Bootshaus, Traunkirchen

„Der deutsche Gast kommt nach Österreich, weil er ins Ausland will, aber es soll ihm nicht zu ausländisch vorkommen.“ (Peter Turrini)

Juli 2024

Bootshaus, Teil 3: die Trias an kurz aufeinander erfolgten Besuchen von Lokalen dieses Namens komplettiert Oberösterreichs mutmaßlich bestes Restaurant. Es liegt im kleinen Ort Traunkirchen im Hotel Das Traunsee direkt am Ufer des Traunsees in traumhafter Lage und hat im Sommer eine Terrasse zu bieten, von der aus der Blick auf den See noch malerischer ausfällt. Chefkoch des Lokals im Herzen des Salzkammerguts ist Mittdreißiger Lukas Nagl, der einerseits stark auf regionale Produkte setzt und eine erkennbare Vorliebe für Fisch zeigt. Andererseits gilt sein Interesse aber auch japanischen Fermentationstechniken und den klassischen Mehlspeisen seiner Heimat. Seine Leidenschaft, die er schon vor langer Zeit zu seinem Beruf machte, brachte ihm inzwischen 18 Punkte im österreichischen G&M sowie satte 99 Falstaff-Punkte ein.

Allzu viel weiß ich ansonsten nicht über dieses Lokal, als ich an einem mäßig warmen Tag hier einkehre – vor allem will ich mir ein Bild davon machen, ob das Lokal ein Kandidat für zwei Michelin-Sterne ist, wenn der rote Guide erstmals seit sechzehn Jahren wieder Anfang 2025 in der Alpenrepublik erscheint. Angesichts der bisherigen Referenzen und sonstigem Sternegeflüster dürfte es wohl reichen, weshalb ich mich auf ein Festmahl am Nachmittag einrichte. Ich nehme auf besagter Terrasse Platz und bekomme schon bald vom Service die Speisekarte gereicht, die eine einzige Menüfolge in bis zu sieben Gängen für € 219 offeriert. Wenn es das Wetter übrigens nicht zulässt, unter freiem Himmel zu speisen, dann kann man innen in einem geräumigen und lichten Raum, der mit viel Holz verkleidet wurde, Platz nehmen und das Geschehen draußen durch großflächige Panoramafenster beobachten.

Zu einem alkoholfreien Verjus Spritz aus dem niederösterreichischen Kamptal trägt der Service, der aus einer auffallend großen Zahl an Mitarbeitern besteht, das erste halbe Dutzend an Apéros auf, die durchaus individuell ausfallen. Vor allem die Petitesse ganz links ist kompliziert ersonnen, schlägt aber voll ein: Karpfenmousse auf Senfsaat mit Wachtelei, Essigzwiebel und Estragon besticht mit ungewöhnlichen Aromen bei gleichzeitig enormer Transparenz und Spannung zwischen den Komponenten. Das in der Karkasse versteckte Flusskrebstatar ist deutlich zurückhaltender, aber ähnlich eigenständig mit Karfiol (Blumenkohl), Apfel und Schalotte veredelt. Die Herzkirsche auf Amaranth mit einer Füllung von Rehleber mit Shiso ist deutlich herber geraten, geht aber einen schönen Kontrast zu den Vorgängern ein.

Der Pimento de Padron mit einer Farce von Karpfenrogen und Quinoa fremdelt für meine Begriffe mit der Umgebung …

… während die duftige Tartelette mit Seemuscheln, Estragon, Radieschen und Kernöl deutlich besser zu der hier immer wieder propagierten Regionalität passt.

Den Abschluss des Sextetts bildet eine Masse aus Erbse und Erdnuss, die mit Rose und Minze mariniert und zum Schluss mit essbaren Blüten belegt wurde. Das sieht zwar ansprechend aus, aber zum einen muss die Masse umständlich aus der Hülse gesogen werden und zum anderen wirkt das geschmackliche Ergebnis auf mich etwas verkopft und wenig stimmig. In Summe schneiden die Karpfenmousse und das Tartelette am schlüssigsten ab, während mir insbesondere der Sinn des Pimento in diesem Reigen verhüllt blieb. Die geschmackliche Intensität bewegte sich fast durchgehend im mittleren Bereich – was aber keinesfalls bedeuten soll, dass dieser Auftakt nicht herausfordernd geraten wäre.

Anschließend folgt hier ein Ritual, das mir schon vom Intense in der Pfalz oder vom 100/200 in Hamburg her bekannt vorkommt. Alle verwendeten Grundzutaten der Menüfolge werden dem Gast am Platz erläutert, so dass sich der genigte Gourmet hier schon einen willkommenen Überblick verschaffen kann, was ihn in den nächsten Stunden so erwartet.

Die Brotauswahl wird mit einigen Extras am Platz aufgetragen: so gehören eine Junggurke mit Hollerzucker und Kornelkirschen genauso dazu wie das Dinkel-Zwiebelbrot, ein Aufstrich aus Miso mit Paprika und Kümmel sowie zu guter Letzt ein hervorragender Ziegenfrischkäse mit essbaren Blüten. Kleiner Wermutstropfen: wenn das Brot verzehrt ist, werden die Teller ohne Nachschub abgetragen – schade, denn gerade von dem Frischkäse hätte man noch lange zehren können …

Nicht selten ist im Zusammenhang mit Lukas Nagl von einem „Fischflüsterer“ die Rede. Jedenfalls überzeugt sein Mondsee-Karpfen nicht nur durch das Tatar vom Bauch des Fischs, sondern in fast noch größerem Maße durch die raffinierte Begleitung: gebettet auf einer Vinaigrette von Sommergemüse mit deutlichen Noten von dominanter Tomate und etwas dezenterer Paprika schichtet die Küchencrew über dem Tatar Karfiol, Mousse von Räucherfisch, gestoßene Haselnüsse, getrocknete Himbeere, Kopfsalat und Kapuzinerkresse zu einer Art Millefeuille auf. Gerade durch die Struktur aus teils einfachsten Produkten und die vorzügliche Transparenz gelingt es dem Team, einen sommerlich leichten, frischen und bekömmlichen Einsteiger auf den Teller zu zaubern, der sehr ansprechend gerät und insbesondere das Potential der für meine Begriffe immer noch unterschätzten Tomaten aufzeigt. Fraglos ein ganz wunderbarer Auftakt!

Ein noch besseres Ergebnis erzielt die Küche beim Attersee-Aal, den sie auf einer klassischen Brandade und mit einer Sauce von reduzierter Schafmolke mit Estragonöl umspielen lässt. Reizend und mit echtem geschmacklichem Mehrwert verpackt ist der Aal von zweierlei jungen Zucchini, wobei Hechtkaviar und Kartoffel als gehaltvolle Farce herhalten. Das Gericht punktet mit gleich mehreren Vorzügen, denn neben der fast schon atemberaubenden Vielfalt bei den Texturen sind es die variable Temperierung und der kreative Einsatz erneut simpler Viktualien, welche zum vielleicht besten Gericht des Tages führen. Außerdem verleiht der Feinschliff mit Estragon dem Gang enorme Tiefe, reichlich aromatischen Charakter und ein geradezu geniales Gespür für perfekt dosierte Würze. Superb!

Der dritte Fischgang rückt den heimischen Traunsee-Barsch in zweierlei Varianten in den Mittelpunkt: er findet sich in gebratener Form unter der Salatgarnitur mit Frühkraut, während er sich in Miso gebeizt und danach kurz abgeflämmt unter der Sauce von Brotmiso findet. Der Kontrast fällt geringer aus als die Beschreibung vermuten ließe, zumal die herbe Miso sich grenzwertig dominant in den Vordergrund zu drängen droht. Abhilfe schaffen allerdings die überraschenden säuerlichen Spitzen von Berberitze, so dass eine zu große Eindimensionalität vermieden wird. Dennoch fällt dieser dritte Gang im Vergleich zu den überragenden Vorgängern etwas ab und erreicht nur durchschnittliches Niveau.

Beim nächsten, rein vegetarischen Gang fällt es mir am Ende etwas schwer, das Besondere an dem Gericht auszumachen: so finden sich gedämpfte und gebratene Tränenerbsen auf darunter versteckten Ebenseer Waldpilzen wie etwa Eierschwammerl und Pfifferlinge in einer Umrandung von Weißkohl. Platziert ist das Rondell auf einer Verjus mit Marille und Lavendel, die der Molke vom zweiten Gang geschmacklich stark ähnelt. Das recht profan gehaltene Gericht ist eher simpel gestrickt und offenbar ganz auf die Qualität der sündhaft teuren Erbsen zugeschnitten. Die gehaltvolle Kompaktheit macht durchaus etwas her, aber die ganz große Begeisterung will bei mir diesmal nicht so recht aufkommen.

Beim Stöbern in der Getränkekarte entdecke ich vor dem Hauptgang eine erfreulich große Auswahl an alkoholfreien Alternativen und stoße dabei auf ein Tonic Water mit Stachelbeere von dem mir bis dato völlig unbekannten Produzenten Sammerhof in Kirchham, nordöstlich vom Traunsee gelegen. Die Produktserie mit dem Namen „Seeside“ ist eines der Aushängeschilder dieses Produzenten, doch die überraschend große Produktpalette hat sicherlich für jeden etwas zu bieten, zumal die Obstbrände, auf die später noch eingegangen wird, etwas ganz Besonderes darstellen.

Dass Lukas Nagl nicht nur Fisch beherrscht, beweist er beim Hauptgang, in dessen Zentrum Rutzenmooser Bio-Lamm steht. Den Rücken des Lamms begleitet er nicht nur mit einer Crème von Purple Haze Karotte, sondern auch mit einer herzhaften, geschmorten Variante der Rübe, welche er mit Gurke und essbaren Blüten belegt. Der geräucherte Joghurt und die herbe Säure der Sauce von schwarzen Ribiseln (Johannisbeeren) erweisen sich als harmonische, Kontraste setzende Begleiter von bereicherndem Charakter. Das auf Ribiselblätter gebettete, separat gereichte Bällchen mit einer Füllung von Lammragout gerät dagegen etwas plakativ, aber in Summe bewegt sich dieser Gang fraglos auf Zwei-Sterne-Niveau, zumal Nuancen von Paprika und Minze eine willkommene Verfeinerung darstellen.

Trotz eines fast vollen Hauses erscheint der Chef übrigens zu jedem Gang an meinem Tisch – keine Ahnung, ob man mich schon als außergewöhnlichen Gast ausgemacht hat oder das bei Einzelpersonen am Tisch so üblich ist?! Wie dem auch sei – eine eigene Handschrift mit einem gewissen Fokus auf Optik hat der ambitionierte Chef längst entwickeln können. Die eine oder andere Entscheidung habe ich bislang zwar nicht immer uneingeschränkt geteilt, aber in Summe bot der Besuch bislang genügend Eindrücke, die für zwei Sterne voll und ganz ausreichen würden.

Der Käsegang ist eher der kontroversen Kategorie zuzuordnen, denn eine etwas fragwürdige Balance der Komponenten untereinander macht den Zugang zu diesem Einfall nicht gerade leichter: ein recht massiges Veilchensorbet thront dabei auf einem Walnusscrumble und einer Masse aus Brot und Nüssen unter einer leicht geschmolzenen Hülle von Blauschimmelkäse vom Schaf. Der scharfe Kontrast zwischen Spritzern von Verjus einerseits und Rosmarinmilch andererseits verstärkt dabei den Eindruck eines recht kantigen Gerichts dabei noch. Vermutlich war das durchaus so gewollt, aber so wie die Dinge lagen, spielte der Käse nur eine untergeordnete Rolle bei diesem komplexen und ein wenig verworren wirkenden Einfall. Zwar kam der Gang mit erfreulich wenig Süße aus, aber trotzdem fehlte mir diesmal ganz einfach so etwas wie ein roter Faden, weshalb sich meine Euphorie in Grenzen hielt.

Ganz anders sah das jedoch nochmals beim Dessert aus, welchem eine aus meiner Sicht großartige Idee zugrunde lag: den Mittelpunkt des süßen Ausklangs bildete ein kühnes  Erdäpfeleis, das überraschend mit einer Farce von weißem Mohn gefüllt war. Das Fundament des Gangs bilden Herzkirschen, die auf einer Sauerampfersauce mit Olivenöl drapiert wurden. Zusammen mit den herben Aromen der leicht geeisten Scheibe von Bitterschokolade und der überraschenden Akzentuierung mit dem seltenen Rosengewächs Mädesüß, dessen Geschmack an Mandeln erinnert, zaubert die Pâtisserie aus recht schlichten Produkten ein herbes Gericht aus heimischen Produkten, das ohne dogmatisch zu wirken voller Regionalität steckt und nicht zuletzt dank präziser Konsistenzen voll einschlägt.

Zum Abschluss des Mahls wird vor dem Gast eine kühne, aufklappbare Konstruktion aufgestellt, welche die gesamte Vielfalt der Petits fours abbildet: dazu gehören Waldmeister-Sportgummi, Bienenbrot und weiße Schokolade, Duftrosen-Macaron, Haselnüsse und helles Miso, Kürbiskernöl-Ganache und Dörrobst Paneforte. Mit anderen Worten: hier ist für jeden etwas dabei.

Außerdem wäre da ja noch etwas nachzureichen: die Obstbrände vom bereits zuvor erwähnten Sammerhof sind etwas ganz Besonderes, denn der Produktname LX spielt tatsächlich auf deren unglaublichen Alkoholgehalt von 60% an. Fünf teils recht exotische Sorten gehören zu diesem Segment: Rosmarin, gelber Muskateller, Bitterorange, Vogelbeere und Buddhas Hand – da ich letztgenannte Sorte noch nie als Obstbrand verkostet habe, lasse ich mir 1 cl zu einem mehr als fairen Preis einschenken und genieße ganz langsam, um angesichts des extremen Alkoholgehalts nicht gleich ein unangenehmes Brennen im Hals zu hinterlassen. Der Namenszusatz „Strong Spirits“ ist jedenfalls voll und ganz berechtigt! Für Kenner und Genießer kann als rare Alternative eine uneingeschränkte Empfehlung ausgesprochen werden!

Eine weitgehend mit bodenständigen Produkten auskommende Küche, die gerade bei Gemüse und Süßwasserfischen ihre besonderen Stärken auszuspielen scheint, ist das, was den Gast hier erwartet. Auf diesen beiden Gebieten hat der Chef fraglos eine beachtliche Expertise entwickeln können, die ihm bereits einige Auszeichnungen einbrachte. Dennoch schneiden auch andere Themenfelder ähnlich gut ab, selbst wenn mich die eine oder andere Entscheidung bei der Gestaltung der Teller noch nicht immer im selben Maße zu überzeugen vermochte. Tatsächlich wirkt diese Küche auf mich ziemlich intuitiv – mehr oder weniger auf der Erfahrung vieler Jahre bauend, was harmoniert und was nicht, werden hier Gerichte ersonnen, die durchaus einiges wagen und sich erfolgreich abseits der Konvention bewegen. Einen speziellen Reiz entwickelt diese Küche, weil sie auf mich so wirkt, als könnte man bei den Tellern relativ leicht einzelne Produkte gegen andere austauschen, ohne dass sie dabei im Geringsten an Charme oder Klasse einbüßen würden. Mit anderen Worten: in den besten Momenten gelingt es Lukas Nagl mit seinem Team ganz souverän, seine Ideen in mehreren Varianten zum Funktionieren zu bringen, gerade weil diese an saisonale Gegebenheiten angepasst werden müssen. Bei alledem bleiben seine Teller meist von reduzierter Intensität und belasten den Magen nicht – bekömmliche Teller zählen hier ganz eindeutig mehr als aromensatte, wuchtige Teller.

Mit Katharina Gnigler an der Spitze, die jüngst vom österreichischen Gault&Millau zur Sommelière des Jahres ausgezeichnet wurde, ist das Lokal an der Spitze bestens aufgestellt. Dennoch fehlte es der restlichen Servicetruppe zumindest an diesem Tag an so etwas wie echter Koordination, denn ständig umschwirrten andere Mitarbeiter den Tisch, was beispielsweise für eine längere Zeit vergessene Getränke zur Folge hatte. All dies ändert jedoch nichts an einem insgesamt sehr kulanten Preis-Leistungs-Verhältnis, das auch bei den Nebenkosten für weitere Getränke seine logische Fortsetzung fand.

Unterm Strich darf das Bootshaus zu Traunkirchen als recht sicherer Zwei-Sterne-Kandidat angesehen werden, auch wenn dem einen oder anderen Gericht bei meinem Besuch ein nicht immer sofort erkennbares oder zumindest nahbares Konzept zugrunde lag. Selbst dies wurde jedoch reichlich durch grandiose Teller wie die beiden Einsteiger kompensiert, so dass letzten Endes ein solider Auftritt auf Zwei-Sterne-Niveau auszumachen war. Speziell Gäste, die Wert auf regionale Produkte legen und besonders mit Fisch und Gemüse etwas anzufangen wissen, werden sich hier fraglos sehr gut aufgehoben fühlen. Vielleicht kehrt auch unsereins mal wieder hier ein, auch wenn derzeit kein weiterer Besuch geplant ist – lohnen sollte es sich in jedem Fall.

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Bootshaus
Klosterplatz 4
4801 Traunkirchen (Österreich)
Tel.: 0043-7617-2216
www.dastraunsee.at

Gault&Millau 2024 (Österreich): 18 Punkte
Falstaff 2024 (Österreich): 99 Punkte

7-gängiges Menü: € 219