Galaabend „Sterne über Falkensee“ im Hexenhaus

Samstag, 29. Juni 2024

Mitten in einem Wohngebiet gelegen und doch gut versteckt, liegt im Örtchen Falkensee ein bemerkenswertes Restaurant: das seit 2009 von Edmond Becker betriebene Hexenhaus. Im schönen Havelland, gut zehn Kilometer westlich von Berlin-Spandau, offeriert man eine – zumindest nach der Größe der winzigen Küche zu beurteilen – bemerkenswert gute Kost, die im Bundesland Brandenburg (und auch darüber hinaus) einen exzellenten Ruf genießt, selbst wenn kein Michelin-Stern über ihr leuchtet. Der heimliche Star eines Abends hier ist jedoch die Location selbst, denn das urige, denkmalgeschützte Gebäude könnte ohne Weiteres in einem Märchen der Gebrüder Grimm vorkommen, wenngleich das im Jugendstil gestaltete Intérieur doch schnell erkennen lässt, dass diese außergewöhnliche „Hütte“ erst lange nach dem Ableben der Märchenbrüder gebaut wurde. Die geschmackssichere Gestaltung und die handwerklich tadellose Küche machen eine Stippvisite hier jedenfalls zu einem unvergleichlichen Erlebnis – kurz vor dieser Gala fanden hier sogar mehrtägige Dreharbeiten für eine Netflix-Serie statt!

An diesem Abend hat jedoch Chef und Gastgeber Edmond Becker im Garten erneut zur Gala „Sterne über Falkensee“ geladen, die im jährlichen Turnus zu einer Spendenaktion größerer Dimension gerät. Dafür hatte er sich prominente Stargäste ins Boot geholt: neben Hans-Peter Wodarz, der in der Szene für seine zahllosen Kontakte mindestens genauso bekannt ist wie für sein ungebremstes Engagement im PALAZZO am Berliner Bahnhof Zoo, findet sich auch Christian Lohse auf der Gästeliste. Der sicherlich noch etlichen Gästen als zweifach besternter Chef des Fischers Fritz bekannte Ehrengast hatte keine sehr lange Anreise, denn dank seiner neuen Wahlheimat Falkensee hätte er theoretisch auch zu Fuß anreisen können. Sein ehemaliges nobles Restaurant am Gendarmenmarkt ist seit 2017 Geschichte, doch untätig war der Gastronom seither keineswegs – dazu später mehr.

Als Moderator sicherten sich die Veranstalter die Dienste von Dirk Lausch, der professionell und kompetent durch den Abend geleitete. Er stellte den Gästen nicht nur die beiden kochenden Ehrengäste vor, sondern auch die weiteren VIPs des Abends: die ebenfalls in Falkensee ansässige Malerin Anna Filimonova, der Schauspieler und Synchronsprecher Frank Röth sowie der Sänger Michael O’Connor Kelly wurden in kurzen Filmchen präsentiert und danach interviewt.

Dirk Lausch und Gastgeber Edmond Becker

Der Moderator im Gespräch mit Frank Röth

Hans-Peter Wodarz könnte wahrscheinlich auch tagelang
Anekdoten aus seinem Fundus zum Besten geben!

Christian Lohse lässt die Höhepunkte seiner
bisherigen Vita Revue passieren

Die Malerin Anna Filimonova malte sogar live vor Ort!

Michael O’Connor Kelly unterhielt das Publikum mit 
Klassikern von Frank Sinatra, Dean Martin und Elvis

Bei den mit € 140 fair bepreisten Tickets waren nicht nur die Speisen, sondern auch das Rahmenprogramm sowie die Getränke inkludiert, weshalb mit dem Champagner nicht gerade sparsam umgegangen wurde. Für die ungefähr 110 Gäste waren in dem großzügigen Garten Zelte aufgebaut worden, die sich letztlich als nicht notwendig erwiesen: während im Rheingau oder über dem Dortmunder Westfalenstadion beim Deutschland-Spiel gegen Dänemark heftige Stürme tobten, blieb es in Berlin und Umgebung trocken und ruhig. Bei der straffen und sicheren Organisation passte es perfekt ins Bild, dass auch das Wetter mitspielte, denn sieht man einmal von Problemen mit der Aussteuerung des Mikrophons ab, lief alles nahezu perfekt an diesem Abend. Auch die drei karitativen Organisationen, denen der Erlös des Abends letztlich zugute kam, hatten jeweils einen Vertreter entsandt, der ihre Arbeit in groben Zügen umriss. Nutznießer der Charity-Aktion waren übrigens die drei Vereine Gnadenhof & Wildtierrettung Notkleintiere, Babylotsen sowie Kinderauto, die sich natürlich zurecht allesamt Hoffnungen auf einen signifikanten Betrag zur Unterstützung ihrer Arbeit machten. Angesichts der großzügigen Bereitstellung vieler Preise durch die anwesenden Ehrengäste konnte man schon von vornherein von einem stattlichen Sümmchen ausgehen, doch das Endergebnis dürfte die kühnen Erwartungen eher noch getoppt haben …

Vor der Auktion – und damit dem Höhepunkt des Abends – blieb aber reichlich Gelegenheit, die Ehrengäste etwas näher kennenzulernen und sich mit meinem Gegenüber auszutauschen: zu meiner nicht geringen Überraschung sitzt mir Max Ragwitz samt Partnerin gegenüber. Den vor allem in den neuen Bundesländern sehr umtriebigen Foodjournalist und Blogger stellt Hans-Peter Wodarz den anderen Gästen als den „Siebeck des Ostens“ vor, was angesichts dessen Erfahrung  von mehreren Jahrzehnten kaum zu hoch gegriffen sein dürfte.

Das Essen selbst war schwerlich der Hauptgrund für die Teilnahme an der Gala – im Hinblick auf die drangvoll enge Küche grenzte es ohnehin schon an Wunder, eine dreistellige Zahl an Gästen bewirten zu können. Außerdem standen an diesem Abend das Menschliche und das Herzliche deutlich stärker im Mittelpunkt, weshalb es mir nicht angemessen erscheint, hier dieselben Maßstäbe wie bei einer Veranstaltung anzulegen, bei der die Kochkünste dominieren. Den konkreten Gegebenheiten war es beispielsweise geschuldet, dass der große Brotteller zu Beginn nicht abgetragen wurde, sondern im weiteren Verlauf als Präsentierteller herhalten musste, was auch die Brotkrumen im Hintergrund auf den Fotos erklärt. Raffinesse und Präzision waren notgedrungen reduziert worden, doch Edmond Beckers eigene Aussage am Ende, man wäre heute durch das Menü „gerumpelt“ (O-Ton!), scheint zu harsch. Die Küchendarbietung war zugegebenermaßen schlichter gehalten als sonst, doch immer noch deutlich besser als es der Schreiberling dieser Zeilen mit seinen rudimentären Kochkünsten jemals hinbekäme!

Nach Sylter Holzofenbrot mit einem bemerkenswerten Quark-Meerrettich-Dip folgt als erstes Amuse eine Essenz von Bouillabaisse mit deutlichen Aromen von Krustentieren und Fischen. Die heiße und dünnflüssige Essenz kann man ohnehin nur in kleinen Schlücken trinken, was allerdings gleichzeitig das Bewusstsein für die beachtliche Tiefe und die Qualität bei der Zubereitung im Allgemeinen schärft – ein kleines Meisterwerk im harmlosen Gewand!

Bodenständig geht es auch bem zweiten Amuse, der lauwarmen Tarte vom Loch-Duart-Lachs zu, doch das zart gedämpfte Fischlein im Blätterteigmantel weist mühelos nach, dass Ansprechendes auch im einfachen Gewande strahlen kann. Höchste Artistik ist hierfür sicher nicht notwendig, aber dank ausgezeichneter Produktqualität muss hier kein Schnickschnack vom Wesentlichen ablenken. Ansrpechend und einfach gut, Punkt!

Dass die Ente in irgendeiner Form beim Gastbeitrag von Hans-Peter Wodarz nicht fehlen durfte, versteht sich von selbst: hausgemachte Raviellis (die er selbst am Tisch später als „Maultaschen“ bezeichnete) mit einer Farce von Entenklein an Morchelrahm und gehobelter Trüffelperle erwies sich als ein weiterer handwerklich grundsolider Beitrag aus der winzigen Küche, der das Dogma des Tages, nämlich Einfachheit, schön vorlebte und durch die Veredelung mit gleich zweierlei Pilzen deutlich an Kontur gewann. Von dem an diesem Abend an mehreren Ecken zugleich eingespannten und scheinbar omnipräsenten Starkoch durfte man angesichts dieses Pensums schwerlich eine hochtrabende Eingebung erwarten, doch ähnlich wie bei etlichen Gerichten in meinem geliebten Adler Rosenberg kann Schlichtheit vollkommen angezeigt sein, wenn nur alles andere stimmt.

Anrichte und Raffinesse würden beim Hauptgang eher nicht für Sterneniveau reichen, doch so harmlos wie es zunächst anmuten könnte, ist das Hauptgericht beleibe nicht: insbesondere die verblüffend mürben irischen Rinderbäckchen zeugen von exzeptionellem Handwerk. Die Entourage aus Pfifferlingen, Rotweinsauce und Mini-Grenaille-Kartoffeln erweist sich als grundsolide, wenn auch nicht übermäßig originell. Ganz im Gegensatz dazu ist der Cole Slaw auf komplexe Weise mit einem Salat von Buchweizen und Bohnenkernen vermengt, der die Aufmerksamkeit des Gastes nochmals fordert. Angesichts der fabelhaften Zubereitung des Fleisches sieht man sowieso gerne über die etwas profanen Elemente hinweg.

Auch der zweite kochende Ehrengast Christian Lohse steuert etwas zum Menü bei, nämlich ein dekonstruiertes Dessert namens „Pfirsich Solero“. In zwei Schichten befindet sich eine Art Pudding und fruchtbetontes Gelée im Glas mit einem Crumble obenauf, das Butterstreuseln ziemlich nahe kommt. Ich gebe zu, dass meine Aufmerksamkeit gegen Ende angesichts der zahlreichen Auktionen und dem Trubel etwas erlahmt ist, doch auch diesem Ausklang kann ich unumwunden meine Anerkennung zollen.

Bleibt also noch aufzuklären, wie viel Erlös der Abend am Ende denn nun einbrachte. Ein echtes Highlight der Versteigerung waren beispielsweise die sechs Plätze im PALAZZO zur Premiere der neuen Saison, denn für den Eröffnungstag gibt es keine regulären Karten zu erwerben: sie gehen ausschließlich an geladene Gäste, was den Stellenwert dieser Tickets spürbar erhöht. Sie wechselten letztlich für € 1.800 den Besitzer. Einen ähnlich hohen Preis erzielte auch das Dinner für bis zu sechs Personen im Rahmen von Lohses Salon. Was es damit auf sich hat? Nun, der Spitzenkoch hat seit kurzer Zeit ein bisher beispielloses Format etabliert, bei dem er ein sattsam bekanntes Vorgehen konterkariert und den Spieß umdreht: anstatt sich buchen zu lassen und bei Privatleuten in deren Räumen zu kochen, bewirtet er seine Gäste privat bei sich zuhause. Angesichts verschiedener Menüfolgen zur Auswahl schwankt der Preis dafür, doch unabhängig davon schätzen seine Gäste nach eigener Aussage die Tatsache, dass eine öffentlich ausgeschriebene Veranstaltung dennoch einen derart diskreten Charakter bewahrt. Ob sich das Konzept als zukunftsfähig erweist, vermag man derzeit wohl noch nicht zu sagen, aber zu wünschen wäre es dem Vorreiter jedenfalls. Ähnlich wie Hans-Peter Wodarz vor knapp 35 Jahren Neuland mit seiner Erlbenisgastronomie betrat, so leistet auch Christian Lohse heute Pinoierarbeit, wenn es um die Zukunft der Gastronomie geht. Weitere Preise wie ein von Ort vollendetes Gemälde von Anna Filimonova oder ein Essen im Hexenhaus für bis zu 10 Personen fanden ebenfalls großen Anklang. Letzten Endes wurden durch die großzügig bereitgestellten zehn Preise € 10.450 eingenommen, doch der großzügige Initiator dieses Abends legte selbst nochmals € 1.550 darauf, so dass jeder der karitativen Einrichtungen € 4.000 zugute kamen.

Mit seiner Aktion bewies der erfreulich geerdete und grundsympathische Edmond Becker einmal mehr ein großes Herz und setzte ein beachtliches Zeichen für mehr Offenheit, Selbstlosigkeit und Solidarität mit den Schwächeren in unserer Gesellschaft. Angesichts des warmherzigen Charakters der gesamten Veranstaltung geriet die Qualtität des Essens fast schon zu einer Beiläufigkeit – so sympathisch war das Event organisiert worden! Danke für alles!

 

Edmond’s Hexenhaus
Poetenweg 88
14612 Falkensee
Tel.: 01523/1717738
www.hexenhausfalkensee.de