GästeHaus Klaus Erfort**, Saarbrücken (UPDATE)

„Wie leicht unterschätzt man doch das Bedürfnis der Großen, Anerkennung zu finden.“ (Sylvia Plath)

UPDATE (September 2023)

Zusammen mit dem Vendôme muss das GästeHaus Klaus Erfort zu den großen Verlierern der leidigen Corona-Pandemie gezählt werden – verloren doch beide Gourmetinstitutionen im Zuge dessen ihren dritten Stern. Seither ist allerdings schon wieder einige Zeit vergangen, so dass die Frage im Raum steht, ob einem der beiden Lokale das nahezu Unmögliche, nämlich einen verlorenen dritten Stern zurückzuerobern, gelingen kann. Bislang schaffte dies nur Heinz Winkler, nachdem er in seiner Aschauer Residenz 1995 den dritten Stern verlor und zur Jahrtausendwende zurück bekam – ein äußerst seltener Umstand in Deutschland, wie man sieht. Seit dem Verlust des dritten Sterns war ich nicht untätig gewesen und habe das GästeHaus Klaus Erfort seither zweimal mit insgesamt wechselhaften Eindrücken besucht: die sommerliche Visite im Juni 2021 geriet gar zum besten Besuch hier überhaupt und zu einer fulminanten Sternstunde, während der jüngste Eindruck vom März 2022 (Berichte siehe unten) leicht unterdurchschnittlich ausfiel. Die Konstanz war somit hier in jüngster Zeit das größte Problem, weil zum einen während der Pandemie schwerlich alle Produkte in gleichbleibender Qualität verfügbar waren und zum anderen bedeutende Abgänge beim Personal offenbar nicht völlig gleichwertig ersetzt werden konnten. Am Abend meines Besuches hieß es gar, Klaus Erfort hätte in der Küche besonders gut zu tun, weil derzeit offenbar kein Souschef verfügbar wäre – ob aus Krankheitsgründen oder Personalmangel entzieht sich meiner Kenntnis. Außerdem tafelt eine relativ große Gruppe samt Weinführung am Chef’s Table, so dass die Küche außerordentlich gut zu tun hat, zumal der Chef dort – wie von meinem Tisch aus zu erkennen – selbst mehrmals vorstellig wird.

Was sich hingegen nicht geändert hat, ist selbstverständlich der Küchenstil: die schmucke weiße Villa mit Englischem Garten dahinter befindet sich zwar an einer vielbefahrenen Straße, ist aber trotzdem ein tiefenentspannter Ort voll heiterer lukullischer Genüsse auf solide französischer Basis. Neuerdings serviert Klaus Erfort seine großen Klassiker, die à la carte aufgelistet sind, allerdings zwecks Nachhaltigkeit und Kostenreduktion nur noch auf Vorbestellung. Wer also rechtzeitig die Karte online im Voraus studiert, darf sich auch weiterhin auf Klassiker wie den Gemüseacker oder die auf Meersalz gegarten Langustinen mit Lauch freuen. Ich habe allerdings auf diese Optionen verzichtet und richte mich gedanklich auf das Menü ein.

Nach dem Empfang geleitet mich eine junge Dame aus der Servicebrigade, die inzwischen komplett weiblich ist und in kurzen schwarzen Kleidern auftritt, zu meinem großzügigen Tisch, von wo aus man einen guten Überblick über nahezu alle Räumlichkeiten des Lokals hat. Hier erlebt man außerdem noch, dass die Mehrzahl der Gäste recht elegant gekleidet ist und einige vergleichsweise junge Paare an diesem Abend zu Gast sind. Ansonsten werden nach dem Apéritif, einem Juicy Tea der Sorte Tahiti-Vanille aus dem Hause Van Nahmen, zügig die ersten Häppchen aufgetragen: es sind dies von links nach rechts zwei dünne Scheiben Filoteig mit Foie gras und Parmesan dazwischen sowie reizendes Cassisgel obenauf, sodann etwas Räucherlachs mit Ceta-Kaviar getoppt und Alge umwickelt, gefolgt von einem Rote-Bete-Macaron mit Panna Cotta und Dillöl sowie zu guter Letzt Erbse, Trüffel und Räucherforelle auf einem Brotchip. Beim Macaron verblüfft die Kombination von leichter Süße mit spritziger Säure, bei der Kreation ganz rechts die angenehme Mundfülle und Vielzahl an Texturen. Ansonsten gilt für diese adretten Einstimmungen praktisch dasselbe wie für den Klassiker, nämlich das Wachtelei in einer Variante mit Kartoffelschaum, Spinat und Schinken: teils mit netten Überraschungen aufgewertet, wenn auch vielleicht das allerletzte Quentchen an Präzision fehlt, das die Küche in Topform auszeichnet.

Die Brotauswahl bietet mit Oliven-Ciabatta einen Klassiker und mit Roggen-Champagner-Brot einen eher exotischen Beitrag, der mit Bordier-Salzbutter sowie Butter mit Chili und Röstzwiebeln ansprechend begleitet wird.

Mit dem Amuse verlässt sich die Küche dagegen weiß Gott nicht auf Bewährtes, sondern lehnt sich für ihre Verhältnisse ungewohnt weit aus dem Fenster hinaus – und überzeugt auf ganzer Linie, denn die knallige Kreation verbindet ungewöhnlich viele und noch dazu disparitätische Elemente auf stimmige Weise: das Gros der Zutaten ist unter einer hauchdünnen Scheibe von eingedickter Mandelmilch versteckt und bietet darunter so Überraschendes wie Parmesan, ein Beurre-Blanc-Eis und Artischockensalat. Drapiert ist dieser kühne Einfall auf einem Sud von Staudensellerie und mit rotem Pfeffer durchaus herzhaft abgeschmeckt, wobei mir ein tadelloses Brioche als Beigabe sogar entbehrlich erschien. Dass dieses komplexe und spannungsgeladene Spiel um Temperaturen und Texturen so vorzüglich gelingen würde, hätte ich offen gestanden nicht unbedingt erwartet: der notwendige Mut dafür ist eine Sache, die Umsetzung eine andere. Angesichts dieses wahrlich vollkommen organisch anmutenden Tellers kommt man kaum umhin, die Extraklasse der Küche schon zu diesem Zeitpunkt anzuerkennen, zumal der Aufwand überdurchschnittlich hoch erscheint und die Zukunft offenbar nicht so weit entfernt ist wie man glauben mag. So wie der Périgord-Trüffel die Haube krönt, so krönt dieses Amuse den Einstieg vor dem Menü!

Ich entscheide mich für ein fünfgängiges Menü, da ich in den nächsten Tagen noch ein größeres Pensum zu absolvieren habe und der Besuch im Esplanade auch schon am nächsten Nachmittag ansteht. Mit € 185 ist diese Parade immer noch vergleichsweise günstig bepreist, wobei dasselbe auch für die volle Darbietung zu sieben Gängen für € 235 gilt.

Obwohl noch etwas farbenfroher als das Amuse, ist das Entrée deutlich simpler gestrickt – was allerdings ausschließlich als objektive und nicht wertende Feststellung zu verstehen ist. Der ausschließlich kalt, aber sehr vielseitig interpretierte bretonische Hummer bekommt confierte Tomate sowie Zucchini als Begleiter zur Seite gestellt und wird auf einem Sud von weißen Tomaten mit Basilikumöl spätsommerlich in Szene gesetzt. Das schmeckt in Summe sehr leicht, bekömmlich, ausgesprochen transparent und beweist, dass auch mit vergleichsweise einfachen Mitteln große geschmackliche Wirkung erzielt werden kann, sofernn das Handwerk stimmt. Ein charmanter und würdiger Einsteiger, keine Frage!

Auf den ausgetretenen Pfaden bewährter Klassik wandelt dagegen der nächste Gang – und wird doch zur fulminanten Überraschung, weil die Produktqualität des Wolfsbarschs so ziemlich alles in den Schatten stellt, was ich bislang bei ähnlich konzipierten Tellern geboten bekommen habe. Die maritime Ausdruckskraft dieses wunderbar saftigen und mit krosser Haut punktenden Fischs erlebt man in dieser Form nur höchst selten: dem Chef selbst war dieser Glücksfall, mit solch einem Produkt arbeiten zu können, ein kurzes Video in den sozialen Netzwerken wert, mit dem auch die Bedeutung des richtigen Werkzeugs – in diesem Fall ein japanisches Filetiermesser namens Nesmuk – betont wird. Das Ergebnis rechtfertigt jede Mühe, denn die geradezu demütig auftretende Entourage aus confierten Tomaten, Zucchini, Poweraden und einer federleichten Basilikum-Vinaigrette überlässt dem Hauptdarsteller die Bühne voll und ganz. So sehr ich einerseits die Offenheit für Neues schätze, so sehr muss ich betonen, dass old school in diesem Hause immer noch die Paradedisziplin der Küche darstellt. Mit der souveränen Umsetzung dieses mediterranen Tellers und einem überragenden Produkt im Mittelpunkt setzt Klaus Erfort das berühmte Mantra von Eckart Witzigmann („Das Produkt ist der Star“) nahe der Vollendung in die Tat um – ein Gericht der leisen Töne, aber in jeder Hinsicht herausragend. Bravo!

Der nächste Gang thematisiert ausgebackenes Kalbsherzbries: ich persönlich habe die Innerei in dieser Zubereitungsform bislang nur sehr selten vorgesetzt bekommen, kann ihr aber eine edle und wohltuende Cremigkeit bescheinigen, die vollkommen natürlich gerät und weder optisch noch geschmacklich weit von einem Wiener Schnitzel entfernt ist. Das Bries wird im vorliegenden Fall geradezu puristisch mit Topinamburchips und -crème begleitet, gebettet auf einer mit Gänseleber gebundenen, getrüffelten Sauce Riche und mit ein wenig Spinatemulsion abgerundet. Alles in allem ist dies ein handwerklich fehlerfreier Teller, der allerdings etwas mehr Risikofreude vertragen könnte, um einer auf Dauer eintretenden Eintönigkeit entgegenzuwirken.

Typisch für Klaus Erforts Küche ist, dass es ihm wieder gelingt, selbst mit einem denkbar einfach und völlig harmlos anmutenden Entr’acte wie diesem Sphären zu erreichen, die man bei diesen Disziplinen kaum für möglich hält: mit einem ganz puristisch in Szene gesetzten Himbeersorbet erzielt der Grand Chef praktisch dasselbe überragende Niveau wie das Brombeersorbet von Sven Wassmer im Memories zu Bad Ragaz. Die unwahrscheinlich cremige Konsistenz, der vollsaftige Fruchtgeschmack und der leicht herbe Abgang führen zu einer Petitesse von ungeahnter Strahlkraft. Der oftmals gedankenlose und routinierte Verzehr solcher Erfrischungen vor dem Hauptgang hätte in diesem Fall locker zu einer Verkennung ihrer Qualität führen können!

Einen ähnlichen stilistischen Ansatz wie beim Wolfsbarsch verfolgt man auch beim Hauptgericht: mustergültiger Rehrücken beansprucht zurecht den Löwenanteil der Aufmerksamkeit, da das tiefrote und optimal gegarte Fleisch dank kraftvoll mineralischer Aromatik und einer recht generösen Portion seine Stärken voll ausspielen darf. Ganz im Sinne exemplarischer Klassik halten sich auch hier die Begleiter dezent zurück, wobei in Summe die Topinamburcrème, das Spitzkohlröllchen und der gebratene Shiitakepilz eine sicher umgesetzte und stimmige, wenn auch etwas brave Begleitung abgeben. Den eigentlichen Schwachpunkt mache ich eher bei der Purple Curry Jus aus, die mir als verbindendes Element etwas zu wässrig gerät und durch die etwas dünne Konsistenz einen signifikanten Teil ihrer Kraft einbüßt. Unterm Strich erreicht dieser Teller somit durchschnittliches Zwei-Sterne-Niveau, aber in den Details fehlte diesmal eben die letzte Präzision.

Mit dem Dessert dringt die süße Abteilung dagegen nochmals in qualitative Bereiche vor, die seit dem Abgang von Ausnahme-Pâtissier Matthias Spurk – der nun das Team im einen Kilometer entfernten Esplanade verstärkt – eigentlich unerreichbar schienen. Schnell werde ich jedoch eines Besseren belehrt: die Ästhetik des ehemaligen Mitarbeiters scheint ihre Spuren in Form von farbenfrohen Darbietungen und komplexen Texturen von nur wenigen Produkten deutlich hinterlassen zu haben. Jetzt muss nur noch der Geschmack mithalten, der sich zu meiner nicht geringen Überraschung ebenfalls auf einem Level bewegt, der dem Nachfolger (dessen Namen ich nicht ermitteln konnte) absolut zur Ehre gereicht. Dabei wird das auf diesem Niveau eher rare Hauptprodukt – die Birne – in ungewöhnlich ausgelassener Vielfalt beleuchtet. Die Basis bildet eine mit Birnenessig spürbar aufgewertete Birnenjus, doch in dem mit Schokolade ummantelten Törtchen befindet sich auch noch ein Kompott sowie Fruchtsegmente obenauf. Tropfen von Schokoganache sowie Cashews in Texturen werten dieses recht kühne Dessert schon deutlich auf, doch mit dem Eis von Topinambur erhält dieser nussig-erdige Ausklang endgültig eine enorme Spannung. Der straffen Säure setzt die Pâtisserie viel Frucht, aber wenig Süße entgegen und hält somit die Aufmerksamkeit des Gastes bis zum letzten Löffel hoch. Mit diesem hinreißenden Ausklang entschädigt die Küche locker für die marginalen Schwächen, die vereinzelt im Menü auszumachen waren. Ohne jeden Zweifel ein grandioser Ausklang!

Mit den Petits fours wird nicht ganz dasselbe exorbitante Niveau des Vorgängers erreicht, aber zu glauben, dass jeder einzelne Beitrag sich hier auf Weltklasseniveau bewegen müsse, wäre auch selten anmaßend. Der Verzehr von heißer Schokopraline im Mürbteig, Macaron von Mango und Passionsfrucht, Zitronen-Crème-brûlée, Délice von roten Früchten und Himbeertörtchen (von links nach rechts) ist unkompliziert und schließt das Menü auf hohem Level würdig ab.

Was nehme ich also von diesem Besuch mit? Diese jüngste Darbietung bewegte sich zwischen den beiden Polen der vorangegangenen Besuche, tendierte aber ganz deutlich nach oben. Auf der einen Seite gilt es dabei die monierten Kleinigkeiten nicht ganz außer Acht zu lassen, auf der anderen Seite gab es heuer gleich mehrere auffallend mutige Gerichte, die zumindest in den besten Momenten mit atemberaubender Akkuratesse umgesetzt wurden. Dennoch ist es tief befriedigend zu erleben, dass die klassischen Disziplinen hier trotz des enormen Arbeitspensums nach wie vor schlafwandlerisch sicher gelingen. Das alles offeriert man zudem zu einem wirklich moderaten Preis, der gemessen am gezeigten Niveau als überaus fair bezeichnet werden darf. Auch der Service wirkte verbessert und inzwischen deutlich eingespielter als zuletzt, da der Fluktuation auf diesem Gebiet während der Pandemie offenbar erfolgreich Einhalt geboten werden konnte. Das kommt auch der Kompetenz der Servicebrigade zugute, die an den verschiedenen Tischen gerade bei der Weinauswahl einen sicheren Eindruck hinterließ. Da auch die Nebenkosten nicht sonderlich ins Gewicht fallen, sollte zumindest ein gelegentlicher Besuch immer wieder mal erwogen werden. Klaus Erfort hat nach wie vor viel zu sagen und lässt dabei überwiegend seine Teller für sich sprechen.

Ich wage am Ende meines Besuches noch einen Vorstoß beim Service: da der Grand Chef im Allgemeinen als eher scheu gilt und die gewohnte Atmosphäre seiner Küche meist vorzieht, habe ich ihn bis zu diesem Zeitpunkt trotz eines halben Dutzends an Besuchen noch nicht in persona erleben dürfen. Meine Bitte an den Service um ein kurzes Treffen scheint zunächst ungehört zu verhallen, aber als ich das Foyer betrete, kommt er zu meiner Überraschung doch aus der Küche heraus und begrüßt mich sogar schon herzlich. Mein Wunsch eines gemeinsamen Fotos wird dabei nicht ausgeschlagen, und der kurze Smalltalk erweist sich als durchaus erhellend für mich. Da der Posten des Souschefs an diesem Abend nicht besetzt ist und die Gesellschaft am Chef’s Table zu diesem Zeitpunkt auch noch im Lokal verweilt, möchte ich seine Zeit auch nicht über Gebühr strapazieren. Mit einer abschließenden spontanen Geste seinerseits, die ich an dieser Stelle für mich behalte, hinterlässt er allerdings einen bleibenden Eindruck in mir.

Bleibt also noch die Frage aller Fragen: reicht es nochmals irgendwann für den dritten Stern? Als ihn Klaus Erfort 2021 verlor, gab er der Welt ein schonungslos offenes und ehrliches Interview, mit welchem er einen fast schon intimen Einblick in sein Seelenleben und seine Denkweise gewährte. Natürlich überwog zunächst die Enttäuschung über die Entscheidung des Michelin, ausgerechnet mitten in der Pandemie eine solche Abwertung vorzunehmen, zumal ihm auch Kollegen attestierten, dass ihnen dieses Urteil schleierhaft blieb. Seither ist jedoch einige Zeit vergangen, in welcher der Chef nicht untätig blieb und sich schon gar nicht vor Kummer und Gram in ein Schneckenhaus zurückzog. Die Quintessenz meines Besuchs lässt sich wie folgt bündeln: ob es tatsächlich mit dem dritten Stern nochmals klappt, liegt natürlich nicht in meiner Hand, aber zu den zehn besten Zweisternern der Republik darf das GästeHaus Klaus Erfort mit Sicherheit weiterhin gerechnet werden. Außerdem gehört dieses Lokal zu den ganz wenigen herausragenden in Deutschland, die sogar am Montag mittags geöffnet haben – allein das ist bemerkenswert genug. Eines ist sicher: Klaus Erfort hat den Kampf um die Wiedererlangung des dritten Sterns noch lange nicht aufgegeben, denn Resignation fühlt sich definitiv anders an!

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

GästeHaus Klaus Erfort
Mainzer Str. 95
66121 Saarbrücken
Tel.: 0681/9582682
www.gaestehaus-erfort.de

Guide Michelin 2023: **
Gault&Millau 2023: 4 Toques
GUSTO 2024: 10 Pfannen
FEINSCHMECKER 2024: 4,5 F

5-gängiges Menü: € 185

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Alle anderen Enttäuschungen sind gering im Vergleich zu denen, die wir an uns selber erleben.
(Marie von Ebner-Eschenbach)

UPDATE (März 2022)

Zur blauen Stunde macht die zart illuminierte, blütenweiße Villa an der Mainzer Straße mitten in Saarbrücken optisch besonders viel her, selbst wenn die Tankstelle nebenan den ästhetischen Wert nicht gerade potenziert. Es ist gerade erst 18.53 Uhr – und etwas überraschend öffnen sich die Türen bereits, was angesichts der sonstigen Schweizer Präzision, die hier an den Tag gelegt wird, verwundert. Normalerweise wird der Einlass punktgenau um 19.00 Uhr gestattet. Hat sich hier etwas verändert?!

Ein erneuter Besuch in Saarbrücken führte mich abermals in diese kulinarische Bastion der Klassik, wo wir im Sommer des letzten Jahres wahrlich fantastisch gespeist hatten und uns verwundert gefragt hatten, was zur Abwertung des Guide Michelin geführt haben möge. Tatsache ist, dass dieses herausragende Lokal mit seinen zehn (!) Servicezeiten pro Woche von Montag bis Freitag – nachmittags wie abends – einsam und allein auf diesem Gebiet seine Kreise in der Eliteliga zieht. Klaus Erfort macht nach wie vor kein großes Aufheben um seine Person oder seine Kunst, denn außerhalb seiner Küche bekommt man den Meister tatsächlich nur höchst selten zu Gesicht. Dennoch war auch bei ihm die Enttäuschung fraglos groß, als der dritte Macaron im letzten Jahr abhanden kam. Schauen wir mal, ob mich die nächste Parade wieder so bezaubern würde wie die im vergangenen Jahr …

Dass die Corona-Pandemie nicht spurlos an der Gastronomie vorbeigeht, wird bei der Servicetruppe am offenkundigsten. Hier fehlte es in den letzten Monaten an einer prägenden Persönlichkeit, die in Sachen Wein oder Restaurantleitung etwas hermacht und eine Brigade dirigiert, die Ausstrahlung vermittelt und genau weiß, was sie tut. Seit dem Abgang von Jerôme Pourchère und neuerdings auch von Pâtissier Matthias Spurk, die sich beide dem Esplanade – und damit dem ehemaligen Souschef von Klaus Erfort, Silio del Fabro – angeschlossen haben, scheint das GästeHaus in den Schlüsselpositionen derzeit instabil besetzt. So löblich es auch ist, dass man hier so häufig geöffnet hat – die Suche nach geeignetem Personal wird damit bestimmt nicht erleichtert oder attraktiver.

Wie sich all dies auswirkt, sollte der Abend im weiteren Verlauf hoffentlich zeigen. Los geht es jedenfalls wie immer mit einem kleinen Feuerwerk an Apéros, die meist auf denselben Zutaten beruhen, aber variabel interpretiert werden. Davon unberührt bleibt natürlich das pochierte Wachtelei mit der getrüffelten Mousseline und dem gehobelten Périgord-Trüffel, doch zu meiner Überraschung erreicht dieser Klassiker nicht dasselbe Niveau wie beim letzten Besuch, was vor allem an der deutlich zu kühlen Temperierung liegt und der somit eher matt wirkt. Die Gillardeau-Auster, ein weiterer Liebling von Klaus Erfort, wird diesmal mit Apfel, Avocado und Wasabi inszeniert und gelingt am besten unter den Einstiegen. Das Panna Cotta aus Ziegenkäse auf einem Cracker gerät dagegen wenig anspruchsvoll und ist schnell vergessen, während der Gänseleber-Macaron mit Kirsche und Kirschtomate eher Anklang bei mir findet. Dennoch kann ich nicht verhehlen, dass das Gesamtniveau dieses Einstiegs deutlich unter demjenigen vom letzten Mal anzusiedeln war.

Die Brotauswahl besteht diesmal aus einem Olivenbrot sowie einem Champagner-Roggenbrot, welche mit klassisch gesalzener Butter und einer ausgezeichneten, mit Schnittlauch verfeinerten Steinchampignonbutter begleitet werden.

Auch beim Amuse gueule hat die Küche für meine Begriffe in der Vergangenheit schon mal ein glücklicheres Händchen bewiesen: die Kombination von Thunfischtatar, Zitronenschaum, Koriander und Caipirinha samt Brioche leidet unter einer belastenden Säure, die zudem zur kühlen Witterung draußen überhaupt nicht passen will. Gegen den massigen Einsatz von Zitrusaromen kommt das Tatar kaum an, und außerdem ist die Paarung mit einem Brioche für meine Begriffe auch nicht gerade eine, die sich aufdrängt. Ich bin zugegebenermaßen etwas ratlos und denke wehmütig an das Amuse (Carpaccio von Langustine, siehe meinen letzten Bericht) beim letzten Besuch zurück, welches absolute Weltklasse darstellte.

Die Speisekarte besteht nach wie vor aus einer siebengängigen Menüfolge (€ 225), die bis auf vier Gänge reduziert werden kann, sowie einer Handvoll Klassiker wie den Gemüseacker mit bretonischem Hummer oder die auf Meersalz gegrillten Langustinen. Meine Wahl fällt diesmal auf eine fünfgängige Variante des Menüs (€ 172), da am nächsten Tage ja bereits mittags der Besuch in der Brasserie in Pirmasens anstehen sollte.

Eingeleitet wird die Menüfolge mit einem langjährigen Klassiker des Hauses: Tatar vom Langostino mit Imperial-Kaviar und Borschtsch-Gelée. Gebettet auf gepickelter gelber Bete, bleibt das fein abgeschmeckte und voll auf Harmonie setzende Tatar schön im Zentrum des Geschehens und bittet doch zum bereichernden Dialog mit der roten Bete. Die Veredelung mit dem Kaviar und dem aufgegossenen Dillsud gelingt ganz leichtfüßig, so dass unterm Strich ein Gericht der eher leisen Töne mit hervorragenden Produkten steht, welches zurecht diesen Status einnimmt, aber vermutlich in den allerletzten Details schon mal besser gelungen sein dürfte. Trotz allem ein ausgezeichneter Einsteiger.

Gebratene Jakobsmuschel wird hier in zweierlei Varianten präsentiert: auf dem Hauptteller labt sich der geflämmte Hauptdarsteller an aromensatten Texturen von Topinambur (Crème, Crumble und Beurre blanc), während der begleitende Satellit auf der Schale der Muschel mit Carpaccio des Muschelfleischs und roh marinierten Topinamburscheiben aufwartet. Dadurch bekommt dieser Begleiter deutlich mehr Biss, wobei die Marinade von straffer Säure sowie Pfeffer und Chili dafür sorgen, dass spannungsreiche Akzente gesetzt werden. Die Verwendung von nur zwei Produkten in so ausgelassener Vielfalt drückt diesem Gang den Stempel auf – und lässt ihn zum insgesamt überzeugendsten Beitrag des Abends werden. Seit Boris Rommels überragender Schaumsuppe von Topinambur im Le Cerf hängt die Messlatte bei diesem Produkt zwar inzwischen in ungeahnten Höhen, doch dieses offenbar zum Modeprodukt der Saison avancierte Gemüse erweist sich nun mal als sehr wandelbar und damit auch dankbar für viele Chefs, die daraus die unterschiedlichsten Genüsse zu zaubern verstehen. Auch Klaus Erfort besteht seine Prüfung mit Auszeichnung, selbst wenn der Hauptteller noch ein paar Grad heißer hätte sein dürfen.

Ein mustergültig saftiger und krosser Loup de mer (Wolfsbarsch) beansprucht den Großteil der Aufmerksamkeit des nächsten Tellers für sich, doch der reduzierte Ramen-Sud mit Nudeln, etwas Spinat und Korianderöl entpuppen sich als adäquate Begleiter, die Kontraste setzen, sich aber nicht in den Vordergrund drängen. Dies ist ein solide inszeniertes Gericht von klassischer Ausgewogenheit und Reinheit, das seinen Reiz aus dem eher japanisch anmutenden „Bett“ bezieht – ein Teller der Oberklasse, aber keine Extraklasse.

Nach einer auffallend langen Pause von fast 45 Minuten kommt Bresse-Taube vom Holzkohlegrill in Form von zwei Tranchen der Brust, Herz, Leber und die mit Olivenkrokant ummantelte Keule à part (die winzige Kochhaube zum Greifen ist ein netter, augenzwinkernder Gag) an den Tisch. Begleitet wird die Kreation lediglich mit einer Pomme soufflé, einer sehr herben Taubenjus sowie in Milch gekochter und geschmorter Schwarzwurzel. Erstbesucher wären insgesamt wohl recht angetan, aber beim Vergleich mit dem sehr ähnlichen Hauptgang vom letzten Besuch drängen sich doch ein paar Fragen auf. Weshalb beispielsweise entfaltete dieser Gang nicht annähernd die gleiche, kraftstrotzende Wucht wie sein Vorgänger? Warum wurde die launige Inszenierung des letzten Mals zugunsten dieser puristisch-herben, fast freudlosen Darbietung verworfen?
Mit anderen Worten: der Hauptgang im letzten Jahr vermochte in allen Details wesentlich mehr zu überzeugen. Das Handwerk erreichte diesmal dagegen eher nur ein Durchschnittsniveau, was angesichts der langen Wartezeit auf diesen Teller besonders erstaunte.

Versöhnlicher stimmte auf jeden Fall das Dessert aus Cremeaux von Valrhona Guanaja, auch wenn dieser sommerliche Beitrag ebenfalls nicht gerade der Jahreszeit huldigte. Diese Demonstration klassischer Pâtisserie-Techniken mit Texturen von Kokos, Passionsfrucht und Himbeere (wenn ich mich richtig erinnere) erwies sich nicht nur aufgrund seiner farbenfrohen Interpretation als recht originell, hatte dieser Ausklang doch auch sonst etliche Überraschungen zu bieten. Gerade die cremigen Halbkugeln von geeister weißer Schokolade gelangen besonders gut, doch auch sonst handelte es sich um ein unbeschwertes Dessert, dessen Verzehr einfach Spaß machte und keine große Reflexion erforderte. Wunderbar!

Dass das Niveau bei den Petit fours nach den wankelmütigen Eindrücken zuvor nochmals anziehen würde, war eine der größten Überraschungen des Abends. Ein Kaffee-Macaron, ein Schoko-Banane-Yuzu-Törtchen (links), eine Kir-Royal-Praline, ein Sauerkirsch-Windbeutel (rechts), ein Schoko-Tonkabohne-Mürbteigtartelette und ein Maracujatörtchen (hinten) rundeten diesen Abend mit einem fürwahr exzellenten Niveau ab.

Was war das für eine Achterbahnfahrt! Selten habe ich bislang auf diesem Niveau einen Abend erlebt, der mit derart unsteten Eindrücken aufwartete. Beginnend mit dem nur mäßigen Einstieg, der qualitativ deutlich gegenüber dem Vorjahr abfiel und seinen Tiefpunkt in dem mir letztlich schleierhaft gebliebenen Amuse fand, zog das Menü bis zum Hauptgericht spürbar an und setzte mit der Jakobsmuschel durchaus ein Highlight. Mit der Taube erlaubte sich die Küche für meine Begriffe einen erneuten Hänger, während das Dessert voll einschlug und das Finale regelrecht brillierte. Mir drängte sich der Eindruck auf, dass der größte Vorzug des Hauses (die zahlreichen Servicezeiten) gleichzeitig sein größter Nachteil ist: bereits mehrmals konnte ich bei meinen Besuchen hier feststellen, dass die Qualität hier stärkeren Schwankungen unterworfen zu sein scheint als in anderen Zwei- oder Dreisternern. Das kann dann im besten Fall zu Sternstunden wie im letzten Jahr führen, aber wie diesmal auch zu einigermaßen ernüchternden Momenten. Angesichts einer derart hohen Arbeitsbelastung in der Küche sind Wechselbäder durchaus denkbar: einerseits sind die Routinen eingespielt, aber andererseits muss die Konzentration über einen ungewohnt langen Zeitraum hochgehalten werden, was eben nicht immer gelingen kann.

Ähnlich sieht es beim Service aus: einen prägenden Eindruck vermochte die fast nur aus jungen Damen bestehende Brigade noch nicht zu hinterlassen, zumal weite Teile des Abends eher sachlich und unter einem gewissen Zeitdruck verliefen. Zur Ehrenrettung sei allerdings angefügt, dass es keine offensichtlichen Patzer gegeben hatte, die den Genuss spürbar getrübt hätten. Man hat den Eindruck, dass sich das GästeHaus derzeit in einer Umbruchsphase befindet, von der eben auch der Service nicht verschont bleibt.

Klaus Erfort hat vor kurzer Zeit die ersten 50 Lenze vollendet, aber es wäre vermessen zu glauben, dass der Zenit schon überschritten sein könnte. Es ist wahr, dass bei diesem Besuch nicht immer alles souverän geriet, aber es gilt auch zu bedenken, dass die mit der unseligen Corona-Pandemie einhergehenden Widrigkeiten Lokale ohne Sponsoren oder Hotels im Hintergrund nun einmal besonders hart treffen. Vor diesem Hintergrund ist der dritte Stern derzeit eher doch illusorisch, aber herausragende Eindrücke (selbst aus der jüngeren Vergangenheit) gab es für mich doch immer wieder in derart schöner Regelmäßigkeit, dass ich von einer Überwindung der derzeitigen Probleme hier fest überzeugt bin. Es scheint als benötige man angesichts launischer Darbietungen derzeit ein wenig Glück, um im GästeHaus Klaus Erfort einen hervorragenden Besuch erleben zu dürfen. Wer aber einen solchen Tag erwischt, darf sich nach wie vor auf ein außergewöhnliches Erlebnis gefasst machen – siehe meinen letzten Besuch!

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

GästeHaus Klaus Erfort
Mainzer Str. 95
66121 Saarbrücken
Tel.: 0681/9582682
www.gaestehaus-erfort.de

Guide Michelin 2021: **
Gault&Millau 2021: 19 Punkte
GUSTO 2022: 10 Pfannen
FEINSCHMECKER 2022: 5 F

7-gängiges Menü: € 225

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„Die Wahrheit liegt auf dem Teller.“ (Klaus Erfort)

UPDATE (August 2021)

Saarland-Expedition, Teil 1: Wir beginnen die kulinarische Reise durch den Südwesten der Republik in einem Klassiker der deutschen Hochküche. Das GästeHaus Klaus Erfort war bisher immer eines der bekanntesten Aushängeschilder des Saarlands und weit darüber hinaus – das ist es im Grunde genommen natürlich immer noch. Wenn ich hier von „war“ rede, dann deshalb, weil sowohl der Gault&Millau als auch der Guide Michelin beide in diesem Jahr erstmals seit Ewigkeiten von ihrer Höchstnote abwichen und dem Lokal gewisse Schwächen im vergangenen Jahr attestierten. Die Abwertung von 19,5 auf 19 Punkte durch den G&M wog dabei sicherlich weniger schwer, aber die Aberkennung des dritten Michelin-Sterns im Frühjahr kam dann doch sehr überraschend. In einem Presse-Statement äußerte sich Chefkoch Klaus Erfort dahingehend, dass es ein Restaurant wie seines, welches ohne Sponsor im Hintergrund auskommt, während der Pandemie derzeit sehr schwer hätte. Sowohl der G&M als auch der Guide Michelin hätten wohl qualitative Abstriche festgestellt, die er zwar nicht so empfunden habe, aber die Urteile seien nun einmal in Stein gemeißelt. Der GUSTO und der FEINSCHMECKER hielten dagegen an ihren bisherigen Noten fest.

Woran Klaus Erfort die Qualität seiner Darbietungen festmacht, wird aus dem leicht abgewandelten, berühmten Eingangszitat des ehemaligen Fussball-Bundestrainers Sepp Herberger am ehesten deutlich. Gerade deshalb sind wir zuversichtlich, dass trotz einer marginalen Enttäuschung beim letzten Besuch vor drei Jahren (die allerdings keine Abwertung auf zwei Sterne gerechtfertigt hätte) der aktuelle Besuch wieder besser gelingen würde. Genauer gesagt rechneten wir sogar mit einer Trotzreaktion, frei nach dem Motto: „Jetzt erst recht!“. Tatsache ist jedenfalls – wie uns schon bei der Reservierung auffällt – dass es hier nun geänderte Öffnungszeiten gibt, die offenbar dem Vorbild des Berliner Facil nacheifern: seit letztem Jahr ist an Wochenenden komplett geschlossen und dafür an allen Werktagen mittags wie abends geöffnet. Auch das attraktive Mittagsmenü wurde beibehalten, doch schon bei der Anreise verständigen wir uns darauf, dass diese recht lange Strecke das große Menü verdient hätte.

Das herrliche Wetter an diesem Tag lässt es zu, dass wir das gesamte Mahl auf der Terrasse mit Blick in den großzügigen englischen Garten einnehmen dürfen. Natürlich hätten wir auch die schicken Innenräume der blütenweißen Gründerzeitvilla akzeptiert, doch an dem Genuss sollte dies ohnehin nichts ändern. Schon vor dem Verzehr fällt uns auf, dass einige Details verändert wurden: so hat man beispielsweise die Wassergläser ausgetauscht und modernisiert. Die Hierarchie im Service scheint loser als früher gehandhabt zu werden, denn seit dem Abgang des Maîtres Jérome Pourchère (den wir im Esplanade tags darauf wieder antreffen sollten) scheint man noch keinen vollwertigen Ersatz gefunden zu haben, zumal in Corona-Zeiten das Servicepersonal ohnehin ständigem Wandel ausgesetzt ist.

Wir entscheiden uns also für das siebengängige Menü zu € 210, das in dieser Qualitätskategorie mehr als fair bepreist ist, zumal die zahlreichen Extras diesen Betrag mehr als rechtfertigen. Neben dem Mittagsmenü kann man übrigens auch einige Klassiker à la carte bestellen. Auch diese Option klingt durchaus verlockend, aber man kann eben nicht alles haben …

Zu einem PriSecco Nr. 31 von Jörg Geiger (Wiesenobst, Grüntee, Gartenmelisse) serviert man vier Amuses, die es wahrlich in sich haben sollten. Den Auftakt bildet ein pochiertes Wachtelei mit Nussbutter, Trüffel und Kartoffel – natürlich eine bewährte Kombination, die man schon oft auch anderswo erlebt hat, aber eben selten in solcher Perfektion wie hier: grandiose Qualität in allen Details und das unnachahmlich schmelzige Ei heben diesen Beitrag weit aus der Masse der Konkurrenten hervor.

Selbiges ließe sich problemlos auch von den anderen Amuses behaupten: ein Granny–Smith-Macaron mit Gänseleber und Zitronensphäre begeistert durch seine ungeheure Aromendichte und  -vielfalt, während der Filoteig mit Mozzarellacrème und Tomate uns durch seine ungeheure Konzentration imponiert. Auch die komplex, doch jederzeit stimmig mit Dill, Senfsaat, Birne und Grapefruit abgeschmeckte Gillardeau-Auster hält locker das gezeigte Niveau und überzeugt auf ganzer Linie. Was für ein Einstieg!

Auch die Brotauswahl kann sich sehen lassen: ein dunkles Champagner-Roggen-Brot sowie ein helles Ciabatta mit Tomate und Olive stehen zur Auswahl im Verbund mit Allgäuer Salzbutter oder Butter mit Lauchasche und Schnittlauch verfeinert.

Das war jedoch noch immer nicht alles vor dem offiziellen Einstieg ins Menü: als Gruß aus der Küche kommt noch ein wahrhaft luxuriöses, ja fürstliches Entrée: Carpaccio von der Langustine paart Klaus Erfort mit einer gut versteckten Rosa-Ingwer-Sphäre sowie Impérial-Kaviar unter dem Blutampfer und Koriander. Das unvergleichlich transparente Geschmacksbild lässt überragende Produktqualität und Perfektion gleichermaßen auf allen Ebenen durchscheinen: die mustergültige Konsistenz des Carpaccio, die geistige Durchdringung (vor allem die umwerfende, leichte Schärfe durch die gehaltvolle Bisque) und traumwandlerisch sichere Zubereitung. Das ist nichts weniger als ein grandioses Meisterwerk – und das schon vor dem offiziellen Auftakt!

Nach diesem Einstieg, der die Messlatte um einige Dimensionen höher als bei einem „gewöhnlichen“ Zweisterner hängt und etlichen Dreisternern mehr als zur Ehre gereichen würde, kommt es nun zum ersten echten Härtetest: was harmlos als bretonischer Hummer mit Bete und Schnittlauch angekündigt wird, verfeinert die Küche mit Wildkräutern, Gurke und einer zusätzlichen Schnittlauch-Emulsion, die für vibrierende Frische sorgt. Doch auch sonst erweist sich dieses handwerklich makellose vegetabile Bouquet als in allen Details stimmig und ohne überflüssiges Beiwerk. Dieses sommerlich leichte Gericht mit einem generösen Halbkreis von Hummerfleisch punktet erneut mit filigran ausgeloteten Aromen, die dem Hauptdarsteller jedoch zu keiner Zeit die Schau stehlen und sich perfekt anschmiegen. Abermals setzen das überragende Handwerk, die überbordende Kreativität und die wundervolle Optik dieser erneuten Sensation die Krone auf. Ganz, ganz großes Kino!

Als nächstes wartet die Küche mit einem Gang auf, den der Service als „Klassiker“ annonciert, der mir aber überhaupt nicht geläufig ist: Tarte von confierten Tomaten mit Aubergine, Anchovis und Basilikumöl entpuppt sich als ein fast vegetarischer Gang von ergreifend schlichten Produkten, dem jedoch ebenfalls nichts weniger als das Etikett der Großartigkeit angeheftet werden muss: ein knuspriger, praktisch fettfreier Boden sowie wunderbar zurückhaltende Sardellen von keineswegs penetranter Salinität bilden die Basis. Der eigentliche Clou sind jedoch die schmelzig-mürben Tomaten, die nur so vor Aroma strotzen, und ihr wunderbares Zusammenspiel mit der weichen Aubergine und dem knusprig gerösteten Panko obenauf. Zurecht ein Klassiker, der mir angesichts seiner kraftvollen Aromendichte und der Kompaktheit erneut den Verstand raubt.

In etwas schlichterem Gewand kommt Medaillon vom Steinbutt daher, doch sollte das keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass auch dieser Gang das Prädikat der Extraklasse verdient. Selbst wenn der Weisswein-Sud mit Vongole-Muscheln schwebend leicht wirkt, so sorgen Tropfen von Sauce rouille und drei Canneloni, gefüllt mit Bouillabaisepüree, für mehr Tiefe als gedacht. Einmal mehr spricht auch die mustergültig zarte Konsistenz des Fischs für sich – ich komme bald nicht mehr aus dem Staunen heraus, obwohl dies (relativ gesehen) vielleicht sogar der marginal schwächste Gang bisher war! Nur zur Einordnung: andere Köche wären froh, wenn dieser Teller ihr stärkster Gang in einer Menüfolge wäre!

Nach den leichteren Gängen mit Fisch, Gemüse und Meeresfrüchten wendet sich die Küche nun deutlich kräftigeren Aromen zu, verlässt dabei aber natürlich nicht das französische Terrain, das nun einmal die Basis aller Arbeit in diesem Hause darstellt. Schwarzer australischer Wintertrüffel, der in einer auffallend großzügigen Menge eingesetzt wird, bedeckt hier Agnolotti vom Ochsenschwanz, doch wäre man hier nicht bei Klaus Erfort, wenn nicht auch dieses Gericht weiter veredelt würde: im Verbund mit dem unwahrscheinlich mürben Fleisch setzt man dem rustikalen Aroma des schwarzen Trüffels einen eleganten und süffigen weißen Trüffelschaum entgegen, der zu einem hinreissenden Spiel zwischen den luxuriösen Pilzen führt. Um dem erdigen Charakter etwas entgegenzusetzen, verhilft junger Lauch mit dezenter Schärfe und textureller Abwechslung dem Gang zu wahrer Klasse. Einfach wundervoll!

Taubenbrust mit Spitzkohlröllchen und frischen Pfifferlingen entpuppt sich zum Hauptgang beim Auftragen des Tellers einmal mehr als Understatement vom Feinsten. Das relativ kurz gebratene und damit eher herb interpretierte Fleisch geht eine wundervolle Liaison mit zahlreichen Innereien der Taube ein und unterstreicht die Qualitäten von Brust, Herz und Leber auf höchst treffliche Weise. Das kraftstrotzende Keulenragout wird durch die herben Noten von Spitzkohl und Selleriepüree abgefedert, doch das i-Tüpfelchen stellt die mit Cognac und Gänseleber gebundene Sauce dar, die alles stimmig miteinander verquickt. Im ersten Moment scheint dieser Gang nicht ganz mit den Vorgängern mithalten zu können, doch in der Rückschau drängen sich seine nicht so sehr auf der Hand liegenden Qualitäten immer mehr auf. Fraglos hätte man das Fleisch auch kräftiger braten können, doch gerade in dieser Variante gelingen die Varianten von Innereien besonders gut und machen aus diesem Plat principal einen herbstlich anmutenden, aber schiere Größe verratenden Gang.

Als Pré-Dessert, das allerdings als eigener Gang aufgezählt wird, serviert man Cocktail von der Cantaloupe-Melone mit Anis und Fenchel. Dieses Mal sorgt die Vielfalt an Texturen für die Abwechslung in diesem sommerlich-leichten Dessert: gerade die Hauptdarstellerin wird in Form von Espuma, Mousse und reiner (eingelegter) Frucht interpretiert, doch auch der Fenchel-Sponge macht Laune bei diesem Nachtisch, der allenfalls ein wenig zu verspielt gerät, aber trotzdem inspirierend und erfrischend daherkommt.

Délice von Valrhona Tropilia mit Sauerkirschen und Holunder als offizieller Ausklang bittet zu einem launigen Reigen aus gehaltvoller und recht herber Schokoladen-Ganache, Sauerkirsche als Crème, Espuma und glasiert), diversen Beeren sowie dem entwaffnend leichten Holunderschaum. Das ist schwerlich der letzte Schrei, wenn es um Pâtisserie-Trends geht, doch um modische Strömungen scherte man sich in diesem Haus bislang praktisch nie. Matthias Spurks Kreation fügt sich ergo in die gezeigte Stilistik nahtlos ein, vermeidet radikale Experimente und setzt einfach auf kraftvollen, aber nie überdrehten Geschmack, der durch diverse texturelle Spielereien veredelt wird. Ein würdiger Abschluss, aber kein Höhepunkt.

Die Petits fours überzeugen nochmals auf ganzer Linie mit einer klassischen Opéra-Schnitte, einem Windbeutel mit Pistazienfüllung und Himbeerpulver obenauf, einem Himbeer-Macaron, einem Salzkaramell-Tonkabohnen-Bonbon, einem klassischen Cannelé und einem Délice von Mango und Banane. Nahtlos wird da angesetzt, wo man zuvor aufgehört hatte.

Was war das für ein Menü! Sieht man einmal von dem Service ab, der noch nicht bis in alle Facetten eingespielt zu sein scheint und ein wenig unpersönlich agiert, hat uns dieser Nachmittag durchweg überzeugt – um nicht zu sagen „überrascht“! So grandiose Eindrücke bei so fairen Preisen und Nebenkosten hatten wir zuletzt beim Mittagsmenü vor fünf Jahren mitgenommen, doch macht es natürlich einen Unterschied, ob man so eine Leistung in einer kurzen Abfolge von Highlights bei einem knappen Mittagsmenü oder über die lange Distanz eines großen Menüs hinweg abrufen kann. Schon die Amuses verdeutlichten, dass hier keinerlei Resignation Einzug gehalten hatte – man schien im Gegenteil gleich auf nachhaltige, aber keineswegs vordergründige Beeindruckung zu setzen. Dies gelang auch fraglos ausgezeichnet, doch wer die Messlatte schon zu Beginn derart hochhängt, der muss sich seiner Fähigkeiten absolut sicher sein. Klaus Erfort, der nächstes Jahr seinen fünfzigsten Geburtstag feiern wird, hat in all den Jahren natürlich eine Routine und Reife entwickelt, die ihresgleichen sucht. Nur ganz, ganz selten ist es mir vergönnt, eine komplette Menüfolge auf derart konstantem und exorbitantem Niveau zu erleben.

Das Fazit dieses Nachmittags fällt ergo relativ einfach aus: wir fragen uns verdutzt, welche Umstände wohl zum Verlust des dritten Sterns geführt haben mögen. Aus unserer Sicht war dies sogar der stärkste von vielen außergewöhnlichen Besuchen bisher, denn bei aller Bescheidenheit bleibt festzuhalten, dass sich speziell die erste Hälfte der Menüfolge praktisch durchweg auf Weltklasseniveau bewegte. Auch der zweite Teil konnte uns vollständig überzeugen und geriet bestenfalls unbedeutend schwächer, so dass aus unserer Sicht der Wiedererlangung des dritten Sterns überhaupt nichts im Wege stehen sollte – wobei die Praxis freilich anders aussieht und uns nur allzu grausam daran erinnert, dass ein solcher Vorgang fast nie eintritt. Der Guide Michelin hatte allerdings vor der Gala im Frühjahr dieses Jahres großspurig verkündet, angesichts der besonderen Umstände ein noch größeres Fingerspitzengefühl als sonst an den Tag zu legen. Wenn dem so ist, dann sollte man unserer Ansicht nach im nächsten Jahr schleunigst über seinen eigenen Schatten springen und die ziemlich dubiose Abwertung dieses Restaurants rückgängig machen. Wir empfinden es schon als bemerkenswert, dass keiner der Angestellten irgendeinen Groll ob der Abwertung hegte, sondern alle Mitarbeiter weiter konzentriert zu Werke gingen als ob nichts geschehen wäre.

Die außergewöhnliche Produktqualität, die Harmonie in der Menüfolge und speziell die genau ausgeklügelte Aromatik in den Gerichten sind vielleicht allesamt nicht die augenfälligsten Argumente, doch zeugen sie von der großen Substanz dieser Küche. Andere Köche mögen knalliger und effektheischerischer kochen, doch solche Manierismen hatte man hier noch nie nötig – und wird es auch hoffentlich in Zukunft nicht haben. Wer seine klassisch französisch inspirierte Küche immer wieder derart dezent, leise und unauffällig an die heutige Zeit anpasst, der kann nur ein großer Koch sein. Gerne hätten wir unser Urteil in genau dieser Form Herrn Erfort auch mitgeteilt, doch kennt man ihn (leider) auch dafür, dass er ohne signifikanten Grund seine Küche nur selten verlässt und ihm Anerkennung fast schon peinlich ist. Unseres Lobes kann er sich jedenfalls sicher sein – und der Mehrzahl seiner Gäste, die nach wie vor dem Haus die Treue halten, scheint es kaum anders zu ergehen. Wir kommen auf jeden Fall wieder!

Vor dem Hintergrund all dieser Lobeshymnen sollte es keine Überraschung mehr darstellen, dass ich diesem denkwürdigen Besuch die Höchstnote verleihe und ihn weiterhin auf Platz 7 meiner besten Restaurantbesuche aller Zeiten (mit aktualisiertem Datum) einordne.

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

GästeHaus Klaus Erfort
Mainzer Str. 95
66121 Saarbrücken
Tel.: 0681/9582682
www.gaestehaus-erfort.de

Guide Michelin 2021: **
Gault&Millau 2021: 19 Punkte
GUSTO 2021: 10 Pfannen
FEINSCHMECKER 2021: 5 F

7-gängiges Menü: € 210

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August 2018

Das kleinste Flächenland der Bundesrepublik ist nicht gerade ein Touristenmagnet, doch in kulinarischer Hinsicht steht das Saarland bei Gourmets angesichts gleich zweier Drei-Sterne-Restaurants seit jeher ganz oben auf der Liste. Die Nähe zu Frankreich bleibt für die Region natürlich nicht ohne Folgen, und so überrascht es kaum, dass ein ansehnlicher Teil der Gäste in den Spitzenlokalen französisch ist.

Das eine Lokal, Victor’s Gourmetrestaurant, ist in einem Schloss direkt an der Grenze zu Luxemburg in Perl-Nennig angesiedelt. Während Christian Bau dort einen französischen Stil pflegt, der mit japanischen Akzenten arbeitet, geht es im anderen saarländischen Drei-Sterne-Restaurant weitaus klassischer zu. Hier steht die Wirkungsstätte von Klaus Erfort: das Gästehaus Klaus Erfort am östlichen Stadtrand von Saarbrücken. Die Bühne für die Kochkunst des hoch dekorierten Chefs ist eine weiße Villa mit einem rückseitig gelegenen englischen Garten. Angesichts der Höchstnoten in allen vier klassischen Guides (Guide Michelin, Gault&Millau, Gusto und FEINSCHMECKER) zählt das Lokal seit Jahren zu den besten fünf der Republik.

Die lichten, fast komplett in Weiß gehaltenen Räumlichkeiten sind punktuell mit moderner Kunst verziert und erlauben dank der großflächigen Fenster einen Blick in den bereits erwähnten Garten. Die bequemen aubergine-farbenen Sessel tragen ihren Teil zur entspannten Atmosphäre in diesem Lokal bei, das auch dank der geräumigen Abstände zwischen den Tischen keinerlei Hektik aufkommen lässt. Die ansonsten spartanisch und nur mit einem originellen Wasserglas eingedeckten Tische sind dagegen manchmal grenzwertig klein, doch mit Ausnahme des Reigens zu Beginn kommt jede Kreation grundsätzlich nur auf einem Teller, so dass der geringe Platz kaum ins Gewicht fällt.

Wir steigen ein mit einem gewagten Cocktail aus Sanbitter, aufgegossen mit Früchtetee und mit Hibiskus sowie Holunder verfeinert – ein alles andere als süßer Einstieg, der aber die Geschmackspapillen auf Betriebstemperatur bringt. Zu einer eher belanglosen Brotauswahl serviert man gleichzeitig fünf hochfeine Einstiege: ein Cracker mit geschmolzenem Käse und Blutwurst (diesmal ohne Trüffel obenauf, wie schon in der Vergangenheit erlebt), ein Limettenbaiser mit Räucheraal, ein Profiterol mit Gänseleber gefüllt, ein Kartoffel-Speck-Röllchen mit etwas Ceta-Kaviar obenauf sowie eine Gillardeau-Auster an einer Curryvinaigrette. Diese Petitessen sind keine knalligen Aromenbomben, sondern dezent dosierte und genau ausgelotete kleine Anreger mit Charme.

Das viergängige Mittagsmenü für € 115 beginnt diesmal mit Lachs und Gurkentexturen. Der ultrafrische, marinierte Lachs schmeckt im Verbund mit den Texturen von Gurke (Eis, Röllchen, Chutney) schmeckt fraglos ausgezeichnet, schneidet aber im Vergleich mit ähnlichen Kreationen, die ich in jüngerer Vergangenheit zuhauf erleben durfte, nicht signifikant besser ab. Es ist zwar wahr, dass Erfort sicherlich einer der meistkopierten Köche ist, doch allerhöchste Handwerkskunst schien mir für diesen Einstieg nicht wirklich vonnöten zu sein.

Der beste Gang des Tages ist ein Onsen-Ei mit Geflügelhaut und australischem Wintertrüffel. Das Ei hat vorzüglichen Schmelz und schafft ein hochelegantes Aromengeflecht, das indes stets klar erkennbar bleibt. Hier ist Erfort wahrlich ganz bei sich: anstatt gedankenlos irgendeinem modischen Trend zu huldigen, verlässt er sich lieber auf die Produktqualität und gibt nur das Nötigste hinzu – ein Klassiker vorzüglich und zeitgemäß interpretiert.

Beim Hauptgericht dagegen fällt es mir dagegen schwer, ganz große Handwerkskunst zu attestieren: das Lammkarrée auf grünen Bohnen mit Tomaten- und Artischockenchutney würde ich so eher in einem gehobenen Landgasthof erwarten. Das Lammfleisch sagt meiner Begleitung gar nicht zu, während ich es durchaus als ordentlich, aber kaum mehr als das empfinde. Gemessen an der Erwartungshaltung an ein Drei-Sterne-Haus fällt mir dieses Gericht dann doch nicht als genügend außergewöhnlich auf.

Das Dessert zieht mit Arrangement von Herzkirschen und Schokolade wieder an und komprimiert viele Aromen auf kleinem Raum. Patissier Matthias Spurk, vom Gault&Millau gar zum Patissier des Jahres 2018 ausgezeichnet, liefert hier einen Beweis seines Könnens, aber wirklich überragend gerät diese Kreation nicht. Das Spiel mit Konsistenzen und Texturen gerät durchaus originell, aber zu einem bleibenden Geschmackserlebnis führt dies trotz allem nicht. Noch nüchterner und wesentlich spartanischer als sonst (und damit enttäuschender) fallen die aboslut gewöhnlichen Petits fours wie Madeleine oder Cannelé aus.

Nein, es war ganz klar nicht unser Tag hier. Einhellig loben zwar die Guides den klaren Stil Erforts, dessen klassische Kreationen in sich ruhen, ohne jeden Schnörkel auskommen, federleicht wirken und den Arbeitsaufwand viel niedriger erscheinen lassen als er tatsächlich ist. Trotzdem konnte ich diesmal die ganz große Meisterschaft Erforts nicht so klar wie schon in der Vergangenheit erkennen – man konnte den Eindruck gewinnen, dass das Mittagsmenü gegenüber früher eine deutlich niedrigere Priorität genoss. Bei allen meinen bisherigen Besuchen habe ich den vom Grand Chef eingeschlagenen Weg ohnehin stets als Gratwanderung empfunden, denn nicht wenige der hier präsentierten Gerichte verzichten auf allzu tiefgründige Aromatik und setzen stattdessen auf Eleganz und Ausgewogenheit – zwei Kriterien, deren Wertschätzung nicht immer leicht fällt. Bei Vergleichen mit anderen klassischen Drei-Sterne-Restaurants fallen durchaus erhebliche Unterschiede auf: die barocke Opulenz des Bareiss oder die süffige Aromenintensität im Waldhotel Sonnora sucht man hier vergebens. Die äußerst subtil ausgeloteten Aromen führen in der Regel selten zu ausgeprägten Begeisterungsstürmen, sondern eher zu einer Art introvertierten Beglückung des Gastes. Diese tritt aber (zumindest an diesem Tag) eben nicht immer ein: der Einstieg mit dem Lachs war sicherlich ausgezeichnet, aber spontan würden mir einige weniger hoch dekorierte Lokale einfallen, die diese Kreation ebenbürtig hätten hinbekommen oder gar toppen können. Während das Onsen-Ei überzeugen konnte, schien mir beim Hauptgericht gar eine gewisse Banalität des Gerichts an sich ein Problem zu sein, denn dieses erweckte nicht den Eindruck, dass es unbedingt eines Spitzenprofis bedürfte, es so hinzubekommen. Entweder liege ich armseliger Querulant hier also komplett daneben oder ein Lammkarrée mit Bohnen und zweierlei Chutneys ist schlicht und ergreifend kein Gericht, das ich in einem solchen Lokal erwarte. Hier kamen mir Esprit und Kreativität dann doch signifikant zu kurz. Spontan entsinne ich mich einer Anekdote, in der mir ein Bekannter entsetzt davon erzählte, wie er seinerzeit bei Drei-Sterne-Koch Dieter Müller allen Ernstes Königsberger Klopse vorgesetzt bekam …

Dass ich auch schon ganz andere Erfahrungen in diesem Haus machen durfte, will ich hier nicht verschweigen. Mein letzter Besuch vor zwei Jahren rangiert immer noch auf Rang 3 meiner besten Restaurantbesuche aller Zeiten. Auch damals war der Stil von Erfort schon glasklar ausgeprägt, doch die Kreationen wirkten damals viel eher so, dass ein Amateur sich trotz ihrer scheinbaren Einfachheit erst gar nicht an ihnen versuchen sollte. Von diesem Erlebnis war der jüngste Besuch, der meines Erachtens unter dem Strich diesmal keine drei Sterne rechtfertigte, allerdings weit entfernt. Ein Teil dieser Erkenntnis ist auch dem Umstand geschuldet, dass der Abgang von Maitre Jérome Pourchère (der übrigens noch immer namentlich auf der hauseigenen Homepage genannt ist, obwohl sein Rückzug nun schon einige Monate zurück liegt) bislang nicht gleichwertig kompensiert werden konnte. Sein Nachfolger Pascal Morsch (noch unter Pourchère geschult) ist ein junger und dynamischer Maitre, aber der Mangel an Erfahrung macht sich hin und wieder doch noch bemerkbar. Seine umtriebige Art wird am durchaus geselligen Nebentisch wohlwollend zur Kenntnis genommen, wirkt aber auf mich eher rastlos und noch nicht so souverän. Patzer erlaubte er sich keine, aber sein Naturell ist nicht unbedingt mein Fall. Küchenchef Klaus Erfort dagegen meidet eher den Gastraum und ließ sich auch diesmal dort nicht blicken.

Eine leichte Enttäuschung war diese Stippvisite mit Sicherheit, aber wie dieser Besuch bewies können eben selbst die eingespieltesten Automatismen und höchsten Weihen nun einmal keine rundum gelungene Erfahrung garantieren (selbst die Schwarzwaldstube sollen schon einzelne Gäste enttäuscht verlassen haben …). Trotz allem lasse ich die Kirche im Dorf und bekenne, dass ich mich schon jetzt auf den nächsten Besuch freue und hoffe, dass dann die gewohnten Eindrücke von früheren Besuchen wieder die Oberhand gewinnen.