Bootshaus, Bingen am Rhein

„Wenn du bescheiden ruhig das Talent,
das dir die Götter gaben, tragen kannst,
so lern auch diese Zweige tragen.“
(Johann Wolfgang von Goethe)

Juni 2024

Bootshaus, Teil 1: Das groß dimensionierte, schicke Boutiquehotel Papa Rhein liegt am Ortsrand von Bingen und punktet nicht nur mit einer gehobene Küche, sondern bietet auch einen Paradeblick auf Rüdesheim und das hoch über dem gegenüberliegenden Rheinufer gelegene Niederwalddenkmal. Das Restaurant Bootshaus ist die neue Heimstatt von Nils Henkel, der im Zusammenhang mit der Pandemie seinen Platz in der damals zweifach besternten Burg Schwarzenstein im nahen Geisenheim wegen wirtschaftlicher Schieflage der Betreiber leider räumen musste. Seither kocht er im lichten Ambiente des Bootshaus auf, wo er allerdings grundlegend andere Arbeitsbedingungen vorfindet. Hier gilt es nicht, zwei Dutzend Gourmets pro Abend zu bekochen, sondern Abend für Abend ein Essen im großen Stil zu präsentieren – das Lokal fasst in etwa gleich viele Plätze wie das Tantris in München, hat aber längst nicht denselben kulinarischen Anspruch. Die hier angebotenen Menüfolgen sind wesentlich knapper bemessen, damit praktisch im raschen Wechsel im Laufe des Abends Tische ein zweites Mal belegt werden können. Im Sinne der Wirtschaftlichkeit machen die Betreiber daher sicherlich vieles richtig, wenn das Lokal abends ständig gut gefüllt ist, aber schnell wird klar, dass das hier gezeigte Niveau in keinster Weise mit dem von Geisenheim oder Bergisch Gladbach, Nils Henkels früheren Stationen, vergleichbar ist.

Aufgerufen werden zwei dreigängiges Menü zu € 69 bzw. € 79, bei welchen der Gast die Wahl zwischen zwei Gerichten bei der Vorspeise, dem Hauptgericht und dem Dessert hat. Man nimmt überdies Platz an quadratischen blanken Holztischen, die mit Platzmatten eingedeckt sind – obwohl der Rahmen insgesamt recht locker erscheint, ist das Publikum ziemlich mondän gekleidet. Der emsige, aber nicht allzu herzliche Service ist multikulturell zusammengesetzt und duzt die Gäste nur dann nicht, falls diese dies ausdrücklich ablehnen. Den meisten Gästen dürfte das Essen nicht sonderlich bedeutsam sein, denn das Motto „sehen und gesehen werden“ erscheint für die meisten wichtiger, zumal sich das in dem lichten Ambiente des mit viel Holz und Glas gestalteten Lokals problemlos einrichten lässt. Jedenfalls sichere ich mir nach einem kurzen Plausch mit dem Chef gleich zu Beginn mein Autogramm in dem entsprechenden Buch der SZ-Reihe, so dass der Hauptgrund meines Besuches schon zu Beginn abgehakt ist.

Das derzeit mit 6,5 Pfannen im GUSTO bewertete Lokal läutet den Abend mit einer kaum der Rede werten Brotauswahl mit körnigem Bärlauch-Frischkäse ein, zu welcher ich mir einen alkoholfreien Sekt vom heimischen Sekthaus Carl Greager genehmige. Das ist in Summe nicht sonderlich üppig, aber die ersten Eindrücke passen dennoch zu den vergebenen Noten. Auf Apéros oder gar ein Amuse wartet man leider vergebens, denn es geht ohne Umschweife mit dem ersten Gang des Abends los.

Das Ceviche von Lachsforelle wirkt von der Konsistenz her fast wie ein grobes Tatar und ist auf einer säurebetonten Vinaigrette mit Spritzern von grünem Apfel gebettet. Ummantelt ist das Ganze von recht dezent gehaltener Zucchini, doch dafür sorgt eingelegter Staudensellerie im Gegenzug für markige Würze, die zusätzlich durch das Sorbet aus demselben Produkt in ihrer Wirkung noch potenziert wird. Abgefedert wird die erstaunlich intensiv wirkende Komposition mit der belebenden Säure von Grapefruit und einer sorgsamen Dosierung von Koriander. Aus vergleichsweise bescheidenen Möglichkeiten hat die Küche hier ziemlich viel herausgeholt und gleich das beste Gericht des Abends zu Beginn ersonnen. Die Konsistenz des Ceviche und die geschmackliche Balance hätten vielleicht noch etwas Präzision vertragen können, aber zumindest bei weniger anspruchsvollen Gästen dürfte dieser sommerliche Beitrag jedenfalls gut ankommen.

Das Hauptgericht besteht aus auf Gulaschjus platziertem geschmortem Rücken, gebratenem Shortrib sowie Bulette vom Rind und wird einigermaßen originell, wenngleich ohne die ganz große Raffinesse von Blumenkohl im Tempurateig, eingelegter gelber Bete und Markbällchen begleitet. Die Darbietung ist etwas plakativ, aber zumindest fehlerfrei und praktisch ideal auf die Erwartungshaltung dieses Publikums zugeschnitten. Schon jetzt erscheint allerdings klar, dass Nils Henkels neue Dépendance Tipken’s auf Sylt, die zum Severin Resort in Keitum gehört, ein wesentlich höheres Niveau offeriert. Die Rahmenbedingungen in Bingen sind nun einmal andere, was der Kreativität des Ausnahmechefs nun einmal gewisse Grenzen setzt. Es erscheint völlig offensichtlich, dass Familientauglichkeit beim Essen und entspannte Atmosphäre hier klar stärker favorisiert werden als das etwaige Anspruchsdenken von Gourmets.

Mit dreierlei Rohmilchkäse vom Affineur Kober klingt dieser ansonsten wenig denkwürdige Abend auf überschaubarem Niveau aus. Das Früchtebrot stammt immerhin vom fränkischen Meisterbäcker Arnd Erbel, und auch die Früchtechutneys von Walnuss und Feige schneiden passabel ab. Dennoch ist der Materialeinsatz gemessen am aufgerufenen Menüpreis recht überschaubar, zumal man sich mit der Präsentation keine nennenswerte Mühe gegeben hat. Zu echtem Sterneniveau fehlt doch erkennbar ein gutes Stück. Das Preis-Leistungs-Verhältnis darf insgesamt als mäßig bezeichnet werden, zumal es an jedweden Extras fehlt.

Die ernüchterndste Erkenntnis dieses Besuches besteht ganz eindeutig in der Tatsache, dass es für die Ansprüche dieses Lokals weiß Gott keines Ausnahmekönners vom Format eines Nils Henkel bedürfte, um die Erwartungshaltung der Gäste und der Geschäftsleitung zu befriedigen. Sicherlich steht seitens des Chefs eine bewusste Entscheidung hinter der Übernahme dieses Jobangebots, zumal Nils Henkel nach vielen Jahrzehnten in der gehobenen Gastronomie vielleicht einfach mal etwas kürzer treten wollte – wenngleich er schwerlich etwas verlernt haben sollte. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass dieses Lokal mit seinen spartanischen Extras und der Verköstigung der Gäste im großen Stil sich zwar damit rühmen kann, sich einen großen Chef geangelt zu haben – dennoch bleibt es eine mehr als bedauerliche Talentverschwendung, wenn man weiß, was Nils Henkel kann.

Mein Gesamturteil: 14 von 20 Punkten

 

Bootshaus
Hafenstraße 47
55411 Bingen am Rhein
Tel.: 06721/35010
www.paparheinhotel.de

Guide Michelin 2024: —
Gault&Millau 2024: 2+ Toques
GUSTO 2024: 6,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2024: 3 F

3-gängiges Menü: € 79