ZweiSinn*, Nürnberg

Juni 2017

Eine weitere neue Adresse, die nicht ganz uninteressant sein dürfte, gibt es seit ein paar Monaten in Nürnberg. Am östlichen Rand der Stadt hat hier der junge Koch Stefan Meier ein Restaurant eröffnet, das dem häufig geäußerten Wunsch der Gäste nach „casual fine dining“ ziemlich vollendet entspricht. In einem anonym wirkenden Hochhaus hebt sich das im Erdgeschoss befindliche Lokal wohltuend von seiner Umgebung ab. Die mit edlen Materialien ausstaffierten Räumlichkeiten wirken sehr modern, leger und geschmackvoll – außerdem kann man im Sommer auf der Terrasse vor dem Haus ebenfalls speisen, sofern einem der Lärm der recht stark befahrenen Straße, die direkt vorm Lokal verläuft, nicht viel ausmacht. Zum lockeren Ambiente trägt auch die Servicebrigade bei, die in Jeansschürze ihrer Arbeit frönt und die Atmosphäre bewusst zwanglos hält, ohne dabei in Nachlässigkeiten oder Anbiederei zu verfallen.

Gleich im ersten Jahr der Eröffnung bekam das Haus den ersten Michelin-Stern verliehen – ein nicht allzu häufiges Phänomen in Deutschland. Das Lokal ist pro forma in zwei Bereiche namens „Bistro“ und „Fine Dining“ geteilt, aber meiner Wahrnehmung nach sind die Grenzen eher fließend und beziehen sich in erster Linie darauf, ob man eher à la carte (Bistro) oder ein Menü (Fine Dining) essen möchte – qualitativ scheint es im Bistro-Bereich keine Abstriche zu geben. Mit seinem Schritt in die Unabhängigkeit hat sich Stefan Meier, der zuvor schon Erfahrungen bei Juan Amador und Thomas Martin (Louis C. Jacob, Hamburg) sammeln konnte, einen großen Traum erfüllt.

Den Reigen eröffnen ein paar Kleinigkeiten, zu denen Sommelier Stephan Voit einen alkoholfreien Holundersekt offeriert. Das beispielsweise mit Rindertatar gefüllte und mit gebeiztem Eigelb sowie Crème fraiche getoppte Cornetto ist recht mild, während die Sphäre von Melone mit einem Granité von Minze sich schon etwas weiter aus dem Fenster lehnt. Das kann auf jeden Fall ein ganz netter Abend werden.

Als Amuse serviert man dann eine Kreation, in deren Mittelpunkt ein Kartoffel-Eis (!) steht. Das Gericht kommt ansonsten fast nur mit weiteren Texturen der Kartoffel aus, die sich beispielsweise auch in gepuffter Form auf dem Teller befindet. Ungewöhnlich, aber durchaus nicht schlecht!

Müsste man Meiers Credo auf ein paar wenige Worte formulieren, so könnte dies in etwa wie folgt geschehen: ein Produkt wird klar in den Mittelpunkt gerückt, wobei wenige heimische mit exotischen Zutaten gepaart werden und neue Geschmackserlebnisse kreieren sollen. Diese Linie zieht der junge Chef schon recht konsequent durch, aber die Ergebnisse fallen in qualitativer Hinsicht noch recht unterschiedlich aus.

Einen starken Eindruck hinterließ beispielsweise der Einstieg ins Menü, nämlich Fjordforelle, Minze, Ginger Beer, Gurke und Limette. Der erfrischende Sud aus Ginger Beer, Gurke und Limette umspielt die ausgezeichnete kalte Forelle, während sich mir hingegen nicht erschloss, weshalb der obenauf ruhende Ceta-Kaviar unbedingt noch mit Minze mariniert werden musste. Ein Zugewinn an Geschmack ergab sich daraus jedenfalls nicht, so dass die Minze genauso gut gewinnbringend hätte weggelassen werden können. Ansonsten ein wunderbar leichter und geglückter Beginn!

Das Stundenei mit Topinambur, Pfifferlingen und Petersilie wird auf einem Teller und einer separaten Schale gereicht. Darauf wird eine hohle Eierschale von einem Cracker mit winzigen Pfifferlingen und Texturen der anderen Komponenten abgedeckt und passt gut zu dem eigentlichen Hauptdarsteller. Das Ei hat natürlich noch nicht den unnachahmlichen Schmelz wie bei einem Großmeister vom Format eines, sagen wir, Heinz Winkler. Trotzdem eine sehr ordentliche Kreation.

Beim Stör mit Bohne, Kamille und Ananas wird die Exotik der Paarungen weiter auf die Spitze getrieben. Trotz der wenigen Komponenten, die sich auf dem Teller tummeln, hätte man hier auf die Kamille ebenfalls gut verzichten können, da speziell die Bohne (weiß und grün) in vielen Varianten das Gericht fast schon zu kompliziert macht. Allerdings federt die Säure der Ananas die Komposition wieder einigermaßen elegant ab. Schwerlich der stärkste Gang des Abends, aber von einer Enttäuschung trotzdem weit entfernt.

Höhepunkt der Menüfolge sollte das Hauptgericht werden: Rücken vom Rehbock, Blumenkohl, Kirsche und Purple Curry. Was zunächst wie ein verkrampfter Versuch, klassischen Begleiter des Wilds aus dem Weg zu gehen, klingen mag, funktioniert in Wirklichkeit ganz ausgezeichnet. Das herzhaft gebratene Fleisch wird vom mit Curry gewürzten Sud ohnehin schon trefflich umspielt, doch der eigentliche Clou ist die Begleitung. Was der junge Chef einem so vermeintlich eindimensionalen und langweiligen Produkt wie Blumenkohl an Facetten und Ideen abringt, ist sehr beachtlich. Die Kirschen runden das ganze komplexe Spiel zwischen leichter Bitterkeit (Blumenkohl) und dezenter Süße (Kirsche) perfekt ab. Während für mein Empfinden Wild allzu oft langweilig und vorhersehbar begleitet wird, so lässt sich dies hier mit Sicherheit nicht behaupten!

Das Pré-Dessert kreist um das Produkt Fenchel. Beispielsweise befindet sich auf einem Baiser, unter dem ein Fenchel-Eis versteckt ist, auch noch klein gemahlener und gestoßener Fenchel als eine Art Gewürz. Doch auch wenn weitere Texturen das Gericht zieren, bleibt der Geschmack hier für meine Begriffe etwas zu eindimensional.

Das eigentliche Dessert verrät dann, dass der junge Koch schon noch die eine oder andere Reifeprüfung zu absolvieren hat: Himbeere, Litschi, Estragon und Quinoa geriet zur schwächsten Eingebung des Abends: der dezente Litschi-Sud hatte keine Chance gegen die viel zu dominanten übrigen Komponenten. Eine überdimensionale Himbeere thronte in der Mitte des Tellers: die geeiste Schale beinhaltete im Inneren eine viel zu süße Crème aus Himbeeren. Die Ganache aus Estragon wollte geschmacklich partout nichts mit der Himbeere zu tun haben und geriet zum Antagonisten in einem Gericht, bei dem nicht klar war, welche Komponente eigentlich dominieren sollte. Der Sud verkam zum Statisten und das Quinoa war wohl lediglich eine originelle, aber letztlich fast sinnfreie Ergänzung, die allenfalls etwas Biss beisteuerte, aber ansonsten blass blieb. Das wirkte jedenfalls nicht durchdacht.

Der Ausklang bestand aus einer mit Mais ummantelten Schokopraline, die mein altes Vorurteil, dass Mais in einem Dessert sich noch nie sonderlich bewähren konnte, auch diesmal wieder bestätigte. Besser gefiel das Walnuss-Eis, das mit einer aromatisierten Kaffee-Crème und winzigen Schokostückchen in einer Art Stracciatella-Look bedeckt war. Am besten schnitt jedoch der Himbeer-Macaron ab, der zusätzlich mit Verveine-Noten veredelt war, wenn ich mich nicht täusche.

Der Preisrahmen für ein Menü und anfallende Nebenkosten hält sich in wirklich vertretbarem Rahmen, so dass eine potentiell weitere Zunahme der Gästeschar davon jedenfalls nicht abgeschreckt werden sollte. Der Service agiert schon sehr professionell und angemessen, selbst wenn die Atmosphäre in diesem Lokal vergleichsweise zwanglos ist.

Alles in allem war dies ein erfreulicher Abend, der den meisten anderen (möglicherweise weniger anspruchsvollen oder unerfahreneren) Gästen noch mehr als mir zuzusagen schien. Das mutige Konzept scheint jedenfalls schon nach kurzer Zeit viele Gäste anzulocken – und mit gut vier Dutzend waren dies auch nicht wenig. Genau hier wird aber die Crux liegen, wenn Herr Meier nach höheren Weihen streben sollte: die momentane Zahl an Gästen lässt zwar durchaus die Kassen klingeln, aber ein weiterer Zuwachs an Qualität wird dadurch natürlich erheblich erschwert. In diesem Sinne wäre eine stärkere Fokussierung auf die Problemzonen schon noch notwendig, denn in puncto geschmacklicher Intensität und Tiefe sowie genauer Auslotung der Aromenkonstellationen sehe ich momentan noch die größten Defizite. Natürlich hat ein so junger Koch noch Zeit, weiter zu reifen, aber an der fundamentalen Problematik dürfte dies trotzdem nichts ändern. Den weiteren Werdegang dieses Lokals zu verfolgen, dürfte sich jedenfalls lohnen. Die Ansicht des „Feinschmeckers“, gleich optimistische 3 (von 5) F als Note zu vergeben, teile ich noch nicht ganz. Der Michelin-Stern ist aber auf jeden Fall verdient und sollte dem Lokal auch in Zukunft die nötige Aufmerksamkeit bescheren. Man darf gespannt sein, wie es weiter geht …