Lodner Genusswerkstatt, Lauingen an der Donau

„Stets findet Überraschung da statt,
wo man’s nicht erwartet hat.“
(Wilhelm Busch)

Januar 2022

Schwer und trüb legt sich an diesem nassgrauen Abend der dichte Nebel über das schwäbische Donautal in Bayern. In einem Anflug von Spontaneität und mangels Alternativen bin ich an diesem Samstagabend auf dem Weg nach Lauingen an der Donau, dem Geburtsort von Albertus Magnus. Der Ort selbst war mir noch in guter Erinnerung, denn bei einem touristischen Tagesausflug vor einigen Jahren erklomm ich den Schimmelturm und machte mir ein Bild von dem reizenden Städtchen, dessen Marktplatz von dem Rathaus und einem Denkmal des größten Sohnes der Stadt geziert wird. Kulinarisch gehörte die Donau zwischen Ulm und Regensburg bislang dagegen zu einer völlig unattraktiven Region mit bestenfalls annähernd sternewürdigen Adressen. Das könnte sich nun jedoch bald ändern, denn einer Empfehlung des GUSTO folgend bin ich auf dem Weg zu einem Lokal, dessen Name mir zwar etwas sagte, dem ich aber angesichts der bisherigen, nicht nennenswerten Note keine Beachtung geschenkt hatte. Es musste sich jedoch etwas getan haben, denn eine Anhebung der Note um ganze zwei Pfannen seit dem letzten Urteil darf schon als bemerkenswert angesehen werden.

Die Rede ist von der Lodner Genusswerkstatt, nur wenige Meter vom Marktplatz entfernt. Bisher befand sich das Gourmetrestaurant in einem separaten Bau neben dem Hotel, doch neuerdings findet man das Lokal im Hauptbau, während die ehemaligen Räumlichkeiten inzwischen zu einem Feinkostgeschäft umgestaltet wurden – dazu später noch mehr. Der bloße Umzug rechtfertigt natürlich noch keine derart signifikante Aufwertung: vielmehr führte eine strukturelle Neuausrichtung zu einem komplett veränderten Konzept. Der bisherige Chefkoch und Patron des Hotels, Alexander Lodner, erkannte, dass seine Passion vor allem den Gewürzen sowie dem vergorenen Traubensaft gilt und überließ daher die Küche bereitwillig einem jüngeren Koch, der auf diesem Gebiet offensichtlich andere Ambitionen hegte. So steht hier neuerdings mit Tobias Eisele ein Chef am Herd, der bereits binnen der ersten Wochen Züge einer eigenen Handschrift entwickeln konnte. Die ganze Prozedur erinnert auffällig an den Landgasthof Lamm in Schlat, wo der gelernte Koch Jörg Geiger vor fast zwanzig Jahren den Herd zugunsten eines anderen räumte und sich fortan seiner eigentlichen Leidenschaft widmete – wie wir wissen, haben sich seine Priseccos heute zu einer stark expandierenden Marke entwickelt, die inzwischen in Sternerestaurants von Flensburg bis Oberstdorf angeboten wird. Dieser radikale Schritt geriet letztlich zum Vorteil von Koch und Unternehmer, so dass ich ohne Weiteres eine ähnliche Erfolgsgeschichte hier für möglich halte.

Der Weg zum Lokal führt durch das Foyer des Hotels in einen relativ großen Saal mit hohem Gewölbe, relativ halliger Akustik und einem recht lichten Ambiente. Auffälligstes Dekoelement sind drei jeweils zwei Meter hohe Plexiglasröhren, die allesamt bis an den Rand mit Weinkorken gefüllt sind. Wenn die zugehörigen Flaschen wirklich allesamt schon hier vor Ort ausgetrunken worden sein sollten, dann bestätigt dies nur die große Leidenschaft des Patrons für Wein! Auf jeden Fall sollte sich der Umzug in den geräumigen Saal auszahlen, da der eher beengte Bereich im ehemaligen Lokal (den ich später noch zu Gesicht bekommen sollte) auf Dauer eher abstoßend gewirkt haben mag.

Zur Auswahl steht neben ein paar Gerichten à la carte auch eine Menüfolge mit bis zu sechs Gängen zu € 115 bzw. € 84 für die verkürzte viergängige Variante. Alle Gerichte des Menüs sind allerdings auch à la carte erhältlich, so dass eine gewisse Auswahl immer gegeben ist. Offen gestanden traue ich dem neuen Urteil des GUSTO noch nicht ganz und beuge indirekt einer potentiellen Enttäuschung vor, indem ich mich für die Verknappung des Menüs entscheide. So oder so beginnt der Abend mit einem Karotten-Ingwer-Süppchen, das relativ dünn gerät, aber an diesem nasskalten Winterabend mit seinen würzigen Noten und der heißen Temperatur dennoch ausgezeichnet passt.

Nach diesem etwas verhaltenen Beginn, den ich zudem mit Apfel-Quitten-Secco aus dem Hause Van Nahmen veredle, gelangt die Brotauswahl auf den Tisch. Hier setzt man bereits ein erstes Statement, denn das Brot stammt von keinem Geringeren als Arnd Erbel aus dem mittelfränkischen Dachsbach – kurioserweise derselbe Lieferant wie schon bei Tohru Nakamura ein paar Tage zuvor! Ihre Berechtigung hat diese Maßnahme freilich allemal, denn das Handwerk dieses Bäckers ist schlicht überragend und weit über die Grenzen Frankens hinaus bekannt. Passend dazu gibt es eine mit Szechuan-Pfeffer und Curry verfeinerte Kakaobutter – was zugegebenermaßen exotisch klingt, aber in Wirklichkeit voll und ganz das umfangreiche Wissen Alexander Lodners auf dem Gebiet der Gewürze untermauert. Als hätte es überhaupt noch eines weiteren Beweises bedurft, stehen im Hintergrund nicht weniger als fünf Salze zur Auswahl – darunter auch Exoten aus Hawaii und Indien. Nach diesem Intermezzo dämmert es mir schon jetzt, weshalb die Entscheidung des Patrons, den Kochlöffel zugunsten von Gewürzen und Wein abzugeben, offenbar eine grandiose Entscheidung war.

Stattdessen kann nun der junge Chef Tobias Eisele zeigen, was er zu leisten imstande ist: in der Tat beginnt die Parade mit einem weiteren Amuse (keine Selbstverständlichkeit auf diesem Niveau!) in Form einer fast monothematischen Komposition rund um Pilze. Was jedoch banal klingen mag, entpuppt sich als wirklich gelungener und durchdachter Beitrag: eingelegte Kräuterseitlinge, Maronencrème, Champignons, Pilz-Crème-fraîche und Pilzsud verbinden sich zu einem stimmigen Schälchen voll dezenter, aber reizender Effekte. Die leichte Süße der Maronen kontrastiert die elegant aufgefangene Erdigkeit der Pilze sehr schön, und auch die Balance ist angesichts keineswegs dominanter Pilzaromen jederzeit gewährleistet. Alles in allem ein erstaunlich guter Einsteiger, dem man nicht wirklich etwas vorwerfen kann – vielleicht bis auf die Frage, ob mitten im Winter Pilze noch sein müssen. Ansonsten ein individueller und sicher umgesetzter Einfall!

Drei (!) Stücke von kurz geflämmter Jakobsmuschel setzt die Küche auf recht plakative Weise in Szene, doch entbehrt das Gericht keineswegs eines gewissen Reizes. Auf schwarzem Reis von gerade richtiger Konsistenz drapiert, bringen Rotalgen eine schöne Salinität ins Spiel, die einerseits durch Algencrème in ihrer Wirkung noch verstärkt wird, aber andererseits mit der Spritzigkeit von Bitterorange (in Form von Sorbet und Crème) wieder abgefedert wird. Etwas Frischkäse neutralisiert schließlich das insgesamt nicht so kompliziert gestrickte Gericht, das aber recht mutig daherkommt und erneut von einer klaren Idee durchdrungen ist. Dieser kaum vorhersehbare erste Gang hätte in der Balance wohl noch etwas Feintuning vertragen können, doch um einen beachtlichen Einfall handelte es sich allemal. Patron Alexander Lodner schenkt mir dazu weißen Pfirsichsaft von Van Nahmen ins Glas, was die Fruchtigkeit des Gangs unterstreicht.

Der nächste Gang erinnert mich einigermaßen an einen Klassiker von Josef Bauer aus dem nur eine Stunde entfernten Landgasthof Adler in Rosenberg, der im Februar unter der Leitung von Michael Vogel endlich wieder öffnet. Bei Josef Bauer waren die Zutaten immer unter einer Schicht von gelierter roter Bete vollständig versteckt, während hier die recht ähnlichen Komponenten gut erkennbar sind. Sowohl die Blätter, der Stiel und die Knolle von roter Bete als auch von Blumenkohl wurden kurz sous vide gegart und dann in Butter geschwenkt. Während die braune Butter eher zu intensiv und daher überflüssig gerät, erweist sich die Idee mit dem gebackenen Eigelb und insbesondere mit dem ganz dezent süßen Lorbeersorbet als besonders clever. Gerade durch die Vielfalt an Temperaturen und Konsistenzen wird das Essvergnügen trotz „anstrengender“ Gemüse-Komponenten aufgewertet, ohne dass der Teller überfrachtet wäre. Passend dazu schenkt man Williams-Christ-Birnensaft von Van Nahmen ins Glas.

Wer will es dem noch neuen und recht unerfahrenen Chef verdenken, wenn er beim Hauptgericht das große Risiko noch etwas scheut? Zweierlei vom heimischen Reh (als Ragout à part und als Filet auf Sellerie gebettet), wird diesmal von einer nicht allzu tiefen Jus umspielt, so dass die mit einem Kugelausstecher hergestellten Bällchen aus Apfel und Kartoffel etwas davon ablenken, doch können sie insgesamt nicht über die Biederkeit hinwegtäuschen. Dennoch gibt es auch Pluspunkte wie das gleichmäßig gebratene Fleisch oder die fehlerlose, wenngleich nicht allzu anspruchsvolle Umsetzung. Somit kein Höhepunkt, aber schwarzer Johannisbeersaft (Van Nahmen) als vollendeter Begleiter tröstet darüber locker hinweg.

Viel optischen Aufwand für ein kleines Pré-Dessert betreibt man anschließend bei einem Kiwisorbet im Champagnersüppchen – das reinigt die Geschmackspapillen nochmals für das Dessert, zumal Süße und Säure wohltuend ausbalanciert wurden. Fraglos gelungen!

Eine keineswegs zurückhaltende Optik auf einem geschwungenen Teller gibt es dann beim Ausklang zu bewundern: diese nährt in mir den Verdacht, dass die Substanz möglicherweise durch Vordergründiges verschleiert werden könnte, doch Valrhona-Schokolade ist besser als erwartet umgesetzt. Zwar erscheint der Hauptdarsteller in Form von Ganache, Crumble und Mousse (in der Kugel) tatsächlich etwas zu massig, doch das federleichte Kokos-Limetten-Eis und die bekömmlichen Obstsorten kompensieren dieses geringe Menetekel. Was auf der Karte lediglich mit „exotischen Früchten“ annonciert wird, stellt sich als Ananas, Kiwi, Papaya und Maracuja heraus und spannt einen schönen Bogen von straffer Säure bis zu leichter Süße. Das wunderbar herbe Morellenfeuer (einer meiner Lieblinge aus dem Hause Van Nahmen) erweitert das Spektrum sogar noch und rundet ein Menü ab, das schwerlich mit einem Paukenschlag endete, aber in Summe sicherlich eines Michelin-Sterns würdig wäre. Die Petits fours, bestehend aus Florentiner und zwei Pralinen mit unterschiedlichen Gewürzmischungen, passen zur Thematik des Hauses und beenden das Menü mit einer klaren Aussage. Schön!

An diesem Abend, der insgesamt weit besser als erwartet geriet, konnte ich mich persönlich davon überzeugen, dass hier möglicherweise eine beachtliche Adresse heranreifen könnte. Der hier an den Tag gelegte Küchenstil folgte einer klaren Idee und ließ trotz gewisser natürlich noch vorhandener Schwächen erahnen, wohin die Reise in zwei, drei Jahren vielleicht schon gehen könnte. Was einerseits noch einer gewissen Vorsicht und Zurückhaltung zum Opfer fiel, wurde andererseits durch ungewöhnliche Produktkombinationen schon mehr als ausgewogen. Handwerkliche Schwächen (bis auf tendenziell zu dünne Saucen und Sude) waren nicht auszumachen, so dass das Hauptaugenmerk hier schon bald dem Feintuning gelten kann. Dann dürfte es wohl nicht mehr allzu lange dauern, bis hier noch mutigere Ideen Einzug halten werden und die teils noch etwas plakative Inszenierung der Gerichte durch eine sensiblere Austarierung verbessert werden kann. Dessen ungeachtet hatte die gezeigte Parade angesichts eines neuen und jungen Kochs schon ordentlich Potential erkennen lassen, das es nun zu fördern gilt. Ein gelungener Anfang ist jedenfalls gemacht, da Alexander Lodner weiterhin im Service tätig ist und mit Rat und Tat zur Seite steht. Angesichts der gastfreundlichen Nebenkosten erhöht sich die Attraktivität des Lokals nochmals um ein gutes Stück, zumal auch etliche alkoholfreie Produkte aus dem Hause Van Nahmen hier wie selbstverständlich offeriert werden.

Den vielleicht größten Höhepunkt des Abends erlebte ich jedoch erst nach diesem Mahl, denn eher zufällig und beiläufig verkündete der Patron mir gegenüber, dass ich nach dem Menü gerne mit ihm das Feinkostgeschäft nebenan besichtigen könne – offenbar erkannte der Besitzer in mir (zurecht) einen Gast, der sich in der Szene mehr als ordentlich auskennt.

Was dieses Geschäft indes angesichts einer derart ländlich geprägten Region zu bieten hatte, ließ mir fast den Atem stocken: Gewürze aller Art und aus aller Welt, die inzwischen auch aus Lauingen in namhafte Delikatessgeschäfte nach Stuttgart und München geliefert werden, sowie Spirituosen aller Couleur, Weine und Pralinen dominierten das Bild. Als weiteres Schmankerl entpuppten sich Schinken direkt aus Italien und Käse von allerlei Arten, die man in so einem Ort wohl kaum erwartet hätte. In Anlehnung an das ehemalige Gourmetlokal ließ man die ursprünglichen Räume nahezu unverändert und tastete dabei nicht einmal die Kristalllüster an, die nun den Laden illuminieren. Dass solche Produkte ein besonderes Ambiente verdienen erscheint absolut gerechtfertigt, doch die eigentlich Schatzkammer des Hauses ist der unterirdische Weinkeller unter dem Geschäft, der sicherlich auch den Ansprüchen eines Zwei-Sterne-Hauses vollauf genügen würde. Freilich ist das noch Zukunftsmusik, doch wer weiß, wozu dieser Keller eines Tages noch gut sein mag?! So kam ich letztlich in den Genuss einer Privataudienz, die weit länger als eine Stunde dauerte und mich regelrecht zu fesseln wusste. Ich hatte nicht nur aus erster Hand Informationen über den Überlebenskampf der Gastronomie zu Corona-Zeiten erhalten, sondern auch einen Einblick in das Reich des Alexander Lodner gewährt bekommen, dessen Leidenschaft mir förmlich aus allen seinen Poren zu dringen schien. Dass seine Kompetenz dabei in völlig unaufdringlicher Weise und ohne jede Besserwisserei ausgelebt wird, empfinde ich als doppelt bemerkenswert. Allein der Besuch dieses Ladens sollte eine lohnende Angelegenheit sein, doch der Besuch im Lokal nebenan sei hier ebenso nahegelegt.

Summa summarum bleibt festzuhalten, dass Alexander Lodner den Kampf in schwierigen Zeiten angenommen hat und mit unbändiger Energie den Widrigkeiten trotzt. Mit Hilfe einer recht vielversprechenden Neuausrichtung soll wohl die Zukunft frühzeitig eingeläutet und das Lokal vor dem etwaigen Aus bewahrt werden. Das wird hoffentlich funktionieren, denn die gezeigten Eindrücke bestärkten mich in meiner Überzeugung, dass es um diese (noch) kleine, aber feine Adresse schade wäre, zumal die Region nach wie vor im kulinarischen Niemandsland angesiedelt zu sein scheint. Man darf sich von dieser Adresse jedenfalls noch einiges versprechen, weshalb ich das Geschehen hier sicherlich weiter beobachten werde. Ein zwangloser Besuch sei daher an dieser Stelle durchaus empfohlen.

Als eine wertvolle Starthilfe erwiese es sich natürlich, wenn der zuständige Inspektor des Guide Michelin hier noch vor dem Redaktionsschluss der Ausgabe für 2022 vorbeischauen und einen Michelin-Stern bewilligen würde. Diskussionswürdig wäre ein solches Prädikat hier nicht mehr. Alles in allem erinnerte mich hier sehr vieles an meinen ersten Besuch im ursprung in Königsbronn-Zang, wo nach Überwindung der Startschwierigkeiten der Michelin-Stern ebenfalls sehr schnell errungen werden konnte. Hoffen wir, dass es auch hier klappt!

Mein Gesamturteil: 15 von 20 Punkten

 

Lodner Genusswerkstatt
Imhofstraße 6 + 7
89415 Lauingen an der Donau
Tel.: 09072/95890
www.hotel-lodner.de

Guide Michelin 2021: –
Gault&Millau 2021: –
GUSTO 2022: 7 Pfannen
FEINSCHMECKER 2021: –

6-gängiges Menü: € 115