Victor’s Fine Dining***, Perl-Nennig (UPDATE)

„Tue Dinge mit Leidenschaft oder überhaupt nicht.“ (Christian Bau)

UPDATE (August 2022)

Obwohl es sich um die beiden Welthauptstädte der Hochküche handelt, haben Paris und Tokyo nicht so viel gemeinsam: zwar vereinen sie zusammen fast zwei Dutzend Drei-Sterne-Restaurants, aber angesichts ihrer Entfernung von fast 10.000 Kilometern zueinander sind echte Berührungspunkte spärlich gesät. Umso erstaunlicher wirkt es vor diesem Hintergrund, dass Christian Bau seine geniale Fusion französischer und japanischer Elemente inzwischen zur Perfektion getrieben hat und derzeit für mich die unangefochtene Nummer Eins unter den deutschen Dreisternern darstellt. Trotz der etwas abseitigen Lage an der luxemburgischen Grenze kann man hier so viele ausländische Gäste wie kaum anderswo begrüßen – dem Flughafen in Luxemburg, ohne den dieses Lokal fast undenkbar wäre, sei Dank. Längst wissen die erfahrenen Gourmets aus aller Welt, dass sie hier stets eine Küche mit Produkten in schier unvorstellbarer Referenzqualität erwarten dürfen, Teller der absoluten Extraklasse erleben können und bestens von der höchst aufmerksamen Servicetruppe unter der umsichtigen Leitung von Felix Kress und der hochkompetenten Sommelière Nina Mann betreut werden.

Unumschränkter Star ist und bleibt aber selbstverständlich Christian Bau, der auch nach fast 25 Jahren keinerlei Verschleißerscheinungen zeigt und sein Kulinarium beständig in der Weltklasse hält. Unverwechselbares Kennzeichen seiner Ästhetik ist schon die Nomenklatur seines Menüs (derzeit € 325), welches stets die Bezeichnung „Paris – Tokyo“ trägt und sich die unmöglich scheinende Verquickung der besten Elemente aus beiden Welten auf die Fahnen geschrieben hat. Einträchtig gehen dabei japanische Demut und französische Noblesse Hand in Hand; Klassiker stehen gleichberechtigt neben neuen Gerichten, deren Raffinement ein ums andere Mal beeindruckt. Dieses Lokal genießt derzeit als einziges der Republik neben dem Sonnora in der Eifel in allen professionellen Guides die Höchstnote, was einen deutlichen Fingerzeig auf die Extraklasse dieses Restaurants darstellt.

Was macht denn nun den Reiz dieser unvergleichlichen Küche aus? Ich versuche, im Laufe des Menüs die inhärenten Qualitäten so gut es geht zu würdigen, aber ich müsste lügen, würde ich behaupten, alle Effekte und handwerklichen Höhenflüge enträtseln zu können. Tatsache ist, dass der Chef faktisch immer am Herd steht, wenn das Lokal geöffnet hat. Im Falle von Krankheit oder Gastauftritten (wie zum Beispiel beim Four-Hands-Cooking mit Edip Sigl im es:senz in Grassau im Juni) wird das Restaurant konsequent geschlossen. Diese Akribie und Disziplin haben Christian Bau eine Reputation in der Szene eingebracht, die dazu führt, dass Gastköche Schlange stehen und sich glücklich schätzen dürfen, wenn sie zusammen mit ihm bei einem Event in seinem Etablissement aufkochen dürfen – logisch, dass da Namen wie Viki Geunes (vom Dreisterner Zilte in Antwerpen) oder Eric Vildgaard (vom Jordnær, einem der angesagtesten Zweisterner Kopenhagens) kursieren und das Interesse der Gästeklientel hochhalten. Doch auch ohne Gastkoch erlebt man hier als Gast eine beispiellose Hingabe und Leidenschaft – so mancher Kollege sieht in Christian Bau einen regelrecht „Getriebenen“, was aber ausschließlich als Kompliment zu verstehen ist.

Diese Versenkung in den Beruf spürt man schon bei den Amuses, denn wo andere langsam ins Menü geleiten und die Messlatte noch nicht sonderlich hochhängen, so wird hier das Gaspedal gleich voll durchgetreten und ein Standard präsentiert, der seinesgleichen sucht. Beispielhaft dafür steht gleich der Auftakt, den wir zwar vom letzten Besuch her noch kannten, aber angesichts seiner Qualität gerne ein weiteres Mal verzehren: eine fluffige und würzige Mousse von Gurke und Shisokresse verdeckt eine ganze Bandbreite an Meeresfrüchten (unter anderem Garnele und Auster), deren Frische und tadellose Zubereitung in bestem Licht erstrahlen. Geschmacklich perfekt abgerundet wird das Ganze mit Shishito-Pfeffer und einem gut versteckten Gurkeneis, denn diese Petitesse vereint komplexe Aromen derart überzeugend, dass die süßlichen und jodigen Elemente so einträchtig harmonieren, dass man meinen könnte, es handle sich dabei um die naheliegendste Kombination an Produkten! Einfach fabelhaft!

Es folgt ein südkoreanisches Sushi mit Hamachi-Tatar und Rettich, das eine vibrierende Frische auf den Löffel zaubert – man fragt sich unwillkürlich, wie die Veredelung recht einfacher Produkte ein solches Ergebnis hervorbringen kann.

Das Tartelette von Ox-Tatar mit Meerrettich, Radieschen, Crème fraîche macht da weiter, wo das Tatar aufhörte: mit überragender Produktqualität, geschmacklicher Tiefe, bestechender Frische und einer unbeschreiblichen geschmacklichen Intensität, die wohl nur dann zu erzielen ist, wenn selbst jedes noch so kleine Detail minutiös ersonnen ist.

Auf einem weiteren Törtchen drapiert die Küche Lachs, Myoga, Erbsen, Sommertrüffel und Ceta-Kaviar – mit dem Ergebnis, dass diese bei einem schwächeren Handwerk vollkommen überfrachtet anmutende Kombination perfekt aufgeht und ein Feuerwerk an Aromen zündet. Mir bleibt ein Rätsel, wie man so disparitätisch scheinende Aromen bei größter Transparenz so harmonisch zusammenführen kann und dabei eine Umami-Wucht entwickelt, die beispiellos ist. Keine Frage: bereits nach den Einstiegen weiß der Gast, in welch astronomischer Höhe die Latte liegt. Dabei ist der größte Klassiker unter den Apéros ja noch nicht einmal aufgetragen, …

… nämlich die Waffel mit Sardine, Kaviar, Meereskräutercrème und essbaren Blüten. Die gefühlt fettfreie Waffel ist ein optimaler Boden für die launige Inszenierung darüber: von Japan her weht da eine frische Meeresbrise durchs Moseltal und verzückt die Gäste mit dem Besten aus dem Pazifik. Das salzlastige Aromenbild ist unglaublich diffizil ausgeklügelt und stellt die Krönung eines unfassbar guten Einstiegs dar, denn die schiere Präzision lässt andere Köche vor Neid erblassen. Im Verbund mit dem Cocktail aus Tonic Water, Hibiskus und Yuzu gelingt dieser Auftakt so souverän wie nur irgend denkbar, zumal auch weitere Details wie das Erfrischungstuch zu Beginn den makellosen Eindruck zementieren. Ein paar Kollegen mögen quantitativ noch mehr zu Beginn auffahren, aber beeindruckender als diese Parade geht es wirklich nicht.

Zu dem Sauerteigbrot serviert man hier Togarashi (japanischen Pfeffer) auf einer Sauerrahmbutter, während die zweite Variante mit aufgeschlagener Sojasauce eine süchtig machende und umwerfende Intensität erreicht.

Auf einer vorzüglichen Mandelcrème platziert die Küche von unten nach oben Tatar vom Taschenkrebs, gefolgt von einem Tomatensorbet und schließlich den falschen Zweig aus einem Algenchip. Wie fruchtbetont die verwendete hochklassige Amela-Tomate auch sein mag, so bleibt die Meeresaromatik vorzüglich inszeniert: gerade die Balance unter den Komponenten in diesem aufgeräumt wirkenden Schälchen ist atemberaubend und sorgt dafür, dass einmal mehr das Niveau in unfassbare Dimensionen vordringt.

Die Platzierung des Essens in einem Seeigel macht optisch natürlich enorm viel her, aber im Kontrast dazu ist der Inhalt selbst recht puristisch: das Paradestück des Thunfischs Toro (Bauch) beansprucht mit seiner Salinität und dem recht hohen Fettgehalt zurecht die größte Aufmerksamkeit, schmilzt er doch geradezu auf der Zunge. Die traditionelle Würzsauce Shoyu auf der Basis von Soja und der opulente Kristal Kaviar verleihen dem Gang eine würdige Noblesse, doch die genau ausgeklügelte Würze ist letztlich das Detail, das am längsten im Gedächtnis haften bleibt. Einmal mehr zaubert Christian Bau mit seinem Team aus einer gar nicht so komplexen Grundidee ein Kunstwerk von Ausnahmerang, dem es gelingt, seine verblüffende Raffinesse im Gewande einer fast schon puristischen Darbietung zu kaschieren: umso größer gerät einmal mehr die geschmackliche Explosion, wenn man das Gericht verkostet. Wenn das so weitergeht, dann kann Christian Bau eigentlich nur noch an dem an ihn selbst gesteckten Anspruch scheitern. Die Furikake-Chips à part erinnern geschmacklich an aromensatte Algen und steuern eine ausgeprägte Salzigkeit bei, die dem Gericht ausgesprochen gut zu Gesicht steht.

Als nächstes wagt sich die Küche an eine Kombination heran, die mich in anderen Lokalen noch nie sonderlich überzeugen konnte: Thunfisch, in diesem Falle unter anderem als Sashimi präsentiertes Akami (Bauch), wird hier mit geeister Gänseleber kombiniert und mit einer Ponzu von Holunderblüte und Trüffel miteinander verbunden. Für meinen Geschmack hätte der maritime Teil angesichts der makellosen Produktqualität und dem adretten Defilée aus Edamame und der Vinaigrette auch ohne die Leber auskommen können, da ihr cremiger Charakter in diesem Kontext etwas disparitätisch auf mich wirkt. Vielleicht ist dies der eine marginal schwächere Gang dieses Nachmittags, doch kaum ein anderer Teller verbindet japanische mit französischen Elementen so deutlich wie hier. Das Ergebnis ist freilich angesichts luxuriöser Produkte mehr als vorzeigbar, aber vielleicht wäre gerade hier weniger mehr gewesen.

Ein wahres Prachtexemplar von einer Langustine leitet zum nächsten Gang über, der den Fokus wieder voll auf den glasigen Hauptdarsteller richtet. Der vermutlich längere Zeit eingelegte Spitzkohl mit schön mürbem Restbiss wird hier quasi als Wickel mit echtem geschmacklichem Mehrwert in Palmherz versteckt, dient aber auch der Aromatisierung von Crème und Sud. Die geschmackliche Abrundung gelingt mit der japanischen Gewürzmischung XO ganz hervorragend, so dass dieses auf eher französischen Produkten basierende und erstaunlich würzige Gericht einen überzeugenden asiatischen Anstrich bekommt.

Das nächste kulinarische Kunstwerk drapiert das Team um Christian Bau auf einer Beurre rouge, deren edler Geschmack sich so wunderbar anschmiegt, dass ich mich frage, warum diese mit Rotwein gebundene Sauce so selten eingesetzt wird. Hier jedenfalls umspielt sie einen vorzüglich gebratenen Steinbutt im Verbund mit jungem Spinat und Lauch. Der mit Ochsenmark aromatisierte Schaum steuert abermals aromatische Kraft bei, welche den Fisch, der in voller Leuchtkraft erstrahlen darf, allerdings nicht im Geringsten beeinträchtigt. Das französisch geprägte Gericht scheint mir auch insofern im Geiste Eckart Witzigmanns zu sein, da der Altmeister seine Gerichte ganz gerne mit zweierlei Saucen zugleich offerierte. Wenn es hier auch eher ein Schaum ist, so bezieht das Gericht seinen letzten Feinschliff in der Tat aus der kontrastierenden Wirkung von elegantem Rotwein und rustikalem Ochsenmark. Es funktioniert jedenfalls prächtig und veredelt diesen aufgeräumt wirkenden Teller auf grandiose Art.

Rein japanisch wird es dagegen bei Misoshiru: auf der mit Aromen von Krustentieren veredelten Dashi finden sich stilecht Enokipilze, Tofu, Edamame und Wakame-Algen, doch die opulente Einlage in Form von an der Karkasse gegartem Hummer hievt diesen in puncto Reinheit und Purismus nicht zu überbietenden Gang in eine ganz eigene Liga. Auch wenn wir diesen Gang schon letztes Jahr verkosten durften, so goutiere ich diese kulinarische Visitenkarte mit meiner vollsten Anerkennung. Asiatischer geht es nicht – und perfekter ebenfalls nicht.

Beim Hauptgericht dominieren auf überraschende Weise grüne Elemente, die auch auf der Karte als grüne Aromen annonciert werden: darunter befinden sich etwa Erbsen, Zucchini, Bittersalate und eine Schnittlauch-Sauce. Das enorm aufwendige und kleinteilige Bouquet zum Lamm, welches auf einer Lammjus von mittlerer Intensität ruht, lässt jeder Komponente – insbesondere den Kräutern – genügend Raum zur geschmacklichen Entfaltung. Der Fokus liegt damit gar nicht so sehr auf dem Fleisch, so dass ich mir vorstelle, diesen Gang unter dem Namen Victor’s goes Essigbrätlein anzupreisen. Tatsächlich erinnert so manches an diesem Gang an die besten Eingebungen in dem Nürnberger Gemüsetempel: der äußerst durchdachte Einsatz aller Komponenten und die angemessen sparsame Dosierung macht aus dem Hauptgang einen Einfall von stiller Größe, der ganz zeitgemäß grünen Viktualien huldigt, aber ohne dabei das hauseigene Credo zu vernachlässigen. Als hätte es dazu überhaupt noch eines Beleges bedurft, so beweist Christian Bau, dass er aktuellen Strömungen durchaus zugewandt ist und diese bereitwillig in seinen Stil einbaut, wo es Sinn macht.

Eines der größten Highlights steht uns beim Pré-Dessert bevor: das im Zentrum verweilende Eis von Shisokresse lässt sich auf einen hinreißenden Dialog aus Säure und Süße ein: während einerseits Crèmes und puddingartige Häubchen von Zitrusfrüchten (mit einer gewissen Präferenz für Limette, wenn ich mich nicht täusche) den leicht süßlichen Dessertcharakter bewahren, sorgen Matcha-Biscuit und insbesondere die Sponges von Genmaicha – einem japanischen Grüntee, der mit Reis aufgebrüht wird und dementsprechend bitter schmeckt – für herbe Kontraste. In Summe ist dies eine verblüffende und exquisite Eingebung, die ein ganzes Spektrum an Aromen ganz souverän abdeckt und phantastisch gelingt – eines der wenigen echten Ausnahmedesserts in diesem Jahr, zumal es wohl nicht mehr grüner wird in diesem Jahr.

Vergleichsweise schlicht und ganz anders, fast nüchtern wirkend, tritt dann das zweite Dessert auf: dennoch wird beim Verzehr schnell deutlich, dass die erdig-cremige Sauce von Soba Cha (Buchweizentee) eine keineswegs zurückhaltende Basis dieses Gerichts darstellt. In noch stärkerem Maße trifft dies auf das Törtchen von Valrhona-Schokolade zu, welches mit fluffiger Konsistenz und monumentaler Power zugleich auf sich aufmerksam macht. Bei so viel Wucht bedarf es eines kontrastierenden Elements von zwangloser Leichtigkeit: in diesem Fall handelt es sich um Eis und hauchdünne Chips von Sojamilch, die dieses alles andere als zu süße Dessert angemessen veredeln und den starken Eindruck würdig abrunden. Nicht zuletzt durch die vorzügliche Portionierung belastet dieses fast schon herbstlich anmutende Dessert den Magen überhaupt nicht und unterstreicht einmal mehr, was sich trotz des sparsamen Einsatzes von Zucker so alles machen lässt.

Sämtliche Register ihres Könnens zieht die Küche dann nochmals bei den Petits fours: auf dem oberen Foto handelt es sich um einen Macaron von roten Adzukibohnen (gibt es eigentlich irgendein fernöstliches Produkt, das Christian Bau nicht kennt?!) sowie eine höchst originelle dekonstruierte Miso-Crème-brûlée. Die drei wunderbaren Pralinen von Erdnuss-Yuzu, Trüffel-Olive und Kokos-Passionsfrucht werden begleitet von einer Neuinterpretation des Klassikers „Joghurette“ und dem Knalleffekt der Parade, dem Himbeer-Cheesecake mit geeisten Joghurtperlen. Das schmeckt durchweg einfach fabelhaft und rundet einen traumhaften Besuch mehr als angemessen ab. Angesichts dieser Ausklänge fällt es überhaupt nicht schwer, das Sättigungsgefühl nochmals zu unterdrücken und sich diesem Genuss hemmungslos hinzugeben.

Bei aller Leidenschaft, Perfektion und Hingabe ist nicht nur der Chef Christian Bau selbst absolut nahbar geblieben – nein, auch seine hochvirtuose Küche sollte trotz allem keine Gäste überfordern. Der Spagat zwischen den beiden Metropolen gelingt ein ums andere Mal stets ausgezeichnet – wobei sich durchaus Teller durchaus mal nur einem der beiden Kulturräume widmen und keineswegs jeder Gang zu einer Fusion zweier Stile gerät. Dennoch scheint es, als seien diesem Genie am Herd keine Grenzen gesetzt: auch nach fast fünfundzwanzig Jahren scheinen dem Ausnahmekoch die Ideen nicht auszugehen. Dabei ist all das, was seine Küche seit jeher ausgezeichnet hat, immer erhalten geblieben: da sind zum einen die minutiös ersonnenen Gerichte, die trotz des extremen Aufwands immer präzise bis ins kleinste Detail bleiben und handwerklich so perfekt gelingen, dass hier nichts unmöglich erscheint. Zum anderen ist es die bedingungslose Hingabe, die es dem Chef auferlegt, seine gesamte Energie für den Erfolg aufzuwenden. All dies führt beispielsweise dazu, dass die Suche nach hochwertigsten Viktualien viel Zeit in Anspruch nimmt, da ihm nur die allerbesten Produkte in Referenzqualität genügen – etwas, das dem Gast ungeheuer zugute kommt, denn Produkte dieser Güte bekommt ein Gourmet sonst fast nirgends in der Republik (selbst wenn dies natürlich seinen Preis hat). Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich das geradezu enzyklopädisch anmutende Wissen des Chefs um unterschiedlichste Produkte und Zubereitungen, so dass selbst noch so erfahrene Gourmets stets mit Recht davon ausgehen dürfen, Zeuge von einzigartigen und bislang nicht erlebten geschmacklichen Höhenflügen zu werden.

Zu einer herausragenden Küche gehört allerdings auch ein formvollendeter Service: dafür bürgen der neue Restaurantleiter Felix Kress, der sich viel Zeit für die Gäste nimmt, und die stets famos auftretende Nina Mann, die mit profundem Weinwissen und alkoholfreien Empfehlungen gleichermaßen zu punkten vermag. Bei alldem wahrt das Team trotz allem eine respektvolle Distanz und geleitet so ohne jeden Ausrutscher durch einen umwerfend gelungenen Nachmittag.

An meiner Einschätzung vom Vorjahr hat sich nichts geändert: dieser kulinarischen Institution reicht derzeit kein anderes deutsches Lokal das Wasser. Meiner „Drohung“ vom Vorjahr, hier künftig jedes Jahr einmal vorbeizuschauen, werde ich sicherlich auch weiterhin Taten folgen lassen. Mag sein, dass ich bei der nächsten Stippvisite eine andere Jahreszeit aussuchen werde, um eine noch größere Variabilität bei den Produkten zu erleben, aber im Zweifelsfall sollte man auch so die vielen genussvollen Jahre, die uns hier hoffentlich noch bevorstehen, keinesfalls ungenutzt verstreichen lassen. Meine zwei anstehenden Rezensionen aus luxemburgischen Sternerestaurants mögen verdeutlichen, dass auch der Blick ins Nachbarland durchaus lohnend ist, aber selbst ohne diese lukrativen Zusatzoptionen lohnt diese Weltklassedarbietung jede noch so weite Reise in den südwestlichsten Winkel der Republik. Wer das versäumt, ahnt wahrscheinlich nicht, was ihm entgeht!

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Victor’s Fine Dining
Schloßstraße 27-29
66706 Perl-Nennig
Tel.: 06866/79118
www.victors-fine-dining.de

Guide Michelin 2022: ***
Gault&Millau 2022: 5+ Toques
GUSTO 2022: 10 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2022: 5 F

Menü „Paris-Tokyo“: € 325

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„Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“ (Antoine de Saint-Exupéry)

August 2021

Saarland-Expedition, Teil 3: ganz tief im Westen des kleinsten deutschen Flächenlandes liegt das beschauliche Perl-Nennig. Von hier aus ist es nur ein Kilometer bis zur Mosel, die hier die Grenze zu Luxemburg bildet, und dem lohnenden Ort Remich, doch auch auf deutscher Seite gibt es etliche Sehenswürdigkeiten in dieser hügeligen Landschaft. Relikte aus der Zeit der Römer (das größte römische Mosaik nördlich der Alpen in Perl-Nennig sowie eine rekonstruierte römische Villa in Perl-Borg), die zwanzig Kilometer entfernte Saarschleife und das Keramik-Museum von Villeroy&Boch in Mettlach sind nur einige der Highlights in der Region. Das malerisch zwischen Weinbergen eingebettete Schloss Berg ist allerdings der Hauptgrund für meinen erneuten Besuch in dieser Gegend, da sich darin das Drei-Sterne-Restaurant des Ausnahmekochs Christian Bau befindet. Irgendwo zwischen Luxemburg-Stadt, Trier und Metz gelegen, zieht dieses Lokal Gourmets aus aller Welt an. Warum das so ist, soll dieser Bericht verdeutlichen.

Mein bisher letzter Besuch hier ist inzwischen unverzeihlich lange fünf Jahre her. Schon damals hatte Chefkoch Christian Bau ein höchst bemerkenswertes Niveau erreicht, doch inzwischen dringt er in Sphären vor, die selbst unter Dreisternern die absolute Ausnahme bleiben. Der heuer fünfzig Jahre alt gewordene Koch führt das Lokal bereits seit 1998 und darf sich seit inzwischen fünfzehn Jahren mit den höchsten Weihen des roten Gourmetführers schmücken – allerdings gibt es derzeit auch keinen anderen renommierten Gastroführer, der hier nicht die Höchstnote zücken würde. Christian Bau ist jedoch kein Koch, der sich auf dem bisher Erreichten ausruhen würde, sondern sich immer mehr der Perfektion annähert, auch wenn diese laut eigener Aussage ein unerreichbarer Zustand bleibt. Markenzeichen seines höchst persönlichen Küchenstils ist die kongeniale Liaison französischer und japanischer Elemente, die er als „Bau.Stil“ bezeichnet. Französische Tugenden wie Klarheit und Eleganz treffen hier auf japanische Elemente wie höchstes Qualitätsbewusstsein und Reinheit in der Zubereitung. Wie das in der Praxis aussieht, mag der folgende Bericht verdeutlichen.

Unter dem roten Baldachin betritt man das Genussrefugium des Christian Bau, das angesichts der Darbietungen auf dem Teller fast einem Theater ähnelt. Man geleitet uns – vorbei am Chef’s Table – zu unserem Tisch in dem eher dezent mit minimalistischer Kunst ausgestatteten Raum. Vor dem Hintergrund dieser modernen Küche erscheint das blütenweiße Leintuch auf dem Tisch fast schon als Überraschung, doch angesichts der ersten aufgetragenen Grüße ist mein Fokus ohnehin schnell auf andere Details gelenkt. Bereits vorab nehmen wir auf der Terrasse einen alkoholfreien Ingwer-Hibiskus–Tonic ein, der angesichts seiner belebenden Säure sehr erfrischend wirkt und alle Sinne rasch schärft. Eine große Auswahl bietet die Karte nicht, doch dem klassischen Menü „Paris-Tokio“ kann man hier ohnehin blind vertrauen. Einige der verwendeten Produkte dürfte die Mehrzahl der Gäste hier ohnehin noch nie verkostet haben, und außerdem ist man hier am besten beraten, einfach das Geschehen der kommenden Stunden auf sich zukommen zu lassen.

Schon die erste Einstimmung, eine Art Willkommensgruß, gibt einen hervorragenden Eindruck davon, welches Feuerwerk hier demnächst abgebrannt werden wird: Shishitopepper mit Gurkencrème und Schellfisch erweist sich als herzhafter und aromensatter Einstieg, der mit dem gepufften Quinoa obenauf noch mit Biss veredelt wird, obwohl die Kreation mit ihrer durchaus präsenten Würze auch so vollkommen überzeugen kann. Wir sind angekommen!

Mit den weiteren Amuses dringen wir in Sphären vor, die höchstens noch zwei, drei weitere Restaurants in Deutschland bieten können. Links ein Ox-Tatar mit Unagi-Aal und Wasabi auf einem Nori-Algen-Tartelette, das auf unnachahmliche Weise wieder einmal verdeutlicht, wie viel großartiger Geschmack auf so engen Raum derart klar gepresst werden kann – eine reine Wonne, wie Meer und Feld hier miteinander harmonieren. Auch das Tartelette mit Saba-Makrele, gepickeltem Myoga und Ceta-Kaviar ist wahnsinnig filigran durchgearbeitet und doch so transparent im Geschmack, dass jede Komponente deutlich zu erkennen ist – von der grandiosen Spritzigkeit ganz zu schweigen. Leider ist mir der Inhalt des Cornets dahinter durch die Lappen gegangen, doch auch dieses überzeugte mit herrlich fleischigem Geschmack vollkommen. Im Hintergrund schließlich die schon längst zum Klassiker avancierte, praktisch fettfreie und unglaublich knusprige japanische Waffel mit Sardine, Meereskräutercrème und Kaviar. Diese Umami-Bombe vereint auf exzellente Weise maritime Frische und Aromen, dass es eine reine Wonne ist.

Der Reigen an Amuses ist damit aber noch immer nicht abgeschlossen, denn zwei Knaller hat die Küche noch immer in petto: die bloße Beschreibung in Form von Taschenkrebs, Melonensorbet und Dashi wird dem Amuse dabei keineswegs gerecht, denn die Vielzahl an kleinteiligen Komponenten und Konsistenzen verdeutlicht rasch, welch hoher Aufwand hier wieder einmal betrieben wurde. Die durchaus intensive Würze sowie das ausgelassene, durchweg überzeugende Spiel rund um verschiedene Temperaturen mögen die auffälligste Merkmale des Gerichts sein, doch auch die Tatsache, dass Christian Bau scheinbar disparitätische Produkte wie Melone und Krebs so zwanglos und schlüssig zusammenführt, ist vielleicht das größte Wunder.

Eine gekühlte Tomatenessenz mit Bloody-Mary-Sorbet kommt optisch etwas harmloser daher als ihre Vorgänger, setzt aber beim Niveau nahtlos da an, wo man zuvor aufgehört hatte. Das grüne Baiser sorgt für texturelle Abwechslung, doch die Intensität der Aromen, die nichts als den reinen Geschmack anstrebt, ist das, was noch lange im Gedächtnis haften bleibt.

Zum Festmahl reicht man außerdem Baguette und Sauerteigbrot mit Sonnenblumenkernen. Dazu gibt es eine helle Butter mit Tokarashi (japanischer Pfeffer) bzw. dreierlei Soja (dunkel). Auch wenn die Brotauswahl sicherlich den geringsten Anlass darstellen würde, hier einzukehren, so bleibt doch festzuhalten, dass auch auf diesem Gebiet das Niveau hochgehalten wird: speziell die dunkle Butter hat absolutes Suchtpotential.

Wäre dies mein erster Besuch hier, dann müsste man nun schon erhebliche Zweifel anmelden, ob diese überragenden Einstiege während des Menüs überhaupt noch getoppt werden können. Als Wiederholungstäter ist mir indes klar, dass noch mehr geradezu galaktische Eindrücke bevorstehen. Als hätte es überhaupt noch eines weiteres Beweises bedürft, ersinnt die Küche als nächstes Hamachi mit Kokosnuss, Süsskartoffel und Avocado. Der als Ceviche interpretierte Hauptdarsteller ist nicht von dieser Welt: roh mariniert, von überragender Zartheit und einer Cremigkeit, dass es mir die Sprache verschlägt. Andere Köche wären froh, wenn sie jemals annähernd in der Lage wären, dem Hamachi das letzte Quäntchen an Geschmack zu entlocken, doch natürlich widmet ein Christian Bau seine Aufmerksamkeit dem begleitenden Bouquet in gleichem Maße. Trotz des filigranen Charakters ist da keine Komponente überflüssig oder zu schwach in Szene gesetzt, seien es nun die bereits annoncierten Begleiter oder weitere Produkte wie Paprika, Nüsse und Karotten. Neben der grandiosen Optik und der perfekten geschmacklichen Balance sind es das dezent eingesetzte Kokoswasser und vor allem die unbeschreibliche Tigermilk, die dem Gericht die Krone aufsetzen. Unglaublich, denkwürdig und einfach traumhaft!

Dass Perfektion indes nicht immer ein Resultat von geradezu pedantischer Kleinteiligkeit sein muss, beweist die Küche beim nächsten Gang. Die geradezu verharmlosende und wenig preisgebende Inszenierung könnte die Vermutung aufkommen lassen, dass man sich hier nun eine kreative Ruhepause gönnte, doch nichts könnte weiter von der Realität entfernt sein. Wo andernorts bei einer so klassischen Kombination wie Wintertrüffel, Cremespinat und Bio-Eigelb in einer mehr oder weniger biederen Darbietung der Fokus ausschließlich auf die Produktqualität gerichtet würde, gibt man hier nicht nur trefflichen und sündhaft teuren Pata-Negra-Schinken in Form von kleinen Speckwürfeln hinzu, sondern spielt auf virtuose Weise mit den Konsistenzen und zertrümmert so jede Erwartungshaltung, die einen an bloße Routine denken lässt. Die federleichte Crème von Eigelb erfährt in gepuffter Form noch eine weitere Variante, doch auch der unendlich rahmige Spinat und die generöse Menge an erdigen schwarzen australischen Trüffeln hieven diesen vermeintlich harmlosen Gang in die absolute Weltklasse. Man könnte verrückt werden, so gut ist das!

Etwas schlichter als der Hamachi-Gang gerät Langoustine, Zitrus, Koji und Erbse. Auf clevere Art und Weise wird die Aromenintensität hier etwas zurückgenommen, doch harmlos oder gar zweitklassig ist natürlich auch dieser Beitrag keinesfalls. Die Ausgewogenheit des Gangs, die handwerkliche Perfektion und die makellose Konsistenz aller Komponenten machen auch aus diesem sommerlich leichten Teller einen Beitrag, der auch wegen seiner alles perfekten verbindenden süß-sauren Sauce noch lange am Gaumen nachhallt.

Besondere „Gefahr“ ist immer dann im Verzug, wenn ein Gericht scheinbar schlicht und harmlos daherkommt. Dass Christian Bau die seltene Kunst beherrscht, die Produkte auch in ihrer reinsten Erscheinung aromatisch strahlen zu lassen und ihnen überragenden Geschmack zu entlocken vermag, beweist er mit Steinbutt, Stabmuschelsud, Algenöl und Kaviar. Der Blumenkohl in mehreren Varianten an der Seite erweist sich als ideal demütiger Begleiter für den fraglos besten Steinbutt meines Lebens: unfassbar zart, saftig und so mürb, dass er schon zu zerfallen scheint, wenn man sich ihm nur mit dem Löffel annähert. Die jodigen Noten des grandiosen Kaviars bereichern dabei die maritime Aromatik, die ihre Verherrlichung in dem edlen und unfassbar transparenten Sud erfährt – von diesem lasse ich keinen Tropfen zurück. Wie viele Stunden Vorbereitung dafür wohl nötig waren?! Das alles ist so nah am reinen Glück, dass ich schon fast mit den Tränen ringe. An dieses göttliche Gericht, das sicherlich zu meinen fünf besten aller Zeiten gehört, werde ich mich bis an mein Lebensende erinnern – versprochen!

Vergleichsweise schlicht gerät die Grunddisziplin der japanischen Küche, die Dashi. Das „gelebte Nichts“, wie sie Tohru Nakamura mal halb im Spaß, halb im Ernst bezeichnete, erfährt als Misoshiru eine luxuriöse Einlage von Edamame, Tofu, Hummer, Algen und Enokipilzen. Trotz eines durchaus herzhaft-intensiven Geschmacksbildes legt man diesmal eine schlichte Demut an den Tag, die der Reinheit der japanischen Küche ihre Referenz erweist. Für die Verhältnisse dieses Hauses schon ein geradezu irdischer, aber schwerlich anders gewollter Gang.

Einen puristischen Ansatz verfolgt man auch bei Wagyu zum Hauptgang. Das traumhafte Fleisch der höchsten Marmorierungsstufe gerät so unverwechselbar, dass seine Röstaromen theoretisch auch ohne jede Begleitung voll zum Tragen kämen. Die zwei gepufften Kartoffelkissen obenauf werden noch flankiert mit karamellisierter Aubergine, roten Pimentos, schwarzem Miso und einer würzigen Black Bean Sauce. Ähnlich wie schon beim Steinbutt steckt auch hier ein gutes Stück von Eckart Witzigmanns stark beanspruchtem Diktum, dass das Produkt der Star sei, drin. Die Strahlkraft des einfach großartigen Fleischs überragt die anderen Komponenten mühelos und wird dementsprechend zurückhaltend begleitet, wenngleich das umgebende Bouquet dennoch vereinzelte aromatische Akzente zu setzen vermag.

Das auf den Namen „Frühsommer“ getaufte Pré-Dessert vereint Ziegenjoghurt, Beeren und Sauerampfer nicht nur auf höchst stimmige, sondern auch auf ausgesprochen launige und farbenfrohe Weise. Der geeiste Joghurt thront auf einem gut versteckten, hauchdünnen Knusperboden und wird außerdem mit nicht annoncierter Cantaloupe-Melone umspielt. Alles in allem ist dies ein bekömmliches Sommerdessert, das trotz seiner akribischen Umsetzung leicht fassbar bleibt und mit unverfälschtem Geschmack punktet. Es hätte nur noch gefehlt, dass auch der Teller essbar gewesen wäre …

Unbändige Kreativität, die sich ihren Weg bahnt, wenn man sie erst einmal von der Kette lässt, manifestiert sich im Hauptdessert in Form von exotischen Früchten, Kokos-Yuzu-Eis und Multivitaminsorbet. Der Preis für die herausragendste Optik ist diesem Ausklang schon sicher, zumal die bestechende Frische aller Produkte wie Kumquats und Pitahaya für ein unbeschwertes Essvergnügen sorgt. Dennoch habe ich ein wenig das Gefühl, dass diesem natürlich immer noch wunderbaren Dessert trotz aller Details wie Meringue, Sorbet, Sponges und Tapiokaperlen eine zündende Grundidee fehlt, die es in den Olymp heben würde. Farbliche und texturelle Vielfalt kaschieren diesen Umstand ein wenig, doch bin ich mir sicher, dass der Grand Chef schon längst an diesem Punkt Verbesserungen anstrebt, wenn er diesen Aspekt denn genauso empfinden sollte wie ich.

Den Abschied versüßen Madeleine, „Snickers“, Zitronentarte und Mini-Sacher-Torte sowie Pralinen mit Sauvignon blanc (!), Kaffee und Nuss. Sehr gelungen!

Zu einem grandiosen Menü gehört natürlich auch eine famose Sommelière: dass Nina Mann, die vom G&M im vorigen Jahr zur „Sommelière des Jahres“ ausgezeichnet wurde, dieser Anforderung mehr als perfekt entspricht, wird im Laufe des Nachmittags mehrmals klar. Nicht nur, dass sie mit ihren Empfehlungen Kompetenz beweist und auch Kennern noch manche rare Bouteille ans Herz legt, nein, sie geleitet auch durch den Service mit Elan und enorm viel Präsenz. Ich muss ihr wohl vor vielen Jahren mal in der Stuttgarter Zirbelstube unter Sebastian Prüßmann begegnet sein, doch war mir dieser Umstand im Gegenzug zu ihr selbst nicht mehr bewusst. Gerne hätte ich auch Julia Pleintinger, die ehemalige Servicechefin von Geisels Werneckhof in München und später dem Olivo in Stuttgart, wieder angetroffen, doch wegen einer längeren Babypause hat das Restaurant nun Felix Kress verpflichtet, der an diesem Tag allerdings nicht anwesend war. So oblag die gesamte Verantwortung für den Service Frau Mann und ihrer ausschließlich weiblichen Servicebrigade, die ihre Sache ganz ausgezeichnet machte, zumal auch noch eine neue portugiesische Kollegin, die noch kein Deutsch spricht, gleich in die Truppe integriert wurde und alle ihre Ansagen am Tisch auf Englisch ankündigen durfte. Service und Küche begegneten sich somit auf Augenhöhe und rechtfertigen damit ohne jeden Zweifel den aufgerufenen Menüpreis. Auch die Nebenkosten halten sich in erträglichem Rahmen und trüben den Genuss kein bisschen.

Die überbordende Kreativität, die die Küche hier an den Tag legt, ist die eine Sache – die Umsetzung der kreativen Ideen in Harmonie und Wohlgeschmack ist eine völlig andere. Wie oft erlebt man, dass das eine gut gelingt, aber das andere leider nicht annähernd so überzeugend gerät?! Nicht so bei Christian Bau, dem man praktisch nie auch nur den kleinsten handwerklichen Fehler nachweisen kann. Seine hochkonzentrierte Küchenbrigade kreiert in steter Regelmäßigkeit unvergleichliche Tellergemälde, bei denen jede noch so kleine Komponente ihren Sinn hat und nichts Überflüssiges auf den Teller gelangt. Frischer könnten die eingesetzten Produkte auch nicht sein, und was Christian Bau daraus macht, schwerlich besser. Von Teller zu Teller steigert sich das Maß an Demut bis in Dimensionen hinein, wo ich anfange, mich zu fragen, womit ich den Verzehr eines solchen Mahls überhaupt verdient habe. Das Maß an Überraschungen und unglaublich transparenten Geschmackserlebnissen ist sicherlich fordernd für den Gast, aber die gut fünf Stunden könnten meinetwegen gar kein Ende nehmen. Sollte Christian Bau mit seinen exorbitanten Fähigkeiten womöglich immer noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht haben, dann steht dem Gault&Millau möglicherweise demnächst eine Sternstunde ins Haus.

Lassen Sie mich das erklären: die Bewertung durch den gelben Gourmetführer erfolgt gemäß dem französischen Schulnotensystem, wo 20 Punkte die Höchstnote darstellen. Bei G&M argumentiert man nun, dass ein derartiges Urteil bedeuten würde, dass ein Koch praktisch auf demselben Niveau wie Gott selbst Leistungen abruft. Seit 1974 wurde diese eher theoretische als praktische Note weltweit zwei Mal vergeben: für Sergio Hermans bereits seit einigen Jahren geschlossenes und legendäres Oud Sluis im niederländischen Sluis (ich stand schon davor …) sowie für Marc Veyrats ebenfalls nicht mehr existierendes La Maison de Marc Veyrat im französischen Mégève. Folglich behilft man sich beim G&M mit einer Krücke, nämlich der Höchstnote von 19,5 Punkten (welche derzeit sechs Köche in Deutschland innehaben). Man darf somit gespannt sein, ob es bei Christian Bau eventuell eines Tages zu diesem unerhörten Tabubruch von 20 Punkten kommen könnte …

Im Jahre 2018 wurde Christian Bau mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Typisch für ihn war dabei, dass er sich nicht etwa auf diesen Meriten ausruhte, sondern in einem Interview mit der SZ die Gelegenheit ergriff, darauf hinzuweisen, dass die Esskultur hierzulande noch immer nicht den annähernd gleichen Stellenwert wie in Frankreich, Japan oder Italien genießen würde. Die Deutschen hätten im Gegenteil Geld für alles Mögliche wie Autos, Urlaubsreisen und große Sport- oder Konzertevents übrig, aber nur nicht für gehobene Gastronomie. So ist es fast schon bezeichnend, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Gäste über den Flughafen in Luxemburg aus dem Ausland anreist. Es muss offenbar sehr an dem Chef nagen, dass seine überbordenden Fähigkeiten im Ausland offenbar weit mehr Anerkennung als in der Heimat finden ….

Als noch bedeutsamer erwies sich für Herrn Bau allerdings die Auszeichnung zum Botschafter der japanischen Küche – eine nur ganz selten verliehene Auszeichnung, die er aus den Händen des japanischen Ministers für Landwirtschaft persönlich entgegen nahm und die er überhaupt erst als dritter Nicht-Japaner erhielt. Man stelle sich nur einmal eine vergleichbare Wertschätzung aus den Händen von der hierzulande zuständigen Ministerin Julia Klöckner hervor – einfach undenkbar! Oder sollte ich vielleicht besser „lächerlich“ sagen?!

Nicht verschwiegen sei an dieser Stelle auch, dass mir eine besondere Ehre am Ende unseres Besuchs zuteil wurde. Anlässlich des 80. Geburtstags von Eckart Witzigmann am 4. Juli 2021 hatte Christian Bau nämlich eine sehr persönliche Hommage voller reizender Anekdoten für die WELT verfasst, die auch im Internet einsehbar ist. Daraufhin sandte ich dem Restaurant eine Mail mit meinem Dank für diese Würdigung und deutete an, dass ich Maestro Eckart Witzigmann möglicherweise bei meinem bevorstehenden Besuch im Salzburger Ikarus begegnen würde (was dann leider nicht der Fall war). Diese Mail nahm der als eher scheu geltende Christian Bau dann zum Anlass, am Ende unseres Besuchs nicht nur ein paar Worte mit mir zu wechseln, sondern auch für ein Foto mit mir zur Verfügung zu stehen. Als Eckart Witzigmann zum 20-jährigen Bestehen des Victor’s Fine Dining im Jahre 2018 zu Besuch war, entstand auch ein Bild mit den beiden Köchen, das seither im Foyer des Lokals aufgehängt ist und die tiefe Wertschätzung für den Jahrhundertkoch erkennen lässt. Dass Christian Bau trotz seiner überragenden Fähigkeiten immer noch diese Demut an den Tag legt, ist dabei wohl die größte Überraschung.

Auf den Punkt gebracht unterstrich dieser Besuch einmal mehr mein Argument, dass das Victor’s Fine Dining derzeit die unangefochtene Nummer Eins in Deutschland ist und mit Sicherheit zu den zwanzig besten Restaurants der Welt gezählt werden muss. Auf welchem Niveau hier inzwischen Hochküche zelebriert wird, lässt sich nur ungenügend in Worte kleiden. Da gibt’s nur eins: selbst erleben und nicht mehr aus dem Staunen herauskommen! Eines ist sicher: bis zu meinem nächsten Besuch wird es definitiv keine fünf Jahre mehr dauern! Außerdem zolle ich meine bedingungslose Anerkennung, indem ich diese genuine Sternstunde auf Rang zwei meiner besten Restaurantbesuche aller Zeiten einordnen werde!

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Victor’s Fine Dining
Schloßstraße 27-29
66706 Perl-Nennig
Tel.: 06866/79118
www.victors-fine-dining.de

Guide Michelin 2021: ***
Gault&Millau 2021: 19,5 Punkte
GUSTO 2021: 10 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2021: 5 F

Menü „Paris-Tokyo“: € 285