Frédéric Chopin (1810 – 1849): Klaviersonate Nr. 3 h-Moll op. 58 (Standardrepertoire)

Chopins 3. Sonate ist einer der größten Beiträge zu dieser Werkgattung im 19. Jahrhundert. Der persönliche Stil des Komponisten war hier zu voller Blüte und Schaffenskraft gelangt. Der groß dimensionierte Kopfsatz mit seinem rastlosen Schwanken zwischen Pathos und Introvertiertheit wird von einem atemlos dahinhuschenden Scherzo von aphoristischer Kürze abgelöst. Im langsamen Satz ersinnt Chopin einen der schönsten Gesänge, den man sich nur vorstellen kann, während das düstere, auf beklemmende Weise gärende Finale sich allmählich Bahn bricht und in eine leuchtende Klimax in strahlendem H-Dur mündet. Chopin tat sich wie fast alle anderen frühen Romantiker mit großen tradierten Gattungen der Klassik und deren rigider Formstrenge schwer. Allen Widrigkeiten zum Trotz komponierte er hier ein Werk mit glitzernden Kaskaden, kantablen Melodien, düsteren Eingebungen und flüchtigen Impressionen – fast so, als wollte er die gesamte Geschichte Polens in einem halbstündigen Werk festhalten.

Trotz all der großen Interpretationen von Rubinstein, Argerich, Lipatti und vielen anderen möchte ich eine Aufnahme empfehlen, der die ganz große Aufmerksamkeit bislang vollkommen unverdient verwehrt geblieben ist. Emil Gilels nähert sich in seiner Interpretation dem Kopfsatz mit ungewohnt leisen und nachdenklichen Tönen; auch das Tempo gerät um einiges entspannter als man es bei vielen seiner Kollegen gewohnt ist. Selten wurde jedenfalls der Tempozusatz „maestoso“ ernster und wörtlicher als bei Gilels genommen. Überhaupt dreht Gilels nirgends an der Temposchraube und verzichtet auf gar zu oberflächliches Virtuosentum zugunsten gedanklicher Tiefe. Im Scherzo wirkt kein einziger Ton verschmiert oder gar schlampig. Nein, absolut jede Note scheint genau so gewollt. Das Prunkstück ist jedoch der langsame Satz: spätestens wenn kurz vor Ende die Gegenstimme zum Thema einsetzt, dann weiß man, warum Gilels zu den ganz Großen seiner Zunft gezählt wurde. Der Zwiegesang ist von überirdischer und berückender Schönheit und rechtfertigt allein schon das Anhören dieser Aufnahme. Auch im Finale dosiert Gilels seine Kräfte wohltuend, anstatt sich mit unbändiger Energie gleich zu verausgaben. Alles in allem ist dies eine überraschend tiefenentspannte, aber alles andere als spannungslose Interpretation, deren Ausnahmerang unter der Vielzahl durchschnittlicher Aufnahmen außer Frage steht.

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