„Ein schöner Rückzug ist ebensoviel wert als ein kühner Angriff. Man bringe seine Taten, wann ihrer genug, wann ihrer viele sind, in Sicherheit.“ (Baltasar Gracián)
Juni 2024
Bootshaus, Teil 2: nach meinem Besuch im Bootshaus zu Bingen geht es etwa 30 Kilometer rheinaufwärts zum nächsten Bootshaus-Restaurant, nämlich in Mainz. Es liegt direkt vor den Toren der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt am Rhein und befindet sich an einer Promenade, die im Sommer zum Radfahren oder Flanieren einlädt. Patron des Hauses ist der ehemalige Sternekoch Frank Buchholz, der bis zum Jahre 2015 sein Restaurant Buchholz in Mainz-Gonsenheim betrieb. Heute befinden sich dort noch immer seine Kochschule und ein Feinkostladen, doch seine zahllosen Auftritte im Fernsehen haben den umtriebigen Unternehmer mindestens genauso berühmt gemacht wie seine Meriten als Sternekoch. Dennoch ist der Hausherr dem Vernehmen nach recht häufig vor Ort in seinem Bootshaus anzutreffen, seitdem er sich von seinem Restaurant zurückzog. Ich suche das Lokal an einem Sommernachmittag auf und habe gleich doppeltes Glück: nicht nur das Wetter spielt vorzüglich mit, sondern auch der Patron weilt vor Ort, signiert mein Buch aus der SZ-Reihe und posiert auch gerne für ein gemeinsames Foto. Obwohl es drinnen recht geräumig zugeht, lässt es sich gerade bei schönem Wetter herrlich draußen sitzen zwischen gepflegten Ziersträuchern. Der größte Unterschied zum namensgleichen Lokal von Nils Henkel besteht darin, dass Frank Buchholz nicht selbst am Herd steht, sondern für all den organisatorischen Aufwand verantwortlich zeichnet und das Kochen gemäß seinen Vorstellungen lieber anderen überlässt.
Die zweiseitige Speisekarte hat dabei eine ordentliche Auswahl an Gerichten à la carte anzubieten, die bei leicht erhöhten Preisen auf eine gehobene Küche schließen lassen – auch wenn Frank Buchholz der Sternegastronomie inzwischen den Rücken zugewandt hat, so bedeutet dies natürlich nicht, dass ihm sein Produktbewusstsein abhanden gekommen wäre. Wer auf die hochpreisigsten Produkte verzichten kann, der ist hier bereits mit ca. € 50 für drei sehr ordentliche Gänge dabei. So bestelle ich zum Auftakt an diesem fast schon heißen Tag eine Gazpacho, die mit typisch andalusischen Aromen von Tomate und Paprika überzeugt. Meines Erachtens hat sich die Küche neben dem untadeligen Handwerk an sich dabei einen Kniff erlaubt, denn ich glaube einen Schuss Mineralwasser ausgemacht zu haben, der die Konsistenz der kalten Suppe leicht auflockert und für etwas mehr Erfrischung sorgt. Ich kann mich täuschen, aber sollte es zutreffen, dann hat der Trick seine Wirkung durchaus nicht verfehlt.
Das beste Gericht des Tages sind die hausgemachten, vegetarischen Agnolotti mit Salbei, Nussbutter, Parmesan und rote Bete. Damit tritt die Küche den Beweis an, dass sie durchaus nicht nur Klassiker wie Rinderrouladen, Rumpsteak oder Currywurst auf gehobenem Niveau beherrscht, sondern durchaus mit Gerichten etwas abseits der üblichen Pfade aufzutrumpfen vermag, wenn sich der Gast nur willens zeigt, auch auf solche Angebote einzugehen. Es lohnt sich durchaus, denn das Gericht bedient recht unerwartete Geschmackswelten und lässt doch jederzeit auf ein weit überdurchschnittliches Handwerk ohne jede Forciertheit schließen – leicht und bekömmlich, dazu am Puls der Zeit. Sehr schön! Für die Ansprüche arrivierter Gourmets erweist sich das Gebotene insgesamt freilich als zu wenig, aber für ein zwangloses Essen, das es sowohl konservativen als auch aufgeschlossenen Gästen recht macht, reicht es definitiv.
Das Dessert ist eine Crème brûlée, die angesichts von Schokoladeneies und Himbeere in Texturen eigentlich nichts Unerwartetes in dem Sinne zu bieten hat, doch schnell wird bei aufmerksamem Verzehr klar, dass selbst ein solch gewöhnlicher süßer Ausklang doch mehr Spaß macht als erwartet, wenn nur ausgezeichnete Grundprodukte auf ein souveränes Handwerk treffen. Will sagen: es handelte sich hierbei jedenfalls um eine der bisher besten Umsetzungen dieses etwas abgedroschenen Klassikers, die mir bislang untergekommen ist.
Ähnlich wie tags zuvor sind Apéros, ein Amuse oder Petits fours auch hier nicht zu erwarten, so dass diese beiden Bootshaus-Restaurants unterm Strich insgesamt recht viele Parallelen aufweisen. In beiden Lokalen wird somit eine gehobene Küche angeboten, die es möglichst vielen Gästen recht machen will, aber primär nicht unbedingt auf die Erwartungen ambitionierter Gourmets zugeschnitten ist, selbst wenn in beiden Fällen ein prominenter Chef eingebunden ist. Für eine zwanglose Stippvisite an einem sonnigen Nachmittag bietet sich das Mainzer Bootshaus allemal an, denn viel falsch machen kann mit einem Besuch eigentlich nicht, zumal dank der umfangreichen Speisekarte jeder Gast nach seiner Façon glücklich werden sollte.
Mein Gesamturteil: 14 von 20 Punkten
Bootshaus
Victor-Hugo-Ufer 1
55116 Mainz
Tel.: 06131/1438700
www.bootshausmainz.de
Guide Michelin 2024: —
Gault&Millau 2024: —
GUSTO 2024: —
FEINSCHMECKER 2024: 1,5 F
3-gängiges Menü: ab ca. € 50