Victor’s Fine Dining***, Perl-Nennig (UPDATE)

„Das Höchste und Edelste aber dem Zufall zuzuschreiben, wäre doch gar zu verfehlt.“ (Aristoteles)

UPDATE (Dezember 2024)

Zum Jahresausklang habe ich es auf meine Weise ordentlich krachen lassen und gerade noch so vor Toresschluss die Gelegenheit ergriffen, den mir für jedes Jahr fest vorgenommenen Besuch bei Christian Bau in die Tat umsetzen. Durch das Vorziehen dieses Berichts lasse ich auch das alte Jahr mit einem echten Knaller von einer Rezension zu Ende gehen – wenngleich es natürlich schon im Voraus reichlich Gründe zur Annahme gab, dass einmal mehr eine Weltklasseleistung am Ende dieses Besuches zu verzeichnen wäre. Die Flut an Auszeichnungen für Christian Bau nimmt schließlich kein Ende: so wurde sein Restaurant im renommierten französischen Ranking La Liste für das kommende Jahr 2025 mit der zweithöchsten Punktzahl bedacht, was in der Praxis bedeutet, dass weltweit ganze acht Lokale – darunter übrigens die Schwarzwaldstube – höher bewertet worden sind. Außerdem durfte Christian Bau vor ziemlich genau einem Jahr im Rahmen der Verleihung der Walter-Scheel-Medaille an die Kochlegende Alain Ducasse im Palais Beauharnais zu Paris (dem Sitz des deutschen Botschafters) die Veranstaltung zusammen mit zwei seiner geschätzten Kollegen, nämlich Martin Fauster und Max Strohe, sowie deren Teams in den kulinarischen Olymp heben – fraglos eine unvergleichliche Ehre, aber auch eine immens anspruchsvolle Aufgabe vor illustrem und handverlesenem Fachpublikum. Eine in diesem Zusammenhang entstandene und sehr sehenswerte Produktion des Saarländischen Rundfunks kann auf einem bekannten Videoportal eingesehen werden, wobei diese Dokumentation nicht nur den Festakt und die umfangreichen Vorbereitungen zeigt, sondern auch den Menschen Christian Bau facettenreich portraitiert. Dabei kommt der Meister selbst genauso ausführlich zu Wort wie Familienmitglieder, Mitarbeiter und langjährige Weggefährten wie etwa der von Christian Bau überaus geschätzte Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann.

Zurück zur Gegenwart: an diesem neblig-kalten Wintertag bieten die reifbehangenen Weinberge entlang der Mosel einen recht ungewohnten und tristen Anblick, doch meine Vorfreude vermag das nicht im Mindesten zu trüben – viel zu souverän und konstant ruft Christian Bau seit Jahren exorbitant gute Leistungen ohne erkennbaren Verschleiß ab. Das bedeutet freilich nicht, dass man sich hier ausschließlich auf Bewährtes verlassen würde; ganz im Gegenteil werden selbst recht aktuelle Errungenschaften schon kurz darauf wieder hinterfragt. Regelmäßige Besucher werden beispielsweise beobachtet haben, dass die Speisekarte in ihrer reinen Form keinerlei Fleischgerichte mehr enthält, sondern nur bei Bedarf kostenpflichtige Supplements bereit hält. Bezeichnend erscheint auch, dass immer wieder zusätzliche Upgrades von Gerichten aus der Menüfolge auf der Karte stehen – nämlich meistens dann, wenn es dem kompromisslosen Produktfanatiker Christian Bau einmal mehr gelungen ist, seinem ohnehin schon höchst bemerkenswerten Repertoire an Spitzenprodukten ein weiteres Juwel hinzuzufügen. Mein aktueller Besuch stellte dabei keine Ausnahme in dieser Entwicklung dar, denn mit der Entdeckung des speziellen Kaviars für den zweiten Gang (siehe unten für weitere Details) tritt er den eindrucksvollen Beweis an, dass für ihn die Suche nach den allerbesten Produkten praktisch ein endloses und nie abgeschlossenes Unterfangen bleiben wird. So oder so dürfen wir getrost festhalten, dass ein Nachlassen anders aussieht!

Mit edelsten Produkten allein ist es freilich nicht getan, denn beständige Höchstnoten in allen bedeutenden Gastroguides erlangt man natürlich nur mit größter Kreativität, absolut makellosem Handwerk und einer unverwechselbaren Handschrift. Wer öfters im Schloss Berg einkehrt, wird jedoch problemlos bestätigen können, dass alle diese Vorzüge nicht nur erfüllt sind, sondern sich seit Jahren auf einem nahezu beispiellosen Niveau bewegen. Folgerichtig sehen nicht wenige Kenner der Szene (einschließlich meiner Wenigkeit) in Christian Bau den unangefochten besten Koch der Bundesrepublik. In seinen Kolumnen für die Welt am Sonntag hebt er allerdings immer wieder die Leistungen seiner Kollegen lobend hervor und lässt keinerlei Starallüren erkennen: das macht den Menschen Christian Bau so interessant, vielschichtig und wohl auch verletzlich.

Ich treffe diesmal etwas verfrüht ein, wobei man mich nicht in der Kälte stehen lässt: ich werde von Gastgeber Thomek Martin in Empfang genommen und in eine Art neugestaltete Lounge geführt, die früher offenbar eine kleine Kapelle darstellte. Schon bald darauf nimmt sich die Rückkehrerin und Sommelière Nina Mann, die von der Babypause wieder zurück ist, meiner an und heißt mich sogleich willkommen. Nach einigen Minuten mit dem ersten Glas Wasser vorab ist es dann soweit: ich werde vorbei am ebenfalls etwas umgestalteten Foyer an meinen Tisch geleitet und kann wie immer die kommenden Stunden kaum erwarten. Los geht es zunächst mit einem warmen Erfrischungstuch mit Zitrusaromen – ein willkommenes Detail an diesem ungemütlich kalten Tag. Zum Apéritif lasse ich mir, einer Gewohnheit folgend, den liebgewonnen Tonic mit Yuzu und Hibiskus kredenzen, wonach das erste Apéro schon bald aufgetragen wird.

Die Mehrzahl der weniger hochdekorierten Chefs bevorzugt in der Regel ein sanftes Hineingleiten ins Menü oder zumindest eine dramaturgische Steigerung bis zu einem ersten Amuse – nicht so bei Christian Bau, der schon mit dem allerersten Apéro die Messlatte in schwindelerregende Höhen hängt: zwar ist der Okinawa-Sud schlicht und damit scheinbar harmlos gehalten, aber in Wirklichkeit könnte die heiße Essenz auf Basis von Kokosmilch mit Zitronengras und Koriander kaum besser abgeschmeckt oder seidiger von der Konsistenz her sein. Es sei übrigens angemerkt, dass manche der noblen Petitessen auf dem Präsentierteller am Platz des Gastes abgestellt werden – dieser ist mit zwei gewölbten Handflächen bedruckt, aus denen man nur allzu gerne symbolisch die herausragenden Einstimmungen entgegennimmt!

Falls einem Gast der einleitende Sud unberechtigterweise zu simpel erschienen sein mag, dann dürfte dieser spätestens beim zweiten Teil (!) des ersten Apéros bekehrt sein: die mit gezupftem Taschenkrebstatar gefüllte Croustade ist mit der japanischen Würzsauce Tosazu abgeschmeckt und wartet neben dem Kaviar mit Texturen von Avocado, darunter auch ein Gelée, auf. Machen wir es kurz: eine derart große Fülle an Aromen so gedrängt und doch transparent in Szene zu setzen, erfordert höchste Kunst und große geistige Durchdringung, die mich sprachlos macht.

Tartelettes haben sich in den letzten Jahren zu einer bevorzugten Präsentationsform bei Christian Bau entwickelt, bieten sie doch die Möglichkeit, eine Fülle an Produkten je nach Bedarf variabel zu portionieren und dabei optisch ansprechend unterzubringen. Diese Eingebung, die ich vor zwei Jahren schon einmal verkosten durfte und gerne wieder genieße, besteht aus Lachsbauch mit Ceta-Kaviar, Myoga (japanischer Ingwer), Katsuobushi (getrockneter Bonito), Edamame und Zwiebel – alles in makelloser Frische und feinster Balance, ganz zu schweigen von der unvergleichlichen Mundfülle beim Verzehr.

Die nächste Petitesse ist eine Hommage an den baskischen Ausnahmekoch Martín Berasategui, der im Gegensatz zu seinen avantgardistischen Kollegen in der Region auf einem erkennbar französischen Fundament kocht. Anno 1993 ersann er eine bestimmte Kombination von Produkten, die Aufsehen erregte und inzwischen als eine klassische Allianz gelten darf: wann immer Gänseleber mit grünem Apfel und Aal (Unagi) gepaart wird, denken Connaisseure sofort an Berasateguis ikonisches Gericht, welches bis heute ununterbrochen auf seiner Speisekarte im baskischen Lasarte-Oria steht. In der saarländischen Variante drapiert die Küche auf einem Apfelmacaron eine hauchdünne Schicht von Aal und darüber die Foie gras, wobei kleine Stifte und Gel von grünem Apfel auf einer Teigblume das Türmchen würdig komplettieren. Macaron, Aal und Foie zergehen allesamt mit unvergleichlichem Schmelz auf der Zunge und erweisen sich als würdige Referenz an den Meister aus San Sebastian – derzeit übrigens eine der attraktivsten Städte für Foodies weltweit.

Das Knusperröllchen mit Räucherfisch und Crème fraîche geht in seiner Schlichtheit einen wohltuenden Kontrast zu den komplexen Alternativen ein, doch belanglose oder nichtssagende Einfälle sucht man bei Christian Bau vergebens. Trotz aller vermeintlichen Einfachheit habe ich diese an sich sattsam bekannte Kombination noch nicht besser umgesetzt erlebt: vor allem die sorgsam dosierte Salinität macht den Unterschied aus.

Mit dem letzten Häppchen, das symbolisch (und wie eine Woche zuvor bei Christoph Rainer im IKIGAI auf Schloss Elmau) auf einer Wasabireibe präsentiert wird, zieht die Küche nochmals sämtliche Register ihres Könnens: die Nori-Tartelette stellt das fettarme Akami (Bauch) vom Thunfisch in den Mittelpunkt, das mit Kaviar und Daikon adäquat begleitet wird. Die präzise ausgetüftelte Balance aller Komponenten bei gleichzeitig größtmöglicher geschmacklicher Tiefe beeindruckt mich am meisten, zumal das Niveau der gesamten Parade einmal mehr exorbitant hoch angesiedelt ist. Die Weltklasse wird allen Gästen zur Erinnerung in aller Deutlichkeit vor Augen – pardon, an den Gaumen – geführt. Machen wir uns nichts vor: aus diesen Händen hat man bereits nach den ersten fünf Apéros derart viel an unermesslicher Freude empfangen dürfen wie anderswo bisweilen nicht in einem ganzen Menü! Einfach atemberaubend!

Erst jetzt bekommt man die Speisekarte mit dem Menü Paris-Tokio gereicht, dessen Namensgebung die geniale franko-japanische Liaison andeutet, die den unverwechselbaren Küchenstil des Chefs seit fast 20 Jahren ausmacht. Neben einigen Supplements beinhaltet diese die Möglichkeit, die Menüfolge um einen Gang zu verkürzen bzw. ein Kaviar-Upgrade beim zweiten Gang zu wählen. Ich entscheide mich letztlich für einen Gang weniger und wähle dafür besagte Aufwertung zum Preis von insgesamt € 313, wobei seit gut einem Jahr € 250 davon bei der Reservierung angezahlt werden müssen, weil dem Lokal durch die leidigen No-shows enorme wirtschaftliche Schäden entstanden waren.

Eingeleitet wird das Menü wie schon beim letzten Ma(h)l mit einer Auster, doch eine bloße Wiederholung vom Vorjahr liegt dem Meister natürlich fern: diesmal wählt er die wenig bekannte bretonische Kys-Auster, pochiert diese sanft bei 42 Grad und lässt sie leichtfüßig von geeisten Austernperlen, Champagnerschaum und Gurke (als Relish, Eis und Röllchen) begleiten. Gebettet ist die Komposition auf einer Holunderblütenvinaigrette, die mit dezenter Fruchtigkeit das unwahrscheinlich vielfältige und und hochvirtuos zusammengesetzte Gericht untermalt. Als optimale Ergänzung der jodigen Meeresaromatik dient erneut etwas Kaviar – et voilà, fertig ist ein herbes Meisterwerk von vorzüglicher Frische, das auch von der variablen Temperierung lebt. Dazu reicht man noch zur Abrundung stilecht die typisch japanischen Furikake-Chips. Umwerfend!

Längst ist bekannt, dass auch erfahrenere Gourmets in diesem Lokal zwischen den malerischen Moselweinbergen immer wieder mit neuen Produkten konfrontiert werden – so erging es mir jedenfalls bei japanischer Buri. Es handelt sich dabei um Gelbflossenmakrele, allerdings mit dem Unterschied, dass diese ausgewachsen ist und im Gegensatz zu ihrer wesentlich bekannteren kleinen Schwester, der Hamachi, länger reifen kann. Die letztgenannte Variante ist einfach deshalb weitaus häufiger anzutreffen, weil die gezüchteten Varianten aus natürlichen Gründen oft nicht ihre volle Größe erreichen oder aus wirtschaftlichen Gründen frühzeitig verkauft werden, während die großen Exemplare frei im Meer schwimmen dürfen.
Den als Sashimi präsentierten Fisch platziert die Küchencrew auf einer bekömmlichen, aber durchaus körperbetonten Vinaigrette von Dashi und dreierlei Algen (Kombu, Wakame und Nori), die zusätzlich mit Mirin und Ingwer abgeschmeckt wurde – ein enormer Aufwand. Die nicht minder aufwendige Begleitung besteht aus Auster, Yuzueis, Avoadocrème, Furikake, Rettich und dem eingangs erwähnten neuen Produkt im Portfolio der Küche. Dabei handelt es sich um den höchst bemerkenswerten Ossietra Gold Kaviar „Private Selection Christian Bau“, der auch auf den Social-Media-Kanälen des Lokals vorgestellt wurde und beim durchaus nicht so leicht zu begeisternden Chef das Herz höher schlagen ließ. Durch die weniger körnige Struktur entfaltet dieser einen unnachahmlichen Schmelz, der zudem weniger salzig als gewohnt wirkt, sondern mit leicht nussigen Aromen überrascht. 12 Gramm des Upgrades kosten € 28, aber diese Erfahrung war es allemal wert, zumal das Luxusprodukt vollendet in die Komposition eingebettet ist. In Summe gerät dieser Teller zu einer genuinen Sternstunde, die einer anderen Sphäre entsprungen zu sein scheint – zum Niederknien.

Die erst jetzt gereichte und aus Sauerteigbrot sowie Vollkornbrot bestehende Auswahl kommt mit französischer Butter samt Togarasahi (japanischer Pfeffer) und einem Aufstrich auf Basis von aufgeschlagener Sojasauce an den Tisch – unverändert gut.

Als nächstes reicht man zu meiner großen Überraschung Jakobsmuschel, obwohl ich auf diesen Gang doch eigentlich verzichtet hatte?! Schelmisch kommentiert der Maître, dass noch etwas Alba-Trüffel in der Küche übrig war, der „weg musste“ und er mich hoffentlich mit dieser kleinen Aufmerksamkeit nicht unangenehm überrascht habe. Meine Enttäuschung hält sich spürbar in Grenzen, denn die prachtvolle Coquille aus dem normannischen Dieppe ist nach dem knappen Braten nicht nur von wunderbar festfleischiger Konsistenz, sondern auch würdig umspielt mit Topinambur-Strukturen und dem „überschüssigen“ Alba-Trüffel. welcher einen vorzüglichen Begleiter darstellt. Überraschend harmonisch fügt sich auch ein kleines Türmchen von sorgsam dosierter Entenleber (unten rechts) ein, doch perfekt abgerundet wird der Teller erst von dem mit Vin Jaune veredelten Katsuobushi-Sud, der eine bemerkenswerte Alternative zu einer klassischen Beurre Blanc darstellt. Nach dem Verzehr lasse ich den Service scherzhaft wissen, dass mich dieser Gang nicht nur unangenehm überrascht, sondern regelrecht traumatisiert hat! Spaß beiseite: fraglos ein sagenhaftes und wunderbar harmonisches Meisterwerk, dessen goldener Farbton den glänzenden Ausnahmerang schon würdig anzudeuten scheint!

Vor der Fortsetzung des Menüs werde ich allerdings wirklich überrumpelt, denn die beiden Gäste am Nebentisch haben mich offenbar schon zu Beginn erkannt, sprechen mich unvermittelt an und lassen mich wissen, dass von sie meinen Blog wissen und regelmäßige Leser seien. Sie stammen aus dem nördlichen Baden und kennen sich, wie ich rasch feststelle, offenbar insbesondere bei den Spitzenadressen in Karlsruhe, Mannheim und im nördlichen Elsass bestens aus.

Nach diesem Intermezzo folgt ein rares, aber immer wieder gern gesehenes Produkt: blauer Hummer findet sich nämlich vergleichsweise selten auf der Speisekarte im Victor’s Fine Dining, denn gemäß einer Information des Service scheint es – ähnlich wie bei Weinen – bessere und schlechtere Jahrgänge bezüglich der Qualität zu geben. Das zu Ende gehende Jahr gehörte wie sein Vorgänger offenbar zu den besten seit langer Zeit, weshalb heuer der rigorose Anspruch des Chefs nach dem Vorjahr erneut erfüllt werden konnte und somit eines seiner erklärten Lieblingsprodukte den Weg auf den Teller fand: das in Butter pochierte und im Ganzen auf Binchotan gegrillte Krustentier ist relativ zurückhaltend von zweierlei Zucchini, Edamame und Okraschoten begleitet. Mehr braucht es indes kaum, denn die mustergültige Konsistenz des Hummers spricht für sich, wobei die begleitende Jus und insbesondere die mit Miso verfeinerte Krustentier-Hollandaise ein kaum zu unterschätzendes Detail darstellen. Die zur beliebigen Dosierung in einem separaten Schälchen gereichte Hollandaise ist erwartungsgemäß leicht säuerlich und herrlich nussig im Abgang – die übriggebliebene Menge löffle ich hemmungslos aus, denn die Sauce ist unbeschreiblich sämig und von umwerfendem Geschmack.

Da selbst beim Hauptgang inzwischen auf Fleisch verzichtet wird, tritt als würdiger Ersatz an dessen Stelle Atlantik-Steinbutt, der nach der Ike-Jime-Methode geschlachtet wurde. Das saftstrotzende, in Butter gebratene Exemplar ist auf gedämpftem Spinat gebettet und mit jungem Lauch, Artischocke, frittierter Kombualge sowie Ochsenmark belegt. Die Beurre Rouge auf Kojibasis wurde, wie der Name schon verrät, mit Rotwein veredelt und stellt ein kraftvolles Fundament für den optimal gegarten Hauptdarsteller dar – vielleicht weniger spektakulär als so manches andere an diesem Tag, aber ohne jeden Zweifel genauso gelungen.

Die Überleitung zum süßen Abschluss stellt ein dekonstruierter Mojito dar, der aus den drei archetypischen Komponenten besteht: das Sorbet der Extraklasse besteht aus Minze und ist mit einer winzigen kandierten Scheibe aus dem selben Produkt belegt. Umspielt wird es von Gelée aus weißem Rum und Variationen von Limette, beispielsweise als Schaum oder schmaler Streifen ganz oben. Die klare Struktur und das bestechend gute Handwerk heben das optisch etwas harmlos anmutende, doch sehr erfrischende Dessert spielend leicht auf ein Level, mit dem nur die wenigsten mithalten können. Sehr winterlich ist das zwar nicht, aber als saisonal kann man die hier gezeigte Küchenstilistik ohnehin kaum bezeichnen.

Es scheint noch mehr Alba-Trüffel übriggeblieben zu sein, denn vor dem Hauptdessert überrascht mich die Küche zum wiederholten Mal mit einem Einschub, der nicht auf der Karte annonciert ist. Dabei genügen dem Gast schon ein eindringlicher olfaktorischer Moment sowie ein kurzer Blick, um zu erkennen, dass ein Dessert kaum luxuriöser sein kann: auf dem mit Miso verfeinerten, geradezu dekadent schmelzigen Trüffeleis ist eine Rose aus weißem Trüffel drapiert. Kongenial fügt sich auch die Sauce aus piemontesischen Haselnüssen ein, die dank der Verfeinerung mit Miso eine ganz leichte Aromatik von dunkler Schokolade zu entfalten scheint. Herber Genuss und purer Luxus – ohne Worte!

Einige der hier zelebrierten Desserts wollen gewiss nicht Trendsetter für modische Tendenzen sein, denn wo allerbeste Produkte auf exzellentes Handwerk treffen, braucht es nicht immer um jeden Preis grüne Elemente oder sonstige kreative Verrenkungen, nur um Aufmerksamkeit zu generieren. Ein schönes Beispiel dafür liefert das Gâteau von Equatorial-Schokolade mit exotischen Früchten und Sorbet von Guave. Der genauso im Wortlaut annoncierte Ausklang erfindet das Rad gewiss nicht neu, sondern definiert sich stattdessen über unerhörte Präzision in jedem Detail, vollendete Harmonie in den Proportionen und opulente Schokolade. Großartig!

Während die Petits fours aufgetragen werden, vertiefe ich mich zum Abschluss nochmals in ein Gespräch mit den Gästen am Nebentisch, was erklären soll, warum das Eis auf dem Foto bereits leicht geschmolzen ist – das ist ausdrücklich nicht die Schuld des Service! So oder so setzt auch das Finale Maßstäbe: sei es nun Snickers als Eiscrème, …

… Tarte au chocolat, Fruchtgelée und Marshmallow von Mikan (japan. Mandarine), …

… Okinawa-Mango und japanische Melone …

… oder dreierlei Pralinen (Erdnuss-Yuzu, Kokos mit Ananas und Passionsfrucht sowie Bitterschokolade-Olive) und das Macaron aus Azukibohnen.

Trotz seiner Randlage in Deutschland ist Schloss Berg seit vielen Jahren ein unvergleichlicher kulinarischer Wallfahrtsort, woran sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern dürfte: zu konstant, zu verlässlich und zu virtuos agiert der Herdzauberer Christian Bau, als dass sich eine Reise hierher mal nicht lohnen sollte. Die Kreationen sind stets minutiös durchdrungen, die Teller grundsätzlich mit Produkten allerbester Güte belegt und das Handwerk so tadellos wie man es sich nur wünschen kann. Christian Bau fordert von sich selbst wie seinen Mitarbeitern gleichermaßen höchste Konzentration und bedingungslose Hingabe ein, denn anders sind solche artistischen Höhenflüge nicht zu bewerkstelligen – im Gegenzug ist ihm der Dank seiner Gäste gewiss. Noch erstaunlicher erscheint, dass Christian Bau 2025 diese kraftraubende Arbeit im nunmehr zwanzigsten Jahr mit drei Michelin-Sternen angehen wird – allerhöchsten Respekt!

Viel ist bereits über dieses kulinarische Schlaraffenland geschrieben und gesagt worden, doch sei bei dieser Gelegenheit auch nochmals auf die immens wichtige Bedeutung der Servicetruppe hingewiesen. Unter dem Dirigat von Nina Mann und Thomek Martin erlaubt sich die aufmerksame, präzise agierende Servicebrigade nicht nur keine Fehler, sondern reüssiert auch darin, auf die jeweilige Befindlichkeit des Gastes einzugehen und den Beweis anzutreten, dass für die von Ignoranten immer wieder monierte angebliche Steifheit in solchen Lokalen keinerlei Platz ist. Speisen auf höchstem Niveau in angemessenem, recht lockeren Ambiente entspricht dem Zeitgeist und wird hier vollendet vorgelebt. Alle Servicekräfte können bei Bedarf Informationen zu diesem oder jenem Teller liefern und zeigen sich auch in anderen Fragen auskunftsfreudig, wenn es wie in meinem Fall beispielsweise um weitere Details im Zusammenhang mit dem Event rund um Alain Ducasse ging. Die exzellente Weinkarte und die punktgenauen Empfehlungen von Nina Mann erlauben es zudem jedem Gast, nach seiner Façon glücklich zu werden, zumal sich die Nebenkosten im gewöhnlichen Rahmen für einen Dreisterner bewegen.

Einer der bekanntesten Leitsätze von Christian Baus Credo lautet: „Wir wollen Menschen mit unserer Arbeit glücklich machen.“ Es gelingt ihm jedes Mal aufs Neue, weshalb wir uns glücklich schätzen und demütig zeigen sollten, dass wir einen solchen Koch hier in Deutschland haben. Das muss man einfach erlebt haben.

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Victor’s Fine Dining
Schloßstraße 27-29
66706 Perl-Nennig
Tel.: 06866/79118
www.victors-fine-dining.de

Guide Michelin 2024: ***
Gault&Millau 2024: 5+ Toques
GUSTO 2025: 10 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2025: 5 F

Menü „Paris-Tokyo“ (6 Gänge mit Kaviar-Upgrade): € 313

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„Das vollkommene Glück ist unbekannt. Für den Menschen ist es nicht geschaffen.“ (Voltaire)

UPDATE (September 2023)

Das Victor’s Fine Dining gehört seit geraumer Zeit und ohne jeden Zweifel zu den weltbesten Adressen. Seit Christian Bau vor 15 Jahren seine zunächst auf den Grundfesten der französischen Klassik basierende Küche signifikant um japanische Elemente erweiterte und diesen Stil inzwischen längst zu einer unverwechselbaren Fusion geführt hat, möchte man diesen Hort des Hochgenusses nicht mehr missen. Angeführt wird das Lokal von einem schlagkräftigen Team, das in allen Bereichen erstklassig aufgestellt ist: neben dem Meister höchstselbst wären hier Restaurantleiter Felix Kress, Sommelier Ryan Duffy, Pâtissière Wiebke Heger und Souschefin Sarah Hackenberg zu nennen, die übrigens seit kurzem Christian Baus Ehefrau ist und nun Sarah Bau heißt. Zudem gilt sie als eines der größten Talente in Deutschland auf diesem Posten.

Ansonsten hat man in den letzten Jahren den Eindruck gewonnen, dass das offenbar immer noch nicht abgeschlossene Streben nach Kaiseki, dem japanischen Begriff für das reine Empfinden von Perfektion, in Form von minutiösen Änderungen fortgesetzt wird. Es ist wohl kaum vermessen, Christian Bau als einen im positivsten Sinne getriebenen Koch zu bezeichnen, der sich dieses Ziel derart nachhaltig und aus Überzeugung auf die Fahnen geschrieben hat, dass keinerlei Stillstand oder gar Rückschritt zu erwarten ist. Folgerichtig wird er fortan auf Fleisch, das in seinen Menüs meist eh nur eine untergeordnete Rolle spielte, als obligaten Teil seiner Menüfolge ganz verzichten und dieses nur noch als Zusatzoption offerieren – wobei freilich auch dann mit Miyazaki-Beef und Kagoshima-Rind gerechnet werden darf.

Den Apéritif, bestehend aus dem alkoholfreien Cocktail aus Hibiskus, Tonic und Yuzu, kenne ich zwar noch vom letzten Besuch, doch dank fruchtig-herber Noten stellt er einen idealen flüssigen Einstieg auf der Terrasse an diesem warmen, spätsommerlichen Sonntag dar. Bereits hier bestelle ich das große (und praktisch ohnehin alternativlose) Menü Paris-Tokyo zu € 328 und kaum es erwarten, mit welchen kulinarischen Höhenflügen mich das Menü diesmal verzaubern wird. Jedenfalls wird die Messlatte wie so oft mit den ersten fünf Apéros in derart astronomische Höhen gehängt, dass weniger versierte Köche schon bald einsehen müssten, an dem selbst gesteckten Ziel zu scheitern. Christian Bau kann seine außergewöhnlichen Fähigkeiten jedoch absolut realistisch einschätzen und fährt schon zu Beginn eine Strategie nachhaltiger Beglückung und Beeindruckung gleichermaßen.

Ein intensives und klares Statement ohne jedwede künstlich anmutende Verfälschung setzt die Küche schon mit dem allerersten Einsteiger: der kalte Sud von Ochsenherztomate mit geflämmter Gambero Rosso, Wassermelone und Gurke (auch als Sorbet!) verzaubert die Geschmackspapillen auf unwahrscheinlich beeindruckende Art. Durch die kühle Temperierung werden die Sinne entsprechend geschärft und auf Betriebstemperatur gebracht.

Dies ist auch erforderlich, will man alle Facetten der nächsten Petitesse erfassen: die Tartelette mit Tatar von tasmanischer Seeforelle, Saiblingskaviar, Erbsen, Katsuoboshi (Bonitoflocken) und Myoga ist einerseits so komplex belegt und andererseits so elegant umgesetzt, dass eine zarte Meeresbrise den Gaumen umschmeichelt und mir die hochkomplexe Mundfülle tief imponiert.

Optisch besonders ansprechend, wenngleich eher einiges unter der Blume versteckend, wird die Tartelette mit Langustinensalpicón, mariniertem Palmherz, Bergamotte und Kaviar in Szene gesetzt: dieser erlesene und zur Abwechslung klarer strukturierte Happen kommt schwebend leicht daher. Dank präsenter, aber milder Säure strahlt auch dieser Einfall geradezu aristokratische Noblesse aus und scheint regelrecht zu schweben – so entzückend leicht wirkt dieser Gedanke.

Deutlich gehaltvoller wird es mit Akami (oberer Rücken) vom Thunfisch als Tatar in einer weiteren Tartelette, denn es ist dank „Façon Rossini“, also mit geriebener Gänseleber, unendlich subtil verfeinert. Für den letzten Feinschliff bei dieser ultrafrischen und leicht jodigen Petitesse sorgen etwas Holunder sowie körperbetonter und kraftvoller Mirin. Andere Chefs wären froh, wenn sie eine einzige, solch umwerfend umgesetzte Idee in ihrem Repertoire hätten, …

… doch den fulminanten Anschluss der Pentalogie bildet schon seit geraumer Zeit die ikonische japanische Waffel mit Saba-Makrele, Yuzu-Koshu und Kaviar. Obwohl schon mehrfach verzehrt, kann man von dem gehaltvollen Fisch auf der leicht krossen und praktisch fettfreien Waffel einfach nicht genug bekommen. Kein Wunder, denn die geradezu pedantisch ausgeklügelten Aromen in perfekter Balance zueinander verblüffen nicht nur dank trennscharfer Kontraste, sondern auch wegen des unerwartet kraftvollen Geschmacks. Sollte dieser Klassiker noch einige Zeit auf der Karte stehen, dann hätte er das Potential, mittelfristig genauso berühmt zu werden wie das ikonische Tortenstück im Sonnora, das mit dem Auto übrigens auch nur eine gute Stunde entfernt ist. Das Fazit nach dieser charmanten und wirklich einladenden Parade fällt jedes Mal gleich aus: atemberaubend, auf Weltklasseniveau und immer wieder zauberhaft!

Mit dem Amuse schließlich zwängt Christian Bau gefühlt das essbare Strandgut eines Spaziergangs an der Nordsee in ein ungeheuer gedrängtes Schälchen. Nicht weniger als rohe Meeresfrüchte wie Stab- und Entenmuschel, Gambero, Auster, Austerncrème, Yuzu-Vinaigrette, Ponzu, Algen und Strandkräuter sind integrative Bestandteile dieses schon visuell ungemein befriedigenden Einfalls. Kann so eine hinreißende Optik funktionieren ohne dabei den Geschmack opfern zu müssen? Die Fähigkeiten anderer Chefs seien hier nicht thematisiert, aber beim Großmeister von Perl-Nennig klappt dies so zwingend leicht, dass es eine reine Wonne ist: minutiös abgeschmeckt, ungeheuer komplex und jedes Detail ins rechte Verhältnis zu den übrigen Komponenten gesetzt. Das grenzt an Zauberei und bringt diesem vollkommenen Schälchen einen Ehrenplatz auf meiner Menüfolge des Jahres ein. Ich bin sprachlos!

Auch wenn mein Weinwissen bestenfalls rudimentären Charakter aufweist, so erlaube ich mir hier anzumerken, dass auch die fulminante Weinkarte trotz eines erstaunlichen Fokus auf heimische Moselweine höchsten Ansprüchen genügt. Exemplarisch sei hier das Kronjuwel der Sammlung hervorgehoben, einen 2011er Les Clous Premier Cru von der Domaine d’Auvenay für ein „Taschengeld“ von € 14.000 – wer hat, der hat …

Erst jetzt, nach all diesen überragenden Eingebungen, beginnt das eigentliche Menü mit Sashimi von Kampachi, das bildschön zu einer Rose drapiert wurde. Der großen geschmackliche Ausdruckskraft und Frische des makellosen Produkts soll nichts im Wege stehen, weshalb lediglich eine delikate und ausgesprochen zweckdienlich eingesetzte Entourage aus knackigem Daikon und Crème von Tabouriech-Austern (die auch in „reiner“ Form auf den Teller gelangen) sowie Kaviar schon ausreicht, um die größtmögliche Aussagekraft zu erzielen. Die am Platz aufgegossene Holunderblütenponzu erweist sich jedoch als das Schlüsselelement, denn sie fasziniert gleichermaßen mit leichter Süße und straffer Säure. In diesem puristischen Arrangement wird somit nichts kaschiert und die Frische auf diese Weise noch zusätzlich betont. Wie immer ist jeder Teller bei Christian Bau äußerst durchdacht und folglich auf Weltklasseniveau umgesetzt.

Den Crudo von Tuna-Toro (roher Thunfischbauch) kenne ich noch vom letzten Mal, doch steigert dieser Umstand angesichts der inhärenten Qualität das Verlangen, diesen erlesenen Happen abermals zu verkosten. Das fast buttrige Tatar ruht auf einer ungeheuer dichten und komplexen Sojasauce (Shoyu), die – typisch für Christian Bau – trotz ihrer Güte noch zusätzlich mit zehn Jahre altem Mirin kraftvoll betont wird. Wasabi und Kaviar krönen diesen ungeheuer aromenstarken Happen, der wahre Geschmacksexplosionen im Mund auslöst. Der Furikake-Chip aus Algen ist ein bemerkenswert herber und intensiver Texturgeber, der sich vollendet anschmiegt und das Gericht auf demselben exzellenten Niveau wie im Vorjahr abrundet. Meinetwegen könnte diese Petitesse zu einem neuen Signature Dish gekürt werden …

Das gegenüber dem Vorjahr unveränderte Sauerteigbrot wartet mit kraftvoll-herbem Geschmack auf, von dem insbesondere die Butter mit aufgeschlagener Sojasauce als idealer Begleiter profitiert, doch auch die etwas französischer anmutende Variante mit Togarashi (japanischer Pfeffer) schneidet keinen Deut schlechter ab.

Bislang galt übrigens das Motto „Heute bleibt die Küche kalt!“, denn erst an dieser Stelle folgt mit Provence-Artischocken an Kräutersalat, Walnuss und eingelegtem Trüffel ein etwas wärmerer Gang. Mit diesem rein vegetarischen Beitrag beweist Christian Bau, dass er auch auf diesem Gebiet in der Lage ist, harmonische Kombinationen zu kreieren, die den Fokus auf Vielfalt bei den Texturen legen, ohne dabei überladen zu wirken. Hier beispielsweise werden die Artischocken als Sud, Brunoise und in Form von eingelegten Segmenten interpretiert, wobei eine überraschende Parmesannote, die Bitterstoffe des Salats, die Erdigkeit der Trüffeln und die Nussigkeit dem Gang eine unerwartete Vielfalt verleihen, die man ihm zunächst nicht ansieht. So adrett und ausgewogen das auch sein mag, so wenig zupackend ist es andererseits – die Hinwendung zu vegetarischen Gängen ist sicherlich lobenswert, aber unterschwellig habe ich das Gefühl, dass diese Disziplin nie eines der Steckenpferde dieses Großmeisters werden wird. Das ist fraglos in der Oberliga anzusiedeln, aber gemessen an Christian Baus horrendem Anspruch an sich selbst schneidet dieser Teller eher durchschnittlich ab – wobei es fast tröstlich erscheint, dass selbst diesem Ausnahmekoch nicht alles perfekt gelingen kann.

Schon bei meinem ersten Besuch hier vor fast zehn Jahren bekam ich blauen Hummer vorgesetzt, der erklärtermaßen zu den Lieblingsprodukten des Grand Chefs gezählt werden muss. Diesmal gelangt er in pochierter sowie auf Binchotan gegrillter Form auf den Teller und dominiert sowohl optisch als geschmacklich, wenngleich das Fleisch des Krustentiers nicht weicher hätte geraten dürfen. Das klassische Prinzip der zweierlei Saucen wird hier in einer besonders knalligen Variante zur Schau gestellt, gerät aber letztlich kontrastärmer als es die Farbgebung vermuten ließe. Zur linken Seite bietet die Küche eine Krustentieressenz mit XO auf, während die mit Galgant aufgewertete und geschäumte Beurre blanc ähnlich würzig wie ihr Pendant gerät. Unter knackigem Pak Choi bringt die Küche zudem noch Kimchi vom Hokkaido-Kürbis ins Spiel, die mit Crème von roten Pimientos markig akzentuiert wird. Das ist fraglos ein sehr kreativer und gelungener Teller, wenngleich der Dialog zwischen den beiden würzigen Saucen für meine Begriffe gerne noch kontrastreicher hätte ausfallen dürfen.

Dass Christian Bau in seiner Entwicklung auch nach einem Vierteljahrhundert auf Schloss Berg und nach fast zwanzig Jahren mit drei Sternen angesichts weiter sprudelnder Ideen nach wie vor nicht willens ist, kürzer zu treten oder sich auf dem Erreichten auszuruhen, beweist das Hauptgericht, das meines Wissens erstmalig auf Fleisch verzichtet. Künftig werden auch hier bevorzugt Fische oder Krustentiere zum Einsatz kommen, während eine fleischliche Alternative nur noch als kostenpflichtiges Upgrade angeboten wird. So gibt es einen exzellenten und punktgenau gegarten Steinbutt zu bewundern, der auf einer Bouillabaisse von mittlerer Intensität mit deutlich asiatisch gefärbten Aromen ruht. Trotz zunächst gegenteiligen Anscheins passiert auf diesem Teller relativ viel, so dass die Wahrung der Balance einem Drahtseilakt gleichkommt – dennoch gelingt es, Perçebes, Edamame-Bohnen, Fenchelsalat und schaumige Sauce Rouille hinreißend in Einklang zu bringen, zumal die in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzenden essbaren Blüten wie Dill noch hinzukommen. Angesichts der französischen Klarheit und der japanischen Reduktion auf das Wesentliche (der Steinbutt thront trotz des ihn umgebenden Reigens klar im Zentrum des Geschehens) liefert dieser Teller ein geradezu archetypisches Beispiel für Christian Baus Synthese französischer und japanischer Elemente – der Steinbutt von vor zwei Jahren mit Algenöl und Blumenkohl bleibt indes unerreicht.

Trotz eines leicht veränderten Designs setzt die Pâtisserie teils weiterhin auf das Dessert, das ihr bereits letztes Jahr ausgezeichnet gelungen war und schon bald Klassikerstatus einnehmen dürfte, wenn es noch längere Zeit auf der Menüfolge verweilen sollte. Die Kreationen von Wiebke Heger korrespondieren prächtig mit der oft ausladenden, aber nie aufdringlichen Optik des Grand Chefs und zeichnen sich meist durch eine besonders beschwingt anmutende Leichtigkeit aus. In diese Kategorie fällt auch das grüne Shisoeis mit Zitruscurd, dessen grüne Aromen von der typischen Bitterkeit des Matchatees in Form von Sponges aufgefangen werden. Die mit Minze veredelte und eingedickte Milch steuert ebenfalls nur wenig Süße bei, so dass der bekömmliche und nicht belastende Charakter jederzeit gewahrt bleibt. Das ist quasi eine essbare Referenz an die letzten Tage des Sommers, der sich zum Zeitpunkt meines Besuchs noch ein letztes Mal empor schwang, bevor dann ein selten nasser Herbst Einzug halten sollte.

Weniger verspielt und reduzierter wirkt dagegen das Champagnercrèmeeis und Himbeersorbet mit Pfirsich und Verbenearoma, weil es es auf klarere Strukturen setzt. Insgesamt ist das ein Dessert, das keine große Erläuterung braucht, weil alles gut erkennbar und ohne nennenswerte Verfremdung in Szene gesetzt ist – gleichzeitig erweist es sich als ein vergleichsweise liebliches Dessert ohne unnötige Kanten, dessen Reiz sich dadurch allerdings recht schnell abnutzt. Handwerklich ist alles optimal, aber vielleicht sei an dieser Stelle etwas mehr Wagemut angeraten, der mit mehr Überraschungen einhergeht. Dies holen allerdings die Petits fours zum Teil nach, die mehr Risikofreude ausstrahlen: da wären beispielsweise ein recht ungewöhnliches Macaron von Adzukibohnen (verblüffend aromatisch!), ein Bienenstich, eine farbenfrohe Tarte au citron, ein Yuzu-Pâte-de-fruit auf Meringue und ausgestochene Cantaloupe-Melonenkugeln. Hinzu kommen noch vier Pralinen: Haselnuss (rechts), Erdnuss mit schwarzem Knoblauch (links daneben), Olivenöl (links) und – besonders ungewöhnlich – Pandan (rechts daneben). Dass die prinzipielle Bereitschaft vorhanden ist, Neues auszuprobieren, beweist dieser bemerkenswert gelungene Ausklang zweifelsfrei.

Die beruhigendste Erkenntnis des Tages gleich vorweg: Christian Bau feilt weiterhin unermüdlich an der Verbesserung seiner Fähigkeiten und betreibt einen immensen Aufwand, um selbst noch winzigste Optimierungen – anders macht man auf diesem Niveau keine Fortschritte mehr – vorzunehmen. Sein Reigen an Apéros hat in Deutschland nicht seinesgleichen und ist inzwischen in Sphären angesiedelt, von denen andere nur träumen können. Das Maß an Beeindruckung ist schon nach wenigen Häppchen derart gewaltig, dass man achtgeben muss, nicht jedes weitere nachfolgende Gericht zu pedantisch zu bewerten und alles, was auch nur minimal schlechter als perfekt ist, zu kritisieren. Obschon es einerseits wahr ist, dass diese Stippvisite nicht ganz die hypnotische Kraft der Menüfolge von vor zwei Jahren hatte, so muss doch festgehalten werden, dass selbst in diesem Falle die gezeigten Darbietungen immer noch so deutlich in der Weltklasse angesiedelt sind, dass gefühlt auch in den nächsten Jahren nicht mal der Ansatz einer Abwertung drohen könnte. Anders ausgedrückt: mit größter Zuverlässigkeit hat jede Mahlzeit hier mindestens drei bis vier kaum für möglich gehaltene Beiträge zu bieten, die man in dieser Form sicherlich noch nie verkostet hat und erst recht nicht irgendwo anders auf demselben Level vorgesetzt bekommen könnte. Außerdem hinterlassen manche Einfälle von vergangenen Besuchen einen derart nachhaltigen Eindruck, dass sie im Wiederholungsfalle als höchst willkommen angesehen werden und offenbar den Einzug in Christian Baus persönliches Pantheon geschafft haben!

Die geradezu fanatische Suche nach Produkten allerbester Qualität zeichnet diese Küche seit jeher aus, weswegen entsprechende Kosten unvermeidbar sind. Diese werden nicht nur auf das Menü, sondern quasi auch anteilig auf die Getränke verteilt, weshalb man von in Deutschland vergleichsweise hohen Nebenkosten ausgehen muss, die allerdings im internationalen Vergleich schon wieder deutlich kulanter anmuten. Außerdem kündigte Christian Bau beim finalen Gespräch mit mir eine Maßnahme an, die er niemals ergreifen wollte, aber unausweichlich (und inzwischen auch seit Jahresbeginn 2024 umgesetzt) ist: die Einführung einer Anzahlung in Höhe von € 250 pro Person, die im Falle des sogenannten No-Show einbehalten werden. Offenbar ist dieses Lokal von dieser grassierenden Unsitte mancher Gäste besonders betroffen, zumal auch bei meinem Besuch ungewöhnlicherweise einige Tische frei bleiben. Für den Ablauf des Mahls bedeutet dies eine angenehm zügige und gleichzeitig entspannte Abwicklung, doch der immense wirtschaftliche Schaden, der Lokalen dieser Kategorie durch dieses Phänomen entsteht, stellt schon seit einigen Jahren ein gravierendes Problem dar. In seinem jüngsten Newsletter rechtfertigte sich Christian Bau fast entschuldigend für diese Maßnahme, doch international ist dies schon längst Standard und daher meines Erachtens überhaupt nicht verwerflich, zumal die Schuld daran ja nicht bei ihm, sondern bei unzuverlässigen oder anmaßenden Gästen liegt, die glauben, sich eine unentschuldigte Absage einfach so gestatten zu können – abgesehen davon, dass es mir unerklärlich ist, wie viel Dusseligkeit notwendig ist, um einen Termin hier (ob bewusst oder unbewusst) zu versäumen! Jedenfalls ist es ohne entsprechenden Vorlauf nach wie vor ziemlich schwierig, einen Tisch zu ergattern.

Dass sich das Warten für den Gast lohnt, steht dagegen außer Frage: Christian Bau ist für mich unter den deutschen Spitzenköchen der Primus inter pares und beweist ein ums andere Mal, weshalb er im selben Atemzug mit den international renommiertesten Chefs genannt wird. Bei alledem bleibt der Chef, der sich im Gastraum für gewöhnlich rar macht, erfreulich geerdet, bezieht in seiner „Welt“-Kolumne immer wieder klar Stellung zu aktuellen Themen und spart bei Besuchen auswärts auch nicht mit höchstem Lob für Kollegen, die weniger hochdekoriert sind. Christian Bau hat eine Strahlkraft in der Branche entwickelt, die es ihm zudem gestattet, mit größter Selbstverständlichkeit international berühmte Kollegen für ein Four-Hands-Cooking ins Saarland zu locken: so waren 2023 beispielsweise Sven Wassmer (Memories, Bad Ragaz), Heinz Beck (La Pergola, Rom) und Paolo Casagrande (Lasarte, Barcelona) zu Gast.

Trotz all der Auszeichnungen vergisst der Chef seine eigene Maxime nicht: „Wir wollen Gäste mit unserer Arbeit glücklich machen.“ Das gelingt ihm so perfekt, dass mir die Superlative für diese Adresse offen gestanden bald ausgehen: so überzeugend und atemberaubend sind die Performances, die Christian Bau hier Jahr für Jahr mit größter Präzision und Verlässlichkeit abruft. Wir können uns nur glücklich schätzen, solch eine Adresse in Deutschland anbieten zu können. Einmal mehr vielen, vielen Dank!

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Victor’s Fine Dining
Schloßstraße 27-29
66706 Perl-Nennig
Tel.: 06866/79118
www.victors-fine-dining.de

Guide Michelin 2023: ***
Gault&Millau 2023: 5+ Toques
GUSTO 2024: 10 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2024: 5 F

Menü „Paris-Tokyo“: € 328

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„Tue Dinge mit Leidenschaft oder überhaupt nicht.“ (Christian Bau)

UPDATE (August 2022)

Obwohl es sich um die beiden Welthauptstädte der Hochküche handelt, haben Paris und Tokyo nicht so viel gemeinsam: zwar vereinen sie zusammen fast zwei Dutzend Drei-Sterne-Restaurants, aber angesichts ihrer Entfernung von fast 10.000 Kilometern zueinander sind echte Berührungspunkte spärlich gesät. Umso erstaunlicher wirkt es vor diesem Hintergrund, dass Christian Bau seine geniale Fusion französischer und japanischer Elemente inzwischen zur Perfektion getrieben hat und derzeit für mich die unangefochtene Nummer Eins unter den deutschen Dreisternern darstellt. Trotz der etwas abseitigen Lage an der luxemburgischen Grenze kann man hier so viele ausländische Gäste wie kaum anderswo begrüßen – dem Flughafen in Luxemburg, ohne den dieses Lokal fast undenkbar wäre, sei Dank. Längst wissen die erfahrenen Gourmets aus aller Welt, dass sie hier stets eine Küche mit Produkten in schier unvorstellbarer Referenzqualität erwarten dürfen, Teller der absoluten Extraklasse erleben können und bestens von der höchst aufmerksamen Servicetruppe unter der umsichtigen Leitung von Felix Kress und der hochkompetenten Sommelière Nina Mann betreut werden.

Unumschränkter Star ist und bleibt aber selbstverständlich Christian Bau, der auch nach fast 25 Jahren keinerlei Verschleißerscheinungen zeigt und sein Kulinarium beständig in der Weltklasse hält. Unverwechselbares Kennzeichen seiner Ästhetik ist schon die Nomenklatur seines Menüs (derzeit € 325), welches stets die Bezeichnung „Paris – Tokyo“ trägt und sich die unmöglich scheinende Verquickung der besten Elemente aus beiden Welten auf die Fahnen geschrieben hat. Einträchtig gehen dabei japanische Demut und französische Noblesse Hand in Hand; Klassiker stehen gleichberechtigt neben neuen Gerichten, deren Raffinement ein ums andere Mal beeindruckt. Dieses Lokal genießt derzeit als einziges der Republik neben dem Sonnora in der Eifel in allen professionellen Guides die Höchstnote, was einen deutlichen Fingerzeig auf die Extraklasse dieses Restaurants darstellt.

Was macht denn nun den Reiz dieser unvergleichlichen Küche aus? Ich versuche, im Laufe des Menüs die inhärenten Qualitäten so gut es geht zu würdigen, aber ich müsste lügen, würde ich behaupten, alle Effekte und handwerklichen Höhenflüge enträtseln zu können. Tatsache ist, dass der Chef faktisch immer am Herd steht, wenn das Lokal geöffnet hat. Im Falle von Krankheit oder Gastauftritten (wie zum Beispiel beim Four-Hands-Cooking mit Edip Sigl im es:senz in Grassau im Juni) wird das Restaurant konsequent geschlossen. Diese Akribie und Disziplin haben Christian Bau eine Reputation in der Szene eingebracht, die dazu führt, dass Gastköche Schlange stehen und sich glücklich schätzen dürfen, wenn sie zusammen mit ihm bei einem Event in seinem Etablissement aufkochen dürfen – logisch, dass da Namen wie Viki Geunes (vom Dreisterner Zilte in Antwerpen) oder Eric Vildgaard (vom Jordnær, einem der angesagtesten Zweisterner Kopenhagens) kursieren und das Interesse der Gästeklientel hochhalten. Doch auch ohne Gastkoch erlebt man hier als Gast eine beispiellose Hingabe und Leidenschaft – so mancher Kollege sieht in Christian Bau einen regelrecht „Getriebenen“, was aber ausschließlich als Kompliment zu verstehen ist.

Diese Versenkung in den Beruf spürt man schon bei den Amuses, denn wo andere langsam ins Menü geleiten und die Messlatte noch nicht sonderlich hochhängen, so wird hier das Gaspedal gleich voll durchgetreten und ein Standard präsentiert, der seinesgleichen sucht. Beispielhaft dafür steht gleich der Auftakt, den wir zwar vom letzten Besuch her noch kannten, aber angesichts seiner Qualität gerne ein weiteres Mal verzehren: eine fluffige und würzige Mousse von Gurke und Shisokresse verdeckt eine ganze Bandbreite an Meeresfrüchten (unter anderem Garnele und Auster), deren Frische und tadellose Zubereitung in bestem Licht erstrahlen. Geschmacklich perfekt abgerundet wird das Ganze mit Shishito-Pfeffer und einem gut versteckten Gurkeneis, denn diese Petitesse vereint komplexe Aromen derart überzeugend, dass die süßlichen und jodigen Elemente so einträchtig harmonieren, dass man meinen könnte, es handle sich dabei um die naheliegendste Kombination an Produkten! Einfach fabelhaft!

Es folgt ein südkoreanisches Sushi mit Hamachi-Tatar und Rettich, das eine vibrierende Frische auf den Löffel zaubert – man fragt sich unwillkürlich, wie die Veredelung recht einfacher Produkte ein solches Ergebnis hervorbringen kann.

Das Tartelette von Ox-Tatar mit Meerrettich, Radieschen, Crème fraîche macht da weiter, wo das Tatar aufhörte: mit überragender Produktqualität, geschmacklicher Tiefe, bestechender Frische und einer unbeschreiblichen geschmacklichen Intensität, die wohl nur dann zu erzielen ist, wenn selbst jedes noch so kleine Detail minutiös ersonnen ist.

Auf einem weiteren Törtchen drapiert die Küche Lachs, Myoga, Erbsen, Sommertrüffel und Ceta-Kaviar – mit dem Ergebnis, dass diese bei einem schwächeren Handwerk vollkommen überfrachtet anmutende Kombination perfekt aufgeht und ein Feuerwerk an Aromen zündet. Mir bleibt ein Rätsel, wie man so disparitätisch scheinende Aromen bei größter Transparenz so harmonisch zusammenführen kann und dabei eine Umami-Wucht entwickelt, die beispiellos ist. Keine Frage: bereits nach den Einstiegen weiß der Gast, in welch astronomischer Höhe die Latte liegt. Dabei ist der größte Klassiker unter den Apéros ja noch nicht einmal aufgetragen, …

… nämlich die Waffel mit Sardine, Kaviar, Meereskräutercrème und essbaren Blüten. Die gefühlt fettfreie Waffel ist ein optimaler Boden für die launige Inszenierung darüber: von Japan her weht da eine frische Meeresbrise durchs Moseltal und verzückt die Gäste mit dem Besten aus dem Pazifik. Das salzlastige Aromenbild ist unglaublich diffizil ausgeklügelt und stellt die Krönung eines unfassbar guten Einstiegs dar, denn die schiere Präzision lässt andere Köche vor Neid erblassen. Im Verbund mit dem Cocktail aus Tonic Water, Hibiskus und Yuzu gelingt dieser Auftakt so souverän wie nur irgend denkbar, zumal auch weitere Details wie das Erfrischungstuch zu Beginn den makellosen Eindruck zementieren. Ein paar Kollegen mögen quantitativ noch mehr zu Beginn auffahren, aber beeindruckender als diese Parade geht es wirklich nicht.

Zu dem Sauerteigbrot serviert man hier Togarashi (japanischen Pfeffer) auf einer Sauerrahmbutter, während die zweite Variante mit aufgeschlagener Sojasauce eine süchtig machende und umwerfende Intensität erreicht.

Auf einer vorzüglichen Mandelcrème platziert die Küche von unten nach oben Tatar vom Taschenkrebs, gefolgt von einem Tomatensorbet und schließlich den falschen Zweig aus einem Algenchip. Wie fruchtbetont die verwendete hochklassige Amela-Tomate auch sein mag, so bleibt die Meeresaromatik vorzüglich inszeniert: gerade die Balance unter den Komponenten in diesem aufgeräumt wirkenden Schälchen ist atemberaubend und sorgt dafür, dass einmal mehr das Niveau in unfassbare Dimensionen vordringt.

Die Platzierung des Essens in einem Seeigel macht optisch natürlich enorm viel her, aber im Kontrast dazu ist der Inhalt selbst recht puristisch: das Paradestück des Thunfischs Toro (Bauch) beansprucht mit seiner Salinität und dem recht hohen Fettgehalt zurecht die größte Aufmerksamkeit, schmilzt er doch geradezu auf der Zunge. Die traditionelle Würzsauce Shoyu auf der Basis von Soja und der opulente Kristal Kaviar verleihen dem Gang eine würdige Noblesse, doch die genau ausgeklügelte Würze ist letztlich das Detail, das am längsten im Gedächtnis haften bleibt. Einmal mehr zaubert Christian Bau mit seinem Team aus einer gar nicht so komplexen Grundidee ein Kunstwerk von Ausnahmerang, dem es gelingt, seine verblüffende Raffinesse im Gewande einer fast schon puristischen Darbietung zu kaschieren: umso größer gerät einmal mehr die geschmackliche Explosion, wenn man das Gericht verkostet. Wenn das so weitergeht, dann kann Christian Bau eigentlich nur noch an dem an ihn selbst gesteckten Anspruch scheitern. Die Furikake-Chips à part erinnern geschmacklich an aromensatte Algen und steuern eine ausgeprägte Salzigkeit bei, die dem Gericht ausgesprochen gut zu Gesicht steht.

Als nächstes wagt sich die Küche an eine Kombination heran, die mich in anderen Lokalen noch nie sonderlich überzeugen konnte: Thunfisch, in diesem Falle unter anderem als Sashimi präsentiertes Akami (Bauch), wird hier mit geeister Gänseleber kombiniert und mit einer Ponzu von Holunderblüte und Trüffel miteinander verbunden. Für meinen Geschmack hätte der maritime Teil angesichts der makellosen Produktqualität und dem adretten Defilée aus Edamame und der Vinaigrette auch ohne die Leber auskommen können, da ihr cremiger Charakter in diesem Kontext etwas disparitätisch auf mich wirkt. Vielleicht ist dies der eine marginal schwächere Gang dieses Nachmittags, doch kaum ein anderer Teller verbindet japanische mit französischen Elementen so deutlich wie hier. Das Ergebnis ist freilich angesichts luxuriöser Produkte mehr als vorzeigbar, aber vielleicht wäre gerade hier weniger mehr gewesen.

Ein wahres Prachtexemplar von einer Langustine leitet zum nächsten Gang über, der den Fokus wieder voll auf den glasigen Hauptdarsteller richtet. Der vermutlich längere Zeit eingelegte Spitzkohl mit schön mürbem Restbiss wird hier quasi als Wickel mit echtem geschmacklichem Mehrwert in Palmherz versteckt, dient aber auch der Aromatisierung von Crème und Sud. Die geschmackliche Abrundung gelingt mit der japanischen Gewürzmischung XO ganz hervorragend, so dass dieses auf eher französischen Produkten basierende und erstaunlich würzige Gericht einen überzeugenden asiatischen Anstrich bekommt.

Das nächste kulinarische Kunstwerk drapiert das Team um Christian Bau auf einer Beurre rouge, deren edler Geschmack sich so wunderbar anschmiegt, dass ich mich frage, warum diese mit Rotwein gebundene Sauce so selten eingesetzt wird. Hier jedenfalls umspielt sie einen vorzüglich gebratenen Steinbutt im Verbund mit jungem Spinat und Lauch. Der mit Ochsenmark aromatisierte Schaum steuert abermals aromatische Kraft bei, welche den Fisch, der in voller Leuchtkraft erstrahlen darf, allerdings nicht im Geringsten beeinträchtigt. Das französisch geprägte Gericht scheint mir auch insofern im Geiste Eckart Witzigmanns zu sein, da der Altmeister seine Gerichte ganz gerne mit zweierlei Saucen zugleich offerierte. Wenn es hier auch eher ein Schaum ist, so bezieht das Gericht seinen letzten Feinschliff in der Tat aus der kontrastierenden Wirkung von elegantem Rotwein und rustikalem Ochsenmark. Es funktioniert jedenfalls prächtig und veredelt diesen aufgeräumt wirkenden Teller auf grandiose Art.

Rein japanisch wird es dagegen bei Misoshiru: auf der mit Aromen von Krustentieren veredelten Dashi finden sich stilecht Enokipilze, Tofu, Edamame und Wakame-Algen, doch die opulente Einlage in Form von an der Karkasse gegartem Hummer hievt diesen in puncto Reinheit und Purismus nicht zu überbietenden Gang in eine ganz eigene Liga. Auch wenn wir diesen Gang schon letztes Jahr verkosten durften, so goutiere ich diese kulinarische Visitenkarte mit meiner vollsten Anerkennung. Asiatischer geht es nicht – und perfekter ebenfalls nicht.

Beim Hauptgericht dominieren auf überraschende Weise grüne Elemente, die auch auf der Karte als grüne Aromen annonciert werden: darunter befinden sich etwa Erbsen, Zucchini, Bittersalate und eine Schnittlauch-Sauce. Das enorm aufwendige und kleinteilige Bouquet zum Lamm, welches auf einer Lammjus von mittlerer Intensität ruht, lässt jeder Komponente – insbesondere den Kräutern – genügend Raum zur geschmacklichen Entfaltung. Der Fokus liegt damit gar nicht so sehr auf dem Fleisch, so dass ich mir vorstelle, diesen Gang unter dem Namen Victor’s goes Essigbrätlein anzupreisen. Tatsächlich erinnert so manches an diesem Gang an die besten Eingebungen in dem Nürnberger Gemüsetempel: der äußerst durchdachte Einsatz aller Komponenten und die angemessen sparsame Dosierung macht aus dem Hauptgang einen Einfall von stiller Größe, der ganz zeitgemäß grünen Viktualien huldigt, aber ohne dabei das hauseigene Credo zu vernachlässigen. Als hätte es dazu überhaupt noch eines Beleges bedurft, so beweist Christian Bau, dass er aktuellen Strömungen durchaus zugewandt ist und diese bereitwillig in seinen Stil einbaut, wo es Sinn macht.

Eines der größten Highlights steht uns beim Pré-Dessert bevor: das im Zentrum verweilende Eis von Shisokresse lässt sich auf einen hinreißenden Dialog aus Säure und Süße ein: während einerseits Crèmes und puddingartige Häubchen von Zitrusfrüchten (mit einer gewissen Präferenz für Limette, wenn ich mich nicht täusche) den leicht süßlichen Dessertcharakter bewahren, sorgen Matcha-Biscuit und insbesondere die Sponges von Genmaicha – einem japanischen Grüntee, der mit Reis aufgebrüht wird und dementsprechend bitter schmeckt – für herbe Kontraste. In Summe ist dies eine verblüffende und exquisite Eingebung, die ein ganzes Spektrum an Aromen ganz souverän abdeckt und phantastisch gelingt – eines der wenigen echten Ausnahmedesserts in diesem Jahr, zumal es wohl nicht mehr grüner wird in diesem Jahr.

Vergleichsweise schlicht und ganz anders, fast nüchtern wirkend, tritt dann das zweite Dessert auf: dennoch wird beim Verzehr schnell deutlich, dass die erdig-cremige Sauce von Soba Cha (Buchweizentee) eine keineswegs zurückhaltende Basis dieses Gerichts darstellt. In noch stärkerem Maße trifft dies auf das Törtchen von Valrhona-Schokolade zu, welches mit fluffiger Konsistenz und monumentaler Power zugleich auf sich aufmerksam macht. Bei so viel Wucht bedarf es eines kontrastierenden Elements von zwangloser Leichtigkeit: in diesem Fall handelt es sich um Eis und hauchdünne Chips von Sojamilch, die dieses alles andere als zu süße Dessert angemessen veredeln und den starken Eindruck würdig abrunden. Nicht zuletzt durch die vorzügliche Portionierung belastet dieses fast schon herbstlich anmutende Dessert den Magen überhaupt nicht und unterstreicht einmal mehr, was sich trotz des sparsamen Einsatzes von Zucker so alles machen lässt.

Sämtliche Register ihres Könnens zieht die Küche dann nochmals bei den Petits fours: auf dem oberen Foto handelt es sich um einen Macaron von roten Adzukibohnen (gibt es eigentlich irgendein fernöstliches Produkt, das Christian Bau nicht kennt?!) sowie eine höchst originelle dekonstruierte Miso-Crème-brûlée. Die drei wunderbaren Pralinen von Erdnuss-Yuzu, Trüffel-Olive und Kokos-Passionsfrucht werden begleitet von einer Neuinterpretation des Klassikers „Joghurette“ und dem Knalleffekt der Parade, dem Himbeer-Cheesecake mit geeisten Joghurtperlen. Das schmeckt durchweg einfach fabelhaft und rundet einen traumhaften Besuch mehr als angemessen ab. Angesichts dieser Ausklänge fällt es überhaupt nicht schwer, das Sättigungsgefühl nochmals zu unterdrücken und sich diesem Genuss hemmungslos hinzugeben.

Bei aller Leidenschaft, Perfektion und Hingabe ist nicht nur der Chef Christian Bau selbst absolut nahbar geblieben – nein, auch seine hochvirtuose Küche sollte trotz allem keine Gäste überfordern. Der Spagat zwischen den beiden Metropolen gelingt ein ums andere Mal stets ausgezeichnet – wobei sich durchaus Teller durchaus mal nur einem der beiden Kulturräume widmen und keineswegs jeder Gang zu einer Fusion zweier Stile gerät. Dennoch scheint es, als seien diesem Genie am Herd keine Grenzen gesetzt: auch nach fast fünfundzwanzig Jahren scheinen dem Ausnahmekoch die Ideen nicht auszugehen. Dabei ist all das, was seine Küche seit jeher ausgezeichnet hat, immer erhalten geblieben: da sind zum einen die minutiös ersonnenen Gerichte, die trotz des extremen Aufwands immer präzise bis ins kleinste Detail bleiben und handwerklich so perfekt gelingen, dass hier nichts unmöglich erscheint. Zum anderen ist es die bedingungslose Hingabe, die es dem Chef auferlegt, seine gesamte Energie für den Erfolg aufzuwenden. All dies führt beispielsweise dazu, dass die Suche nach hochwertigsten Viktualien viel Zeit in Anspruch nimmt, da ihm nur die allerbesten Produkte in Referenzqualität genügen – etwas, das dem Gast ungeheuer zugute kommt, denn Produkte dieser Güte bekommt ein Gourmet sonst fast nirgends in der Republik (selbst wenn dies natürlich seinen Preis hat). Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich das geradezu enzyklopädisch anmutende Wissen des Chefs um unterschiedlichste Produkte und Zubereitungen, so dass selbst noch so erfahrene Gourmets stets mit Recht davon ausgehen dürfen, Zeuge von einzigartigen und bislang nicht erlebten geschmacklichen Höhenflügen zu werden.

Zu einer herausragenden Küche gehört allerdings auch ein formvollendeter Service: dafür bürgen der neue Restaurantleiter Felix Kress, der sich viel Zeit für die Gäste nimmt, und die stets famos auftretende Nina Mann, die mit profundem Weinwissen und alkoholfreien Empfehlungen gleichermaßen zu punkten vermag. Bei alldem wahrt das Team trotz allem eine respektvolle Distanz und geleitet so ohne jeden Ausrutscher durch einen umwerfend gelungenen Nachmittag.

An meiner Einschätzung vom Vorjahr hat sich nichts geändert: dieser kulinarischen Institution reicht derzeit kein anderes deutsches Lokal das Wasser. Meiner „Drohung“ vom Vorjahr, hier künftig jedes Jahr einmal vorbeizuschauen, werde ich sicherlich auch weiterhin Taten folgen lassen. Mag sein, dass ich bei der nächsten Stippvisite eine andere Jahreszeit aussuchen werde, um eine noch größere Variabilität bei den Produkten zu erleben, aber im Zweifelsfall sollte man auch so die vielen genussvollen Jahre, die uns hier hoffentlich noch bevorstehen, keinesfalls ungenutzt verstreichen lassen. Meine zwei anstehenden Rezensionen aus luxemburgischen Sternerestaurants mögen verdeutlichen, dass auch der Blick ins Nachbarland durchaus lohnend ist, aber selbst ohne diese lukrativen Zusatzoptionen lohnt diese Weltklassedarbietung jede noch so weite Reise in den südwestlichsten Winkel der Republik. Wer das versäumt, ahnt wahrscheinlich nicht, was ihm entgeht!

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Victor’s Fine Dining
Schloßstraße 27-29
66706 Perl-Nennig
Tel.: 06866/79118
www.victors-fine-dining.de

Guide Michelin 2022: ***
Gault&Millau 2022: 5+ Toques
GUSTO 2022: 10 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2022: 5 F

Menü „Paris-Tokyo“: € 325

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„Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“ (Antoine de Saint-Exupéry)

August 2021

Saarland-Expedition, Teil 3: ganz tief im Westen des kleinsten deutschen Flächenlandes liegt das beschauliche Perl-Nennig. Von hier aus ist es nur ein Kilometer bis zur Mosel, die hier die Grenze zu Luxemburg bildet, und dem lohnenden Ort Remich, doch auch auf deutscher Seite gibt es etliche Sehenswürdigkeiten in dieser hügeligen Landschaft. Relikte aus der Zeit der Römer (das größte römische Mosaik nördlich der Alpen in Perl-Nennig sowie eine rekonstruierte römische Villa in Perl-Borg), die zwanzig Kilometer entfernte Saarschleife und das Keramik-Museum von Villeroy&Boch in Mettlach sind nur einige der Highlights in der Region. Das malerisch zwischen Weinbergen eingebettete Schloss Berg ist allerdings der Hauptgrund für meinen erneuten Besuch in dieser Gegend, da sich darin das Drei-Sterne-Restaurant des Ausnahmekochs Christian Bau befindet. Irgendwo zwischen Luxemburg-Stadt, Trier und Metz gelegen, zieht dieses Lokal Gourmets aus aller Welt an. Warum das so ist, soll dieser Bericht verdeutlichen.

Mein bisher letzter Besuch hier ist inzwischen unverzeihlich lange fünf Jahre her. Schon damals hatte Chefkoch Christian Bau ein höchst bemerkenswertes Niveau erreicht, doch inzwischen dringt er in Sphären vor, die selbst unter Dreisternern die absolute Ausnahme bleiben. Der heuer fünfzig Jahre alt gewordene Koch führt das Lokal bereits seit 1998 und darf sich seit inzwischen fünfzehn Jahren mit den höchsten Weihen des roten Gourmetführers schmücken – allerdings gibt es derzeit auch keinen anderen renommierten Gastroführer, der hier nicht die Höchstnote zücken würde. Christian Bau ist jedoch kein Koch, der sich auf dem bisher Erreichten ausruhen würde, sondern sich immer mehr der Perfektion annähert, auch wenn diese laut eigener Aussage ein unerreichbarer Zustand bleibt. Markenzeichen seines höchst persönlichen Küchenstils ist die kongeniale Liaison französischer und japanischer Elemente, die er als „Bau.Stil“ bezeichnet. Französische Tugenden wie Klarheit und Eleganz treffen hier auf japanische Elemente wie höchstes Qualitätsbewusstsein und Reinheit in der Zubereitung. Wie das in der Praxis aussieht, mag der folgende Bericht verdeutlichen.

Unter dem roten Baldachin betritt man das Genussrefugium des Christian Bau, das angesichts der Darbietungen auf dem Teller fast einem Theater ähnelt. Man geleitet uns – vorbei am Chef’s Table – zu unserem Tisch in dem eher dezent mit minimalistischer Kunst ausgestatteten Raum. Vor dem Hintergrund dieser modernen Küche erscheint das blütenweiße Leintuch auf dem Tisch fast schon als Überraschung, doch angesichts der ersten aufgetragenen Grüße ist mein Fokus ohnehin schnell auf andere Details gelenkt. Bereits vorab nehmen wir auf der Terrasse einen alkoholfreien Ingwer-Hibiskus–Tonic ein, der angesichts seiner belebenden Säure sehr erfrischend wirkt und alle Sinne rasch schärft. Eine große Auswahl bietet die Karte nicht, doch dem klassischen Menü „Paris-Tokio“ kann man hier ohnehin blind vertrauen. Einige der verwendeten Produkte dürfte die Mehrzahl der Gäste hier ohnehin noch nie verkostet haben, und außerdem ist man hier am besten beraten, einfach das Geschehen der kommenden Stunden auf sich zukommen zu lassen.

Schon die erste Einstimmung, eine Art Willkommensgruß, gibt einen hervorragenden Eindruck davon, welches Feuerwerk hier demnächst abgebrannt werden wird: Shishitopepper mit Gurkencrème und Schellfisch erweist sich als herzhafter und aromensatter Einstieg, der mit dem gepufften Quinoa obenauf noch mit Biss veredelt wird, obwohl die Kreation mit ihrer durchaus präsenten Würze auch so vollkommen überzeugen kann. Wir sind angekommen!

Mit den weiteren Amuses dringen wir in Sphären vor, die höchstens noch zwei, drei weitere Restaurants in Deutschland bieten können. Links ein Ox-Tatar mit Unagi-Aal und Wasabi auf einem Nori-Algen-Tartelette, das auf unnachahmliche Weise wieder einmal verdeutlicht, wie viel großartiger Geschmack auf so engen Raum derart klar gepresst werden kann – eine reine Wonne, wie Meer und Feld hier miteinander harmonieren. Auch das Tartelette mit Saba-Makrele, gepickeltem Myoga und Ceta-Kaviar ist wahnsinnig filigran durchgearbeitet und doch so transparent im Geschmack, dass jede Komponente deutlich zu erkennen ist – von der grandiosen Spritzigkeit ganz zu schweigen. Leider ist mir der Inhalt des Cornets dahinter durch die Lappen gegangen, doch auch dieses überzeugte mit herrlich fleischigem Geschmack vollkommen. Im Hintergrund schließlich die schon längst zum Klassiker avancierte, praktisch fettfreie und unglaublich knusprige japanische Waffel mit Sardine, Meereskräutercrème und Kaviar. Diese Umami-Bombe vereint auf exzellente Weise maritime Frische und Aromen, dass es eine reine Wonne ist.

Der Reigen an Amuses ist damit aber noch immer nicht abgeschlossen, denn zwei Knaller hat die Küche noch immer in petto: die bloße Beschreibung in Form von Taschenkrebs, Melonensorbet und Dashi wird dem Amuse dabei keineswegs gerecht, denn die Vielzahl an kleinteiligen Komponenten und Konsistenzen verdeutlicht rasch, welch hoher Aufwand hier wieder einmal betrieben wurde. Die durchaus intensive Würze sowie das ausgelassene, durchweg überzeugende Spiel rund um verschiedene Temperaturen mögen die auffälligste Merkmale des Gerichts sein, doch auch die Tatsache, dass Christian Bau scheinbar disparitätische Produkte wie Melone und Krebs so zwanglos und schlüssig zusammenführt, ist vielleicht das größte Wunder.

Eine gekühlte Tomatenessenz mit Bloody-Mary-Sorbet kommt optisch etwas harmloser daher als ihre Vorgänger, setzt aber beim Niveau nahtlos da an, wo man zuvor aufgehört hatte. Das grüne Baiser sorgt für texturelle Abwechslung, doch die Intensität der Aromen, die nichts als den reinen Geschmack anstrebt, ist das, was noch lange im Gedächtnis haften bleibt.

Zum Festmahl reicht man außerdem Baguette und Sauerteigbrot mit Sonnenblumenkernen. Dazu gibt es eine helle Butter mit Tokarashi (japanischer Pfeffer) bzw. dreierlei Soja (dunkel). Auch wenn die Brotauswahl sicherlich den geringsten Anlass darstellen würde, hier einzukehren, so bleibt doch festzuhalten, dass auch auf diesem Gebiet das Niveau hochgehalten wird: speziell die dunkle Butter hat absolutes Suchtpotential.

Wäre dies mein erster Besuch hier, dann müsste man nun schon erhebliche Zweifel anmelden, ob diese überragenden Einstiege während des Menüs überhaupt noch getoppt werden können. Als Wiederholungstäter ist mir indes klar, dass noch mehr geradezu galaktische Eindrücke bevorstehen. Als hätte es überhaupt noch eines weiteres Beweises bedürft, ersinnt die Küche als nächstes Hamachi mit Kokosnuss, Süsskartoffel und Avocado. Der als Ceviche interpretierte Hauptdarsteller ist nicht von dieser Welt: roh mariniert, von überragender Zartheit und einer Cremigkeit, dass es mir die Sprache verschlägt. Andere Köche wären froh, wenn sie jemals annähernd in der Lage wären, dem Hamachi das letzte Quäntchen an Geschmack zu entlocken, doch natürlich widmet ein Christian Bau seine Aufmerksamkeit dem begleitenden Bouquet in gleichem Maße. Trotz des filigranen Charakters ist da keine Komponente überflüssig oder zu schwach in Szene gesetzt, seien es nun die bereits annoncierten Begleiter oder weitere Produkte wie Paprika, Nüsse und Karotten. Neben der grandiosen Optik und der perfekten geschmacklichen Balance sind es das dezent eingesetzte Kokoswasser und vor allem die unbeschreibliche Tigermilk, die dem Gericht die Krone aufsetzen. Unglaublich, denkwürdig und einfach traumhaft!

Dass Perfektion indes nicht immer ein Resultat von geradezu pedantischer Kleinteiligkeit sein muss, beweist die Küche beim nächsten Gang. Die geradezu verharmlosende und wenig preisgebende Inszenierung könnte die Vermutung aufkommen lassen, dass man sich hier nun eine kreative Ruhepause gönnte, doch nichts könnte weiter von der Realität entfernt sein. Wo andernorts bei einer so klassischen Kombination wie Wintertrüffel, Cremespinat und Bio-Eigelb in einer mehr oder weniger biederen Darbietung der Fokus ausschließlich auf die Produktqualität gerichtet würde, gibt man hier nicht nur trefflichen und sündhaft teuren Pata-Negra-Schinken in Form von kleinen Speckwürfeln hinzu, sondern spielt auf virtuose Weise mit den Konsistenzen und zertrümmert so jede Erwartungshaltung, die einen an bloße Routine denken lässt. Die federleichte Crème von Eigelb erfährt in gepuffter Form noch eine weitere Variante, doch auch der unendlich rahmige Spinat und die generöse Menge an erdigen schwarzen australischen Trüffeln hieven diesen vermeintlich harmlosen Gang in die absolute Weltklasse. Man könnte verrückt werden, so gut ist das!

Etwas schlichter als der Hamachi-Gang gerät Langoustine, Zitrus, Koji und Erbse. Auf clevere Art und Weise wird die Aromenintensität hier etwas zurückgenommen, doch harmlos oder gar zweitklassig ist natürlich auch dieser Beitrag keinesfalls. Die Ausgewogenheit des Gangs, die handwerkliche Perfektion und die makellose Konsistenz aller Komponenten machen auch aus diesem sommerlich leichten Teller einen Beitrag, der auch wegen seiner alles perfekten verbindenden süß-sauren Sauce noch lange am Gaumen nachhallt.

Besondere „Gefahr“ ist immer dann im Verzug, wenn ein Gericht scheinbar schlicht und harmlos daherkommt. Dass Christian Bau die seltene Kunst beherrscht, die Produkte auch in ihrer reinsten Erscheinung aromatisch strahlen zu lassen und ihnen überragenden Geschmack zu entlocken vermag, beweist er mit Steinbutt, Stabmuschelsud, Algenöl und Kaviar. Der Blumenkohl in mehreren Varianten an der Seite erweist sich als ideal demütiger Begleiter für den fraglos besten Steinbutt meines Lebens: unfassbar zart, saftig und so mürb, dass er schon zu zerfallen scheint, wenn man sich ihm nur mit dem Löffel annähert. Die jodigen Noten des grandiosen Kaviars bereichern dabei die maritime Aromatik, die ihre Verherrlichung in dem edlen und unfassbar transparenten Sud erfährt – von diesem lasse ich keinen Tropfen zurück. Wie viele Stunden Vorbereitung dafür wohl nötig waren?! Das alles ist so nah am reinen Glück, dass ich schon fast mit den Tränen ringe. An dieses göttliche Gericht, das sicherlich zu meinen fünf besten aller Zeiten gehört, werde ich mich bis an mein Lebensende erinnern – versprochen!

Vergleichsweise schlicht gerät die Grunddisziplin der japanischen Küche, die Dashi. Das „gelebte Nichts“, wie sie Tohru Nakamura mal halb im Spaß, halb im Ernst bezeichnete, erfährt als Misoshiru eine luxuriöse Einlage von Edamame, Tofu, Hummer, Algen und Enokipilzen. Trotz eines durchaus herzhaft-intensiven Geschmacksbildes legt man diesmal eine schlichte Demut an den Tag, die der Reinheit der japanischen Küche ihre Referenz erweist. Für die Verhältnisse dieses Hauses schon ein geradezu irdischer, aber schwerlich anders gewollter Gang.

Einen puristischen Ansatz verfolgt man auch bei Wagyu zum Hauptgang. Das traumhafte Fleisch der höchsten Marmorierungsstufe gerät so unverwechselbar, dass seine Röstaromen theoretisch auch ohne jede Begleitung voll zum Tragen kämen. Die zwei gepufften Kartoffelkissen obenauf werden noch flankiert mit karamellisierter Aubergine, roten Pimentos, schwarzem Miso und einer würzigen Black Bean Sauce. Ähnlich wie schon beim Steinbutt steckt auch hier ein gutes Stück von Eckart Witzigmanns stark beanspruchtem Diktum, dass das Produkt der Star sei, drin. Die Strahlkraft des einfach großartigen Fleischs überragt die anderen Komponenten mühelos und wird dementsprechend zurückhaltend begleitet, wenngleich das umgebende Bouquet dennoch vereinzelte aromatische Akzente zu setzen vermag.

Das auf den Namen „Frühsommer“ getaufte Pré-Dessert vereint Ziegenjoghurt, Beeren und Sauerampfer nicht nur auf höchst stimmige, sondern auch auf ausgesprochen launige und farbenfrohe Weise. Der geeiste Joghurt thront auf einem gut versteckten, hauchdünnen Knusperboden und wird außerdem mit nicht annoncierter Cantaloupe-Melone umspielt. Alles in allem ist dies ein bekömmliches Sommerdessert, das trotz seiner akribischen Umsetzung leicht fassbar bleibt und mit unverfälschtem Geschmack punktet. Es hätte nur noch gefehlt, dass auch der Teller essbar gewesen wäre …

Unbändige Kreativität, die sich ihren Weg bahnt, wenn man sie erst einmal von der Kette lässt, manifestiert sich im Hauptdessert in Form von exotischen Früchten, Kokos-Yuzu-Eis und Multivitaminsorbet. Der Preis für die herausragendste Optik ist diesem Ausklang schon sicher, zumal die bestechende Frische aller Produkte wie Kumquats und Pitahaya für ein unbeschwertes Essvergnügen sorgt. Dennoch habe ich ein wenig das Gefühl, dass diesem natürlich immer noch wunderbaren Dessert trotz aller Details wie Meringue, Sorbet, Sponges und Tapiokaperlen eine zündende Grundidee fehlt, die es in den Olymp heben würde. Farbliche und texturelle Vielfalt kaschieren diesen Umstand ein wenig, doch bin ich mir sicher, dass der Grand Chef schon längst an diesem Punkt Verbesserungen anstrebt, wenn er diesen Aspekt denn genauso empfinden sollte wie ich.

Den Abschied versüßen Madeleine, „Snickers“, Zitronentarte und Mini-Sacher-Torte sowie Pralinen mit Sauvignon blanc (!), Kaffee und Nuss. Sehr gelungen!

Zu einem grandiosen Menü gehört natürlich auch eine famose Sommelière: dass Nina Mann, die vom G&M im vorigen Jahr zur „Sommelière des Jahres“ ausgezeichnet wurde, dieser Anforderung mehr als perfekt entspricht, wird im Laufe des Nachmittags mehrmals klar. Nicht nur, dass sie mit ihren Empfehlungen Kompetenz beweist und auch Kennern noch manche rare Bouteille ans Herz legt, nein, sie geleitet auch durch den Service mit Elan und enorm viel Präsenz. Ich muss ihr wohl vor vielen Jahren mal in der Stuttgarter Zirbelstube unter Sebastian Prüßmann begegnet sein, doch war mir dieser Umstand im Gegenzug zu ihr selbst nicht mehr bewusst. Gerne hätte ich auch Julia Pleintinger, die ehemalige Servicechefin von Geisels Werneckhof in München und später dem Olivo in Stuttgart, wieder angetroffen, doch wegen einer längeren Babypause hat das Restaurant nun Felix Kress verpflichtet, der an diesem Tag allerdings nicht anwesend war. So oblag die gesamte Verantwortung für den Service Frau Mann und ihrer ausschließlich weiblichen Servicebrigade, die ihre Sache ganz ausgezeichnet machte, zumal auch noch eine neue portugiesische Kollegin, die noch kein Deutsch spricht, gleich in die Truppe integriert wurde und alle ihre Ansagen am Tisch auf Englisch ankündigen durfte. Service und Küche begegneten sich somit auf Augenhöhe und rechtfertigen damit ohne jeden Zweifel den aufgerufenen Menüpreis. Auch die Nebenkosten halten sich in erträglichem Rahmen und trüben den Genuss kein bisschen.

Die überbordende Kreativität, die die Küche hier an den Tag legt, ist die eine Sache – die Umsetzung der kreativen Ideen in Harmonie und Wohlgeschmack ist eine völlig andere. Wie oft erlebt man, dass das eine gut gelingt, aber das andere leider nicht annähernd so überzeugend gerät?! Nicht so bei Christian Bau, dem man praktisch nie auch nur den kleinsten handwerklichen Fehler nachweisen kann. Seine hochkonzentrierte Küchenbrigade kreiert in steter Regelmäßigkeit unvergleichliche Tellergemälde, bei denen jede noch so kleine Komponente ihren Sinn hat und nichts Überflüssiges auf den Teller gelangt. Frischer könnten die eingesetzten Produkte auch nicht sein, und was Christian Bau daraus macht, schwerlich besser. Von Teller zu Teller steigert sich das Maß an Demut bis in Dimensionen hinein, wo ich anfange, mich zu fragen, womit ich den Verzehr eines solchen Mahls überhaupt verdient habe. Das Maß an Überraschungen und unglaublich transparenten Geschmackserlebnissen ist sicherlich fordernd für den Gast, aber die gut fünf Stunden könnten meinetwegen gar kein Ende nehmen. Sollte Christian Bau mit seinen exorbitanten Fähigkeiten womöglich immer noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht haben, dann steht dem Gault&Millau möglicherweise demnächst eine Sternstunde ins Haus.

Lassen Sie mich das erklären: die Bewertung durch den gelben Gourmetführer erfolgt gemäß dem französischen Schulnotensystem, wo 20 Punkte die Höchstnote darstellen. Bei G&M argumentiert man nun, dass ein derartiges Urteil bedeuten würde, dass ein Koch praktisch auf demselben Niveau wie Gott selbst Leistungen abruft. Seit 1974 wurde diese eher theoretische als praktische Note weltweit zwei Mal vergeben: für Sergio Hermans bereits seit einigen Jahren geschlossenes und legendäres Oud Sluis im niederländischen Sluis (ich stand schon davor …) sowie für Marc Veyrats ebenfalls nicht mehr existierendes La Maison de Marc Veyrat im französischen Mégève. Folglich behilft man sich beim G&M mit einer Krücke, nämlich der Höchstnote von 19,5 Punkten (welche derzeit sechs Köche in Deutschland innehaben). Man darf somit gespannt sein, ob es bei Christian Bau eventuell eines Tages zu diesem unerhörten Tabubruch von 20 Punkten kommen könnte …

Im Jahre 2018 wurde Christian Bau mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Typisch für ihn war dabei, dass er sich nicht etwa auf diesen Meriten ausruhte, sondern in einem Interview mit der SZ die Gelegenheit ergriff, darauf hinzuweisen, dass die Esskultur hierzulande noch immer nicht den annähernd gleichen Stellenwert wie in Frankreich, Japan oder Italien genießen würde. Die Deutschen hätten im Gegenteil Geld für alles Mögliche wie Autos, Urlaubsreisen und große Sport- oder Konzertevents übrig, aber nur nicht für gehobene Gastronomie. So ist es fast schon bezeichnend, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Gäste über den Flughafen in Luxemburg aus dem Ausland anreist. Es muss offenbar sehr an dem Chef nagen, dass seine überbordenden Fähigkeiten im Ausland offenbar weit mehr Anerkennung als in der Heimat finden ….

Als noch bedeutsamer erwies sich für Herrn Bau allerdings die Auszeichnung zum Botschafter der japanischen Küche – eine nur ganz selten verliehene Auszeichnung, die er aus den Händen des japanischen Ministers für Landwirtschaft persönlich entgegen nahm und die er überhaupt erst als dritter Nicht-Japaner erhielt. Man stelle sich nur einmal eine vergleichbare Wertschätzung aus den Händen von der hierzulande zuständigen Ministerin Julia Klöckner hervor – einfach undenkbar! Oder sollte ich vielleicht besser „lächerlich“ sagen?!

Nicht verschwiegen sei an dieser Stelle auch, dass mir eine besondere Ehre am Ende unseres Besuchs zuteil wurde. Anlässlich des 80. Geburtstags von Eckart Witzigmann am 4. Juli 2021 hatte Christian Bau nämlich eine sehr persönliche Hommage voller reizender Anekdoten für die WELT verfasst, die auch im Internet einsehbar ist. Daraufhin sandte ich dem Restaurant eine Mail mit meinem Dank für diese Würdigung und deutete an, dass ich Maestro Eckart Witzigmann möglicherweise bei meinem bevorstehenden Besuch im Salzburger Ikarus begegnen würde (was dann leider nicht der Fall war). Diese Mail nahm der als eher scheu geltende Christian Bau dann zum Anlass, am Ende unseres Besuchs nicht nur ein paar Worte mit mir zu wechseln, sondern auch für ein Foto mit mir zur Verfügung zu stehen. Als Eckart Witzigmann zum 20-jährigen Bestehen des Victor’s Fine Dining im Jahre 2018 zu Besuch war, entstand auch ein Bild mit den beiden Köchen, das seither im Foyer des Lokals aufgehängt ist und die tiefe Wertschätzung für den Jahrhundertkoch erkennen lässt. Dass Christian Bau trotz seiner überragenden Fähigkeiten immer noch diese Demut an den Tag legt, ist dabei wohl die größte Überraschung.

Auf den Punkt gebracht unterstrich dieser Besuch einmal mehr mein Argument, dass das Victor’s Fine Dining derzeit die unangefochtene Nummer Eins in Deutschland ist und mit Sicherheit zu den zwanzig besten Restaurants der Welt gezählt werden muss. Auf welchem Niveau hier inzwischen Hochküche zelebriert wird, lässt sich nur ungenügend in Worte kleiden. Da gibt’s nur eins: selbst erleben und nicht mehr aus dem Staunen herauskommen! Eines ist sicher: bis zu meinem nächsten Besuch wird es definitiv keine fünf Jahre mehr dauern! Außerdem zolle ich meine bedingungslose Anerkennung, indem ich diese genuine Sternstunde auf Rang zwei meiner besten Restaurantbesuche aller Zeiten einordnen werde!

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Victor’s Fine Dining
Schloßstraße 27-29
66706 Perl-Nennig
Tel.: 06866/79118
www.victors-fine-dining.de

Guide Michelin 2021: ***
Gault&Millau 2021: 19,5 Punkte
GUSTO 2021: 10 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2021: 5 F

Menü „Paris-Tokyo“: € 285