Schwarzer Hahn*, Deidesheim

Februar 2018

Das Hotel „Deidesheimer Hof“ verdankt einen nicht unwesentlichen Anteil seines Bekanntheitsgrads einem berühmten Stammgast: dem 2017 verstorbenen ehemaligen Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl. Dieser „entführte“ nicht wenige Staatsgäste wie Mikhail Gorbatschow, Margaret Thatcher, König Juan Carlos von Spanien und viele weitere in den schmucken, kleinen Ort an der Deutschen Weinstraße. Unter dem damaligen Chefkoch Manfred Schwarz, der inzwischen unweit von Deidesheim ein neues Restaurant eröffnete (das gleich wieder mit einem Stern ausgezeichnet wurde), wurde der Schwarze Hahn (damals zwei Michelin-Sterne) zum prominentesten Restaurant der Pfalz und weit über die Grenzen der Region hinaus, ja praktisch in ganz Deutschland bekannt (er erhielt seinerzeit im Volksmund gar den Namen „D-Hof“). Die Räumlichkeiten, in denen Altkanzler Kohl seine Gäste empfing sowie seine private Lieblingsnische sind heute Teil des Zweitrestaurants St. Urban und können nicht nur besichtigt, sondern auch benutzt werden. Speziell der holzvertäfelte Wappensaal mit etlichen Photos und Zeitungsberichten von damals macht gehörigen Eindruck. Außerdem ließ es sich Helmut Kohl nicht nehmen, seinen Gästen seine Leibspeise – nämlich Pfälzer Saumagen – servieren zu lassen. Erst letztes Jahr herrschte in diesem Haus wieder Ausnahmezustand, als die geladenen Gäste nach der Trauerfeier für den Verstorbenen im Speyerer Dom anschließend hier einkehrten – die Polizeipräsenz sei für die neuen Servicekräfte durchaus ungewohnt gewesen, wie man mir versicherte!

Trotz aller Nostalgie ist der Hauptgrund meines Besuchs aber nicht das Zweitrestaurant, sondern das Flaggschiff des Hauses: das Restaurant Schwarzer Hahn, das sich inzwischen im Gewölbekeller befindet und über eine Treppe auch von außen zu erreichen ist. Das weiß getünchte Kellergewölbe besteht aus einem einzigen großen Raum mit einer Säule in der Mitte. Die stilsichere Einrichtung verrät klassischen Geschmack und sorgt für ein Wohlfühlambiente der hochwertigen Art. Hinzu kommt eine Servicebrigade, die aus zwei herzlich agierenden, engagierten und aufmerksamen jungen Damen sowie dem Sommelier Andreas Weber besteht. Der bereits mehrfach ausgezeichnete Weinkenner und – kellner gebietet nicht nur über einen beachtlich bestückten Fundus (in dem die Pfalz logischerweise eine gebührende Rolle spielt), sondern verfügt auch über ein profundes Wissen, das er kompetent und charmant an den Gast vermittelt. Der Gentleman alter Schule ist ein Sommelier des Typus, wie es ihn nur noch ganz selten in Deutschland gibt – man sollte ihn daher unbedingt „live“ erleben. Wenn er an einem der Nachbartische zu einer seiner Anekdoten ansetzt, hört plötzlich nicht selten der ganze Saal zu! Doch damit nicht genug: auch bei den hochprozentigen Getränken wird der Inhalt des Schranks penibel angeordnet und überprüft. Sein System würde zwar nur er selbst verstehen (wie mir eine Kellnerin versichert), aber es funktioniert bestens, zumal Webers Wissen auch auf diesem Gebiet fast grenzenlos zu sein scheint.

Das Lokal erfreut sich offenbar eines regen Gästestroms, denn ein freier Tisch war an diesem Abend nicht auszumachen. Kurios auch, dass ich erst tags zuvor im österreichischen Magazin Falstaff einen Artikel zum Thema „Kinder im Gourmetrestaurant“ gelesen hatte – und prompt saß zwei Tische weiter ein ca. sieben Jahre altes Kind, das allerdings wohlerzogen schien und sich stundenlang mit seinen Playmobil-Figuren beschäftigen konnte.

Nun aber zum Wesentlichen: ich entscheide mich für das sechsgängige Menü „Stefan Neugebauer und Andreas Weber“. Die Handschrift des Chefs Stefan Neugebauer, Jahrgang 1975, trägt eher klassische Züge – was angesichts des Ambientes und der Reputation des Lokals aber auch nicht wirklich überraschend ist. Zu einem fruchtigen Traubensecco serviert man üppige kleine Gaumenfreuden: Pfalzmandeln (zum Naschen), hausgemachte Luftgetrocknete auf Butterreiterle, Knorzanella mit Radieschen und Handkäse, kleines Fischsoufflé mit Gartengurke und Dill, Pfälzer Glücksrolle mit Meerrettich-Walnuss-Dip und schließlich „Bratwurstini“ mit Fenchel. Diese Einstimmungen stellen einen klaren Bezug zur Region her und erscheinen trotz ihrer teils originellen und augenzwinkernden Präsentationsformen eher rustikal und bodenständig. Anders der letzte Gruß: Rotkohl-Ingwer-Saft mit Dijon-Senfeis und Gin besticht durch ein enorm diffiziles aromatisches Gefüge und schaut weit über den regionalen Tellerrand hinaus. Offensichtlich fühlt man sich auch verpflichtet, dem grassierenden Gemüse-Trend zu huldigen – doch wenn das Ergebnis so delikat ausfällt, dann stört das niemanden im Geringsten. Eine ordentliche Brotauswahl schließlich rundet den gelungenen Eindruck noch ab.

Canneloni von der Foie Gras, Kohlrabi, Kumquat, Trüffelgelee und Brioche gerät zum vorzüglichen Einstieg. Die originell von geschälter Kohlrabi ummantelte Gänseleber wird von der Kumquat in diversen Texturen bildschön umspielt. Profunde Tiefe bekommt das Gericht durch das Trüffelgelee, und das ganz klassisch gehaltene Brioche überzeugt ebenfalls mit makelloser Qualität und sicherem Handwerk. Wunderbar!

Hummer und Sot l’y laisse mit Schwarzwurzel, Petersilie und Amalfi-Zitronen-Gnocchi kombiniert zwei weniger naheliegende Produkte zu einer Art Surf ’n‘ Turf. Das Ergebnis darf als bedingt gelungen angesehen werden, da einerseits die Begleiter an sich stimmig und originell in Szene gesetzt werden, aber andererseits die Verbindung von Hummer und Pfäffenbäckchen trotz allem nicht sehr zwingend wirkt. Etwas experimentell, aber auch keine echte Enttäuschung.

Ähnlich gewagt erscheint auch im Kokossud pochierter Rochenflügel mit Currylinsen, Papaya, Papayapfeffer und Zitronengraussauce. Es erfordert einigen Mut, ein so elegantes Grundprodukt mit einem so derb anmutenden Partner wie Currylinsen zu vereinen. Tatsächlich droht der etwas eindimensionale Geschmack der (vielleicht zu üppig dosierten) Linsen dem Hauptdarsteller die Schau zu stehlen – was umso bedauerlicher ist, da die Sauce vollendet zum Rochenflügel passt und die hinreißenden Texturen der Papaya ebenfalls ganz vorzüglich geraten. Unter Weglassung der Linsen hätte dieses sehr gute Gericht vermutlich noch eher dazu gewonnen.

Zum großen Wurf des Abends gerät dann Blumenkohl aus der Tajine und Périgord-Trüffel mit Crème fraiche und Onsen-Eigelb. Der in der Tajine (einem traditionellen, nordafrikanischen Schmorgefäß aus Lehm) zubereitete Blumenkohl wird vor dem endgültigen Servieren dem Gast bereits vor Augen geführt und entfaltet schon einige Minuten davor ein umwerfendes Aroma. Als es so weit ist, wirkt der hauchdünn über den Blumenkohl verteilte Trüffel schon leicht geschmolzen und verbindet sich wahrlich prächtig mit den noch nie so intensiv erfahrenen Aromen des Blumenkohls. Die Crème und das Eigelb steuern wunderbar dezente Nuancen bei, die unbeschwerten Genuss auf höchstem Niveau erlauben. Selten habe ich ein so gutes vegetarisches Gericht genossen!

Kräftigere Aromen offeriert dann das vergleichsweise bewährt wirkende Hauptgericht: Wildente, Knollenziest, Dattel, gratinierter Lauch und Petersilienwurzel scheut das Experiment und wirkt wesentlich gesetzter als so mancher Vorgänger. Dennoch: das makellose Handwerk und die gelegentliche Bekenntnis zu Bewährtem muss an sich natürlich nichts Schlechtes sein. So bleibt auch hier festzuhalten: kein echtes Highlight, aber ein wohlschmeckendes, solides Hauptgericht.

Blutorange, Opalys und Schwarzer Tee (Exotic Garden) mag vergleichsweise kryptisch oder harmlos klingen, doch zum Dessert holt die Küche nochmals alles aus sich heraus: die zu einem Tortenstück angeordnete Blutorangen-Crème ist genau austariert und vermeidet gar zu plumpe Süße. Ein wahrlich filigranes und komplexes Aromenbild entsteht allerdings erst durch die Beigabe der weißen Schokolade (Opalys), deren Süße wiederum durch den Tee ausbalanciert wird; auch in optischer Hinsicht ist dieses Dessert zudem wirklich eine Wucht. Ein Nachlassen zum Dessert hin ist ein weit verbreitetes Phänomen in der Spitzengastronomie, doch hier steuerte man dieser Gefahr souverän entgegen und bot nochmals alles auf, was die Küche zu leisten vermag. Formidabel! Dass die klassisch gehaltenen Petits fours im Anschluss dagegen fast verblassen mussten, störte mich da kein bisschen.

Faire Nebenkosten sowie ein Menüpreis von € 149 für das sechsgängige Menü stehen im ordentlichen Verhältnis zu dem, was geboten wird (zumal man mir, wie ich erst später feststellte, versehentlich den Betrag für ein 5-gängiges Menü berechnete). Heimlicher Star des Lokals ist fraglos Andreas Weber, doch auch die Leistung des Küchenchefs Stefan Neugebauer mit seinem Team verdient ein Lob. Das weitgehend klassisch gehaltene Menü punktete immer wieder angenehm mit schönen Überraschungen und mutigen Kombinationen. Eine Anhebung von 16 auf 17 Punkten im Gault&Millau wäre meines Erachtens daher kein Fehler. Vielleicht würden dann wieder ein paar Gäste mehr nach Deidesheim finden und den etwas verstörenden Eindruck von wie leergefegten Straßen nach Sonnenuntergang etwas abfedern.

Man spürt jedenfalls, dass der Deidesheimer Hof den Konkurrenzkampf mit dem Ketschauer Hof auch auf kulinarischer Ebene annimmt und weiter daran arbeitet, noch besser zu werden. Für Gourmets ist es natürlich erfreulich, dass es in dem 3700-Seelen-Ort Deidesheim gleich zwei Sterne-Restaurants mit ganz unterschiedlicher Stilistik keine 100 Meter voneinander entfernt zu besuchen gilt.