in der Sprache des Guides ohnehin schon eine Wertschätzung „für die weltbesten Restaurants“. Ein Besuch hier ist stets fordernd, spannend und meist auch absolut beglückend – ich komme ganz bestimmt wieder!

Dass es Schnurr auch keineswegs an Selbstbewusstsein mangelt, macht auch ein Gang durch die Stadt deutlich. Selten habe ich ein offensiver beworbenes Restaurant erlebt, zumal der Chef nicht selten auf überdimensionalen Werbeplakaten mit seinem eigenen Konterfei darauf prangt. Soll heißen: vielleicht lässt sich hier tatsächlich der eine oder andere Neuling der Szene unbedarft auf die Werbung ein und erlebt gleich einen Wahnsinnsabend, zumal sich der Chef (in roten Hosen und Turnschuhen!) ganz am Ende des Abends auch am Tisch blicken ließ und sich die Zeit für ein kurzes Gespräch nahm. Fazit: alles außer gewöhnlich und alles außergewöhnlich zugleich!