Chopins Préludes stellen seine vielseitigste und schillerndste Werkgruppe dar. Sie werden meist zyklisch vorgetragen, obwohl musikhistorisch gesehen gar nicht gesichert ist, ob Chopin dies auch so beabsichtigte. Wie dem auch sei – Opus 28 ist vermutlich der beste Einstieg, um mit Chopins Musik vertraut zu werden, weil die Sammlung so ziemlich alle menschlichen Gefühle und Leidenschaften in einem Werk von nicht einmal 45 Minuten Aufführungsdauer vereint.
Aufgrund seiner Vielschichtigkeit verwundert es nicht sonderlich, dass sich das Werk einem eindeutig etablierten interpretatorischen Ansatz widersetzt und damit viele plausible Herangehensweisen an den Zyklus möglich macht. Ich habe mich daher entschieden, nicht eine, sondern viele Aufnahmen zu empfehlen, die jede auf ihre Art interessant sind.
Die vermutlich berühmteste unter ihnen ist die Aufnahme mit Martha Argerich. Die heißblütige Argentinierin reitet den Parcours nicht ganz fehlerfrei, aber mit unwiderstehlichem Elan, viel Tempo und noch mehr Adrenalin. Dies ist schwerlich die subtilste Aufnahme, wohl aber insgesamt die aufregendste.
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Eine Aufnahme, die bis in die letzten Takte durchdacht wirkt, ist diejenige von Grigori Sokolov. Der sich rar machende Interpret spielt bekanntlich nur, was ihm gefällt – und das merkt man dieser intellektuellen und vergleichsweise langsamen Einspielung in jedem Moment an. Dass die Aufnahme live eingespielt wurde, macht das erstaunliche Endergebnis nur noch eindrucksvoller.
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Einer der am kontroversesten diskutierten Chopin-Interpreten aller Zeiten ist der serbische Pianist Ivo Pogorelich. Die Einspielung der Préludes ist meines Erachtens seine beste Chopin-CD, die mit unerhört viel Klangsinn punktet. Natürlich kann ein Pogorelich nicht komplett frei von Manierismen spielen, doch wirken diese hier längst nicht so aufgesetzt und aufdringlich wie anderswo. Vielleicht ist diese Deutung auch gerade wegen ihrer Individualität herausragend.
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Längst nicht so bekannt wie seine Einspielung der Etüden oder der Polonaisen ist die Version von Maurizio Pollini – dies aber vollkommen zu Unrecht. Der Italiener spielt hier weitaus weniger akademisch als man es von ihm gewohnt ist und liefert ein bemerkenswert emotionales Ergebnis von klanglicher Raffinesse und stupender Technik ab.
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Der kubanische Pianist Jorge Bolet, der hauptsächlich mit Liszt in Verbindung gebracht wird, entlockt diesem Zyklus eine Palette an Farben, dass es eine wahre Pracht ist – wenig bekannt, aber vollkommen unterschätzt!
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Nelson Freire spielte in den 70er-Jahren den Zyklus ebenfalls ein und ersann einige der bemerkenswertesten Eingebungen im Zusammenhang mit den Préludes. Sein Spiel wirkt hier noch frischer und spontaner als man es ohnehin schon von ihm gewohnt ist. Während einige Nummern nichts Besonderes bieten, sind andere so vorzüglich geraten, dass man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt!
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Unter den historischen Aufnahmen ist diejenige von Alfred Cortot eine besondere Erwähnung wert: die Deutung des e-Moll-Préludes (Nr. 4) zählt der österreichische Pianist Alfred Brendel zu den größten Aufnahmen in seiner weiß Gott nicht kleinen Sammlung. Wie schwerelos gleitet der Klagegesang über den unruhig pochenden Akkorden – einmalig! Auch der Rest des Werkes kann sich absolut hören lassen …
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Eine tief befriedigende, ungemein beglückende und überzeugende Aufnahme legte auch Ivan Moravec vor, der nach wie vor zu den am meisten unterschätzten Pianisten gezählt werden muss. Die Klangqualität des Labels Supraphon war in den Jahren des Kalten Krieges nicht immer großartig, und leider macht diese Aufnahme da keine Ausnahme. Wer darüber hinwegsehen kann, wird jedoch nicht enttäuscht werden.
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