Gibt es ein neues Drei-Sterne-Restaurant 2023? (UPDATE)

UPDATE:

Der rote Gourmetführer hat seine Deutschland-Ausgabe für 2023 vorgestellt und dabei viel Erfreuliches, aber auch wenig Überraschendes zu verkünden gehabt.

Erwartungsgemäß konnte Jan Hartwig in seinem Restaurant JAN die drei Sterne wiedererlangen, die er schon zu Zeiten im Münchner Atelier hatte. Nichtsdestoweniger stellt dies eine sehr beachtliche Leistung dar, die von den Qualitäten dieses Ausnahmechefs zeugt. Ein weiterer Vertreter, der „neu“ in die Drei-Sterne-Liga vorgestoßen wäre, ist hingegen nicht dazugekommen.

Unter den neuen Zweisternern finden sich zwei überfällige Auszeichnungen: das L.A.Jordan in Deidesheim und das Dichter in Rottach-Egern waren schon lange erwartbare Kandidaten und hätten die Auszeichnung meiner Meinung nach schon seit mindestens zwei Jahren verdient. Das Alois ist unter der neuen Leitung von Max Natmessnig erwartungsgemäß mit zwei Sternen auf Anhieb eingestiegen, und auch das Votum in Hannover durfte als potentieller Kandidat gelten, auch wenn mich kurioserweise die Darbietung von Benjamin Gallein in seinem ehemaligen Lokal Ole Deele in Burgwedel damals sogar noch mehr überzeugte als meine letztjährige Stippvisite an neuer Wirkungsstätte. Eher überraschende Aufwertungen erfuhren das Coeur d’Artichaut in Münster und das sein in Karlsruhe, die mir ziemlich wenig sagten, weil ich sie bislang nicht besucht habe. Die Mühle in Schluchsee und das Lakeside in Hamburg machten dagegen schon einige Male auf sich aufmerksam, doch ein Besuch steht in beiden Lokalen ebenfalls noch aus.

Erfreulicherweise hat es für das bi:braud in Ulm für den ersten Stern gereicht, während der Landgasthof Adler in Rosenberg leider für zumindest ein weiteres Jahr leer ausgeht. Weitere erwartbare und relativ prominente Kandidaten, die nun einen Stern ihr Eigen nennen, sind die Wolfshöhle in Freiburg, das Tisane in Nürnberg und das MARKOS in Weingarten.

Abwertungen betrafen (wie meistens) fast ausschließlich zwischenzeitlich geschlossene Restaurants, doch das Rosin des Fernsehkochs Frank Rosin in Dorsten verlor tatsächlich einen seiner zwei Macarons, was nicht wenige schon einigermaßen vehement gefordert hatten. Einen Neuanfang muss nun auch die „sterne-freie“ Residenz Heinz Winkler in Aschau im Chiemgau hinlegen, denn das nach dem Tod Heinz Winklers im Oktober 2022 hinterlassene Vakuum muss erst einmal neu aufgefüllt werden.

Die Zahl an Zweisternern in Deutschland erreicht übrigens mit 50 einen neuen Rekord, und auch die Gesamtzahl an ausgezeichneten Restaurants hat mit 334 einen neuen Höchststand erreicht.

Fazit: die Spitzengastronomie entwickelt sich nach der Pandemie weiterhin in eine erfreuliche Richtung, doch Paukenschläge gab es dieses Jahr jedenfalls keine zu verkünden.

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Bald ist es wieder soweit: am 4. April 2023 erscheint die neue Deutschland-Ausgabe des Guide Michelin. Wie immer nehme ich dies zum Anlass, darüber zu spekulieren, welches Lokal unter den aktuellen Zweisternern Aussichten auf einen dritten Stern hat oder gar mit einer Abwertung rechnen muss. Hier also eine Übersicht über die aktuellen Zweisterner (2022):

PURS (Andernach):
Nach dem Abgang von Christian Eckhardt hat sein Souschef Yannick Noack die Leitung der Küche übernommen. Ein Besuch unter dem Nachfolger steht noch aus, aber eine Abwertung käme unter diesen Vorzeichen nicht sonderlich überraschend. Vielleicht reichen das Talent und die Erfahrung aber doch aus, um den zweiten Stern zu halten.

Residenz Heinz Winkler (Aschau im Chiemgau):
Heinz Winklers designierter Nachfolger Armin Karrer warf bereits ganze fünf Wochen nach seinem Amtsantritt wieder hin und gab als Grund Verwerfungen an, die auf die neuen Besitzverhältnisse nach dem Tod Heinz Winklers zurückzuführen wären. Es scheint, dass hier vieles erst einmal wieder komplett neu ausgerichtet und aufgebaut werden muss – insofern käme eine Abwertung, die für manche schon vor dem Tod des Patrons zur Debatte stand, alles andere als unerwartet. 

August (Augsburg): 
Der letzte Besuch ist schon erschreckend lange her, aber bereits in der Vergangenheit drang noch nie sonderlich viel über das Lokal nach außen. Der Autodidakt Christian Grünwald ist ein Solitär in der deutschen Gastroszene geblieben und umgibt sich gerne mit der Aura des Rätselhaften. Somit ist dieses Restaurant immer für eine Überraschung gut, aber die Bestätigung der zwei Sterne ist dennoch das wahrscheinlichste Urteil. 

Steinheuers Restaurant „Zur Alten Post“ (Bad Neuenahr-Ahrweiler): 
Zuerst setzte die Corona-Pandemie dem Lokal spürbar zu, doch dann folgte zu allem Überfluss im Juli 2021 auch noch die verheerende Hochwasserkatastrophe im Ahrtal. Zusammen mit seinem Schwiegersohn Christian Binder konnte Hans Stefan Steinheuer sein bekanntes Lokal aber trotz aller Widrigkeiten stabilisieren und sollte auch weiterhin die zwei Sterne halten können. 

Le Pavillon (Bad Peterstal-Griesbach): 
Seit Jahren praktiziert Martin Herrmann im Schwarzwald eine unaufgeregte, solide und klassische Hochküche, die zwar Stück für Stück besser wird, aber noch nicht das Potential für einen dritten Stern hat – dafür fehlt mir bisweilen der Wagemut, obwohl die Qualität der Darbietungen an sich stets absolut untadelig ist.  

Vendôme (Bergisch Gladbach):
Ein Jahr nach der Aberkennung des dritten Sterns hat Joachim Wissler die erste Enttäuschung verdaut und vieles auf den Prüfstand gestellt. Mit seiner nun offenbar stärker vegetarisch ausgerichteten Küche beweist er jedenfalls, dass er weiterhin für Veränderungen bereit ist und sein Schaffen stets kritisch hinterfragt. Die sofortige Wiedererlangung des dritten Sterns wäre dennoch eine Überraschung, weil dies ein beispielloser Vorgang wäre.

CODA (Berlin): 
Mit seiner ausschließlich auf Dessert-Techniken basierenden Küche hat der gelernte Pâtissier René Frank erfolgreich ein in Deutschland einmaliges Konzept etablieren können, das zu Berlin wie der Topf auf den Deckel passt. Die Bestätigung der zwei Sterne hat hier oberste Priorität, denn die Experimentierfreude ist dem Team anzumerken. Der zweite Stern ist meinem Empfinden nach noch nicht bombenfest verankert, aber sicherlich förderlich für die Motivation.

Facil (Berlin):
Michael Kempf und Joachim Gerner haben ein Team um sich geschart, das ihnen zum Teil schon seit vielen Jahren die Treue hält. Das zahlt sich immer mehr aus, denn die Konstanz und die Qualität, welche diese Doppelspitze seit Jahren offerierte, waren höchst bemerkenswert. Mein jüngster Besuch deutete indes an, dass die vielen Servicezeiten in der aktuellen Phase, wo es schwieriger denn je ist, geeignetes Personal zu finden, auch hinderlich sein können: ganz so hoch wie gewohnt schien mir die Qualität diesmal nicht zu sein. Vielleicht wird Ausnahme-Pâtissier Thomas Yoshida mit seinen unvergleichlichen Kreationen zum Zünglein an der Waage …

Horváth (Berlin):
Sebastian Frank hat mit seiner stark gemüselastigen und zeitgemäßen Küche ein Lokal in Kreuzberg etabliert, das viele nicht mehr missen möchten. Mein letzter Besuch liegt allerdings schon länger zurück, so dass ich mir kein aktuelles Urteil erlauben kann. Nach dem damaligen Hype um den zweiten Stern vor einigen Jahren ist es inzwischen allerdings deutlich ruhiger um das Restaurant geworden. Ein dritter Stern käme daher ziemlich überraschend.

Lorenz Adlon Esszimmer (Berlin):
Nach dem Abgang von Hendrik Otto übernahm der bereits mit einigen Meriten ausgestattete Schweizer Reto Brändli. Angesichts seiner bisherigen Vita sollte er die zwei Sterne halten können, doch ein Besuch unter dem neuen Chef steht noch aus.

Tim Raue (Berlin):
Ein Dauerbrenner unter den Anwärtern auf den dritten Stern – Tim Raue betreibt gemäß der Meinung nicht weniger Kenner das beste asiatische Restaurant der Welt außerhalb Asiens. Dennoch scheiden sich an diesem Lokal die Geister: für die einen ist der dritte Macaron längst überfällig, für die anderen fehlt die notwendige Extraklasse. Mit zunehmender Dauer wird der dritte Stern jedenfalls immer unwahrscheinlicher.

ÖSCH NOIR (Donaueschingen):
Der noch junge Chefkoch Manuel Ulrich konnte schon sehr früh den zweiten Stern erlangen und sollte diesen auch bestätigen können. Mein letzter Besuch ist knapp zwei Jahre her, aber eine Bestätigung der bisherigen Auszeichnung ist absolut erwartbar.

Rosin (Dorsten):
Dies ist einer der ganz wenigen Zweisterner, die ich noch nie besucht habe. Namensgeber und Patron Frank Rosin ist dem Vernehmen nach öfters im Fernsehen als in seinem eigenen Lokal anzutreffen, doch mit Oliver Engelke zeichnet ein Chefkoch verantwortlich, der die zwei Sterne schon länger halten konnte. Dennoch zählt das Lokal für viele Kenner zu den umstrittensten und auch schwächsten Vertretern unter den Zweisternern in Deutschland.

Luce d’Oro (Elmau):
Machen wir es kurz: Christoph Rainer hat sich meiner Meinung nach nochmals so deutlich weiterentwickelt, dass dieses Restaurant die Rolle meines diesjährigen Topfavoriten für einen neuen dritten Stern einnimmt. Die Vielfalt seiner Techniken ist atemberaubend, die Produktqualität sowieso und das Ambiente des Spitzenhotels der perfekte Rahmen – gemessen an der jüngsten Darbietung vom letzten Herbst werden die Argumente, dem Lokal die Auszeichnung weiterhin zu verwehren, inzwischen sehr knapp.

Goldberg (Fellbach):
Das Lokal schloss seine Pforten im Juli des vergangenen Jahres und wird daher mit Sicherheit von der Liste gestrichen werden.

Gustav (Frankfurt am Main):
Jochim Busch setzt mit seiner verstärkt auf vegetarische Einflüsse setzenden Küche seit ein paar Jahren Maßstäbe in der Mainmetropole und sollte die zwei Sterne halten können. Ein Besuch meinerseits – auf den ich sehr gespannt bin – steht allerdings noch aus.

Lafleur (Frankfurt am Main):
Schon in Baden-Baden wurde Andreas Krolik vor vielen Jahren mit zwei Sternen ausgezeichnet und hielt diese trotz einer gänzlich anderen Stilistik auch in der Mainmetropole problemlos. Seine mit zwei Sternen prämierte Küche, die auch ein komplett veganes Menü beinhaltet, ist beispiellos in der Republik, doch mein jüngster Besuch überzeugte mich nicht vollständig. Dennoch muss das Lokal zum erweiterten Kandidatenkreis mit Außenseiterchancen gezählt werden.

Meierei Dirk Luther (Glücksburg):
Beständigkeit und eine genuin norddeutsch geprägte Küche zeichnen Dirk Hobergs Schaffen seit vielen Jahren aus. Wenn nichts Unerwartetes passiert, sind die zwei Sterne für meine Begriffe weiterhin absolut in Stein gemeißelt.

es:senz (Grassau):
Edip Sigl hat seine Stilistik im Vergleich zum Les Deux in München komplett umgekrempelt und binnen kürzester Zeit an neuer Wirkungsstätte ein atemberaubendes Niveau erreicht. Trotz der erst im Vorjahr erfolgten Auszeichnung gehört dieses Lokal für mich schon zur besseren Hälfte unter den Zweisternern – wie mein Premierenbesuch eindrucksvoll bewies. Natürlich ist es noch zu früh, um über den dritten Stern zu sprechen, aber in drei, vier Jahren könnte sich das ändern. 

100/200 (Hamburg):
Hamburgs neuester Zweisterner wartet mit einer ziemlich nordisch geprägten und stark auf Gemüse setzenden Ästhetik auf, die in der Hansestadt derzeit sehr angesagt zu sein scheint. Ein Besuch steht noch aus, aber die Bestätigung des im Vorjahr erlangten zweiten Sterns ist absolut erwartbar.

bianc (Hamburg):
Der vielleicht größte Alleinunterhalter unter Deutschlands Köchen hat ein Team um sich geschart, dem er blind vertrauen kann. Die stark mediterran geprägte Küche wirkt in Hamburg immer noch gewöhnungsbedürftig, doch sagt das natürlich nichts über ihre Qualität aus. Die launigen und heiteren Kreationen des gebürtigen Italieners tragen zu einem stets unterhaltsamen Abend bei, dessen Qualität im Detail vielleicht etwas schwankend ist, aber in Summe stets zu überzeugen vermag. Ein dritter Stern käme aber noch zu früh.

Haerlin (Hamburg): 
Mein letzter Besuch ist schon ewig her, doch am Status von Christoph Rüffer, stets einer der am höchsten gehandelten Kandidaten für den dritten Stern zu sein, hat sich offenbar wenig bis nichts in den vergangenen Jahren geändert. Dank seiner eleganten und sinnlichen Küche darf er auch diesmal wieder als solider Anwärter gelten, der allerdings schon länger auf die Auszeichnung wartet – wenn nicht bald etwas geschieht, dann wird es wohl nie mehr klappen.

Jante (Hannover):
Meinem jüngsten Besuch nach zu urteilen macht Tony Hohlfeld gerade eine Art Findungsphase durch, wie sein Kulinarium künftig aussehen soll. Seine Experimentierfreude ist ungebrochen, und doch ging so mancher Schuss auch mal nach hinten los. Aufgrund des individuellen Konzepts sollte trotz zuletzt schwankender Darbietung der zweite Stern gesichert sein – vom dritten Stern spricht hier derzeit bestimmt niemand.

Le Moissonnier (Köln):
Eric Menchon liefert seit Jahren beständig hohe Qualität ab und gehört seit vielen Jahren zum erweiterten Kreis potentieller Kandidaten für den dritten Stern. Die in der Bistro-Atmosphäre dargebotenen Gerichte warten mit ganz viel Esprit auf und locken die Gäste scharenweise in den Norden der Kölner Altstadt. Mein einziger Besuch ist allerdings sieben Jahre her, so dass ich auf die Meinungen anderer angewiesen bin.

Ox&Klee (Köln):
Ein Besuch hier steht noch aus, doch Daniel Gottschlich scheint dem Vernehmen nach in der Domstadt kulinarische Maßstäbe zu setzen, die bisweilen radikal, aber stets zeitgemäß ausfallen und den Gast auch zum Nachdenken anregen sollen. Insofern sind weiterhin zwei Sterne erwartbar.

Ophelia (Konstanz):
Die für mich jüngst erfolgte Abwertung des Lokals im Gault&Millau ist für mich nicht im Geringsten nachvollziehbar und grenzt fast schon an eine Frechheit. Bei meinem Besuch im Frühjahr bot Dirk Hoberg einmal mehr eine von Anfang bis Ende überzeugende Leistung, die ganz klar an der Schwelle zum dritten Stern steht. Meiner Auffassung nach darf dieses Lokal inzwischen zu den ernsthaftesten Anwärtern auf den dritten Macaron gezählt werden.

Falco (Leipzig):
Ganz so knallig wie früher sind Peter Maria Schnurrs Teller nicht mehr, doch genug Potential, um konservative Gäste zu verstören weisen sie noch immer auf. Die einzelnen Gänge schwanken allerdings manchmal zwischen genial und banal, was insbesondere für die Darbietungen der Pâtisserie gilt. Insofern steht zu befürchten, dass es auch diesmal nicht für drei Sterne reicht.

Opus V (Mannheim):
Küchenchef Dominik Paul konnte – für manche überraschend – das Niveau von zwei Sternen seit dem Abgang von Tristan Brandt überzeugend halten. Ein Besuch unter dem neuen Chefkoch steht noch aus, doch auch so sind zwei Sterne absolut erwartbar.

Alois (München):
Da zauberte die Geschäftsleitung des Dallmayr nach dem Abschied von Sebastian Kunz mal ein Kaninchen aus dem Hut: mit Max Natmessnig, der aus dem österreichischen Lech am Arlberg an die Isar kam, übernahm ein Koch, der nicht nur überaus erfolgreich in der Alpenrepublik aufkochte, sondern auch jahrelang als rechte Hand des genialen Chefs Cesar Ramirez im New Yorker Chef’s Table at Brooklyn Fare agierte. Eine Einordnung fällt schwer, da der Guide Michelin seit 2010 ja keine Sterne mehr für Österreich vergibt, aber die Bestätigung der zwei Sterne seines Vorgängers dürfte dem neuen Chef schon jetzt praktisch sicher sein – so jedenfalls meine Eindrücke vom Premierenbesuch bei dem Shootingstar. Ein Einstieg mit drei Sternen wäre jedenfalls beispiellos – und daher sehr unwahrscheinlich.

Atelier (München): 
Anton Gschwendtner macht aus den Möglichkeiten an seiner neuen Wirkungsstätte schon sehr viel und strebt – ganz nach dem Gusto der Patronin Innegrit Volkhardt – weiterhin nach oben. Das sind schon jetzt sehr stabile zwei Sterne, doch in ein paar Jahren geht der Blick vielleicht noch weiter nach oben.

EssZimmer (München): 
Im Angesicht all der Turbulenzen, die das kulinarische München in letzter Zeit durchmachte, ist Bobby Bräuer so etwas wie der Fels in der Brandung geblieben. Bei meinem jüngsten Besuch wirkte er vollständig zufrieden mit dem Erreichten und sollte sich daher auch weiterhin zweier Sterne erfreuen.

Tantris (München):
Benjamin Chmura konnte die hohen Erwartungen der Geschäftsleitung mit zwei Sternen auf Anhieb überzeugend erfüllen. Ganz so enthusiastisch fiel mein Urteil zwar noch nicht beim Premierenbesuch aus, doch gibt es keinen Grund zu Annahme, dass sich an der aktuellen Bewertung im nächsten Jahr etwas ändern sollte.

Tohru in der Schreiberei (München):
Nach unruhigen, hauptsächlich der Pandemie geschuldeten Jahren bewegt sich Tohru Nakamura inzwischen wieder in deutlich ruhigerem Fahrwasser. Schon zu Zeiten im Werneckhof galt er als seriöser Anwärter für den dritten Stern, weshalb er dieses Ziel sicherlich nun von neuem anvisieren kann und wird. Es wäre überraschend, wenn es schon dieses Jahr klappen würde, aber auszuschließen ist es bestimmt nicht.

Obendorfer’s Eisvogel (Neunburg vorm Wald):
Das Hauptaugenmerk von Chefkoch Sebastian Obendorfer ist sicherlich darauf ausgerichtet, das Restaurant zunächst einmal bombensicher in der Zwei-Sterne-Liga zu verankern. Das sollte auch mit großer Sicherheit gelingen – vom dritten Stern ist hier derzeit bestimmt keine Rede.

Essigbrätlein (Nürnberg):
Das putzige Restaurant im Herzen der Nürnberger Altstadt ist ein Dauerbrenner unter den Zweisternern und sollte dank seiner zeitgemäßen, voll auf Gemüse und Gewürze setzenden Küche auch weiterhin zu diesem erlauchten Kreis zählen. Für drei Sterne reicht es eher nicht.

Söl’ring Hof (Rantum):
Seit der vollständigen Emanzipation von seinem Mentor Johannes King strebt Jan Christoph Berner scheinbar unaufhaltsam nach oben. Der letzte Besuch datiert schon von vor fünf Jahren, aber stetig ansteigende Noten in den Profiguides deuten unverkennbar darauf hin, dass der dritte Stern hier mit aller Macht angestrebt wird und bald fällig werden könnte. Man wäre jedenfalls gut beraten, dieses Lokal auf dem Schirm zu haben.

AMMOLITE (Rust):
Bei unserem jüngsten Besuch offerierte Peter Hagen-Wiest, der sich übrigens im September als Gastkoch im Salzburger Ikarus präsentieren durfte, eine solide Hochküche, die sich nach wie vor auf solidem Zwei-Sterne-Niveau bewegt. Eine Bestätigung der bisherigen Auszeichnung ist daher erwartbar.

Esplanade (Saarbrücken):
Obwohl die Aufwertung auf zwei Sterne erst vor zwei Jahren erfolgte, gehört Silio del Fabro für mich schon längst zur besseren Hälfte unter den mit zwei Sternen ausgezeichneten Restaurants. Die Entwicklung dieses Chefs nimmt für mich geradezu kometenhafte Züge an, so dass eine Aufwertung auf drei Sterne in wenigen Jahren schon infrage kommen könnte – noch ist es dafür aber zu früh.

GästeHaus Klaus Erfort (Saarbrücken):
Die schwankende Qualität war in den letzten zwei Jahren das größte Problem in dieser Institution: neben geradezu genialen Gerichten wurden auch etwas nachlässig umgesetzte Teller präsentiert, die nicht annähernd dasselbe Niveau wie die besten Eingebungen aufboten. Ich erwarte daher, dass es bei zwei Sternen bleibt, aber vielleicht geschieht doch ein Wunder …

Louis (Saarlouis):
Chefkoch Martin Stopp, der das Lokal in die Zwei-Sterne-Liga führte, hat das Lokal verlassen. Mal sehen, wohin sein Nachfolger Sebastian Sandor das Lokal führen wird – eine Abwertung kann angesichts eines neuen Chefkochs jedenfalls nicht ausgeschlossen werden.

Speisemeisterei (Stuttgart): 
Ewig hatte man in dieser legendären Institution aus vergangenen Tagen darauf hingearbeitet, den seit fünfzehn Jahren „fehlenden“ zweiten Stern wiederzubekommen. Unter Chefkoch Stefan Gschwendtner hat es nun endlich geklappt, so dass die Sicherung des zweiten Sterns hier oberste Priorität genießt und auch gelingen sollte. Es bleibt bei zwei Sternen.

Hirschen (Sulzburg):
Deutschlands einzige Chefin mit zwei Sternen erfuhr im Gault&Millau jüngst eine Aufwertung, so dass die zwei Sterne wohl weiterhin gehalten werden können, auch wenn unser einziger Besuch vor drei Jahren uns nicht sonderlich gut zusagte.

Courtier (Wangels): 
Christian Scharrer hat sich nach einigen bewegten Jahren endgültig wieder an der Ostsee etabliert und kocht weiterhin auf beständigem Niveau in dem noblem Resort auf. Eine Änderung des Urteils – in welche Richtung auch immer – käme daher überraschend.

Restaurant Alexander Herrmann (Wirsberg): 
Besonders häufig ist der umtriebige Patron nicht in seinem Lokal anzutreffen, weshalb de facto Küchenchef Tobias Bätz in der Küche das Sagen hat. Für manche kam die Beförderung auf zwei Sterne für wenigen Jahren eher überraschend, und auch ich zähle das Lokal weiterhin zu den Wackelkandidaten für eine Abwertung.

Le Cerf (Zweiflingen):
Boris Rommel ist mein Geheimtipp für einen dritten Stern: heimlich, still und leise arbeitet sich der Mann mit der Schiebermütze völlig unaufgeregt weiter nach oben. Seine sehr klassisch geprägte Küche ist dabei kein bisschen angestaubt und wartet immer wieder mit exzellenter Produktqualität und sensationellem Handwerk auf. Zwei atemberaubende Besuche binnen kurzer Zeit lassen mich immer wieder rätseln, warum dieses Lokal nicht längst noch besser bewertet sein sollte. Als das Lokal vor einigen Jahren mit dem zweiten Stern ausgezeichnet wurde, hatten es nur die Allerwenigsten auf dem Zettel – wiederholt sich die Geschichte vielleicht nun?! 

JAN (München):
Derzeit ganz ohne Stern, muss dieses Lokal natürlich dennoch zu den Topfavoriten gezählt werden. Der Grund besteht darin, dass Jan Hartwig nach dem letztjährigen Abschied vom Atelier die Zeit bis zur Eröffnung seines neuen Lokals im Oktober 2022 mit einem Pop-up im Nymphenburger Schloss überbrückte, das ohne Auszeichnungen auskommen musste. Da Jan Hartwig aber bis zuletzt mit drei Sternen im Atelier ausgezeichnet war, muss er selbstredend als ernsthafter Kandidat für den dritten Stern gehandelt werden.

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An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass die Auszeichnung eines Lokals mit drei Sternen kein alltäglicher Vorgang ist. Weltweit sind lediglich ungefähr 140 Lokale mit der anerkannt höchsten Auszeichnung dekoriert, die es in dieser Branche gibt. Da die Verleihung oder Aberkennung eines solchen Prädikats signifikante wirtschaftliche Auswirkungen für ein Restaurant haben kann, wird die Vergabe (bzw. Aberkennung) des dritten Sterns akribisch untersucht: wenn ein Inspektor (so heißen die Kritiker des Guide Michelin) die Verleihung des dritten Sterns für ein Lokal vorschlägt, so muss dieses mindestens ein weiteres Mal von einem anderen Inspektor besucht werden. Außerdem muss eine einberufene Konferenz aller Inspektoren mehrheitlich für die Verleihung des dritten Sterns plädieren, damit dieser vergeben werden kann. Wie man sieht, ist diese Auszeichnung sehr bedeutsam und folglich alles andere als leicht zu erlangen. Kein Wunder, dass jedes Jahr ein ziemlicher Hype um die neuen Auszeichnungen gemacht wird. Derzeit gibt es neun Drei-Sterne-Restaurants in Deutschland:

  • Schwarzwaldstube, Baiersbronn-Tonbach (seit 1993 und 2021 – im Jahr 2020 wurde die Wertung wegen des Brandes am 5. Januar in einer sehr kleinlichen Entscheidung vorübergehend aberkannt)
  • Sonnora, Dreis (seit 1999)
  • Victor’s Fine Dining, Perl-Nennig (seit 2006)
  • Bareiss, Baiersbronn-Mitteltal (seit 2008)
  • Aqua, Wolfsburg (seit 2009)
  • Überfahrt, Rottach-Egern (seit 2014)
  • The Table, Hamburg (seit 2016)
  • Rutz, Berlin (seit 2020)
  • schanz, Piesport (seit 2022)

Nachdem es zuletzt mit dem Gästehaus Klaus Erfort (2021) und dem Vendôme (2022) ziemlich überraschend langjährige Vertreter der Eliteliga mit der Aberkennung des dritten Sterns erwischt hat, dürften sich manche Chefs nicht mehr so sicher wie noch vor wenigen Jahren fühlen. Als am ehesten gefährdet erachte ich das Überfahrt in Rottach-Egern, weil sich die Preise hier in den letzten Jahren für meine Begriffe weitaus stärker als die Küche entwickelt haben. Auch das Rutz ist für mich persönlich kein unumstrittener Dreisterner, aber ein weiterer Besuch in diesen beiden Lokalen wäre für frische Eindrücke durchaus hilfreich. 

Hier jedenfalls meine Top Ten für die Vergabe eines neuen dritten Sterns, falls er überhaupt vergeben wird:

  1. Luce d’Oro, Elmau
  2. Tohru in der Schreiberei, München
  3. JAN, München
  4. Söl’ring Hof, Rantum (Sylt)
  5. Haerlin, Hamburg
  6. Ophelia, Konstanz
  7. Le Cerf, Zweiflingen
  8. Facil, Berlin
  9. Tim Raue, Berlin
  10. Vendôme, Bergisch Gladbach

Unter den Kandidaten für eine Aufwertung auf zwei Sterne sind dies meine Favoriten:

  1. L.A. Jordan, Deidesheim
  2. Dichter, Rottach-Egern
  3. Stadtpfeiffer, Leipzig
  4. Der Butt, Warnemünde
  5. Friedrich Franz, Heiligendamm
  6. Werneckhof, München
  7. Gut Lärchenhof, Pulheim
  8. Nagaya, Düsseldorf
  9. Zur Wolfshöhle, Freiburg
  10. Klassenzimmer, Feldberger Seenlandschaft
  11. Seestern, Ulm
  12. Tulus Lotrek, Berlin
  13. Tantris DNA, München
  14. Yunico, Bonn
  15. Roter Hahn, Regensburg

Nach der Veröffentlichung des neuen Guide Michelin erfolgt hier wie immer ein Update.