Mosconi*, Luxemburg-Stadt

„Das Leben ist eine Kombination aus Zauberei und Pasta.“ (Federico Fellini)

August 2022

Italienisch geprägte Sterneküche ist außerhalb Italiens tatsächlich relativ selten anzutreffen und daher ein umso rareres Erlebnis, wenn dem geneigten Gourmet doch einmal eine derartige Stilistik in Aussicht gestellt wird. Genau dies erwartet uns nämlich im Mosconi, einem eleganten Bürgerhaus in der Hauptstadt des Großherzogtums. Es liegt im pittoresken Stadtteil Grund in der Unterstadt, welcher bequem mit einem Aufzug von der historischen Altstadt aus zu erreichen ist. Da Parkgelegenheiten in den malerischen Gässchen absolute Mangelware sind, empfiehlt sich ein Parkplatz in der historischen Altstadt, um von dort aus die restliche Strecke zu Fuß zurückzulegen. Direkt an der Alzette gelegen und mit einem Paradeblick auf die Altstadt aufwartend, verzaubert das Lokal unter Chefkoch Ilario Mosconi seine Gäste mit pfiffiger, aber zugleich eleganter und moderner italienischer Küche, die schon mit bis zu zwei Michelin-Sternen prämiert war. Derzeit nur einfach besternt, kann uns jedoch selbst der strömende Regen nicht davon abhalten, dem Etablissement einen Besuch abzustatten – zumal wir die Reservierung erst am Tag zuvor getätigt hatten! Was meine Neugier zusätzlich geweckt hatte, war die Aussage von Paolo Julita, dem ehemaligen Gastgeber im zweifach besternten Da Gianni in Mannheim: inzwischen in Aalen gelandet, erzählte er mit bei einem meiner Besuche in seiner (durchaus empfehlenswerten) Trattoria, dass die Küche seines Heimatlandes insgesamt weniger verschnörkelt und stärker auf die Produkte fokussiert wäre als die Hochküche in anderen Nationen. Genau davon möchten wir uns persönlich überzeugen und können die folgenden Darbietungen des Meisters Ilario Mosconi kaum erwarten.

Das schmucke Bürgerhaus ist in lichten Farben elegant eingerichtet und verströmt umgehend eine Wohlfühl-Atmosphäre, die uns regelrecht beflügelt. Der trotz der relativ spürbaren Enge geschickt integrierte Aufzug verbindet zudem das Obergeschoss mit dem Lokal und das Untergeschoss mit der Toilette, die übrigens reichlich mit Marmor gestaltet ist. Diese aristokratische Location gehört sogar der Vereinigung „Les Grandes Tables du Monde“ an, die mit Sicherheit zu den renommiertesten Organisationen weltweit für Spitzengastronomie gezählt werden muss. Da der Gault&Millau zudem nach wie vor herausragende 18 Punkte vergibt, gehen wir von einem außergewöhnlichen Mittag aus. Bezüglich der Angebote nachmittags sind wir noch ahnungslos, da die Homepage nur spärlich Informationen preisgibt und nicht einmal eine Speisekarte beinhaltet. Vor Ort erfahren wir dann, dass neben zwei umfangreicheren Menüs (bis zu € 150) und einer reichhaltigen Auswahl à la carte auch ein attraktives Business Lunch mit vier Gängen zu € 59 angeboten wird – es sind genau diese Offerten, die man in Frankreich und Benelux so reichlich antrifft und in heimischen Landen nahezu vergeblich sucht. Sieht man einmal vom Esplanade in Saarbrücken, der Wolfshöhle in Freiburg und dem Facil in Berlin ab, hat die Bundesrepublik auf höchstem Niveau fast nichts Vergleichbares zu bieten.

Zum Kennenlernen halten wir das angesprochene Angebot für geradezu ideal, so dass eine Entscheidung schnell getroffen ist. Schon bald wird der kreisrunde, mit einem Leintuch bedeckte Tisch mit ersten Petitessen belegt: Gurke, Ceta-Kaviar und Crème fraîche eröffnen den Reigen (schlicht, aber gut), gefolgt von einem mit Parmesan und Gänseleber verfeinerten Polentachip (edel) sowie einem Blätterteigtörtchen mit Kürbiskernen und Anchovis, welches dank wohldosierter Salinität sehr bekömmlich gerät.

Harmlos mutet das klassische Focaccia im Verbund mit einem Grissino an, doch neben dem hochwertigen sizilianischen Olivenöl ist es vor allem der Lardo di Colonnato, der regelrecht auf der Zunge schmilzt und die Geschmackspapillen jubilieren lässt – Qualität auf Weltklasseniveau!

Mit einigen weiteren Apéros zieht das Niveau nochmals merklich an: das mit Sepia aromatisierte Kartoffelbällchen ruht auf gezupftem Kabeljau, was angesichts der fein austarierten Kombination prächtig gelingt. Noch mutiger gerät die Tomaten-Kaltschale, die nicht nur mit Einlagen von Wassermelone und Erdbeere höchst ungewöhnlich aufgewertet wird, sondern auch mit einem Gelée von Tomatenwasser Abwechslung bei den Texturen zu bieten hat – eine echte Eingebung, die vorhersehbar wirkt, dabei aber voller aromatischer Überraschungen steckt. Dampfgekochtes Brioche mit einer Fleischfüllung und etwas Parmesan obenauf ist ein leicht zugänglicher Abschluss einer Parade, die durchaus erste Ausrufezeichen setzen konnte – passend dazu ein Sanbitter Orange an diesem Spätsommertag.

Zugegebenermaßen hatten diese Einstiege bisher noch nicht die ganz große Euphorie in uns ausgelöst, doch das sollte sich mit dem Beginn des Menüs schlagartig ändern: bei Calamari steht die Produktqualität voll im Fokus. Nichts soll diese verfälschen oder kaschieren, denn dank einer sanften Garung und der spärlichen Zugabe von etwas Dill strahlt der Hauptdarsteller in vollem Glanze. Zucchini und Blumenkohl werden ganz subtil eingebettet und verleihen diesem Gang eine unaufgeregte, aristokratische Charakteristik, die durch feine Noten von Weißwein vollendet abgerundet wird. Das ist gelebte Italianità: federleicht, transparent und von nachhaltiger Wirkung am Gaumen. Mit diesem ausgezeichneten Einstieg von grandioser Frische und makelloser Reinheit hat uns die Küche endgültig auf ihre Seite gezogen. Die vermeintliche Schlichtheit wird das gesamte Menü weiterhin durchziehen – und die Kunst von Signore Mosconi noch bewundernswerter erscheinen lassen, da die minutiös umgesetzte Veredelung optisch kaum bemerkbar gerät und so die große Kunst dahinter geschickt verbirgt.

Auch beim nächsten Gang fällt es mir schwer, das Besondere daran in Worte zu packen: das absolut anspruchslos wirkende Pastagericht kombiniert Fettucine mit Tomaten, Parmesan, Basilikum und Tomatensugo. Viel mehr gäbe es dazu kaum zu erzählen, wenn es nicht so großartig schmecken würde: hausgemachte Produkte, größtmögliche Sorgfalt bei der Zubereitung und ein Handwerk, dessen Niveau man deutlich schmecken kann, genügen schon, um diesen profan wirkenden Gang erfolgreich der Routine zu entreißen. Es wirkt, als hätte man vergleichbare Gerichte schon hundert Mal gegessen (was vermutlich auch zutrifft), aber keines davon erreichte bislang dieselbe Klasse. Wirklich toll, wie geschickt die Kunst hinter den Gerichten verborgen bleibt und sich dabei selbst unerfahrenen Gourmets aufdrängt – es bedarf keiner großen Kompetenz oder Erfahrung, um den Ausnahmerang dieses Gerichts zu erkennen. Wir sind jedenfalls sehr beeindruckt ob der Raffinesse bei selbst gewöhnlichsten Gerichten.

Mit nur kurz gebratenem Hähnchen aus dem Elsass (leider habe ich mir den Namen des Produzenten nicht gemerkt) und dem Verzicht auf die berühmten Bresse-Hühner von Jean-Claude Miéral setzt die Küche auf weniger namhafte Produzenten und zaubert doch ein weiteres beeindruckendes Statement auf den Teller: das unfassbar saftige und aromatische Fleisch wirkt durch die süßliche Jus fast wie karamellisiert, doch im Verbund mit den Piemonteser Haselnüssen wird daraus eine schlüssige Kombination, die einen spannungsgeladenen Kontrast mit der Würze von marinierten Frühlingszwiebeln eingeht. Mit so wenig Zutaten kommt dieser Teller aus – und erzielt damit doch ein fulminantes Ergebnis! Das verwendete Geflügel verdient allemal das Prädikat „denkwürdig“, die puristische Inszenierung verfälscht absolut nichts und die geschmackliche Kraft hinter dieser bescheiden anmutenden Inszenierung ist nicht zu unterschätzen. Großartig, einfach großartig!

Etwas ungewöhnlich werden hier die süßen Einschübe bereits vor dem Dessert gereicht, doch stört uns dies nicht weiter, wenn sie so ausgezeichnet wie in diesem Fall gelingen: ein Röllchen mit Füllung von Ricotta und Pistazie, ein Törtchen mit Zitronencrème und Basilikum, ein Profiterol mit Vanillefüllung sowie Noten von Pfirsich und Rum, zwei Apfelschnitze und schließlich eine geeiste Tiramisu-Kugel, die separat auf einem Tablett gereicht wird (ohne Foto). Selbst bei diesen Kleinigkeiten bleibt sich das Haus seiner Stilistik treu: keinerlei Schauwerte, konzentrierter Geschmack und zutiefst beglückende Aromen, die ihren Reiz nicht aus Effekthascherei, sondern aus kaum für möglich gehaltener Tiefe beziehen. Opulenz mit leisen Tönen – vorzüglich!

Da konnten wir noch nicht ahnen, dass auch das Dessert in Form eines dekonstruierten Tiramisu nochmals ein echtes Ausrufezeichen setzen würde: das stilecht mit Kaffee getränkte Biscuit meidet schon mal übertrieben präsente Bitterkeit und wird durch einen Schokocrunch von wohldosierter Süße wunderbar in der Schwebe gehalten. Weitere wichtige Details wie die beispiellose Qualität der exzellenten Sahne, die unwahrscheinlich fluffige Crème mit Mascarpone und der genau dosierte Einsatz des Kakaopulvers machen aus diesem italienischen Dessertklassiker einen Beitrag, den ich so schnell nicht vergessen werde – und das, obwohl Kaffee ziemlich weit unten auf der Liste meiner Gunst steht. Diese Neuinterpretation ist jedenfalls souverän geglückt! Bravo!

Gegen Ende dieses italienisch geprägten Menüs hatte sich der Dauerregen endlich verzogen und stattdessen strahlendem Sonnenschein Platz gemacht. Wir waren von dieser unerwarteten Wendung genauso fasziniert wie von der relativen Schlichtheit der Küche, deren Stärken in den verwendeten Produkten und der minutiösen Verfeinerung liegen. Optisch hielten sich die Kreationen durchweg zurück, doch fielen sie geschmacklich dafür umso mehr auf: scheinbar harmlos, doch mit einer unerhörten aromatischen Kraft ausgestattet, die zugleich hochelegant geriet und doch ohne knallige Effekte auskam. Gerade die höchst subtile und doch mit scheinbar geringsten Mitteln auskommende Verfeinerung des Geflügels oder der Calamari hinterließen in uns einen bleibenden Eindruck und zauberten einen enormen Nachhall an den Gaumen. Die obige Ankündigung von Signore Julita traf voll und ganz zu, denn nur selten habe ich bisher eine Küche erleben dürfen, die in einer höchst feinsinnigen Balance aus ohnehin schon hervorragenden Produkten Genüsse zaubert, die in seltener Klarheit Aromen entstehen lässt, die man bei aufmerksamem Verzehr durchaus selbst enträtseln kann und bei denen man doch ob ihrer Wirkung verblüfft ist. Schade, dass Signore Mosconi anscheinend nur Italienisch spricht und meine mehr als rudimentären Italienisch-Kenntnisse höchstens ausreichen würden, um ihn zu verstehen, aber nicht um mit ihm zu kommunizieren.

Einen nicht geringen Anteil am Gelingen dieses Nachmittags hatte auch der polyglotte Service, der flugs zwischen mehreren Sprachen wechseln konnte und dabei den Ablauf des Mahls doch jederzeit im Griff hatte. Nachfragen unsererseits wurden kompetent beantwortet, Gerichte mit dem genau richtigen Maß an Hilfestellung erläutert und passende Getränke ohne Umschweife empfohlen. Dass die Ehefrau des Chefs ein Teil der Servicebrigade ist, kommt in anderen Ländern wesentlich häufiger vor als in Deutschland – ein Umstand, welcher der Authentizität dieses Mahls nur förderlich war und von etlichen Gästen wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde. Dank eines sehr fairen Preis-Leistungs-Verhältnisses und moderater Nebenkosten kann man sich – genügend Zeit vorausgesetzt – kaum eine schönere Möglichkeit vorstellen, um einen zwanglosen Nachmittag bei gehobener Esskultur zu verbringen.

Machen wir es kurz: unserem Empfinden nach hätte dieses Darbietung auch weiterhin zwei Sterne verdient, selbst wenn ein Abendmenü mit mehr Gängen eine noch größere Aussagekraft zugelassen hätte. Im Falle eines weiteren Besuchs hier wird es mit Sicherheit ein größeres Menü werden, um die volle Bandbreite des Repertoires kennenzulernen und die Kunst des Ilario Mosconi erst richtig würdigen zu können. Bis dahin kann ich mich getrost mit der Gewissheit zufriedengeben, bislang noch nie besser italienisch gegessen zu haben!

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Mosconi
13 Rue Münster
2160 Luxemburg (Luxemburg)
Tel.: 00352-546994
www.mosconi.lu

Guide Michelin 2022 (Luxemburg): *
Gault&Millau 2022 (Luxemburg): 18 Punkte

4-gängiges Business Lunch: € 59