Frédéric Chopin (1810 – 1849): Klaviersonate Nr. 2 b-Moll („Marche funèbre“) op. 35 (Standardrepertoire)

Chopins 2. Klaviersonate mit dem berühmten Trauermarsch ist eine der Schöpfungen, die laut Robert Schumann „vier seiner tollsten Kinder“ vereint. Tatsächlich ist die Tonsprache sehr modern und die Grundstimmung ausgesprochen düster. Getoppt wird die alles natürlich von dem visionären und zukunftsweisenden Finale, das heute kaum weniger verstört als vor 150 Jahren. Das Fehlen einer echten Melodie sowie das Unisono-Gemurmel im pianissimo erinnert eher an einen kalten Winterwind, der über einen Friedhof pfeift! Bekannt wurde die Sonate aber natürlich vor allem durch den berühmten Trauermarsch, der heutzutage auf zahlreichen Beerdigungen erklingt.

Der abgründige Charakter des Werkes hat über die Jahrzehnte hinweg die Phantasie ganzer Generationen von Pianisten immer wieder aufs Neue beflügelt. Diese Sonate lässt viele verschiedene interpretatorische Ansätze zu – eine absolute Empfehlung abzusprechen fällt daher nicht leicht. Ich habe mich daher entschieden, stattdessen eine breite Palette an Aufnahmen zu empfehlen, die verschiedene Ansätze verfolgen und auch aus recht unterschiedlichen Zeiten stammen.

Artur Rubinsteins Aufnahme befindet sich in der Box, die in der Übersicht zu Chopin erwähnt wurde. Sie ist mit Sicherheit eine der allerbesten Einspielungen und auch in Rubinsteins eigener Diskographie ein herausragendes Ereignis.

Machen wir weiter mit Sergej Rachmaninoffs Aufnahme: dieser Jahrhundertpianist, der nicht wenigen als bester Pianist aller Zeiten gilt, spielte erstaunlich nüchtern, wenn man den erzromantischen Charakter seiner eigenen Kompositionen bedenkt. Seine Deutung von Chopins 2. Sonate ist recht transparent, aber dafür forsch und düster gehalten – mit Sicherheit ein gewichtiger Diskussionsbeitrag.

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Einen ungestümen Ansatz verfolgt die heißblütige argentinische Pianistin Martha Argerich, der das Werk wie auf den Leib geschneidert zu sein scheint. Mit der für sie so typischen unbändigen Energie und ungeheuren Wucht stürzt sie sich auf das Werk und schafft eine Atmosphäre, die zum Zerreißen gespannt ist. Fehlerfreies Spiel und Subtilität sehen anders aus, aber ignorieren kann man diese sehr spontan wirkende Deutung sicherlich nicht.

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Einen hochgradig individuellen Ansatz verfolgt (wie immer) Mikhail Pletnev. Der langjährige Duo-Partner von Martha Argerich überzeugt vor allem im ersten Satz. Das Finale nimmt er hingegen ungewohnt langsam und verwischt die Konturen mit dem Pedal in erheblich stärkerem Maße als gewohnt. Ein verstörender, aber auch kontroverser Beitrag der besseren Sorte.

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Einen der lyrischeren Ansätze verfolgt ein anderer Duo-Partner von Martha Argerich: Nelson Freire. Mit fast ungewohnter Zurückhaltung kommen die kantablen Passagen unter den Händen Freires besonders gut zum Tragen. Dies ist eine Deutung, die weniger stürmisch, sondern eher tragisch daher kommt.

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Schließlich sei noch auf die Aufnahme von Grigory Sokolov verwiesen, die leider unter dem etwas metallischen Klang des Flügels in einer Live-Aufnahme leidet. Interpretatorisch gesehen überzeugt Sokolov jedoch mit einer der am homogensten geratenen Einspielungen überhaupt. Während andere Pianisten häufig den jeweiligen Charakter des Satzes etwas isolieren, wirkt die Sonate bei Sokolov als ein einheitliches Ganzes – eine beklemmende Deutung.

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