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UPDATE (Januar 2023)
Unter all den Sternerestaurants in der Hauptstadt tanzt das Facil schon deshalb wohltuend aus der Reihe, weil es keines der beiden Klischees bedient, mit welchem sich so viele Etablissements in Berlin schmücken: entweder ein nichtssagender, geradezu schäbig anmutender Eingang oder ein dunkles, obskur anmutendes Interieur mit lauter Musik – oder im schlimmsten Fall beides. Nein, der Weg zum Restaurant führt durch den Eingang des Hotels The Mandala am Potsdamer Platz über den gläsernen Aufzug in den 5. Stock, wo man sogleich beim Betreten des rückseitig gelegenen Wintergartens in eine völlig entrückt anmutende Welt eintaucht. Das Fehlen des Verkehrslärms und das Geräusch des sanft aus den japanischen Brunnen plätschernden Wassers verwandeln diese Oase der kulinarischen Glückseligkeit in einen tiefenentspannten Raum, in welchem die Unrast der umgebenden Welt keine Rolle zu spielen scheint.
Vor diesem Hintergrund habe ich mich bislang über noch jeden Besuch hier schon im Vorfeld gefreut, doch selbstverständlich tragen auch die Küche von Michael Kempf und Joachim Gerner sowie die grandiose Pâtisserie unter Thomas Yoshida ihren Teil dazu bei. Doch selbst in diesem Refugium der lukullischen Genüsse kann nicht alles beim Alten bleiben: die Schlüsselpositionen in der Küche sind nach wie vor mit langjährigen und verdienten Mitarbeitern besetzt, aber im Service scheint der Personalmangel seinen Tribut zu fordern. Mit Ausnahme von Sommelier Felix Voges und Serviceleiter Manuel Finster agieren noch nicht alle neuen Mitarbeiter mit demselben Maß an Souveränität und Gelassenheit, das ich hier vor der letzten Stippvisite her noch gewohnt war. Es wird keine dramatischen Ausmaße annehmen, aber letztlich doch aufzeigen, dass es heutzutage schwerer denn je zu sein scheint, kompetentes Personal zu finden, das auch bereit ist, sich für längere Zeit an ein Lokal binden zu lassen.
Dessen ungeachtet gilt mein Augenmerk natürlich in erster Linie der Küche, die inzwischen eine der ganz wenigen verbliebenen in Deutschland ist, die weiterhin auf Zwei-Sterne-Niveau ein edles Mittagessen im zweistelligen Bereich offeriert. Ein dreigängiges Menü kostet hier mittags gerade mal schlappe € 78, wobei an den Zutaten durchaus nicht gespart wird. Dass die hochpreisigsten Viktualien dabei dem erheblich kostspieligeren Abendmenü vorbehalten bleiben, versteht sich von selbst, doch auch aus einfacheren Lebensmitteln verstand man es im Facil schon immer, etwas Ansprechendes zu zaubern – der jüngste Besuch sollte da keine Ausnahme darstellen. Wem drei Gänge zu wenig sind (also meiner Wenigkeit beispielsweise), der kann aus der insgesamt zehn Gänge umfassenden Karte weitere Gänge zum Einzelpreis von € 22 hinzubuchen, so dass ich es am Ende angesichts von fünf Gängen auf € 122 für die Mahlzeit bringen werde.
Mein individuelles Menü wird mit einem Glas Inspiration 4.6 von Jörg Geiger (Birne, Stachelbeere, Paprika) sowie einem Amuse eingeleitet. Unter dem mit knackigen Macadamianüssen dekorierten Korianderschaum verstecken sich eine Falafel sowie Texturen von Mango und Kürbis. Dieser herzhaft gewürzte Einstieg mit einem genuin orientalischen Touch besticht durch eine große Vielfalt bei den Texturen und verquickt durchaus ungewöhnliche Aromen zu einer stimmigen Allianz. Leicht fassbar (in Anspielung auf den Restaurantnamen) ist das Gericht zwar nicht, aber dafür bekömmlich und leicht im Charakter. Individualität wurde hier schon immer groß geschrieben, und dieser Beitrag stellt einen schlüssigen Beleg dafür dar. Es kann losgehen!
Nach einer nicht weiter erwähnenswerten Brotauswahl (ohne Foto) freue ich mich auf den ersten Gang, denn – wie im Facil schon öfters erlebt – klingen die Kombinationen schon auf der Speisekarte recht exotisch. Das Entrée stellt ein typisches Beispiel dar, denn Waldpilze, Dijon-Senf, Ananas und Dill klingt recht ungewöhnlich; auf dem Teller finden die Komponenten dann aber doch einmal mehr in einer schwer zu beschreibenden Harmonie zueinander. Unter den leicht marinierten Pilzen finden sich beispielsweise Herbsttrompeten und Krause Glucke, die dem Gang einen profunden und erdigen, wenn auch herbstlichen Charakter (im Januar) verleihen. Die kühne Beigabe von bestens abgeschmecktem Eis aus Dijonsenf funktioniert prächtig, doch besonders auffallend an dem Gericht ist die schiere Transparenz zwischen den Komponenten, welche mich trotz nicht wirklich vergleichbarer Viktualien entfernt ans Nürnberger Essigbrätlein erinnert. Selbst die minimale Säure der Ananas verleiht dem kräuterlastigen Aromenspektrum einen zauberhaften Feinschliff, so dass das Gericht trotz kaum möglicher Vergleiche superb gerät.
Der isländische Heilbutt im nächsten Gang ist schlichtweg ein Gedicht: gegart, kurz auf Binchotan gegrillt und oben kurz gebraten, zergeht der extrem saftige Fisch dank überragender Produktqualität und butterzarter Konsistenz regelrecht auf der Zunge. Nicht annähernd dasselbe Maß an Begeisterung weckt allerdings die polternde Begleitung in mir, denn die mit Eukalyptus-Öl verfeinerte Hollandaise samt geröstetem Topinambur versteckt darunter nicht nur die gut korrespondierende Gillardeau-Auster, sondern auch eine Brunoise von Sellerie. Im Verbund mit dem habhaften Charakter der Hollandaise, die mir deutlich zu massig gerät, und dem recht aufdringlichen Geschmack des würzig-herben Gemüses beansprucht die Begleitung deutlich mehr Aufmerksamkeit als der vorzügliche Hauptdarsteller, der sich kaum dagegen zur Wehr setzen kann. Schade drum, denn der grandiose Heilbutt hätte eine stimmigere Begleitung verdient!
Überraschend hoch war bisher auch das Serviertempo, das glücklicherweise im Laufe des Besuchs deutlich gedrosselt wurde und so mehr Entspannung zuließ. Unangebrachte Eile kann bekanntlich Resultate massiv verfälschen, so dass ich auch dies als einen denkbaren Faktor für mein späteres Fazit in Erwägung ziehe. Wie dem auch sei: das ursprünglich von mir als Hauptgang auserkorene Roastbeef vom Wagyu des Nebraska-Rinds wurde nur äußerst knapp gebraten und mit einer markigen Gochujang-Sauce überzogen – das auf diese Weise präsentierte Fleisch erinnert von der Konsistenz her fast ein wenig an Kassler, so dass seine Vorzüge speziell in dieser Variante für meine Begriffe nicht besonders gut zur Geltung kommen. Die originelle Begleitung aus frittierten Enoki-Pilzen und Pilz-Duxelles auf sous vide gegartem und kurz abgeflämmtem Sellerie hinterlässt letztlich den stärkeren Eindruck, zumal Tropfen von Zitronencrème diesem Einfall erneut einen sehr eigenständigen Charakter verleihen, der das Niveau spürbar anhebt.
Da mich der Vorgänger nicht restlos überzeugen konnte, reifte schnell in mir der Gedanke, das zweite Hauptgericht noch einzuschieben: das wunderbar mürbe Fleisch der Kalbsbacke ist überzogen mit einer Trüffeljus von geradezu erschütternder Wucht, während Kürbis in etwas bissfester, geschmorter Form und zusätzlich als Crème den Teller bereichert. Gebettet ist das Gemüse auf einer Vinaigrette von Basilikum sowie Limette und belegt mit einem Crumble aus Linsen und Kokos. Das wirkt in Summe schlüssiger als der Vorgänger, aber von einem Highlight würde ich hier angesichts recht greller Kontraste auch nicht sprechen wollen.
In Summe ließ die bisherige Menüfolge in letzter Konsequenz doch einiges von dem vermissen, was die Besuche hier in der Vergangenheit ausgezeichnet hatten: so wirkte nicht jeder Teller mit dem gewohnten Maß an Präzision umgesetzt, während anderswo auffallend scharfe Kontraste eher irritierend als gewinnbringend wirkten. Ich bin mir nicht sicher, ob man hier ein bewusstes Driften in Richtung Avantgarde anstrebt, aber geschmackliche Substanz war diesmal das Kriterium, an welchem es diesmal am offensichtlichsten mangelte. Tatsächlich kann ich mich nicht entsinnen, hier auch nur ein einziges Gericht trotz eines halben Dutzends an Besuchen schon zweimal verkostet zu haben. Dass immer neue Gerichte ersonnen werden, ist natürlich mehr als löblich, aber es schien mir inzwischen etwas zu Lasten der Qualität zu gehen. Ich möchte nicht spekulieren, ob der Zenit gar schon überschritten ist oder ob das Lokal zu viele Servicezeiten anbietet, aber marginale Abstriche waren für meine Begriffe nicht zu leugnen.
Ein As im Ärmel hat das Lokal jedoch noch jedes Mal gehabt: selbstverständlich ist von Thomas Yoshida, dem genialen Pâtissier des Hauses, die Rede. Obschon er niemandem mehr etwas beweisen muss, ersinnt er mit unbändiger Energie und unerschöpflicher Kreativität süße Meisterwerke von absolutem Ausnahmerang, die so fantastisch sind, dass allein schon ihretwegen sich der Besuch noch jedes Mal gelohnt hat. So kann man sich sicher sein, dass auch die lakonische Ankündigung in Form von Quitte und Marone, fermentiertem Pfeffer und Bucheckern einmal mehr gekonnt kaschiert, welch immenser Aufwand und welch überragende Fähigkeiten notwendig sind, um ein solches Meisterwerk zu komponieren. Die auffälligsten Elemente dieser Komposition sind das Quittensorbet auf einem Maronencrumble unten rechts und die Ahorncrème, die mit rotem Sirup von fermentiertem Pfeffer ummantelt ist. Des weiteren befinden sich in der Zuckerhippe hinten Segmente von eingelegter und gewürfelter Quitte sowie eine Crème aus Bucheckern. Die vergoldete Haselnuss als augenzwinkerndes Detail rundet dieses atemberaubende Werk ab, denn perfekte und keineswegs dominante Süße lässt den herben und nussigen Aromen allen Platz zur Entfaltung, so dass dieses nie forciert oder konstruiert wirkende Dessert voll einschlägt und die Geschmackspapillen regelrecht jubilieren lässt. Überragend!
Nach diesem fulminanten Ausklang darf die Intensität ganz zum Finale gerne gedrosselt werden: das Cassistörtchen, die Schokoladenpraline mit Tonkabohne sowie zuletzt das Kaffeecrumble unter dem Granny-Smith-Sorbet setzen dennoch gekonnt letzte Reizpunkte und überraschen mit unerwartet intensivem Geschmack.
Mein Zwischenfazit nach dem Hauptgang dürfte verdeutlicht haben, dass das gewohnte Maß an Perfektion heuer nicht ganz erreicht werden konnte. Die ohenhin schon gängigen Schwierigkeiten der Branche, ständig mit neuem Personal auskommen zu müssen, sind nach der Pandemie schwerlich kleiner geworden – und so sollten wir auf jeden Fall dankbar sein, dass das Facil unverdrossen auf die Art und Weise weitermacht wie es schon immer der Fall war. Auch Köche sind nun mal keine Maschinen und können einen schwächeren Tag erwischen. Trotz kleinerer Mängel und bisweilen überdreht anmutender Gerichte gibt es für mich keinen Grund, das allgemeine Zwei-Sterne-Niveau anzuzweifeln, denn die Qualität des Heilbutts allein, der mit Sicherheit zu den besten jemals von mir verkosteten gehörte, sprach schon Bände – von Thomas Yoshidas exzeptionellen süßen Darbietungen ganz zu schweigen. Gut möglich, dass diesmal auch einfach die hochgradig eigenständigen Kreationen meinen Geschmack nicht in dem gewohnten Maße trafen und bei anderen Gästen mehr Anklang fanden.
Jedenfalls taute auch der zu Beginn noch ein wenig staksig wirkende Service im Laufe des Nachmittags immer mehr auf und erreichte dann das übliche Niveau, das man von diesem Hause erwarten darf. Angesichts fairer Nebenkosten und der Beigabe einer hausgemachten Konfitüre für die Heimreise verflogen auch die letzten Anzeichen einer leichten Enttäuschung endgültig. Gerne darf dann der nächste Besuch wieder optimal gelingen, doch nach all den vielen Jahren mit herausragenden Erlebnissen sei dem Team auch mal ein marginal schwächerer Eindruck zugestanden. Ich komme so oder so wieder, denn derart günstige Angebote auf diesem Niveau bieten ansonsten gerade einmal noch zwei weitere Lokale in der Republik (das Esplanade in Saarbrücken und die Wolfshöhle in Freiburg). Notfalls würde ich sogar nur wegen eines einzigen Desserts von Thomas Yoshida vorbeischauen …
Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten
Facil
Potsdamer Straße 3
10785 Berlin
Tel.: 030/590051234
www.facil.de/de/
Guide Michelin 2022: **
Gault&Millau 2022: 4 Toques
GUSTO 2023: 10 Pfannen
FEINSCHMECKER 2022: 4,5 F
5-gängiges Mittagsmenü: € 122
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„In der Tat ist es ein allgemeiner Eindruck, den alle Menschen empfinden, wiewohl sie ihn nicht alle wahrnehmen, dass man auf hohen Bergen, wo die Luft rein und dünn ist, mehr Freiheit zu atmen, mehr Leichtigkeit im Körper, mehr Heiterkeit im Geiste an sich spürt.“
(Jean-Jacques Rousseau)
UPDATE (September 2021)
Wer schon mal versucht hat, in Deutschland an einem Montagnachmittag einen Tisch in einem Sternerestaurant zu bekommen, der dürfte schnell festgestellt haben, welch aussichtsloses Unterfangen dies in den allermeisten Fällen darstellt. Dies liegt zum einen daran, dass die Mehrzahl der Lokale montags Ruhetag hat, und zum anderen darin begründet, dass seit der veränderten Gesetzeslage von 2015 zur Bestimmung der Arbeitszeiten etliche Restaurants auf diesem Niveau nur noch abends geöffnet haben. Um es kurz zu machen – ich kenne nur drei sehr gehobene Lokale, in denen das derzeit möglich ist: das Les Deux in München, das Gästehaus Klaus Erfort in Saarbrücken, das neuerdings nur unter der Woche geöffnet hat, und eben im Berliner Facil, wo man seinen Mitarbeitern schon seit vielen Jahren den familienfreundlichen Luxus freier Wochenenden gönnt. Da das Stammpersonal inzwischen seit einer ganzen Generation hier arbeitet, ist das Wohlfühllokal am Potsdamer Platz inzwischen in Sphären vorgedrungen, die man vor einigen Jahren selbst möglicherweise noch nicht einmal für möglich gehalten hätte: zwei Michelin-Sterne und 19 Punkte im G&M sind mal eine Ansage.
Die Fahrt mit dem gläsernen Lift in den 5. Stock des Mandala-Hotels am Potsdamer Platz ist wie immer schon ein kleines Highlight, was für den Gang in den sonnendurchfluteten Wintergarten (mit geöffnetem Dach) an diesem strahlend schönen Sommertag genauso zutrifft. Ansonsten hat sich an der Wohlfühlatmosphäre mit plätschernden Brunnen und japanisch anmutendem Purismus nichts geändert. Nach wie vor bietet man hier auch mittags ein attraktives Menü ab drei Gängen zu € 68 sowie € 20 für jeden weiteren Gang an – theoretisch wären zehn Gänge möglich. Die Lektüre der Speisekarte vorab ist daher durchaus keine schlechte Idee, da auch das etwas hochpreisigere Abendmenü in vollem Umfang mittags angeboten wird. Ich entscheide mich für acht Gänge und bin gespannt, wie sich die Aufwertung des Lokals auf 19 G&M-Punkte im letzten Jahr bemerkbar machen wird.
Steigen wir also mit einem kalten Erfrischungstuch sowie einem mit Ingwer und Orange gedopten Tonic Water ein, zu dem die Küche das einzige Amuse serviert. Dieses hat es allerdings in sich, denn unter der Green-Tea-Crème verstecken sich Falafel und Zucchini, die mit indischen Gewürzen markant aufgewertet wurden. Die schön fluffige Falafel und die sorgsam dosierte Schärfe machen daraus einen gelungenen, auf Understatement setzenden Einstieg. Die Brotauswahl, bestehend aus Weizen- bzw. Sauerteigbrot mit Salzbutter, ist dagegen so gewöhnlich, dass sie mir kein Foto wert ist.
Das offizielle Entrée in Form von Saibling beginnt mit ausgelassener Optik und setzt auf Verfeinerung recht gewöhnlicher Produkte. So wird der Fisch nicht nur geflämmt und gewürzt, sondern auch noch in anderen delikaten Varianten in die Begleitung eingebracht, die vor allem aus Spreewaldgurke, Dill und Ananas in diversen Texturen besteht – außerdem gesellen sich noch ein paar Kapern hinzu. Mit konventionellen Geschmacksbildern hat dieser recht kühne Einstieg nur wenig zu tun, doch neben dem leichten Charakter sind es vor allem die Sorgfalt in den texturellen Details sowie die erstaunliche Harmonie, die aus diesem Gang einen ausgezeichneten Einsteiger machen. Allerdings hat dieser recht wenig mit so mancher, weitaus leichter fasslichen Kreation früherer Tage zu tun, so dass ein gehöriger Überraschungseffekt gleich zu Beginn eintritt.
Sehr individuell geht es auch weiter, denn die Gazpacho wird nicht etwa von dem typischen Paprika-Geschmack dominiert (wenngleich er schon vorhanden ist), sondern von Sauerkirsche. Aromatisiert mit etwas Shisokresse, wird dies zu einer komplexen und sehr vielschichtigen kalten Suppe von geradezu monumentaler Kraft, die sich nahezu jedem Vergleich zwangsläufig entziehen muss, aber gerade deshalb besonders faszinierend gerät. Frittierte Artischocke und Fenchel in diversen Texturen sorgen für ein launiges und gut korrespondierendes Bouquet, zumal etwas tasmanischer Pfeffer dem Gericht noch etwas mehr Power verleiht. In Summe ein weiterer komplexer und kreativer Gang, der trotz allem sehr bekömmlich gerät.
Etwas konventioneller wird es zumindest bei der Zusammenstellung der Produkte im nächsten Gang, aber in der Umsetzung hat sich die Küche auch hier einiges einfallen lassen: pochiertes Landei wird hier mit einem launigen Salat Mimosa, einem Schichtsalat mit Thunfisch, getoppt und labt sich an einem süffigen Petersiliensud, der mit Schaum von Savora-Senf kunstvoll bereichert wird. Etwas Wagyu-Schinken ist auch noch in dem Teller versteckt, so dass ein ungeheuer dichtes und doch vielschichtiges Geschmacksbild entsteht, das gekonnt zwischen vielen Nuancen changiert. Nicht unerwähnt bleiben soll auch die grandiose, schmelzige Konsistenz des Landeis, das dem bisher besten Gang in einer wirklich ungewöhnlichen Menüfolge die Krone aufsetzt.
Dem aktuellen Trend zu mehr Gemüse huldigt man auch in diesem Lokal, selbst wenn der nächste Gang nicht unbedingt mit knallgrüner Farbe aufwartet. Im Mittelpunkt steht Kohlrabi in den unterschiedlichsten Varianten (roh, mariniert, frittierte Fäden), doch der nicht annoncierte Sellerie verleiht dem Gang seine eigentliche aromatische Kraft. Klein gestoßene Macadamia-Nüsse und Zitrusfrüchte obenauf steuern subtile Akzente bei, während der hocharomatische Misoschaum die Basis für diesen keineswegs leichten Einschub bildet, der mich an ein anderes Berliner Lokal erinnert: das 2014 geschlossene Margaux von Michael Hoffmann, das seinerzeit zur Avantgarde unter den Gemüselokalen der Hauptstadt gehörte. Dieser komplexe Gemüsegang macht es dem Gast nicht unbedingt einfach, aber seine Klasse ist ihm nicht abzusprechen.
Noch diffiziler in den Details geht es weiter mit Hamachi (Gelbflossenmakrele), die hier – eher ungewöhnlich – in roh marinierter und kurz geflämmter Form auftritt. Auf dem Teller passiert reichlich viel, denn nicht nur Rettich, Erbsen, Ceta-Kaviar und Speckwürfel sorgen für heitere Optik sowie diffizilen Geschmack, sondern auch die italienische Fischsauce Colatura und Buttermilch als flüssige Begleiter steuern weitere Nuancen bei. Estragon und Verbene sorgen für herbe Würze, doch insgesamt fehlt mir trotz allem ein wenig der Mut bei diesem Gang, den Hauptdarsteller in ein besseres Licht zu rücken. Die Makrele hat es angesichts der tendenziellen Überfrachtung nicht leicht, sich bemerkbar zu machen, da die Aufmerksamkeit des Gastes leicht auf andere Komponenten abgelenkt wird. Außerdem hätte ich erwogen, diesen Einfall an einer anderen Stelle des Menüs und nicht direkt vor dem Hauptgang zu platzieren. Trotz allem ein ordentlicher Teller, der aber eine gewisse Verfeinerung schon noch verkraften könnte.
Dass Michael Kempf und sein Team es inzwischen verstehen, auch Klassiker wie Zwiebelrostbraten ansprechend und auf Sterneniveau umzusetzen, beweisen sie beim Hauptgang. Angefangen bei der Produktwahl (Charolais Rinderfilet), verfeinert man das Fleisch mit BBQ-Lack sowie zweierlei Zwiebel und grillt es außerdem nur ganz kurz über Holzkohle, um seine Röstaromen ins beste Licht zu rücken. Die durchaus rustikale, weil leicht rauchige Sauce Bearnaise hat absolutes Suchtpotential, doch auch Senfsaat und roter Rettich tragen markante Schärfe bei. Die augenzwinkernden Pommes Niçoise belegen einmal mehr, dass Sterneküche keineswegs immer abgehoben sein muss. Nach all den erstaunlich komplexen Vorgänger tut dieser etwas simpler gestrickte Gang enorm gut, zumal auch der Geschmack absolut in der Oberliga anzusiedeln ist.
Wer allerdings schon mal im Facil eingekehrt ist, der sollte wissen, dass jetzt der Zeitpunkt, der für gewöhnlich die größte Vorfreude erzeugt, gekommen ist. Die Desserts geraten hier stets zu Höhepunkten, denn um einen Pâtissier wie Thomas Yoshida dürfte dieses Etablissement von unzähligen anderen Sternerestaurants beneidet werden. Dass dieser niemandem mehr etwas beweisen muss, steht außer Frage – und dennoch setzt der unermüdliche Freigeist immer wieder zu neuen süßen Höhenflügen an, deren Ideen teils so abenteuerlich und ungewöhnlich sind, dass sie für meine Begriffe schon an die Grenzen des Machbaren stoßen. Bereits das erste der beiden Desserts (ich weigere mich standhaft, diese Kreation als „Pré-Dessert“ zu bezeichnen) hängt die Messlatte in ungeahnte Höhen: Aprikose, Mango, Joghurt, Zitrusfrüchte und Cashew klingt bei der Ankündigung vergleichsweise harmlos, doch schon das Bild lässt erahnen, dass Einfachheit nicht das Credo von Thomas Yoshida ist. Die beiden Früchte stehen voll im Mittelpunkt, zumal sie als Gel, Crèmes, Knusper und als eine Art kugelförmige „Wolke“ rechts im Bild interpretiert werden (das Wort „Wolke“ verwende ich als Referenz an ein Dessert im selben Hause aus dem Jahr 2019, das in bebilderter Form in meinem Beitrag „Menü des Jahres 2019“ zu finden ist). Als optische Spielerei bereichert der geeiste Ring aus weißer Schokolade diese Eingebung, während die Cashew-Nüsse für etwas Biss sorgen. Der hintersinnigste Clou sind allerdings die in dem Knusper versteckten Wasabi-Nüsse (die man sonst so als Knabberei kennt): obwohl der herrlich intensive Fruchtgeschmack an sich schon traumhaft gerät, so wird jede Eindimensionalität mit diesem Schub an Schärfe unerwartet beiseite gefegt. Kreativ, vielfältig und traumhaft sicher umgesetzt – wieder einmal ein schlichtweg grandioses Dessert!
Das zweite Dessert namens „Kräutergarten“, dem Spötter allerhöchstens nachsagen können, dass es vielleicht schon überkonstruiert wirkt, macht in puncto Qualität genau da weiter, wo das erste Dessert aufgehört hat: rote Beeren, Basilikum-Eiscrème und erdige Noten besteht aus einer fulminanten Fülle an Ideen, die das Erfassen sämtlicher Details schwierig macht, aber andererseits eben auch enorm spannend. Es ist ein wenig wie bei einer Zaubershow: die einen wollen sich nur begeistern lassen, während die anderen unbedingt herausbekommen wollen, wie die Tricks funktionieren. „Zauberer“ Thomas Yoshida erzeugt neben den annoncierte Produkten einen aus Stärke gefertigten falschen Stein, der mit einer schlichtweg köstlichen Schoko-Yuzu-Crème gefüllt ist und von Sponges, Schoko-Ästen und Gels so kongenial umspielt wird, dass Vergleiche praktisch von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Wenig überraschend, dass dieses überbordend kreative Dessert einfach grandios schmeckt und einmal mehr den Ruf des Ausnahmepâtissiers eindrucksvoll zementiert. Umwerfend!
Danach können die bedauernswerten Petits fours in Form eines Cassis-Blaubeere-Sorbets, einer Schoko-Himbeer-Praline und von einem Türmchen mit Bergamotte, Kaffee und Kokos nur verblassen, obwohl sie allesamt überzeugen und einen ungewöhnlichen Nachmittag würdig abrunden.
Bis vor diesem Besuch hätte ich gesagt, dass dies vermutlich der Zweisterner in Deutschland ist, den ich einem unbedarften Neuling bei freier Auswahl als erstes empfehlen würde. Warum? Nun, zum einen ist die Preispolitik gerade nachmittags extrem kulant, zum anderen ist die Atmosphäre hier dermaßen zwanglos und leger, dass es einfach Freude macht, immer wieder hier einzukehren. Ein Besuch in Berlin ohne einen Termin hier ist für mich schon gar nicht mehr vorstellbar und gehört inzwischen zum Pflichtprogramm. Wer schon einmal den Lift zum gläsernen Wintergarten im Hotel The Mandala genommen und das Lokal betreten hat, der kann bestätigen, welch entspannte Atmosphäre, die frei von aller Hektik ist, dort herrscht – dazu noch eine preiswerte Menüfolge, deren Höhepunkt meistens in den umwerfenden Darbietungen des Pâtissiers Thomas Yoshida gipfelt.
Dennoch hat uns diese Stippvisite trotz vieler Konstanten in nicht geringem Maße überrascht: neben der treffsicheren Weinbegleitung durch Sommelier-Urgestein Felix Voges und der generell charmanten Begleitung im Verlauf dieses Besuchs war es der Küchenstil selbst, der eine gewisse Metamorphose durchlaufen zu haben scheint. Die ganz große Leichtigkeit und Fassbarkeit der Gerichte von früher ist nicht mehr in demselben Maße gegeben – was natürlich per se keinen Nachteil darstellt, sondern eher von der weiter gereiften Küchenstilistik zeugt. Wenn auch manches tendenziell ein wenig überladen wirkte, so scheint man hier inzwischen darauf aus zu sein, auch sattsam bekannte Klassiker wie Zwiebelrostbraten in ein ganz neues Licht zu rücken und ihnen durch neue Varianten völlig ungeahnte Facetten abringen zu können. Ein so diffiziles Gemüsegericht oder derart gewagte Einfälle wie die Sauerkirsche als Basis einer Gazpacho hätte man früher hier nicht vorgefunden. Offensichtlich hat die Küche im Laufe all der Jahre inzwischen ein Maß an Selbstsicherheit und Souveränität gewonnen, das es ihnen mit einem ganz neuen Selbstverständnis gestattet, auch mal Grenzen auszuloten und neu zu ziehen. Freilich überschreitet nicht jeder Gang die Schwelle zur Avantgarde – und das ist auch gut so. Dennoch bleibt festzuhalten, dass diese Darbietung die bisher mit Abstand anspruchsvollste war, die ich hier bislang verkosten durfte. Das verspricht für die Zukunft noch einiges, zumal auch der Pâtisserie-Abteilung die Ideen nach wie vor nicht auszugehen scheinen und diese noch jedes Mal einen Anlass für Vorfreude geboten hat.
Wenn man in der Hochküche einen Berg erklimmen kann, dann passt Rousseaus Eingangszitat auf die aktuelle Situation hier wie der Topf auf den Deckel. Weitere Besuche sind natürlich fest eingeplant, wann immer es mich in die Hauptstadt verschlagen sollte. Hier findet derzeit eine gar nicht so leicht in Worten zu beschreibende und spannende Entwicklung statt, die zu beobachten sich lohnen dürfte. Ich teile die Einschätzung des Gault&Millau voll und ganz – man darf gespannt sein auf die neuen Urteile nächstes Jahr!
Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten
Facil
Potsdamer Straße 3
10785 Berlin
Tel.: 030/590051234
www.facil.de/de/
Guide Michelin 2021: **
Gault&Millau 2021: 19 Punkte
GUSTO 2021: 10 Pfannen
FEINSCHMECKER 2021: 4,5 F
3-gängiges Mittagsmenü: € 68
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UPDATE (August 2019)
Erneute Stippvisite in Berlins mutmaßlich ruhigstem Sternerestaurant, das trotz zentraler Lage am Potsdamer Platz eine Oase der Stille darstellt. Kein Wunder, denn der rückseitig gelegene Wintergarten mit den Bambusstangen rundum und dem japanisch geprägten Design verströmt eine Wohlfühlatmosphäre, die ihresgleichen sucht. Hier kocht seit nunmehr 18 Jahren Michael Kempf, der sich mit Joachim Gerner inzwischen einen gleichberechtigten Küchenchef an die Seite geholt hat. Überhaupt fällt auf, dass viele Stammkräfte diesem Lokal nun schon über Jahre die Treue halten – ein gutes Zeichen in einer Branche, in der viele Angestellte, die in der Hierarchie nicht ganz oben stehen, sonst ausgesprochen flatterhaft die Arbeitsplätze wechseln. Es wird allerdings nicht nur an den für die Mitarbeiter familienfreundlichen Öffnungszeiten liegen (am Wochenende ist das Lokal geschlossen), sondern auch an der äußerst ruhigen und angenehmen Arbeitsatmosphäre in der Küche, wovon man sich durch die großen Glasscheiben auch persönlich überzeugen kann.
Auch dieses Lunch (insgesamt bis zu 12 Gänge stehen zur Auswahl) zum nach wie vor spottbilligen Preis – auf diesem Niveau natürlich! – von 19 Euro pro Gang sollte es wieder in sich haben und kann für einen entspannten Nachmittag auch schon deshalb empfohlen werden, weil inzwischen nahezu kein anderes Sternerestaurant mehr mittags in Berlin geöffnet hat und Tim Raue als einer der wenigen, die dies noch tun, nicht nur die Preise saftig angezogen hat, sondern auch nur noch freitags und samstags am Nachmittag die Pforten öffnet.
Ich stelle mir diesmal ein fünfgängiges Menü zusammen und werde nach einem alkoholfreien Gin Tonic zum Aperitif mit einem Amuse der allerbesten Sorte überrascht: ein Eis aus Ziegenkäse (!) thront als kleine Kugel auf einem Bett von Tandoori-Mandelcreme, Kohlrabi und Brotcroutons. Das alles ist ein intensiver Flash, der bestens abgestimmt gerät und das ungebrochen hohe Niveau der Küche gleich wieder unterstreicht. Die Brotauswahl gerät ordentlich und wird neben der Salzbutter mit einem starken Aufstrich aus Roter Bete, Frischkäse und Pumpernickel weiter aufgewertet.
Zum Einstieg tischt die Küche ein adrettes Arrangement auf, dessen kreisrunde Unterlage aus einem stimmig, wenngleich ein wenig zurückhaltend gewürztem Tatar vom Uckermärker Rind besteht. Obenauf tummeln sich eingelegte Scheiben von weißer Bete sowie Gojibeeren, Pistazie und Buchenpilze. Eine feine Note von Wacholder rundet das Gericht mit seinen transparenten und subtilen Aromen stimmig ab – ein zeitgemäßes, elegantes Gericht, das die Intensität allerdings noch nicht sofort auf die Spitze treibt.
Das ändert sich beim Felsenoktopus, den man in diesem Haus praktisch stets vorbehaltslos empfehlen kann: dieses Mal ist das rare Produkt (für das Herr Kempf eine Vorliebe zu haben scheint) mit Tupfen von fermentiertem Knoblauch und weißer Bohnencrème umspielt. Des weiteren finden sich in einer aufgeschlitzten Bohnenschote kunstvoll angeordnet Bohnenkraut und winzige Würfel von Salzzitrone. Trotz aller Raffinesse ist die phänomenale Konsistenz des Oktopus sowie das cremige Bett von Miso und Tomaten, auf dem er ruht, der eigentliche Knüller des Gerichts. Wie die Küche hier diverse würzige Nuancen verwendet, um den Hauptdarsteller zu umspielen, macht gehörigen Eindruck.
Zum Hauptgang kommt ein relativ dichter Teller, der schon durch seine hinreißende Optik punktet: geschmortes Charolais-Rind kombiniert die Küche diesmal auf nordafrikanische Weise mit Bulgur, der Gewürzmischung Baharat und eingelegten Teltower Rüben. Kerne von Granatapfel schließlich setzen elegante säuerliche Spitzen in einem opulenten Gericht, dem es ansonsten keineswegs an Würze und geschmacklicher Intensität mangelt. Ein trefflicher Hauptgang mit klar erkennbaren Produkten und Texturen, der ausgezeichnet gelingt!
Einer der Hauptgründe, hier einzukehren, ist jedoch seit eh und je die Kunst des Thomas Yoshida, seines Zeichens Patissier. Was hier zum Dessert immer auf die Teller gezaubert wird, ist stets äußerst durchdacht, kunstvoll und von höchster handwerklicher Raffinesse – Nachmachen zwecklos! Allein die erforderlichen Geräte würden jeden Amateur bereits scheitern lassen, doch auch erfahrenere Vertreter werden neidlos die Kunst von Herrn Yoshida anerkennen, der vom Schlemmer-Atlas binnen sechs Jahren nun schon zum zweiten Mal zum „Patissier des Jahres“ ausgezeichnet wurde; auch der Gault&Millau verlieh ihm diesen Titel 2016. Ein Beweis seines Könnens ist das Dessert „Mais“, das ich bereits letztes Jahr kosten durfte (siehe den Bericht unten) und mich auch diesmal wieder tief beeindruckt hat.
Das zweite Dessert mit dem Namen „Wolke“ zaubert auf einen dunkelblauen Teller mit weißem Rand eine zusammenhängende Konstruktion aus acht unterschiedlich großen Halbkugeln aus geeister weißer Bahibe-Schokolade. Die Kugeln sind mit unterschiedlichsten Füllungen (von fruchtig über nussig bis schokoladig) gefüllt und sind erst beim Verzehr zu erkennen, da farblich nichts durch die dichte Hülle nach außen dringt. A part wird noch ein Passionsfrucht-Sorbet mit Litschi und Kokos serviert, das einen eleganten fruchtigen Kontrapunkt zu der intensiven Wolke darstellt. Großartige Handwerkskunst am Puls der Zeit und vollkommen zurecht so mit Auszeichnungen überhäuft – das muss man erlebt haben!
Selbst der Service konnte die Erstellung dieses Desserts kaum mit Worten angemessen beschreiben, denn die enorm kleinteiligen und filigranen Konstruktionen erfordern eine beispiellose Expertise. Wer mehr darüber wissen will, findet auch auf einem bekannten Videoportal einige inspirierende Beiträge dazu. Passend dazu tischt am Ende der untadelige Service drei großartige Petits fours auf: ein Aprikose-Bergamotte-Sorbet, eine Kokos-Mandelpraline und als Krönung eine geeiste Praline aus Bergamotte, Vanille und Zitronengras auf einem Mürbteig-Boden mit dezenter Kaffee-Note. Wunderbar!
Fazit: was hier auf den Teller kommt, ist durchweg stimmig, reizend und definitiv die zwei Michelin-Sterne sowie die 18 Punkte im Gault&Millau wert. Ein Besuch hier hat sich noch jedes Mal gelohnt – auch der jüngste Besuch stellte da keine Ausnahme dar. Immer wieder gerne!
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Oktober 2018
Zwischen all den glitzernden Bauten am Potsdamer Platz ist das luxuriöse Designhotel The Mandala ziemlich gut versteckt und setzt von außen auf unscheinbares, bescheidenes Understatement. Innen erwartet den Gast jedoch ein asiatisch inspiriertes Ambiente, das einen sofort in seinen Bann zieht und auch anspruchsvollen Gästen etwas Ungewohntes zu bieten hat. Dies trifft in besonderem Maße zu, wenn man den gläsernen Lift betritt, in den 5. Stock fährt und zielsicher das dort befindliche Restaurant Facil anstrebt. Hier kocht seit einigen Jahren Michael Kempf und führte das Lokal bisher zu zwei Michelin-Sternen und 18 Punkten im Gault&Millau.
Die entspannte Wohlfühl-Atmosphäre dieses Hotels findet ihre Entsprechung auch im Restaurant, denn das mit japanischen Elementen entworfene Lokal besteht aus einem Wintergarten zum Hinterhof, der von der Straßenseite aus nicht einsehbar ist. Neben den sanft plätschernden Brunnen und der verblüffenden Transparenz dieses Speisesaals ist auch der großzügige Abstand zwischen den Tischen zu erwähnen, der für einen überdurchschnittlich entspannten Aufenthalt sorgt. Mein erster Besuch liegt schon mehr als unfassbare drei Jahre zurück, so dass eine erneute Stippvisite hier überfällig war. Allzu viel hat sich nicht verändert – und dies trifft sogar auf weite Teile des Personals zu. Die angenehme Arbeitsatmosphäre sowie die für die Mitarbeiter familienfreundlichen Öffnungszeiten (am Wochenende geschlossen) garantieren dem Lokal eine Konstanz im Service, von der andere Restaurants nur träumen können: insofern scheinen die ungewöhnlichen Schließzeiten des Restaurants, das dafür unter der Woche immer nachmittags geöffnet hat, auch für den Gast absolut gewinnbringend. Angesichts der – gerade in Berlin – immer häufiger zu beobachtenden Schliessung von Lokalen am Nachmittag ist ein Besuch hier am Montagnachmittag ein Geschenk der besonderen Sorte! Hinzu kommt ein ausgesprochen fair kalkuliertes Mittagsmenü, bei dem jeder Gang gerade einmal mit 19 Euro zu Buche schlägt. Noch dazu kann man dieses auch noch selbst zusammenstellen! Ein solches Angebot auf solchem Niveau in solch einer Premium-Lage offeriert zu bekommen hat schon so manchen internationalen Gast überrascht, der hier einkehrte.
Der Name des Restaurants kann auf mehrere Arten interpretiert werden: der lichtdurchflutete Speisesaal wirkt fast wie schwerelos und Kempfs Küche ist leicht zugänglich sowie leicht bekömmlich, aber nicht leicht nachzumachen! Typisch für Kempfs Küchenstil sind durchaus farbenfrohe und originelle Kompositionen, bei denen die Produkte meist klar erkennbar bleiben und charmant in Szene gesetzt werden. Dabei ist seine Küche absolut zeitgemäß und von aparter Optik, die sich jedoch stets dem Geschmack unterordnet.
Fangen wir also an mit einem vorzüglichen Fruchtsecco (Apfel – rote Johannisbeere – Himbeere) aus dem Hause van Nahmen und genießen neben einer überdurchschnittlichen Brotauswahl drei Petitessen, die ich zwar noch in bester Erinnerung habe, aber leider aufgrund eines Missgeschicks nicht mehr näher beschreiben kann: zum ersten habe ich meine Notizen verlegt. Sollten sie nochmals auftauchen, dann wird die fehlende Information jedenfalls nachgereicht. Selbiges gilt übrigens leider auch für die Ausklänge der Patisserie.
Als ersten von sieben Gängen (der Service schien bei meiner Bestellung ein wenig überrascht …) schickt die Küche Ceviche vom Wolfsbarsch mit Sesam, Banane und Koriander. Das peruanische Fischgericht ist inzwischen zu einer Art Klassiker in der Gastro-Szene geworden, sodass einen gewisse Langeweile bei dieser Art von Gang schon des öfteren Einzug hielt. Nicht so hier: die federleichte Inszenierung mit subtil abgeschmeckten Aromen punktet durch eine Vielzahl interessanter Konsistenzen bei den Produkten und ist alles andere als spannungsarm. So überraschend habe ich Ceviche noch selten genossen. Wunderbar!
Auf dem gleichen Niveau geht es weiter mit Tatar vom Linumer Kalb, Schwarzwurzel und Limette. Auch hier überzeugen Präsentation und Geschmack gleichermaßen: der leichte, mit Limette aromatisierte Sud erweist sich als kongenialer Begleiter für die herzhaften Aromen des Tatars, das zudem bildsschön mit der Schwarzwurzel drapiert ist. Großartig!
Suppe von Steckrübe, Bergamotte, Blutwurst und Ananas sieht schon vor dem Aufgießen der Suppe so apart aus, dass man sich fast wünschen würde, auf sie zu verzichten! Dieses Aromenfeuerwerk bezieht seinen Reiz aus genau richtig dosierten Komponenten und einer superb austarierten Schärfe von Ingwer, die beim Genuss durchaus überrascht, da sie in dem Gericht nicht annonciert war. Die Suppe selbst hat Körper und gestattet doch das genaue Herausschmecken dessen, was bereits zuvor auf dem Teller sichtbar war. Insbesondere das winzige Kompott aus Blutwurst, das von einem geschälten Stück Rübe umgeben ist, erweist sich als grandioser Einfall, der diesem herbstlichen Gericht die Krone aufsetzt.
Das Signature Dish des Hauses darf natürlich nicht fehlen: Felsenoktopus mit Bohnen, Tomate und Artischocke gerät nicht ganz so komplex wie seine Vorgänger, trägt seinen Ehrentitel aber dennoch vollkommen zurecht: der immer noch viel zu selten auf Speisekarten befindliche Oktopus hat genau den richtigen Biss. Die übrigen Begleiter bleiben trotz vielfältiger Präsentationsformen klar erkennbar und werden nicht groß in ihrem ursprünglichen Geschmack verfälscht. Auch dieser Gang hat (natürlich) große Klasse!
Etwas gewöhnungsbedürftig für ein Hauptgericht war dann Shabu-Shabu vom Wagyu-Rind mit Blumenkohl und Pfifferlingen. Das lag weniger am Handwerk oder gar an der Produktqualität, sondern eher daran, dass das (in voller Absicht) lauwarme Gericht recht puristisch daherkommt und mich daran erinnert, dass einige Wochen zuvor ein vergleichbares Gericht im Neuhof am See den ersten von zwei Teilen eines einzigen Ganges bildete. Damit wir uns richtig verstehen: auch dieser Gang hatte keine Schwächen (zumal die dezente Wasabi-Schärfe des Gerichts die Geschmackspapillen auf Temperatur brachte), wirkte aber wie kein ausgewachsenes Hauptgericht. Selber schuld natürlich, denn aufgrund der Auswahl an Gerichten zu Beginn hätte ich das ja steuern können. Also: Schwamm drüber, trotzdem genießen und das kleine Malheur abhaken!
Das erste Dessert kreiste fast schon monothematisch um ein in der Hochküche eher stiefmütterlich behandeltes Produkt: Mais. Vielen Köchen und Patissiers ist die Aromatik zu eindimensional, doch was Patissier Thomas Yoshida daraus macht, ist mehr als beeindruckend: zusammen mit einem Sauerampfer-Eis und Pfirsich wird der Teller ansonsten fast komplett dem Grundprodukt überlassen: Süßmais, Crumble, Popcorn – um nur einige Varianten zu nennen. Mag sein, dass dies beim Lesen exotisch oder gar gekünstelt klingen mag, aber beim Verzehr war jedenfalls das genaue Gegenteil davon eingetreten. Die Messlatte hing hier schon sehr hoch, …
… aber dann folgte noch das zweite Dessert – und was für eines! Es ist beileibe keine Übertreibung zu behaupten, dass dieser Geniestreich ein heißer Kandidat auf das „Dessert des Jahres“ und ein umwerfender Beleg dafür ist, dass Yoshida vor zwei Jahren zurecht vom G&M zum Patissier des Jahres gekürt wurde: das schlicht „Wald“ genannte Dessert besteht aus einem falschen hohlen Baumstamm in der Mitte, dessen Rinde aus hauchdünnem, getrocknetem Topinambur besteht. Die täuschende echt aussehende Landschaft hat weitere Überraschungen parat, wie beispielsweise ein falscher grauer Stein mit Vanillecrème darin. Außerdem tummeln sich noch Beeren und Kräuter um den Baumstamm in der Mitte, der mit Texturen von Quitte und weitere Kräutern gefüllt ist. Worte vermögen der Optik dieser Kreation kaum gerecht zu werden, doch auf den Geschmack trifft dies erst recht zu. Sensationell gut!
Man kann unumwunden zu dem Ergebnis kommen, dass dieser Besuch eines Zwei-Sterne-Restaurants zu den besten dieses Jahres gehörte. Alle Gerichte hatten optischen Charme, wirkten bis ins letzte Detail durchdacht und überzeugten mit intensiven Aromenallianzen, die stets überraschend, aber nie verkopft wirkten. Einen nicht unerheblichen Anteil an dem überragenden Eindruck hatte auch die Patisserie, die zu absoluter Topform auflief. Alles in allem klopfte man mit dieser Leistung durchaus schon mal vorsichtig an der Tür zum Olymp an.
Ein Kompliment sei auch dem Service ausgesprochen, denn die junge asiatische Servicedame machte ihren Job, obwohl sie nach eigenem Bekunden erst einige Wochen hier sei, ganz ausgezeichnet und vollkommen unaufgeregt. Auch der Brauch des warmen, feuchten kleinen Handtuchs für die Hände zu Beginn fügt sich da nahtlos ins Bild ein. Zum Schluss sei auch nochmals an die faire Preispolitik erinnert, so dass das Facil uns leichtfüßig und beschwingt in den restlichen Tag entließ. Diese opulente Mahlzeit wirkte in der Tat noch lange nach!
Fazit: ein viel besser geeignetes Haus für unerfahrene Gourmet-Neulinge, die gleich auf sehr hohem Niveau einsteigen möchten, ließe sich in Deutschland kaum vorstellen! Unbedingt hingehen!