Menü des Jahres 2024

Schon seit vielen Jahren kocht Christoph Rainer beständig auf Zwei-Sterne-Niveau, doch die konsequente Verbesserung der letzten Jahre ist den meisten Gästen nicht verborgen geblieben. Seine Fähigkeiten bei Fisch und Krustentieren sind längst als atemberaubend zu bezeichnen, aber auch in Sachen Fleisch oder Desserts hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan. Sein Signature Dish „Ora King Lachs, Kuyjo Negi, N25 Kaluga Kaviar und Meeressalat“  verpasste den Sprung auf diese Liste nur hauchknapp, aber so oder so ist eine Auszeichnung mit dem potentiellen dritten Stern längst nicht mehr als illusorisch zu bezeichnen.  

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Wie schon in den vergangenen Jahren handelt es sich auch diesmal wieder um ein fiktives Menü mit den kulinarischen Höhepunkten eines überaus opulenten Jahres, welches denkwürdige Momente in Hülle und Fülle zu bieten hatte. Wie immer haben dazu die unterschiedlichsten Restaurants beigetragen, wobei wie schon in den Jahren zuvor darauf geachtet wurde, dass alle 15 Beiträge von unterschiedlichen Restaurants stammen.

Die Menüfolge beginnt mit den Apéros, gefolgt von je einem kalten und warmen Gruß aus der Küche. Nach der Brotauswahl folgt eine Zusammenstellung unterschiedlichster Vorspeisen, wobei wie schon im letzten Jahr ein gewisser Schwerpunkt auf Krustentieren lag, doch auch andere Höhenflüge kommen hier zu ihrem Recht. Nach dem Hauptgericht und einem Käsegang bilden ein Dessert und die Petits fours den würdigen Abschluss dieser hervorragenden Parade.

Ich muss mich fast schon entschuldigen für all die wunderbaren Gerichte, die es nicht auf diese Liste geschafft haben. Wie immer fiel mir die Auswahl extrem schwer, weil die Zahl an würdigen Beiträgen immens hoch war und einfach nicht alle berücksichtigt werden konnten. Dafür entschuldige ich mich schon jetzt!

Wer hat es nun auf die Liste geschafft? Die Auflösung folgt …

 

Menü des Jahres 2024

 

1. Dirk Hoberg: Apéros (Ophelia, Konstanz)

Die klare Dramaturgie und das bestechende Handwerk stellten die offensichtlichsten Vorzüge dieser spektakulären Parade dar: angefangen bei einem relativ schlichten, aber herausragend abgeschmeckten und zeitgemäß interpretierten Rindertatar mit schwarzem Trüffel spannte dieses Quartett einen Bogen bis zum grandiosen Höhepunkt: die Tartelette mit fermentierter roter Bete, Senfcrème und Ceta-Kaviar in einer komplexen, aber wunderbar vielschichtigen Umsetzung bot eine wunderbare, kaum für möglich gehaltene Fülle an Eindrücken.

 

2. Jochim Busch: Tartelette mit Forelle, Karotte,
Chinakohl und fermentierter Stachelbeere (Gustav, Frankfurt am Main)

Die für Juli 2024 angekündigte Schließung dieses Lokals „nötigte“ mich, hier unbedingt noch vorbeizuschauen. Ich wurde nicht enttäuscht, denn speziell dieses überaus filigrane und sehr durchdachte Amuse verzauberte mich mit großer Transparenz, umwerfender Frische und einer überaus angenehmen Vielfalt an Texturen, die zu einer unvergleichlichen Mundfülle beitrugen.

 

3. Sebastian Obendorfer: Chawanmuschi, Ente, Buchenpilze und Calamaretti
(Eisvogel, Neunburg vorm Wald)

Warme Amuses scheinen derzeit nicht sonderlich hoch im Kurs zu stehen, doch Sebastian Obendorfers japanischer Eierstich ist eine Eingebung: die durch und durch asiatisch gehaltene Petitesse überzeugte mit optimaler Temperierung, glasklaren Aromen und dank durchdachter Proportionen auch mit einer absolut vorzüglichen Balance aller Komponenten untereinander.

 

4. Ulrich Heimann: Brotauswahl (PUR, Berchtesgaden)

Anderswo wird der Brotauswahl meist keine überdurchschnittliche Bedeutung beigemessen, aber nicht so bei Ulrich Heimann, dem das Kunststück gelang, mit 60 Jahren noch einen zweiten Michelin-Stern zu erlangen. Seine Brotauswahl ist eher schon eine bayrische Brotzeit, die zur Freude des Gastes allerdings nicht so rustikal gestaltet ist, sondern mit opulenten Beigaben wie Kaninchenragout, Eigelb und Kartoffelschaum oder Schweinebauch mit Teriyaki überzeugt. Selbst die Aufstriche lassen aufhorchen, denn Enzianbutter mit Honig, Bier und Salz bekommt man auch nicht alle Tage (erst recht nicht in dieser Qualität) vorgesetzt!

 

5. Boris Rommel / Lothar Eiermann: Gugelhupf von Gänseleber, rote Bete
und weißer Portwein (Le Cerf, Zweiflingen)

Dieses Gericht ist nicht nur eine würdige Hommage an den im Februar verstorbenen Lothar Eiermann, sondern eine zeitgemäße Interpretation seines klassischen Gugelhupfes von Gänseleber in einem Portweingelée. Zur Entstehungszeit in den 1970er-Jahren galt die rote Bete noch als verpöntes Arme-Leute-Essen, doch längst haben heutige Chefs wie Boris Rommel ihr großes Potential erkannt und zaubern daraus atemberaubende Gerichte, welche die Vielfalt des Produkts in einer beeindruckenden geschmacklichen Bandbreite beleuchten.

 

6. Christian Bau: Buri, Dashi-Vinaigrette, Meeresaromen und Ossietra Gold Kaviar
(Victor’s Fine Dining, Perl-Nennig)

Kurz vor Toresschluss bekam ich von Christian Bau das Gericht des Jahres vorgesetzt: das macht ihm keiner nach, wie genial man die japanische Makrele in größtmöglicher Transparenz und geschmacklicher Tiefe mit anderen Begleitern kombinieren kann! Als Nonplusultra darf der Ossietra Gold Kaviar „Private Selection Christian Bau“ gelten, der mit seiner leicht nussigen und herrlich schmelzigen Aromatik diese Eingebung in den kulinarischen Olymp hievte.

 

7. Clemens Rambichler: Langoustine Royale, geschmorte Kalbsbacke,
Orangen-Gremolata und Madagaskar-Vanille (Waldhotel Sonnora, Dreis)

Ähnlich rigoros ist auch Clemens Rambichler, wenn es um seine Produkte geht: nur das Allerbeste ist ihm gerade gut genug. Das zahlt sich beispielsweise bei der riesigen Langoustine aus, die angesichts des leicht glasigen Fleisches nicht mustergültiger hätte zubereitet werden können. Die kongeniale Begleitung mit umwerfenden kontrastierenden Aromen und dem betörenden Duft der Vanille als Höhepunkt setzt diesem unfassbaren Meisterwerk die Krone auf.

 

8. Christoph Rüffer: Rotbarbe, Paprikasabayon, Sauce Pastis und Krokuspolenta
(Haerlin, Hamburg)

Die denkwürdigste Rotbarbe seit Ewigkeiten setzte mir Christoph Rüffer heuer vor: deren phantastische Liaison mit bestens abgeschmeckter Sauce Pastis und weiteren vollendet umgesetzten Begleitern rückten die zwei (!) Filets des unwahrscheinlich buttrigen Fischs perfekt in den Mittelpunkt des Geschehens. Das sahen übrigens auch die Tester des Guide Michelin so, die dieses Gericht als eines der zehn besten der gesamten Testsaison bewerteten.

 

9. Daniel Schimkowitsch: Wolfsbarsch und Seeigel, Myoga, Sanbaizu und Shisoblüten
(L.A. Jordan, Deidesheim)

Der unfassbar begabte Daniel Schimkowitsch hängt im pfälzischen Weinstädtchen Deidesheim die Messlatte inzwischen in solche Höhen, dass man es kaum glauben mag. Höhepunkt seiner an Highlights weiß Gott nicht armen, jüngsten Menüfolge war die Kreation rund um roh marinierten Wolfsbarsch und Seeigel, dessen leicht bitterer und salziger Geschmack perfekt zur Geltung kam. Die Shisoblüten dienten beileibe nicht nur der optischen Aufwertung, sondern setzten zusammen mit Sanbaizu und frittierten Myoga-Fäden bemerkenswerte Akzente. Hier bekommen die Gäste immer wieder Kreationen vorgesetzt, welche selbst erfahrene Gourmets noch nicht in dieser Form erlebt haben.

 

10. Edip Sigl: Kalbsbries, Speck, Kopfsalat, Sonnenblumenkerne und Pfeffer
(es:senz, Grassau)

Schon im letzten Jahr hätte es für Edip Sigl fast auf diese Liste gereicht, doch seine jüngste Variante rund um Kalbsbries stand in diesem Jahr praktisch konkurrenzlos da. Ähnlich kraftvoll wie das Signature Dish aus dem Vorjahr und ohne falsche Zurückhaltung in Szene gesetzt, überzeugte dieser frühlingshafte Ansatz durch und durch. Trotz der geschmacklichen Kraft ermöglichte es die vorzügliche Balance, wichtige Details herauszuschmecken, die für den letzten Feinschliff sorgten. Wenn es um aromensatte Gerichte mit Kalbsbries geht, macht bestenfalls Jan Hartwig Chefkoch Edip Sigl hierzulande noch etwas vor – und das will etwas heißen!

 

11. Detlef Schlegel: Wassermelone, Erdnüsse, Avocado und Teriyaki
(Stadtpfeiffer, Leipzig)

In einem an vegetarischen Höhepunkten eher armen Jahr ragte dieser Geniestreich deutlich heraus: allein die Idee, gegrillte Wassermelone in Teriyaki zu marinieren, spricht schon Bände! Mit der überaus stimmigen Beigabe von Avocado und Erdnüssen erreichte das überaus individuelle Gericht eine ungeahnte aromatische Vielfalt bei gleichzeitig ausgesprochen klaren und vollkommen überraschenden Texturen.
Was für ein Meisterwerk!

 

12. Eric Menchon: Koteletts vom Sisteron-Lamm mit
Petersilienkruste auf Thymianjus (Le Moissonnier, Köln)

Seitdem sich die gesamte Ausrichtung des Le Moissonnier geändert hat, darf Eric Menchon nun mit seinem Team die Klassiker seiner Heimat Frankreich und insbesondere der Provence im zeitgemäßen Gewand umsetzen. Dabei durfte man von einer entsprechenden Leistung durchaus ausgehen, aber seine fünf (!) Koteletts vom Sisteron-Lamm waren derart hochqualitativ und perfekt gegart, dass sich kein Dreisterner hätte schämen müssen, diese zu servieren: superbe Konsistenz, enorme Tiefe im Geschmack, punktgenau zubereitet und optimal gewürzt.
Kaum zu glauben!

 

13. Tobias Bätz / Alexander Herrmann: Ziegen-Blauschimmelkäse, Pfirsich,
Topinambur, Pfefferchips und Johannisbeerholz (Aura, Wirsberg)

Selbst bei vergleichsweise unsteten Besuchen kann es natürlich jederzeit passieren, dass ein einziges Gericht derart überzeugend aus dem ansonsten gezeigten Niveau ausschert, dass man sich ungläubig die Augen reibt. So geschehen in Wirsberg, denn längst konnte mich nicht alles bei meinem Besuch in Oberfranken begeistern, aber dieser Käsegang mit trefflich abgeschmeckter, nicht zu penetranter Süße von Pfirsich harmonierte einfäch prächtig mit Pfeffer und Topinambur. Der ultimative Clou waren indes die zarten Aromen von Johannisbeerholz, welche aus einem ohnehin schon beachtlichen Käsegang ein unerwartet aristokratisches Esserlebnis zauberten. Grandios!

 

14. Thomas Schanz: Boule von der kreolischen Ananas mit
Basilikum und Ziegenmilch (schanz, Piesport)

Ein absolut unverwechselbares und ikonisches Dessert kreierte Thomas Schanz mit seiner umwerfenden Boule. Neben dem bekömmlichen, leichten und einfach verblüffenden Geschmack trägt in diesem Fall natürlich auch die Optik zu einem unvergesslichen Erlebnis bei. Diese Augenweide von einem Dessert versetzt den Gast gefühlt in die Karibik und lässt ihn ob der überbordenden Kreativität und des fabelhaften Handwerks gleichermaßen staunen. 

 

15. André Münch: Petits fours (Der Butt, Rostock-Warnemünde)

Die hinreißende stilistische Bandbreite, welche die Pâtisserie hier an der Ostsee erkennen ließ, war an sich schon bemerkenswert genug, doch die außergewöhnliche Qualität überraschte mich dabei noch mehr. Neben Klassischem wie Himbeere und Mascarpone überragte auch die bunte Praline von weißer Schokolade, Gurke und Passionsfrucht.

 

Im Jahre 2024 sah sich die Branche einmal mehr mit anstehenden Herausforderungen konfrontiert, deren Lösung alles andere als leicht fällt: wie umgehen mit Personalmangel, gestiegenen Beschaffungskosten und der Erhöhung der Mehrwertsteuer? Diese Probleme werden uns natürlich in allen gesellschaftlichen Bereichen auch im kommenden Jahr weiterhin begleiten, doch wenn es der Branche gelingt, ähnlich kreativ zu Werke zu gehen wie beim Gestalten der Gerichte, die heuer wieder auf die Teller gelangten, dann bin ich absolut zuversichtlich, dass auch 2025 wieder ein spannendes Jahr werden dürfte. Außerdem ist der Jahreswechsel der angezeigte Zeitpunkt, um meine Anerkennung in zwar nur einem einzigen, aber dafür umso gewichtigeren Wort zum Ausdruck zu bringen.

 

!!! DANKE !!!

 

Hier noch ein Überblick über die bisherigen Menüfolgen des Jahres:

Menü des Jahres 2023

Menü des Jahres 2022

Menü des Jahres 2021

Menü des Jahres 2020

Menü des Jahres 2019