„Wer die Zukunft vorbereitet, muss über die Gegenwart hinwegblicken können.“
(Theodor Herzl)
UPDATE (Mai 2021)
Nach über einem halben Jahr volle kulinarischer Entbehrungen war die Vorfreude natürlich entsprechend groß auf das erste Erlebnis nach so langer Zeit. Aufgrund der aktuellen Inzidenzen und gesetzlichen Vorgaben kann allerdings von einer freien Wahl des Restaurants derzeit noch keine Rede sein – man muss nehmen, was derzeit angeboten wird.
So fiel unsere Wahl auf den Schlossberg in Baiersbronn, den ich ja erst im Oktober 2020 besucht hatte. Allerdings ist zwischenzeitlich der Neubau komplett abgeschlossen, so dass die Einleitung der Zukunft um ein gutes Stück fortgeschritten ist. Von dem Altbau, der dem ungleich moderneren Neubau weichen musste, ist praktisch nichts mehr geblieben. Allerlei Annehmlichkeiten (Infinity-Pool, Spa-Bereich etc.) und großer Luxus prägen nun das Erscheinungsbild, denn in Baiersbronn ist die Konkurrenz bekanntlich besonders groß, wenn es um die Gunst von weitgereisten Gourmets geht. Kulinarisch hatte ja der letzte Besuch bereits einen wesentlich stärkeren Eindruck als die völlig missratene Stippvisite vor zwei Jahren hinterlassen. Insofern waren wir gespannt, ob der überzeugende Eindruck vom letzten Herbst bestätigt werden würde. Es spricht zumindest für die Kontinuität in diesem Haus, dass Maître Uwe Joel und Sommelier Manuel Vogel dem Haus trotz sechsmonatiger Zwangspause weiterhin die Treue hielten – so schlecht können die Rahmenbedingungen also nicht sein!
Das von Grund auf erneuerte Restaurant (ausführliche Beschreibung in der untenstehenden Rezension vom Oktober 2020) vermittelt einen erheblich moderneren Eindruck als sein Vorgänger und passt somit auch deutlich besser zu der recht modernen Stilistik, die Vater und Sohn Sackmann hier zelebrieren. Im Vergleich zu Schwarzwaldstube und Bareiss huldigt man hier weniger der Klassik, sondern legt eine Experimentierfreude an den Tag, die für den eher konservativen Schwarzwald ungewöhnlich ist. Solange das Ergebnis stimmt, ist dagegen ja auch nichts einzuwenden.
Der Abend beginnt nach einem alkoholfreien Fruchtcocktail mit zwei Amuses, die wir als sehr gelungen empfinden. Da wäre zum einen lauwarme, mit frittierten Kartoffelfäden umwickelte (und keineswegs übermäßig salzige) Anchovis im Verbund mit Spargel, der sowohl in Form einer gehaltvollen Sauce als auch in „reiner“ kalter Form auf den Teller gelangt. Etwas Rote Bete und Dill machen aus diesem Einfall einen launigen und überraschend facettenreichen Einstieg voll gut austarierter Aromen. Sehr gelungen!
Das zweite Amuse wird als „schwäbische Auster“ annonciert und meint in Wirklichkeit einen Produktklassiker, der in den 1970er-Jahren besonders en vogue war: Weinbergschnecke. Diese dient als Farce, die mit Chicorée umwickelt ist, als Basis für den Schaum und kommt außerdem in soufflierter Form auf den Teller – das bringt eine würzig-intensive Note ins Spiel, die fast schon an Lardo erinnert. Aber auch so punktet diese Eingebung mit einer Vielfalt an Aromen, die absolut stimmig zusammengeführt werden. Das darf gerne so weitergehen!
Ich entscheide mich danach für das komplette achtgängige Menü Schlossberg, das erfreulicherweise auch im Preis stabil geblieben ist, und harre der Dinge, die auf mich zukommen werden. Meine Begleitung entscheidet sich für sechs Gänge, doch angesichts der Extras kann man auch damit allemal Vorlieb nehmen. An der abwechslungsreichen Brotauswahl hat sich seit dem letzten Mal erwartungsgemäß nichts geändert – wozu auch? Siehe den letzten Bericht für weitere Details.
Sashimi von Faröer-Lachs mit Pink Grapefruit und wildem Reis ist der erste offizielle Gang nach mehr als sechseinhalb Monaten in einem Sternerestaurant. Der Eiweißgehalt dieses Prachtexemplars muss enorm sein, denn der buttrig-zarte Fisch ist von höchster Qualität und punktet mit einer selten erlebten aromatischen Dichte. Der knusprig geröstete Reis und etwas grüner Spargel verleihen dem Gang nicht nur wohltuenden Biss, sondern auch eine überraschende aromatische Note – so scheinbar disparitätische Aromen gänzlich unverkopft auf engen Raum zu drängen hat Stil und erfordert große handwerkliche Akkuratesse. Wunderbar! Passend dazu: der alkoholfreie Wein „Natureo con gas“ von Miguel Torres.
Besonders gespannt bin ich auf den nächsten Gang, denn Rotbarsch mit Lardo di Colonnata, Buttermilch-Emulsion, Pedro Ximènez (Sherry) und Kopfsalatherzen klingt tendenziell überfrachtet, doch sind diese Sorgen nach dem Auftragen schnell ausgeräumt. Das unter einer Cloche servierte Gericht wartet mit deutlichen Raucharomen auf, die dem komplexen Gang allerdings noch mehr Abwechslung verleihen. Der lauwarme Fisch überzeugt mit leichtem Biss, doch das Défilée der Begleiter ist das eigentlich Erstaunliche an diesem Teller: die mit dem Sherry verfeinerte Emulsion ist leicht sämig und harmoniert perfekt mit dem eher rustikalen Aroma, das von gepickelten Radieschen (die fast nach Roscoff-Zwiebel schmecken!) und dem Speck ausgeht. Auch das ist ein richtig starker Gang! Als nette Variante gibt es dazu diesmal den „Natureo sin gas“ von Manuel Torres.
Mit dem nächsten Gang sollte die Küchencrew sogar noch einen draufsetzen und das Highlight des Abends kreieren: Meerwolf, Gillardeau-Auster und Holunderblütenperlen. Der vorzügliche, leicht warme Hauptdarsteller labt sich an einer auffallend würzigen Buttermilchlassi und erscheint im Einklang mit ganz unterschiedlichen Aromen im besten Licht. Würze von Passepierre-Algen, belebende Säure durch die fruchtigen Perlen und jodig-salzige Anklänge durch die Auster vereinen sich hier zu einem durchaus herausfordernden, aber souverän umgesetzten Geschmacksbild – ein echter Höhepunkt von denkwürdigem Charakter!
Vergleichsweise gewöhnungsbedürftig gerät der Ausflug in asiatische Aromenwelten. Langustine mit Eisenkraut, Sellerie, Bottarga und Meyer-Zitrone benötigt ein wenig Zeit, um seinen eigentümlichen Reiz zu entfalten. Der heiß aufgegossene, mit der Zitrone aromatisierte Sud verbindet das Gericht auf stimmige Weise: die glasigen, leicht knackigen Langustinen erhalten durch die Begleiter interessante Facetten. Sehr präsente Würze steuert der Bottarga bei, während das Eisenkraut vegetabile Noten bedient. Letztlich überzeugt uns auch dieser Gang. Die Begleitung mit Inspiration 4.5 von Jörg Geiger (Traube und Lapsang Souchong Tee) fügt sich nahtlos ein.
Als argen stilistischen Bruch empfinden wir dagegen das Hauptgericht Nantaiser Ente mit Mairübe, Rhabarber und Kartoffelnudeln. Handwerklich gibt es an diesem Gang nichts auszusetzen, zumal die wunderbar tiefe Sauce und der Einfall mit den kleinen Sanddornperlen ausgezeichnet gelingen. Ansonsten hält hier aber ein Purismus Einzug, der alle anderen Komponenten auf eher schlichte Art inszeniert und ein leicht fassbares Gericht entstehen lässt. Im Hinblick auf die sehr komplexen Vorgänger wirkt dieser Gang eher wie eine Pflichtübung, bei dem die Ideen etwas ausgegangen zu sein scheinen. Das ist fraglos immer noch besser als alles, was ich jemals selbst auf den Teller bringen könnte, doch wirkt es an dieser Stelle wie ein Fremdkörper in der Menüfolge. Der extrem trockene alkoholfreie Syrah dazu harmoniert prächtig, doch meinen etwas ratlosen Eindruck nach diesem Gang vermag auch er nicht zu entkräften.
Die Käseauswahl von Affineur Waltmann (Erlangen) besteht aus einem Angebot von etwa fünfzehn verschiedenen Sorten, die der Gast nach persönlichem Gusto zusammenstellen darf. Dazu gibt es ein Feigenchutney und etwas Brot – alles in allem oberer Durchschnitt und mir kein Foto wert. Sehr lohnend dagegen übrigens mein Premierenbesuch in der Erlanger Altstadt vor einigen Wochen: hinter der Fassade des nach außen völlig unscheinbaren und recht kleinen Ladens verbirgt sich ein Mekka für Käseliebhaber, das jeder, der an diesem Thema Interesse zeigt, mindestens einmal im Leben besuchen sollte! Faire Preise, superbe Beratung und eine grandiose Auswahl machen den Besuch zu einem echten Erlebnis.
Zurück in der Gegenwart kommt nun die echte Bewährungsprobe, denn traditionell stehe ich mit den Desserts in diesem Haus seit jeher etwas auf Kriegsfuss. Jordanolive, Ananaskissen, Macadamiaeisparfait und Virunga-Schokolade kommt als farbenfrohe Inszenierung auf den Teller, die mit textureller Vielfalt (Sponge, Crumble, Eis etc.) und Abwechslungsreichtum punktet. Was dem Teller vielleicht an einer zündenden Idee fehlt, macht er durch weit überdurchschnittliches Handwerk wieder wett. Alles in allem ein launiges Dessert mit komplexen Aromen, aber ohne Langzeitwirkung im Gedächtnis. Passend dazu als süßlicher Begleiter „Heldes Beerenwunder“ vom Kaiserstuhl.
Das zweite Dessert dagegen gerät arg experimentell und vermag mich nicht sonderlich zu überzeugen. „Murgsteine“ mit geeister Birne, Verveinetee, Aschestaub und Wiesenkräuter ist für meine Begriffe wieder mal ein Beleg für den Triumph einer Idee über den Geschmack. Die mit der Birne gefüllten Steine sollen zusammen mit dem recht bitteren Staub (der mit dem Verveinetee aromatisiert ist) verzehrt werden, doch der gewünschte Effekt tritt wegen zu großer Diskrepanzen bei den Aromen nicht ein. Die Wiesenkräuter wirken auch eher entbehrlich und lassen mich rätseln, welche Idee dieser Komposition zugrunde lag. Ein seltsamer und etwas verstörender Ausklang.
Konventioneller, aber handwerklich souverän umgesetzt geraten die Ausklänge: neben einem mit Sekt aufgegossenen Zitronensorbet mit Zitronenschaum und Limette sind dies zwei Pralinen (Marone und Kirsche) sowie ein Johannisbeer-Macaron. Ein würdiger Schlussakkord!
Bis vor dem Hauptgericht fiel unser Fazit eindeutig aus: wir wurden Zeuge einer höchst kreativen Darbietung mit launigen Einfällen und sicherer Umsetzung. Die Vielfalt bei den verwendeten Produkten und deren gleichermaßen stilsichere Inszenierung machte gehörigen Eindruck auf uns. Mit dem Hauptgericht schien jedoch ein wenig die Luft raus zu sein – und der Abend zog sich ein wenig spannungslos seinem Ende entgegen, der in den Tiefpunkt des zweiten Desserts mündete.
Angesichts der widrigen Begleitumstände und der Tatsache, dass nach so langer Schließung nicht alles wieder auf Anhieb gelingen kann, habe ich mich erneut für 18 Punkte entschieden, wenngleich das Urteil diesmal nicht ganz so eindeutig wie beim letzten Mal ausfiel. Was die Küche hier in ihren stärksten Momenten zelebriert, hat für mich fraglos weiterhin Zwei-Sterne-Niveau – man spürt, dass der vor zwei Jahren verlorene zweite Macaron wieder her soll. Mit dem Neubau und der insgesamt schlankeren Küchenästhetik hat man für meine Begriffe die Weichen schon einmal in die richtige Richtung gestellt. Die Zukunft hat somit auch hier begonnen und wird in kulinarischer Hinsicht sicherlich schon bald in noch stärkerem Maße die Handschrift von Nico Sackmann tragen. Bis auf ein, zwei Ausrutscher kann man hier ansonsten von einem gelungenen Abend jederzeit ausgehen. Dass bereits an diesem ersten Tag der Wiedereröffnung das Lokal schon ganz ordentlich gefüllt ist, zeigt ja auch, dass Chef Jörg Sackmann eine Fangemeinde um sich geschart hat, die treu zu ihm hält. Konservativere Gäste finden im Stammhaus nach wie vor typische Schwarzwald-Ästhetik, während progressiver eingestellte Gäste nun mit dem Neubau auch ein ansprechendes Anwesen finden.
Die Serviceleistung an diesem Abend schätze ich als durchschnittlich ein – dass die Routinen nach so einer langen Zeit nicht sofort wieder reibungslos funktionieren, ist verzeihlich. Nennenswerte Patzer gab es in der Tat keine, aber von einer denkwürdigen Leistung war es auch ein gutes Stück entfernt. Auf jeden Fall waren wir nach dieser entbehrungsreichen Zeit ohnehin schon dankbar für eine solche Darbietung und sahen über kleinere Mängel gerne hinweg, zumal auch das Preis-Leistungs-Verhältnis absolut gastfreundlich geblieben ist. Der Ausflug ins malerische Murgtal lohnt sich auf jeden Fall wieder!
Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten
Schlossberg
Murgtalstraße 602
72270 Baiersbronn
Tel.: 07747/289250
www.hotel-sackmann.de
Guide Michelin 2021: *
Gault&Millau 2021: 17 Punkte
GUSTO 2021: 8,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2021: 4,5 F
8-gängiges Menü „Schlossberg“: € 172
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„Nicht in der Erkenntnis liegt das Glück, sondern im Erwerben der Erkenntnis.“ (Edgar Allan Poe)
UPDATE (November 2020)
Ich gebe es unumwunden zu: ursprünglich hatte ich gar nicht vor, dieses Lokal nach der fast schon als indiskutabel zu bezeichnenden Darbietung im Frühjahr 2019 bereits nach anderthalb Jahren wieder zu besuchen. Der Hauptgrund dafür, mich nun doch anders entschieden zu haben, bestand weniger darin, dass ein privater Anlass mich ohnehin in den Schwarzwald verschlagen hatte, sondern eher darin, dass inzwischen massive Umbaumaßnahmen im Hotel Sackmann vorgenommen worden waren und das Gourmetrestaurant mit einem komplett neuen Look ausgestattet worden war. Da unsereins nur selten lange nachtragend ist, gab ich mir also einen Ruck und beschloss, dem Lokal früher als gedacht eine neue Chance zuzugestehen. Ehrlich gesagt war ich mir auch ziemlich sicher, dass die Enttäuschung von damals ein Ausrutscher war und sich nicht wiederholen würde – vielmehr wollte ich wissen, wie gelungen die Rehabilitation ausfallen würde.
Bei all dem Presserummel rund um die im Januar 2020 abgebrannte Schwarzwaldstube konnte man dabei fast vergessen, dass das malerische Baiersbronn noch mehr als nur dieses Weltklasserestaurant zu bieten hat. Der zweite Dreisterner, das Bareiss, zog offenbar ungerührt sein Ding trotz Corona-Krise weiter durch, während im Hotel Sackmann in Baiersbronn-Schwarzenberg massive Umbauten weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit eingeläutet wurden. Tatsächlich hatte die Anlage inzwischen reichlich Patina angesetzt – die einst so romantisch anmutende Schwarzwaldidylle wirkte inzwischen doch reichlich aus der Zeit gefallen.
Offenbar war man hier inzwischen auch zu dieser späten Einsicht gelangt: die Sackmanns nahmen richtig Geld in die Hand und machten nun Nagel mit Köpfen. In einer ersten Bauphase wurde der Innenbereich des Stammhauses komplett erneuert und mit einem neuen Design ausgestattet. Auch das ehemalige Gourmetrestaurant mit dem plüschigen Interieur wurde komplett abgetragen und neu entworfen. Der neue, crèmefarbige und eher längliche Raum fasziniert mit einer gewagten Lampenkonstruktion und individuellem Design, aber das Faible für weiche Bänke und Stühle ist offenbar geblieben. Mit neuer Leichtigkeit bewegt man sich hier wieder am Puls der Zeit, wenngleich die Corona-Krise natürlich nicht spurlos vorbeigegangen ist. Der Erweiterungsbau ist gerade mitten in der wenig ansehnlichen Umbauphase (weshalb ich auch weiterhin das alte Foto verwende), doch den Betrieb im Stammhaus scheint dies nicht sonderlich zu beeinträchtigen. So versammeln sich an diesem regnerischen Sonntagabend immerhin trotz allem ein gutes Dutzend Gäste – kein schlechtes Zeichen in diesen krisenhaften Zeiten.
Maître Uwe Joel und Sommelier Manuel Vogel hielten dem Haus erwartungsgemäß die Treue und wurden an diesem Abend von zwei weiteren Servicekräften flankiert. Allzu viel hatte sich also auch hier nicht verändert, doch schien es mir als wäre die Aufgabenteilung zwischen Gourmetrestaurant und Zweitrestaurant inzwischen viel deutlicher definiert als beim letzten Besuch, was mithin ein Grund für das Scheitern jenes Abends war.
Auch in Corona-Zeiten bietet man hier weiterhin ein achtgängiges Menü „Schlossberg“ (€ 172) und ein siebengängiges vegetarisches Menü an, die beide auf jeweils fünf Gänge reduziert werden können. Ganz Hungrige können auch als ein Art Querschnitt theoretisch ein zehngängiges Menü ordern (so wie ich es letztes Mal tat und bereuen sollte). Ich entscheide mich diesmal für sechs Gänge der ersten Variante und lasse den Käsegang sowie das zweite Dessert weg – zum einen, weil die Rückfahrt lange Zeit in Anspruch nehmen sollte und die Darbietung vom letzten Mal ewig dauerte. Zum zweiten war ich vorsichtig geworden und hielt sechs Gänge für eine angemessene Zahl an Gängen für eine Chance auf Rehabilitation.
Zu einem hausgemachten Fruchtcocktail serviert man das erste Amuse: sautierte Jakobsmuschel liiert die Küche in einer Art Ceviche mit Radieschen und Pomelo. Würze erfährt dieser kalte Einstieg vor allem durch ein leicht dickflüssiges Zitronengel sowie durch den gar nicht so zurückhaltenden Einsatz von Ingwer. Der echte Clou in dieser famos zwischen säuerlich und frisch ausbalancierten Komposition sind jedoch die grünen Salicorn-Algen, die als dünne Streifen scheinbar nur auf den Salzkörnern das Gericht verzieren, aber in Wirklichkeit durchaus zum Verzehr gedacht sind und dieses Entrée in der Tat auf erstaunliche Weise mit leicht salzigen Noten gekonnt würzen. Das hat Stil und große Klasse.
Dasselbe lässt sich auch von Sashimi vom Thunfisch-Bauch behaupten, der scheinbar befremdlich mit Ingwer leicht kandiert wurde – das Kalkül geht jedoch wunderbar auf, denn Silberohrpilze und krosser Basmati-Reis erweisen sich nicht nur als qualitativ hochwertige Begleiter, sondern auch als schön kontrastierendes und sorgsam ausbalanciertes Element zu der leichten Süße. Ich bin beeindruckt, zumal etwas ganz anderes noch erwähnenswert ist: während hier früher ganze Paraden an Appetizern aufgefahren wurden, wirkte die Darbietung heuer ungleich fokussierter und pointierter. Anstatt wie in der Vergangenheit mit bisweilen nur mäßig durchdachten Beiträgen eine gepflegte Langeweile zu kultivieren, hielt diesmal das Motto „Weniger ist mehr!“ auf absolut gewinnbringende Weise Einzug. Es dauerte einige Zeit, bis sich diese Erkenntnis hier durchsetzte, doch nun scheint dieser überfällige Schritt endlich vollzogen. Bravo!
Die Brotauswahl macht optisch nicht viel her, bietet aber nicht weniger als sechs Sorten zur freien Auswahl an, die der Service dem geneigten Gast als Demonstrationsobjekt auf einem Brett präsentiert. Angesichts der Qualität dieser Sorten sieht man über die sehr konventionelle Begleitung in Form von gesalzener und neutraler Butter als Begleiter gerne hinweg.
Nach diesem ausdrucksstarken und gegenüber früheren Zeiten deutlich reduzierten Einstieg darf nun das große Menü Einzug halten: mit Ochsenherztomate, Mozzarellapraline, Gurkenrelish und Safrangelée steht am Beginn ungewöhnlicherweise ein vegetarischer Gang, der allerdings voll einschlägt. Auf einem „Bett“ von filetierten Tomaten drapiert die Küche ein äußerst durchdachtes und farbenfrohes Ensemble. Das Atemberaubende an dieser Eingebung ist nicht nur die Fülle an äußerst passenden Texturen, sondern auch der Verzicht auf jedwede Verfremdung. Im Gegenteil: ein paar zusätzliche Tapiokachips reichen neben den obengenannten Zutaten schon aus, um die voll im Mittelpunkt des Geschehens befindliche Tomate mit fruchtig-frischen Akzenten zu versehen und gleichzeitig für eine grandiose Optik zu sorgen. Dies ist zweifellos das fabelhafteste Gericht, das ich bislang hier verkosten durfte, da das Maß an geistiger Durchdringung phänomenal ist und man es dem Ergebnis doch kaum anmerkt. Ach ja: ein ausgesprochen gutes Händchen beweist auch Sommelier Manuel Vogel, indem er diesen Gang gekonnt mit einem trockenen und sowas von passenden alkoholfreien „Natureo“-Weisswein von Miguel Torres begleiten lässt. Chapeau!
Mit dem Gang soeben bewies die Küche, dass sie in der kulinarischen Gegenwart angekommen ist. Einen großen Schritt weiter geht sie dabei noch mit dem nächsten Gang, bestehend aus Rotschwanzgarnele und Fingerlime. Das Design dieses Carpaccios mag noch eingermaßen zeitlos anmuten, aber die Kombination aus Himbeeren, Salicorn-Algen und Mandel-Yuzu-Creme ist schwerlich als klassisch fundiert zu bezeichnen. Ich zolle der Küche durchaus Respekt für ihren Mut, derart für sie untypische Produkte mit Luxusviktualien zu paaren, doch das Ergebnis überzeugt micht nur bedingt. Dieser erfrischende Gang punktet mit markiger Würze, aber der Säureanteil scheint mir diesmal wenig schlüssig eingebettet zu sein. Drücken wir es mal so aus: keine direkte Enttäuschung, aber die Erkenntnis, dass die Moderne diesem nach wie vor doch eher traditionellen Haus nicht sonderlich gut zu Gesicht steht, behält die Oberhand.
Das war’s dann aber (glücklicherweise) auch schon an avantgardistischen Exkursen – mit Kabeljau und Totanis (kleine Tintenfische) betritt die Küche wieder ein sicheres und gewohntes Terrain, mit dem sie bestens vertraut ist. Auf einem aromensatten Fundament von Basilikumgel und Sauce aus Fourme d’Ambert kreiert die Küche ain ausgelassenes Spiel von Tomaten, Kartoffel-Aioli und natürlich den beiden Hauptdarstellern. Trotz der Produktfülle wirkt dieser Gang nicht annähernd überladen, sondern punktet mit herbstlich anmutenden, salzig-erdigen Aromen, die durch die leicht rauchige Note des von Manuel Vogel empfohlenen, kongenialen Getränks Inspiration 4.5 von Jörg Geiger (Traube und Lapsang Souchong Tee) sogar noch weiter ausgebaut werden. Das goutiere ich mit vollster Anerkennung und großem Respekt.
Das spielerische Element fand seit jeher im Murgtal einen idealen Nährboden. Da verwundert es nicht, dass nach den vielen eher relativ zurückhaltend inszenierten Gängen mal wieder ein optischer Knaller herhalten musste: Nudeln von Rochenflügel erwies sich zu meiner Überraschung jedoch als komplexer und alles andere als vorhersehbarer Gang mit überraschenden Pointen. Mango und Aprikose verleihen dem Gericht säuerliche Frische, Chili sorgt dagegen für angenehme Schärfe. Das durchaus asiatisch inspirierte Gericht mit Glasnudeln gewinnt durch Teriyaki-Marinade weiter an Profil, während Mashua (Kapuzinerkresse) und Hummus eher artfremde, aber keinswegs unpassende Begleiter darstellen. Das diffizile Aromengeflecht dieses virtuos in Szene gesetzten Gangs ist nicht leicht zu dechiffrieren, doch in den stärksten Momenten dieser Küche war dies schon immer ein Merkmal, das sie auszeichnete und Teil ihrer Aura war. Kein Gericht für Anfänger, aber eines mit starker aromatischer Aussage.
Beim Hauptgang hält sich der Wagemut in Grenzen, doch soll dies eher als Kompliment aufgefasst werden. Zu einem staubtrockenen, alkoholfreien Rotwein der Rebsorte Syrah vom Weingut Manuel Torres tischt man Rehmedaillons mit Gänseleber auf. Auf einer höchst erdigen Kampot-Pfefferjus ruhend, erweist sich das eher kruz gebratene Reh als saftig und recht herb, während gebratene Foie gras ungleich eleganter und süsslicher gerät – ein ungewöhnliches, aber gut harmonierendes Paar. Auch bei den Begleitern fährt man dieselbe Strategie wie bei den Hauptprodukten: bodenständig Reh) und aristokratisch (Leber) findet seine weitere Entsprechung bei Brezel-Kraut-Soufflé und confierten Feigen. Diese Zusammenführung von eher profanen mit edlen Produkten verfehlt ihre Wirkung nicht, obwohl eine Überladung nur knapp vermieden wurde – zusammen mit dem alkoholfreien Wein auf jeden Fall ein gelungener Beitrag.
Die Achillesferse in diesem Haus ist für meine Begriffe seit eh und je das Dessert, das mich hier noch nie sonderlich überzeugen konnte. Auch hier huldigt man mal wieder der Moderne, doch auch diesmal ging das Kalkül nicht wirklich auf: Shiso-Sorbert mit Verbene versucht eindeutig, erst gar nicht zuckerlastige Eindrücke aufkommen zu lassen, doch dem Zusammenspiel von Limette (als Sorbet), Yuzu-Gel, Minzschnee und Matchatee (als Sponge) fehlt es an einer eindeutigen aromatischen Aussage. Unterm Strich eine bestenfalls solide Darbietung, die aber längst nicht so stringent wie manches andere umgesetzt wirkte und zu krampfhaft versuchte, alles Süße zu verbannen. Da es dieser Kreation zudem an Biss fehlte, hielt schnell eine gewisse Langeweile Einzug, die auch die Vielzahl an Texturen nicht entscheidend bekämpfen konnte. Hier sehe ich insgesamt nach wie vor das größte Verbesserungspotential.
Die Petits fours haben hingegen durch die spürbare Reduktion gegenüber früher deutlich an Profil und Qualität gewonnen – ein erster Fingerzeig, wie es auch bei den Desserts funktionieren kann. Jedenfalls überzeugen die fünf kleinen Dulceys genauso wie das Mangosorbet im Glas, das mit Sekt aufgefüllt und von Weinschaum mit Aromen von Passionsfrucht getoppt ist. Wie wohltuend ist es außerdem, festzustellen, dass diese Menüfolge zügig binnen drei Stunden abgewickelt wurde und von der quälend langen Belastung vom letzten Ma(h)l weit weg war!
Respekt für diese Leistung! Was mir diesmal vorgesetzt wurde, übertraf meine kühnsten Erwartungen! Natürlich war ich mir darüber im Klaren, dass die maue Performance vom letzten Mal die Küche alles andere als ins beste Licht rückte: zu viele Gerichte wirkten verkopft, überdreht, handwerklich nachlässig umgesetzt und teils wenig durchdacht. Als am schwerwiegendsten empfand ich allerdings das Fehlen einer klaren Stilistik sowie das zusammenhangslose Changieren zwischen Klassik und Moderne – ganz so, als ob ein regelrechter Kampf zwischen Vater und Sohn Sackmann um die künftige Ausrichtung des Lokals entbrannt worden war. Diesmal dagegen geriet die Balance wohltuend und richtig dosiert, ohne dass dabei die ästhetischen Grundprinzipien dieser Küche dabei aufs Spiel gesetzt worden wären: die gewohnt farbenfrohe Optik, die hier stets auf beste Produkte und kreatives Handwerk trifft sowie aromensatte Gerichte mit vielen Komponenten, die allerdings mehr auf geschmackliche Tiefe als auf extremen Wagemut setzen. Beispielhaft wurde dies am ersten Gang deutlich, denn auch beim allerersten Besuch vor zwei Jahren konnte ich mich an kein derart konzentriertes und kompaktes Gericht erinnern, das zugleich viele reizende Komponenten miteinander vereinte ohne dabei ein gewisses Fragezeichen zu hinterlassen. Diesmal wirkten die Zusammenstellungen so natürlich wie lange nicht, zumal die Zahl der Extras auf absolut wohltuende und vor allem gewinnbringende Weise reduziert worden war. Wo früher eine gewisse Fülle an Beigaben von substantiellen Schwächen ablenkte, so schien man diesmal wie selbstverständlich auf kleinere, aber enorm aussagekräftige Amuses und Petits fours zu setzen anstatt den Gast mit zu viel aufgesetzter Show zu langweilen. Dieser mutige Schritt zur Selbstbeschränkung ist sicherlich nicht nur Corona geschuldet, sondern auch das Ergebnis einer umfassenden Reflexion, die nach der Aberkennung des zweiten Michelin-Sterns im letzten Jahr auch dringend geboten war. Das Ergebnis kann sich jedoch absolut sehen lassen, denn all die Tugenden, die die Küche von Jörg Sackmann einst auszeichneten, waren wieder vorhanden, selbst wenn Filius Nico einige Gerichte bereits beigesteuert haben dürfte. Für ein endgütliges Urteil, ob es wieder für den zweiten Stern, ist es möglicherweise noch zu früh, aber die Tendenz geht eindeutig in die korrekte Richtung.
Maître Uwe Joel hatte die teils aufgesetzt wirkende Fröhlichkeit vom letzten Besuch diesmal nicht nötig und wirkte heuer um einiges authentischer als zuletzt. Schon immer etwas seriöser erschien dagegen Sommelier Manuel Vogel, der diesmal allerdings wesentlich gelöster agierte und mich mit seinen alkoholfreien Empfehlungen mehr als nur einmal auf das Angenehmste überraschen konnte – ein wirklich überzeugender Auftritt. Chefkoch Jörg Sackmann zeigt sich dagegen nur für ein paar Sekunden an jedem Tisch und wünscht jedem einen schönen Abend – mehr gibt es aber offenbar nicht zu sagen. Der etwas spröde Charakter des Chefs ist wohl kaum nach jedermanns Geschmack, aber die geleistete Arbeit in der Küche ist schließlich auch wichtiger als der Auftritt im Gastraum, zumal sich viele andere Köche ja dort überhaupt nicht blicken lassen. Ich verbuche das als nicht weiter störend, sondern nehme es allenfalls zur Kenntnis: viel zu gelungen war dieser Abend als dass mich das kümmern müsste! Berücksichtigt man dann noch die weiterhin günstigen Nebenkosten (eine Flasche Wasser schlägt beispielsweise mit gerade mal € 6 zu Buche), dann darf man diesmal von einem überaus gelungenen Abend sprechen, den ich mit einer entsprechend hohen Punktzahl honoriere.
Wie man sich doch täuschen kann: eine Steigerung hatte ich selbstredend erwartet, doch dieser Abend geriet zu weit mehr als nur einer Rehabilitation: im Vergleich mit den bisherigen beiden Besuchen war dies ganz klar die souveränste Performance, die mit viel Fokussierung auf das Wesentliche und ausgefallenen Ideen ohne jede Künstlichkeit punkten konnte. Formschwankungen sind in nächster Zeit wohl immer noch kaum ganz auszuschließen, aber gemessen an dieser Darbietung ist der Schlossberg definitiv ein heißer Kandidat für die Wiedererlangung des zweiten Sterns, dessen Aberkennung hier sicherlich schmerzlich zur Kenntnis genommen wurde. Mit dem schicken Lokal, einem eingespielten Team und einer viel besseren Balance zwischen Klassikern und neuen Gerichten hat man hier jedenfalls die Voraussetzungen dafür geschaffen, um eine Trendwende einzuleiten. Wenn erst der Umbau des zweiten Gebäudes abgeschlossen ist, darf man sich hier wieder einiges von einem Aufenthalt erhoffen. Der bereits fertige, ansprechende Spa-Bereich lädt auf jeden Fall zum Verweilen ein, doch leider ist die Zeit zu knapp und die Heimreise viel zu weit …
Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten
Schlossberg
Murgtalstraße 602
72270 Baiersbronn
Tel.: 07747/289250
www.hotel-sackmann.de
Guide Michelin 2020: *
Gault&Millau 2020: 17 Punkte
GUSTO 2020: 8,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 4,5 F
8-gängiges Menü „Schlossberg“: € 172
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UPDATE (März 2019)
Seit meinem letzten Besuch im Oktober ist das malerische Murgtal von einem (glücklicherweise nur im übertragenen Sinne) mittelschweren Erdbeben erschüttert worden: der Guide Michelin erkannte dem traditionsreichen Hotel Sackmann bzw. seinem Gourmetrestaurant Schlossberg (zusammen mit dem Sterneck in Cuxhaven) den zweiten Michelin-Stern ab. Dieser Fall war in den letzten Jahren fast ausschließlich dann eingetreten, wenn eine fundamentale Konzeptänderung oder der Weggang des bisherigen Kochs die Ursache dafür war. Beides lag hier aber nicht vor, so dass die Entscheidung der Inspektoren für Jörg Sackmann eine mehr als unangenehme und unerwartete Überraschung dargestellt haben muss. Natürlich freut sich niemand über eine solche Abwertung, aber der seitherige Umgang des Hauses mit dieser Entscheidung (die nun auch schon einen Monat zurück liegt) ist auch nicht gerade als souverän zu bezeichnen. Am Eingang prangte immer noch das mit zwei Sternen verzierte Michelin-Schild aus dem Vorjahr, und auch auf der Homepage wurde das Vorzeigerestaurant immer noch als Zwei-Sterne-Etablissement angepriesen (was inzwischen mit dem grammatikalisch fragwürdigen Zitat „ein Michelin-Sterne [sic] für die kreative Küche im Schwarzwald“ behoben wurde). Erfahrungsgemäß führt so eine Abwertung nicht umgehend zu massivem Gästeschwund, zumal in einer solch ländlichen Gegend die Stammklientel besonders zahlreich vorhanden zu sein scheint und sich auch in einem solchen Fall als treu erweist. Dass die Entscheidung des Guide Michelin an sich überraschend kam, steht dabei auf einem ganz anderen Blatt, denn der Premierenbesuch hatte für mich jedenfalls keine offensichtlichen Beweggründe für die Abwertung geliefert. Ein Tagesausflug in den Schwarzwald bei bildschönem Wetter sollte also mit dem Abend im Hotel Sackmann ausklingen und Antwort auf die Frage liefern: war die Abwertung des Schlossbergs berechtigt?
Ich beginne meinen Bericht aus gutem Grund ausnahmsweise eher ausführlich mit dem Service anstelle des Essens, denn schnell wurde uns an diesem Abend klar, dass dieser durchaus Anlass für die Abwertung geboten hätte, selbst wenn der Guide Michelin gar nicht den Service, sondern nur die Küchenleistung bewertet. Das an diesem Samstagabend äußerst gut gefüllte Haus mit diversen Nebenrestaurants (es dürfte aber wohl kaum zum ersten Mal in der Geschichte des Hauses so gewesen sein) verursachte erkennbare Probleme im Service: die Bestellung, das Auftragen der durchaus ansehnlichen Brotauswahl und die Präsentation der Amuses gingen noch einigermaßen zügig vonstatten. Dass aber trotz unserer Ankunft um 19.00 Uhr der erste Gang um sage und schreibe 20.45 Uhr auf dem Tisch stand, empfanden wir als ziemliche Zumutung. Kein Wunder, dass die sich in die Länge ziehende Menüfolge erst gegen 0.20 Uhr abgewickelt war und so zur drittlängsten in meiner gesamten Vita geriet. Danach macht die Heimfahrt noch besondere Freude …
Maître Uwe Joel versuchte die Laune seiner Gäste an diesem Abend durch eine gewisse Grundfröhlichkeit am Leben zu halten – was zunächst noch gelang, wirkte aber mit der Zeit immer aufgesetzter, irritierender und auch nerviger. Sommelier Manuel Vogel kanalisiert das hektische Treiben an diesem Abend noch weit weniger souverän, denn hastiges Einschenken der Gläser führt zu einigen Reibungsverlusten und recht störrisches sowie besserwisserisches Beharren auf den ausgeklügelten Weinempfehlungen wirkten auf uns auch nicht gerade tiefenentspannt. Höhepunkt war übrigens eine bestellte Flasche PriSecco, die aber zunächst am Nebentisch landete und dort für einen mittelgroßen Disput zwischen Gästen und Sommelier sorgte, der erst durch das Eingreifen meiner Begleitung (ich war gerade an der frischen Luft) entkräftet werden konnte. Hinzu kam noch, dass ein offensichtlich ausländischer Kellner sich zwar alle Mühe gab, bei den Ansagen der Gerichte aber wegen nicht akzentfreier Aussprache recht schwer zu verstehen war. So musste die Speisekarte mehr als nur einmal als optische Hilfe herhalten. Auch Jörg Sackmanns Auftritt an jedem Tisch zum Ende des Abends dauerte diesmal nur ein paar Sekunden und wirkte vor allem wie eine lästige Pflichtaufgabe. Lediglich die blutjunge Kellnerin vom ersten Besuch verdiente sich ein Sonderlob: sie schien mit stoischer Ruhe über den Dingen zu schweben und verrichtete ihren Job nicht nur professionell, sondern auch ausgesprochen liebenswürdig und gelassen. Davon hätte sich das restliche Team gerne eine riesige Scheibe an diesem Abend abschneiden dürfen!
Das Essen angesichts solcher Irritationen im Service objektiv zu bewerten wird dadurch nicht gerade erleichtert, doch bin ich der Überzeugung, dass das Urteil auch ohne die Fehltritte im Service nicht großartig anders ausgefallen wäre.
Ich entscheide mich für das Menü Entdeckungsreise zu € 178 mit dem angeblich „Besten aus Jörg Sackmanns Küche, serviert in Amuse-Bouche-Gängen“. Dass dabei längst nicht alles in identischer Portionsgröße serviert wird, sei hier gleich einmal angemerkt. Zum Einstieg reicht man ein Trio von Einstimmungen: ein Reiscracker mit einer in Rettich gebeizten Garnele obenauf, ein Schälchen mit Pulpo, Grapefruit und wildem Brokkoli sowie ein karamellisiertes Ei mit Pilzen und Butterschaum. Das Niveau dieses Einstiegs kann nicht ganz mit dem Besuch davor mithalten, aber wenn der ganze Abend auf diesem Niveau weitergegangen wäre, dann hätte kein nennenswerter Anlass zu Enttäuschung bestanden. Auch das Amuse kann überzeugen und gerät vielleicht sogar zum Höhepunkt des Abends: Thunfischsegmente werden mit einem Apfeltapioka und etwas Sesam frisch und originell veredelt. Dass die Menüfolge nach diesem Einstieg aber merklich abfallen würde, war so nicht zu erwarten, zumal auch die Brotauswahl zu den besseren im Lande gehört, selbst wenn sie wie an diesem Abend erst auf Aufforderung nochmals aufgefüllt wird.
Als eine Art weiteres Amuse, das meiner Begleitung mit einem „normalen“ Menü vorenthalten bleibt, geht es weiter mit einem Trüffelbeignet auf einem Kichererbsensud – ein auffällig schwerer und sättigender Beginn, der etwas weniger massig hätte geraten dürfen, obwohl das Gericht nicht direkt enttäuscht. Lediglich die Portionierung erschien mir wenig subtil.
Der offizielle Einstieg ins Menü gerät außerordentlich seltsam: Bernsteinmakrele mit Rambutan, Gänseleberflocken, Sakegelée und Aniscrunch sieht zwar optisch richtig gut aus, enttäuscht aber im Geschmack. In einem Reigen an disparitätischen Aromen entsteht kein stimmiges Aromengeflecht, zumal der Aniscrunch in großen Scheiben steinhart gerät und selbst mit dem Messer kaum durchzutrennen ist. Der Eindruck einer wilden und wenig durchdachten Mischung an bewusst konträren Aromen kann nicht entkräftet werden – und so enttäuscht dieses Gericht auf ganzer Linie. Es ist kein roter Faden oder eine klare geschmackliche Aussage auszumachen.
Das Entdeckungsreise-Menü springt hin und her zwischen den zwei offiziellen Menüs (und einem kurzen Ausritt ins vegetarische Menü im ersten Dessert), so dass die Impression eines heterogenen Mahls gleich verstärkt wird. Nach dieser Enttäuschung wird das Niveau zum Glück wieder angehoben: Schweinekinn, Jakobsmuschel, Périgord-Trüffel, roter Chicoree, Dashi und Einkorn-Reis ist ein Teller, der sicherlich auch mit zwei Komponenten weniger hätte auskommen können, aber zumindest gekonnt ein rustikales Grundprodukt mit einem edlen Begleiter ausstaffiert. Ein Knaller ist das Gericht schwerlich, doch immerhin sind die Aromen hier trennscharf ausgearbeitet, ohne dass sie sich dabei wie beim Einstieg gar zu sehr reiben würden.
Kabeljau und Gillardeau-Auster mit grünem Curry, Algengremolata und Artischocken gerät puristischer als mancher Vorgänger an diesem Abend, vermag aber nicht über Durchschnittsniveau herauszukommen. Trotz verheißungsvoller klingender Ankündigung bleibt das Aromenbild diesmal in einem recht engen Rahmen verhaftet und hat nur wenig Spannendes zu bieten – ein Gericht, das mich sonderbar kalt lässt und aus dem man sicherlich mehr hätte machen können.
Galgantwurzelsud mit Meeresspinne (Krabbe), Finger Ingwer, Dim Sum und Vongole Veraci (Nudeln mit Venusmuscheln) ist apart angerichtet, doch der dominante Sud kaschiert leider einen Teil der subtilen Aromen. Schade drum, denn dieses Gericht hätte mit weniger aufgegossenem Sud sicherlich dazu gewonnen. So wurde ein Großteil des Potentials in diesem Gericht eher selbst zunichte gemacht, da die Aromatik des Suds einfach zu plakativ und aufdringlich geriet.
Taube mit Ingwer-Schalottenjus, Pflaumenpralinen und Rote-Bete-Waffeln lehnt sich nicht so weit aus dem Fenster wie mancher Vorgänger und vertraut zur Abwechslung eher mal wieder auf die ausgetretenen Pfade. Das dunkelrot gebratene Fleisch ruht in der Mitte des Tellers und bekommt den ihm gebührenden Raum zur Entfaltung verliehen. Die Begleiter hätten allerdings gerne eine Spur weniger Süße einbringen dürfen, denn so erlangt dieses Gericht extrem sättigenden Charakter noch vor dem Käsegang (Affineur Waltmann aus Erlangen).
Erbse, Champignon und Original Beans Nougat huldigt dann wieder – wie man schon unschwer an der Kombination erkennen kann – der Avantgarde. Ein Erbseneis in der Mitte des Tellers wird von einer Fülle an Segmenten im Halbkreis angeordnet umspielt: darunter tummeln sich diverse Crumbles, Pfifferlinge, Sahne, geeiste Schokolade-Stäbchen und Gele. Alles in allem ein mäßig überzeugend umgesetztes Gericht, das ein paar reizvolle Aspekte zu bieten hat, aber mit der ähnlichen Komposition „Wald“ von Thomas Yoshida aus dem Berliner Facil nicht annähernd mithalten kann. Der Eindruck des unvermittelten und wenig sinnhaften Hin- und Herspringens zwischen Konservativismus und Moderne an sich ist dabei weitaus ärgerlicher.
Das zweite Dessert nämlich vertraut wieder auf Bewährtes, wenngleich Zitronenfrüchtelimonade mit Apérol, Blutorangencreme, Mandarine, Pomelo-Segmenten und Baiser durchaus kreativ auf dem Teller drapiert wird. Die säuerlich-fruchtigen Aromen wirken durchaus gefällig, aber dennoch eine Spur zu eindimensional für meinen Geschmack. Hier fehlte mir einfach der gewisse Esprit, der dem Gericht einen unverwechselbaren Charakter verliehen hätte.
Die Petits fours geraten hier wie immer generös und zu einer finalen Leistungsschau. Allerdings wird deren Wirkung durch die vorgerückte Stunde und den hohen Sättigungsgrad erheblich abgeschwächt, weil man zwar allen Eingebungen zusprechen möchte, aber schlicht an praktischen Gegebenheiten scheitert. Dabei hätten die reizvollen Pralinen mit so exotischen Aromen wie Matcha-Tee oder die herben Lollis durchaus den recht betrüblichen Gesamteindruck nochmals anheben können.
Leider musste ich an diesem Abend ernüchtert feststellen, dass die gezeigte Leistung mit der Darbietung von vor einigen Monaten kaum mehr etwas gemeinsam hatte. Während an jenem Abend eine charmante, kreative und leicht bekömmliche Küche uns verzauberte, wirkte vieles an diesem Abend unausgegoren oder regelrecht seltsam. Die besten Gerichte erreichten heuer durchschnittliches oder allenfalls leicht darüber befindliches Niveau, aber einen wirklich bemerkenswerten Gang mit Langzeitwirkung im Gedächtnis hatte dieses Menü nicht im Repertoire. Einen solchen Ausritt hätte ich nicht für möglich gehalten, doch war dies die veritable Bestätigung für die Abwertung, die – auch wenn es hart klingt – nach diesen Eindrücken mehr als folgerichtig erschien. Die Präzision und Kreativität der vergangenen Jahre, die diese Küche stets auszeichnete, schien diesmal schlicht abhanden gekommen zu sein. Manche Gerichte wirkten regelrecht seltsam, andere überladen und wiederum andere zwar besser, aber dennoch ohne klare geschmackliche Aussage. Vieles an diesem Abend ließ mich unterkühlt oder ratlos zurück und berührte mich nicht im Geringsten. Kleinere Höhepunkte musste man mühsam heraussuchen und wurde dabei doch allzuoft enttäuscht. Größter Kritikpunkt ist und bleibt jedoch, dass eine klare ästhetische Linie oder Küchenphilosophie diesmal überhaupt nicht erkennbar war. Die unsteten Eindrücke wurden von der fahrigen Serviceleistung zudem bestätigt, so dass ein alles in allem ziemlich enttäuschend verlaufener Abend unterm Strich stand.
Man darf gespannt sein, wie es hier weitergeht, denn frische Impulse wären hier durchaus willkommen. Das gilt übrigens nicht nur für die Küche, sondern auch für das Innenleben des Hotels, das inzwischen doch recht gestrig wirkt. Klar ist man im Schwarzwald schon immer ein wenig traditioneller eingestellt gewesen als anderswo, aber selbst die weltbekannte Schwarzwaldstube ein paar Kilometer weiter hat sich ja vor drei Jahren auch ein gewinnbringendes Facelifting verpassen lassen. Die Entwicklung der nächsten Monate im Schlossberg werde ich allerdings nur aus der Ferne verfolgen, denn dieser Besuch hat mich nachhaltig desillusioniert und wird jedenfalls von mir nicht so schnell wieder mit einem weiteren Besuch belohnt werden.
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Oktober 2018
Im malerischen Murgtal steht ein Nobelhotel, dessen Erscheinungsbild sowohl außen wie auch innen kaum typischer für den Schwarzwald sein könnte: im Baiersbronner Ortsteil Schwarzenberg befindet sich das Hotel Sackmann mitsamt seinem Gourmetrestaurant Schlossberg. Hier kocht seit Jahren der Patron des Hauses, Jörg Sackmann, auf immer weiter ansteigendem Niveau. Lohn dieser konsequenten Weiterentwicklung war die Auszeichnung mit dem zweiten Michelin-Stern im Jahre 2014. Auch der Gault&Millau hält sich nicht zurück und vergibt 17 Punkte. Allerdings ist dieses Haus damit in Baiersbronn „nur“ die Nummer 3 hinter dem Platzhirsch Schwarzwaldstube und dem Thronfolger Bareiss. Trotzdem gewinnt man rasch den Eindruck, dass die weltweit einmalige Konstellation von insgesamt acht Michelin-Sternen in einem Örtchen von 15.000 Einwohnern eher befruchtend als feindselig wirkt, denn schließlich profitieren alle drei der edlen Etablissements vom Zustrom der internationalen Gourmets, die logischerweise nicht selten alle drei Häuser besuchen, wenn sie sich schon einmal auf den Weg in den mittleren Schwarzwald machen. Baiersbronn genießt schließlich seit Jahren – mit Recht – den Ruf eines kulinarischen Eldorados in Deutschland. Wenn man dann noch bedenkt, dass das zweifach besternte Le Pavillon sich auch nur ein paar Kilometer weiter in Bad Peterstal-Griesbach befindet, dann ist der kulinarische Himmel auf Erden perfekt!
Chefkoch Jörg Sackmann hat seit einiger Zeit auch seinen Sohn Nico mit ins Boot – pardon, in die Küche – geholt und damit ein gutes Händchen bewiesen, denn offenbar geht es seither noch weiter bergauf. Immerhin müssen in diesem Haus drei (!) weitere Restaurants am Laufen gehalten werden; das Erstaunlichste daran ist, dass der Betrieb für meine Begriffe dennoch absolut reibungslos und wie ein Uhrwerk läuft. Für den Service im Gourmetrestaurant zeichnen der langjährige Maître Uwe Joel und der erfahrene Sommelier Manuel Vogel verantwortlich. Ihnen zur Seite stehen lediglich zwei blutjunge Kellnerinnen, die ihren Job indes absolut tadellos und dabei noch mit einer gehörigen Portion Charme erledigen. Nimmt man dann noch das elegante, in hellen Tönen gehaltene Ambiente hinzu, dann steht einem gelungenen Abend eigentlich nichts mehr im Wege. Legen wir also los!
Zu einem Prisecco „Weissduftig“ von Jörg Geiger serviert man drei bildhübsch drapierte Amuses, deren Qualität allerdings ein wenig schwankt: das Arrangement von Tomate und Burrata mit Anis macht optisch mehr her als geschmacklich und bleibt ein wenig verhalten. Deutlich besser gerät Kohlrabi in diversen Texturen auf einem Löffel mit Amaranth, aber der echte Knaller ist die mit Miso verfeinerte Tomatencreme, in der ein sensationeller Ziegenkäse eingearbeitet ist. Die im Grunde genommen simple Idee wurde hier aber handwerklich absolut glänzend umgesetzt.
Als erster Gruß aus der Küche kommt Thunfischtatar auf den Teller, das von Fischrogen und Tupfen von Apfelgel umspielt wird. Das elegante Spiel mit Frucht und Säure verfehlt seine Wirkung nicht und verleiht dem Gericht eine individuelle, spritzige Note, die man so nicht erwartet hätte, ohne dass die Säure dabei zu dominant geraten wäre. Die sodann aufgetragene Brotauswahl hat immerhin vier Gewürze parat, aber der Name des Gastes, der auf der Butter zu lesen ist, erweist sich als weitaus individuellerer Einfall.
Ein weiterer Gruß stellt eine Roscoff-Zwiebel in den Mittelpunkt, die von Zwiebel-Confit und generös aufgetragenem Alba-Trüffel begleitet wird. Das hat vortrefflichen Schmelz und schmeckt einfach großartig. Einstieg gelungen, kann man da nur sagen!
Sackmanns Vorliebe für Zitrusfrüchte und asiatische Aromen ist in der Szene hinlänglich bekannt, und auch die Menüfolge, für die wir uns entscheiden, sollte da keine Ausnahme machen. Das siebengängige Menü „Schlossberg“ fällt mit einem Preis von € 160 mehr als attraktiv aus und spart dennoch nicht mit hochpreisigen Zutaten. Das verspricht doch eine ganze Menge!
Sashimi vom Färöer-Lachs mit Quinoa, Mango, gepickelten Radieschen und Basmati-Reis-Gel klingt nach einem vollgepackten Teller, erweist sich aber als sorgfältig ausbalancierter Gang, in dem keine Komponente zu sehr dominiert. Im Gegenteil: das subtile Reisaroma verleiht diesem Gericht asiatische Aromen, die allerdings ein wenig zwischen Japan und Indien schwanken. Die makellose Produktqualität und die hinreißende Präsentation machen aus diesem Einstieg ins Menü jedenfalls ein Essvergnügen allererster Güte.
Blauer Hummer, Sellerie, Amalfi-Zitronenkonfitüre und Vadouvan-Honig-Knusper kommt auf einem Teller, in dem die meisten Komponenten zunächst als solches kaum zu erkennen, weil der aufgegossene Zitronensud die meisten Details kaschiert. Dessen ungeachtet beeidruckt die feinsinnige Balance der Komponenten, auch wenn eine gewisse stilistische Ähnlichkeit zum vorigen Gang durchaus auszumachen ist. Der Sellerie ist jedenfalls mehr als nur ein alibihafter Texturgeber und sorgt für überraschende Würze.
Diese kennzeichnet auch das nächste Gericht: Dashi von Daikon-Rettich, gebratene Gänselber, Cipollini-Zwiebeln, Pfefferblätter und Räucheraal. Die in einer tiefen Schale ruhende Gänseleber wird von dem intensiven Dashifond doch ziemlich dominiert. Das Gericht hat enorm viel Umami, und doch muss die Frage nach der Zweckmäßigkeit, eine Gänseleber ungewöhnlicherweise in einem Fond zu präsentieren, gestattet sein. Das vor allem durch weiche Konsistenzen auffallende Gericht bekommt durch die Zwiebeln etwas Biss, aber nicht unbedingt einen kulinarischen Mehrwert. Jedenfalls läuft diese salzige Version keine Gefahr, zu süß zu geraten …
Der vierte Gang ist bereits das Hauptgericht: Rehrücken in Erdnusskruste, Ingwer-Orangen-Kompott, Pfifferlinge und Blumenkohl-Galette klingt nicht sonderlich kompliziert und erweist sich auch nicht als diffizil. Trotzdem ist dies eines der besten Gerichte des Abends, weil die sparsam dosierten Begleiter allesamt dem hinreißenden Galette Platz finden und dem herrlich saftig-erdigen Hauptdarsteller allen Platz zur Entfaltung lassen. Die angenehme Zurückhaltung, die Sackmann bei diesem Gang an den Tag legt, wirft reichlich Dividenden ab.
Bei dem Gedanken allerdings, dass uns noch ein Käsegang und zwei Desserts samt Petits fours bevorstehen, bitten wir nun doch um ein etwas längeres Päuschen vor der Fortsetzung.
Brillat Savarin, Agria-Kartoffeln, dunkler Balsamico und geröstete Steckrübe sind allesamt in eine Art Brei eingearbeitet, in dem einerseits jede Komponente mit enormer Klarheit herauszuschmecken ist, aber andererseits ein Schmelz entsteht, der schwer in Worte zu fassen ist. Die lauwarme Temperatur des Gerichts verstärkt diesen Eindruck noch, und dennoch hätte ich mir noch ein paar Grad mehr gewünscht, um das meines Erachtens optimals geschmackliche Ergebnis aus dieser Eingebung ziehen zu können. Trotzdem absolut hinreißend!
Hibiskusblütengelee „White Rosella“, Himbeeren und Bourbon-Vanilleschaum weckt Erinnerungen an Kindheitsträume, die prompt nicht enttäuscht werden, zumal etwas geeiste Schokolade und eine essbare, eingelegte Hibiskusblüte diesen Gang verzieren. Logischerweise sind die eingesetzten Produkte sehr viel besser als die Standard-Industrieprodukte aus meinen Kindheitstagen und das Endergebnis ein unbeschwertes Vergnügen – wenn man einmal davon absieht, dass dieses Dessert fast schon überportioniert ist und schlussendlich ein wenig eindimensional gerät.
Aprikose mit peruanischem Salbei, Avocadocrème und Joghurtbaiser ist ein zauberhaft arrangierter Ausklang, der durch Tupfen von Avocadocrème – einem Pfeil gar nicht unähnlich – den Blick Richtung Hauptdarsteller lenkt. Dieser ist eingearbeitet in ein kreisrundes Bett aus Aprikosenschnitzen, Träublein, weiteren Tupfen von Avocadocrème und dem Baiser: ein stimmiges Dessert, das – wenn auch der große Wow-Effekt ausbleibt – einen würdigen Abschluss eines fast durchweg gelungenen Menüs darstellt. Den Abschluss bildet eine überaus opluente Sammlung unterschiedlichster Petits fours: Klassiker wie Karamell-Toffee sind dabei genauso vertreten wie Exoten, darunter ein Schäumchen von Matcha-Tee oder ein Lollipop aus Meringe mit Roter Bete aromatisiert.
Man muss es so klar ausdrücken: dieser Abend ließ nur ganz wenige Wünsche offen. Der Service agierte mehr als präzise und mit angemessener Zurückhaltung, und auch die Küche demonstrierte ihr Können mehr als nur einmal auf überzeugende Art und Weise. Mit ihrer Charakteristik, klassisch fundiert zu kochen, aber mit fernöstlichen Akzenten nicht zu sparen, spricht sie jede Menge Gourmets an, die keinesfalls Gefahr laufen, hier jemals überfordert zu werden. Allenfalls die etwas monothematische Stilistik mit einer Häufung von Zitrusfrüchten und fern(k)östlichen Aromen drohte zumindest erfahrene Gäste ein wenig zu langweilen. Mit etwas mehr Mut, auch weniger ausgetretenen Pfaden einmal zu folgen oder noch mehr Überraschungen einzubauen, könnte hier sicherlich Abhilfe geschaffen werden. Andererseits ist eine Abkehr von der Stilistik, die dem persönlichen Gusto am ehesten entspricht, immer mit einem gewissen Wagnis verbunden. So oder so hat Herr Sackmann, der sich kurz und pflichtbewusst an jedem Tisch blicken ließ, die Profi-Urteile bestätigt oder gar leicht getoppt. Jedenfalls scheinen die angestrebten 18 Punkte im G&M nicht in unerreichbarer Ferne zu liegen.
Die attraktive Preispolitik dieses Haus (fast schon beschämend geringe Nebenkosten) sowie der leicht altbackene und doch wunderbare Charme des Interieurs sind klare Argumente für einen erneuten Besuch. Ich komme bestimmt wieder!