Cheval Blanc***, Basel (UPDATE)

„Wer wagt, durch das Reich der Träume zu schreiten, gelangt zur Wahrheit.“ (Ernst Theodor Amadeus Hoffmann)

UPDATE (Dezember 2022)

Ziemlich genau drei Jahre war mein Premierenbesuch hier her – und mit ausgezeichneten Erinnerungen verbunden, wenngleich das damalige Mittagsmenü in drei Gängen aufgrund seiner Kürze wohl keinen endgültigen Aufschluss über das allgemeine Niveau in diesem Etablissement zu liefern vermochte. Diesmal sollen es daher fünf Gänge werden, doch vieles andere wird genauso sein wie damals: auch heuer kreuze ich unmittelbar vor Weihnachten wieder hier auf und erfreue mich an dem geselligen und bunten Treiben in der Basler Altstadt. Das Wetter spielt zwar erneut nicht wirklich mit, aber dank der Premiumlage des Nobelhotels Les Trois Rois direkt am Rhein kann man sich hier von vornherein auf einen würdigen Rahmen für ein großartiges Mahl gefasst machen, zumal das festlich geschmückten Foyer des Hotels einmal mehr stil- und geschmackssicher geraten ist. Das Ziel meiner Wünsche ist selbstredend das dreifach besternte Cheval Blanc von Chefkoch Peter Knogl. Der gebürtige Niederbayer wurde einst vom nur wenige Wochen vor meinem Besuch verstorbenen Grand Chef Heinz Winkler als dessen Musterschüler bezeichnet – hatte er doch über mehrere Jahre verteilt insgesamt vier Jahre lang bei ihm gelernt (teils als Küchenchef) und sein Profil dabei ganz erheblich schärfen können. Seit 2016 wartet Peter Knogl nun selbst mit drei Sternen auf und hat sich seither keineswegs ausgeruht. Im Gegenteil: die renommierte Vereinigung La Liste sieht sein Restaurant derzeit zusammen mit fünf weiteren Lokalen auf dem vierten Rang der weltbesten Restaurants (angeführt wird die Liste aktuell vom punktgleichen New Yorker Le Bernardin, dem Stockholmer Frantzén und dem Restaurant Guy Savoy in Paris).

Zu einem herausragenden Restaurant gehören selbstverständlich ausgezeichnete Servicekräfte: der überaus erfahrene und stets charmante Maître Giuseppe Giliberti gehört dabei genauso zum Inventar des Hauses wie Sommelier Christoph Kokemoor, der schon als weltbester Sommelier ausgezeichnet wurde, aber krankheitsbedingt an diesem Tag leider fehlte. Sein Ersatzmann erlaubt sich aber ebenfalls keine Fehler, wobei die sehr international wirkende Brigade überhaupt ausgesprochen gut eingespielt wirkt und hochprofessionell zu Werke geht. Dank des feudalen Rahmens, der old school in Form von Kristallgläsern, Präsentiertellern, Silberbesteck, üppigem Blumenschmuck und sogar Kleidercodex noch regelrecht zelebriert, erwartet den Gast ein Nachmittag voll makelloser Eleganz, aber ohne jede Steifheit. Mehrmals komme ich mit dem Maître sehr angenehm ins Gespräch, wobei wir mehr als nur einmal im Laufe dieses Nachmittags Erfahrungen über bisher besuchte Restaurants austauschen werden. Vorneweg genehmige ich mir – wie schon beim letzten Mal – den ikonischen „Pop-up“-Cocktail im Kupferbecher (siehe meinen letzten Bericht), der zwischenzeitlich von der Barkarte genommen und dann wegen der großen Nachfrage wieder aufgenommen worden war!

Zur Auswahl steht neben einem bis zu sechsgängigen Menü zum Preis von 290 Schweizer Franken auch eine kleine Auswahl à la carte. Nach einem kurzen Gespräch geht man auf meinen Wunsch, zwei Gerichte der Menüfolge gegen zwei spezielle Gänge à la carte auszutauschen, gerne ein und zeigt zudem Verständnis dafür, dass ich auf den Käsegang verzichten werde (was eine Ersparnis von 30 Franken bedeuten wird). Eine kleine Enttäuschung muss ich zu Beginn verkraften, denn ganz besonders hatte ich mich auf den bretonischen Hummer mit Ossietra-Kaviar gefreut – allerdings vornehmlich aus dem Grund, dass die legendäre Château Chalon Sauce dankbar von Peter Knogl (mit Genehmigung seines Mentors Heinz Winkler, versteht sich) in sein Repertoire aufgenommen wurde. Nur zu gerne hätte ich diese klassische Sauce als Referenz an den verstorbenen Aschauer Ausnahmekoch aus den Händen seines liebsten Schülers einmal verkostet, doch leider war der Gang eine Woche zuvor aus mir nicht bekannten Gründen von der Karte genommen worden – sehr bedauerlich, weil mich insbesondere der Vergleich mit einem großartigen Donaulachs an Vin jaune von Christian Jürgens im Überfahrt im Jahre 2019 (siehe „Menü des Jahres 2019“) sehr gereizt hätte. Nun gut, ich werde mich mit zwei anderen Signature Dishes des Hauses darüber hinwegtrösten …

Schon die recht üppige Brotauswahl (ohne Foto) wird auf einem Silbertablett präsentiert und mit der Zange auf den Brotteller gelegt, doch auch die Entrées könnten kaum klassischer sein. Dennoch haftet ihnen überhaupt nichts Antiquiertes oder Verstaubtes an, wie gleich das erste fulminante Apéro verdeutlicht: Auster mit Spritzern von Zitronensaft ist selbstredend eine klassische, aber für einen Peter Knogl zu anspruchslose Variante. Stattdessen akzentuiert er die bretonische Felsenauster hauchzart mit Yuzuschaum und einer Ponzu-Vinaigrette von ausgeprägter Säure, die allerdings hervorragend mit der Jodigkeit des Weichtiers korrespondiert. Die fabelhafte Umsetzung dieser Eingebung lässt sich nur schwer in Worte fassen, aber es steht gleich zu Beginn außer Zweifel, dass hier ein wahrer Meister seines Metiers am Werkeln ist.

Die nächsten beiden Beiträge kommen mir noch vom letzten Besuch her bekannt vor, aber angesichts ihrer vollkommen gelungenen Umsetzung freut man sich auch auf eine Wiederholung. Warum auch nicht? Der durch Vadouvan indisch gewürzte Reischip mit Taschenkrebstatar verströmt dabei genauso großen Geschmack wie der optisch harmlos anmutende, aber keineswegs zurückhaltende Espuma von Jalapeño, der geschickt Crevetten und Texturen von Gurke versteckt. Die superbe Fluffigkeit sowie der seidig-leichte und trotz einer gewissen Schärfe wunderbar transparente Geschmack beeindrucken mich sehr.

Den Abschluss des aparten Reigens bildet ein Macaron von Foie gras mit Garam Masala und etwas Orange. Einmal mehr ist es neben der bescheiden anmutenden Optik, die sich hier meist zugunsten der Aromen zurückhält, die souveräne Einbeziehung asiatischer Gewürze, die großes Wissen voraussetzt und der Küche in diesem Etablissement ein besonderes Profil verleiht.

Manchmal kann jedoch auch ein klassisch orientierter Chef wie Peter Knogl nicht der Versuchung widerstehen, visuellen Elementen etwas mehr Platz einzuräumen. Dass dies jedoch nie zu Lasten des Geschmacks geht, beweist er zu Beginn mit einem seiner Signature Dishes, das ich unbedingt verkosten wollte und daher gegen den eigentlich vorgesehenen Hamachi austauschen ließ: geräucherter Aal, rote Bete, fermentierter Knoblauch und Wasabi zeigt auf, wie man auch klassische Küche modern umsetzen kann. Dass dieses Gericht einen geradezu legendären Sonderstatus genießt, wird schon nach dem ersten Löffel deutlich: der Schaum von roter Bete ist ausdrucksstark und stellt einen herben, leicht fruchtigen Kontrapunkt zu dem Knoblauch dar, der hauchdünn als auffälliger Streifen über den Teller gestrichen wurde und in Form von weiteren kleinen Tropfen einen spannenden Kontrast mit dem Wasabi eingeht. Die Salinität des Aals wird durch das Räuchern abermals betont und stellt so etwas wie den geschmacklichen Mittelpunkt dieses Tellers dar, der um verschiedene Aromen kreist und doch nie die Grenzen zu weit auslotet. Von der Optik her könnte dies ein Dessert sein, aber in Wirklichkeit haftet diesem Teller praktisch keinerlei Süße an. Nicht zuletzt dank dieses Trompe-l’oeil-Effekts dürfte diese kulinarische Visitenkarte nur selten im Menü fehlen. Phänomenal!

Was in der Menüfolge lakonisch als Artischocke und Périgord-Trüffel angekündigt wird, entpuppt sich als ein wunderbar winterlicher Traum von einem Seelenwärmer: die Küche dekliniert das Hauptprodukt in allen nur denkbaren Varianten durch und ringt ihm so eine nicht für möglich gehaltene Vielfalt an Texturen, Konsistenzen und vor allem Aromen ab. So dient die Artischocke nicht nur als Basis für die Crème, sondern wartet neben gekochten und gedämpften Segmenten mit einer Vielzahl von weiteren Varianten auf, die ich nicht einmal alle zu enträtseln vermag. Gebettet ist die Kreation auf einer gut versteckten Trüffeljus von unvergleichlichem Körper, während die Elemente darüber einen kaum fassbaren, erdigen Wohlgeschmack versprühen. Dennoch ist diese Crème derart fluffig, dass der Teller regelrecht abzuheben scheint und ganz nebenbei der Artischocke jedwedes kantige oder bittere Aroma gekonnt ausgetrieben wird. Trotz des mutigen und kraftvollen Auftritts bei diesem Teller erweist sich einmal mehr die unnachahmliche Eleganz als das vielleicht größte Wunder an dieser Komposition.

Der zweite, zugunsten eines weiteren Signature Dishs ausgetauschte Teller erwartet mich als nächstes – und natürlich wird auch dieser den exorbitanten Erwartungen vollauf gerecht. Das optisch dominante Rotbarbenfilet, das nach dem Braten (wie schon öfters anderswo erlebt) nicht zu weich geraten ist, ist getoppt mit knusprigen Schuppen, welche sich durch Anwendung der japanische „Matsukasa Yaki“-Technik aufrichten, indem sie mit heißem Öl übergossen werden. Sie werden laut Service quasi gegart anstatt gekocht oder gebraten und behalten dadurch ihre krosse Konsistenz. Der geradezu schwebende Safranschaum (der für meine Begriffe zudem mit etwas Tomate veredelt wurde, aber ich kann mich täuschen) versteckt zudem ein paar Tropfen von fermentiertem schwarzem Knoblauch. Da dieser Einfall einmal mehr mit eher wenigen, aber dafür sehr hochwertigen Komponenten auskommt, ist es wichtig, den Eigengeschmack der Zutaten zu betonen und sie ins beste Licht zu rücken – eine Anforderung, der dieser Teller in Vollendung gerecht wird. So weht ein geradezu betörender Hauch von Mittelmeer durchs weihnachtliche Basel, der mich nahezu sprachlos macht: jede einzelne Komponente kommt zu ihrem Recht, punktet mit geschmacklicher Tiefe und ist einfach perfekt integriert. Exquisit!

Das fast schon spartanisch anmutende Hauptgericht setzt einmal mehr auf erlesene Produkte und bewährte Techniken am Rande der Perfektion. So wird Rehrücken aus der Steiermark tiefrot gebraten und selbstverständlich mit der klassischsten aller Wildsaucen, der Sauce Rouennaise, begleitet. Einmal mehr kommt die Winkler’sche Handschrift zur Geltung, denn die Intensität der kraftvollen Sauce findet in dem erdig-herben Geschmack des Fleischs ihre logische Entsprechung. Getoppt ist das Wild wie annonciert mit grünem Pfeffer, doch fraglos haben sich mehrerlei andere Sorten noch hinzugesellt, die daraus ein faszinierend komplexes Aroma an kraftvollen Gewürzen zaubern. Das gerät so hinreißend, dass man bereitwillig auf eine Begleitung sogar hätte verzichten können, doch neben Sellerie-Mousseline kommen auch Rahmwirsing, Texturen von Kürbis und ein Preiselbeergel dank tadelloser Umsetzung zu ihrem Recht. Ein paar säuerliche Akzente von toppender Johannisbeere runden den Hauptgang adäquat ab – ein kraftvolles Statement, ganz auf das Wild zugeschnitten und traumhaft gelungen.

Beim Pré-Dessert wagt die Küche in Sachen Optik erneut einen Ausreißer, doch auch bei den Zutaten scheint der oft postulierte Wunsch, mehr grüne (und damit vegetabile) Elemente in Desserts zu integrieren, eine Rolle gespielt zu haben. Freilich ist das Sorbet „nur“ von grünem Apfel (und damit offenkundig kein Gemüse), doch immerhin ist es recht komplex mit nicht weniger als fünf Kräutern gewürzt. Dank etwas cremigen Joghurts wird die leichte Säure balanciert aufgefangen, so dass unterm Strich diesmal ein etwas schlichterer, aber durchaus erfrischender und fraglos gelungener Einschub steht.

Wenn es überhaupt einen Bereich gibt, der – vorsichtig ausgedrückt – noch am ehesten Luft nach oben hat, dann betrifft er wohl die Pâtisserie, was sich auch darin manifestiert, dass bereits seit geraumer Zeit eine Stellenausschreibung für diese Disziplin auf der Homepage des Lokals eingestellt ist. Offenbar fehlt hier also noch eine Spitzenkraft von internationalem Renommée. Ich wünsche viel Glück bei der Suche und gebe mich bis dahin zufrieden mit dem Pralinen-Parfait, das mit kleinen Tropfen von Zitronengelée und einer karamellisierten Piemonteser Haselnuss umspielt wird. Diese dient zugleich als Stütze für die Zuckerstange von der Dicke eines Bindfadens – einer Spielerei von fragwürdigem Wert, aber sei’s drum. Weitere Texturen der Nuss auf dem Parfait können zwar den Eindruck einer recht simplen Konzeption nicht komplett entkräften, doch dank all der bisher gezeigten Tugenden (überragende Produktqualität, Klarheit in der Präsentation und schöne Balance) ist dieser Ausklang weit von einer Enttäuschung entfernt – kein Highlight, aber im Hinblick auf die kreative Umsetzung und durchaus unterschiedliche geschmackliche Intensitäten dennoch eine solide und würdige Vorstellung. Nach all den geradezu beängstigend guten Höhenflügen zuvor ist es zudem fast schon wohltuend zu sehen, dass sich auch im Cheval Blanc nicht jeder Teller in überirdischen Sphären bewegen kann!

Die Petits fours genießen hier möglicherweise nahezu unveränderlichen Charakter, da sie sich von den Ausklängen bei meinem letzten Besuch nicht unterscheiden. Ob nun Zufall oder nicht – sowohl das Schokoladen-Millefeuille als auch die Pralinen (links) rund um Yuzu, Kalamansi und Limette stellen ausgezeichnetes Naschwerk dar. Dagegen sind mir die Beiträge auf den Löffeln, die eine Passionsfruchtsphäre bzw. eine Schokoladencrème in den Mittelpunkt rücken, noch unbekannt: erwartungsgemäß gelingen auch sie ausgezeichnet, kommen sie doch mit recht wenig Zucker aus. Als vorweihnachtlichen, verführerischen Bonus offeriert man in einem Kästchen noch zusätzlich vier verschiedene Pralinen von Valrhona-Schokolade mit unterschiedlichen Füllungen und Kakaoanteil. Da fällt die Wahl nicht schwer, denn ich lasse mir natürlich eine von jeder Sorte reichen. So klingt ein launiger Nachmittag angemessen aus!

Die Art und Weise, wie Peter Knogl das kulinarische Flaggschiff des Luxushotels Les Trois Rois leitet, wirkt bisweilen so souverän und unangestrengt, dass man fast meinen könnte, es stünde gar keine große Kunst dahinter. Dass natürlich das exakte Gegenteil zutrifft, versteht sich wohl von selbst – man kann sich kaum ausmalen, wieviel Präzision, Erfahrung und Hingabe notwendig sind, um ein solches Menü umsetzen. Der hier praktizierte Küchenstil setzt voll und ganz auf nachhaltige und tiefe Beeindruckung anstatt auf vordergründige Effekte, deren Reiz sich meist ohnehin schnell abnutzt. Sämtliche Gerichte waren von einer genau ausgeloteten und wohltuenden Harmonie durchdrungen, ohne dabei jemals banal oder plakativ zu wirken. Allzu leicht könnte man den Eindruck gewinnen, dass die meist geringe Zahl an eingesetzten Produkten pro Gang eine die Kreativität einschränkende Selbstkasteiung darstellt; wer seinen Produkten indes derart viele überraschende geschmackliche Nuancen entlocken kann, der hat keine überfrachteten Teller nötig, die von etwaigen Schwächen ablenken müssten. Die Ausbildung bei Heinz Winkler hat selbstverständlich ihre Spuren im Schaffen des Grand Chefs hinterlassen (es wäre ja auch geradezu bedenklich, wenn dem nicht so wäre), doch eine eigene zeitgemäße Handschrift, die auf dezente Modernisierung bei gleichzeitiger Bewahrung typisch französischer Produkte und Techniken setzt, macht aus einem Besuch hier ein Erlebnis, das alles andere als epigonal wirkt. Speziell die fundierten Kenntnisse des Grand Chefs rund um exotische Gewürze werten die Kreationen mit einer ganz eigenen, individuellen Note auf. Dabei kann sich Peter Knogl jedoch jederzeit auf seine Küchenbrigade verlassen, die in atemberaubender Präzision und mit größter Verlässlichkeit ein ums andere Mal echte Meisterwerke aufs Geschirr zaubert.

Der formvollendete Service, der schon eingangs gebührend gelobt wurde, trug dank einer absolut untadeligen Leistung seinen Teil zum Gelingen dieses außergewöhnlichen Mittags bei. Mit einer praktisch perfekten Balance aus Nähe zum Gast einerseits und Diskretion andererseits gelang es den Mitarbeitern, sowohl mich als auch andere englischsprachige Gäste (von denen einige an diesem Nachmittag internationales Flair aus Hongkong oder Japan in das Lokal mitbrachten) sehr charmant auf dieser kulinarischen Reise zu begleiten. Dass sich zum Abschluss der Meister der Küche auch noch die Ehre gab, hatte ich wegen der Eindrücke vom letzten Besuch durchaus erwartet. Diesmal durfte ich gerade wegen des Ablebens von Heinz Winkler deutlich mehr Worte mit ihm wechseln, doch das gemeinsame Foto stellte fraglos die Krönung des Besuchs dar. Alles in allem hätte dieser Besuch kaum besser verlaufen können, weshalb ich diese imposante Leistung mit der Aufnahme des Lokals in meine Liste mit den besten Restaurantbesuchen aller Zeiten honorieren darf.

Dass es dieses Erlebnis – zumal bei den Eidgenossen – nicht gerade zum Schnäppchenpreis gibt, überrascht in diesem Zusammenhang wohl niemanden mehr. Die Mehrzahl der Gäste dürfte sich allerdings schwerlich unbedarft auf einen Besuch hier einlassen und sollte daher über die Preise im Vorfeld Bescheid wissen, zumal diese angesichts einer derart makellosen Darbietung auf beeindruckendem Weltklasseniveau vollkommen berechtigt erscheinen. Mag sein, dass dafür ein paar Sparmaßnahmen im Vorfeld nötig sein werden, aber meine nächste Stippvisite hier kann ich jedenfalls kaum erwarten – es lohnt sich definitiv.

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Cheval Blanc
Blumenrain 8
4001 Basel (Schweiz)
Tel.: 0041-61260-5007
www.chevalblancbasel.com/de

Guide Michelin 2022: ***
Gault&Millau 2022: 19 Punkte
FEINSCHMECKER 2022: 5 F

5-gängiges Mittagsmenü: CHF 260

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„Das Einfache ist das Schwierige.“ (Paul Bocuse)

Dezember 2019

Im Herzen der Baseler Altstadt, direkt am Rhein gelegen, befindet sich das noble Spitzenhotel Les Trois Rois, das von der Schweizer Ausgabe des Gault&Millau unlängst zum „Hotel des Jahres“ 2020 gekürt wurde. Doch damit nicht genug der Auszeichnungen: der Chefkoch des dort befindlichen Drei-Sterne-Restaurants Cheval Blanc, Peter Knogl, wurde zudem in der deutschen Ausgabe des G&M für das Jahr 2019 zum „besten deutschen Koch im Ausland“ ernannt. Nicht unerwähnt bleiben soll zudem, dass das Cheval Blanc auch vom FEINSCHMECKER zu einem der 100 besten Restaurants der Welt gezählt wird – reichlich Vorschusslorbeeren also, die es nun zu rechtfertigen gilt, da wir natürlich mehr als gespannt sind …

Weniger inspirierend ist die Anreise zum Hotel, da die verwinkelte Altstadt jede Menge Einbahnstraßen und Baustellen aufweist. Außerdem erhöhen Radfahrer mit riskanter Fahrweise und akuter Parkplatzmangel die Frustration abermals, so dass eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchaus anzuraten ist. Einmal angekommen, sieht es allerdings aus: durch die opulente, weihnachtlich geschmückte Lobby führt der Weg vorbei an dem eleganten Salon direkt zu dem etwas versteckten Gourmetrestaurant, das durchaus als feudal bezeichnet werden kann. Schwere Stühle und Vorhänge, Kristalllüster und Wandgemälde lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass hier ein klassisch geprägter Küchenstil gepflegt wird, der sich an den guten alten Prinzipien der französischen Haute Cuisine orientiert. Edles Silberbesteck, Wassergläser aus Kristall und der ausladende Blumenschmuck in der Mitte des Raums runden den Eindruck ab.

Vereinzeltes Abschweifen vom klassischen Pfad gibt es allerdings speziell zu Beginn: ich staune nämlich nicht schlecht, was mir Maître Giuseppe Giliberti, nachdem ich einen alkoholfreien Apéritif verlange, empfiehlt: eine Spezialität der Bar gegenüber, die aus Popcornsirup auf Eis besteht und mit einem Schuss Limette veredelt wird. Als die Kupfertasse mit etwas Popcorn obenauf an den Tisch kommt, wirkt das in diesem Ambiente mehr als seltsam. Geschmeckt hat es allerdings superb, und dass man hier nicht mit der Zeit gehen würde, kann nun auch keiner mehr behaupten!

Ebenfalls recht modern geraten auch die Petitessen zu Beginn: ein Süppchen mit Jalapeño-Schaum, Carabinero und Tomate ist ein herzhaft intensiver Aromen-Flash, der bestens abgeschmeckt ist und beweist, dass die Küche auch modernere Akzente gekonnt zu setzen versteht.

Selbiges gilt auch für den Reiscracker mit Taschenkrebs und Vadouvan sowie ein Rote-Bete-Macaron mit Wasabi, der unbeschreiblich schmelzig gerät. In Summe ein kleiner, aber großartiger Einstieg, der im Gegensatz zum folgenden Menü allerdings nicht sehr französisch gerät.

Die Brotauswahl (kein Foto) dagegen könnte nicht klassischer sein: gesalzene Butter und vier verschiedene Brotsorten von überragender Qualität (Baguette, Olive, Tomate und Buchweizen). Auf keinen Fall darauf verzichten!

Wir entscheiden uns für das dreigängige Mittagsmenü samt Käse vom Wagen für 150 Schweizer Franken – ein nicht gerade günstiger Preis (zumal auch die Nebenkosten im oberen Drittel angesiedelt sind), doch überrascht sind wir nicht, denn die Schweiz ist ja nicht gerade als Sparparadies bekannt. Außerdem werden der aufmerksame Service, die großartige Küche und die tolle Lage direkt am Rhein den geforderten Preis durchaus rechtfertigen. Hungrige Gäste können übrigens auch mittags das volle Abendmenü zum Preis von CHF 250 wählen, so dass lange Wartezeiten auf einen freien Tisch am Abend durchaus vermieden werden können, wenn man unbedingt hier speisen möchte.

Den Einstieg ins Menü bildet eine Gänseleberterrine mit Feigenconfit und Earl Grey. Das sparsam portionierte Gericht hätte nicht kleiner ausfallen dürfen, doch die makellose Zubereitung verdeutlicht andererseits, dass großartige Produktqualität und Zubereitung eben nicht viel Masse und schon gar kein Chichi braucht. Die sorgsamst abgeschmeckten Bergamotte-Aromen und die genau richtig dosierte Menge an Confit machen aus diesem Gang sicherlich keinen Aufreger, aber dafür ein Lehrbeispiel an französischen Tugenden: Klarheit, Ausgewogenheit und Eleganz in Reinkultur. Abgerundet wird der Teller natürlich mit einem mustergültigen Brioche – Bocuse hätte hier sicherlich auch seinen Respekt gezollt.

Einen Höhepunkt ihrer Schaffenskraft erreicht die Küche beim mediterran anmutenden Hauptgericht: Bar de ligne (Wolfsbarsch) mit Chorizo, Gurkengel und Pomerlot-Kartoffeln. Der zur Perfektion gegarte Fisch badet in einem opulenten, aufgeschäumten Sud mit Paprika-Aromen von der Chorizo, die außerdem in winzigen frittierten Würfeln den Fisch toppt. Womit die Küche dem unbeschreiblich guten Sud den ganz leicht säuerlichen, aristokratischen Touch verleiht, konnte oder wollte uns der Service nicht sagen – Küchengeheimnis eben! Die weiteren Begleiter halten sich dezent zurück und überlassen Fisch und Sud ganz die Bühne. Das überaus puristisch präsentierte Gericht kommt ohne abgehobene Attitüde daher, wirkt völlig unverkrampft und überzeugt dennoch auf ganzer Linie – das beste (Fisch-)Hauptgericht seit Ewigkeiten! Umwerfend!

Nach dem Käsegang (der Christofle-Käsewagen ist mit gut und gerne drei Dutzend Sorten bestückt) gerät das Dessert abermals zu einem Lehrbeispiel für klassische Tugenden: was bescheiden als Schokolade und Yuzu annonciert wird, erweist sich auf dem Teller als ein Yuzu-Sorbet, das eine ansonsten länglich gehaltene Art von Praline begleitet, die gekonnt mit allen nur denkbaren Varianten von Schokolade (ich tippe auf Valrhona) spielt: auf einem Mürbteigboden wird eine leicht säuerliche, vermutlich ebenfalls mit Yuzu aromatisierte Füllung mit halbflüssiger Schokolade ummantelt. Auf diesem Fundament tummeln sich dann Ganache, Luftschokolade und ein paar weitere schwer zu identifizierende Texturen. Mengenmäßig hätte es gerne auch etwas mehr davon sein dürfen – was aber an dem prinzipiellen Urteil eines sehr gelungenen Desserts nichts änderte.

Abgerundet wurde dieser Eindruck von den Petits fours, die aus vier verschiedenen Beiträgen bestanden: drei davon paarten eine leichte Käsecreme auf originelle Weise jeweils mit Limette, Yuzu und Kalamansi. Die vierte Petitesse war die Krönung: ein Schokoladen-Millefeuille mit unglaublich diffizilem Geschmacksbild – hier zog die Patisserie nochmals alle Register ihres Könnens!

Zum Eindruck eines weitgehend klassisch geprägten, aber überaus gelungenen Nachmittags trug auch der Service rund um Maître Giuseppe Giliberti bei, der mit ganz unverfälschtem Charme und der richtigen Dosis an Ungezwungenheit bei uns punkten konnte. Der Rest der Brigade agiert – wie man es in einem solchen Lokal vielleicht erwarten muss – etwas förmlicher, ohne dabei aber distanziert zu wirken. Christoph Kokemoor, der Sommelier des Hauses, ist eine weitere Trumpfkarte im Gesamtkunstwerk Cheval Blanc, da er nicht nur Weine, sondern auch beispielsweise einen vorzüglichen Birnensaft zum Käsegang treffsicher und kompetent empfehlen konnte.

Um es vorwegzunehmen: für eine umfassende Einschätzung der Küchenleistung war das Mittagsmenü einfach zu kurz. Dennoch bleibt festzuhalten, dass das Gebotene an diesem Nachmittag ohne Weiteres das Prädikat der Weltklasse entweder bestätigte oder zumindest deutlich erahnen ließ – wenn auch der Gänselebergang vielleicht nicht die allerhöchsten Anforderungen stellte und ähnlich gute Gerichte auch in weniger hochdekorierten Restaurants bereits auf superbem Niveau zu haben sind (ich denke speziell an den Beitrag aus dem AMMOLITE in Rust vor einigen Wochen). Dennoch: sämtliche Kreationen wurden in puristischer Klarheit, mit unverfälschtem Geschmack und hinreißender Balance präsentiert, wobei die Liebe zum Detail gerade beim Chorizo-Sud unglaublich beeindruckte. Die unverkennbar französische Stilistik mit gelegentlichen Anleihen aus anderen Kulturen wird zeitgemäß und souverän präsentiert, so dass die Urteile der anderen Guides für uns absolut nachvollziehbar waren. Das seit 2016 mit drei Sternen ausgezeichnete Lokal ist nur eines von insgesamt drei in der Schweiz und hat auch in allen anderen Guides Höchstwertungen aufzuweisen. Hauptsächlich ist dies das Verdienst des aus Niederbayern stammenden Kochs Peter Knogl, der das Lokal seit seiner Übernahme binnen etwas mehr als zehn Jahren zu einer Weltklasseadresse geformt hat. Bei meinen Recherchen entdeckte ich, dass der legendäre Heinz Winkler einer seiner Lehrmeister war – was an der Qualität des Chorizo-Suds deutlich erkennbar ist. Ganz am Ende erschien Herr Knogl selbst noch rasch an den Tischen, ließ sich dabei aber nur in aller Kürze von den Gästen bestätigen, dass alles bestens gewesen wäre und enteilte dann flugs wieder in seine Küche. Ob der Grand Chef an diesem Tag einfach kurz angebunden war oder eher zu den zurückgezogenen Vertretern seiner Zunft zählt, wollen wir dabei nicht weiter thematisieren.

An meinem Fazit ändert es jedenfalls ohnehin nichts: beim nächsten Besuch wird es definitiv das volle Menü sein, denn solche Qualität verdient auch eine entsprechende Würdigung! Weltklasse im beschaulichen Basel – darauf kann man hier mit Recht wirklich stolz sein.

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

Cheval Blanc
Blumenrain 8
4001 Basel (Schweiz)
Tel.: 0041-61260-5007
www.chevalblancbasel.com/de

Guide Michelin 2019: ***
Gault&Millau 2020: 19 Punkte
FEINSCHMECKER 2020: 5 F

3-gängiges Mittagsmenü: CHF 150