Friedrich Franz*, Heiligendamm

„Wahrer Luxus ist nicht laut, schreit nicht – wahrer Luxus flüstert.“ (Carsten K. Rath)

November 2019

Spätestens seit dem G8-Gipfel, der hier im Jahre 2007 stattfand, ist Heiligendamm – die weiße Stadt am Meer – einem internationalen Publikum ein Begriff. Diese Perle der Ostsee setzt sich nur aus ganz wenigen Gebäuden zusammen, und doch ist dies eine der fürnehmsten Adressen in Mecklenburg-Vorpommern. Großen Anteil daran haben das Luxushotel, das Kurhaus und das darin befindliche Gourmetrestaurant Friedrich Franz, das seit 2008 von Ronny Siewert geleitet wird. Der unter anderem bei Heinz Winkler, Dieter Müller und Helmut Thieltges ausgebildete Chef kocht erwartungsgemäß einen klassisch geprägten Stil, denn zum einen passt dies zum edlen Ambiente ohnehin besser als moderne Küche und zum anderen hätte man angesichts dieser Lehrmeister, die allesamt Verfechter konservativer Tugenden sind, auch kaum etwas anderes erwartet.

Das feudale Gourmetrestaurant mit Blick auf die Ostsee befindet sich im Seitenflügel des Kurhauses und ist in lichten Farben mit durchaus maritimen Motiven eingerichtet. Übrigens wird auch im Haupttrakt des Kurhauses überdurchschnittlich gut gekocht – ein auffallend junges Publikum sorgt an diesem regnerischen Abend für ein praktisch volles Haus. Zurück zum Flaggschiff: eine junge Servicedame geleitet mich zu meinem Platz, wo sich Serviceleiter Norman Rex (der längst zum Inventar des Hauses gehört) ohne Umschweife meiner Person in seiner unvergleichlichen Art annimmt. Mit ganz persönlichem Charme und wohldosiertem Humor schafft der Maître sofort eine Wohlfühlatmosphäre wie ich sie noch selten erleben durfte. Die folgenden Ausführungen zum Essen sind leider etwas lückenhaft, da ich meine Aufzeichnungen dieses Abends verlegt habe und daher teils auf Bruchstücke meiner Erinnerung angewiesen bin.

Die Speisekarte offeriert zwei Menüs zum identischen Preis von € 169, wobei allerdings das eine („Unsere Klassiker“) nur vier Gänge und das andere („Friedrich Franz“) sechs Gänge aufweist. Beim Betrachten der Zutaten wird der Grund allerdings schnell deutlich – dazu gleich noch mehr. Nach einem alkoholfreien Traubensecco und einer qualitativ überdurchschnittlichen Brotsorte entscheide ich mich trotzdem für das viergängige Klassiker-Menü, da ich vom ersten Gang aus diversen Quellen bereits Wunderbares vernommen hatte.

Bevor es soweit ist, tischt man drei ansprechende Amuses mit für die Ostsee-Region durchaus typischen Zutaten wie Kartoffel, Aal und Sanddorn auf. Details sind wie gesagt verloren, doch in Summe war dies ein mehr als ansprechender Einstieg, der noch von einem kalten Gruß aus der Küche getoppt wird. Auf einer Sanddorncrème war neben etwas Ceta-Kaviar noch ein (unbestimmtes) Eis platziert, während ein würziger Sud mit Noten von Chili und Essig der Kreation einen scharfen Schub verlieh, der dem Gericht absolut gut tat. Sorry, dass die Details fehlen – es soll nicht wieder vorkommen!

Der offizielle Einstieg ins Menü erfolgt mit einem Klassiker des Hauses: Kaviar Trilogie. Einmal kombiniert die Küche Rindertatar und Schalottencrème mit einer dicken Schicht Kaviar obenauf. Variante zwei präsentiert den Kaviar im Verbund mit lauwarm geräuchertem Ostsee-Aal und Meerrettich, während Kartoffel-Nussbutter-Püree und Sauerrahm eine eher klassische Begleitung im gläsernen Ei darstellen. Dass es dieses Gericht in meine Menüfolge des Jahres 2019 schaffte, ist nicht weiter verwunderlich: die sorgfältige Dosierung des Kaviars sowie die jodigen Noten harmonieren einfach perfekt mit den Kombinationen. Viel dekadenter geht es kaum, doch die Kaviar-Qualität der Firma Atticus aus Sachsen-Anhalt rechtfertigt so ein Gericht allemal. Dieses Gericht ist „old school“, aber einfach grandios! Dieser Gang hätte übrigens à la carte € 95 gekostet, was den Preisunterschied bei den beiden Menüs schnell erklärt. Wer nach Heiligendamm kommt, kann dieses Gericht meines Wissens immer bekommen, da es seit 2008 ununterbrochen auf der Karte steht. Nicht versäumen!

Gebratene Gänseleber mit Crème-Eis, Walnusscrunch, Gewürzananas in Teriyaki und Apfel-Essig-Jus ist eine eher süßliche Begleitung der klassischen Delikatesse. Das Kalkül geht allerdings auf, denn das Eis auf dem Crunch ist von entwaffnender Leichtigkeit, die dem recht massigen Hauptdarsteller einen schönen Kontrapunkt zur Seite stellt. Doch auch so macht das souveräne Handwerk gehörigen Eindruck, zumal die asiatischen Akzente eine zu aufdringliche Süße ohnehin vermeiden. Wäre die Leber nicht gebraten gewesen, dann hätte dieser Gang zu schwer geraten können – so aber steht unterm Strich ein gelungenes Gericht, das vielleicht nicht sonderlich überraschend gerät, aber dennoch mit wohltuend elegantem Geschmack zu punkten vermag.

Nach einem erfrischenden Waldbeerensorbet …

… geht es mit dem von mir mit Spannung erwarteten Hauptgericht weiter: Iberico-Schwein, Tomatengel, schwarzer Knoblauch, Lauch und Chorizo-Jus klingt angesichts des eher deftigen Hauptdarstellers zunächst nach einem Wagnis. Lackierter Nacken und gebackenes Kinn vom Schwein (mit einem Klecks Tomatengel obenauf) erweisen sich allerdings als zwei originelle und durchaus veredelnde Varianten, die mit wenig Begleitung auf dem Teller (Jus und eine ganz dünne Stange Lauch) auskommen – sehr apart dagegen das zusätzliche Schälchen mit zwei kleinen Scheiben Schweinefleisch auf Kartoffelpüree und Jus. Wie die Küche das Rustikale an diesen Produkten in elegante Hochküche umwandelt, hat einfach Stil. Superb!

Ein Pré-Dessert rund um Apfel in den unterschiedlichsten Konsistenzen und Texturen (Eis, Mousse, Cidre und Schnitze) wird mit einem Schuss Limette begleitet und überzeugt mit animierender, säuerlicher Frische.

Deutlich intensiver gerät das eigentliche Dessert von der Birne mit Weichweizengrieß, Thymian und weißer Schokolade. Die in mehreren Lagen aufgeschichtete Kreation offeriert eine kaum überschaubare Fülle unterschiedlichster Techniken, was man aus Birne so alles machen kann (zum Beispiel Eis, Crumble, Gel – um nur ein paar zu nennen). Überraschend an diesem Dessert ist die aromatische Dichte, denn so viele Einfälle auf derart geringem Raum unterzubringen, erfordert große Meisterschaft. Die Pâtisserie beherrscht ihr Metier allerdings gekonnt, denn dieses Dessert war definitiv eines der stärkeren in diesem Jahr. Da passt es auch ins Bild, dass die drei Petits fours (Vanille-Macaron, Fruchtgummi und süßes Mini-Taco) das Niveau bis zum Schluss hoch hielten.

Der bereits eingangs gelobte Norman Rex hatte maßgeblichen Anteil an diesem gelungenen Abend: seine aufmerksame und sehr persönliche Art ist so hinreißend, dass sich viele andere Restaurantleiter gerne mal davon eine Scheibe abschneiden dürften. Nach ausführlicheren Gesprächen lieh er mir sogar nach vollbrachtem Mahl auch noch seine Zutrittsberechtigung für die Seebrücke (die sonst nur Hotelgästen vorbehalten ist); außerdem erwies sich die vorgeschlagene Getränkebegleitung stets als so was von passend zu jedem Gang. Die von ihm geleitete Servicetruppe verrichtete ebenfalls ausgezeichnete Arbeit den ganzen Abend lang. Als Krönung dieses kleinen Service-Wunders nahm sich auch Chefkoch Ronny Siewert bestimmt fast zehn Minuten Zeit für mich, um ein bisschen über die Geschichte des Lokals und befreundete Kollegen (wie zum Beispiel Christoph Rainer vom Luce d’Oro in Elmau) zu plaudern. Doch damit nicht genug: ich bekam von ihm gar eine handsignierte Speisekarte mit Widmung überreicht. Wenn man Vertretern der kochenden Zunft oft eine gewisse Unnahbarkeit oder gar Überheblichkeit nachsagt, dann kann Herr Siewert damit auf keinen Fall gemeint sein!

Bleibt noch die Bewertung der Küchenleistung selbst: der Gault&Millau vergibt 18 Punkte, während sich der Guide Michelin (ein Stern), der GUSTO (8 Pfannen) und der FEINSCHMECKER (3 F) auffallend zurückhalten. Aus meiner Sicht erscheint diese Bescheidenheit vollkommen unverständlich, denn selten habe ich auf klarerem Zwei-Sterne-Niveau gegessen. Was der klassisch geprägten Küche vielleicht ein wenig an Wagemut fehlt, macht sie durch souveränes Handwerk, tolle Optik und tiefgründige Gerichte von beglückender Langzeitwirkung wieder wett. Aufspielen muss sich Ronny Siewert mit seiner Stilistik zu keiner Zeit, denn die makellose Qualität seiner Produkte und die perfekte Balance der Gerichte machen aufdringliches Beiwerk und knallige Effekte vollkommen entbehrlich.

Unter den Restaurants mit einem Stern war dies mit Sicherheit der überzeugendste Besuch des gesamten Jahres. Einen weiteren Besuch hier kann ich kaum erwarten – kein Wunder, dass die Ostsee schon jetzt auf meinen Wunschreisezielen für das Jahr 2020 steht! Was hier im Friedrich Franz entstanden ist, trägt definitiv Züge eines kleinen Gesamtkunstwerks, das meines Erachtens eine insgesamt höhere Anerkennung durch die Profi-Guides längst verdient hätte. Der einzige Vorteil dieser Geringschätzung besteht darin, dass es für die Gäste leichter wird, einen Platz zu ergattern …

In diesem Sinne: nichts wie hin!