Sonntag, 26. November 2023
„Kaiser trifft King“ – allein der amüsante Klang dieser Konstellation hatte schon mein Interesse geweckt, aber die zu erwartende Einmaligkeit dieses annoncierten Four-Hands-Dinners hatte natürlich noch verlockender auf mich gewirkt.
Joachim Kaiser, von allen seinen Kollegen und der Mehrzahl seiner Gäste durchweg nur als „Jockl“ bezeichnet, betreibt inzwischen seit knapp vier Jahrzehnten das Sternerestaurant Meyers Keller in Nördlingen. Nicht zuletzt dank seines ikonischen Rieser-Culatello-Schinkens und des angeschlossenen Zweitrestaurants, in dem gehobene Wirtshausklassiker serviert werden, verbucht der großgewachsene Chef anhaltenden Erfolg – und das in einer Ecke, die zumindest innerhalb Bayerns zu den in kulinarischer Hinsicht eher weniger attraktiven gezählt werden muss. Das in der Region praktisch konkurrenzlose Lokal erfreut sich somit durchaus einer vollauf verdienten Bekanntheit, aus welcher der umtriebige Chef zum Wohle seiner Gäste inzwischen noch mehr Kapital schlägt. So wurde während des Lockdowns der Ausbau einer an den Gasthof angeschlossenen Eventscheune namens Malzboden weiter forciert, welche die Bühne für außergewöhnliche Events (und davon gibt es hier etliche in schöner Regelmäßigkeit) bietet. In Kollegenkreisen bestens vernetzt, gelang es ihm in den letzten zwei Jahren wiederholt, etliche namhafte Chefs für ein Four-Hands-Cooking ins Ries zu locken: so klangvolle und prominente Namen wie Nils Henkel, Bobby Bräuer oder der des in Nördlingen geborenen, aber in der Schweiz höchst erfolgreich arbeitenden Chefs Rolf Fliegauf erwartet man in dieser Region nicht wirklich.
Der jüngste Coup des Gastronomen war besonders verlockend, da der nächste angekündigte Gastkoch Johannes King seit einigen Jahren kein eigenes Restaurant mehr bekocht. Der ehemalige Zwei-Sterne-Chef des stattlichen Söl’ring Hof an der Rantumer Düne auf Sylt (ich berichtete jüngst) überließ vor einigen Jahren seinem Souschef Jan-Philipp Berner die komplette Bühne und suchte sich eine neue Herausforderung auf der Insel. Herausgekommen ist dabei unter anderem ein reizender kleiner Genuss-Shop in auffälliger Lage am Ortsrand von Keitum, in welchem er hausgemachte Produkte seiner Manufaktur vertreibt und auch seinen Gästen in einer Art Bistro zum Verzehr vor Ort anbietet. Seine zweite Passion gilt dem Portwein: er vertreibt nicht nur entsprechende von ihm zusammengestellte Pakete, sondern bietet auch regelmäßig Seminare zu diesem Thema auf Sylt an. Sein profundes Wissen hat ihm jedoch auch etliche Anfragen vom Festland eingebracht, weshalb er beispielsweise noch zwei Tage vor dem Event im Ries in Leverkusen weilte. Inzwischen hat der gebürtige Schwarzwälder das sechste Jahrzehnt seines Lebens vollendet, doch von Müdigkeit oder Verschleißerscheinungen gibt es keinerlei Spur – davon hatten wir uns schon persönlich bei einer Stippvisite in seinem Laden im Februar überzeugen können. Bei einem erneuten Besuch vor wenigen Wochen zum Ende der Sommerferien hin versicherte ich dem Chef bereits, dass wir uns Ende November wiedersehen würden und meine Freude darüber schon spürbar angewachsen war …
Ich gebe zu, dass mich Four-Hands-Cooking-Events im Allgemeinen nicht so reizen – zum einen weil die aufgerufenen Preise nicht zuletzt dank häufig inkludierter, aber für mich persönlich meist nutzloser Weinbegleitung empfindlich hoch geraten, und zum anderen weil ich die Mehrzahl der zu solchen Events eingeladenen Chefs schon am heimischen Herd erleben durfte, wo sie nun einmal die stärkste Performance abliefern können. In solchen Fällen sind die Routinen eingespielt und die Handgriffe sitzen, während die Arbeit in einer noch so gut ausgestatteten, aber letztlich immer fremden Küche stets ein kleines Restrisiko beinhaltet. Anders verhielt es sich freilich bei diesem Event, denn einen nicht mehr aktiven Chef erleben zu dürfen stellt schon etwas Besonderes dar. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass Johannes King zu Zeiten des Söl’ring Hof einmal pro Jahr an dem illustren Event mit dem ungewöhnlichen Namen Martin Luther King teilnahm, welches Gourmets aus allen Winkeln Norddeutschlands und darüber hinaus anlockte: damals taten sich Johannes King, Dirk Luther (Restaurant Dirk Luther im Alten Meierhof Glücksburg) und Thomas Martin (Jacobs Restaurant, Hamburg) immer zusammen und kreierten gar ein vielbeachtetes Six-Hands-Cooking. Die Zufälligkeit der Nachnamen bei den drei Chefs verlieh dem Event den Namen, doch leider gehört dieses – wie mir Johannes King erzählt – der glorreichen Vergangenheit an. Sehr schade! Umso wichtiger erschien es mir, Johannes King noch einmal am Herd selbst erleben zu dürfen!
Dass die beiden Chefs bereits eine jahrzehntelange Freundschaft verbindet, merkt man ihnen an diesem Abend, bei dem die Chemie absolut stimmt, schnell an. Umso skurriler erscheint es, dass das Nördlinger Sternerestaurant bis zu diesem Event eine der wenigen Spitzenadressen in Deutschland darstellte, die Johannes King noch nie besucht hatte! Offenbar war schon vor drei Jahren mal eine weit fortgeschrittene Zusammenarbeit geplant gewesen, aber dann funkte die leidige Pandemie dazwischen, so dass das anberaumte Projekt abermals auf die lange Bank geschoben werden musste. Nun endlich, an diesem Totensonntag im Jahre 2023 – ein ungewöhnlicher Termin! – hatte es also endlich geklappt. Joachim Kaiser hatte die Werbetrommel entsprechend gerührt und keine Mühe gehabt, alle Tickets für diese Veranstaltung an den Mann zu bringen – wobei wir hier wohlgemerkt von der stattlichen Zahl von fast 80 Gästen sprechen!
Schon ganz zu Beginn hätte der Abend nicht besser eingeläutet werden können: wegen der diffusen Wetterlage mit Schneeschauern plane ich für die Anreise ein Zeitpolster ein, welches sich letztlich als überflüssig erweisen sollte. Aus diesem Grund treffe ich etwa eine halbe Stunde vor dem Termin ein und warte daher an der Glastür zum Veranstaltungsraum, weil es mir scheint, dass vom Service noch letzte Vorbereitungen getroffen werden. Ich täusche mich jedoch, denn als mich Johannes King erspäht, sputet er zur Tür, hält sie mir auf und gibt mir einen Handschlag, der zu den drei kräftigsten aller Zeiten gezählt werden muss – was für eine Pranke! Kaum angekommen, bin ich schon wenige Momente später mitten im Gespräch mit dem Gastkoch vertieft und nutze die wenige Zeit, die mir als erstem Gast zur Verfügung steht, für weidliche Konversationen aus. Es dauert nicht lange, bis weitere Gäste eintrudeln und die ersten Autogrammwünsche äußern – trotz eines für Johannes King nicht gerade stressfreien Abends bleiben mir immer noch genügend Momente im Laufe der nächsten Stunden, um zwischen den Gängen eine Antwort auf die drängendsten meiner Fragen zu erhalten. Natürlich ist auch der Patron des Hauses nicht weit weg, dem ich ebenfalls einen gelungenen Abend wünsche. Trotz zahlreicher Besuche in diesem Lokal ist der Malzboden auch für mich eine Premiere. Zwei Fotos aus der Pressemappe der hauseigenen Homepage (frei verfügbar!) fangen die rustikale und doch einladende Stimmung der Location ein, deren Herzstück die offene Schauküche ist.
Insgesamt werden an diesem Abend sieben Gänge samt abgestimmter Getränkebegleitung serviert werden – zum Hauptgang wird dies ungewöhnlicherweise ein von Johannes King ausgesuchter Portwein sein, doch dazu später mehr. Aus meiner Sicht mutet es ungewöhnlich an, dass das Gesamtpaket zum Preis von € 225 angeboten wird – ein erstaunlich kulanter Betrag, wenn man bedenkt, dass andernorts für solche Events je nach Gastgeber und Renommée des Gastkochs locker mal bis zu € 500 pro Person fällig werden. Sollte der Abend also nicht auf ganzer Linie enttäuschen (wofür es selbstredend keinerlei Anzeichen gab), dann konnte man schon vor vornherein von einem Event der Extraklasse ausgehen.
Immer wieder habe ich bei den Fotos etwas mit der spärlichen Beleuchtung zu kämpfen, aber es sollte letztlich funktioniert haben. So suche ich beispielsweise für das erste Amuse, das noch im Stehen vom Service auf die Hand gereicht wird, ein ausreichend helles Plätzchen, um rohes Wagyu (der höchsten Marmorierungsstufe A5) auf geliertem Beef-Tea und Rindermark mit Schnittlauch und Rösti in Szene zu setzen. Dieser Auftakt ist schwerlich kompliziert, aber dank herzhafter Aromatik und klarer Strukturen dennoch effektvoll. Bereits am Tisch folgt dann ein deutlich experimentelleres Amuse in Form von frittiertem Chicorée mit Texturen von Passionsfrucht und Orange sowie einer Crème fraîche, Milchhaut und Spaghetti-Kürbis. Der rote Faden fehlte mir ein wenig bei diesem Beitrag, doch steht er symbolisch für die seit einiger Zeit hier von Jockl Kaiser an den Tag gelegte Experimentierfreude – manches gelingt besser, anderes noch nicht so sehr. Es sollte jedoch der avantgardistischste und am wenigsten schlüssige Beitrag des Abends in dieser tendenziell eher konservativen Menüfolge bleiben, also Schwamm drüber! Abgerundet wird die Ouverture noch mit der Brotauswahl und einer stattlichen Portion des berühmten Rieser Culatello mit Olivenöl und hausgemachten Grissini (beide nicht im Bild).
Nachdem der etwas wuselige Auftakt abgewickelt ist und jeder Gast endgültig seinen Platz eingenommen hat, positionieren sich die beiden Chefs auf der Treppe zur Schauküche, begrüßen das Publikum nochmals, unterhalten es mit ein paar kleinen Anekdoten und erläutern dann nochmals die Ideen und die Stilistik hinter dem Menü des Abends. Die einzelnen Gänge werden immer in abwechselnder Reihenfolge vom Gastkoch und dann dem hiesigen Chef kreiert, dürfen aber durchaus jeweils als eine Art Tandem verstanden werden, weil ihnen meistens ähnliche Ideen zugrunde liegen – nur eben mit dem Unterschied, dass Johannes Kings Fokus naturgemäß eher auf Produkten aus dem Nordseeumfeld liegt, während Jockl Kaiser eher süddeutsche Viktualien verwendet.
Den Auftakt macht eine Kreation des Gastkochs: gepickelter Gemüsesalat mit geeistem Meerrettich-Schnee erweist sich als ein enorm vielschichtiges und recht komplexes Geflecht, bleibt aber durch den eng gesteckten thematischen Rahmen trotzdem wunderbar transparent und mausert sich zu einem verblüffenden Spiel um verschiedene Texturen und Intensitäten: die herbe Aromatik rund um gepickelte Rüben, frittierter Knollenziest, Kerbelknolle, Petersilienwurzel und gelbe Bete komplettieren erdiger Topinambur und Totentrompeten. Dank unterschiedlicher Zubereitungen wie Blanchieren oder Marinieren tritt keinerlei Vorhersehbarkeit oder Langeweile ein. Mit diesem kurzweiligen Teller von großer Spannung zeigt Johannes King auf, dass er weiterhin topaktuell bleibt und virtuos ein vegetarisches Gericht am Puls der Zeit ersinnen kann.
Jockl Kaiser seinerseits „beantwortet“ dieses Entrée mit Terrine von der Gänseleber in überragender Qualität mit dezenter Ummantelung von Asche. Diese begleitet er nur mit Mais und Birne in diversen Varianten: so wird der Mais als Popcorn, Schaum sowie in kurz gegarter und danach geflämmter Form interpretiert. Birne der Sorte „Gräfin von Paris“, die Kaiser von einem Produzenten aus dem Ries bezieht, steuert animierende Säure und leichte Süße in Form von Chip und Kompott bei, so dass angesichts der begleitenden Produkte der Eindruck eines leicht rustikalen und dennoch eleganten Tellers bleibt. Dank der optimalen Temperierung der Leber bleibt der Fokus auf der Innerei, während die recht lakonische Begleitung wohldosierte Akzente setzt, die nie vordergründig geraten und somit überzeugend gelingen. Popcorn mag zudem ein seltener Begleiter für Innereien sein, doch im Inter Scaldes auf Zeeland war mir dies vor fünf Jahren auch schon untergekommen – wo es übrigens prächtig funktionierte.
Clever konzipiert ist auch der zweite Teller von Johannes King, der im Grunde genommen darauf abzielt, die Vielseitigkeit grüner Begleitung im Zusammenspiel mit einem exzellenten Hauptprodukt ins beste Licht zu rücken. Man nehme also einen wunderbaren Kabeljau und bereite ihn abseits der Routine zu, indem man ihn nur knapp zwei Minuten gart, so dass er außen lauwarm auftritt und innen noch glasig erscheint. Sodann bette man ihn auf einer Brandade und paare ihn danach mit kraftvollen Kräutern und Kresse, deren Öl auch den markigen Rauchsud ganz unten veredelt. Ich verlasse meinen Platz zwar relativ oft an diesem Abend, aber wegen der hektischen Betriebsamkeit in der Küche konnte ich die genaue Zusammensetzung des grünen Arrangements leider nicht in Erfahrung bringen. Jedenfalls stand unterm Strich ein Fisch, dessen Vorzüge bestens zum Tragen kamen, obwohl eine weniger sorgsame Balance durchaus dazu hätte führen können, dass die prominente Begleitung aus herben Kräutern, die typisch norddeutschen Geschmack durchblicken ließ, den Heilbutt erschlagen hätte. So aber bewies der Gastkoch mit diesem erneut schlüssigen und recht puristischen Gang, dass der Konzeption eine längere Phase der geistigen Durchdringung vorausgegangen war, die nun Früchte trug. Weniger erfahrenen Essern mag das praktisch vollständige Fehlen jedweder Süße in den Gerichten Kings gewöhnungsbedürftig erscheinen, was aber an ihrer inhärenten Qualität nichts ändert.
Dann ist wieder Jockl Kaiser an der Reihe: sein Wild-Zander ist zwei Minuten bei 240° in Butter mit Thymian gegart und dann knusprig auf der Haut gegrillt – die Konsistenz rechtfertigt dieses Vorgehen jedenfalls voll und ganz. Gepaart wird er mit falschem Tofu aus weißer Schokolade mit einer leichten Safrannote, eingelegtem Knollenziest (ein seltener Gast auf Speisekarten, aber ein Lieblingsprodukt von Boris Rommel aus dem Le Cerf), Topinambur und Artischocke in Texturen. Eine mit etwas Agar-Agar gebundene Pilzreduktion verbindet mit ihren erdigen Aromen dieses ausgesprochen transparent gestaltete Gericht auf schlüssige Weise. Angesichts der knackigen und recht bitteren Begleiter alles andere als ein gefälliger Beitrag, aber andererseits eine Idee, deren Wirkung noch länger nachhallt.
Die Schlemmerschnitte ist ein langjähriger Klassiker aus der Küche von Johannes King und natürlich ein gern gesehener Gast bei diesem Event. Die satte Tranche des hinreißened weichen und tiefrot gebratenen Fleischs vom Reh (welche Konsistenz!) ruht auf einer Selleriecrème mit verlockend intensiver Trüffeljus, während obenauf noch ein überdimensionaler, mit etwas Pilzcrème bestrichener und Alba-Trüffeln belegter Brotchip das luxuriöse Vergnügen abrundet. Die aromensatte Erdigkeit dieses Gangs in Verbindung mit der mineralischen Frische des Wilds erinnert eher an einen spätherbstlichen als winterlichen Gang, doch angesichts der Tatsache, dass solche Menüfolgen ja Wochen im Voraus abgestimmt werden müssen, höre ich mich nicht meckern …
Als Begleitung für diesen Gang war ungewöhnlicherweise ein Portwein vorgesehen, nämlich Warre’s Late Bottled Vintage Port 2009 aus der Kollektion von Johannes King, die er eigens zu diesem Event mitbrachte. Weil ich mich bis unmittelbar vorm Auftragen bei der Schauküche aufhielt, hatte der Service den anderen Gästen mittlerweile schon eingeschenkt – außerdem hatte ich ja signalisiert, auf die alkoholische Begleitung zu verzichten. In diesem speziellen Fall wollte ich aber im Hinblick auf das profunde Wissen des Gastkochs auf diesem Gebiet eine Ausnahme machen und über meinen Schatten springen. Ich begab mich also zum Ausschank an der Bar, wo Johannes King ohnehin gerade zufällig verweilte. Die letzte verbliebene Flasche wurde mir zuliebe noch geöffnet, doch dass ausgerechnet diese Bouteille korkte, war für den Gastkoch ein indiskutabler Umstand. Als Konsequenz bekam ich stattdessen den exzellenten und wesentlich kostspieligeren Quinta do Naval 1991 Vintage Port eingeschenkt – noch dazu in einem Spezialglas aus einer Manufaktur in Berlin, die laut dem Connoisseur die besten Portweingläser überhaupt fabriziert. Ein großartiges geschmackliches Erlebnis!
Schön mürber Schulterbug von der schwäbischen Färse auf Kartoffelstampf stellte Jockl Kaisers letzten, eher rustikalen Beitrag an diesem Abend dar: die begleitende geschmorte Tropea-Zwiebel von glasiger Knackigkeit stellte zusammen mit wildem Brokkoli einen denkbar günstigen Kontrast dar, welcher mit eingelegten Vogelbeeren noch überraschend ausgebaut wurde. Lediglich die etwas dünne Jus geriet ein wenig nichtssagend, doch dieses kleine Menetekel war absolut zu verschmerzen – zum einen, weil der Gang ohne die Jus vollständig gelungen wäre und zum anderen weil in so einer Ausnahmesituation notfalls auch mal etwas schiefgehen darf.
Mit dem Dessert betreibt Johannes King – wer will es ihm verdenken? – nochmals Werbung in eigener Sache: die Sylter Heckenrose ist eine invasive Art auf Sylt, doch diverse Chefs erkennen ihr geschmackliches Potential und stellen daraus unverwechselbare Produkte her. So ist beispielsweise der Rosenaufstrich aus Johannes Kings Manufaktur ein Dauerbrenner, der auch in diesem Gericht zum Einsatz kommt: Sauerrahmeis kombiniert die Küche nicht nur mit dem Aufstrich, sondern auch mit Rosengranité, weißer Schokocrème und Mangostreuseln. Dieser eher sommerliche Ausklang besticht mit der dezenten, unverwechselbaren Süße des Hauptprodukts und verhindert durch die verschiedenen Konsistenzen eine allzu große Vorhersehbarkeit. Insgesamt ist dieses Dessert eher klassisch mit einem gewissen Twist gehalten und punktet durch die individuelle Aromatik, die eine süße Hommage an die Insel darstellt. Wunderbar!
Da zwei verschiedene Chefs zu diesem Menü beigetragen haben, möchte ich auf die Vergabe einer Punktzahl verzichten, zumal es diese Parade in dieser Form nicht wieder geben wird. Die ausgelassene Atmosphäre und das große Interesse der Gäste an der Entstehung der Gerichte beweist jedoch, dass der Abend ein voller Erfolg war und bestens ankam.
Dazu trug in erster Linie natürlich der Gastkoch Johannes King bei, der mit seiner leicht spitzbübisch anmutenden und vollkommen geerdeten Art das Publikum bestens unterhielt, aber natürlich auch kochtechnisch den Beweis antrat, dass er seit seinem Abschied aus Rantum überhaupt nichts verlernt hatte. Die Bereitwilligkeit, mit der er Auskünfte zu den Gerichten erteilte und Autogramm- sowie Fotowünsche erfüllte, machte aus ihm einen absolut nahbaren Gast, der mit seinem ansteckenden Elan alle Anwesenden rasch für sich gewann. Dass seine Handschrift nach wie vor bewusst auf die Produkte und die Aromatik Sylts setzt, verstärkte den schönen Dialog zwischen nord- und süddeutsch anmutenden Tellern ganz erheblich.
Gastgeber Jocahim Kaiser trug mit seiner emsigen Servicetruppe, an deren Spitze seine Frau Evelin stand, natürlich ganz erheblich zum Gelingen des Abends bei. Dem sichtlich gut gelaunten und zurecht stolzen Chef war das Vergnügen, Johannes King in Nördlingen begrüßen zu dürfen, anzusehen: es wirkte so harmonisch als hätten die beiden schon über Monate oder Jahre hinweg zusammengearbeitet. Dass dieses bedeutende Event dann noch zu einem so moderaten Preis offeriert werden konnte, machte die Veranstaltung nur noch attraktiver. Eins ist sicher: Johannes King hat sein Kommen definitiv nicht bereut!
Überhaupt fiel auf, mit welchem Elan und welcher Seriosität diese Sonderveranstaltungen hier geplant und durchgeführt werden, doch am großen Abend selbst wirkt die Atmosphäre so gelöst wie selten in einer Spitzenküche. Allen Beteiligten im Service wie in der Küche gleichermaßen war trotz der harten Arbeit die Freude, ein Teil dieses Abends sein zu dürfen, anzusehen. Das verspricht für weitere Events dieser Art in Zukunft noch einiges, so dass sich ein regelmäßiger Blick in den Veranstaltungskalender von Meyers Keller mit Sicherheit lohnt. Jedenfalls ist es schwer vorstellbar, dass es das letzte Event dieser Art war, das ich hier besucht habe …
Ach ja: krönender Abschluss des Abends war natürlich der im Bild festgehaltene Beweis, dass ich an dieser außergewöhnlichen Soirée hatte teilnehmen dürfen. Möge dieses Foto meine schönen Erinnerungen an diesen wunderbaren Abend noch lange nähren, denn „Kaiser trifft King“ wurde zu einem wahrhaft königlichen Vergnügen!