Landgasthof Adler, Rammingen

„Konservatismus heißt: nichts ändern. Tradition bedeutet, etwas zu haben, mit dem man sich auseinandersetzen kann.“ (Vivienne Westwood)

Dezember 2021

Die Region Donau-Ries, nordöstlich von Ulm gelegen, ist ein wahres Paradies für Leute, die es gerne gemächlich angehen lassen. Speziell das topfebene Langenauer Ried eignet sich hervorragend für ausgedehnte Spaziergänge oder entspannte Radtouren inmitten einer wie unberührt wirkenden Landschaft. Auch die seit wenigen Jahren zum UNESCO-Weltkulturerbe zählende Eiszeitkunst aus dem Lonetal mit den drei Höhlen, in denen wichtige archäologische Funde sichergestellt wurden, bringt man mit dieser Region in Verbindung, da das Ries im Norden fast unmerklich in die Ostalb übergeht. An dieser Nahtstelle befindet sich der kleine Ort Rammingen, in dessen Ortsmitte der stattliche Landgasthof Adler steht. In dieser nur spärlich mit bemerkenswerten Adressen ausgestatteten Region ist man für jede gehobene Abwechslung dankbar, so dass nach fast auf den Tag genau zehn Jahren mal wieder ein Besuch fällig ist.

Rein äußerlich hat sich nicht viel an dem rebenumrankten Gebäude samt angeschlossenem Hotel geändert. Auch die Inneneinrichtung, die in einer gelungenen Mischung aus 60er-Jahre-Stil und modernen Elementen ausgestattet wurde, verströmt eine entspannte, aber dennoch austauschbare Atmosphäre. Eine wichtige Personalie hat hingegen während dieser zehn Jahre ganz deutlich ihre Spuren hinterlassen: zwei Jahre nach meiner ersten Stippvisite verabschiedete sich Chefkoch Klaus Buderath, der bis dato zusammen mit dem jetzigen Chefkoch Jan Bimboes am Herd gestanden hatte. Aufmerksame Leser meiner Rezensionen wissen, dass der ambitionierte Klaus Buderath nach Ulm ins Hotel LAGO wechselte und dort heute für das Lokal Seestern verantwortlich zeichnet. Da ich dieses Restaurant erst vor kurzem besucht habe, kann man sich in meinem unlängst veröffentlichten Bericht nochmals schlau machen, welche Entwicklung der ehemalige Chef inzwischen genommen hat und wie ich diese einschätze. Seit 2013 leitet der verbliebene Koch Jan Bimboes somit die Geschicke des Adlers in alleiniger Verantwortung. In jenem Jahr ging prompt der Michelin-Stern verloren, der bis heute nicht wiedererlangt werden konnte, so dass der aufmerksame Gast sich gewiss fragt, welche Gründe zur Abwertung geführt haben mochten. Auch ich möchte mir einen neuen Eindruck verschaffen und der Sache auf den Grund gehen.

Nach Erledigung der inzwischen schon zur Gewohnheit gewordenen Corona-Formalitäten geleitet man mich nach meiner Ankunft an meinen Tisch und stellt dort ohne Umschweife einen Brotkorb ab, der mir angesichts seiner Routine (Kräuterquark, Salz und Butter) nicht mal ein Foto wert ist. Ich bin noch nicht einmal richtig angekommen, doch sogleich fragt mich die Kellnerin nach einem Apéritif. Meine Wahl fällt auf einen fruchtig-herben alkoholfreien Cocktail aus Holunder und Johannisbeere – dennoch beschäftigt mich der Eindruck, dass man hier gleich mit der Tür ins Haus fällt, später mehr als der Geschmack des durchaus vorzeigbaren Getränks selbst.

Neben einer ordentlichen Auswahl von Gerichten à la carte offeriert man derzeit auch ein bis zu sechsgängiges Menü, wobei ich den Käsegang diesmal weglasse und für die fünf Gänge letztlich € 83 berappen werde. Die Menüfolge lasse ich dabei unverändert – ein Umstand, der ganz klar normalerweise keiner gesonderten Erwähnung bedarf, aber in diesem Falle leider seine Berechtigung hat, wie weiter unten ersichtlich wird.

Zu einem einzigen Gruß aus der Küche erscheint Herr Bimboes persönlich an meinem Tisch, um ihn zu erläutern. Leider klingt diese Ankündigung erheblich vollmundiger als die tatsächliche Umsetzung, denn die Crème von Sellerie und Meerrettich auf Pumpernickel mit einem Gelée von Süßwein obenauf entpuppt sich als selten langweiliger und eindimensionaler Einstieg ohne trennscharf herausgearbeitete Aromen. Diesem diffus konzipierten Einsteiger fehlt jedweder Esprit, um in irgendeiner Weise überzeugen zu können. Der optische Eindruck der Untertasse bleibt da noch am längsten im Gedächtnis haften …

Zum Einstieg kommt ein nicht sehr kompliziert ersonnenes Gericht auf den Teller, das geschmacklich allerdings überrascht: gebratenes Filet von weißem Waller auf Schwarzwurzelgemüse überzeugt mit solidem Handwerk und harmonischem Aroma. Das zarte Fischlein mit buttrigem Geschmack wird durch eine krosse Haut weiter aufgewertet, und auch der geschäumte Schwarzwurzelsud hat mehr Körper als erwartet. Das leicht knackige Gemüse und ein paar Zitronenspritzer runden den Eindruck eines eher braven, aber untadeligen Gerichts ab, das mit Sicherheit auf Ein-Stern-Niveau anzusiedeln wäre – an der Präsentation ließe sich gleichwohl noch etwas arbeiten. Leider sollte es der beste Teller des Abends bleiben …

Im nächsten Gang kommt auf den Tisch eine Crèmesuppe von … Schwarzwurzel?! Dass die Menüfolge teils nicht durchdacht wirkte, manifestierte sich hier am deutlichsten: dass nach einem Gang mit Texturen von Schwarzwurzel als nächstes eine Crèmesuppe desselben Produkts aufgetischt wurde, empfinde ich als ein kreatives Armutszeugnis. Wenn innerhalb einer fünfgängigen Menüfolge zweimal dasselbe Produkt so knapp nacheinander strapaziert werden muss, dann scheint wohl im Winter hierzulande die kulinarische Vielfalt sehr karg zu sein.

So „leicht“ wie angekündigt ist diese sehr cremige Suppe übrigens nicht, doch begleitend zum Waller gefiele sie mir viel besser als zur Einlage mit geräuchertem Aal. Dem von Natur aus fettigen und salzigen Fisch hätte ein kräftigerer Begleiter ohne Weiteres gut zu Gesicht gestanden, doch so bleiben zumindest noch die Texturen von Gemüse einigermaßen herauszuschmecken. Die Beigabe eines bestrichenen Focaccias wirkt auf mich ein wenig unbeholfen, denn auch das beachtliche Pesto obenauf kann nicht verhindern, dass sich das ausgesprochen fettige Brot unangenehm in den Vordergrund drängt. Isoliert betrachtet mag dies noch ein durchschnittlicher Beitrag sein, aber im Kontext der Menüfolge sind gewisse Fragezeichen auszumachen.

Zum dritten Mal Fisch in einer fünfgängigen Menüfolge (etwas mehr Abwechslung würde spürbar gut tun) gibt es anschließend zu „bestaunen“: allein aufgrund der Präsentation steht schon einigermaßen zu befürchten, dass dieser Beitrag nicht sonderlich überzeugt. Der Loup de mer (Wolfsbarsch) ist ohne besondere Präzision zubereitet worden, so dass er recht matt wirkt und seine Qualitäten nicht sonderlich gut zur Geltung kommen. Schlimmer noch erscheint aber die Tatsache, dass der dünne Hummersud sehr wässrig gerät und keinerlei Ausdruckskraft besitzt – von geschmacklicher Tiefe ganz zu schweigen. Abgerundet wird der negative Gesamteindruck durch die grobe Schnitte von penetrantem Fenchel, die in ihrer Massigkeit den Fisch mühelos zukleistert. Diesem indifferent umgesetzten und mit viel zu wenig Trennschärfe auskommenden Gang muss auf jeden Fall das Etikett des schwächsten Gangs an diesem Abend angeheftet werden. Vollkommen verwunderlich erscheint dies allerdings nicht, wenn man bedenkt, dass dieser dritte Gang trotz vier weiterer belegter Tische im Lokal bereits 50 Minuten nach meiner Ankunft auf dem Tisch steht.

Einigermaßen versöhnlich stimmen mich wieder Teile des Hauptgerichts, das an diesem Tag aus Lammrücken besteht. Das an der Karkasse gebratene Fleisch gerät absolut mustergültig: saftig, rosa und sehr zart. Was hätte man nicht aus diesem Teller machen können, wenn die Begleiter nicht wieder so abfallen würden?! Die plumpe Beigabe von Kartoffel-Terrine (ein drittes Stück wird sogar noch auf einem kleinen Teller à part präsentiert, falls es nicht reichen sollte!) und massigen Schnitten von geschmorter und gekochter roter Bete bestärkt mich in dem Eindruck, dass die Beilagen hier offenbar rein sättigende Funktion haben und von purer Einfallslosigkeit zeugen – schade, dass die texturelle Armut letztlich den ausgezeichneten Hauptdarsteller in seinem Wert derart relativierte.

Die Geschichte des Pré-Desserts ist ebenfalls schnell erzählt: bestehend aus Quarkcrème mit dreierlei Beeren (Heidelbeere, Himbeere und Johannisbeere) und Kürbiskernen, bleibt es geschmacklich mehr als blass und kommt ebenfalls nicht über den Status einer langweiligen und altmodisch anmutenden Kreation hinaus. So bleibt leider festzuhalten, dass das Modernste an diesem Intermezzo die Unterlage war.

Nach gut zwei Stunden bin ich schon beim Dessert angelangt und hoffe noch auf ein Wunder, welches die bisherigen, weitgehend ernüchternden Eindrücke etwas zurechtbiegen kann. In Teilen gelingt dies dem Team nochmals, denn das Schokoladen-Soufflé ist tatsächlich mustergültig, ja exzellent: fluffig, mit Körper und schön heiß. Die Begleiter können da leider – wieder einmal – nicht Schritt halten: das Buttermilch-Hagebutten-Eis bekommt noch meinen Segen, aber die wenig sublime und aufdringliche Kaffeecrème ist viel zu dominant eingesetzt. Das Crumble von Linzer Torte vermag den Eindruck eines recht klobigen Begleiters leider auch nicht zu zerstreuen, so dass wieder einmal eine Begleitung unterm Strich steht, die nicht auf Augenhöhe mit dem Hauptdarsteller agiert. Petits fours gibt es keine, aber inzwischen überwiegt auch in mir der Eindruck, dass ein rasches Ende des Abends das kleinere Übel darstellen sollte. Der Rechnung entnehme ich keineswegs günstige Nebenkosten, so dass zum Ausgleich die wenig denkwürdige Serviceleistung letztlich mit einem unterdurchschnittlichen Trinkgeld von mir quittiert wird.

Die Gründe für diesen sehr durchwachsenen Abend sind zwar vielschichtig, aber dennoch deutlich zu benennen. Chefkoch Jan Bimboes punktet nicht nur mit gehobener Kochkunst, sondern zusätzlich mit profundem Weinwissen und der Fähigkeit, einen Steinbutt kompetent am Platz zu tranchieren. Doch genau hierin ist ein ernstes Problem zu sehen, denn während jede dieser Fähigkeiten für sich genommen natürlich ein Kriterium für die Qualifikation in der gehobenen Gastronomie darstellt, so kann es andererseits nicht angehen, dass alle diese Aufgabenfelder in Personalunion abgedeckt werden. Eine einzige weitere Kellnerin, die zudem eher nüchtern und wenig herzlich agiert, reicht dafür einfach nicht aus, wenn wie an diesem Abend etwa fünfzehn Gäste hier einkehren. Es fällt mir schwer zu glauben, dass die Qualität der Küchenleistung nicht darunter leiden soll, wenn der Koch nebenher als Sommelier und Kellner auftritt, der mit Aufgaben betraut ist, die eindeutig einer Servicekraft vorbehalten sein sollten.

Damit wird gleich ein Zusammenhang zum zweiten Menetekel hergestellt, das für meine Begriffe eng mit dem ersten Phänomen verbunden ist. In den meisten Fällen gelangte das Hauptprodukt nämlich durchaus in einer bemerkenswerten Qualität und Zubereitung auf den Teller, doch wäre den Beigaben nur halb so viel Aufmerksamkeit zuteil geworden, dann hätte das Menü wesentlich mehr überzeugt. So hingegen war mehr als nur einmal an diesem Abend zu beobachten, dass die Begleiter meist in ausgesprochen plumpen Strukturen präsentiert wurden und kaum mehr als den Status einer uninspirierten Sättigungsbeilage einnahmen. Außerdem überzeugten auch das Handwerk und die Sorgfalt häufig nicht annähernd so sehr wie beim Hauptprodukt. Die im Gastraum verbrachte Zeit des Kochs wäre in der Küche weitaus nutzbringender einsetzbar.

Das Menü selbst wirkte ebenfalls mutlos und erzkonservativ. Diesen Kritikpunkt hätte ein entsprechendes Handwerk erheblich abschwächen können – von dieser Hoffnung zehrte ich nach dem ersten Gang durchaus noch, aber danach fielen die weiteren Eindrücke recht stetig ab. Außerdem scheint hier öfters Eile geboten zu sein – jedenfalls drängt sich mir dieser Eindruck auf, wenn man die ausgesprochen zügige Abwicklung der Menüfolge bedenkt. Dass dies zu Lasten der Sorgfalt und der Präzision geht kann man sich leicht ausmalen. Mehr als nur einmal hätte sich damit ein besseres Ergebnis erzielen lassen, wenn man nur mehr Zeit aufgewandt hätte.

Alles in allem scheint man es im Landgasthof Adler sowohl gelegentlichen Besseressern als auch Gourmets recht machen zu wollen – und scheitert genau an diesem Anspruch. Wenn man letztere Zielgruppe in diese ländliche Region locken möchte, dann muss einfach mehr passieren als ein matter Einstieg ohne Ausdruckskraft und ein Ausklang ohne Petits fours. Die handwerklichen Voraussetzungen scheinen mir mit Blick auf die teils ausgezeichneten Hauptprodukte durchaus gegeben, doch die Detailarbeit lässt sehr zu wünschen übrig. Vor allem sollte dazu Herr Bimboes die Aufgaben besser delegieren und den Fokus stärker auf die Präzision richten, wenn denn der Stern eines Tages wieder her soll. Sollten diese Anforderungen nicht umsetzbar sein (wofür ich angesichts der Widrigkeiten, die die Pandemie mit sich bringt, vollstes Verständnis hätte), dann könnte man alternativ auch auf die weniger anspruchsvolle Klientel setzen, die leichter zu beeindrucken ist – aber dafür müssten dann meines Erachtens die Preise gesenkt werden, was mir auch nicht allzu realistisch erscheint.

Der Sprung auf das Treppchen bleibt dem Adler damit in der Region um die Münsterstadt vorerst verwehrt, denn das Seestern in Ulm, der Gasthof zum Bad in Langenau und das Siedepunkt in Ulm belegen derzeit unangefochten die ersten drei Ränge. Ob ein weiterer Besuch meinerseits hier nochmals folgt, ist nach diesen Eindrücken jedenfalls fraglich.

Mein Gesamturteil: 14 von 20 Punkten

 

Landgasthof Adler
Riegestr. 15
89192 Rammingen
Tel.: 07345/96410
www.adlerlandgasthof.de

Guide Michelin 2021: –
Gault&Millau 2021: 15 Punkte
GUSTO 2022: 6,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2021: 2 F

5-gängiges Menü: € 83