Victor’s Fine Dining***, Perl-Nennig (UPDATE)

„Das vollkommene Glück ist unbekannt. Für den Menschen ist es nicht geschaffen.“ (Voltaire)

September 2023

Das Victor’s Fine Dining gehört seit geraumer Zeit und ohne jeden Zweifel zu den weltbesten Adressen. Seit Christian Bau vor 15 Jahren seine zunächst auf den Grundfesten der französischen Klassik basierende Küche signifikant um japanische Elemente erweiterte und diesen Stil inzwischen längst zu einer unverwechselbaren Fusion geführt hat, möchte man diesen Hort des Hochgenusses nicht mehr missen. Angeführt wird das Lokal von einem schlagkräftigen Team, das in allen Bereichen erstklassig aufgestellt ist: neben dem Meister höchstselbst wären hier Restaurantleiter Felix Kress, Sommelier Ryan Duffy, Pâtissière Wiebke Heger und Souschefin Sarah Hackenberg zu nennen, die übrigens seit kurzem Christian Baus Ehefrau ist und nun Sarah Bau heißt. Zudem gilt sie als eines der größten Talente in Deutschland auf diesem Posten.

Ansonsten hat man in den letzten Jahren den Eindruck gewonnen, dass das offenbar immer noch nicht abgeschlossene Streben nach Kaiseki, dem japanischen Begriff für das reine Empfinden von Perfektion, in Form von minutiösen Änderungen fortgesetzt wird. Es ist wohl kaum vermessen, Christian Bau als einen im positivsten Sinne getriebenen Koch zu bezeichnen, der sich dieses Ziel derart nachhaltig und aus Überzeugung auf die Fahnen geschrieben hat, dass keinerlei Stillstand oder gar Rückschritt zu erwarten ist. Folgerichtig wird er fortan auf Fleisch, das in seinen Menüs meist eh nur eine untergeordnete Rolle spielte, als obligaten Teil seiner Menüfolge ganz verzichten und dieses nur noch als Zusatzoption offerieren – wobei freilich auch dann mit Miyazaki-Beef und Kagoshima-Rind gerechnet werden darf.

Den Apéritif, bestehend aus dem alkoholfreien Cocktail aus Hibiskus, Tonic und Yuzu, kenne ich zwar noch vom letzten Besuch, doch dank fruchtig-herber Noten stellt er einen idealen flüssigen Einstieg auf der Terrasse an diesem warmen, spätsommerlichen Sonntag dar. Bereits hier bestelle ich das große (und praktisch ohnehin alternativlose) Menü Paris-Tokyo zu € 328 und kaum es erwarten, mit welchen kulinarischen Höhenflügen mich das Menü diesmal verzaubern wird. Jedenfalls wird die Messlatte wie so oft mit den ersten fünf Apéros in derart astronomische Höhen gehängt, dass weniger versierte Köche schon bald einsehen müssten, an dem selbst gesteckten Ziel zu scheitern. Christian Bau kann seine außergewöhnlichen Fähigkeiten jedoch absolut realistisch einschätzen und fährt schon zu Beginn eine Strategie nachhaltiger Beglückung und Beeindruckung gleichermaßen.

Ein intensives und klares Statement ohne jedwede künstlich anmutende Verfälschung setzt die Küche schon mit dem allerersten Einsteiger: der kalte Sud von Ochsenherztomate mit geflämmter Gambero Rosso, Wassermelone und Gurke (auch als Sorbet!) verzaubert die Geschmackspapillen auf unwahrscheinlich beeindruckende Art. Durch die kühle Temperierung werden die Sinne entsprechend geschärft und auf Betriebstemperatur gebracht.

Dies ist auch erforderlich, will man alle Facetten der nächsten Petitesse erfassen: die Tartelette mit Tatar von tasmanischer Seeforelle, Saiblingskaviar, Erbsen, Katsuoboshi (Bonitoflocken) und Myoga ist einerseits so komplex belegt und andererseits so elegant umgesetzt, dass eine zarte Meeresbrise den Gaumen umschmeichelt und mir die hochkomplexe Mundfülle tief imponiert.

Optisch besonders ansprechend, wenngleich eher einiges unter der Blume versteckend, wird die Tartelette mit Langustinensalpicón, mariniertem Palmherz, Bergamotte und Kaviar in Szene gesetzt: dieser erlesene und zur Abwechslung klarer strukturierte Happen kommt schwebend leicht daher. Dank präsenter, aber milder Säure strahlt auch dieser Einfall geradezu aristokratische Noblesse aus und scheint regelrecht zu schweben – so entzückend leicht wirkt dieser Gedanke.

Deutlich gehaltvoller wird es mit Akami (oberer Rücken) vom Thunfisch als Tatar in einer weiteren Tartelette, denn es ist dank „Façon Rossini“, also mit geriebener Gänseleber, unendlich subtil verfeinert. Für den letzten Feinschliff bei dieser ultrafrischen und leicht jodigen Petitesse sorgen etwas Holunder sowie körperbetonter und kraftvoller Mirin. Andere Chefs wären froh, wenn sie eine einzige, solch umwerfend umgesetzte Idee in ihrem Repertoire hätten, …

… doch den fulminanten Anschluss der Pentalogie bildet schon seit geraumer Zeit die ikonische japanische Waffel mit Saba-Makrele, Yuzu-Koshu und Kaviar. Obwohl schon mehrfach verzehrt, kann man von dem gehaltvollen Fisch auf der leicht krossen und praktisch fettfreien Waffel einfach nicht genug bekommen. Kein Wunder, denn die geradezu pedantisch ausgeklügelten Aromen in perfekter Balance zueinander verblüffen nicht nur dank trennscharfer Kontraste, sondern auch wegen des unerwartet kraftvollen Geschmacks. Sollte dieser Klassiker noch einige Zeit auf der Karte stehen, dann hätte er das Potential, mittelfristig genauso berühmt zu werden wie das ikonische Tortenstück im Sonnora, das mit dem Auto übrigens auch nur eine gute Stunde entfernt ist. Das Fazit nach dieser charmanten und wirklich einladenden Parade fällt jedes Mal gleich aus: atemberaubend, auf Weltklasseniveau und immer wieder zauberhaft!

Mit dem Amuse schließlich zwängt Christian Bau gefühlt das essbare Strandgut eines Spaziergangs an der Nordsee in ein ungeheuer gedrängtes Schälchen. Nicht weniger als rohe Meeresfrüchte wie Stab- und Entenmuschel, Gambero, Auster, Austerncrème, Yuzu-Vinaigrette, Ponzu, Algen und Strandkräuter sind integrative Bestandteile dieses schon visuell ungemein befriedigenden Einfalls. Kann so eine hinreißende Optik funktionieren ohne dabei den Geschmack opfern zu müssen? Die Fähigkeiten anderer Chefs seien hier nicht thematisiert, aber beim Großmeister von Perl-Nennig klappt dies so zwingend leicht, dass es eine reine Wonne ist: minutiös abgeschmeckt, ungeheuer komplex und jedes Detail ins rechte Verhältnis zu den übrigen Komponenten gesetzt. Das grenzt an Zauberei und bringt diesem vollkommenen Schälchen einen Ehrenplatz auf meiner Menüfolge des Jahres ein. Ich bin sprachlos!

Auch wenn mein Weinwissen bestenfalls rudimentären Charakter aufweist, so erlaube ich mir hier anzumerken, dass auch die fulminante Weinkarte trotz eines erstaunlichen Fokus auf heimische Moselweine höchsten Ansprüchen genügt. Exemplarisch sei hier das Kronjuwel der Sammlung hervorgehoben, einen 2011er Les Clous Premier Cru von der Domaine d’Auvenay für ein „Taschengeld“ von € 14.000 – wer hat, der hat …

Erst jetzt, nach all diesen überragenden Eingebungen, beginnt das eigentliche Menü mit Sashimi von Kampachi, das bildschön zu einer Rose drapiert wurde. Der großen geschmackliche Ausdruckskraft und Frische des makellosen Produkts soll nichts im Wege stehen, weshalb lediglich eine delikate und ausgesprochen zweckdienlich eingesetzte Entourage aus knackigem Daikon und Crème von Tabouriech-Austern (die auch in „reiner“ Form auf den Teller gelangen) sowie Kaviar schon ausreicht, um die größtmögliche Aussagekraft zu erzielen. Die am Platz aufgegossene Holunderblütenponzu erweist sich jedoch als das Schlüsselelement, denn sie fasziniert gleichermaßen mit leichter Süße und straffer Säure. In diesem puristischen Arrangement wird somit nichts kaschiert und die Frische auf diese Weise noch zusätzlich betont. Wie immer ist jeder Teller bei Christian Bau äußerst durchdacht und folglich auf Weltklasseniveau umgesetzt.

Den Crudo von Tuna-Toro (roher Thunfischbauch) kenne ich noch vom letzten Mal, doch steigert dieser Umstand angesichts der inhärenten Qualität das Verlangen, diesen erlesenen Happen abermals zu verkosten. Das fast buttrige Tatar ruht auf einer ungeheuer dichten und komplexen Sojasauce (Shoyu), die – typisch für Christian Bau – trotz ihrer Güte noch zusätzlich mit zehn Jahre altem Mirin kraftvoll betont wird. Wasabi und Kaviar krönen diesen ungeheuer aromenstarken Happen, der wahre Geschmacksexplosionen im Mund auslöst. Der Furikake-Chip aus Algen ist ein bemerkenswert herber und intensiver Texturgeber, der sich vollendet anschmiegt und das Gericht auf demselben exzellenten Niveau wie im Vorjahr abrundet. Meinetwegen könnte diese Petitesse zu einem neuen Signature Dish gekürt werden …

Das gegenüber dem Vorjahr unveränderte Sauerteigbrot wartet mit kraftvoll-herbem Geschmack auf, von dem insbesondere die Butter mit aufgeschlagener Sojasauce als idealer Begleiter profitiert, doch auch die etwas französischer anmutende Variante mit Togarashi (japanischer Pfeffer) schneidet keinen Deut schlechter ab.

Bislang galt übrigens das Motto „Heute bleibt die Küche kalt!“, denn erst an dieser Stelle folgt mit Provence-Artischocken an Kräutersalat, Walnuss und eingelegtem Trüffel ein etwas wärmerer Gang. Mit diesem rein vegetarischen Beitrag beweist Christian Bau, dass er auch auf diesem Gebiet in der Lage ist, harmonische Kombinationen zu kreieren, die den Fokus auf Vielfalt bei den Texturen legen, ohne dabei überladen zu wirken. Hier beispielsweise werden die Artischocken als Sud, Brunoise und in Form von eingelegten Segmenten interpretiert, wobei eine überraschende Parmesannote, die Bitterstoffe des Salats, die Erdigkeit der Trüffeln und die Nussigkeit dem Gang eine unerwartete Vielfalt verleihen, die man ihm zunächst nicht ansieht. So adrett und ausgewogen das auch sein mag, so wenig zupackend ist es andererseits – die Hinwendung zu vegetarischen Gängen ist sicherlich lobenswert, aber unterschwellig habe ich das Gefühl, dass diese Disziplin nie eines der Steckenpferde dieses Großmeisters werden wird. Das ist fraglos in der Oberliga anzusiedeln, aber gemessen an Christian Baus horrendem Anspruch an sich selbst schneidet dieser Teller eher durchschnittlich ab – wobei es fast tröstlich erscheint, dass selbst diesem Ausnahmekoch nicht alles perfekt gelingen kann.

Schon bei meinem ersten Besuch hier vor fast zehn Jahren bekam ich blauen Hummer vorgesetzt, der erklärtermaßen zu den Lieblingsprodukten des Grand Chefs gezählt werden muss. Diesmal gelangt er in pochierter sowie auf Binchotan gegrillter Form auf den Teller und dominiert sowohl optisch als geschmacklich, wenngleich das Fleisch des Krustentiers nicht weicher hätte geraten dürfen. Das klassische Prinzip der zweierlei Saucen wird hier in einer besonders knalligen Variante zur Schau gestellt, gerät aber letztlich kontrastärmer als es die Farbgebung vermuten ließe. Zur linken Seite bietet die Küche eine Krustentieressenz mit XO auf, während die mit Galgant aufgewertete und geschäumte Beurre blanc ähnlich würzig wie ihr Pendant gerät. Unter knackigem Pak Choi bringt die Küche zudem noch Kimchi vom Hokkaido-Kürbis ins Spiel, die mit Crème von roten Pimientos markig akzentuiert wird. Das ist fraglos ein sehr kreativer und gelungener Teller, wenngleich der Dialog zwischen den beiden würzigen Saucen für meine Begriffe gerne noch kontrastreicher hätte ausfallen dürfen.

Dass Christian Bau in seiner Entwicklung auch nach einem Vierteljahrhundert auf Schloss Berg und nach fast zwanzig Jahren mit drei Sternen angesichts weiter sprudelnder Ideen nach wie vor nicht willens ist, kürzer zu treten oder sich auf dem Erreichten auszuruhen, beweist das Hauptgericht, das meines Wissens erstmalig auf Fleisch verzichtet. Künftig werden auch hier bevorzugt Fische oder Krustentiere zum Einsatz kommen, während eine fleischliche Alternative nur noch als kostenpflichtiges Upgrade angeboten wird. So gibt es einen exzellenten und punktgenau gegarten Steinbutt zu bewundern, der auf einer Bouillabaisse von mittlerer Intensität mit deutlich asiatisch gefärbten Aromen ruht. Trotz zunächst gegenteiligen Anscheins passiert auf diesem Teller relativ viel, so dass die Wahrung der Balance einem Drahtseilakt gleichkommt – dennoch gelingt es, Perçebes, Edamame-Bohnen, Fenchelsalat und schaumige Sauce Rouille hinreißend in Einklang zu bringen, zumal die in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzenden essbaren Blüten wie Dill noch hinzukommen. Angesichts der französischen Klarheit und der japanischen Reduktion auf das Wesentliche (der Steinbutt thront trotz des ihn umgebenden Reigens klar im Zentrum des Geschehens) liefert dieser Teller ein geradezu archetypisches Beispiel für Christian Baus Synthese französischer und japanischer Elemente – der Steinbutt von vor zwei Jahren mit Algenöl und Blumenkohl bleibt indes unerreicht.

Trotz eines leicht veränderten Designs setzt die Pâtisserie teils weiterhin auf das Dessert, das ihr bereits letztes Jahr ausgezeichnet gelungen war und schon bald Klassikerstatus einnehmen dürfte, wenn es noch längere Zeit auf der Menüfolge verweilen sollte. Die Kreationen von Wiebke Heger korrespondieren prächtig mit der oft ausladenden, aber nie aufdringlichen Optik des Grand Chefs und zeichnen sich meist durch eine besonders beschwingt anmutende Leichtigkeit aus. In diese Kategorie fällt auch das grüne Shisoeis mit Zitruscurd, dessen grüne Aromen von der typischen Bitterkeit des Matchatees in Form von Sponges aufgefangen werden. Die mit Minze veredelte und eingedickte Milch steuert ebenfalls nur wenig Süße bei, so dass der bekömmliche und nicht belastende Charakter jederzeit gewahrt bleibt. Das ist quasi eine essbare Referenz an die letzten Tage des Sommers, der sich zum Zeitpunkt meines Besuchs noch ein letztes Mal empor schwang, bevor dann ein selten nasser Herbst Einzug halten sollte.

Weniger verspielt und reduzierter wirkt dagegen das Champagnercrèmeeis und Himbeersorbet mit Pfirsich und Verbenearoma, weil es es auf klarere Strukturen setzt. Insgesamt ist das ein Dessert, das keine große Erläuterung braucht, weil alles gut erkennbar und ohne nennenswerte Verfremdung in Szene gesetzt ist – gleichzeitig erweist es sich als ein vergleichsweise liebliches Dessert ohne unnötige Kanten, dessen Reiz sich dadurch allerdings recht schnell abnutzt. Handwerklich ist alles optimal, aber vielleicht sei an dieser Stelle etwas mehr Wagemut angeraten, der mit mehr Überraschungen einhergeht. Dies holen allerdings die Petits fours zum Teil nach, die mehr Risikofreude ausstrahlen: da wären beispielsweise ein recht ungewöhnliches Macaron von Adzukibohnen (verblüffend aromatisch!), ein Bienenstich, eine farbenfrohe Tarte au citron, ein Yuzu-Pâte-de-fruit auf Meringue und ausgestochene Cantaloupe-Melonenkugeln. Hinzu kommen noch vier Pralinen: Haselnuss (rechts), Erdnuss mit schwarzem Knoblauch (links daneben), Olivenöl (links) und – besonders ungewöhnlich – Pandan (rechts daneben). Dass die prinzipielle Bereitschaft vorhanden ist, Neues auszuprobieren, beweist dieser bemerkenswert gelungene Ausklang zweifelsfrei.

Die beruhigendste Erkenntnis des Tages gleich vorweg: Christian Bau feilt weiterhin unermüdlich an der Verbesserung seiner Fähigkeiten und betreibt einen immensen Aufwand, um selbst noch winzigste Optimierungen – anders macht man auf diesem Niveau keine Fortschritte mehr – vorzunehmen. Sein Reigen an Apéros hat in Deutschland nicht seinesgleichen und ist inzwischen in Sphären angesiedelt, von denen andere nur träumen können. Das Maß an Beeindruckung ist schon nach wenigen Häppchen derart gewaltig, dass man achtgeben muss, nicht jedes weitere nachfolgende Gericht zu pedantisch zu bewerten und alles, was auch nur minimal schlechter als perfekt ist, zu kritisieren. Obschon es einerseits wahr ist, dass diese Stippvisite nicht ganz die hypnotische Kraft der Menüfolge von vor zwei Jahren hatte, so muss doch festgehalten werden, dass selbst in diesem Falle die gezeigten Darbietungen immer noch so deutlich in der Weltklasse angesiedelt sind, dass gefühlt auch in den nächsten Jahren nicht mal der Ansatz einer Abwertung drohen könnte. Anders ausgedrückt: mit größter Zuverlässigkeit hat jede Mahlzeit hier mindestens drei bis vier kaum für möglich gehaltene Beiträge zu bieten, die man in dieser Form sicherlich noch nie verkostet hat und erst recht nicht irgendwo anders auf demselben Level vorgesetzt bekommen könnte. Außerdem hinterlassen manche Einfälle von vergangenen Besuchen einen derart nachhaltigen Eindruck, dass sie im Wiederholungsfalle als höchst willkommen angesehen werden und offenbar den Einzug in Christian Baus persönliches Pantheon geschafft haben!

Die geradezu fanatische Suche nach Produkten allerbester Qualität zeichnet diese Küche seit jeher aus, weswegen entsprechende Kosten unvermeidbar sind. Diese werden nicht nur auf das Menü, sondern quasi auch anteilig auf die Getränke verteilt, weshalb man von in Deutschland vergleichsweise hohen Nebenkosten ausgehen muss, die allerdings im internationalen Vergleich schon wieder deutlich kulanter anmuten. Außerdem kündigte Christian Bau beim finalen Gespräch mit mir eine Maßnahme an, die er niemals ergreifen wollte, aber unausweichlich (und inzwischen auch seit Jahresbeginn 2024 umgesetzt) ist: die Einführung einer Anzahlung in Höhe von € 250 pro Person, die im Falle des sogenannten No-Show einbehalten werden. Offenbar ist dieses Lokal von dieser grassierenden Unsitte mancher Gäste besonders betroffen, zumal auch bei meinem Besuch ungewöhnlicherweise einige Tische frei bleiben. Für den Ablauf des Mahls bedeutet dies eine angenehm zügige und gleichzeitig entspannte Abwicklung, doch der immense wirtschaftliche Schaden, der Lokalen dieser Kategorie durch dieses Phänomen entsteht, stellt schon seit einigen Jahren ein gravierendes Problem dar. In seinem jüngsten Newsletter rechtfertigte sich Christian Bau fast entschuldigend für diese Maßnahme, doch international ist dies schon längst Standard und daher meines Erachtens überhaupt nicht verwerflich, zumal die Schuld daran ja nicht bei ihm, sondern bei unzuverlässigen oder anmaßenden Gästen liegt, die glauben, sich eine unentschuldigte Absage einfach so gestatten zu können – abgesehen davon, dass es mir unerklärlich ist, wie viel Dusseligkeit notwendig ist, um einen Termin hier (ob bewusst oder unbewusst) zu versäumen! Jedenfalls ist es ohne entsprechenden Vorlauf nach wie vor ziemlich schwierig, einen Tisch zu ergattern.

Dass sich das Warten für den Gast lohnt, steht dagegen außer Frage: Christian Bau ist für mich unter den deutschen Spitzenköchen der Primus inter pares und beweist ein ums andere Mal, weshalb er im selben Atemzug mit den international renommiertesten Chefs genannt wird. Bei alledem bleibt der Chef, der sich im Gastraum für gewöhnlich rar macht, erfreulich geerdet, bezieht in seiner „Welt“-Kolumne immer wieder klar Stellung zu aktuellen Themen und spart bei Besuchen auswärts auch nicht mit höchstem Lob für Kollegen, die weniger hochdekoriert sind. Christian Bau hat eine Strahlkraft in der Branche entwickelt, die es ihm zudem gestattet, mit größter Selbstverständlichkeit international berühmte Kollegen für ein Four-Hands-Cooking ins Saarland zu locken: so waren 2023 beispielsweise Sven Wassmer (Memories, Bad Ragaz), Heinz Beck (La Pergola, Rom) und Paolo Casagrande (Lasarte, Barcelona) zu Gast.

Trotz all der Auszeichnungen vergisst der Chef seine eigene Maxime nicht: „Wir wollen Gäste mit unserer Arbeit glücklich machen.“ Das gelingt ihm so perfekt, dass mir die Superlative für diese Adresse offen gestanden bald ausgehen: so überzeugend und atemberaubend sind die Performances, die Christian Bau hier Jahr für Jahr mit größter Präzision und Verlässlichkeit abruft. Wir können uns nur glücklich schätzen, solch eine Adresse in Deutschland anbieten zu können. Einmal mehr vielen, vielen Dank!

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Victor’s Fine Dining
Schloßstraße 27-29
66706 Perl-Nennig
Tel.: 06866/79118
www.victors-fine-dining.de

Guide Michelin 2023: ***
Gault&Millau 2023: 5+ Toques
GUSTO 2024: 10 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2024: 5 F

Menü „Paris-Tokyo“: € 328

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„Tue Dinge mit Leidenschaft oder überhaupt nicht.“ (Christian Bau)

UPDATE (August 2022)

Obwohl es sich um die beiden Welthauptstädte der Hochküche handelt, haben Paris und Tokyo nicht so viel gemeinsam: zwar vereinen sie zusammen fast zwei Dutzend Drei-Sterne-Restaurants, aber angesichts ihrer Entfernung von fast 10.000 Kilometern zueinander sind echte Berührungspunkte spärlich gesät. Umso erstaunlicher wirkt es vor diesem Hintergrund, dass Christian Bau seine geniale Fusion französischer und japanischer Elemente inzwischen zur Perfektion getrieben hat und derzeit für mich die unangefochtene Nummer Eins unter den deutschen Dreisternern darstellt. Trotz der etwas abseitigen Lage an der luxemburgischen Grenze kann man hier so viele ausländische Gäste wie kaum anderswo begrüßen – dem Flughafen in Luxemburg, ohne den dieses Lokal fast undenkbar wäre, sei Dank. Längst wissen die erfahrenen Gourmets aus aller Welt, dass sie hier stets eine Küche mit Produkten in schier unvorstellbarer Referenzqualität erwarten dürfen, Teller der absoluten Extraklasse erleben können und bestens von der höchst aufmerksamen Servicetruppe unter der umsichtigen Leitung von Felix Kress und der hochkompetenten Sommelière Nina Mann betreut werden.

Unumschränkter Star ist und bleibt aber selbstverständlich Christian Bau, der auch nach fast 25 Jahren keinerlei Verschleißerscheinungen zeigt und sein Kulinarium beständig in der Weltklasse hält. Unverwechselbares Kennzeichen seiner Ästhetik ist schon die Nomenklatur seines Menüs (derzeit € 325), welches stets die Bezeichnung „Paris – Tokyo“ trägt und sich die unmöglich scheinende Verquickung der besten Elemente aus beiden Welten auf die Fahnen geschrieben hat. Einträchtig gehen dabei japanische Demut und französische Noblesse Hand in Hand; Klassiker stehen gleichberechtigt neben neuen Gerichten, deren Raffinement ein ums andere Mal beeindruckt. Dieses Lokal genießt derzeit als einziges der Republik neben dem Sonnora in der Eifel in allen professionellen Guides die Höchstnote, was einen deutlichen Fingerzeig auf die Extraklasse dieses Restaurants darstellt.

Was macht denn nun den Reiz dieser unvergleichlichen Küche aus? Ich versuche, im Laufe des Menüs die inhärenten Qualitäten so gut es geht zu würdigen, aber ich müsste lügen, würde ich behaupten, alle Effekte und handwerklichen Höhenflüge enträtseln zu können. Tatsache ist, dass der Chef faktisch immer am Herd steht, wenn das Lokal geöffnet hat. Im Falle von Krankheit oder Gastauftritten (wie zum Beispiel beim Four-Hands-Cooking mit Edip Sigl im es:senz in Grassau im Juni) wird das Restaurant konsequent geschlossen. Diese Akribie und Disziplin haben Christian Bau eine Reputation in der Szene eingebracht, die dazu führt, dass Gastköche Schlange stehen und sich glücklich schätzen dürfen, wenn sie zusammen mit ihm bei einem Event in seinem Etablissement aufkochen dürfen – logisch, dass da Namen wie Viki Geunes (vom Dreisterner Zilte in Antwerpen) oder Eric Vildgaard (vom Jordnær, einem der angesagtesten Zweisterner Kopenhagens) kursieren und das Interesse der Gästeklientel hochhalten. Doch auch ohne Gastkoch erlebt man hier als Gast eine beispiellose Hingabe und Leidenschaft – so mancher Kollege sieht in Christian Bau einen regelrecht „Getriebenen“, was aber ausschließlich als Kompliment zu verstehen ist.

Diese Versenkung in den Beruf spürt man schon bei den Amuses, denn wo andere langsam ins Menü geleiten und die Messlatte noch nicht sonderlich hochhängen, so wird hier das Gaspedal gleich voll durchgetreten und ein Standard präsentiert, der seinesgleichen sucht. Beispielhaft dafür steht gleich der Auftakt, den wir zwar vom letzten Besuch her noch kannten, aber angesichts seiner Qualität gerne ein weiteres Mal verzehren: eine fluffige und würzige Mousse von Gurke und Shisokresse verdeckt eine ganze Bandbreite an Meeresfrüchten (unter anderem Garnele und Auster), deren Frische und tadellose Zubereitung in bestem Licht erstrahlen. Geschmacklich perfekt abgerundet wird das Ganze mit Shishito-Pfeffer und einem gut versteckten Gurkeneis, denn diese Petitesse vereint komplexe Aromen derart überzeugend, dass die süßlichen und jodigen Elemente so einträchtig harmonieren, dass man meinen könnte, es handle sich dabei um die naheliegendste Kombination an Produkten! Einfach fabelhaft!

Es folgt ein südkoreanisches Sushi mit Hamachi-Tatar und Rettich, das eine vibrierende Frische auf den Löffel zaubert – man fragt sich unwillkürlich, wie die Veredelung recht einfacher Produkte ein solches Ergebnis hervorbringen kann.

Das Tartelette von Ox-Tatar mit Meerrettich, Radieschen, Crème fraîche macht da weiter, wo das Tatar aufhörte: mit überragender Produktqualität, geschmacklicher Tiefe, bestechender Frische und einer unbeschreiblichen geschmacklichen Intensität, die wohl nur dann zu erzielen ist, wenn selbst jedes noch so kleine Detail minutiös ersonnen ist.

Auf einem weiteren Törtchen drapiert die Küche Lachs, Myoga, Erbsen, Sommertrüffel und Ceta-Kaviar – mit dem Ergebnis, dass diese bei einem schwächeren Handwerk vollkommen überfrachtet anmutende Kombination perfekt aufgeht und ein Feuerwerk an Aromen zündet. Mir bleibt ein Rätsel, wie man so disparitätisch scheinende Aromen bei größter Transparenz so harmonisch zusammenführen kann und dabei eine Umami-Wucht entwickelt, die beispiellos ist. Keine Frage: bereits nach den Einstiegen weiß der Gast, in welch astronomischer Höhe die Latte liegt. Dabei ist der größte Klassiker unter den Apéros ja noch nicht einmal aufgetragen, …

… nämlich die Waffel mit Sardine, Kaviar, Meereskräutercrème und essbaren Blüten. Die gefühlt fettfreie Waffel ist ein optimaler Boden für die launige Inszenierung darüber: von Japan her weht da eine frische Meeresbrise durchs Moseltal und verzückt die Gäste mit dem Besten aus dem Pazifik. Das salzlastige Aromenbild ist unglaublich diffizil ausgeklügelt und stellt die Krönung eines unfassbar guten Einstiegs dar, denn die schiere Präzision lässt andere Köche vor Neid erblassen. Im Verbund mit dem Cocktail aus Tonic Water, Hibiskus und Yuzu gelingt dieser Auftakt so souverän wie nur irgend denkbar, zumal auch weitere Details wie das Erfrischungstuch zu Beginn den makellosen Eindruck zementieren. Ein paar Kollegen mögen quantitativ noch mehr zu Beginn auffahren, aber beeindruckender als diese Parade geht es wirklich nicht.

Zu dem Sauerteigbrot serviert man hier Togarashi (japanischen Pfeffer) auf einer Sauerrahmbutter, während die zweite Variante mit aufgeschlagener Sojasauce eine süchtig machende und umwerfende Intensität erreicht.

Auf einer vorzüglichen Mandelcrème platziert die Küche von unten nach oben Tatar vom Taschenkrebs, gefolgt von einem Tomatensorbet und schließlich den falschen Zweig aus einem Algenchip. Wie fruchtbetont die verwendete hochklassige Amela-Tomate auch sein mag, so bleibt die Meeresaromatik vorzüglich inszeniert: gerade die Balance unter den Komponenten in diesem aufgeräumt wirkenden Schälchen ist atemberaubend und sorgt dafür, dass einmal mehr das Niveau in unfassbare Dimensionen vordringt.

Die Platzierung des Essens in einem Seeigel macht optisch natürlich enorm viel her, aber im Kontrast dazu ist der Inhalt selbst recht puristisch: das Paradestück des Thunfischs Toro (Bauch) beansprucht mit seiner Salinität und dem recht hohen Fettgehalt zurecht die größte Aufmerksamkeit, schmilzt er doch geradezu auf der Zunge. Die traditionelle Würzsauce Shoyu auf der Basis von Soja und der opulente Kristal Kaviar verleihen dem Gang eine würdige Noblesse, doch die genau ausgeklügelte Würze ist letztlich das Detail, das am längsten im Gedächtnis haften bleibt. Einmal mehr zaubert Christian Bau mit seinem Team aus einer gar nicht so komplexen Grundidee ein Kunstwerk von Ausnahmerang, dem es gelingt, seine verblüffende Raffinesse im Gewande einer fast schon puristischen Darbietung zu kaschieren: umso größer gerät einmal mehr die geschmackliche Explosion, wenn man das Gericht verkostet. Wenn das so weitergeht, dann kann Christian Bau eigentlich nur noch an dem an ihn selbst gesteckten Anspruch scheitern. Die Furikake-Chips à part erinnern geschmacklich an aromensatte Algen und steuern eine ausgeprägte Salzigkeit bei, die dem Gericht ausgesprochen gut zu Gesicht steht.

Als nächstes wagt sich die Küche an eine Kombination heran, die mich in anderen Lokalen noch nie sonderlich überzeugen konnte: Thunfisch, in diesem Falle unter anderem als Sashimi präsentiertes Akami (Bauch), wird hier mit geeister Gänseleber kombiniert und mit einer Ponzu von Holunderblüte und Trüffel miteinander verbunden. Für meinen Geschmack hätte der maritime Teil angesichts der makellosen Produktqualität und dem adretten Defilée aus Edamame und der Vinaigrette auch ohne die Leber auskommen können, da ihr cremiger Charakter in diesem Kontext etwas disparitätisch auf mich wirkt. Vielleicht ist dies der eine marginal schwächere Gang dieses Nachmittags, doch kaum ein anderer Teller verbindet japanische mit französischen Elementen so deutlich wie hier. Das Ergebnis ist freilich angesichts luxuriöser Produkte mehr als vorzeigbar, aber vielleicht wäre gerade hier weniger mehr gewesen.

Ein wahres Prachtexemplar von einer Langustine leitet zum nächsten Gang über, der den Fokus wieder voll auf den glasigen Hauptdarsteller richtet. Der vermutlich längere Zeit eingelegte Spitzkohl mit schön mürbem Restbiss wird hier quasi als Wickel mit echtem geschmacklichem Mehrwert in Palmherz versteckt, dient aber auch der Aromatisierung von Crème und Sud. Die geschmackliche Abrundung gelingt mit der japanischen Gewürzmischung XO ganz hervorragend, so dass dieses auf eher französischen Produkten basierende und erstaunlich würzige Gericht einen überzeugenden asiatischen Anstrich bekommt.

Das nächste kulinarische Kunstwerk drapiert das Team um Christian Bau auf einer Beurre rouge, deren edler Geschmack sich so wunderbar anschmiegt, dass ich mich frage, warum diese mit Rotwein gebundene Sauce so selten eingesetzt wird. Hier jedenfalls umspielt sie einen vorzüglich gebratenen Steinbutt im Verbund mit jungem Spinat und Lauch. Der mit Ochsenmark aromatisierte Schaum steuert abermals aromatische Kraft bei, welche den Fisch, der in voller Leuchtkraft erstrahlen darf, allerdings nicht im Geringsten beeinträchtigt. Das französisch geprägte Gericht scheint mir auch insofern im Geiste Eckart Witzigmanns zu sein, da der Altmeister seine Gerichte ganz gerne mit zweierlei Saucen zugleich offerierte. Wenn es hier auch eher ein Schaum ist, so bezieht das Gericht seinen letzten Feinschliff in der Tat aus der kontrastierenden Wirkung von elegantem Rotwein und rustikalem Ochsenmark. Es funktioniert jedenfalls prächtig und veredelt diesen aufgeräumt wirkenden Teller auf grandiose Art.

Rein japanisch wird es dagegen bei Misoshiru: auf der mit Aromen von Krustentieren veredelten Dashi finden sich stilecht Enokipilze, Tofu, Edamame und Wakame-Algen, doch die opulente Einlage in Form von an der Karkasse gegartem Hummer hievt diesen in puncto Reinheit und Purismus nicht zu überbietenden Gang in eine ganz eigene Liga. Auch wenn wir diesen Gang schon letztes Jahr verkosten durften, so goutiere ich diese kulinarische Visitenkarte mit meiner vollsten Anerkennung. Asiatischer geht es nicht – und perfekter ebenfalls nicht.

Beim Hauptgericht dominieren auf überraschende Weise grüne Elemente, die auch auf der Karte als grüne Aromen annonciert werden: darunter befinden sich etwa Erbsen, Zucchini, Bittersalate und eine Schnittlauch-Sauce. Das enorm aufwendige und kleinteilige Bouquet zum Lamm, welches auf einer Lammjus von mittlerer Intensität ruht, lässt jeder Komponente – insbesondere den Kräutern – genügend Raum zur geschmacklichen Entfaltung. Der Fokus liegt damit gar nicht so sehr auf dem Fleisch, so dass ich mir vorstelle, diesen Gang unter dem Namen Victor’s goes Essigbrätlein anzupreisen. Tatsächlich erinnert so manches an diesem Gang an die besten Eingebungen in dem Nürnberger Gemüsetempel: der äußerst durchdachte Einsatz aller Komponenten und die angemessen sparsame Dosierung macht aus dem Hauptgang einen Einfall von stiller Größe, der ganz zeitgemäß grünen Viktualien huldigt, aber ohne dabei das hauseigene Credo zu vernachlässigen. Als hätte es dazu überhaupt noch eines Beleges bedurft, so beweist Christian Bau, dass er aktuellen Strömungen durchaus zugewandt ist und diese bereitwillig in seinen Stil einbaut, wo es Sinn macht.

Eines der größten Highlights steht uns beim Pré-Dessert bevor: das im Zentrum verweilende Eis von Shisokresse lässt sich auf einen hinreißenden Dialog aus Säure und Süße ein: während einerseits Crèmes und puddingartige Häubchen von Zitrusfrüchten (mit einer gewissen Präferenz für Limette, wenn ich mich nicht täusche) den leicht süßlichen Dessertcharakter bewahren, sorgen Matcha-Biscuit und insbesondere die Sponges von Genmaicha – einem japanischen Grüntee, der mit Reis aufgebrüht wird und dementsprechend bitter schmeckt – für herbe Kontraste. In Summe ist dies eine verblüffende und exquisite Eingebung, die ein ganzes Spektrum an Aromen ganz souverän abdeckt und phantastisch gelingt – eines der wenigen echten Ausnahmedesserts in diesem Jahr, zumal es wohl nicht mehr grüner wird in diesem Jahr.

Vergleichsweise schlicht und ganz anders, fast nüchtern wirkend, tritt dann das zweite Dessert auf: dennoch wird beim Verzehr schnell deutlich, dass die erdig-cremige Sauce von Soba Cha (Buchweizentee) eine keineswegs zurückhaltende Basis dieses Gerichts darstellt. In noch stärkerem Maße trifft dies auf das Törtchen von Valrhona-Schokolade zu, welches mit fluffiger Konsistenz und monumentaler Power zugleich auf sich aufmerksam macht. Bei so viel Wucht bedarf es eines kontrastierenden Elements von zwangloser Leichtigkeit: in diesem Fall handelt es sich um Eis und hauchdünne Chips von Sojamilch, die dieses alles andere als zu süße Dessert angemessen veredeln und den starken Eindruck würdig abrunden. Nicht zuletzt durch die vorzügliche Portionierung belastet dieses fast schon herbstlich anmutende Dessert den Magen überhaupt nicht und unterstreicht einmal mehr, was sich trotz des sparsamen Einsatzes von Zucker so alles machen lässt.

Sämtliche Register ihres Könnens zieht die Küche dann nochmals bei den Petits fours: auf dem oberen Foto handelt es sich um einen Macaron von roten Adzukibohnen (gibt es eigentlich irgendein fernöstliches Produkt, das Christian Bau nicht kennt?!) sowie eine höchst originelle dekonstruierte Miso-Crème-brûlée. Die drei wunderbaren Pralinen von Erdnuss-Yuzu, Trüffel-Olive und Kokos-Passionsfrucht werden begleitet von einer Neuinterpretation des Klassikers „Joghurette“ und dem Knalleffekt der Parade, dem Himbeer-Cheesecake mit geeisten Joghurtperlen. Das schmeckt durchweg einfach fabelhaft und rundet einen traumhaften Besuch mehr als angemessen ab. Angesichts dieser Ausklänge fällt es überhaupt nicht schwer, das Sättigungsgefühl nochmals zu unterdrücken und sich diesem Genuss hemmungslos hinzugeben.

Bei aller Leidenschaft, Perfektion und Hingabe ist nicht nur der Chef Christian Bau selbst absolut nahbar geblieben – nein, auch seine hochvirtuose Küche sollte trotz allem keine Gäste überfordern. Der Spagat zwischen den beiden Metropolen gelingt ein ums andere Mal stets ausgezeichnet – wobei sich durchaus Teller durchaus mal nur einem der beiden Kulturräume widmen und keineswegs jeder Gang zu einer Fusion zweier Stile gerät. Dennoch scheint es, als seien diesem Genie am Herd keine Grenzen gesetzt: auch nach fast fünfundzwanzig Jahren scheinen dem Ausnahmekoch die Ideen nicht auszugehen. Dabei ist all das, was seine Küche seit jeher ausgezeichnet hat, immer erhalten geblieben: da sind zum einen die minutiös ersonnenen Gerichte, die trotz des extremen Aufwands immer präzise bis ins kleinste Detail bleiben und handwerklich so perfekt gelingen, dass hier nichts unmöglich erscheint. Zum anderen ist es die bedingungslose Hingabe, die es dem Chef auferlegt, seine gesamte Energie für den Erfolg aufzuwenden. All dies führt beispielsweise dazu, dass die Suche nach hochwertigsten Viktualien viel Zeit in Anspruch nimmt, da ihm nur die allerbesten Produkte in Referenzqualität genügen – etwas, das dem Gast ungeheuer zugute kommt, denn Produkte dieser Güte bekommt ein Gourmet sonst fast nirgends in der Republik (selbst wenn dies natürlich seinen Preis hat). Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich das geradezu enzyklopädisch anmutende Wissen des Chefs um unterschiedlichste Produkte und Zubereitungen, so dass selbst noch so erfahrene Gourmets stets mit Recht davon ausgehen dürfen, Zeuge von einzigartigen und bislang nicht erlebten geschmacklichen Höhenflügen zu werden.

Zu einer herausragenden Küche gehört allerdings auch ein formvollendeter Service: dafür bürgen der neue Restaurantleiter Felix Kress, der sich viel Zeit für die Gäste nimmt, und die stets famos auftretende Nina Mann, die mit profundem Weinwissen und alkoholfreien Empfehlungen gleichermaßen zu punkten vermag. Bei alldem wahrt das Team trotz allem eine respektvolle Distanz und geleitet so ohne jeden Ausrutscher durch einen umwerfend gelungenen Nachmittag.

An meiner Einschätzung vom Vorjahr hat sich nichts geändert: dieser kulinarischen Institution reicht derzeit kein anderes deutsches Lokal das Wasser. Meiner „Drohung“ vom Vorjahr, hier künftig jedes Jahr einmal vorbeizuschauen, werde ich sicherlich auch weiterhin Taten folgen lassen. Mag sein, dass ich bei der nächsten Stippvisite eine andere Jahreszeit aussuchen werde, um eine noch größere Variabilität bei den Produkten zu erleben, aber im Zweifelsfall sollte man auch so die vielen genussvollen Jahre, die uns hier hoffentlich noch bevorstehen, keinesfalls ungenutzt verstreichen lassen. Meine zwei anstehenden Rezensionen aus luxemburgischen Sternerestaurants mögen verdeutlichen, dass auch der Blick ins Nachbarland durchaus lohnend ist, aber selbst ohne diese lukrativen Zusatzoptionen lohnt diese Weltklassedarbietung jede noch so weite Reise in den südwestlichsten Winkel der Republik. Wer das versäumt, ahnt wahrscheinlich nicht, was ihm entgeht!

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Victor’s Fine Dining
Schloßstraße 27-29
66706 Perl-Nennig
Tel.: 06866/79118
www.victors-fine-dining.de

Guide Michelin 2022: ***
Gault&Millau 2022: 5+ Toques
GUSTO 2022: 10 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2022: 5 F

Menü „Paris-Tokyo“: € 325

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„Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“ (Antoine de Saint-Exupéry)

August 2021

Saarland-Expedition, Teil 3: ganz tief im Westen des kleinsten deutschen Flächenlandes liegt das beschauliche Perl-Nennig. Von hier aus ist es nur ein Kilometer bis zur Mosel, die hier die Grenze zu Luxemburg bildet, und dem lohnenden Ort Remich, doch auch auf deutscher Seite gibt es etliche Sehenswürdigkeiten in dieser hügeligen Landschaft. Relikte aus der Zeit der Römer (das größte römische Mosaik nördlich der Alpen in Perl-Nennig sowie eine rekonstruierte römische Villa in Perl-Borg), die zwanzig Kilometer entfernte Saarschleife und das Keramik-Museum von Villeroy&Boch in Mettlach sind nur einige der Highlights in der Region. Das malerisch zwischen Weinbergen eingebettete Schloss Berg ist allerdings der Hauptgrund für meinen erneuten Besuch in dieser Gegend, da sich darin das Drei-Sterne-Restaurant des Ausnahmekochs Christian Bau befindet. Irgendwo zwischen Luxemburg-Stadt, Trier und Metz gelegen, zieht dieses Lokal Gourmets aus aller Welt an. Warum das so ist, soll dieser Bericht verdeutlichen.

Mein bisher letzter Besuch hier ist inzwischen unverzeihlich lange fünf Jahre her. Schon damals hatte Chefkoch Christian Bau ein höchst bemerkenswertes Niveau erreicht, doch inzwischen dringt er in Sphären vor, die selbst unter Dreisternern die absolute Ausnahme bleiben. Der heuer fünfzig Jahre alt gewordene Koch führt das Lokal bereits seit 1998 und darf sich seit inzwischen fünfzehn Jahren mit den höchsten Weihen des roten Gourmetführers schmücken – allerdings gibt es derzeit auch keinen anderen renommierten Gastroführer, der hier nicht die Höchstnote zücken würde. Christian Bau ist jedoch kein Koch, der sich auf dem bisher Erreichten ausruhen würde, sondern sich immer mehr der Perfektion annähert, auch wenn diese laut eigener Aussage ein unerreichbarer Zustand bleibt. Markenzeichen seines höchst persönlichen Küchenstils ist die kongeniale Liaison französischer und japanischer Elemente, die er als „Bau.Stil“ bezeichnet. Französische Tugenden wie Klarheit und Eleganz treffen hier auf japanische Elemente wie höchstes Qualitätsbewusstsein und Reinheit in der Zubereitung. Wie das in der Praxis aussieht, mag der folgende Bericht verdeutlichen.

Unter dem roten Baldachin betritt man das Genussrefugium des Christian Bau, das angesichts der Darbietungen auf dem Teller fast einem Theater ähnelt. Man geleitet uns – vorbei am Chef’s Table – zu unserem Tisch in dem eher dezent mit minimalistischer Kunst ausgestatteten Raum. Vor dem Hintergrund dieser modernen Küche erscheint das blütenweiße Leintuch auf dem Tisch fast schon als Überraschung, doch angesichts der ersten aufgetragenen Grüße ist mein Fokus ohnehin schnell auf andere Details gelenkt. Bereits vorab nehmen wir auf der Terrasse einen alkoholfreien Ingwer-Hibiskus–Tonic ein, der angesichts seiner belebenden Säure sehr erfrischend wirkt und alle Sinne rasch schärft. Eine große Auswahl bietet die Karte nicht, doch dem klassischen Menü „Paris-Tokio“ kann man hier ohnehin blind vertrauen. Einige der verwendeten Produkte dürfte die Mehrzahl der Gäste hier ohnehin noch nie verkostet haben, und außerdem ist man hier am besten beraten, einfach das Geschehen der kommenden Stunden auf sich zukommen zu lassen.

Schon die erste Einstimmung, eine Art Willkommensgruß, gibt einen hervorragenden Eindruck davon, welches Feuerwerk hier demnächst abgebrannt werden wird: Shishitopepper mit Gurkencrème und Schellfisch erweist sich als herzhafter und aromensatter Einstieg, der mit dem gepufften Quinoa obenauf noch mit Biss veredelt wird, obwohl die Kreation mit ihrer durchaus präsenten Würze auch so vollkommen überzeugen kann. Wir sind angekommen!

Mit den weiteren Amuses dringen wir in Sphären vor, die höchstens noch zwei, drei weitere Restaurants in Deutschland bieten können. Links ein Ox-Tatar mit Unagi-Aal und Wasabi auf einem Nori-Algen-Tartelette, das auf unnachahmliche Weise wieder einmal verdeutlicht, wie viel großartiger Geschmack auf so engen Raum derart klar gepresst werden kann – eine reine Wonne, wie Meer und Feld hier miteinander harmonieren. Auch das Tartelette mit Saba-Makrele, gepickeltem Myoga und Ceta-Kaviar ist wahnsinnig filigran durchgearbeitet und doch so transparent im Geschmack, dass jede Komponente deutlich zu erkennen ist – von der grandiosen Spritzigkeit ganz zu schweigen. Leider ist mir der Inhalt des Cornets dahinter durch die Lappen gegangen, doch auch dieses überzeugte mit herrlich fleischigem Geschmack vollkommen. Im Hintergrund schließlich die schon längst zum Klassiker avancierte, praktisch fettfreie und unglaublich knusprige japanische Waffel mit Sardine, Meereskräutercrème und Kaviar. Diese Umami-Bombe vereint auf exzellente Weise maritime Frische und Aromen, dass es eine reine Wonne ist.

Der Reigen an Amuses ist damit aber noch immer nicht abgeschlossen, denn zwei Knaller hat die Küche noch immer in petto: die bloße Beschreibung in Form von Taschenkrebs, Melonensorbet und Dashi wird dem Amuse dabei keineswegs gerecht, denn die Vielzahl an kleinteiligen Komponenten und Konsistenzen verdeutlicht rasch, welch hoher Aufwand hier wieder einmal betrieben wurde. Die durchaus intensive Würze sowie das ausgelassene, durchweg überzeugende Spiel rund um verschiedene Temperaturen mögen die auffälligste Merkmale des Gerichts sein, doch auch die Tatsache, dass Christian Bau scheinbar disparitätische Produkte wie Melone und Krebs so zwanglos und schlüssig zusammenführt, ist vielleicht das größte Wunder.

Eine gekühlte Tomatenessenz mit Bloody-Mary-Sorbet kommt optisch etwas harmloser daher als ihre Vorgänger, setzt aber beim Niveau nahtlos da an, wo man zuvor aufgehört hatte. Das grüne Baiser sorgt für texturelle Abwechslung, doch die Intensität der Aromen, die nichts als den reinen Geschmack anstrebt, ist das, was noch lange im Gedächtnis haften bleibt.

Zum Festmahl reicht man außerdem Baguette und Sauerteigbrot mit Sonnenblumenkernen. Dazu gibt es eine helle Butter mit Tokarashi (japanischer Pfeffer) bzw. dreierlei Soja (dunkel). Auch wenn die Brotauswahl sicherlich den geringsten Anlass darstellen würde, hier einzukehren, so bleibt doch festzuhalten, dass auch auf diesem Gebiet das Niveau hochgehalten wird: speziell die dunkle Butter hat absolutes Suchtpotential.

Wäre dies mein erster Besuch hier, dann müsste man nun schon erhebliche Zweifel anmelden, ob diese überragenden Einstiege während des Menüs überhaupt noch getoppt werden können. Als Wiederholungstäter ist mir indes klar, dass noch mehr geradezu galaktische Eindrücke bevorstehen. Als hätte es überhaupt noch eines weiteres Beweises bedürft, ersinnt die Küche als nächstes Hamachi mit Kokosnuss, Süsskartoffel und Avocado. Der als Ceviche interpretierte Hauptdarsteller ist nicht von dieser Welt: roh mariniert, von überragender Zartheit und einer Cremigkeit, dass es mir die Sprache verschlägt. Andere Köche wären froh, wenn sie jemals annähernd in der Lage wären, dem Hamachi das letzte Quäntchen an Geschmack zu entlocken, doch natürlich widmet ein Christian Bau seine Aufmerksamkeit dem begleitenden Bouquet in gleichem Maße. Trotz des filigranen Charakters ist da keine Komponente überflüssig oder zu schwach in Szene gesetzt, seien es nun die bereits annoncierten Begleiter oder weitere Produkte wie Paprika, Nüsse und Karotten. Neben der grandiosen Optik und der perfekten geschmacklichen Balance sind es das dezent eingesetzte Kokoswasser und vor allem die unbeschreibliche Tigermilk, die dem Gericht die Krone aufsetzen. Unglaublich, denkwürdig und einfach traumhaft!

Dass Perfektion indes nicht immer ein Resultat von geradezu pedantischer Kleinteiligkeit sein muss, beweist die Küche beim nächsten Gang. Die geradezu verharmlosende und wenig preisgebende Inszenierung könnte die Vermutung aufkommen lassen, dass man sich hier nun eine kreative Ruhepause gönnte, doch nichts könnte weiter von der Realität entfernt sein. Wo andernorts bei einer so klassischen Kombination wie Wintertrüffel, Cremespinat und Bio-Eigelb in einer mehr oder weniger biederen Darbietung der Fokus ausschließlich auf die Produktqualität gerichtet würde, gibt man hier nicht nur trefflichen und sündhaft teuren Pata-Negra-Schinken in Form von kleinen Speckwürfeln hinzu, sondern spielt auf virtuose Weise mit den Konsistenzen und zertrümmert so jede Erwartungshaltung, die einen an bloße Routine denken lässt. Die federleichte Crème von Eigelb erfährt in gepuffter Form noch eine weitere Variante, doch auch der unendlich rahmige Spinat und die generöse Menge an erdigen schwarzen australischen Trüffeln hieven diesen vermeintlich harmlosen Gang in die absolute Weltklasse. Man könnte verrückt werden, so gut ist das!

Etwas schlichter als der Hamachi-Gang gerät Langoustine, Zitrus, Koji und Erbse. Auf clevere Art und Weise wird die Aromenintensität hier etwas zurückgenommen, doch harmlos oder gar zweitklassig ist natürlich auch dieser Beitrag keinesfalls. Die Ausgewogenheit des Gangs, die handwerkliche Perfektion und die makellose Konsistenz aller Komponenten machen auch aus diesem sommerlich leichten Teller einen Beitrag, der auch wegen seiner alles perfekten verbindenden süß-sauren Sauce noch lange am Gaumen nachhallt.

Besondere „Gefahr“ ist immer dann im Verzug, wenn ein Gericht scheinbar schlicht und harmlos daherkommt. Dass Christian Bau die seltene Kunst beherrscht, die Produkte auch in ihrer reinsten Erscheinung aromatisch strahlen zu lassen und ihnen überragenden Geschmack zu entlocken vermag, beweist er mit Steinbutt, Stabmuschelsud, Algenöl und Kaviar. Der Blumenkohl in mehreren Varianten an der Seite erweist sich als ideal demütiger Begleiter für den fraglos besten Steinbutt meines Lebens: unfassbar zart, saftig und so mürb, dass er schon zu zerfallen scheint, wenn man sich ihm nur mit dem Löffel annähert. Die jodigen Noten des grandiosen Kaviars bereichern dabei die maritime Aromatik, die ihre Verherrlichung in dem edlen und unfassbar transparenten Sud erfährt – von diesem lasse ich keinen Tropfen zurück. Wie viele Stunden Vorbereitung dafür wohl nötig waren?! Das alles ist so nah am reinen Glück, dass ich schon fast mit den Tränen ringe. An dieses göttliche Gericht, das sicherlich zu meinen fünf besten aller Zeiten gehört, werde ich mich bis an mein Lebensende erinnern – versprochen!

Vergleichsweise schlicht gerät die Grunddisziplin der japanischen Küche, die Dashi. Das „gelebte Nichts“, wie sie Tohru Nakamura mal halb im Spaß, halb im Ernst bezeichnete, erfährt als Misoshiru eine luxuriöse Einlage von Edamame, Tofu, Hummer, Algen und Enokipilzen. Trotz eines durchaus herzhaft-intensiven Geschmacksbildes legt man diesmal eine schlichte Demut an den Tag, die der Reinheit der japanischen Küche ihre Referenz erweist. Für die Verhältnisse dieses Hauses schon ein geradezu irdischer, aber schwerlich anders gewollter Gang.

Einen puristischen Ansatz verfolgt man auch bei Wagyu zum Hauptgang. Das traumhafte Fleisch der höchsten Marmorierungsstufe gerät so unverwechselbar, dass seine Röstaromen theoretisch auch ohne jede Begleitung voll zum Tragen kämen. Die zwei gepufften Kartoffelkissen obenauf werden noch flankiert mit karamellisierter Aubergine, roten Pimentos, schwarzem Miso und einer würzigen Black Bean Sauce. Ähnlich wie schon beim Steinbutt steckt auch hier ein gutes Stück von Eckart Witzigmanns stark beanspruchtem Diktum, dass das Produkt der Star sei, drin. Die Strahlkraft des einfach großartigen Fleischs überragt die anderen Komponenten mühelos und wird dementsprechend zurückhaltend begleitet, wenngleich das umgebende Bouquet dennoch vereinzelte aromatische Akzente zu setzen vermag.

Das auf den Namen „Frühsommer“ getaufte Pré-Dessert vereint Ziegenjoghurt, Beeren und Sauerampfer nicht nur auf höchst stimmige, sondern auch auf ausgesprochen launige und farbenfrohe Weise. Der geeiste Joghurt thront auf einem gut versteckten, hauchdünnen Knusperboden und wird außerdem mit nicht annoncierter Cantaloupe-Melone umspielt. Alles in allem ist dies ein bekömmliches Sommerdessert, das trotz seiner akribischen Umsetzung leicht fassbar bleibt und mit unverfälschtem Geschmack punktet. Es hätte nur noch gefehlt, dass auch der Teller essbar gewesen wäre …

Unbändige Kreativität, die sich ihren Weg bahnt, wenn man sie erst einmal von der Kette lässt, manifestiert sich im Hauptdessert in Form von exotischen Früchten, Kokos-Yuzu-Eis und Multivitaminsorbet. Der Preis für die herausragendste Optik ist diesem Ausklang schon sicher, zumal die bestechende Frische aller Produkte wie Kumquats und Pitahaya für ein unbeschwertes Essvergnügen sorgt. Dennoch habe ich ein wenig das Gefühl, dass diesem natürlich immer noch wunderbaren Dessert trotz aller Details wie Meringue, Sorbet, Sponges und Tapiokaperlen eine zündende Grundidee fehlt, die es in den Olymp heben würde. Farbliche und texturelle Vielfalt kaschieren diesen Umstand ein wenig, doch bin ich mir sicher, dass der Grand Chef schon längst an diesem Punkt Verbesserungen anstrebt, wenn er diesen Aspekt denn genauso empfinden sollte wie ich.

Den Abschied versüßen Madeleine, „Snickers“, Zitronentarte und Mini-Sacher-Torte sowie Pralinen mit Sauvignon blanc (!), Kaffee und Nuss. Sehr gelungen!

Zu einem grandiosen Menü gehört natürlich auch eine famose Sommelière: dass Nina Mann, die vom G&M im vorigen Jahr zur „Sommelière des Jahres“ ausgezeichnet wurde, dieser Anforderung mehr als perfekt entspricht, wird im Laufe des Nachmittags mehrmals klar. Nicht nur, dass sie mit ihren Empfehlungen Kompetenz beweist und auch Kennern noch manche rare Bouteille ans Herz legt, nein, sie geleitet auch durch den Service mit Elan und enorm viel Präsenz. Ich muss ihr wohl vor vielen Jahren mal in der Stuttgarter Zirbelstube unter Sebastian Prüßmann begegnet sein, doch war mir dieser Umstand im Gegenzug zu ihr selbst nicht mehr bewusst. Gerne hätte ich auch Julia Pleintinger, die ehemalige Servicechefin von Geisels Werneckhof in München und später dem Olivo in Stuttgart, wieder angetroffen, doch wegen einer längeren Babypause hat das Restaurant nun Felix Kress verpflichtet, der an diesem Tag allerdings nicht anwesend war. So oblag die gesamte Verantwortung für den Service Frau Mann und ihrer ausschließlich weiblichen Servicebrigade, die ihre Sache ganz ausgezeichnet machte, zumal auch noch eine neue portugiesische Kollegin, die noch kein Deutsch spricht, gleich in die Truppe integriert wurde und alle ihre Ansagen am Tisch auf Englisch ankündigen durfte. Service und Küche begegneten sich somit auf Augenhöhe und rechtfertigen damit ohne jeden Zweifel den aufgerufenen Menüpreis. Auch die Nebenkosten halten sich in erträglichem Rahmen und trüben den Genuss kein bisschen.

Die überbordende Kreativität, die die Küche hier an den Tag legt, ist die eine Sache – die Umsetzung der kreativen Ideen in Harmonie und Wohlgeschmack ist eine völlig andere. Wie oft erlebt man, dass das eine gut gelingt, aber das andere leider nicht annähernd so überzeugend gerät?! Nicht so bei Christian Bau, dem man praktisch nie auch nur den kleinsten handwerklichen Fehler nachweisen kann. Seine hochkonzentrierte Küchenbrigade kreiert in steter Regelmäßigkeit unvergleichliche Tellergemälde, bei denen jede noch so kleine Komponente ihren Sinn hat und nichts Überflüssiges auf den Teller gelangt. Frischer könnten die eingesetzten Produkte auch nicht sein, und was Christian Bau daraus macht, schwerlich besser. Von Teller zu Teller steigert sich das Maß an Demut bis in Dimensionen hinein, wo ich anfange, mich zu fragen, womit ich den Verzehr eines solchen Mahls überhaupt verdient habe. Das Maß an Überraschungen und unglaublich transparenten Geschmackserlebnissen ist sicherlich fordernd für den Gast, aber die gut fünf Stunden könnten meinetwegen gar kein Ende nehmen. Sollte Christian Bau mit seinen exorbitanten Fähigkeiten womöglich immer noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht haben, dann steht dem Gault&Millau möglicherweise demnächst eine Sternstunde ins Haus.

Lassen Sie mich das erklären: die Bewertung durch den gelben Gourmetführer erfolgt gemäß dem französischen Schulnotensystem, wo 20 Punkte die Höchstnote darstellen. Bei G&M argumentiert man nun, dass ein derartiges Urteil bedeuten würde, dass ein Koch praktisch auf demselben Niveau wie Gott selbst Leistungen abruft. Seit 1974 wurde diese eher theoretische als praktische Note weltweit zwei Mal vergeben: für Sergio Hermans bereits seit einigen Jahren geschlossenes und legendäres Oud Sluis im niederländischen Sluis (ich stand schon davor …) sowie für Marc Veyrats ebenfalls nicht mehr existierendes La Maison de Marc Veyrat im französischen Mégève. Folglich behilft man sich beim G&M mit einer Krücke, nämlich der Höchstnote von 19,5 Punkten (welche derzeit sechs Köche in Deutschland innehaben). Man darf somit gespannt sein, ob es bei Christian Bau eventuell eines Tages zu diesem unerhörten Tabubruch von 20 Punkten kommen könnte …

Im Jahre 2018 wurde Christian Bau mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Typisch für ihn war dabei, dass er sich nicht etwa auf diesen Meriten ausruhte, sondern in einem Interview mit der SZ die Gelegenheit ergriff, darauf hinzuweisen, dass die Esskultur hierzulande noch immer nicht den annähernd gleichen Stellenwert wie in Frankreich, Japan oder Italien genießen würde. Die Deutschen hätten im Gegenteil Geld für alles Mögliche wie Autos, Urlaubsreisen und große Sport- oder Konzertevents übrig, aber nur nicht für gehobene Gastronomie. So ist es fast schon bezeichnend, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Gäste über den Flughafen in Luxemburg aus dem Ausland anreist. Es muss offenbar sehr an dem Chef nagen, dass seine überbordenden Fähigkeiten im Ausland offenbar weit mehr Anerkennung als in der Heimat finden ….

Als noch bedeutsamer erwies sich für Herrn Bau allerdings die Auszeichnung zum Botschafter der japanischen Küche – eine nur ganz selten verliehene Auszeichnung, die er aus den Händen des japanischen Ministers für Landwirtschaft persönlich entgegen nahm und die er überhaupt erst als dritter Nicht-Japaner erhielt. Man stelle sich nur einmal eine vergleichbare Wertschätzung aus den Händen von der hierzulande zuständigen Ministerin Julia Klöckner hervor – einfach undenkbar! Oder sollte ich vielleicht besser „lächerlich“ sagen?!

Nicht verschwiegen sei an dieser Stelle auch, dass mir eine besondere Ehre am Ende unseres Besuchs zuteil wurde. Anlässlich des 80. Geburtstags von Eckart Witzigmann am 4. Juli 2021 hatte Christian Bau nämlich eine sehr persönliche Hommage voller reizender Anekdoten für die WELT verfasst, die auch im Internet einsehbar ist. Daraufhin sandte ich dem Restaurant eine Mail mit meinem Dank für diese Würdigung und deutete an, dass ich Maestro Eckart Witzigmann möglicherweise bei meinem bevorstehenden Besuch im Salzburger Ikarus begegnen würde (was dann leider nicht der Fall war). Diese Mail nahm der als eher scheu geltende Christian Bau dann zum Anlass, am Ende unseres Besuchs nicht nur ein paar Worte mit mir zu wechseln, sondern auch für ein Foto mit mir zur Verfügung zu stehen. Als Eckart Witzigmann zum 20-jährigen Bestehen des Victor’s Fine Dining im Jahre 2018 zu Besuch war, entstand auch ein Bild mit den beiden Köchen, das seither im Foyer des Lokals aufgehängt ist und die tiefe Wertschätzung für den Jahrhundertkoch erkennen lässt. Dass Christian Bau trotz seiner überragenden Fähigkeiten immer noch diese Demut an den Tag legt, ist dabei wohl die größte Überraschung.

Auf den Punkt gebracht unterstrich dieser Besuch einmal mehr mein Argument, dass das Victor’s Fine Dining derzeit die unangefochtene Nummer Eins in Deutschland ist und mit Sicherheit zu den zwanzig besten Restaurants der Welt gezählt werden muss. Auf welchem Niveau hier inzwischen Hochküche zelebriert wird, lässt sich nur ungenügend in Worte kleiden. Da gibt’s nur eins: selbst erleben und nicht mehr aus dem Staunen herauskommen! Eines ist sicher: bis zu meinem nächsten Besuch wird es definitiv keine fünf Jahre mehr dauern! Außerdem zolle ich meine bedingungslose Anerkennung, indem ich diese genuine Sternstunde auf Rang zwei meiner besten Restaurantbesuche aller Zeiten einordnen werde!

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Victor’s Fine Dining
Schloßstraße 27-29
66706 Perl-Nennig
Tel.: 06866/79118
www.victors-fine-dining.de

Guide Michelin 2021: ***
Gault&Millau 2021: 19,5 Punkte
GUSTO 2021: 10 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2021: 5 F

Menü „Paris-Tokyo“: € 285