Restaurantbesuche – Die Top 25 aller Zeiten (UPDATE)

Infos zum einleitenden Bild: einer der mutmaßlich größten Klassiker der gesamten Hochküche ist die legendäre Froschschenkelmousseline, die seinerzeit von Paul Haeberlin ersonnen wurde und seit nunmehr fünf Jahrzehnten auf der Speisekarte der „Auberge de l’Ill“ im elsässischen Illhaeusern zu finden ist. Gediegene Eleganz und ergreifende Schlichtheit zeichnen die Mehrzahl der Gerichte dort aus, doch neben der Küche sind auch die traumhafte Lage und die Serviceleistung zwei weitere offensichtliche Gründe, diese Institution einmal kennenzulernen.

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Gerade in der jüngeren Vergangenheit gab es einige denkwürdige Erlebnisse, die es zu „verarbeiten“ galt. Vor diesem Hintergrund ist es nach über zehn Jahren an der Zeit, die denkwürdigsten Momente noch einmal aufzulisten. Jedes Restaurant darf dabei maximal einmal vertreten sein. Wer es auf die Liste der 25 besten Besuche aller Zeiten schafft, der kann sich durchaus etwas darauf einbilden!

 

1) Sonnora, Dreis (19.11.2023)

Der ehemalige Souschef von Helmut Thieltges ist das absolut Beste, das diesem traditionsreichen Hause passieren konnte: Clemens Rambichler, der inzwischen zusammen mit seiner Frau auch der Geschäftsführer und Eigentümer des Hauses ist, hat jetzt ein Niveau erreicht, das meines Erachtens das seines berühmten Vorgängers in Teilen sogar noch übertrifft. Das an diesem Tag gezeigte Level war von Anfang bis Ende schlichtweg unbegreiflich und strebte nach ungeahnten Sphären. Hier werden allerbeste Produkte in perfekter Harmonie und Balance in Szene gesetzt. Die atemberaubende Konstanz, die man hier an den Tag legt, garantiert ein unvergessliches Erlebnis praktisch von vornherein, aber diese Darbietung sprengte alle Vorstellungen dessen, was heutzutage möglich scheint. Himmlisch gut!

Noch zusammen mit seinem Vorgänger kreiert, paarte Clemens Rambichler den bretonischen Hummer gänzlich ungewöhnlich mit Feige und Cassis. Hinzu kommen noch knackiger Spitzkohl und Würfel von gebackener Gänseleber. Das ergibt einen unbeschreiblichen Zusammenklang für die Ewigkeit! Ich war den Tränen nahe!

 

2) Bareiss, Baiersbronn (27.6.2015)

Das opulenteste aller deutschen Drei-Sterne-Restaurants enttäuscht praktisch nie, aber an diesem Tag zauberte das Team um Claus-Peter Lumpp ein Menü für die Ewigkeit auf die Teller, das geschmacklich wahrlich jenseits aller Vorstellungskraft war. Überbordende Kreativität (vor allem in der Pâtisserie) und perfekt ausbalancierte Aromen, die trotzdem jederzeit zugänglich, klassisch und verständlich blieben, machten aus diesem Premierenbesuch im Bareiss einen unvergesslichen Höhepunkt meines Daseins als Gourmet aus.

Für Gourmets lohnt der Schwarzwald natürlich immer einen Besuch, aber Baiersbronn als das deutsche Gourmet-Mekka schlechthin dürfte angesichts von Schwarzwaldstube und Bareiss (auch den Schlossberg will ich hier nicht übergehen) so schnell nicht vom Thron gestoßen werden.

Gediegene und klassische Opulenz alter Schule geraten niemals aus der Mode: „Confierter Saibling aus dem Bühlbachtal, hier mit Bergamotte-Öl, Ur-Karotte und Earl Grey“ – und dabei ist dies nur eine Variante der insgesamt dreiteiligen Darbietung! Optik, Kreativität und exzellentes Handwerk gehen bei Claus-Peter Lumpp seit jeher eine formvollendete Liaison ein.

 

3) Victor’s Fine Dining, Perl-Nennig (1.8.2021)

Schon mein erster Besuch im Jahre 2014 verdiente absolut das Prädikat „denkwürdig“, doch meine Stippvisite im August 2021 bestätigte das hartnäckige Gerücht, dass Christian Bau mit seinem Küchenstil inzwischen in überirdische Sphären vorgedrungen sein soll. Seine unverwechselbare Liaison von französischen und japanischen Elementen hat ein Maß an Perfektion erreicht, dass praktisch jedes zweite Gericht hier inzwischen unvergesslich gerät.
Bloß nicht versäumen!

„Hamachi, Kokosnuss, Süsskartoffel, Avocado“ könnte nicht typischer für Christian Baus geniale Liaison französischer und japanischer Elemente sein. Kleinteilig, aber perfekt bis ins letzte winzige Detail und von einer erschütternden aromatischen Wucht. Die überragende Qualität der eingesetzten Produkte setzt der ganzen Kreation die Krone auf. Umwerfend!

 

4) JAN, München (23.12.2023)

Was hat Jan Hartwig seit seinem Wechsel zum Atelier im Jahre 2014 einen steilen Aufstieg hingelegt?! Mit der Eröffnung seines eigenen Restaurants im Jahr 2022 hat er die Messlatte neuerdings in selbst für ihn bislang ungekannte Höhen gehängt und lockt hier mit größter Selbstverständlichkeit internationale Gourmets an, die hier eine erstaunlich zugängliche und bekömmliche, doch zugleich höchsten Ansprüchen genügende und überaus elaborierte Küche vorfinden, die mehr als gedacht mit französischen Einflüssen arbeitet. Jedenfalls hat der Ausnahmekönner inzwischen eine Reife erlangt, die ihm ganz klar und vollkommen zurecht die Pole Position in München einbringt.

Bestes Beispiel für das soeben Gesagte waren bei meinem Besuch die Hechtnockerl, die man selbst schon aufs Escoffiers Speisekarten vor gut hundert Jahren fand. Seine persönliche Variante wertet Jan Hartwig mit Butter von getrocknetem Kaviar sowie Segmenten von Jakobsmuschel auf. Getoppt wird das Ganze von N25-Kaviar und gebettet auf einer Sauce von weißem Vermouth mit einer Schnittlauchvinaigrette. Voilà: fertig ist ein Gericht von extremer Ausdruckskraft, das jedoch ganz ohne überkomplexe oder unangemessene Wucht auskommt. Grandios!

 

5) De Librije, Zwolle (21.9.2019)

Jonnie Boer bildet schon seit mehr als zwei Jahrzehnten die Speerspitze der niederländischen Avantgarde und verzaubert seine Gäste mit einem nur so vor Phantasie strotzenden Menü, dem scheinbar keine Grenzen gesetzt sind. Dabei wird das ganze Prozedere so unterhaltsam in Szene gesetzt, dass man hier eigentlich gar nicht mehr gehen möchte! Auch die minutiös eingespielte Servicetruppe gehört zu den lockersten und aufmerksamsten gleichzeitig. Das Schönste daran: das alles gibt es zu einem erstaunlich kulanten Preis in einem einmaligen Ambiente. Selbst als Nicht-Gourmet sollte man hier einmal im Leben gewesen sein, da es diese Erfahrung so einfach weltweit kein zweites Mal gibt – völlig zurecht ist das De Librije einhellig als eines der weltbesten Restaurants der Welt anerkannt. Dass es inzwischen „nur“ für Platz fünf reicht, liegt lediglich daran, dass die äußerst kreative und durchdachte Menüfolge kein Highlight für die Ewigkeit enthielt, sondern auf höchstem Niveau durchhielt, aber eben ohne das unvergessliche Gericht.

Jonnie Boer schafft unermüdlich Gerichte, die trotz ihrer ungewohnten Zubereitung oder Aromenwelten stets aufs Neue zu überzeugen wissen. Hier handelt es sich beispielsweise um „Blauschimmelkäse, Passionsfrucht und Pilze“! Schon die Zubereitung des Gangs ist mir ein Rätsel – ganz zu schweigen davon, wie man so faszinierende Aromen herauskitzeln kann.

 

6) Schloss Schauenstein, Fürstenau (26.3.2023)

Dieser Weltklasseadresse eilt ein legendärer Ruf voraus – und das völlig zu Recht. Andreas Caminada gehört mit Sicherheit zu den größten Köchen des Planeten und beherrscht eine atemberaubende Vielfalt an Stilistiken und Techniken, die es ihm ermöglicht, von der Klassik bis zur Avantgarde alles gleichermaßen souverän umzusetzen. Speziell die geschmackliche Tiefe seiner Kompositionen sucht ihresgleichen.

Ein Amuse, das der Avantgarde huldigt, gab es bei meinem Premierenbesuch zu bestaunen: eingelegter Radicchio und Eis, gegarter Chicoree und eine Vinaigrette aus Topinambur und roter Bete vereinten sich hier zu einer Komposition von wahrlich herausfordernder Säure, die nicht gerade etwas für Anfänger darstellte! Die Vielfalt an gar nicht forciert wirkenden Temperaturen und Texturen bei gleichzeitig enormer aromatischer Abwechslung machte aus diesem Einsteiger einen Beitrag von Weltklasseformat – einer der Gründe, warum so viele zurecht hierher pilgern.

 

7) Restaurant de l’Hôtel de Ville, Crissier (1.6.2023)

Wer hier einkehrt, wird schnell verstehen, warum dieses Restaurant unbestritten seit einem halben Jahrhundert zu den besten klassischen Etablissements der Welt zählt. Franck Giovanninis Küche strotzt nur so vor kreativen Einfällen, die jedoch stets darauf abzielen, ein Grundprodukt klar in den Mittelpunkt zu rücken und dieses dann ausgelassen, aber harmonisch in allen nur denkbaren Varianten zu deklinieren. Trotz allem wohnt seinen Kreationen ein großes Maß an Ernst und unvergleichlicher Perfektion inne – das hat ihn ganz nach oben gebracht.

Das „Lammfilet an einer Sauce mit Sévery-Senf, Karotten und Bohnen“ sieht vergleichsweise harmlos aus, war aber angesichts des in seiner Perfektion nicht zu toppenden Fleischs ein Hauptgericht für die Ewigkeit: zart, saftig, am Platz tranchiert und perfekt begleitet.
Weltklasse eben!

 

8) Hertog Jan, Zedelgem (9.8.2018)

Die Schließung dieses Lokals ist ein unbeschreiblich herber Verlust, denn das unbedingt zur Nachahmung empfohlene „Farm-to-table“-Konzept wurde hier in einer umwerfenden Präzision und Vielfalt auf internationalem Spitzenniveau umgesetzt. Die gezeigte Küchenleistung übertraf meine kühnsten Erwartungen, zumal ich selten günstiger in einem Drei-Sterne-Restaurant gegessen habe. Was für ein göttlicher Besuch! Zum Glück bleibt Belgien auch so eines der attraktivsten Länder für europäische Gourmets. Die beiden Chefs haben ihr Lokal inzwischen geschlossen und einen vielversprechenden Neuanfang im Hotel Botanic Sanctuary in Antwerpen gewagt. Ein weiterer Besuch ist fest eingeplant!

Für diese legendäre „Kollektion von Tomaten“ war das Hertog Jan berühmt – zehn selbst angebaute Tomatensorten, Kräuter aus dem hauseigenen Garten und eine unfassbar aufwendige Verfeinerung ist alles, was ein legendäres Gericht braucht.

 

9) Ikarus, Salzburg (18.7.2021)

Selbst in „normalen“ Zeiten ist in diesem Lokal jeden Monat ein anderer Gastkoch eingeladen, doch wenn gleich fünf Köche zusammenkommen, um dem Patron des Hauses – kein Geringerer als Eckart Witzigmann – ein Menü zu dessen 80. Geburtstag zu widmen, dann kann man getrost von einem unvergleichlichen Ereignis ausgehen. Selbst wenn das Lokal immer einen Besuch wert ist, so war diese Stippvisite eine echte Sternstunde!

Chefkoch Martin Klein steuerte zu diesem Menü „Ora King Lachs mit Blumenkohl, Impérial-Kaviar und Safran“ bei – ein Beitrag, der rund um einige der Lieblingszutaten von Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann kreiert wurde und ganz im Geiste der Nouvelle Cuisine umgesetzt wurde. Sensationelle Produkte, große Klarheit und kein Schnickschnack – Hochküche at its best.

 

10) Syttende, Sønderborg (22.2.2023)

Vielleicht die Entdeckung des Jahrzehnts: dieses zum Zeitpunkt meines Besuchs nur einfach besternte Lokal auf der dänischen Seite der Flensburger Förde verblüffte mit einer Regionalküche von unfassbarer Präzision. Küchenchef Jesper Koch hat hier ein hochkompetentes, erfahrenes und top motiviertes Team zusammengestellt, das einen Knaller nach dem anderen zu präsentieren hatte. Reduziert auf das wirklich Wesentliche und ohne jedes schmückende Beiwerk werden hier handverlesene Produkte der Region mit einer minutiös ersonnenen Verfeinerung so stilsicher und geschmacksintensiv präsentiert, dass es atemberaubend gerät. Nicht zu vergessen: der Blick vom 17. Stock und der formvollendete Service!

Selbst das Signature Dish des Hauses kommt völlig unprätentiös daher: mit der kurz gedämpften, handgetauchten „Jakobsmuschel mit Birnenquitten-Purée, Amalfi-Zitrone und Piemonteser Haselnuss“ wagt die Küche in geschmacklicher Hinsicht zwar einiges, doch dank glasklarer und trennscharf herausgearbeiteter Aromen gerät dieser Gang so exzellent wie alles andere auch. Was für ein Geheimtipp!

 

11) Memories, Bad Ragaz (24.3.2023)

Die genuine Aromatik der Alpen möchte Sven Wassmer in seinem Restaurant auf den Teller bringen – und erzielt dabei mit seiner Ästhetik atemberaubende Ergebnisse. Vor allem äußerste Reduktion und penible Fokussierung auf den bestmöglichen Geschmack sind es, die dem jungen Chef den dritten Stern eingebracht haben, doch auch die Beschränkung auf fast ausschließlich heimische Produkte allerbester Qualität kennzeichnet seinen unverwechselbaren Stil und macht einen Besuch unbedingt empfehlenswert.

Die Regenbogenforelle „Müllerin“ sieht unspektakulär aus, verströmt aber größtmöglichen Wohlgeschmack: die koji-gereifte Heu-Mayonnaise bedeckt das butterzarte und in zwei Lagen präsentierte Fischlein mit einer Bärlauchschicht dazwischen. Mehr als ein paar Mandeln und Bärlauchkapern braucht dieses Gericht nicht, um seine volle Strahlkraft zu erlangen.

 

12) De Leest, Vaassen (21.6.2019)

Ein glänzender Besuch, der nicht nur mit filigranen Kombinationen (insbesondere bei den Fischgängen) und sensationellen Saucen begeisterte, sondern auch bei den nicht weniger als drei Desserts voll auf der Höhe der Zeit war. Nicht zu vergessen: so günstig habe ich in noch keinem Drei-Sterne-Restaurant gegessen! Wo bekommt man auf diesem Niveau neun Gänge für € 178?! Leider schloss das Lokal Ende 2019 für immer, so dass dieser Besuch umso länger im Gedächtnis haften bleiben wird! Jacob Jan Boerma hat unter seinem Namen inzwischen ein Restaurant namens The White Room in Amsterdam eröffnet, in dem er allerdings nicht selbst am Herd steht, sondern mit dem jungen Chef Tristan de Boer seine Vorstellungen umsetzen lässt.

Bei Jacob Jan Boerma gingen selbst Kreationen, die bei der Ankündigung hoffnungslos überfrachtet klingen, perfekt auf: „Seebarsch, Spargel, Ponzu-Mousseline, Kaffir-Limette, Koriander-Vinaigrette und Drachenfrucht“ überzeugte mit sehr präsenter Säure, grandioser Frische und einer perfekten Balance, die allen Darstellern Raum zur Entfaltung ließ. Umwerfend!

 

13) GästeHaus Klaus Erfort, Saarbrücken (30.7.2021)

Dieser Besuch erwies sich als der stärkste von vielen sehr gelungenen, doch dass dies ausgerechnet nach der Aberkennung des dritten Michelin-Sterns geschehen würde, war schon überraschend. Klassik in ihrer schönsten (und besten) Form zelebrierte Klaus Erfort an diesem Tage: ob nun Fisch, Krustentiere oder Gemüse – die Darbietungen auf dem Teller gerieten teils zu echten Sensationen und krönten ein atemberaubendes Menü.

Klassik in zeitgemäßer und hochwertigster Form gibt es immer wieder bei Klaus Erfort zu bewundern – wie hier bei „Bretonischem Hummer mit Bete und Schnittlauch“. Für Erforts Verhältnisse ein eher schon komplexer Teller, aber mit umwerfender Frische, filigranem Geschmack und makellosem Handwerk. Einfach grandios!

 

14) Schwarzwaldstube, Baiersbronn (29.12.2019)

Eine Woche, bevor diese weltberühmte kulinarische Institution in Flammen aufging, war ich hier nochmals zu Gast – welch ein Glücksfall! Allerdings waren es weit mehr als nur die Begleitumstände, die diesen denkwürdigen Besuch veredelten: Torsten Michel hatte nicht nur das Niveau beeindruckend gehalten, sondern eine eigene Handschrift entwickelt. Aus dem übermächtigen Schatten seines Vorgängers Harald Wohlfahrt herausgetreten, zauberte er hier ein Menü mit allen Schikanen auf die Teller, das vor Ideen sprühte und trefflich gelang.

Auch unter Thorsten Michel hält die Schwarzwaldstube (die genau eine Woche nach unserem Besuch abbrannte) ihr Niveau und überzeugt weiterhin mit den Tugenden, die sie seit jeher ausgezeichnet hat: Demut vor dem Produkt, feinsinnige Balance und unnachahmliche Eleganz – wie hier bei „pommerschem Rinderfilet mit Schalotten und altem Reisessig“. Allein die makellose Zubereitung des Fleischs würde eine eigene Eloge schon rechtfertigen.

 

15) Aqua, Wolfsburg (8.6.2022)

Trotz bisher dreier Stippvisiten hatten mich die Darbietungen im Aqua zwar stets überzeugt, aber doch nie in dem Maße, dass es letztlich für diese Liste gereicht hätte. Mein jüngster Besuch brachte jedoch den Durchbruch: noch konzentrierter und fokussierter als sonst, handwerklich noch raffinierter und kreativer denn je. Sven Elverfeld hält sein Genussrefugium stets dynamisch, am Puls der Zeit und hinterfragt sich auch immer wieder selbst – und das auf absolut gewinnbringende Weise. So gehören gerade seine Gerichte mit Gänseleber stets zu den originellsten und ungewöhnlichsten Eingebungen, die es auf diesem Sektor gibt.

Sven Elverfelds jüngste Eingebung mit „marinierter Gänseleber, Litschi, Mango und Javapfeffer“ punktete trotz einer ungeheuren Komplexität im Detail mit klarer Struktur und einer geschmacklichen Tiefe, die disparitätische Aromen spielend leicht miteinander kombiniert. Ein Sven Elverfeld hinterfragt sich ständig und bleibt daher praktisch nie auf seinem Wege stehen. Der Lohn für den Gast besteht darin, dass Gerichte bar jeder Routine entstehen und ein Besuch ergo – bis auf das Ruinart-Sorbet und die Kalamata-Olive – so gut wie nichts Vorhersehbares hat.

 

16) Cheval Blanc, Basel (23.12.2022)

Peter Knogl hat sich in den letzten Jahren unter den eher französisch geprägten Restaurants endgültig in die absolute Weltklasse vorgearbeitet. Seine teils recht mutigen und gar nicht so klassischen Teller lassen höchste Meisterschaft bei der Umsetzung und ein profundes Wissen um die eingesetzten Produkte und deren Vorzüge erkennen. Das ist leises und kaum aufdringliches, sondern einfach souveränes Handwerk eines echten Großmeisters, der sein Metier liebt.  

Signature Dishes wie dieses verdeutlichen das soeben Gesagte: „Rotbarbenfilet, knusprige Schuppen, schwarzer Safran und Knoblauch“ setzt gekonnt japanische Techniken ein, damit die Schuppen schön kross bleiben und wirkt dennoch so elegant und ausgewogen. Der Safranschaum mit deutlichen Noten von Tomaten ist ein Traum: aromensatt ohne plump zu wirken und von einer Konsistenz, die ihresgleichen sucht. Das ist Winkler’sche Schule und eine würdige Hommage an den wenige Wochen zuvor verstorbenen Grand Chef in Aschau im Chiemgau.

 

17) schanz, Piesport (18.11.2023)

Selten hat es ein Küchenchef in Deutschland schneller nach oben gebracht: Thomas Schanz‘ Küche fußt unverkennbar auf solide französischem Fundament, doch sein Verzicht auf schwere Saucen verleiht seinen launigen Kreationen die Note der Unverwechselbarkeit. Oftmals federleicht und mit größter Transparenz in Szene gesetzt, werden klassisch anmutende Gerichte genauso souverän wie gewagtere Einfälle in Szene gesetzt. Das durchgängig extrem hohe Niveau hielt die Spannung bis zum Ende hoch und überzeugte durchweg.

Ein stellvertretendes Beispiel für Thomas Schanz‘ Mut ist sein jüngstes Amuse: Bouillabaisse interpretiert er als Sud und kalt soufflierten Schaum, unter dem er ein Rindertatar versteckt. Die Garnitur von Oliven sowie Zitronen-Colatura-Sorbet verleiht diesem Gang eine vollkommen unvorhergesehene aromatische Wendung, die enorm spannungsgeladen gerät und trotz allem so zwingend wirkt als wäre diese Kombination das Natürlichste der Welt!

 

18) Döllerers Genießerrestaurant, Golling an der Salzach (26.6.2020)

Zeitgemäße Küche mit genuin alpenländischen Produkten – was im ersten Moment wie die Quadratur des Kreises klingen mag, gelang an diesem Abend in dieser feinen Adresse mit einem atemberaubenden Grad an Perfektion. Die eher rustikal dargebotenen Gerichte strotzen vor Überraschungen, sind handwerklich tadellos umgesetzt und lassen profundes Wissen über die eingesetzten Produkte erkennen. Allein die Aubergine im vegetarischen Gang hätte diesen Besuch gerechtfertigt! Erstaunlicherweise geriet meine zweite Visite hier sehr ernüchternd …

Kam die Aubergine schon im Beitrag „Menü des Jahres 2020“ zu ihrem Recht, so sei hier nochmals das Hauptgericht „Short Rib mit Salat, Schnittlauchsauce und Meerrettich“ gewürdigt. Mit welch souveräner Leichtigkeit Andreas Döllerer jede Menge simpler und alpenländischer Viktualien in seinen unverwechselbaren Stil perfekt integriert ist mehr als beeindruckend. Die recht zurückhaltende Optik sollte nicht über die Aromenintensität hinwegtäuschen!

 

19) La Belle Epoque, Travemünde (30.10.2011)

Mein erster Besuch in einem damaligen Zwei-Sterne-Restaurant markierte den echten Beginn meiner Leidenschaft. Kevin Fehling, der inzwischen in Hamburg höchst erfolgreich sein neues Lokal The Table betreibt, entwarf schon damals Gerichte, die mir schlicht den Atem raubten. Speziell das göttliche Piña-Colada-Dessert war eine absolute Eingebung! Vielleicht ist diese Platzierung auf Rang 18 ein wenig durch das Schlüsselerlebnis an sich bedingt, das als Initialzündung wirkte, doch noch immer erinnere ich mich gerne an diesen denkwürdigen Besuch zurück, der nicht einmal von den beiden Abenden im The Table getoppt wurde, obwohl Kevin Fehling inzwischen den dritten Michelin-Stern verliehen bekommen hat.

Weil ich damals noch keine Fotos machte und Rezensionen schrieb, habe ich mich mit einem Dessert aus Fehlings jetzigem Lokal „The Table“ in der Hamburger HafenCity beholfen, das seinen Stil gut verdeutlicht. „Pavlova in Weiß“ aus Pfefferbaiser, Jasmincrème, Galganteis und Grapefruit räumt nicht nur mit liebgewonnenen optischen Konventionen auf, sondern kombiniert – typisch für Kevin Fehling – auch ungewöhnlichste Produkte und Texturen stimmig miteinander.

 

20) Luce d’oro, Elmau (30.7.2023)

An seiner inzwischen dritten Station als Chefkoch drängt Christoph Rainer unverkennbar nach oben: aus den opulenten Rahmenbedingungen hier zaubert er Kreationen auf die Teller, die für mich das Potential zum dritten Stern größtenteils längst erfüllen. In besten Händen sind bei ihm seine liebgewonnene Tristan-Languste und das Kagoshima-Rind, die sich zuverlässig als geniale Höhepunkte entpuppen, doch auch auf allen anderen Gebieten ist das gezeigte Niveau inzwischen derart atemberaubend, dass nur noch wenig Raum zur Optimierung bleibt. Fraglos eine meiner Lieblingsadressen, zumal gar nicht so teuer …

Das unvergleichliche Fleisch kommt am besten zum Tragen, indem man es vergleichsweise zurückhaltend begleitet und ihm so die große Bühne überlässt. Das weiß auch Christoph Rainer und kleidet sein Luxusprodukt folglich in ein demütiges, aber enorm aussagekräftiges Gewand aus Mais, Mukimame und 10 Jahre alter Sojasauce. Zum Dahinschmelzen!

 

21) Falco, Leipzig (26.3.2013)

Von meinen vier Besuchen war gleich die Premiere die beeindruckendste Visite. Peter Maria Schnurr steht an der Spitze der deutschen Avantgarde und kreiert „auf Teufel komm raus“ Gerichte, die sich jedweder vergleichenden Einschätzung fast zwangsläufig entziehen müssen. So verwundert es nicht, dass Besuche hier stets etwas kontroverser in der Beurteilung ausfallen können, doch an jenem Abend war schlichtweg alles perfekt. Insbesondere der Reigen an Einstimmungen zu Beginn hat noch jedes Mal den Besuch gelohnt. Die gänzlich unerwartete Schließung im November 2023 traf mich jedenfalls hart und völlig unvorbereitet!

Ganz so überdreht wie so manche Kreation aus früheren Tagen wirkten Peter Maria Schnurrs Gerichte zuletzt nicht mehr, doch dafür scheint im Gegenzug der Geschmack noch stärker in den Vordergrund zu drängen. Ein wirklich schönes Beispiel dafür lieferte folgender Einstieg: „gefrostete Entenstopfleberspäne, rote Gamberoni, Fenchelpollen, schwarzer Knoblauch und Zitrusfrüchte“. Dass der Geschmack trotz einer Vielzahl an Konsistenzen und Temperaturen so transparent und verblüffend blieb, war vielleicht die größte Überraschung.

 

22) Zilte, Antwerpen (20.8.2018)

Das in Summe vielleicht beeindruckendste Mittagessen in drei Gängen nebst opulenter Extras erlebten wir bei Viki Geunes. Dass eine solch kreative und voll am Puls der Zeit befindliche Küche in einer derart spektakulärem Location (im obersten Stock des Museum aan de Stroom) auch noch zum Spottpreis von € 62 zu haben war, setzte dieser Erfahrung die Krone auf. Schon damals war unser Eindruck, dass der dritte Stern nicht mehr weit weg sein kann – im Januar 2021 gab es diese Auszeichnung folgerichtig.

„Kalb, Cévennes-Zwiebel, Pilze und Anchovis“ ist ein perfektes Beispiel für die Küche von Viki Geunes – klar in der Präsentation, kühn bei den Produktallianzen, kraftvoll in der Aromatik. Das virtuose Spiel rund um gewagte Kreationen geht hier offenbar immer perfekt auf – völlig zurecht mit nun drei Michelin-Sternen ausgezeichnet und auch noch sehr fair bepreist! 

 

23) Steinheuers Restaurant
„Zur Alten Post“, Bad Neuenahr-Ahrweiler (1.6.2015)

Eine phantastische Erfahrung war meine erste Einkehr hier, noch dazu an meinem Geburtstag. Die klassisch fundierte und voll auf Harmonie setzende Küche von Hans Stefan Steinheuer gehört zurecht seit Jahrzehnten zu den beständigsten und besten in Deutschland. An diesem Abend wurde das gewohnte Niveau späterer Besuche sogar noch deutlich übertroffen.

Harmonie und Perfektion auf allen Ebenen – sogar ausgestaltete Käsegänge gibt es hier noch zu bewundern. Wenn diese dann noch so traumhaft und ausdrucksstark ausfallen wie „Grevenbroeker mit Buchweizenhonig und getrockneten Aprikosen“, weiß man wieder einmal mehr, warum sich noch jeder Besuch gelohnt hat.

 

24) Facil, Berlin (29.10.2018)

Ein Mittagessen bei Michael Kempf ist eine so günstige Angelegenheit, dass praktisch jeder meiner Berlin-Besuche inzwischen hier veredelt wird. Die charmanten, leichten Kreationen gelingen immer wieder ausgezeichnet – speziell die Pulpo-Gerichte verdienen hier eine separate Erwähnung. Doch auch die geniale Pâtisserie-Kunst von Thomas Yoshida offeriert meines Erachtens das derzeit Beste, was es auf diesem Gebiet in der Republik zu bestaunen gibt.

Das mutmaßlich beste Dessert meines Lebens kreierte Thomas Yoshida bei diesem Besuch: was harmlos als „Wald“ angekündigt wird, entpuppt sich als phänomenale Darbietung mit Topinambur, Beeren, Kräutern, Quitte und Vanillecrème im falschen Stein. Ein unfassbares Meisterwerk!!!

 

25) The Jane, Antwerpen (22.8.2018)

Nach der Schließung des legendären Oud Sluis im niederländischen Sluis ruhte sich Sergio Herman nur kurz aus und machte sich umgehend daran, sein Genuss-Imperium weiter auszubauen. Von all seinen Dépendancen ist das The Jane allein schon wegen der spektakulären Location in einer ehemaligen Kirche einen Besuch wert. Doch auch die Küche zeigte an diesem Nachmittag, der fünfeinhalb (!) Stunden dauerte, alles auf, was derzeit an Produkten verfügbar und an Techniken so machbar ist. Nicht alles wirkte gleichermaßen ausgereift, aber eine Erfahrung für die Ewigkeit war dies fraglos allemal.

Erwarte das Ungewöhnliche! In Sergio Hermans Dépendance darf man nicht überrascht sein, wenn Chefkoch Nick Bril etwa „Auster, Meeresalgen, Plankton und Meerrettich“ als knallgrüne Hommage an die Avantgarde auftischen lässt. Wen kümmert’s, wenn dieses ausgelassene Spiel um extreme Temperaturen und markige Würze so perfekt gelingt?!