Gourmetrestaurant Nico Burkhardt*, Schorndorf (UPDATE)

„Der Witz ist das Salz der Unterhaltung, nicht die Nahrung.“ (William Hazlitt)

UPDATE (Oktober 2021)

Als eines der letzten Restaurants in Baden-Württemberg nach dem siebenmonatigen Lockdown öffnete auch das nur acht Plätze umfassende Gourmetrestaurant im Schorndorfer Pfauen wieder Anfang September seine Pforten. Offenbar war man hier zunächst darum bemüht, mit dem durchaus vorzeigbaren Zweitrestaurant wieder zügig eine wirtschaftlich solide Basis aufzubauen und erst dann das Flaggschiff wieder zu öffnen. Nun, was auch immer die exakten Gründe, der Qualität hat es hoffentlich keinen Abbruch getan – wovon wir uns diesmal gleich zu dritt überzeugen wollen. Für einen meiner Begleiter ist der Besuch hier allerdings die Premiere, so dass wir auf einen gelungenen Abend hoffen.

Wir betreten also voller Vorfreude das kleine Genussrefugium, das sich inzwischen zu einer grundsoliden Gourmetadresse im diesbezüglich eher skeptisch eingestellten Schorndorf gemausert hat. Mit seiner durchaus nicht nur auf starke Aromen, sondern auch auf viel Unterhaltung setzenden Küche möchte Chefkoch Nico Burkhardt die Krise bewältigen und sein Etablissement mittelfristig zu einer herausragenden Adresse im Stuttgarter Umland formen. Der Service wird dabei seit geraumer Zeit von Ehefrau Bianca Burkhardt übernommen, die einen charmanten und absolut untadeligen Job erledigt. Lediglich die Weinkarte wird von vielen als ausbaufähig empfunden, doch um das zu beurteilen bin ich nicht der beste Ansprechpartner! Heimelig dagegen ist der Gastraum im Gourmetrestaurant, der mit viel Holz verkleidet ist und insgesamt recht rustikal daherkommt (in einem Fachwerkhaus würde man allerdings auch kaum etwas anderes erwarten!).

Zur Auswahl steht hier wie immer nur ein Menü mit bis zu sechs Gängen für € 156, das aber auch auf bis zu vier Gänge reduziert werden kann. Diverse Extras im Laufe des Abends rechtfertigen diesen Preis ohne jede Frage, so dass meine Wahl rasch und wie immer auf das volle Programm fällt. Zu einem PriSecco Weißduftig von Jörg Geiger serviert man einen gewohnt opulenten Reigen an Apéros, der zum Teil optische Anleihen erahnen lässt, aber trotz allem recht individuell gerät. Das goldene Ei unten im Bild erinnert beispielsweise an Klaus Erfort, aber hier variiert man die Füllung des Klassikers mit französischen Berglinsen und Nussbutterschaum. Auch das Cornetto, welches an Christian Bau denken lässt, ist ein langjähriger Favorit in diesem Haus: mit Rindertatar, Trüffelcrème und Kaper gefüllt ist dies ein mehr als vorzeigbarer Happen. Auch der Crab Cake von Büsumer Krabbe (ein weiteres Lieblingsprodukt des Chefs) und Charentais-Melone ist ein gern gesehener Klassiker, während Bao Bun mit Poularde, Dijon-Senf und Kopfsalat sowie Thunfisch-Tartelette, Chili-Mayonnaise, Radieschen und Sesam meines Wissens neuartige Inspirationen darstellen. Trotz der Anleihen ist dies ein sehr variabler und bekömmlicher Einstieg, der die Bandbreite der Küche in diesem Haus schön verdeutlicht und ausgezeichnet gelingt.

Ein ungewöhnliches, aber launiges Amuse stellt Meze Meze dar: der griechische Bauernsalat bietet in ausgezeichneter Qualität all die zu erwartenden Elemente auf, doch das knapp gegrillte Souvlaki im Hintergrund, die flüssige Olive (ein Signature Miniature aus Stuttgarter Zeiten im Olivo) und die Mini-Pita mit Tzatziki sowie getrockneter Gurke obenauf stellen gern gesehene Begleiter dar, die einen auffallend frischen und durchaus üppigen Einstieg würdig abrunden.

Auch die Brotauswahl verdient hier immer wieder eine gesonderte Erwähnung: Kümmel-, Tomaten-, Zwiebel-, Kartoffel- und Roggenbrot plus ein Gruyère stellen eine weit überdurchschnittliche Auswahl dar, zumal Échiré-Butter, Trüffel-Dip und Crème fraîche mehr als ansprechende Begleiter sind.

Nach dieser ausladenden Ouverture beginnt das offizielle Programm mit einer marinierten Gänseleber. Soweit nichts Ungewöhnliches, aber schon die Lektüre der Speisekarte ließ mich aufhorchen: eine derart säuerliche Begleitung wie hier mit Granny Smith, Gin Tonic und Zitrone ist mir schon lange nicht mehr untergekommen. Das Ergebnis ist erstaunlich: die durchaus nicht zurückhaltend eingesetzte Säure lässt der cremigen Terrine dennoch allen Platz zur geschmacklichen Entfaltung. Gerade das ausgelassene Spiel mit Temperaturen und Konsistenzen verleiht dem Gang seinen besonderen Reiz: das Zitroneneis und die Scheibe von Granny Smith bereichern das Gericht mit ihrer Vielfalt auf aromatisch sinnvolle und wohltuende Weise – ein Plädoyer zur Abkehr von süß begleiteter Gänseleber, der mich absolut überzeugen kann. Die grüne Apfelemulsion und der leicht alkoholische Gehalt durch den Gin veredeln diesen Einfall vollends. Ausgezeichnet!

Keinen optischen Aufwand scheut die Küche bei der Rückkehr eines zwischenzeitlich fast verdrängten Klassikers aus den 70er-Jahren: Weinbergschnecke scheint jedenfalls wieder en vogue zu sein, denn vor diesem Jahr hatte ich dieses Produkt noch nie verkostet, während es heuer schon zum dritten Mal auf den Teller kam! Der obere Flaschenteil ist wunderschön drapiert, beinhaltet aber außer der ummantelten Praline hinten links nichts Essbares! Auf dem unteren Flsachenteil hingegen wird die Schnecke weiter aufwendig begleitet: insbesondere der hessische Klassiker grüne Sauce korrespondiert mit seinem kräuterlastigen Geschmack bestens mit dem festfleischigen Hauptdarsteller. Pilze, Gerste und schließlich Brombeere für den kleinen Säurekick runden ein mutiges Gericht ab, das auf standardisierte, fettlastige Begleitung wie Kräuterbutter vollständig verzichten kann und dem es doch an nichts mangelt. Stark!

Keine rechte Begeisterung will sich dagegen bei bretonischem Steinbutt und Kalbskopf einstellen. Zwar ist der Fisch opulent mit Buttermilch, Blumenkohl, Eigelb und Lauch schlüssig begleitet, aber dessen aromatische Strahlkraft selbst lässt zu wünschen übrig. Außerdem erschließt sich mir der Sinn des viel zu scharfen Kontrasts mit dem Ragout von geschmortem Kalbskopf nicht wirklich. Die kleine Nocke Kaviar obenauf nimmt man natürlich dankbar zur Kenntnis, aber an dem fundamentalen Gesamteindruck vermag auch sie nichts Wesentliches zu ändern.

Sehr zu überzeugen vermag dagegen der erfrischende Entre’Acte vor dem Hauptgang: nicht nur, dass man hier dem Zeitgeist huldigt und viel auf grüne Elemente setzt, nein, das mit etwas Dill verfeinerte Gurkensorbet verfehlt seine Wirkung nicht. Das sorgt für wohltuende Erfrischung, zumal der eigentliche Clou, das hauseigene Olivenöl, erst am Tisch aufgegossen wird. Ich bin wirklich überrascht, wie sehr diese marginal wirkende Ergänzung noch bewirkt: der Verzehr wird dadurch erheblich leichter, und auch geschmacklich rundet das Öl den herben Charakter des Gangs verblüffend ab. Sehr gelungen!

Zum Hauptgang passiert wieder relativ viel auf dem Teller: Etouffée Taube interpretiert man hier recht ungewöhnlich à la BBQ. Zum amerikanischen Eindruck tragen auch Mais, Krapfen und geräucherte Paprika bei. Fermentierter Knoblauch verleiht dem Gang weitere Würze, während Texturen von Grapefruit dem intensiven Röstcharakter des Fleischs etwas Säure entgegensetzen. Handwerklich ist das nicht zu beanstanden, aber dennoch sei die Frage gestattet, ob die fraglos sehr zarte Taube das beste Grundprodukt für ein derart rustikales und herzhaftes Gericht darstellt. Meines Erachtens liefert die Komposition keine ausreichende Rechtfertigung für die kühne Wahl dieses speziellen Fleischs, dessen Qualitäten schwerlich durch langes Rösten am besten zum Tragen kommen. Eine kulinarische Aussage ist aufgrund des sehr gedrängten Tellers auch nur schwer auszumachen, so dass der optische Eindruck diesmal überwiegt und kein langer Nachhall am Gaumen haften bleibt.

Der Mut der Küche wird im Käsegang eher wieder belohnt: geeister Fourme d’Ambert entfaltet eine ganz spezifische Wirkung, die durch die Zugabe von Birne und Nuss in reichlichen Texturen exzellent begleitet wird. Als kleiner Gag am Rande (im wahrsten Sinne des Wortes) besteht auch die falsche Erdnuss aus einer nussigen Crème. Der einzige Effekt, dessen Bewertung mir nicht leicht fällt, ist die Zugabe von weißer Ivoire-Luftschokolade. Dass eine feste Komponente in dem eher von weichen Texturen geprägten Gericht schwerlich fehl am Platze ist, dürfte klar sein. Ob die Süße tatsächlich etwas zum Gang beisteuert, ist schwer auszumachen. Die Mehrzahl der Gäste bisher hätte die Idee laut Chef wohl eher als gelungen empfunden, weshalb ich mich angesichts meiner eigenen Unentschlossenheit diesmal der Mehrheitsmeinung anschließe.

Ein Pré-Dessert namens „Der Trüffel“ entwischt meinen Notizen erfolgreich (wie konnte das passieren?). Wenn ich mich noch recht erinnere, dann handelte es sich dabei um eine Art Schokoladenpraline mit einer Glasur von Kakaopulver, die einen herb-erdigen Charakter verströmte und nahezu ohne Zucker auskam. Ein gelungenes Experiment war es fraglos, selbst wenn die Beschreibung jetzt nicht passen sollte!

Ein hochkomplexes und zugleich faszinierendes Dessert schließt den offiziellen Teil ab. Unter „Biene Maja“ versteht die Küche einen kreisrunden Mohntaler, der mit reichlich Hafercrunch und Tupfen diverser Gels umspielt wird. Die kunstvoll hergestellte Biene obenauf ist aus hauchzartem Blätterteig, doch die sehr subtil eingesetzten Begleiter verleihen dem Gericht seine Extraklasse: unter die Mohnmasse vermengte Manjari-Schokolade sorgt für mehr Körper, Lavendel entpuppt sich als ausgesprochen passende Abrundung, und Waldhonig darf bei so einem Gang natürlich ohnehin nicht fehlen. Sein Einsatz ist hier jedoch weit mehr als nur ein alibihafter Pflichteinsatz, sondern die fast schon aristokratisch anmutende Krönung eines keineswegs zu süßen Gerichts. Erst durch den Honig erreicht dieses Dessert eine ungeahnte Eleganz, die mich verzückt. Das beste Dessert seit langer Zeit in diesem Haus: großartig!

Die Petits fours halten das Niveau weiter hoch, denn die drei Pralinen (Rum-Kokos, Karamell und Zitrone) wissen an sich schon zu gefallen. Noch besser wird es allerdings bei Pâte de fruit von Cassis, Nougat und dem superben Cannelé. Fraglos ein sehr gelungener Abschluss!

Die wichtigste Erkenntnis vorab: der unsägliche Lockdown scheint die Küche in ihren teils erstaunlichen Möglichkeiten nicht massiv eingeschränkt zu haben. Auffällige Abstriche bei der Qualität oder Einschränkungen bei gewissen Produkten waren jedenfalls weit und breit keine auszumachen. Wer Spaß an Unterhaltung findet und den Geschmack notfalls auch mal hinter der Optik anstellen kann, der kommt hier definitiv nach wie vor voll auf seine Kosten. Wer dagegen auf Showelemente verzichten kann, der wird bisweilen eine gelegentliche, unnötig erscheinende Effekthascherei monieren wollen. An Substanz mangelt es der Küche von Nico Burkhardt definitiv nicht – man staunt im Gegenteil immer wieder aufs Neue, welchen Aufwand man für lediglich acht Gäste willens zu betreiben ist.

Die Kunst der Unterhaltung beherrscht man hier jedenfalls souverän. Meistens gelingt die Umsetzung der durchaus gewagten Ideen recht gut, aber in seltenen Fällen geht dann doch der Gaul mit der Küche durch. So erschloss sich mir beispielsweise nicht, weshalb der Steinbutt einen so knalligen Kontrapunkt nötig hatte. Auch der Einsatz der Taube im BBQ-Hauptgang fand meines Erachtens keine Rechtfertigung, während andernorts (am stärksten bei der Gänseleber) die individuelle Begleitung voll einschlug. Nicht immer dient die Optik hier dem Geschmack, weshalb etwas mehr Stringenz manchen Gerichten fraglos gut täte. Ob sie dann allerdings noch als typische Gerichte in diesem Lokal gelten könnten, erweist sich als berechtigte Frage. Bei alldem überwiegt jedoch der positive Gesamteindruck und die überbordende Kreativität deutlich, so dass einem insgesamt starken Urteil nur wenig im Wege steht.

Für einen zwanglosen Abend zu moderaten Preisen eignet sich diese Adresse sicherlich nach wie vor bestens, zumal Bianca Burkhardt auch unerfahrenen Neulingen sicheres Geleit durch den gesamten Abend gibt. Wer alles andere hingegen stets der Qualität unterordnet, der wird hier möglicherweise nicht immer auf seine Kosten kommen. Den Michelin-Stern wird man sicherlich halten können, und auch eine Aufwertung auf 17 Punkte im G&M würde ich nicht komplett ausschließen wollen. Was Nico Burkhardt hier aus seinen Möglichkeiten macht, gerät schon recht bemerkenswert. Mit noch etwas mehr Stringenz und noch weniger Schwankungen bei den Gerichten ist sogar ein noch besseres Ergebnis in Zukunft längst nicht auszuschließen. Ich bleibe dem Lokal jedenfalls treu und werde die weitere Entwicklung genau beobachten.

Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten

 

Gourmetrestaurant Nico Burkhardt
Höllgasse 9
73614 Schorndorf
Tel.: 07181/6699010
www.pfauen-schorndorf.de

Guide Michelin 2021: *
Gault&Millau 2021: 16 Punkte
GUSTO 2020: 7,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2021: 3 F

6-gängiges Menü: € 156

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„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ (Friedrich Schiller)

UPDATE (Oktober 2020)

Das Remstal in Baden-Württemberg hat mit Waiblingen, Schorndorf und Schwäbisch Gmünd etliche kleine Städteperlen zu bieten, die absolut sehenswert sind. Vor allem die Schorndorfer Altstadt punktet mit vielen Fachwerkbauten – das größte Haus unter ihnen ist das Hotel und Restaurant Pfauen im Herzen der Altstadt, direkt neben dem Geburtshaus von Gottlieb Daimler. Hier hat Nico Burkhardt, ehemals Chefkoch im Stuttgarter Olivo, den Sprung in die Selbständigkeit in die Tat umgesetzt und inzwischen seit zwei Jahren das Sagen. Das Hauptrestaurant bietet gehobene, gutbürgerliche Küche (mit Klaus Jäschke zeichnet ein weiterer ehemaliger Sternekoch aus dem Yosh am Stuttgarter Killesberg dafür verantwortlich), doch das winzige, geschickt integrierte Gourmetrefugium mit Platz für bis zu gerade einmal acht (!) Gäste ist der kulinarische Höhepunkt. Neben der Geschäftsleitung ist Nico Burkhardt auch weiterhin für die Speisen im Gourmetrestaurant zuständig – ein nicht ganz einfacher Spagat, der aber inzwischen immer besser gelingt.

Dass die unselige Corona-Krise dieses erst jüngst wieder in ruhigeres Fahrwasser geratene Etablissement gleich wieder existenziell bedrohte, erwies sich natürlich als Schock. Da Schorndorf immer wieder als heißes Pflaster für die Haute Cuisine gehandelt wurde und etliche Pächter in der Vergangenheit hier fast im Jahresrhythmus wechselten, war es ohnehin schon schwierig, ein derart gehobenes Restaurant dauerhaft zu installieren. Die Unterstützung seitens der Stadt bewegt sich offenbar auch in sehr überschaubarem Rahmen, so dass das Allermeiste rein privat finanziert und erwirtschaftet werden muss. Mit Hilfe großer Anstrengungen wie Spendenaktionen zugunsten der Schorndorfer Gastronomie oder Aufrufen, Gutscheine zu kaufen, wurde die leidige Situation zumindest vorübergehend anscheinend erfolgreich bekämpft. Auch Sterneküche „to go“ machte hier die Runde – jedenfalls scheint derzeit die schlimmste Phase überwunden. Wie es angesichts wieder steigender Infektionszahlen weiter geht, ist allerdings ungewiss.

Den Service im Goumretrestaurant leitet neuerdings praktisch als genuine One-Woman-Show die frisch mit dem Chef vermählte Ehefrau, Bianca Burkhardt. Unter ihrer emsigen Ägide läuft der Abend absolut reibungslos und sehr angenehm ab, was in Corona-Zeiten auch nicht gerade selbstverständlich ist. Mit einer Prise Humor und viel Aufmerksamkeit für den Gast wird diese Anforderung an einen gehobenen Abend jedenfalls souverän gemeistert.

Auf die Küchenleistung war ich besonders gespannt: in den letzten Jahren galt es natürlich, zunächst einmal den Pfauen fest im Bewusstsein der Schorndorfer zu verankern. Aufgrund dieser Priorität gab es hier meist Gerichte zu erleben, die Stammgästen des Olivo bereits vertraut waren. Natürlich freut man sich auch, wenn man hin und wieder Klassiker von früher vorgesetzt bekommt, doch insgesamt waren mir die allermeisten Gerichte schon geläufig und der Überraschungsfaktor daher eher gering – ein Umstand, der neuen Gästen allerdings herzlich egal sein kann! Da traf es sich jedenfalls geschickt, dass die neue Speisekarte erst tags zuvor lanciert wurde und einiges beinhaltete, was mir in der Tat noch nicht bekannt vorkam. Sicherlich würde sich die farbenfrohe Stilistik und grundsätzliche Verspieltheit, die den meisten Gerichten innewohnt, nicht großartig verändert haben – und doch denke ich, dass man in den kommenden Jahren von dieser Küche noch einiges erwarten darf, wenn die problematischen Anfangsjahre erst einmal überwunden sind. Da kam die Auszeichnung mit dem Michelin-Stern 2020 natürlich gerade recht – und auch der GUSTO hob jüngst die vergebene Note wieder leicht an. Der Trend geht somit trotz aller Widrigkeiten schon mal in die richtige Richtung.

Nach wie vor gibt es ein einziges Menü, bei dem man lediglich die Wahl hat, ob man es auf vier bzw. fünf Gänge reduzieren möchte oder die vollen sechs Gänge (mit etlichen Extras) zum Preis von € 145 serviert bekommen möchte. Nach der Entscheidung für das volle Programm geht es auch gleich ohne Umschweife an diesem verregneten Septemberabend los. Mit ordentlich optischem Brimborium werden die ersten kleinen Amuses präsentiert: zunächst gilt es, die eine falsche Erdnuss aus Erdnusscrème zwischen all den echten Erdnüssen zu entdecken. Auf dem Steingrill rechts befindet sich eine leicht rauchige Gyros-Pita, auf dem Löffel links eine flüssige Schinkenkrokette und auf dem Holzblock mit dem Fischgestell schließlich ein Fischbrötchen in Form eines Buns. Offenbar scheint es in der Küche genügend Raum für alle diese platzraubenden Requisiten zu geben, die natürlich nicht wirklich notwendig wären, zumal diese Einstiege ihre geschmackliche Wirkung auch so nicht verfehlen. Passend dazu gibt es PriSecco „Rotfruchtig“ von Jörg Geiger und ein sehr heißes Erfrischungstuch.

Eine Spur komplexer wird es mit dem Amuse bouche, „Flaschenpost“ genannt: der Korken erweist sich als hocharomatisches Jakobsmuschel-Croustillon, während der Inhalt der Flasche ein stimmiges Arrangement aus Fenchel, Garnele, Salat und diversen Meeresaromen beinhaltet. Die originelle Umsetzung und das starke Handwerk gehen hier Hand in Hand. Dass übrigens die goldene Platzdecke den gesamten Abend lang auf dem Platz bleibt, verdeutlich einmal mehr das abermals gestiegene Bewusstsein für Inszenierungen.

Den extrem hohen Standard bei der Brotauswahl hat sich Nico Burkhardt glücklicherweise von den Zeiten aus dem Olivo bewahrt: nicht weniger als fünf Brotsorten (Tomate, Kartoffel, Zwiebel, Kümmel und Roggen) und ein Gougère au fromage (frz. Brandteiggebäck mit Käse überbacken) sowie beste Échiré-Butter und Crème fraîche sorgen für keine Langeweile zwischen den Gängen.

Jetzt wird es aber Zeit für den offiziellen Teil: die marinierte Gänseleber interpretiert Nico Burkhardt dabei meines Wissens auf neue Weise. Diese spannungsgeladene Variante spannt einen aromatischen Bogen von recht säuerlich interpretierter Leber über bittere Akzente von Kaffee und herber Schokolade bis hin zu süssen Renekloden (Edel-Pflaumen). Abgerundet wird diese außergewöhnliche Variante mit einem exzellenten Brioche und feinwürzigen Noten von tasmanischem Pfeffer, zumal auch das virtuose Spiel mit Texturen und Temperaturen überzeugt. Fraglos ein starker Auftakt!

Überraschend straffe Säure bringt die Küche bei Gazpacho vom Rotkohl ins Spiel. Die gehaltvolle kalte Gemüsesuppe wird in einer durchaus gewagten Kombination mit farbenfrohen Zubereitungen von Iberico-Blutwurst, Birne und Senf interpretiert, wobei für meine Begriffe eine dieser Komponenten entbehrlich gewesen wäre. Meine Wahl wäre dabei auf die Birne gefallen, weil das Aromengeflecht aus erdig-herben Aromen mit angenehmer Würze nicht unbedingt eine fruchtige Komponente gebraucht hätte. Sei’s drum – die aromensatte Gazpacho gelingt trotz allem ausgezeichnet.

Atlantik-Makrele steht im Mittelpunkt des nächsten Gangs: während das bemerkenswerte Cannelono (hinten auf der Koralle) mit Makrelentatar gefüllt ist, kommt der Hauptdarsteller in geflämmter Form auf den fischförmigen großen Teller. Umspielt wird er dabei von Kümmelschaum, einem krossen Geflecht aus Kürbis sowie Algen und Gewürzjoghurt. Nicht zuletzt aufgrund des schmelzigen Charakters der Makrele wirkt dieses Gericht elegant, ausgewogen und weniger grell als so mancher Vorgänger an diesem Abend. Das war auch einigermaßen dringend angesagt, wenn der gesamte Abend nicht mit Vollgas bestritten werden sollte – gerade vor dem Hauptgang nicht die schlechteste Strategie.

Ein netter, aber unterm Strich eher harmloser Einfall ist die „Leckmuschel“ vor dem Hauptgang als Hommage an Kindertage: während das Original meist ein aus der Schale zu lutschendes Hartbonbon beinhaltete, ist es hier ein Yuzu-Granité auf einer Zitronensauce.

„Brust oder Keule?“ – so fragt die Speisekarte bezüglich des Hauptgerichts … und offeriert einfach beides! In diesem Fall ist es Challans-Ente, die als confiertes Keulenragout mit Nussbutterschaum und Trüffel im Ei auf dem Hahnenfuss (hinten im Bild) landet – ein Klassiker in der Küche von Nico Burkhardt, der aber immer wieder kleinere Modifikationen durchläuft. Die hocharomatische und saftige Brust auf dem Teller wird mit einer Estragon-Sauce und einer Ente aus Cru de cacao (unten rechts) begleitet, während Rote Bete (frittiertes Blatt und Meringe) eine stimmige und von der Küche immer wieder bevorzugte Begleitung darstellt. Gerade der Einsatz dieses Produkts geriet schon in all den vergangenen Jahren immer wieder überzeugend und gelingt auch hier großartig, denn die herb-vegetabilen Aromen verleihen diesem herbstlich interpretierten Hauptgang den letzten Feinschliff. Ein würdiger Hauptgang mit Langzeitwirkung am Gaumen!

Ob kretanischer Bauernsalat als echter Käsegang bezeichnet werden kann, ist fraglich, doch solche Pedanterie erübrigt sich auch schnell angesichts des indivduellen Charakters dieses Gangs: der mit warmem Feta-Käse garnierte Salat überzeugt durch seine Vielfalt an Texturen, die dem an sich vorhersehbaren Gang gekonnt einen gewissen Twist verleihen. So wird das Tomateneis obenauf zum zwar artfremden, aber hochwillkommenen Gedanken, um dem klassischen Gericht etwas Eigenständiges hinzuzufügen. Dieses Mal ist es jedoch weniger die Optik, die beeindruckt, sondern die Sorgfalt, mit der gewöhnlichen Produkten wie Oliven, Gurken und Brot durch besondere Techniken besondere Aromen entlockt werden. Ich müsste ganz tief in meinem Gedächtnis kramen, bis mir ein vergleichbares Gericht einfiele, zumal Salatkreationen nach wie vor zu den seltensten Exemplaren in der deutschen Haute Cuisine gerechnet werden müssen (Klaus Erforts Hummersalat mag eine der Ausnahmen darstellen).

Zum optisch kreativen Höhepunkt gerät das Pré-Dessert, das aus zwei Teilen besteht: auf einer goldenen Ananas (ja, so etwas gibt es nicht nur im übertragenen Sinne!), die in Wirklichkeit aus Kupfer besteht, thront ein ein Ananasring mit filetierten Perlen der Frucht. Nach dessen Verzehr ist der Deckel des Gefässes abzunehmen, worauf in dem unteren Teil des Behälters (der laut Service auch als Cocktailbecher verwendet werden kann) ein „Piña Colada Bombay“ genanntes Dessert freigelegt wird. Dieses besteht aus Ananas-Sorbet und Ananas-Sauce mit Reispops sowie Champignons und Spuren von Curry – ein launiger Einschub mit ungewohnten Aromen!

„Alice im Wunderland“ tauft die Küche dann das offizielle Dessert. Dazu wird (in einer für meiner Begriffe entbehrlichen Showeinlage) eine LED-Lampe mit violettem Schein unter der halbkugelfrömigen Glasschale platziert, die für ein hohes Maß an Künstlichkeit sorgt. Auf dem Bäumchen im Hintergrund thront ein Apfelring mit Tupfen von eingedickter Apfel-Gazpacho, während der Hauptteller nicht nur mit Schokoladen-Crumbles und Sponges von Pastinake und Pistazie aufwartet, sondern auch noch Tonkabohnenmousse (in Form eines Pilzes) gekonnt integriert. Die Tradition der nie sonderlich süßen Desserts von Nico Burkhardt wird auch diesmal fortgeführt, doch das ist eher als Kompliment zu verstehen. Mit dem gläsernen Kännchen mit Apfelsauce und rosa Ingwer kann das Gericht zudem nach persönlichem Gusto abgeschmeckt werden, obwohl das ausgelassene Spiel um herbe Aromen und überraschende Texturen dies gar nicht nötig hätte – und das violette Licht darunter erst recht nicht.

Das muss man der Küche lassen: sie bleibt bei der Optik zumindest bis zum Ende konsequent und schafft auch hier einen würdigen Rahmen für die Petits fours: auf dem Birkenstamm befindet sich ein Fruchtgummi aus Hagebutte, auf der Serviette hinten links ein Stück von bestem Nougat und im Einkaufskorb ein klassische Cannelé. Dazu gibt es außerdem Waldbeeren-Kombucha in dem kleinen gläsernen Krug, einen Mini-Käsekuchen und schließlich noch Espresso-Popcorn. Der Küche scheint es jedenfalls bis zum Ende nicht an Ideen zu mangeln, zumal die Mehrzahl der Petits fours weit überdurchschnittlich gerät. Ob man sie so derart platzraubend präsentieren muss, ist dabei eine ganz andere Frage …

Die Fotos verdeutlichen wohl mehr als genug, dass kaum eine Spitzenküche in Süddeutschland so verspielt und ausgelassen wie diese hier daherkommt. Gut möglich, dass die Motivation dahinter auch daher rührt, dass ein Publikum, das bisher nicht oder nur kaum in Berührung mit Hochküche gekommen ist, unterhalten sein will und nicht durch steife Rituale abgeschreckt werden soll. Dies gelingt der Familie Burkhardt in der Tat ausgezeichnet, und doch frage ich mich als erfahrener Besucher, ob die Hälfte an Showeffekten nicht auch genügen würde. Substanz hat die Küche jedenfalls genug, um nicht mit billigen Effekten von anderen Mängeln ablenken zu müssen. Die recht komplexen Kreationen wirken immer durchdacht und handwerklich sicher umgesetzt, wenngleich möglicherweise nicht jede Kombination im selben Maße überzeugt. Nicht weiter schlimm, solange Gelungenes beibehalten und weniger Gelungenes zugunsten von anderen, neuen Kreationen vielleicht auch wieder mal verworfen wird. Experimente sind legitim und von ihrem Wesen her durchaus so beschaffen, dass sie auch mal scheitern können. Nico Burkhardt ist inzwischen erfahren genug, um langjährig favoriserte Produkte wie Tonkabohne, Rote Bete, Garnelen oder Blutwurst traumwandlerisch sicher in neue Kreationen einbauen zu können, weil er ihre Geschmäcker und Vorzüge genau kennt.

Da das Hotel Pfauen inzwischen einigermaßen sicher etabliert zu sein scheint, kann der Chef vielleicht mittelfristig daran gehen, seine Fähigkeiten in der Küche noch weiter auszubauen. Zuzutrauen ist es ihm allemal – vielmehr bleibt zu hoffen, dass die neuen Einschnitte wegen der unseligen Corona-Krise das Lokal nicht abermals zurückwerfen und die Entwicklung daher eher stagnieren muss, weil andere Aspekte Prioritäten genießen. Es wäre wirklich schade, wenn es so käme, denn im Service unter der Leitung seiner Frau Bianca läuft alles absolut rund und so zwanglos ab wie sich die Gäste dies wohl auch wünschen.

Neulingen sei das Lokal absolut empfohlen, weil die zwanglose Atmosphäre wirklich wie geschaffen dafür ist, ihnen die Berührungsängste zu nehmen. Die Küche hat dabei inzwischen fast an die besten Zeiten im Olivo schon wieder anknüpfen können und sollte daher auch weiterhin überzeugend genug auftreten können, um genügend Gäste für das Gourmetrestaurant generieren zu können. Es wäre ihnen auf jeden Fall zu wünschen.

Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten

 

Gourmetrestaurant Nico Burkhardt
Höllgasse 9
73614 Schorndorf
Tel.: 07181/6699010
www.pfauen-schorndorf.de

Guide Michelin 2020: *
Gault&Millau 2020: 15 Punkte
GUSTO 2020: 7,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 2,5 F

6-gängiges Menü: € 145

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UPDATE (September 2019)

Gut ein Jahr ist es inzwischen her, dass Nico Burkhardt nun in Schorndorf Fuss gefasst hat. Die auffälligste Neuerung bei meinem jüngsten Besuch ist ein recht prominenter Neuzugang in der Küche: Klaus Jäschke, ehemaliger Chefkoch des seit August geschlossenen Sternerestaurants Yosh auf dem Stuttgarter Killesberg, übernimmt nun die kulinarischen Aufgaben im Restaurant Pfauen, so dass sich Herr Burkhardt mehr dem Gourmetbereich und der Geschäftsleitung widmen kann. Mit diesem Coup hat sich das Traditionshaus im Herzen der Schorndorfer Altstadt weiter verstärkt und lockt Gäste in ordentlicher Zahl an. Unter der Woche scheint der Gourmetbereich dagegen nach wie vor nicht immer ausgelastet, obwohl dort nur acht Gäste Platz finden. Und denen würde durchaus etwas geboten, wenn sie hier speisten: ich kann mir nicht vorstellen, dass der rote Guide im nächsten Jahr diesem Lokal den Michelin-Stern verwehren kann, zumal ihn der Chef ja auch schon zu Zeiten im Stuttgarter Olivo mehrere Jahre innehatte. Es ist auch zu erwarten, dass das gehobene Restaurant Zweitrestaurant Pfauen ebenfalls weiter an Kontur gewinnen wird und hier mittelfristig eine beachtliche Adresse in der gesamten Region entstehen kann.

Insgesamt hat sich der Küchenstil von Nico Burkhardt nicht sehr stark verändert, sondern eher weiterentwickelt – eine neue, gewisse Experimentierlust war aber diesmal deutlich auszumachen. Neben einer spürbar verstärkten Hinwendung zu mehr Showanteilen – manche davon gelungen, andere weniger – sind die Kennzeichen seiner Küchenstilistik ansonsten im Wesentlichen dieselben geblieben. Ein durchaus gefälliger, aber nicht ganz so opulenter Reigen wie gewohnt präsentiert zu Beginn Bewährtes und Neues gleichzeitig: unter den Klassikern beispielsweise die flüssige Olive und der geeiste Gazpacho, unter den Neuerungen ein Chicken-Tandoori-Mousse auf einem Holzstengel, der auf einem kleinen, rein dekorativen Grill ruht. Sehr gut gefällt mir auch die Kreation von Gin Tonic Gurke: ein Granité von Gurke mit Gin Tonic abgeschmeckt. Schließlich noch ein Pilzring, der – arg dick aufgetragen – als „Rocking Faust“ deklariert wird und um den Finger auf einer bunt leuchtenden Kunststoffhand platziert ist.

Auch beim Amuse bouche ist der Schauwert hoch, doch wesentlich schlüssiger umgesetzt: „Ab ins Badezimmer“ erweist sich als mehrteilige Kreation rund um Gänseleber, Himbeere, Cru de Cacao und rote Bete. Aus dieser Lieblingskombination des Chefs entstehen in einer Mini-Badewanne Schaum und Baiser von Himbeere sowie eine Rote-Bete-Sauce und Gänselebercrème, die zu einer winzigen Ente geformt wurde. Ach ja: das warme Handtuch ist eine willkommene, fast schon japanische Bereicherung. Außerdem befindet sich in einem weiteren Schälchen ein Tramezzino mit geeister Gänseleber und etwas Himbeerpulver obenauf (wenn ich mich noch recht erinnere). Der dritte Teil des Reigens könnte dagegen aus dem Leipziger Falco stammen: eine Gänselebercrème in einer winzigen Zahnpastatube soll auf eine bereitgestellte Zahnbürste aufgetragen und so verzehrt werden. Bleibt nur die Frage, wo diese Zahnpasta zu erwerben ist – jedenfalls ist dies das erste Mal, dass ich mir in einem Lokal schon während des Essens die Zähne putze …

Nach der wie immer recht erfreulichen Brotauswahl erfolgt der Start ins einzige angebotene Menü (vier bis sechs Gänge nach Wahl) mit Arctic Char Filet (Saibling). Das massig und kreisrund in der Mitte des Tellers platzierte Filet bietet Platz für Gurken- und Avocadosegmente sowie getrocknete Gurke, Kaviar und Rettich. In einer Gurkensphäre rund um das Filet befinden sich Tapiokaperlen sowie ein Dillpulver, das dem Gericht durchaus eine gewisse, bereichernde Bitterkeit verleiht. Trotz des recht ausladenden Reigens bleibt der Hauptdarsteller mit seiner beachtlichen Produktqualität im Zentrum des Geschehens und entfaltet im Verbund mit seinen Begleitern eine zurückhaltende, aber absolut stimmige Aromatik, die allenfalls ein wenig frühlingshaft gerät und nicht sonderlich zur Jahreszeit passt.

Schwarzfederhuhn à la Caesar Salad ist ein Gang, der mir noch aus Stuttgarter Zeiten in zumindest sehr ähnlicher Form bekannt vorkommt: auf einem großen Blatt Romanasalat befinden sich Texturen von Parmesan, Kapern und Dijon-Senf, während zwei generöse Tranchen des Fleischs in (fast) puristischer Herrlichkeit – ein kreisrundes Netz aus Parmesan bedeckt das Fleisch ein wenig – daneben auf einer kräftigen Bratenjus ruhen. Eine Eingebung ist der separate Hühnerfuss aus Keramik, auf dem krosse Hühnerhaut als eine Art Chip mit dünnen Salatstreifen und Parmesan veredelt wird. Eine ausgezeichnete Kreation, wenngleich zugegebenermaßen Sven Elverfelds ganz ähnliches Gericht aus dem Wolfsburger Aqua noch mehr überzeugte – siehe meinen Bericht vom Februar. Allerdings hat der Mann ja auch seit zehn Jahren drei Michelin-Sterne, so dass der Vergleich ein wenig hinkt.

Höhepunkt des Abends wird ausgerechnet der „rustikal“ interpretierte Heilbutt. Soviel vorweg: die Produktqualität des Butts ist dermaßen umwerfend, dass selbst die missratenste Begleitung den Fisch immer noch nicht zu ruinieren vermocht hätte. Doch keine Bange, denn der Sud aus Bratkartoffeln und die Texturen von Sauerkraut und Blutwurst sind bestenfalls ungewohnt, aber keineswegs deplatziert. Selbiges gilt auch für die sparsam dosierte Kümmelnage, die den Heilbutt in ein ungewohntes aromatisches Gewand kleidet, jedoch ohne ihn zu degradieren. Im Vergleich zu anderen Gängen ist dieser Teller recht experimentell geraten, doch mit solcher Produktqualität kann man wenig falsch machen.

BBQ Short Rib 24 h ist dagegen ein bekanntes Gericht, das aus der Ansammlung von verschiedenen Konsistenzen rund um Mais und Pimento seinen Reiz bezieht. Eine herzhafte Rauchjus verleiht dem Gericht noch mehr Körper, doch mit der sehr zurückhaltend eingesetzten Brombeere kommt ein säuerlicher Kontrapunkt ins Spiel, der der Komposition gut tut. Alles in allem ein solides Hauptgericht, allerdings ohne große Langzeitwirkung.

Burrata kombiniert man hier mit konventionellen Begleitern, aber in ungewohnten Texturen. So wird der massige Käse unter einer dünnen Haut aus gelierter Tomate versteckt, so dass tatsächlich ein täuschend ähnlicher Eindruck einer echten Tomate entsteht. Ein Tomateneis sowie Basilikum in unterschiedlichsten Segmenten werten den Gang auf, doch das aromatische i-Tüpfelchen setzt selbstverständlich das 25 Jahre alte Olivenöl, das mit einer Pipette auf den Teller geträufelt wird. Originell und mal etwas anderes!

Das Pré-Dessert, „Ice Ice Baby“ genannt, gerät selten avantgardistisch und betäubt die Geschmackspapillen fast schon mit seiner Intensität: ein eiskaltes Granité von Yuzu badet in einem Yuzu-Sake-Sud und wird mit hauchdünnen Streifen von Minze und etwas Eis mit dem Geschmack von grünem Tee begleitet. Völlig ungewohnt wird es schließlich mit den bissfesten grünen Teeperlen, die sich gut versteckt unter einem Sakeschaum befinden und in dem Schälchen mit ansonsten sehr weichen Komponenten gewöhnungsbedürftig geraten – sowohl von der Aromatik her als auch von der Konsistenz. Herr Burkhardt erzählte mir zwischen zwei Gängen, dass die Küche derzeit etwas experimenteller daherkomme – wenn er sich damit auf diesen Einschub bezog, dann muss ich ihm voll und ganz beipflichten.

Interpretation von Mango und Kokos gehört meines Erachtens zu den eher schwächeren Dessert-Eingebungen: die ziemlich dominante Mango ist mit der edelweißen Original-Beans-Schokolade in diversen Varianten sicherlich angemessen und passend begleitet, doch die übrigen Komponenten sorgen für meine Begriffe für ein etwas diffuses Geschmackserlebnis: insbesondere die winzigen Späne von Kokosfleisch, zwischen denen sich noch schwarzer Sesam tummelt, sorgen für eine recht bittere und wenig komplementäre Aromatik. In diesem Umfeld wirkt rosa Ingwer auf mich auch seltsam verloren, weil mir nicht ganz einleuchtete, womit diese Komponente harmonieren oder auch kontrastieren sollte. Schade, aber ich will nicht verschweigen, dass derselbe Gang dem Pärchen am Nebentisch offenbar besser als mir zusagte. Weitere Urteile von anderen Gästen gibt es übrigens nicht, denn an diesem Abend waren inklusive mir selbst in der Tat nur drei Personen hier zu Gast. Das machte es der aufmerksamen und sehr netten Kellnerin auch recht leicht, ihren Job angemessen zu erledigen. Da blieb schon mal die Zeit für den einen oder anderen angenehmen Plausch mit den Gästen …

Das Dessert ist schnell vergessen, denn der geniale Cocktail aus diversen Waldbeeren und Wild Berry (Schweppes) kompensiert diese kleine Enttäuschung vollauf. Das trifft auch auf die Petits fours zu, die wie immer recht üppig geraten: ein (etwas übertrieben inszenierter) Apfelring, ein klassisches Cannelé, Gin-Tonic-Popcorn, diverse gefüllte Kugeln und ein Schokoladen-Marshmallow. Außerdem ist da ja noch die große Flasche PriSecco „Weißduftig“, die hier zum Spottpreis von € 16,50 (!) ausgeschenkt wird. Spätestens bei solchen Preisen relativiert sich doch sowieso jede Kritik, oder?

Doch auch so gibt es wenig auszusetzen, selbst wenn ich auf die neue Experimentierlust hier noch nicht so gefasst war. Trotzdem fussten die meisten neuen Gerichte auf ordentlichen Ideen und wurden dementsprechend bereits inspiriert umgesetzt, selbst wenn die Feinjustierung bei dem einen oder anderen Gang sicher noch fehlt. Angesichts der Preispolitik in diesem Haus (€ 138 für sechs Gänge plus etliche Extras) sollte man sich im Remstal glücklich schätzen, über eine solche Adresse zu verfügen. Zugegebenermaßen haben der GUSTO und der G&M derzeit Noten für dieses Lokal vergeben, die minimal schwächer angesiedelt sind als noch die Urteile zu Stuttgarter Zeiten im Olivo. Ich jedenfalls kehre so oder so ganz gerne hier ein und überzeuge mich immer wieder persönlich davon, wie es hier weitergeht – und das sei auch den Lesern meiner Rezensionen durchaus empfohlen!

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Dezember 2018

Drei Minuten Fußweg vom Bahnhof – und schon sind wir am Ziel der Wünsche: im Herzen der beschaulichen und sehenswerten Altstadt von Schorndorf gelegen, ist das Boutiquehotel Pfauen mit dem gleichnamigen Restaurant schon immer eine Institution der Remsstadt gewesen. Das große, schmucke Fachwerkhaus in der Höllgasse steht direkt neben dem Geburtshaus von Gottlieb Daimler und galt jahrelang als gehobene Adresse in der erweiterten Region um Stuttgart herum. In den letzten Jahren mangelte es dem Betrieb allerdings erheblich an Konstanz, da praktisch nahezu jedes Jahr der aktuelle Pächter wieder aufgab – es schien, als wolle der Pfauen gar nicht mehr aus den negativen Schlagzeilen herauskommen. Auch heuer gab das Pächter-Ehepaar Dohnt im Februar 2018 das Restaurant auf, so dass Besitzer Gerald Feig abermals gezwungen war, einen neuen Restaurantleiter zu suchen – wenigstens wurde der Hotelbetrieb nicht auch noch eingestellt, sondern von der Familie Dohnt vorerst weitergeführt.

Des einen Leid ist jedoch des anderen Freud‘: Nico Burkhardt, zu jener Zeit Chefkoch des Olivo im Stuttgarter Hotel Steigenberger (gegenüber dem Hauptbahnhof), witterte die Chance, sich selbständig zu machen und nahm Kontakt mit Herrn Feig auf. Nach einigen weiteren Gesprächen war klar, dass Nico Burkhardt nicht nur das Restaurant übernehmen und mit einem neuen Konzept ausstatten, sondern auch das Hotel als Geschäftsführer leiten würde. Die bemerkenswerteste Änderung in der Gastronomie bestand darin, dass er das ursprüngliche Restaurant in zwei getrennte Bereiche gliederte: einen Bereich für gehobene, gutbürgerliche Küche (das den Namen Pfauen behielt) sowie einen anderen Bereich für Küche auf Gourmetniveau. Das fast schon wie ein Separée anmutende Zimmer im Erdgeschoss ist ähnlich rustikal eingerichtet wie der Fachwerkbau selbst. Die blanken schwarzen Tische sind (abgesehen vom Geschirr) lediglich mit einer Kerze und einem eher spartanischen Blumenschmuck eingedeckt, so dass die helle, kreisrunde Präsentationsmatte an jedem Platz, die den ganzen Abend nicht abgetragen wird, umso dominanter auftritt. Dass dieses neue Gourmetrestaurant, welches den Namen seines Chefkochs trägt, sage und schreibe acht (!) Plätze fasst und nur an vier Tagen in der Woche abends geöffnet hat, mag verdeutlichen, dass es in Schorndorf offenbar nach wie vor noch eine recht große Skepsis gegenüber der Haute Cuisine gibt. Wer nach dem jüngsten Scheitern des Restaurants im Frühjahr in den lokalen Medien stöberte, wurde jedenfalls schnell fündig: allzu viele Leserbriefe und Forumsbeiträge zeugten mit ihrem bissigen oder gar zynischen Unterton davon, dass Schorndorf offenbar keine Hochküche brauche und der Pfauen der beste Beweis dafür sei. Seien wir also umso dankbarer, dass der Mittdreißiger Nico Burkhardt das Wagnis einging und allen Unkenrufen zum Trotz seine aufgeschlossenen Gäste mit aromenstarken Kreationen beglückt. Soviel vorab: es bedarf keiner großen Überwindung, um sich an dieser Küche erfreuen zu können, die laut eigener Aussage auf der Homepage mit einem „Wow-Effekt“ verbunden sein soll (tatsächlich entwich genau dieser Begriff dem Mund eines Gastes).

Steigen wir (und damit ist diesmal gleich eine achtköpfige Gesellschaft mit weitgehend unerfahrenen Teilnehmern gemeint) also ein in das einzige angebotene Menü in sechs Gängen für € 124, das auch auf vier oder fünf Gänge reduziert werden kann. Wir genehmigen uns zwei Flaschen PriSecco (zu überaus moderaten Preisen) für die ganze Gesellschaft als Aperitif und erfreuen uns sogleich an den üppigen Amuses, die genauso generös ausfallen wie schon zu Stuttgarter Zeiten: da wären beispielsweise die flüssige Olivensphäre oder ein getrüffelter Chip mit Büsumer Krabben. Neu in diesem Reigen ist dagegen der frittierte Rosenkohl mit einem Klecks Avocadocreme und einer kleinen Chorizo obenauf. Erhalten geblieben ist der zweite Teil des Reigens, „Wald“ genannt. Dieser besteht aus einem aufwendig auf Birkenstämmen platzierten weiß getrüffeltem Chip sowie einer Steinpilzessenz und einem opulenten Schälchen mit Linsen, getrüffelter Crème und etwas darüber geriebenem Trüffel. Mag sein, dass mir aufgrund der geselligen Runde diesmal ein paar Details durch die Lappen gegangen sind, aber die Quintessenz ist klar: ein spätherbstlich anmutender, diffiziler, wohlschmeckender und arbeitsintensiver Reigen mit Langzeitwirkung am Gaumen. Die Brotauswahl wurde gegenüber früher ein wenig reduziert, besteht aber immer noch aus mehreren Brotsorten sowie Échiré-Butter und einem Kräuteraufstrich.

Nach der gelungenen Beeindruckung der Neulinge wird die Betriebstemperatur spätestens mit dem ersten Gang erreicht: marinierte Gänseleber, rote Bete, Cru de Cacao, Schafsjoghurt und Estragon ist ein Gericht, das viele der Grundprinzipien von Herrn Burkhardts Küche zur Schau stellt: ein Hauptdarsteller wird meist von eher wenigen Begleitern umgeben. Diese werden aber dafür in großer Kreativität in vielen Texturen zur Schau gestellt, wobei nicht selten ein vegetabiles Produkt ein wenig dominiert. Auch hier ist die Bete in Form von Esspapier, gelierter Form und Schäumchen ein recht prominenter Begleiter der schmelzigen Terrine. Die übrigen Begleiter setzen dezente aromatische Kontrapunkte (speziell die bitteren Kakaonoten rauben dem Gericht alles Schwere) und machen aus diesem Gang, dem selbstverständlich noch ein Brioche zur Seite gestellt wird, einen würdigen Einstieg.

Die ursprünglich annoncierte Wachtel war an diesem Tag offenbar leider in eine andere Richtung geflogen und wurde durch eine Challans-Ente ersetzt – ärgerlich nur insofern, dass eine Dame in der Gesellschaft schon mehrfach in der Vergangenheit um eine Wachtel gebracht wurde, sich also an diesem Tag ganz besonders darauf freute und prompt wieder enttäuscht wurde – es sollte einfach nicht sein! Nun gut, die Ente war ein würdiger und spannender Ersatz, da sie weitgehend mit denselben Komponenten begleitet wurde: konfiertes Eigelb, Blumenkohl, Brunnenkresse und Trüffelvinaigrette. Die verschiedenen Konsistenzen des Blumenkohls dominierten das Gericht, beispielsweise in hauchdünnen Scheiben und in Form eines aromatisierten Schaums. Der durchaus farbenfrohe Teller wurde so in eine feinsinnige Balance zwischen den durchaus herzhaften Röstaromen der Ente und dem federleichten Blumenkohl gebracht. Als kleines Schmankerl wird à part noch ein mit Nussbutter gefülltes Ei gereicht. Bemerkenswert!

Weiter geht die Reise mit einem à point gegarten, saftigen und butterzarten Atlantik-Kabeljau an Kürbis, Boudin Noir (Blutwurst) und Granny Smith. Die leicht fruchtige Aromatik des in allen nur denkbaren Varianten präsentierten Kürbis und die dezent, aber durchaus präsent eingesetzten Blutwurst-Tupfen führen zu einer kontrastreichen Liaison mit dem leichten Fisch, der durch die klein geschnittenen und leicht eingedickten Würfelchen von grünem Apfel zudem nochmals spürbar an Frische gewinnt – auch dies wieder ein Gang auf sehr hohem Niveau.

Im Vertrauen auf die Qualität des Grundprodukts setzt das Küchenteam den Rehrücken vergleichsweise bescheiden in Szene: eine kräftige Jus, etwas Sellerie, Petersilie und Zwiebel sowie zwei kleine Türmchen von Breznknödeln – fertig ist ein starkes Hauptgericht. Das bei Niedrigtemperatur gegarte Fleisch ist perfekt geraten und braucht auch nicht viel mehr als ein paar zurückhaltende Begleiter, die aber doch einzelne aromatische Spitzen setzen.

Die Käseauswahl vom Affineur Waltmann aus Erlangen ist leider nicht frei wählbar, sondern vorab zusammengestellt und besteht neben sechs Käsesorten (vorwiegend französische Weichkäsesorten) aus einem Traubenchutney und etwas Früchtebrot. Der Fairness halber sei erwähnt, dass die Räumlichkeiten es ohnehin nicht gestatten würden, etwa einen kostspieligen Christoffle-Käsewagen durch das Lokal zu schieben.

Ein fast schon herbes Dessert beschließt den Abend: Ivoire Schokolade mit Crème fraiche, Yuzu und Nougat gewinnt durch den sparsamen Einsatz von Zucker ungemein. Die subtilen säuerlichen Aromen der japanischen Zitrusfrucht korrespondieren bestens mit den herben Aromen der geeisten Schokolade und dem etwas süßeren Nougat (als Praline und als Eis). Das in einem tiefen Schälchen gereichte Dessert gehört vielleicht nicht zu den besten Dessert-Eingebungen der vergangenen Jahre, aber ich bin weit davon entfernt zu behaupten, dass es merklich abgefallen wäre. Vielmehr denke ich wehmütig an so manche Kreation vergangener Tage zurück, die mich noch erheblich mehr begeisterte – den unerfahrenen Neulingen sagte dieses Dessert jedenfalls sehr zu. Die drei kleinen Ausklänge, darunter ein klassisches Cannelé, runden den Abend schließlich stimmig ab.

Wem der Sinn danach steht, der kann ganz zum Abschluss anstatt am Tisch auch an der hauseigenen Bar einen Digestif einnehmen. Ein schlauer Einfall ist diese Bar allemal, denn selbst zu später Stunde, wenn die meisten Besucher des Pfauen schon längst das Lokal verlassen haben, kehren immer wieder noch Gäste auch zu später Stunde ein, um mit einem angemessenen Tröpfchen den Abend ausklingen zu lassen – was während der Adventszeit angesichts zahlreicher Besucher des unweit gelegenen Weihnachtsmarkts erst recht zutrifft.

Der durchweg junge Service macht seine Sache wirklich gut, auch wenn nach knapp zwei Monaten selbstverständlich noch nicht jedes Rädchen reibungslos ins andere greifen kann. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Stimmung wirklich gut und sehr gelöst war, was nicht zuletzt auf die Leistung der Servicebrigade zurückzuführen war. Auch die Weinempfehlungen fanden in der Runde durchweg Anklang. Dass der Service möglicherweise mehr als sonst zu tun hatte, lag auch an den wirklich moderaten Nebenkosten, bei denen man sich gerne auch mal ein oder zwei Getränke mehr als üblich gönnt. Außerdem musste die ausgefallene Wachtel (siehe oben) den ganzen Abend als „running gag“ herhalten, der die Stimmung weiter anhob.

Als regelmäßiger Gast des Olivo ergab es sich, dass ich alle Gerichte dieses Abends so oder in ähnlicher Form bereits von früher kannte – was ihrer Qualität aber keinen Abbruch tat, zumal man manche dieser Klassiker aus Herrn Burkhardts Küche immer wieder gerne isst. Außerdem sind die Preise hier erheblich niedriger als im Olivo, obwohl die opulente Zahl an Extras im Wesentlichen beibehalten wurde. Ein unvergessliches Highlight hatte diese Menüfolge für den Routinier in mir zwar nicht zu bieten, aber das durchweg hohe Niveau imponierte mir genauso wie dem Rest der achtköpfigen Gesellschaft, der es jedenfalls ausgezeichnet gefiel.

Da das Lokal erst im Oktober öffnete, sprengte dieses Datum in den meisten Fällen den Redaktionsschluss der Profi-Guides, so dass die Urteile des FEINSCHMECKER (zuletzt 3,5 F fürs Olivo) und des Gault&Millau (zuletzt 17 Punkte fürs Olivo) bis 2020 warten müssen. Der Guide Michelin, dessen 2019er-Ausgabe ungewöhnlich spät erst im Februar erscheint, sollte den begehrten Stern wieder verleihen, den Herr Burkhardt damals im Olivo besaß. In der Gastronomie zählt ein Michelin-Stern nun einmal mehr als ein Daimler-Stern, selbst wenn dessen Geburtshaus direkt neben dem Lokal steht! Der GUSTO vergab zuletzt im Olivo übrigens acht Pfannen und sollte wieder zu einem ähnlichen Urteil gelangen.

Nico Burkhardts Teller scheinen trotz ihrer recht ausgelassen wirkenden Gestaltung jedenfalls noch stärker in sich zu ruhen als sie es früher ohnehin schon taten. Insofern darf man auf die weitere Entwicklung gespannt sein – insbesondere dann, wenn die ersten problematischeren Monate überstanden sein werden. Dass sich der Küchenstil von Herrn Burkhardt seit seinem Weggang aus Stuttgart natürlich (bislang jedenfalls) nicht großartig geändert hat, ist nachvollziehbar: erstens erfindet sich ein Koch in der Regel nicht binnen weniger Wochen oder Monate neu, und zweitens ist es angesichts der Vorgeschichte des Hauses ja auch nur allzu verständlich, dass Herr Burkhardt zunächst einmal lieber auf Bewährtes setzt und diese Schorndorfer Institution erst einmal wieder in ruhigeres Fahrwasser steuern möchte. Dabei wünsche ich ihm jedenfalls alles Gute, verbunden mit der nicht ganz uneigennützigen Hoffnung, dass es künftig nicht jedes Mal einer Reise in die Landeshauptstadt bedarf, wenn ich von meinem Wohnort aus gen Westen reise und gehoben essen möchte (gut, das Staufeneck ist ja notfalls auch noch da…). Es wäre diesem Betrieb in dem wunderschönen Fachwerkbau wirklich zu wünschen, dass in den nächsten Jahren wieder etwas Ruhe einkehren möge. In diesem Sinne: schauen Sie vorbei und unterstützen Sie das Etablissement, denn es lohnt sich!