„Man muss die Leute auch mit Schwierigem konfrontieren. Das ist wie der erste Schluck Campari oder Kaffee – zuerst bitter, aber dann beginnt man, es zu lieben.“ (Sting)
UPDATE (August 2021)
Mitten im Nördlinger Ries gelegen ist das Sternerestaurant von Joachim Kaiser die weit und breit beste Adresse. Dennoch bedeutet dieser Umstand keineswegs, dass man sich hier auf seinen Lorbeeren ausruhen würde, sondern weiterhin große Experimentierfreude an den Tag legt. Zur Erläuterung muss dabei nochmals gesagt werden, dass dieses Haus quasi zwei Restaurants unter einem Dach vereint – die Trennschärfe von früher mit separaten Räumen ist dabei nicht mehr gegeben, aber anhand der Speisekarte lässt sich der Unterschied durchaus noch nachvollziehen. So werden hier etliche Klassiker des Hauses (wie das Wiener Kalbsschnitzel) sowie weitere Wirtshauslieblinge auf hohem Niveau angeboten. Gleichzeitig gibt es auch ein siebengängiges Überraschungsmenü namens „Vielfalt“, das mit € 147 preislich deutlich herausragt und sich an die wenigen Gourmets wendet. Tatsache ist, dass die meisten Gäste nicht wegen dieses Menüs herkommen, sondern um einen gemütlichen Nachmittag oder Abend bei überdurchschnittlichen, aber bekannten Speisen zu verbringen.
Auch ich habe hier in den letzten Monaten immer wieder mal „gewöhnliche“ Kreationen verkostet und bin zu dem Schluss gekommen, dass deren Qualität die leicht erhöhten Preise mehr als gerechtfertigt. Das Gourmetmenü habe ich dagegen seit vier Jahren nicht mehr probiert, so dass es an der Zeit für eine neue Bestandsaufnahme ist. Dabei fällt mir gleich auf, dass früher eine Auswahl von bis zu zwölf verschiedenen Gängen zur Auswahl stand, aus denen man dann maximal neun Teller aussuchen konnte. Nun hingegen sind es sieben vorgegebene Überraschungsgänge. Beim letzten Besuch beeindruckte mich vor allem die launige Interpretation so mancher Gerichte (siehe untenstehende Rezension), die sich allerdings immer in einem angemessenen Rahmen bewegte und keinen Gast in dieser ländlichen Region überforderte.
Warum ich das überhaupt erwähne? Schon bald sollte sich herausstellen, dass das aktuelle Menü nur noch sehr wenig mit der Stilistik von damals zu tun haben sollte und mich in nicht geringem Maße überrumpelte. Zu einem Prisecco Nr. 7 von Jörg Geiger (Hauszwetschge, Gelbmöstler Birne, Zitronenverbene) tischt man ein Amuse auf, das ein Carpaccio von Ochsenbrust in den Mittelpunkt stellt. Begleitet wird dieses relativ aufwendig von Kürbiskernen, Senfsaat, Meerrettich, Johannisbeeren und Lauch. Trotz der Kleinteiligkeit bleibt dieser Einstieg in Summe ein überraschend fades Gericht, das die Aromen nicht sehr trennscharf herausarbeitet.
Nach diesem verhaltenen Einstieg, der ja mal passieren kann, hoffe ich auf Besserung beim ersten Gang. zumal auch die Brotauswahl so belanglos gerät, dass sie mir kein Foto wert ist. Als dann der Teller aufgetragen wird, staune ich ob der Optik des Gangs nicht schlecht. Die akustische Ankündigung des Gangs hingegen zaubert schnell einige fragende Blicke auf mein Gesicht, denn Huchentatar, eingelegte Früchte, Kaffeecrème und Schokolade dürfte eine der absurdesten Kombinationen seit langer Zeit sein, die ich so allenfalls im Leipziger Falco oder im Augsburger August, aber niemals von dieser Adresse erwartet hätte. Meine Befürchtungen bestätigen sich leider, denn es will bei dieser missratenen Kombination überhaupt keine Harmonie aufkommen: der zarte Fisch geht in dem süßen Ambiente vollkommen unter, zumal auch die Begleitung selbst für mich alles andere als stimmig gerät. Da helfen auch keine Mandarinen, Kirschen oder geeiste Schokolade – es wirkt auf mich so, als würde ein Pianist perfekt mit der rechten Hand Debussy und gleichzeitig mit der linken Hand Bach spielen. Jede Komponente ist für sich genommen ausgezeichnet, aber im Verbund ergibt das Ganze kein stimmiges Bild – ein mehr als seltsamer Einstieg mit optischem Blendwerk.
Es folgt jedoch noch ein weiterer Gang mit Dessert-Charakter, der erneut der Avantgarde zu huldigen scheint. Diesmal paart die Küche Artischocke mit Grapefruit, Baiser und Mandelschaum. Auch dieser experimentelle Gang enttäuscht auf ganzer Linie, denn was nützt schon das beste Handwerk, wenn man hervorragenden Spargel mit mustergültiger Schokosauce kombiniert? Ähnlich verhält es sich hier: der Gang weiß nicht, ob er eine Vorspeise oder ein Nachtisch sein will und verbindet völlig disparitätische Elemente zu einem sinnfreien und seltsamen Gang, dem ich rein gar nichts abgewinnen kann. Die süßen Komponenten sind viel zu dominant, während die Artischocke komplett untergeht und lediglich mit den Begleitern fremdelt. Hätte ich mich mental auf so eine Darbietung einstimmen können, dann wäre ich vielleicht nicht so verdutzt gewesen. So hingegen stehen unterm Strich zwei hochgradig verstörende Einstiege, die mich schlicht ratlos machen.
Als nächstes kommt – Gott sei Dank, möchte man schon fast sagen – ein konventioneller Gang, zu dem ich mir einen alkoholfreien Weisswein EINS-ZWEI-ZERO vom Weingut Josef Leitz einschenken lasse. Der säuerbetonte, straffe Charakter dieses trockenen Traubensafts korrespondiert gut mit fränkischem Saibling mit Kamillensud und -blüten. Diverse Gemüsesorten wie Zucchini, Karotte und gelbe Bete überlassen dem qualitativ ausgezeichneten und sanft gegarten Hauptdarsteller den ihm gebührenden Raum zur aromatischen Entfaltung. Vielleicht sind die Kamillenoten (speziell die Blüten) dabei einen Tick zu dominant, aber im Vergleich zu den beiden Vorgängern schneidet dieser Gang um Längen besser ab.
Der beste Gang dieses Tages ist eine launige Interpretation des Klassikers Gaisburger Marsch, der hier zur Abwechslung sehr viel edler als sonst mit Hummer als Einlage umgesetzt wird. Zusammen mit dem erdigen Sud verleihen Backerbsen, Zwiebeln, Karotten, Flädle und grüne Maultaschen dem Gang reichlich Umami – und einen leicht säuerlichen Charakter dazu, der nach all der plakativen Süße zu Beginn der Menüfolge ausgesprochen wohltuend gerät. Solche Gerichte erwarte ich von dieser Adresse auch: augenzwinkernde Landhausküche mit originellen Einfällen, starkem Handwerk und zeitgemäßer Umsetzung langjähriger Klassiker. In Summe ist dieser Gang recht simpel gestrickt, aber er funktioniert dennoch erheblich besser als vieles andere an diesem Tag, das wesentlich komplexer entworfen wurde.
Der Hauptgang schwankt ein wenig zwischen Bodenständigkeit und Avantgarde – auf der einen Seite das exzellente und mustergültig zubereitete Fleisch vom Älbler Lamm, auf der anderen Seite ein Défilée von gefüllten Himbeeren, confierten Tomaten, Paprika und verstecktem Risotto. Die Himbeeren empfinde ich als nur bedingt passend, aber sie werden ohnehin deutlich vom dominanten Paprika in den Hintergrund gedrängt. Zumindest ist Inspiration 4.0 auf Eis von Jörg Geiger (Kirsche, Paprika, rote Bete) ein mehr als passender Begleiter.
Den Käsegang lasse ich diesmal weg und gehe sogleich zum Dessert über, das übrigens weitaus weniger süß geraten sollte als die ersten beiden Gänge. Abermals schien man der Hinwendung zur Avantgarde nicht widerstehen zu können, doch diesmal war das Ergebnis wenigstens schlüssiger und um einiges besser. Das praktisch zuckerfreie Dessert bestand aus zwei Crèmes links und rechts der karamellisierten Milchhaut, die an eine moderne Plastik erinnerte. Die linke Crème bestand aus Pure-Beans-Schokolade (100% Kakaoanteil), während die rechte mit Steinpilzen aromatisiert wurde. Mehr als nur einen thematischen Bogen schufen die dünn gehobelten Champignons, die nicht nur den Pilz-Aspekt erneut aufgriffen, sondern auch angenehmen Biss und eine eigene aromatische Note beisteuerten, die auch gegen die anderen Komponenten erfolgreich ankam und keineswegs unterging. Schwerlich ein Dessert für die Ewigkeit, aber eines, bei dem die Moderne wesentlich schlüssiger als vieles andere an diesem Tag geriet.
Petits fours sind leider auch keine vorgesehen, doch da gibt es ja noch etwas, was die Herzen von Whisky-Connoisseuren regelrecht jubilieren lässt: eine Auswahl von ca. 100 (!) Whiskys, überwiegend aus den Highlands und der Speyside-Region. Die anderen Regionen wie die Lowlands, die Inseln, Islay und Campbeltown sind indes auch vertreten, doch die schönste Nachricht besteht darin, dass diese vom Chef vor vielen Jahren begonnene Sammlung sehr ambitioniert ist und nicht wenige Flaschen beinhaltet mit mehr als 20 Jahre alten Exemplaren – und das auch noch teils zu Spottpreisen. Wo, bitte schön, bekommt man beispielsweise 2 cl von einem „Springbank 21“ für weniger als € 15 eingeschenkt? Allein diese Sammlung würde schon jeden Besuch hier rechtfertigen! Nicht zu vergessen: etliche Gäste suchen den Weg nach Nördlingen auch wegen des „Rieser Culatello Riserva“, einem edlen Schinken, der 30 Monate lang im Keller des Hauses reift und so manches Geniesserherz höher schlagen lässt – 100 Gramm dieser Delikatesse kosten derzeit € 14.
Das nur schwach besuchte Lokal an diesem verregneten Nachmittag fordert dem Service schwerlich alles ab, doch neben der sicheren Ankündigung der Gerichte einerseits fällt mir andererseits auf, dass man hier offenbar nicht so gerne mehrfach Besteck aufträgt, sondern lieber den Tisch gleich mit acht platzraubenden Teilen auf einmal eindeckt. Chefkoch Joachim Kaiser lässt sich erfreulicherweise immer wieder blicken und erteilt gerade zum Dessert die eine oder andere hilfreiche Auskunft, was ich als ausgesprochen aufmerksam wahrnehme.
Womit wir beim entscheidenden Thema wären: eine derartige Umkrempelung der bisherigen Stilistik hätte ich weder erwartet noch für nötig empfunden. Dass ein Chefkoch, der auf die 60 Jahre zugeht, sich nicht nochmals komplett neu erfinden muss, sollte doch keine so überraschende Aussage darstellen. Dennoch wurde bei diesem Besuch mit einer mir bislang in diesem Lokal noch nie untergekommenen Radikalität experimentiert, wobei die meisten Versuche für meine Begriffe deutlich nach hinten losgingen. Die Motivation hinter all dem wirft für mich die größten Fragen auf, denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Mehrzahl der Gäste so etwas überhaupt erwartet (wenn sie überhaupt das Gourmetmenü bestellen). Außerdem verhält es sich ja nicht so, dass der letzte Besuch ein kompletter Reinfall und eine Runderneuerung notwendig gewesen wäre – im Gegenteil hätte ich mit der bislang bekannten Stilistik mehr als gut leben können. Aus meiner Sicht ist die Küche gerade dabei, einen Irrweg einzuschlagen, zumal die „gewöhnlichen“ Wirtshausgerichte immer noch das Fundament dieser Küche darstellen. Dass auch ohne gewaltsame Verfremdung mehr als vorzeigbare Ergebnisse erzielt werden können, machte der sehr individuelle Gaisburger Marsch deutlich. Insofern müsste man den Gästen hier derzeit raten, auf die Wirtshausküche zu setzen, falls sie nicht gerade völlig vorurteilsfrei bereit sind, eine mehr als kühne Menüfolge in Kauf nehmen zu wollen. Beim nächsten Besuch werde ich jedenfalls wieder auf die gehobene „Hausmannskost“ setzen und die weitere Entwicklung abwarten …
Mein Gesamturteil: 15 von 20 Punkten
Meyers Keller
Marienhöhe 8
86720 Nördlingen
Tel.: 09081/4493
www.jockl-kaiser.de
Guide Michelin 2021: *
Gault&Millau 2021: 16 Punkte
GUSTO 2021: 8 Pfannen
FEINSCHMECKER 2021: 3,5 F
7-gängiges Menü: € 147
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Mai 2017
Als der GUSTO seine Ausgabe für 2017 präsentierte, wurde natürlich auch der Koch des Jahres gekürt. Bekanntlich ist dieser Guide durchaus für die eine oder andere Überraschung gut, aber diesmal zauberte er ein Kaninchen aus dem Hut, mit dem nur die allerwenigsten gerechnet haben dürften. Der begehrte Titel ging nämlich an Joachim Kaiser, Chefkoch von „Meyers Keller“ in Nördlingen. In den Worten des GUSTO „hat [Kaiser] dabei ein ganz besonderes Gespür für die Produkte entwickelt, das sich inzwischen auf beachtliche Art und Weise auf seinen Tellern widerspiegelt.“ Wenn man bedenkt, dass auch der „Feinschmecker“ 3,5 F vergibt und der Gault&Millau dagegen seit Jahren nur 13 oder 14 Punkte, dann drängt sich der Eindruck auf, dass es höchste Zeit für einen erneuten Besuch ist.
Das in elegantem Landhausstil eingerichtete Restaurant mit einem Michelin-Stern liegt ziemlich gut versteckt auf der Marienhöhe gut einen Kilometer außerhalb der Stadtmauer in Nördlingen. Hier verarbeitet der passionierte Koch seit Jahren immer wieder Erzeugnisse aus der Region und stellt zudem seinen inzwischen weithin bekannten „Rieser Culatello“ her – ein Edelschinken (derzeit € 14,- pro 100 Gramm), für den nicht wenige Gäste eigens anreisen. Sein geräumiges und großzügiges Lokal ist in zwei zusammenhängende Bereiche getrennt: der größere Teil ist den konservativ denkenden Gästen der „Landküche“ gewidmet, die einfach auf gehobenem Niveau sattsam bekannte Klassiker wie Spargel mit Kräuterflädle und optionalem Zusatz (wie z.B. Roastbeef) genießen möchten.
Der kleinere (und vermutlich spärlicher besuchte) Teil ist der „Kreativküche“ vorbehalten, in der Kaiser seinem Können und seiner Phantasie freien Lauf lassen darf. Wenn es das Wetter – anders als an diesem Tage – zulässt, dann wird selbstverständlich auch auf der großen rückseitigen Terrasse serviert, auf der man unter kühlenden Kastanien speisen darf. So oder so stellt der Gast aus bis zu zwölf Gerichten eine individuelle Menüfolge zusammen.
Natürlich nimmt unsereins den sich über Landstraßen in die Länge ziehenden Weg ins Ries nicht wegen Wirtshausklassikern auf sich, sondern strebt geradewegs in den „Kreativ“-Bereich. Nach dem Aperitif (ein interessanter alkoholfreier Erdbeer-Secco) serviert man als noch recht verhaltener Einstieg zwei Karottensticks, die mit hauchdünner krosser Hähnchenpanade ummantelt und mit dezent eingesetztem Blauschimmelkase veredelt sind. Der zweite Gruß gerät ganz und gar vegan: auf einem Kopfsalat-Segment befinden sich klein gestoßene und karamellisierte Haselnüsse. Die Crème fraiche darunter rundet diese originelle und sehr gelungene Aufmerksamkeit ab. Bereits diese Grüße weichen in puncto Stilistik von den Besuchen aus früheren Zeiten recht deutlich ab – man könnte meinen, die Ästhetik des Nürnberger „Essigbrätleins“ hätte hier Pate gestanden. Sodann reicht man uns noch eine Foccaccia mit vier verschiedenen Sorten aromatisierter Butter (u.a. Zitrone, Haselnuss und Rotwein). All diese Eindrücke decken sich nicht unbedingt mit dem recht durchschnittlichen Eindruck vom letzten Besuch vor zwei Jahren, aber natürlich ist es noch viel zu früh für ein endgültiges Urteil.
Als ersten Gang tischt man Ochsenherztomate mit Burrata und Bärlauch-Pesto auf. Das rein vegetarische Gericht klingt im ersten Moment nicht sonderlich aufregend, aber der Inhalt des tiefen Tellers belehrt den Spötter in mir schnell eines Besseren. Das Gericht hat unglaublichen Schmelz und vereint dank der lauwarmen Temperatur die verschiedenen Konsistenzen auf geniale Weise. Das hat trotz aller Schlichtheit großen Stil und ganz viel Substanz – ein toller Einstieg.
Vergleichsweise blass blieb dagegen Hesselberger Stör mit glacierter Entenmastleber im Perlzwiebelfond. Zwischen den beiden Hauptdarstellern wollte keine rechte Harmonie entstehen, zumal das Gericht aromatisch blass und recht eindimensional blieb. Abhilfe schafften nicht einmal die Perlzwiebeln, sondern nur der gehaltvolle Fond, der allerdings zu wenig präsent geriet. Allerdings sollte sich dieser Gang glücklicherweise bereits als der schwächste erweisen.
Glacierter Blauer Hummer und gebratener Spargel geriet wieder souveräner, zumal die Produktkombination mit einer hinreißenden Hollandaise aus Miso zusammengehalten wurde. Der erstaunlich kräftig gebratene Spargel bot einen spannenden Kontrast zum Hummer, der somit ein interessantes Spiel rund um Bissfestigkeit einleitete. Auch in geschmacklicher Hinsicht überzeugte die säuerlich-fruchtige Begleitung durch die Hollandaise – originell und gut.
Kabeljau und Mönchsbart geriet zu einem der Höhepunkte: der in Olivenöl confierte Fisch war auf den Punkt gegart und gewann so noch zusätzlich an aromatischer Aussage: intensiv und tiefgründig. Der kurz gedünstete Mönchsbart (ein Kraut, das Schnittlauch nicht unähnlich sieht, aber insgesamt etwas stabiler ist) verlieh der Kreation optische Aufwertung, mehr Biss und eine leicht würzige Note, die sich im Verein mit dem Balsamico-Essig wunderbar entfalten konnte. Hier zahlte sich der Hang zu mehr Reduktion und Purismus besonders aus – eine ausgezeichnete Kreation, die auf beeindruckende Weise bestätigte, dass genaue Kenntnis der Produkte manchmal weit mehr Dividenden als sinnlose Überfrachtung von Tellern abwirft. Da kann man dem GUSTO nur zustimmen.
Selten tritt der Fall ein, dass das Hauptgericht tatsächlich zur Krönung einer Menüfolge gerät, aber diesmal war es wieder einmal der Fall: Bavette, Kalbskopf, Zuckerschoten und Graupen sah auf dem Teller nach weit weniger aus als es klang. Die puristische Inszenierung des Gerichts ließ dem phantastischen Stück Fleisch allen Raum, den er zur Entfaltung seines Geschmacks benötigte. Die nur dezent, aber dennoch präsent begleitenden Beigaben verliehen dem Gericht eine Vielfalt an Aromen, dass es einer wahren Wonne gleichkam.
Die Käseauswahl sollte man sich hier auf keinen Fall entgehen lassen: der gute alte und vom Aussterben bedrohte Christoffle-Käsewagen ist hier vom Affineur Waltmann mit gut drei Dutzend Sorten edelstem Käse bestückt worden. Auch die Beigaben wie diverse Chutney-Sorten und Nüsse sind recht üppig geraten.
Das Dessert geriet zum kreativen Höhepunkt: unter einer kräftig gebackenen Haselnuss-Sablée befanden sich zwei versteckte Schichten. Das Käsekuchen-Eis harmonierte prächtig mit dem Tatar aus Amalfi-Zitrone und bat zu einem virtuosen Tanz um Süße und Frucht.
Die Ausklänge (ein dünner, mit Anis aromatisierter Keksstick sowie ein kleines Crèmetörtchen) waren vergleichsweise belanglos, aber das störte weder mich noch meine Begleitung nach diesem eindrucksvollen Reigen. Der Service agierte die ganze Zeit aufmerksam, überaus kompetent und durchaus mit Charme. Nur zu Beginn hätte man sich etwas mehr Präsenz durch die Servicekräfte gewünscht – das war aber wohl auch dem emsigen Treiben im vollen „Landhaus“-Zimmer nebenan geschuldet. Außerdem kompensierte das regelmäßige Erscheinen von Frau Kaiser und deren Unterstützung des Service diesen Umstand mehr als ausreichend. Nur Chefkoch Joachim Kaiser ließ sich diesmal nicht blicken. Nicht ohne zuvor den Keller mit den aufgehängten Schinken zu inspizieren und etwas von dem Culatello zu erwerben, verließen wir Nördlingen, den Rundling im Ries, bei strömendem Regen wieder.
Was bleibt also festzuhalten? Gegenüber früheren Zeiten scheint sich auf den Tellern eine spürbare Reduktion abzuzeichnen, die den Kreationen aber ungemein gut tut. Dank seiner profunden Kenntnisse rund um die Produkte schafft es Kaiser auf überzeugendere Weise denn je, sie bestmöglich ins rechte Licht zu rücken und ihre Stärken zu betonen. Ein Koch sollte bekanntlich niemals auslernen – das überraschende Urteil der GUSTO-Kritiker konnte ich völlig nachvollziehen und schließe mich dem Urteil daher an. Unter den insgesamt sechs Besuchen in diesem Lokal geriet dieser jedenfalls zum besten. In der Sprache des Gault&Millau hielte ich persönlich inzwischen 16 oder gar 17 Punkte für angemessen.
Weitere Besuche in nicht allzu ferner Zukunft sind daher nicht auszuschließen, zumal sich auch das Preis-Leistungs-Verhältnis absolut fair gestaltet und selbst schlankere Geldbörsen nicht übermäßig belastet. Außerdem ist die Region Donau-Ries derart knapp an herausragenden Adressen, dass „Meyers Keller“ für Gourmets fast alternativlos ist, wenn sie sich einmal in diese Region verirren – pardon, begeben.