Im Frühjahr dieses Jahres ging die Meldung durch die Gastrowelt, dass der gleichermaßen bekannte wie renommierte Burda-Verlag ab der Ausgabe für 2021 den Gault&Millau übernehmen würde. Bereits damals wurden einige Neuerungen angekündigt, auf die in meinem Kommentar eingegangen werden wird. Nun, da das Werk fürs kommende Jahr inzwischen veröffentlicht ist, gestatte ich mir, meine Eindrücke hier wiederzugeben und eine kleine Bilanz zu ziehen, auf dass sie meinen Lesern auch helfen möge.
Zunächst einmal fällt auf, dass das mehr als 800 Seiten starke Kompendium (meines Wissens erstmals in Deutschland) zwischen zwei feste Einbände gepresst wurde und somit immer schön brav aufgeschlagen liegen bleibt, was in der Vergangenheit angesichts des Softcovers nicht immer der Fall war. Nicht nur in physikalischer Hinsicht, sondern auch rein äußerlich bekommt das Werk durch diese symbolträchtige Entscheidung einfach mehr Gewicht. Angesichts eines Preises von 39,90 Euro wurde es zudem höchste Zeit, dass die im Guide enthaltene Werbung spürbar reduziert wurde. Sie taucht nur noch in kleinem Umfang im Anfangsteil immer dort auf der linken Seite auf, wo auf der rechten Seite ein Gewinner eines bestimmten Titels präsentiert wird, z.B. „Koch des Jahres 2021“ oder „Restaurant des Jahres 2021“. Die früher auch mitten im Hauptteil mit den Restaurant-Rezensionen platzierte Werbung ist nun glücklicherweise verschwunden, zumal diese teilweise in der Vergangenheit nicht einmal direkt mit Haute Cuisine zu tun hatte, sondern sich allenfalls an die entsprechende finanzstarke Klientel wandte. So fanden sich in der Vergangenheit hier auch durchaus Anzeigen für Golfzeitschriften, Sportwägen oder als größter Missgriff das PLAYBOY-Magazin.
Es mag der aktuellen Situation geschuldet sein, dass die zahlreichen Essays zu Beginn des Werkes über aktuelle Themen diesmal auf lediglich drei reduziert wurden – hier muss man einfach die zukünftige Entwicklung abwarten, ob das weiterhin so bleibt oder deren Zahl künftig wieder zunehmen wird. Das Lesenswerteste davon ist ein Beitrag über die Notwendigkeit, hochwertige Produzenten stärker finanziell zu unterstützen, während die anderen beiden ein Loblied auf die deutsche Landgasthofkultur singen bzw. die Notwendigkeit und das weitgehende Fehlen von herausragendem Service betonen. Der Autor des letztgenannten Essays ist übrigens kein Geringerer als Vincent Klink – wobei ich mich bei der Lektüre dieses Artikels schon gefragt habe, ob er sein eigenes Lokal da gut aufgestellt sieht oder selbst unter diesem Problem leidet. Ich persönlich tendiere klar zu Letzterem, denn die Serviceleistung bei meinem Besuch in der Wielandshöhe im September 2018 ist in meinem Gedächtnis als eine der schwächsten überhaupt, derer ich mich entsinnen kann, hängengeblieben. Ein schöner Bonus dagegen durch den Guide ist die Anerkennung der lebenslangen Verdienste von Hans Haas aus dem Münchner Tantris, der Ende des Jahres in Ruhestand geht und dem aufgrund der aktuellen Lage leider kein stilvoller Abschied vergönnt ist. Für meinen Geschmack hätte man sich auch keinen Zacken aus der Krone gebrochen, wenn man der Würdigung dieser Persönlichkeit noch mehr Platz eingeräumt hätte.
Im Hauptteil wurde das Layout dahingehend geändert, dass Angaben zu den Restaurants wie Preise, Öffnungszeiten und Adresse in einer schmaleren Spalte links positioniert wurden, während der Haupttext in einer breiteren Spalte rechts davon seinen Platz beansprucht. Das führt wenigstens zu der spürbaren Verbesserung, dass nicht mehr wie früher unter Umständen die Daten zu einem Restaurant ganz unten rechts auf einer Seite standen und die Rezension dazu dann oben links auf der nächsten Seite folgte. Insgesamt gibt es etwas mehr Fotos, die teils auch größer gerieten als in vergangenen Jahren. Über deren Sinn ließe sich allerdings trefflich streiten, denn sie zeigen im Wesentlichen entweder den Koch (meist samt Begleitung), Fotos vom Lokal (von innen oder außen) oder im schlimmsten Fall ein Foto des Ortes, in dem das Restaurant liegt – was natürlich eine enorm hohe Aussagekraft über das rezensierte Lokal hat. Was man dagegen erstaunlicherweise vergeblich sucht, sind Bilder von Gerichten – bei flüchtiger Betrachtung ist mir jedenfalls keines bislang aufgefallen. Positiv fiel dagegen auf, dass die Bäderstädte jetzt streng alphabetisch eingeordnet wurden und somit auch dort zu finden sind, wo sie hingehören – so war beispielsweise Bad Doberan früher unsinnigerweise unter dem Anfangsbuchstaben „D“ zu finden. Eine etwas ernstere Kritik verdiente auch die Landkarte mit den erwähnten Restaurants zur Übersicht im Anhang: zum einen wurden die betroffenen Orte mit rezensierten Restaurants (wie schon in der Vergangenheit) anhand von kleinen Punkten mit insgesamt fünf teils neuen verschiedenen Farben markiert. Die Farben sollen dabei der Unterscheidung bei der Qualität der rezensierten Lokale dienen, doch weshalb man bei drei von fünf Farben dunkelblau, violett und schwarz verwenden musste, leuchtet partout nicht ein, denn bei weniger als optimalen Lichtverhältnissen sind die Farben praktisch nicht voneinander zu unterschieden. Außerdem gelang das geniale Kunststück, dass Orte, die auf einer der vier Karten (Norden, Osten, Süden, Westen) mitten im Buchknick liegen, auch auf einer zweiten Karte ebenfalls dort liegen und dadurch praktisch nicht zu erkennen sind. Außerdem ist die Zahl an Karten für meine Begriffe einfach zu gering, weil aufgrund der Dichte an gehobenen Lokalen in manchen Regionen wie dem Schwarzwald oder dem Rhein-Main-Gebiet umständlich lange Striche mit den Ortsnamen auf die Punkte hinweisen müssen.
Neben diesen redaktionellen Änderungen (die meisten zum Besseren hin) wurde bereits im Mai angekündigt, dass die Riege der Tester insgesamt deutlich verjüngt wurde. Da Einblicke in die Geheimniskrämerei rund um die Namen der Tester praktisch unmöglich sind, klang diese Aussgae zunächst einmal ziemlich abstrakt und in der Theorie kaum überprüfbar. Nach der ersten Lektüre spricht allerdings vieles für den hohen Wahrheitsgehalt dieser Aussage: Lokale, die über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinweg, ein Urteil genossen, das in Stein gemeißelt zu sein schein, mussten beispielsweise Abwertungen verkraften, die man in dieser Zahl letztes Jahr sicherlich so noch nicht erwartet hätte. Dabei wurde versucht so gut wie möglich, Umständen, die der aktuellen Corona-Krise geschuldet sind, keine Bedeutung beizumessen. Völlig ausschließen lässt sich das wohl kaum, aber das Wort „Corona“ sucht man in den Rezensionen tatsächlich vergeblich. Halt – da wäre eine Ausnahme, denn der Chefkoch des neu aufgenommenen Restaurants auf Schloss Filseck in Uhingen heißt doch tatsächlich Daniele Corona! Ich denke, dieser sympathische Koch ist damit gestraft genug und meldet sich dem Vernehmen nach am Telefon seit geraumer Zeit nur noch mit „Daniele“. Ansonsten bleibt festzuhalten, dass neben wenigen Druckfehlern vor allem der Trend zu verschachtelten und teils kaum verständlichen Sätzen noch deutlich zugenommen hat – beileibe nicht immer zum Vorteil des Lesers, der so manchen Satz zwei- oder dreimal durchackern muss, um seine Bedeutung zu erfassen.
Die allerwichtigste Änderung besteht darin, dass künftig nur noch die 500 besten Restaurants mit Punktzahlen ab 15 Punkten bewertet werden, während die nächsten 500 auf der Liste mit einer Art lobenden Erwähnung ohne Punktzahl Vorlieb nehmen müssen. Wie das neue System ankommt und ob es funktioniert, wird wohl erst die Zukunft zeigen. Bevor ich mit den Auf- und Abwertungen jedoch zum spannendsten Teil komme, sei zusammenfassend festgehalten, dass die Qualität des Inhalts an sich für meine Begriffe durchaus zugenommen hat. Die Zahl an ungeschickten redaktionellen Fehlgriffen dürfte für meine Begriffe in Zukunft allerdings noch deutlich reduziert werden.
Eine Liste der Restaurants nach Punktzahlen sortiert findet man nach wie vor unmittelbar vor dem Hauptteil des Werkes. Im Gegensatz zu früher fehlen aber diesmal (ob absichtlich oder versehentlich, entzieht sich meiner Kenntnis) die Pfeile, die die Veränderungen zum Vorjahr anzeigen. Diese müssen nun im Internet recherchiert oder zeitaufwendig mit der Vorgänger-Ausgabe abgeglichen werden, wenn man sich dafür interessiert – ziemlich ungeschickt.
Hier ein Überblick (ohne Anspruch auf Vollständigkeit bei 17 Punkten oder weniger) über die Bewegungen bei den besten Restaurants:
19,5 Punkte (Höchstnote):
Kein Lokal konnte neu in diese elitäre Gruppe vordringen. Im Gegenteil – dort finden sich nun nur noch sechs Vertreter, nachdem zwei Lokale aus dieser Kategorie abgewertet wurden.
19 Punkte:
Drei Aufsteiger gesellen sich zu dieser Spitzengruppe hinzu: das Lafleur in Frankfurt, das Lorenz Adlon Esszimmer in Berlin und das schanz in Piesport. Die beiden erstgenannten Lokale habe ich dieses Jahr nicht besucht, aber prinzipiell zuzutrauen war ihnen dieser Sprung allemal. Mein Glückwunsch gilt ihnen genauso wie dem „Koch des Jahres 2021“ Thomas Schanz aus dem gleichnamigen Lokal im malerischen Örtchen Piesport an der Mosel. Unser Besuch dort im August geriet zu einem ungeahnten Highlight und riss uns zu ähnlichen Elogen hin wie die professionellen Tester. Ich sehe mein Urteil bestätigt, denn auch ich vergab an diesem Abend seinerzeit überragende 19 Punkte – siehe meine Rezension.
Zwei neue, ungewollte Vertreter finden sich aber auch in dieser Kategorie wieder: das Überfahrt in Rottach-Egern und das Gästehaus Klaus Erfort in Saarbrücken. Völlig überraschend kommt zumindest das erste Urteil für mich nicht, denn seit geraumer Zeit scheint man am Tegernsee eine recht selbstgefällige Haltung einzunehmen und teils trotz überschaubaren Aufwands horrende Preise zu verlangen – so jedenfalls mein Eindruck vom Herbst 2019. Wenn man die aktuelle Kritik durchliest, dann gewinnt man fast den Eindruck, dass selbst eine Abwertung in die 18-Punkte-Kategorie zur Debatte gestanden war. Den zweiten Absteiger haben wir letztmalig im August 2018 besucht – eine ganze Zeit her, aber auch dieser Besuch riss uns nicht vom Hocker, jedenfalls gemessen an den Lobeshymnen.
18 Punkte:
Hier gab es ebenfalls eine Abwertung, nämlich Steinheuers Gasthof Zur Alten Post. Unser Besuch dort im August 2018 fiel etwas schwächer als die beiden davor aus, so dass dieses Urteil für mich auch nicht völlig überraschend kam, zumal ich den Abend selbst damals auch mit „nur“ 18 Punkten bewertete.
Aufsteiger von 17 Punkten in diese Kategorie gab es einige: Le Pavillon im Schwarzwald in Bad Peterstal-Griesbach, das Alois in München, das AMMOLITE in Rust und der Hirschen in Sulzburg. Die letzten Besuche in all diesen Lokalen liegen maximal zweieinhalb Jahre zurück – mit Ausnahme des letzten Kandidaten eine für mich abzusehende Steigerung, während unser Besuch in Sulzburg eher enttäuschend verlief. Offensichtlich hatten wir damals einen besonders schlechten Tag erwischt. Zwei weitere Gewinner, das Rutz in Berlin und Gut Lärchenhof in Pulheim bei Köln habe ich noch nicht besucht, aber auch dies war erwartbar: der Michelin verleiht dem Rutz ja sogar schon drei Sterne, und die Lobeshymnen auf Gut Lärchenhof nahmen in den Medien in letzter Zeit ebenfalls spürbar zu.
Ein Kandidat fehlt noch, denn er wurde sogar von 16 Punkten aufgewertet – ein höchst seltener Vorgang in diesen elitären Kreisen. Es handelt sich um das bianc in Hamburg, das bei unserem Besuch Ende August sowas von überzeugte. Schon damals forderte ich vom G&M die überfällige Anpassung der Note – vielleicht nimmt man meine Kommentare nun dort auch zur Kenntnis?! Matteo Ferrantino, Chefkoch und Entertainer in Personalunion, wurde zum „Aufsteiger des Jahres 2021“ gekürt – folgerichtig und vollauf verdient! Meinen Glückwunsch dazu in die HafenCity!
Neu aufgenommen in diese Kategorie wurde übrigens auch der Salon ROUGE von Tohru Nakamura in München. Nach der überstürzten und höchst bedauerlichen Schließung von Geisels Werneckhof gelang es Herrn Nakamura, im Herbst ein Pop-up-Restaurant in unmittelbarer Nähe zum Marienplatz zu eröffnen. Dieses ist allerdings nur für die Dauer von sechs Monaten angedacht, so dass nach dem Ende des nächsten Lockdowns zu befürchten steht, dass das Lokal schon wieder Geschichte sein wird. Sehr schade, wenn es so käme, denn der letztjährige Koch des Jahres war gerade auf dem besten Wege, zur bundesweiten Spitze aufzuschließen, als seine ehemalige Wirkungsstätte Knall auf Fall geschlossen wurde.
17 Punkte:
Hier gibt es natürlich mehr Bewegung, weshalb ich nur einige wenige Beispiele herauspicke. Von den fünf Abwertungen kann ich drei nachvollziehen (Becker’s in Trier und Landhaus St. Urban in Naurath/Wald – beide im August 2020 besucht und von mir ebenfalls mit 17 Punkten bewertet, während das Opus V in Mannheim den Abgang des Chefkochs Tristan Brandt verkraften musste und mit dieser Maßnahme gerechnet haben dürfte). Zwei andere, die ich ebenfalls dieses Jahr getestet habe, schnitten für meine Begriffe besser als 17 Punkte ab: das Ole Deele in Burgwedel (dem möglicherweise die Schließung droht) und das Le Cerf in Zweiflingen.
Erfreuliche und aus meiner Sicht allesamt berechtigte Aufsteiger von 16 Punkten sind Maerz in Bietigheim-Bissingen (besucht im Dezember 2019), Zum Schiffchen und Nagaya (beide in Düsseldorf und letztmalig 2018 bzw. 2019 besucht), Jante in Hannover (jüngst im August 2020 besucht), Intense (im Februar 2020 besucht), Gasthof Zum Bad in Langenau (vor wenigen Wochen besucht), RS – fine dining in Salach (seit der Umgestaltung nicht mehr besucht und dann wurde die anstehende Reservierung wegen des Lockdowns storniert) und das Juwel in Schirgiswalde-Kirschau (besucht im April 2019; damals allerdings noch unter Chefkoch Philipp Liebisch, der inzwischen Richtung Harz gewechselt ist).
Ein spezieller Fall mit doppelter Aufwertung von 15 Punkten ist das erfrischend individuelle August in Augsburg. Es scheint fast, als würde Christian Grünwald mit dem Einzug der jüngeren Testerriege endlich die Anerkennung zuteil werden, die ihm jahrelang angesichts kümmerlicher 13 oder 14 Punkte stets verwehrt geblieben war. Dies ist die überfällige Korrektur einer Fehlentscheidung! Das Gleiche gilt auch in die andere Richtung, da dem Landhaus Feckl in Ehningen (jetzt 16 Punkte) ein Punkt aberkannt wurde: bei drei Besuchen dort wurde das angebliche Niveau nie auch nur annähernd bestätigt – ein völliges Rätsel.
Auch das am nächsten von meinem Wohnort gelegene Sternerestaurant ursprung in Königsbronn-Zang konnte erneut um einen Punkt zulegen und steht inzwischen bei beachtlichen 16 Punkten – keine schlechte Entwicklung nach gerade einmal drei Jahren – und ein Ende ist noch nicht absehbar! Zu den großen Gewinnern muss auch das Seestern in Ulm gezählt werden, das sich gleich um zwei Zähler auf 17 Punkte verbesserte.
Anhand dieser exemplarischen Liste scheint deutlich zu werden, dass bei den Bewertungen endlich dringend benötigte Bewegung in die Sache kommt. Zu sicher haben sich für meine Begriffe einfach manche Köche gefühlt, frei nach dem Motto: eine einmal erreichte Note verliert man nicht wieder. Deutlicher als am Beispiel des Überfahrt wird dies derzeit nirgends, doch nun scheint die Zeit der Bequemlichkeit und verkrusteter Bewertungen endlich vorbei.
Fazit: neben einigen handwerklichen Schwächen beim Layout und etwas schwülstiger Sprache kann ich insgesamt einen klaren Aufwärtstrend erkennen, der den Kauf des neuen Gault&Millau 2021 wieder lohnt – das konnte man in den letzten Jahren nur bedingt behaupten.