September 2018
Das Feinschmeckerlokal des bekannten Fernsehkochs Vincent Klink thront an der Weinsteige in Stuttgart-Degerloch hoch über dem Zentrum der Stadt. Hier, in dem weiß getünchten Haus, geniesst man einen Paradeblick über die Schwabenmetropole, der die Konzentration von dem Geschehen auf den Tellern durchaus mal ablenkt.
Der vielseitig interessierte, inzwischen 69-jährige Chefkoch mit Spitznamen „Häuptling Eigener Herd“ kocht seit Jahrzehnten mit großer Beständigkeit seine Klassiker und mit schwäbischem Einschlag, obwohl sein Hauptinteresse in erster Linie mediterranen Einflüssen gilt. Eine Liste von Produzenten und Lieferanten auf der Homepage des Lokals soll außerdem unterstreichen, dass Klink das Prinzip der Regionalität sich schon längst zu einer Zeit zu eigen gemacht hatte, da die jungen Wilden aus Berlin, die derzeit Regionalität fast schon radikal als das Allheilmittel der Hochküche anpreisen, noch in den Windeln lagen.
Natürlich suche ich dieses Lokal nicht in der Hoffnung auf, ein internationales Spitzenmenü vorgesetzt zu bekommen, da Klink selbstredend nicht zu den besten 50 Köchen von Deutschland zählt – auch wenn mancher unbedarfte Erstbesucher oder Neuling der Szene dies im ersten Moment vielleicht nur zu gerne glauben möchte, denn die wahren Spitzenkräfte der Szene hätten weder Lust noch Zeit, sich solchen TV-Formaten hinzugeben. Trotzdem sind ein Michelin-Stern und 16 G&M-Punkte natürlich nicht zu verachten, so dass ich neugierig bin, ob dieses Urteil zutrifft oder eher ein Prominenten-Bonus vorliegt.
Für die Anreise empfiehlt sich – wenn machbar – die Zahnradbahn, da diese direkt vor dem Haus hält (siehe Bild) und Parkplätze in dieser Hanglage absolute Mangelware sind. Schon der Empfang gerät recht merkwürdig: nach der Begrüßung werde ich von einem nur gebrochen Deutsch sprechenden Kellner an meinen Platz geführt, wonach erst einmal fünf Minuten lang gar nichts passiert. Mein Blick schweift durch das in hellen Tönen und stilsicher gehaltene Restaurant, dann auf den mit einem Blumensträußchen und weißem Leintuch eingedeckten Tisch, danach wieder auf die Stadt und zum guten Schluss auf ein Kärtchen mit Vorschlägen für einen Aperitif. Ich entscheide mich für eine hausgemachte Limonade von sizilianischer Orange, die überhaupt nicht süß und ziemlich interessant gerät. Eine weitere Kellnerin, die nicht so distanziert wie ihr Kollege, aber keineswegs herzlich agiert, reicht mir einen ersten Küchengruß sowie die Menükarte. Besagter Gruß, bei dem es übrigens als einziger bleiben sollte, war ein herzhaftes Stück Quiche – für ein Sternelokal insgesamt doch überaus mager. Meine Wahl fällt auf das viergängige Mittagsmenü für € 88, bei dem zweimal eine Wahl möglich ist (erste Vorspeise und Hauptgericht). Höhepunkt der Serviceleistung an diesem Nachmittag war ein Angebot an Zeitschriften zur Lektüre.
Mit der Brotauswahl übernahm wieder der eingangs erwähnte Kellner das Zepter und stellte wortlos eine ordentliche Selektion mit Butter auf dem Tisch ab. Der erste Gang, zu dem ich mir noch ein Glas Datterino-Tomatensaft (Van Nahmen) zum stolzen Preis von € 10 leiste, besteht aus Ragout von bunten Tomaten mit mariniertem Hüttenkäse und sizilianischen Gemüsekapern. Das Gericht wird mit dem Kommentar „Ragout von Tomaten“ ohne weitere Erklärung abgestellt – fast so, als wollte der Kellner damit suggerieren, dass ich doch selbst sehen würde, was sich auf dem Teller befindet. Und damit hat er leider auch noch recht: keine Textur, die nicht durchschaubar wäre und eine Anordnung von Einzelkomponenten, die mir jetzt nicht gerade Adrenalinschübe verschafft. Es schmeckt solide, aber keineswegs herausragend – beim Vergleich mit der „Tomatenkollektion“ aus dem Hertog Jan einige Wochen zuvor (siehe die Rezension) fällt dieser Teller weit ab.
Mit dem nächsten Gang Gazpacho mit Gamba wird es etwas besser, aber dafür wird der Teller diesmal sogar völlig kommentarlos abgestellt. In einem tiefen Teller mit zwei Gambas von überschaubarer Größe wird ein kühles Gazpacho, dessen Paprika-Noten eher dezent geraten, aufgegossen. Etwas Pan de Crystal und ein kleines Türmchen aus winzigen Gemüsewürfeln – Salatgurke, Sellerie und Tomate – werten das Gericht auf, doch die Sellerienoten erweisen sich meines Erachtens als eher störend in dem auf feine Aromen setzenden Geflecht. Nach diesem Gang wird übrigens der Brotteller bereits mitgenommen, aber das Brot bleibt auf dem Tisch. Reichlich seltsam …
Chefkoch Vincent Klink lässt sich merkwürdigerweise vor dem Hauptgericht kurz im Speisesaal blicken, geht von Tisch zu Tisch und gibt sich a u s g e s p r o c h e n redselig: „Guten Tag! Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen!“ Wenn ich diesen Auftritt als pflichtbewusst interpretiere, dann ist Herr Klink damit meiner Meinung nach noch gut bedient, denn so etwas wie ein persönliches Gespräch fand auch an keinem der anderen Tische statt (die meisten davon waren ohnehin leer geblieben). Von der häufig kolportierten Auskunftsfreude des Chefs war an diesem Tag so viel übrig geblieben, dass er sich diese Stippvisite genauso gut hätte sparen können und es auch keinem aufgefallen wäre.
Als Hauptgang folgt Kalbsniere im Fettmantel mit grünen Bohnen und Kartoffelpüree. Einerseits ist es schön zu sehen, dass solche Klassiker überhaupt noch irgendwo – und noch dazu unter einer silbernen Cloche – aufgetischt werden. Die Präsentation des Gerichts selbst kann ich dagegen nur als recht einfallslos abstempeln, zumal der Püree in einem separaten Steintguttopf aufgetischt wird – geschmacklich auf gehobenem Wirtshausniveau, aber mit der Kalbsniere im Münchner Königshof keineswegs zu vergleichen. Das aromensatte Gericht ist zumindest ordentlich portioniert, kommt aber im Prinzip überraschungsfrei und wenig inspiriert daher.
Das Dessert schließlich besteht aus Valrhona-Schokoladenpudding mit Vanillesauce und Vanilleeis – typische Regionalküche mit der weltberühmten Degerlocher Vanille eben?! Aufgrund der weit überdurchschnittlichen Produktqualität kann man dieses schlicht gehaltene Dessert durchaus genießen, aber in puncto Präsentation war hier der Tiefpunkt erreicht. Auf einem riesigen Teller thronte in der Mitte der Pudding auf einer ihn kreisrund umgebenden Vanillesauce, während das Eis trotz jeder Menge Platz auf dem Teller in einem separaten Schälchen gereicht wurde – ein Armutszeugnis, wie wenig Kreativität hier bei den Texturen an den Tag gelegt wurde, denn mit denselben Produkten hätte jeder leidenschaftliche Amateur ein gleichwertiges Ergebnis erzielen können.
Nach dem Dessert verabschiedete sich die eingangs erwähnte Dame (Vincent Klinks Tochter Eva, wie ich später herausfand) bereits und überließ stattdessen anderen Kollegen das Feld – das ist mir in dieser Form auch noch selten untergekommen. Ein halbes Dutzend an Petits fours mit weitgehend durchschnittlichen und bekannten Klassikern wie Cannelé und Windbeutel rundete diesen enttäuschenden Nachmittag schließlich ab.
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Dass ein Teil des zu zahlenden Preises natürlich den Blick auf Stuttgart beinhaltet und dem Namen des Chefs geschuldet ist, überrascht in dieser Form wahrscheinlich niemanden. Doch selbst unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist das Gebotene viel zu wenig: arm an Überraschungen oder außergewöhnlichen Einfällen, weitgehend konventionelle Küche auf Landgasthofniveau und ein Service, der zu den schwächsten gehörte, derer ich mich in einem Sternelokal entsinne. Das waren unterm Strich zu viele fundamentale Mängel als dass sich diese einfach mit einem schlechten Tag erklären lassen würden. Dass all dies trotzdem noch mit einem Michelin-Stern honoriert wird, ist für mich dabei die ernüchterndste Erkenntnis dieses wenig überzeugenden Nachmittags – eine zu keiner Zeit für mich nachvollziehbare Entscheidung. Würde man diesen Maßstab deutschlandweit anlegen, dann gäbe es statt 300 mindestens 500 besternte Restaurants in der Bundesrepublik. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist angesichts kaum vorhandener Extras ebenfalls schwach: da gebe ich in Stuttgart lieber im Olivo zehn Euro mehr für das viergängige Mittagsmenü aus und erhalte dafür erheblich mehr Extras, signifikant besseren Service und ein Küchenniveau, das dem hier gezeigten um zwei Klassen überlegen ist. Vom Vergleich mit den jüngsten kulinarischen Erlebnissen in Belgien fange ich erst besser gar nicht an …
Fazit: die gezeigte Leistung der Küche und des Service entsprach nur punktuell den Erwartungen an ein Sternerestaurant. Angesichts der zu zahlenden Preise war die Darbietung zu weiten Teilen ernüchternd und in dieser Form absolut kein Argument, hier jemals wieder vorbeizuschauen. Gut, den Herrn Klink wird’s nicht wirklich jucken, aber die Erkenntnis des Tages für die Gäste lautet, dass ambitionierte Gourmets keineswegs hier gewesen sein müssen. Wer hier speist, tut eher etwas für seinen Status als für den Genuss an sich. Selbstverständlich steht es jedoch jedem frei, sich ein eigenes Bild zu machen und sich selbst davon zu überzeugen, ob meine Eindrücke zutreffen.
Am bedenklichsten erscheint mir allerdings, dass Neulinge der Szene aufgrund der Bekanntheit des Kochs hier zum ersten Mal in ein Sternerestaurant gehen könnten und dann glauben, dieses Niveau hätte etwas mit herausragender Küche zu tun. Wenn sie das Lokal enttäuscht verlassen sollten, dann werden sie vermutlich für alle Zeiten abgeschreckt sein, jemals wieder ein Sternerestaurant zu besuchen. Ob nun im Olivo, in der Zirbelstube oder im Délice – in allen diesen Stuttgarter Lokalen ist das Geld weit besser angelegt.