Haus Stemberg*, Velbert-Neviges

„Karriere ist konstantes Lernen.“ (Andrew S. Grove)

Januar 2022

Das weitgehend rural geprägte Bergische Land wartet an seinem nördlichen Rand mit einer kulinarischen Institution auf, die sich in der Region schon längst etabliert hat. An einer Landstraße außerhalb von Velbert-Neviges (nordwestlich von Wuppertal) befindet sich das Haus Stemberg Anno 1864, welches seit jeher als Familienbetrieb geführt wird und dank überdurchschnittlicher Kochkünste seiner Betreiber zu den namhaftesten und zehn besten Lokalen in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland Nordrhein-Westfalen zählt.

Chefkoch Sascha Stemberg, der ein Jahr nach der Erlangung des ersten Michelin-Sterns den Kochlöffel von seinem Vater Walter übernahm, führte das ohnehin schon bekannte Lokal in neue Dimensionen und etablierte es fest in der Sterneliga, der es seit 2014 angehört. Die Eltern des Chefkochs hielten dem Hause selbstverständlich die Treue und sind omnipräsent im Service und bei der Unterhaltung der Gäste – speziell Walter Stemberg ist ein authentischer und herzlicher Gastgeber, der mit Leib und Seele bei der Sache ist und von der Sorte, die heutzutage nur noch selten anzutreffen ist. Wer hier einkehrt, der kann sich sicher sein, einen völlig zwanglosen und wirklich günstigen Besuch bei gehobener Küche genießen zu können. In einem eher dunklen und rustikal gehaltenen Ambiente mit einigen Memorabilia aus vergangenen Tagen geleitet man uns zu unserem blanken Holztisch, der sich als leicht beengt erweist, aber letztlich ausreichend groß ist. Hier sieht man auch schon mal – was für Sternerestaurants eher untypisch ist – größere Familien mit noch recht jungen Kindern einkehren. Im Gegensatz zu vielen anderen Lokalen stört dies allerdings nicht sonderlich, da das Personal auch durchaus kinderfreundlich agiert und ein Landgasthof nun mal ein anderes Ambiente verströmt. Das Interieur besteht übrigens aus einer Synthese von Holz einerseits und Anthrazittönen andererseits.

Ein Verwandtschaftsbesuch im Bergischen Land zum Ende der Ferien macht die Einkehr hier erst möglich, doch mit etwas mehr Zeit hätten wir auch die wichtigste Sehenswürdigkeit von Neviges noch viel genauer unter die Lupe genommen: der Mariendom in Neviges, denn wo sieht man schon einmal eine Kirche im Stile des Brutalismus?! Unsere Aufmerksamkeit an diesem Tag gilt nun aber mal dem Haus Stemberg: was den Besuch des von außen eher unscheinbaren Lokals darüber hinaus attraktiv macht, ist das umfangreiche Angebot. Während die Ein-Menü-Politik andernorts längst zum Standard avanciert ist, bietet man hier neben einem mehr als fair bepreisten sechsgängigen Menü wie selbstverständlich jede Menge anderer Gerichte an – darunter auch Wiener Schnitzel, eine launige Variante des rheinischen Klassikers Himmel un Äd oder die hauseigene und kultverdächtige Perlgraupensuppe. Leider reicht uns die Zeit nicht, um all diese Köstlichkeiten zu verkosten, weshalb unsere Wahl letztlich doch auf die etwas verkürzte und nur viergängige Version des Degustationsmenüs (€ 82) fällt – schon jetzt sei allerdings verraten, dass wir diese Entscheidung indes in keinster Weise bereuen sollten.

Zum Einstieg tischt man linkerhand ein herzhaft intensives Maronensüppchen auf, während das Tatar von geräucherter Forelle trotz weniger forscher Aromen genauso gut abschneidet und in Summe definitiv einen gelungenen Auftakt im Stile eines Landgasthofs darstellt. Passend dazu genehmige ich mir einen Prisecco Nr. 27 von Jörg Geiger (Birne, Quitte und Gurke). Außerdem reicht man (allerdings in einer optisch wenig ansprechenden Papiertüte) noch eine Brotauswahl mit hausgemachtem Gänseschmalz.

Zum Start des Menüs präsentiert man Salat vom Taschenkrebs in einer launigen und farbenfrohen Inszenierung, die allerdings weit mehr als nur optische Spielereien zu bieten hat: Eis von Avocado und die Spritzigkeit von grünem Apfel werten den Hauptdarsteller, der einerseits mit Frische und Leichtigkeit, andererseits mit durchaus nicht zurückhaltender Würze punktet, spürbar auf. Weitere Texturen von Staudensellerie und Jalapeño sorgen für eine angemessene Abrundung, doch der Taschenkrebssud „Thai Style“ ist der eigentliche Clou der mit seiner unverwechselbar asiatischen Aromatik alles stimmig miteinander verbindet – für einen Landgasthof schon ein ziemlich mutiger und zugleich bunter Einstieg mit Esprit en masse. Die optimale Ergänzung ist Elstar-Apfelsaft aus dem Hause Van Nahmen.

Als weniger kühn, aber dafür fokussierter auf den Hauptdarsteller entpuppt sich die Tranche vom weißen Heilbutt in brauner Butter gebraten. Der sanft gegarte und puristisch interpretierte Fisch punktet mit exemplarischer Konsistenz, doch mit cremigen Schnittlauchgraupen, feiner Kalbszunge und Rauchaalsud kommt eine rustikale Komponente ins Spiel, die aufgrund ihrer sparsamen und genauen Dosierung den Gang keinesfalls aus der geschmacklichen Balance wirft. Gerade der leichte Biss der Graupen und die feine Würze machen aus diesem Gang ein unkompliziertes Esserlebnis mit angenehmem Mundgefühl. Genau das erwarten die Gäste hier – wenn dann noch als flüssiger Kompagnon (alkoholfreier) Riesling von Van Nahmen ins Glas geschenkt wird, dann fehlt nicht mehr viel zur federleichten Glückseligkeit.

Deutlich gehaltvoller geht es wieder beim Hauptgang zu mit Taubenbrüstchen aus der Vendée. Die ganz leicht bitteren Röstaromen des Täubchens kommen gerade im Verbund mit einem getrüffelten Blutwurstsandwich gut zur Geltung. Die Gänseleberjus mit Quatre Épices verleiht dem Gang den nötigen Körper, der aber auf kontrastierende Weise wieder geschickt mit Texturen von Quitte und Kürbiscrème aufgefangen wird. In Summe ein leicht überdurchschnittliches Gericht für einen Einsterner, zumal der gehaltvolle Dornfelder von Van Nahmen optimal passt. Schon jetzt dämmert es mir, dass man hier nicht zuletzt wegen eines ganz starken Preis-Leistungs-Verhältnisses ganze Heerscharen an Gäste begrüßen kann.

Im Mittelpunkt des Desserts nimmt eine Ganache von karamellisierter weißer Schokolade, die mit Kürbiskernöl gefärbt wurde (ein eher entbehrlicher Einfall), den üppigsten Platz ein. Das Crumble von Kürbiskernen sowie das Sorbet von Mandarine sorgen für ansprechende, fruchtig-nussige Akzente, während Cassis und rote Bete deutlich herbere Akzente setzen. Dass all dies Komponenten nochmals in veränderten Texturen und Konsistenzen in einem separaten Schälchen erneut dekliniert werden, überrascht dann in einem Landgasthof angesichts des Aufwands und des geschmacklichen Mehrwerts dann doch ziemlich. Apfel-Holundersaft von Van Nahmen begleitet den Ausklang aus angemessene Art und Weise, so dass unterm Strich eine Genussreise der unkomplizierten Art mit hohem Beglückungspotential steht. Berücksichtigt man Preis und Ambiente, so darf man für den geforderten Betrag wahrlich kaum mehr erwarten, zumal auch die Saftbegleitung mit nicht mal € 20 zu Buche schlägt.

Eine Variation von Schokolade als Crumble, Espuma und Ganache mit Ananas versüßt uns den Abschied, obwohl der grüne Frankfurter Kräuterschaum damit einen durchaus herben und gelungenen Kontrapunkt eingeht, der eine gar zu eindimensionale Süße vermeidet. Fraglos ein würdiger Ausklang!

Gerne hätten wir natürlich noch vielfältigere Eindrücke mitgenommen, doch auch so geriet dieser Nachmittag recht erhellend und launig. Sascha Stemberg hat hier mit Hilfe einer ganz persönlichen Handschrift seine genaue Vorstellung von Hochküche auf Landgasthofniveau umgesetzt und scheint damit bei seinen Gästen voll punkten zu können. Auch wir zeigten uns angesichts der zeitgemäßen und handwerklich absolut sicher umgesetzten Ideen spürbar angetan, zumal hier so ziemlich jeder nach seiner Façon glücklich werden kann. Hochküche und Klassiker auf gehobenem Niveau kommen hier beide gleichermaßen zu ihrem Recht: Ideen mit Pfiff und hochwertige Produkte, die überwiegend aus der Region stammen und von befreundeten Herstellern geliefert werden, sorgen für ein konstant hohes Niveau und ausgezeichnete Qualität.

Der herzliche und unkompliziert agierende Service darf für ein solches Haus ebenfalls als exemplarisch bezeichnet werden. Mit gebotener Lässigkeit sowie ohne jede Hast verrichtet die kleine Brigade ihren Job und trägt ihren Teil zum Gelingen des Nachmittags bei. Speziell die sicher ausgesuchten Getränkeempfehlungen zu sehr fairen Preisen werteten diesen Eindruck noch weiter auf.

Im September des letzten Jahres hätte Sascha Stemberg bei einem „Four-Hands-Dinner“ zusammen mit Andreas Widmann im ursprung in Zang aufkochen sollen. Schwer vorstellbar, dass dieses Event tatsächlich Mangels Interesse der Gäste abgesagt wurde, so dass mir eben keine andere Wahl als der Gang an den heimischen Herd von Sascha Stemberg blieb! Bereut habe ich die Stippvisite keinesfalls, denn das Mahl und die völlig lockere Art des Chefs (in dessen Namen ich natürlich auf der Ostalb einen Gruß ausrichten musste) haben mich in meiner Überzeugung darin bestärkt, dass dieses Lokal einen absoluten Gewinn für das Bergische Land darstellt. Zwar liegt dieses nicht gerade um die Ecke, aber ein weiterer Besuch ist sicherlich denkbar, wenn ich mal wieder in der Nähe sein sollte!

Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten

 

Haus Stemberg Anno 1864
Kuhlendahler Straße 295
42553 Velbert-Neviges
Tel.: 02053/5649
www.haus-stemberg.de

Guide Michelin 2021: *
Gault&Millau 2021: 17 Punkte
GUSTO 2022: 8 Pfannen
FEINSCHMECKER 2021: 3,5 F

4-gängiges Menü: € 82