Sonnora***, Dreis (UPDATE)

„Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten.“
(Johann Wolfgang von Goethe)

UPDATE (November 2023)

Aus aktuellem Anlass habe ich mich entschieden, die chronologische Reihenfolge der Restaurantbesuche ausnahmsweise aufzubrechen – letztmalig geschah dies bei der Einkehr in der Residenz Heinz Winkler kurz nach dessen unerwartet frühem und tragischem Ableben. Diesmal ist der Anlass jedoch weitaus freudiger, denn ein Wechsel an der Spitze meiner illustren Liste mit den besten Restaurantbesuchen aller Zeiten hatte es seit deren Einführung noch nicht gegeben. Den Platz an der Sonne hatte bislang das Bareiss mit einem Besuch im Juni 2015 eingenommen, der einfach noch deutlich besser war als alle anderen dortigen Stippvisiten seitdem. Es muss schon sehr viel zusammenkommen, damit es zu einem Wechsel an der Spitze kommt, doch nun ist dieses unwahrscheinlichste aller Ereignisse eingetreten: das Sonnora grüßt fortan von der Spitze. Das hier verkostete Menü glich einer echten Sternstunde wie sie einem nur ganz, ganz selten zuteil wird. Selbstverständlich durfte man von einer derart hochdekorierten Adresse sehr viel erwarten, zumal die bisherige Platzierung auf Rang drei ja auch schon Bände sprach – und dennoch: was Clemens Rambichler mit seinem Team an diesem Volkstrauertag 2023 auf die Teller zauberte, wird mir auf ewig unvergesslich bleiben.

Selbstredend konnte man schon immer hervorragend speisen in dieser Veste der Klassik, doch wage ich kaum auszusprechen, dass Clemens Rambichler in puncto Niveau das Ende der Fahnenstange offenbar noch immer nicht erreicht zu haben scheint! Dank der Behutsamkeit, mit welcher der heutige Chef das große Erbe seines verehrten Vorgängers Helmut Thieltges in die Gegenwart führte, verstummten selbst die größten Unkenrufer rasch nach dessen Übernahme in der Küche. Seit gut zwei Jahren zeichnet der neue Chef allerdings auch als Geschäftsführer für die Geschicke des Hotels verantwortlich und setzt seine Aufgabe derart souverän um, dass auch das leicht angestaubte Image des Hotels von einst inzwischen gewichen ist. So wurde das Interieur des Hotels spürbar mit hochwertigen Materialien aufgewertet, doch Nostalgikern hat man hier in weiser Voraussicht noch ein „Vintage“-Zimmer im Stile der guten, alten Zeiten (wohlbemerkt ohne WLAN!) eingerichtet. Das Restaurant, welches schon immer das Herzstück des gesamten Etablissements bildete, wurde ebenfalls von seiner barocken Schwere zugunsten einer eleganteren Klassik befreit. Nach all den gelungenen Umbaumaßnahmen scheint sich Clemens Rambichler nun wieder verstärkt seinem Stammresort zu widmen, welches nun einmal eindeutig das Kochen ist. Allein die Tatsache, dass seit vielen Jahrzehnten internationale Gourmets einen Abstecher in die tiefste Eifel in Kauf nehmen, um hier zu dinieren, spricht schon Bände. Dass das Niveau aber noch kontinuierlich gesteigert werden konnte (und offenbar auch weiterhin wird), kann einem fast schon Angst machen! Das gnadenlose Qualitätsbewusstsein fängt schon bei den stets makellosen Produkten an und findet seine logische Fortsetzung im schöpferischen Prozess, dessen Fixpunkte stets Harmonie, Eleganz und Ausgewogenheit sind. Die folgende Rezension ist tatsächlich eher eine Liebeserklärung als eine Rezension und ist einem Restaurant gewidmet, von dem sich Deutschland glücklich schätzen darf, dass es uns erhalten geblieben ist. Vinzenz und Maria Thieltges dürften kaum geahnt haben, welche Lawine sie lostreten würden, als sie 1978 das Waldhotel bauten, welches vier Jahre darauf unter Sohn Helmut Thieltges am Herd zum ersten Mal mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. Aus heutiger Sicht darf tatsächlich angenommen werden, dass das Sonnora besser denn je aufgestellt ist und dem geneigten Gourmet hier Genüsse allerhöchster Qualität dargeboten werden. Davon mögen meine Einlassungen beredtes Zeugnis ablegen.

Dank meiner frühen Ankunft wird der Spaziergang im Garten der Anlage zu einer geradezu lustwandlerischen Angelegenheit. Die rückseitig gelegenen Bäume wurden größtenteils gerodet und gestatteten seither einen Blick über das von der Salm umflossene Dreis, einem Ortsteil des acht Kilometer entfernten Wittlich. Die blütenweiße Fassade kommt an diesm spätherbstlichen und für November ungewöhnlich sonnigen Tag bestens zum Tragen und scheint schon im Voraus zu suggerieren, dass hier besonders reine Speisen ohne knallige Effekte auf den Teller gelangen. Dann ist es soweit: ich werde zu meinem Tisch geleitet und sollte – was ich zu jenem Zeitpunkt bestenfalls zu hoffen wagte, aber nicht wirklich ahnen konnte – das Essen meines Lebens genießen dürfen.

Zu einem alkoholfreien Apfelsecco aus dem Hause Duttenhofer wird das erste Apéro aufgetischt, welches die Messlatte ohne aufdringliche Forciertheit umgehend wieder in astronomische Höhen hievt: in eine Tartelette aus Filoteig drängt die Küche kunstvoll Crevettes rosés und Stifte von grünem Apfel auf einem in puncto Schärfe wohldosierten Meerrettichflan. Es ist nicht nur die Tatsache, dass Frische und Säure hier in vollendeter Eintracht nebeneinander bestehen, sondern auch die wunderbare Mundfülle mit sehr angenehmen, abwechslungsreichen Texturen von genau ausgeloteter Intensität, welche diesem intensiven Häppchen sofort das Prädikat der Extraklasse verleihen. Angekommen nach einem Apéro – das schaffen nur die wenigsten Lokale!

Ganz anders geartet, aber genauso überzeugend umgesetzt ist die lauwarme Tartelette in einem Reisteig mit Texturen und Schaum von mariniertem Kürbis, Label-Rouge-Lachs und confiertem Eigelb: Schmelz und perfekte Temperierung zaubern auch durchaus eine erlesene Miniatur von makelloser Perfektion und mit enormem Nachhall am Gaumen. Hinreißende Würze von Muskatnuss und Lavendel verliehen dieser Miniatur zudem einen gekonnten aromatischen Feinschliff. Einfach wunderbar!

Ein echter Klassiker steht als nächstes an: Gillardeau-Auster Nr. 2 mit Kopfsalat, Gurkenemulsion und Kaviar hat man gefühlt schon so oft verzehrt, dass Langeweile vorprogrammiert zu sein scheint – doch nichts von alledem tritt ein. Diese erzklassische Variante ist in solch überragender Balance und Harmonie umgesetzt, dass man sich hinterher verwundert fragt, ob man das jemals in besserer Form vorgesetzt bekommen hat?! Vermutlich nein …

Dass diese Küche gleichermaßen bei bewährten wie etwas zeitgemäßer interpretierten Klassikern reüssiert, spricht schon ganze Bände: ein modernerer Beitrag ist das Taschenkrebstatar mit Krustentiergelée, Grapefruit und Salicorn-Algen. Dank der geradezu pedantischen Zubereitung jeder einzelnen Komponente und einer nicht für möglich gehaltenen aromatischen Balance entpuppt sich dieses Apéro sogar noch als Höhepunkt unter Höhepunkten, woran selbst die huachdünnen Kataififäden mit ungeahnter Intensität ihren Anteil haben. Grundsätzlich gelangt hier niemals irgendeine Komponente etwa der Show oder der Eitelkeit wegen auf den Teller. Nein, stille Größe und unverfäschte geschmackliche Kraft haben diese Küche seit jeher ausgezeichnet.

Während es wahr ist, dass das Hühnerfrikassée mit Hühnerhaut vom Freilandhuhn in aromatischer Hinsicht natürlich kraftvoller zupackt, so muss doch betont werden, dass dank des sämigen Eierstichs und knackigen Lauchs eine zu belastende Schwere noch vor dem Auftakt gekonnt vermieden wird. Die Würze von Estragon und Ingwer rundet diesen letzten, im Geschmack ungeheuer tiefen Apéro schlüssig ab und lässt mich schon vor dem offiziellen Auftakt gehörig staunen – so gut ist das!

Die Brotauswahl (ohne Foto) wird hier mittags auf dem Christofle-Käsewagen präsentiert, da die Käse-Degustation nur abends vorgesehen ist und dieser somit anderweitig eingesetzt werden kann. Die opulente Auswahl, die nach persönlichem Gusto kompiliert werden kann, befriedigt sämtliche Wünsche und wird ganz klassisch mit Salzbutter gereicht.

Auf dem Gebiet der alkoholfreien Begleitung hat sich inzwischen auch einiges getan, denn zum Preis von € 90 kann man sich inzwischen bis zu acht Gläser mit im Hause kredenzten Einfällen genehmigen. Eine dieser Kreationen, die mich besonders neugierig macht, lasse ich mir zum ersten Gang einschenken. Das siebengängige Menü zu € 295 in der Standardversion (einige kostenpflichtige Upgrades sind vereinzelt möglich) sagt mir ausgesprochen gut zu, weshalb ich nur zwei Gänge austausche (einer davon war vorbestellt). Dennoch muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass nur noch wenige Restaurants dieser Kategorie heutzutage eine ähnlich üppige Auswahl an Gerichten à la carte parallel dazu offerieren. Tatsächlich verstoße ich heuer zum ersten Mal gegen meine eigene Maxime und verzichte auf das ikonische Tortenstück, welches seit Jahrzehnten fraglos das unverwechselbare Signature Dish dieses Hauses darstellt (siehe frühere Berichte für Details).

Der Grund dafür besteht darin, dass ich unbedingt den Gang mit der Gänseleber verkosten möchte, weil mir zum ersten Mal seit Monaten endlich mal wieder eine salzig interpretierte Variante blüht – ein Umstand, der zwischenzeitlich so rar geworden ist, dass er mir eine gesonderte Erwähnung wert ist. Allein die luxuriöse Einlage der Innerei mit schwarzem Trüffel und Räucheraal zeugt nicht von falscher Bescheidenheit, doch zum Clou der schon fast minimalistisch anmutenden Inszenierung wird die ungeheuer komplexe Vinaigrette aus Haselnuss, Beerenauslese und Champagneressig: säuerlich-nussig und so kraftvoll, dass das klassische Brioche (ohne Foto) einen Ruhepol zu der vibrierenden Frische darstellt. Unter dem Blatt von Kopfsalat und Schnittlauch verbergen sich übrigens zwei hauchdünne Scheiben Blätterteig, unter denen sich eine weitere Lage der Leber befindet – Luxus der leisesten und unaufdringlichsten Art eben! Besagtes separat geordertes Getränk besteht aus Gurke, Limette, Minze und Rohrzucker – sehr spritzig und gefühlt irgendwo das Beste verbindend zwischen Hugo, Caipirinha und Gin Tonic.

Nach diesem verheißungsvollen, aber eher unkomplizierten Auftakt zieht die Intensität nun merklich an: Langoustine „Royale“ mit gratiniertem Kalbskopf auf orientalischer Gewürznage, Yuzu und Melone macht allein schon nach der vollmundigen Ankündigung unbedingt Lust auf diesen Gang, doch in der Realität wird die Phantasie noch um ein gutes Stück übertroffen. Das riesige Prachtexemplar gelangt in Referenzqualität auf den Teller und wird in der denkbar aristokratischsten Art und Weise inszeniert: die Nage ist von ungeheurer Komplexität und absolut meisterhaft, die Konsistenz des Hauptdarstellers unvergleichlich knackig und der Effekt mit den über den Teller geriebenen Yuzuzesten höchst subtil. So sieht große und zeitgemäße Klassik aus, die es nicht nötig hat, sich jemals über sich selbst zu erheben. Clemens Rambichler lässt abermals die Qualität seiner Produkte für sich sprechen, veredelt sie dabei auf demütige Weise und schafft so geschmackliche Erlebnisse, die so betörend sind, dass ich mir schon jetzt wie im Rausch vorkomme – dabei sollte das Beste erst noch kommen!

Das besondere Gespür der Küche für Krustentiere ist hinlänglich bekannt, zumal ein weiterer Beleg für das überragende Können auf diesem Gebiet je soeben geliefert wurde. Da darf Hummer natürlich nicht fehlen, doch den annoncierten Gang tausche ich gegen die vorbestellte Variante aus – eine Kreation noch aus den Zeiten von Helmut Thieltges, die für mich so reizend klang, dass ich sie unbedingt verkosten wollte. Selbstredend habe ich anderswo wie hier schon etliche denkwürdige Hummergerichte gegessen, aber eine Variante mit Feige und Cassis war mir bislang noch nicht untergekommen. Die straffe, fruchtige Säure dieser Komponenten in Verbindung mit einem Krustentier hatte meine Neugier umgehend geweckt, weshalb ich bei der Reservierung vorsichtig anfragte, ob es möglich sei, diesen Einfall aus vergangenen Zeiten bestellen zu können. Auch das ist Gastlichkeit: diesem Wunsch wurde ohne Umschweife entsprochen!

Den zur Perfektion gegarten Hummer paart die Küche mit etwas bissfesterem Spitzkohl und luxuriösen Croûtons von gebratener Entenleber. Höchst organisch verbunden wird das Ganze mit Fruchtsegmenten und der Jus von Cassis und Feige, wobei diese exotische und hinreißende Kombination so stimmig wirkt als wäre sie das Natürlichste der Welt – die leichte und in ihrer Intensität überaus virtuos changierende Fruchtigkeit entpuppt sich als formvollendeter Begleiter für das Krustentier. Hier stimmt einfach alles: Texturen, Proportionen, Balance, Harmonie. Dabei merkt man dieser sehr individuellen Variante keinesfalls an, dass sie „reaktiviert“ wurde. Wenn es nach mir ginge, dann könnte dieser unfassbar gute Geniestreich fortan immer auf der Karte stehen. Das ist kulinarische Opulenz in Vollendung!

Um die Aufnahme des nächsten Gangs in die Menüfolge (im Tausch gegen einen Steinbutt aus der Vendée – ein Teller, über den ich ohnehin schon früher berichtet habe) bat ich ausdrücklich, da ihm sowohl die Inspektoren des Guide Michelin als auch Christian Bau vom saarländischen Victor’s Fine Dining eine absolute Ausnahmestellung attestiert hatten: der Deftigkeit sautierter Froschschenkel setzt Clemens Rambichler ein ungemein transparentes und filigranes Geflecht aus marinierten Gartenkräutern, kleinen Pilzen und Zwiebeln entgegen. Das ist wirklich so durchdacht und virtuos umgesetzt, dass bei jedem Bissen etwas Unvorhergesehenes und Aufregendes passiert. Die Kombination von Poulardenjus einerseits und Liebstöckelvelouté andererseits als sinnstiftende Verbindung könnte nicht geschickter gewählt sein, denn die schlanke Würze des Maggikrauts setzt der herzhaften Jus gekonnt etwas entgegen. Das ist phänomenal ersonnen, traumwandlerisch umgesetzt und in Summe einfach himmlisch. Für die Ewigkeit!

Nach diesen beiden Gängen muss ich sichtlich um Contenance ringen. Mein leerer Blick geistert zur Decke, fassungslos ob der nicht für möglich gehaltenen Qualität dieser Darbietungen …

Zum Hauptgang gelangt knusprige Challans-Ente mit Jus von geschmorten Entenkeulen in beispielloser Umsetzung auf den Teller. Die perfekt krosse Haut und die tiefrote Farbe des Fleischs allein zeugen schon vom unvergleichlichen Können dieser Küche, doch auch die meisterhafte Jus, aus der ich eine stilechte, ganz leichte Orangennote herauszuschmecken glaube, überzeugt mit monumentalem Körper. Dass ein solches Produkt nicht viel an Begleitung braucht, um seine volle Strahlkraft zu erlangen, weiß natürlich auch Clemens Rambichler, der sein Hauptprodukt lediglich mit etwas wildem Brokkoli, einem Grießknödel mit Gänseleberfarce sowie einer Hollandaise mit frischem Ingwer und japanischem Pflaumenessig begleitet. Das wirkt in Summe vollkommen organisch und erweist sich als superbes Hauptgericht.

Zum Pré-Dessert serviert man ein Dessert, welches dem vom Vorjahr ähnelt, aber sich letztlich doch in wesentlichen Details unterscheidet: die in ihrer Schale geeiste Monreal-Clementine von ungeahnt fruchtiger Intensität bildet das Fundament für ein Sorbet von Thaibasilikum, einer Baiserscheibe von unerhört komplexem Geschmack, der hauptsächlich auf Madagaskarpfeffer und Zitronen-Thymian zurückzuführen ist. Wenn es der Küche gelingt, selbst etwas so Profanem wie einer Baiserscheibe, deren vager Eigenschmack meist nicht mal eine Randnotiz rechtfertigt, so großen Geschmack zu entlocken, dann darf man einfach nur ungläubig über die Ausdruckskraft und Wucht dieser Petitesse staunen.

Der fast schon weihnachtllich anmutende Ausklang ist ein echter Seelenwärmer: geschmorter Apfel und knuspriger Blätterteig auf Crème von Mandel und Tonkabohne klingt vergleichsweise unspektaktulär, gelangt aber in gleich zweierlei Varianten auf den Teller und besticht mit duftiger Leichtigkeit, reduzierter Süße und natürlich der Produktqualität, die wie immer in einer eigenen Liga angesiedelt ist. Das Apfeltörtchen ist extrem transparent im Geschmack, das warme Salzbutter-Karamell kommt ohne plumpe Süße aus, und das mit altem Calvados parfümierte Rahmeis offeriert eine Cremigkeit, von der man in unserem Universum auch noch nicht zu hören glaubte. Das ist reine Poesie: leise Töne werden hier angestimmt, zeitlos, ganz und gar old school …

Das trifft auch auf die Petits fours zu, deren Vorbilder trotz allenfalls leichter Modifikationen stets gut erkennbar bleiben. Wer sich auf solche Klassiker beim Ausklang stützt, sollte angesichts der hohen Messlatte besser eine fundamentale Qualität bieten können, wenn er damit nicht langweilen will – o Wunder, das Sonnora meistert auch diese Herausforderung! Nicht weniger als neun charmante süße Miniaturen zeugen von der Meisterschaft der Pâtisserie: seien es Topfenknödel mit Marille, Piña-Colada-Schaum mit Mango und Kokos oder Schokopraline mit Himbeere. Klassiker wie Opéra-Schnitte und Schokobaignets gelingen genauso hinreißend wie karamellisierte Mandeln mit Schokopulver, das Cannelono mit Rosmarin und Feige, das Baiser von Tarte au Citron oder das Obsttörtchen. Ein würdiger Ausklang eines einmaligen Menüs!

Die Servicebrigade lieferte an diesem Tag ebenfalls präzise wie ein Schweizer Uhrwerk. Trotz der Reputation dieses Hauses haftete der Darbietung überhaupt nichts Steifes an, im Gegenteil: gut gelaunt, kompetent bei allen Nachfragen agierend und sicher von Magdalena Rambichler dirigiert. Allerdings fällt mir auf, dass die Witwe des verstorbenen Grand Chefs, Ulrike Thieltges, fehlt. Ich nehme an, dass sie für den Abendservice eingeteilt ist, aber auf Nachfrage teilt man mir mit, dass sie sich inzwischen weitgehend zurückgezogen und inzwischen den Status der wohl prominentesten Kurzarbeiterin in diesem Haus angenommen hat – etwa dann, wenn es darum geht, frisches Obst für die Hotelzimmer zu besorgen oder auszuhelfen, wenn Not am Manne sein sollte. Irgendwie fehlte sie mir schon …

Die Darbietungen der Küche trösteten mich darüber allerdings hinweg, denn an diesem Tag kam man einfach nicht umhin, die gezeigte Leistung über den grünen Klee zu loben. Mit durchweg unbeschreiblicher Produktqualität, einem unnachahmlichen Gespür für spannungsgeladene und doch jederzeit ausgewogene Kreationen erreichte die Küche diesmal buchstäblich Sphären, die unerreichbar schienen. Allein die Tatsache, dass das Rezept des Hummers auf mein Geheiß wieder ausgegraben werden musste, spricht Bände: zum einen staunt man ob der Gelassenheit, mit welcher trotz des gesteigerten Aufwands exotische Vorbestellungen ohne Umschweife akzeptiert werden, und zum anderen sinniert man über die unnachahmliche Fähigkeit dieses Chefs, selbst längst vergessene Gerichte vergangener Tage mit größter Souveränität nicht nur wieder auf dasselbe Niveau zu heben, sondern sie auch gleich bei Bedarf noch leicht anzupassen – selbst wenn wie in diesem Fall das Gericht noch unter Helmut Thieltges kreiert wurde. Dass ausgerechnet dieser Teller zusammen mit den Froschschenkeln unter all den unglaublich überzeugenden Tellern dieses Nachmittags nochmals in einer überirdischen Liga angesiedelt war, macht die ganze Sache noch unwahrscheinlicher – und doch ist genau dies eingetreten.

Die beispiellose Harmonie der Kreationen, der Verzicht auf polternde Effekte und das unnachahmliche Gespür des Chefs für zauberhafte, aber niemals überdrehte Kompositionen haben ihm völlig zurecht den Ruf eines der Weltbesten seiner Zunft eingebracht. Wer hier einkehrt, der darf (selbst bei drei Sternen keine Selbstverständlichkeit) mit größter Verlässlichkeit auf Gerichte bauen, die ihren ganz eigenen individuellen Charme haben oder aus Klassikern bestehen, die man nicht besser umsetzen kann. Ihnen allen gemein ist ein minutiöses und geradezu unfehlbares Handwerk, welches es Clemens Rambichler gestattet, seinen Produkten auch das letzte Quentchen an Geschmack zu entlocken. Wenn alle Faktoren zusammenkommen, die Sterne günstig stehen und einem die Götter mal wohlgesonnen sind, dann wird uns Irdischen für einen kurzen Moment der Zutritt zum kulinarischen Pantheon gestattet. So erging es mir an diesem Tag, an welchem dem Zufall der Zutritt kategorisch verwehrt wurde. Hier geschah aber auch wirklich alles aus einer Absicht heraus: die große kulinarische Aussage, die das Produkt in den Mittelpunkt stellt und quasi in den Adelsstand erhebt, blieb jederzeit erkennbar und wurde hier mit einer Konsequenz umgesetzt, die mir keine andere Wahl lässt als dem Sonnora fortan den Spitzenplatz in meinem Ranking einzuräumen. Das ist Weltklasse in allen Belangen – und im Gegensatz zu Paris oder New York ein immer noch vergleichsweise erschwingliches Vergnügen.

In der Küche herrschte bei meinem Abschied noch immer hektische Betriebsamkeit, doch nach diesem Göttermahl wäre es einem Frevel gleichzusetzen gewesen, meine grenzenlose Begeisterung dem Chef gegenüber nicht zu kommunizieren. Man gestattet mir wie schon beim vorigen Besuch auf Anfrage den Gang in der Küche, wo ich meiner grenzenlosen Begeisterung ungezügelt freien Lauf lasse und das Hohelied auf diese Parade anstimme: es war mir eine unvergleichliche Ehre.

Der legendäre Paul Haeberlin – seinerzeit einer der größten Meister, der sich jemals der zu jener Zeit aktuellen Nouvelle Cuisine annahm – soll in seinen späten Jahren geäußert haben, dass Eckart Witzigmann einer der ganz raren Fälle gewesen sei, in welchen der Lehrling den Meister später sogar noch übertroffen habe. Bei dieser Anekdote male ich mir aus, dass Helmut Thieltges von seinem Logenplatz im Himmel auf sein Lebenswerk herabschaut, tief befriedigt das Werk seines Nachfolgers absegnet und dann vielleicht dasselbe Lob über seinen ehemaligen Schützling ausspricht. Wie bereits eingangs erwähnt, kehrte ich hier am Volkstrauertag ein – ein Tag, an welchem auch das Deutsche Requiem von Johannes Brahms häufig aufgeführt wird. Am Ende des zweiten Satzes heißt es dort über die Verstorbenen: „Ewige Freude wird über ihren Häuptern sein.“ Helmut Thieltges darf diese Freude nun erfahren, denn sein Lebenswerk ist wirklich in allerbesten Händen.

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Sonnora
Auf’m Eichelfeld 1
54518 Dreis
Tel.: 06578/98220
www.hotel-sonnora.de

Guide Michelin 2023: ***
Gault&Millau 2023: 5+ Toques
GUSTO 2024: 10 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2024: 5 F

7-gängiges Menü (ohne Aufpreis): € 295

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Es wäre ein Riesenfehler, plötzlich alles anders zu machen.“ (Clemens Rambichler)

UPDATE (November 2022)

Diese weisen Worte sprach der jüngste Drei-Sterne-Chef der Republik nur wenige Monate nach dem Tod seines großen Mentors Helmut Thieltges. Damals hatten sich die Kassandra-Rufer schon zuhauf in Stellung gebracht und standen bereit, den Abgesang auf eine legendäre Institution der deutschen Hochküche zu intonieren. Sie befürchteten dabei sicherlich keine gänzlich andere Ästhetik, sondern trauten offenbar dem jungen Souschef Clemens Rambichler ganz einfach nicht zu, das große Erbe seines verstorbenen Vorgängers erfolgreich und würdig fortführen zu können, obwohl er vom Meister selbst als der beste Souschef bezeichnet worden war, den er je hatte.

Seitdem sind gut fünf Jahre vergangen, in denen die notorischen Nörgler längst wieder in der Versenkung verschwunden und praktisch verstummt sind. Das liegt ganz einfach daran, dass Clemens Rambichler nicht nur den Küchenstil durch dezente Erneuerung und gleichzeitige Bewahrung des kulinarischen Erbes seines Mentors mit leichter Hand in die Gegenwart geführt hat, sondern inzwischen auch unternehmerisch tätig ist: zusammen mit seiner Frau Magdalena ist er seit einiger Zeit der Geschäftsführer des Sonnora und machte sogleich Nägel mit Köpfen. Den langen Lockdown des ersten Halbjahres 2021 nutzte man für umfassende Renovierungen und eine ansprechende Gestaltung der Hotelzimmer mit zeitgemäßer Ausstattung – dabei wurde nicht nur ordentlich Geld in die Hand genommen, sondern in weiser Voraussicht die Witwe des verstorbenen Patrons, Ulrike Thieltges, weiterhin eingebunden. Sie ist bei aller Wertschätzung für die herausragende Arbeit des neuen Chefs mit seinem Team immer noch so etwas wie das Gesicht des Sonnora schlechthin. Ohne ihre Präsenz und ihre über viele Jahrzehnte gereifte Erfahrung im Service würde dieser Institution schlicht etwas Entscheidendes fehlen. In ihrer Funktion als Bindeglied zwischen glanzvollen Zeiten unter ihrem Mann und dem neuen Kapitel, an dem hier höchst erfolgreich geschrieben wird, ist sie schlicht unentbehrlich und trägt bestimmt nicht unerheblich zur Treue vieler langjähriger Stammgäste bei.

Auch das Restaurant wurde von seiner barocken Schwere entschlackt, ohne dass dabei die typische Architektur des Speiseraums entstellt worden wäre. Durch eine lichtere Farbgebung wirkt das Ambiente inzwischen noch reiner und fast schon klassizistisch, wodurch eine weitere Symbiose mit dem hier praktizierten Küchenstil erzielt werden konnte. An vergangene Zeiten erinnern freilich noch die goldenen Wasserhähne in Form eines Schwanenhalses in den Toiletten, doch ohne dieses (wenn auch altmodische) ikonische Detail würde dem Hause für meine Begriffe die Retrospektive auf andere Zeiten fehlen. Das gilt gleichermaßen für das edle Besteck, die Gläser, den Präsentierteller und die Stoffservietten, denn bei aller Anpassung an die Gegenwart wird hier ein gehobenes Dinieren immer noch außerordentlich zelebriert. Das anstehende Festmahl wird hoffentlich beredtes Zeugnis davon ablegen! Wir haben daran keine Zweifel, denn dem Vernehmen nach gehört das dreifach besternte Sonnora inzwischen zu den zehn besten klassischen Restaurants der Welt – freilich eine exorbitante Messlatte, doch bereits unser letzter Besuch bestätigte das extrem hohe Niveau, das hier mit großer Konstanz praktiziert wird. Das siebengängige Menü, auf das unsere Wahl fällt, kostet jedenfalls ohne zuschlagspflichtige Extras derzeit € 268 und deckt eine breite Palette an Produkten und Klassikern der Haute Cuisine ab.

Zu einem Monin Orange serviert man ein Tartelette von Thunfischtatar und Segmenten von Birne, welches mit Liebstöckel aromatisiert und mit Spänen von Gänseleber getoppt ist. Hinzu gesellt sich außerdem Stabmuschel mit Blumenkohlcrème und einer Orangenvinaigrette – was in beiden Fällen eher lakonisch vom Service angekündigt wird, lässt in Wirklichkeit einmal mehr höchste handwerkliche Kunst schon bei den Amuses erkennen. Speziell die Begleiter der Stabmuschel sind so subtil abgeschmeckt, dass eine Fülle an reizenden Einfällen sich vollkommen harmonisch an das grandiose Hauptprodukt anschmiegt. Das ist nicht zuletzt dank ungeheuer feinsinniger Balance und beispielloser geschmacklicher Transparenz ein reiner Genuss von fantastischer Qualität. Das trifft auch vollkommen auf die Trilogie an Apéros zu, die zum Abschluss dieser unglaublichen Parade aufgetragen wird: links wird die Gillardeau-Auster mit Kaviar, Salatgurke und einer ganz leichten Minznote, wenn ich mich nicht irre, perfekt begleitet. An dasselbe Niveau knüpft auch mittig der Label-Rouge-Lachs mit Kürbiseis und Vinaigrette an, doch die ultimative Krönung ist der mit Texturen von grünem Apfel und Mandelcrème abgeschmeckte Taschenkrebs – eine Eingebung, wie sie einem höchst selten zuteil wird. Wen diese kulinarische Visitenkarte nicht zu beeindrucken vermag, der muss aus Stein sein!

Die Brotauswahl vom reichlich bestückten Wagen lässt ebenfalls keine Wünsche offen und verdeutlicht einmal mehr die Exzellenz auf allen Gebieten hier. Ganz klassisch reicht man Butter, welche vom Service bei Bedarf am Tisch nachgesalzen wird.

Rituale und Signature Dishes spielen im Vergleich zum Ausland gemäß meiner Wahrnehmung in deutschen Topadressen eine immer noch vergleichsweise geringe Rolle; dennoch kann es keinen Zweifel geben, dass ein Besuch hier ohne die (wenn auch zuschlagspflichtige) kleine Torte vom Rinderfilet-Tatar, N25-Kaviar und Kartoffelrösti einfach undenkbar wäre. Dieser Klassiker unter Klassikern – dem ich schon etliche Elogen gewidmet habe – altert kein bißchen, weil seine kluge Reduktion auf das Wesentliche auch vierzig Jahre nach seiner Erfindung durch Helmut Thieltges immer noch Maßstäbe zu setzen vermag. Allerbeste Produkte, perfekte Konsistenz, die richtige Temperatur – Genießerherz, was willst du mehr?

Nach dieser obligatorischen Einleitung setzen wir die kulinarische Reise mit sautierten Langoustines „Royal“ aus Loctudy fort. Die untadelige Referenzqualität der Hauptprodukte war schon immer ein Markenzeichen des Hauses, doch die Begleitung entpuppt sich als ebenbürtig: ein Kompott von Physalis und geschmorter Spitzpaprika setzt gekonnte süßliche Akzente, doch gleichzeitig toppen dieselben Produkte auch das zarte Prachtexemplar in der Mitte des Tellers. Die zutiefst elegante Nage von Krustentieren und orientalischen Gewürzen schließlich lässt den Teller regelrecht schweben: sehr bekömmlich, alles andere als zu schwer und von einer selten gelungenen Veredelung. Ein Meisterwerk!

Äußerst knapp gegrilltes Wagyu A5 vom Kagoshima-Rind entfaltet im nächsten Gang wunderbar tiefe Röstaromen, wobei der sehr präsente Säureschub durch Vinaigrette von gereifter Sojasauce dramaturgisch harmoniert. Ganz puristisch und recht traditionell inszeniert, reichen etwas Nussbutter und Sesam schon aus, um ein erneut großartiges Gericht perfekt abzurunden. Die kurze Verweildauer auf dem Grill ist mir als Zubereitungsart noch nicht so häufig untergekommen, doch geschmacklich öffnen sich hier neue Türen, hinter denen der aromatische Facettenreichtum dieses Luxusfleischs bestaunt werden kann.

Als nächstes interpretiert die Küche sanft gegarten Steinbutt aus der Vendée mit leichtem Biss und überaus saftig. Seinen Reiz bezieht dieser Gang hauptsächlich durch die filigrane Würze von Anis und iranischem Safran, doch die Bouchot-Muscheln aus dem bretonischen Saint-Brieuc will ich hier natürlich nicht übergehen. Die vielleicht überraschendste Komponente des Ganges, nämlich sanft geschmorter Fenchel, setzt wohldosierte vegetabile Akzente, ohne dabei das Gericht aus der Bahn zu werfen. Die leichte Nage ist zudem vollkommen ausgewogen und verleiht dem Gericht eine ganz natürlich anmutende Harmonie – einmal mehr ein unbeschwerter Genuss mit hohem Suchtfaktor.

Ein Lieblingsprodukt der Küche des Sonnora ist seit eh und je der Rehrücken aus der Eifler Jagd, aber trotz der relativ regelmäßigen Verwendung gehen dem Grand Chef die Ideen offenbar niemals aus, wie man Wildgerichte stets neu, immer wieder ansprechend und ohne jede Forciertheit interpretieren kann. Hier wird das Reh mit einem Buchweizen-Crêpe umspielt, der als Farce nichts weniger als gebratene Foie Gras enthält. Doch damit nicht genug: in dem Umfeld aus Pistazien-Gremolata tritt die Gänseleber noch in weiteren Varianten auf, welche allesamt ihre Berechtigung haben und zusammen mit Orangenaromen ein faszinierendes Geflecht an geschmacklichen Eindrücken ergeben. Gebettet ist die Kreation auf einer klassischen Sauce Rouennaise von mittlerer Intensität – was angesichts der vergleichsweise üppigen Begleitung durchaus Sinn macht. Ich zolle der Küche meinen Respekt, dass es ihr einmal mehr gelungen ist, trotz einer neuen Auslegung ein völlig stimmiges und richtig starkes Gericht zu ersinnen, welches ein echtes geschmackliches Statement setzt.

Monreal-Clementine erweist sich trotz des aromensatten Hauptgangs als ein alles andere als zurückhaltendes Pré-Dessert von ungeahnt intensiver Fruchtigkeit. Dieser mit diversen Texturen der Clementine und etwas Meringue umgesetzte, eiskalte Einschub entpuppt sich als sehr erfrischend, wobei dies an einem regnerischen und sehr kühlen Novembertag schwerlich notwendig gewesen wäre. Dank winterlicher Gewürze wird daraus ein recht kraftvoller Einfall von fast schon forschem Geschmack: was anderswo als Kritik zu verstehen wäre, ist hier dagegen dank der perfekten Umsetzung eine reizende Aufwertung eines ohnehin schon überragenden Desserts, dem keine Spur von Langeweile anhaftet. Superb!

Um einiges traditioneller geht es dagegen bei Baba au rhum zu, welcher auf Wunsch mit einem Zerstäuber besprüht wird, dessen Inhalt ein 20 Jahre alter Rum von Cadenhead ist. Die Güte des französischen Klassikers steht außer Frage, doch den letzten Feinschliff erfährt dieser Teller durch Crème Chantilly (süßliche Schlagsahne), ein unfassbar gutes Crème-Eis von Tahiti-Vanille und Würfel von gegrillter und marinierter Ananas. Dank der einzigartigen Qualität der Produkte braucht auch ein vergleichsweise simpel konzipiertes Dessert wie dieses kein Chichi, um voll einzuschlagen. Die hier gelebte Klassik bewegt sich im Sonnora praktisch unentwegt am Rande der Perfektion und lockt vollkommen zurecht scharenweise Gäste von weit her.

Unter den generösen Petits fours, die einen unvergleichlichen Nachmittag abrunden, finden sich ein Schoko-Baignet, Schokonüsse, eine Opéra-Schnitte, eine Himbeer-Praline, ein Topfenbällchen auf Marillenkompott, Limettenschaum mit Mango, Choux au caramel (Windbeutel mit Karamel), eine Ananastarte mit Kokos und schließlich ein Mangotartelette – logisch, dass dieser Ausklang dort nahtlos anknüpft, wo das Dessert zuvor aufgehört hatte. Man muss sich nochmals vergegenwärtigen, dass hier entgegen aller Plausibilität und abseits aller Großstädte absolute Weltklasse zelebriert wird, welche inzwischen in Stein gemeißelt ist – ein Umstand, der mir allerhöchste Anerkennung abringt.

Es ist ungeheuer befriedigend, erleben zu dürfen, welch astronomisch hohes Niveau Clemens Rambichler hier binnen fünf Jahren als Grand Chef erreichen konnte: seine Profession hat er vollkommen verinnerlicht und seine Leidenschaft in gänzlich unaufgeregten, aber großartigen Tellern voll auf den Gast übertragen. Dass dieser an solch einem Erlebnis überhaupt teilhaben darf, ist schon für sich genommen als eine bedeutsame Ehre zu verstehen. Die Souveränität, mit der hier inzwischen vollkommen gelassen wirkende, ganz und gar klassische Teller kreiert werden, ist schlichtweg atemberaubend. Das Maß an Präzision, geschmacklicher Tiefe und harmonischer Balance allein gerät schon unfassbar gut, wird es doch stets so zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk umgesetzt. Da gelangt nichts Überflüssiges auf den Teller, da werden hervorragende Produkte ohne jedwede Verfälschung in allerbestem Lichte präsentiert, und wie selbstverständlich werden auch neue Kreationen ersonnen, die Helmut Thieltges von seinem Ehrenplatz im Himmel aus noch mit der Zunge schnalzen lassen würden. Clemens Rambichler hat klugerweise an den Grundwerten dieser erzklassischen Veste nicht gerüttelt und trotzdem das Lokal mit einem nicht für möglich gehaltenen Elan in die Gegenwart geführt. Vollkommen zurecht zählen nicht wenige internationale Gourmets diese Institution abseits aller Touristenpfade inzwischen zu den zehn besten klassischen Restaurants der Welt.

Um eine solche Anerkennung erlangen zu können, finden hier nur allerbeste Produkte den Weg auf die Teller. Mit einer geradezu fanatischen, an Eckart Witzigmann erinnernden Besessenheit werden ungenügende Produkte aussortiert – der Gast kann sich somit sicher sein, nur handverlesene Ware allerbester Güte vorgesetzt zu bekommen, die schon ohne jedwede Veredelung zutiefst beeindrucken würde. Die Kunst dieser Küche besteht eben darin, die begleitenden Akzente so zu gestalten, dass die Luxusprodukte nicht kaschiert und trotzdem noch bereichert werden – eine Fertigkeit, die in dieser Form nur die wenigsten Chefs beherrschen. Die ikonische Torte mit Rindertatar mag als Beispiel für eine extreme Reduktion auf das Wesentliche herhalten, die Teil des Zaubers der Gerichte in dieser Institution ist. Klassiker wie Baba au rhum werden mit gebotener Demut und Fokussierung auf den reinen Geschmack präsentiert, und das nur denkbar knapp gebratene Wagyu wird fast spartanisch begleitet – so überzeugend gerät es in seiner Qualität, dass viele Begleiter daneben einfach verblassen würden. Selbst wenn mal ein vergleichsweise profanes Produkt wie der Eifeler Rehrücken verwendet wird, bedarf es auf dem Weg zum Olymp nicht viel mehr als Gänseleber von schlichtweg umwerfender Konsistenz und der traumhaftesten Sauce Rouennaise, die sich nur vorstellen lässt. Trotz inzwischen einiger Besuche hier konnte ich noch nie eine Disziplin der Hochküche hier ausmachen, bei der Clemens Rambichler nicht reüssiert hätte. Seien es nun Saucen oder Garzeiten – es wirkt, als sei diese Küche nahezu unfehlbar.

Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: besser kann man derzeit nicht klassisch in Deutschland essen. Der Service und die Weinkarte lassen ebenfalls praktisch keine Wünsche offen, so dass dieses Fazit mehr als eindeutig einfällt. Wir sollten uns glücklich schätzen, dass diese legendäre Institution der deutschen Spitzenküche dank der Weitsicht der Betreiber auch für die nächsten Jahrzehnte bestens aufgestellt zu sein scheint und uns hoffentlich noch viele unvergleichliche Genussmomente bescheren wird.

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Sonnora
Auf’m Eichelfeld 1
54518 Dreis
Tel.: 06578/98220
www.hotel-sonnora.de

Guide Michelin 2022: ***
Gault&Millau 2022: 5+ Toques
GUSTO 2023: 10 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2022: 5 F

8-gängiges Menü (ohne Aufpreise): € 268

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„Klassik ist die wahre Kunst. Das ist die Basis von allem. Modern kann sich jeder nennen, der mit Gewalt was anderes machen will.“ (Helmut Thieltges)

UPDATE (September 2020)

Drei Jahre ist das Ableben des legendären Chefs Helmut Thieltges nun schon her. Bei unserem damaligen Besuch kurz nach diesem unseligen Ereignis trieb Ulrike Thieltges, die Witwe des Chefs, vor allem die Angst um, man könne hier nun den dritten Michelin-Stern verlieren. Nichts von alledem ist jedoch eingetreten – und die gar nicht so unbegründete Furcht von damals erscheint im heutigen Lichte betrachtet als vollkommen obsolet. Hauptsächlich ist dies das Verdienst von Clemens Rambichler, Thieltges‘ damaligem Souschef: die vollkommene Verinnerlichung der kulinarischen DNA seines verstorbenen Chefs hat der junge Grand Chef inzwischen behutsam um eigene Gerichte bereichert und so dafür gesorgt, dass die Gästeschar hier nach wie vor reichlich eintrudelt und sie dabei jederzeit die Gewissheit genießt, hier die allerbesten Produkte in luxuriöser Pracht aufgetischt zu bekommen. Langjährige Klassiker blieben dabei unangetastet, doch auch neuere Gerichte sind nach wie vor durchdrungen von all den Qualitätskriterien, die dieses Lokal schon immer ausgezeichnet haben.

Das wohl meistzitierte Diktum eines deutschsprachigen Kochs überhaupt – Eckart Witzigmanns „Das Produkt ist der Star“ – ziert die Homepage des Lokals. Während in den allermeisten Fällen hinter der Wiedergabe dieses Spruchs allerdings kaum mehr als eine oberflächliche Aufhübschung steckt, die sich eben gefällig anhört, wird dieses Motto hier dagegen wahrlich immer noch bis in die letzte Pore gelebt und umgesetzt. Wer hier einkehrt, darf sich auf die Reinkarnation einer erzklassischen Hochküche, die allerdings kein bißchen angestaubt wirkt, freuen. Kein Wunder, dass man nach Neuerungen lechzende Foodblogger hier gar nicht zu Gesicht bekommt. Erstaunlich dagegen, dass am Nebentisch eine sechsköpfige Familie aus den Niederlanden mit zwei Kindern um die 10 und 15 Jahre Platz nimmt und die Erziehung der Kinder offenbart so gut funktioniert, dass der Verzehr dieser Speisen nicht als Strafe, sondern als Belohnung empfunden wird und selbst das omnipräsente Smartphone weitgehend in der Tasche bleibt. Mustergültig!

Das achtgängige Mneü zu € 230 liest sich absolut verlockend, so dass unsere Wahl schnell getroffen ist. Wesentlich schwerer fällt da die Entscheidung, ob man auch die zwei attraktiven, aber zuschlagspflichtigen Alternativen zu den eigentlichen Gängen wählen soll. Da wir hier schließlich nicht jeden Tag in der südlichen Eifel vorbeischauen und dies der letzte Ort für Sparsamkeit ist, entscheiden wir uns für beide Upgrades und sollten es – soviel vorweg – natürlich nicht bereuen.

Bereits der Einstieg mit einer individuell zusammenstellbaren Brotauswahl vom reichhaltigen Brotwagen gerät großartig, zumal die Echiré-Butter von allerbester Konsistenz ist und die Brotauswahl selbst keine Wünsche offen zulässt, da das Brot erst am Tisch abgeschnitten wird.

Zum Einstieg nehme man das Silberbesteck und führe es langsam an das erste Amuse heran, das diesmal aus einer gelierten Gazpacho mit Gurken-Sauerrahm und Mousse von weißen Strauchtomaten besteht. Dies ist ein luftig-leichter und regelrecht betörender Anstieg, wie gemacht für diesen schwülen Sommerabend. Das Sonnora wäre allerdings nicht das Sonnora, wenn nicht umgehend ein Edelprodukt bereits das erste Ausrufezeichen setzen würde. Die sorgsam versteckten Crevetten punkten mit idealem Biss und bestmöglicher Zubereitung. Dieser voll auf Understatement setzende Einstieg hat bereits mehr Aussagekraft und geschmackliche Tiefe als anderswo ein ganzes Menü. Grandios!

Kaum weniger beeidruckend geraten die Gillardeau-Auster Nr. 3, arrangiert an einem Bouquet von Gurke und Dill, der Label-Rouge-Lachs an Wasabi und Ingwer sowie die Krustentierpraline an einem wunderbar fruchtig-würzigen Mango-Chutney und frittierten Fäden. Die äußerst stimmige Balance aller drei Kompositionen sowie das Maß an geistiger Durchdringung, das darauf abzielt, die Komponenten im besten Licht erscheinen zu lassen, waren seit jeher Merkmale dieses Lokals, doch selten habe ich dies in deutlicherer Form als diesmal wahrgenommen. Bereits diese Einstiege künden von einem großartigen Abend, der uns da bevorsteht.

Und wie könnte man den offiziellen Auftakt des Menüs würdiger einläuten als mit dem mutmaßlich größten Klassiker der Haute Cuisine von ganz Deutschland? Natürlich mit der kleinen Torte vom Rinderfilet-Tatar mit Impérial-Kaviar und Kartoffelrösti. Aus gutem Grund und seit mehr als dreißig Jahren steht dieses unnachahmliche Signature Dish auf der Speisekarte. Kein Wunder: die Reduktion auf das absolut Wesentliche, die überragende Qualität aller Einzelkomponenten und die harmonische Zusammenführung von edelsten mit einfachsten Produkten (Kaviar und Rösti) überzeugt bis zum heutigen Tag. Das denkbar knusprigste Rösti, 20 Gramm des wunderbar jodigen Kaviars, das opluenteste Tatar weit und breit sowie die ideal abgeschmeckte Crème fraîche machen aus dieser Eingebung zurecht ein kleines Festmahl, für das man den nicht ganz billigen Aufpreis bereitwillig zahlt. Fragt sich nur, wo die Küche die restliche Torte versteckt hat …

Bretonischer Hummer mit jungem Gemüse und mit indischem Curry aromatisierte Champager-Nage ist, obwohl ein Klassiker des Hauses, eine echte Sensation, die ich hier bislang noch nicht verkosten durfte. Was mir da entgangen ist: das zarteste Hummerfleisch weit und breit in einem höchst sensibel arrangiertem Bouquet von Gemüse wie Blumenkohl und Karottenstiften. Die absolute Krönung ist jedoch die Champagner-Nage, die leicht sämig ist und eine Fruchtigkeit erlangt, die so diffizil gerät, dass ihre Herstellung mit einem gigantischen Arbeitsaufwand verbunden sein muss. Außerdem gibt es noch à part (nicht im Bild) eine Hummerbisque von so erdigem Charakter, dass ich wohl kaum jemals eine bessere irgendwo bekommen werde. Dieser Teller ist Weltklasse bis ins letzte Detail. Zum Dahinschmelzen!

Sauté vom Kalbsbries flankiert die Küche diesmal mit schwarzem Wintertrüffel, gehobelten Champignons, Vin Jaune und Tropfen von Petersilien-Jus. Auch dieser Gang, der den Herbst bereits vorwegzunehmen scheint, überzeugt uns voll und ganz. Zum einen ist das Bries intensiv und so festfleischig wie sonst kum irgendwo. Zum anderen wurde die Aromenwelt zweier doch ziemlich unterschiedlicher Pilze harmonisch verquickt. Damit das opulente Gericht nicht zu sehr von erdigen Aromen dominiert wird, ist der leicht säuerliche Schaum von Vin Jaune ein geradezu idealer Begleiter, der dem Gericht entwaffnende Leichtigkeit verleiht. Wie feinsinnig all diese Komponenten ausbalanciert werden, ist dabei vielleicht das größte Wunder an diesem Gang.

Ein weiterer Produktklassiker, dessen Vorzüge hier in schöner Regelmäßigkeit zelebriert werden, ist der Steinbutt aus der Vendée in Referenzqualität – unendlich saftig, zart sowieso und mit ganz leichtem Biss. Diesmal wurde er flankiert von etwas Kartoffelmousseline, die eine Vielzahl von Kräutern sowie Blattspinat umrahmte. Zwischen Kerbel, Basilikum und Estragon ragt die Minznote für meinen Geschmack ein wenig zu sehr heraus – mit etwas weniger prominent eingesetztem Grün wären die Qualitäten des Fischs vielleicht noch besser zur Geltung gekommen, doch auch so bleibt dies nur eine ganz leise und verhaltene Kritik – und die praktisch einzige bisher an diesem Abend.

Der zweite Aufpreis wird für das Hauptgericht fällig, denn Filet vom Kagoshima-Rind (der höchsten Marmorierungsstufe A5) gilt als das teuerste Rindfleisch der Welt. Japan exportiert jährlich nur 300 der insgesamt 3.000 pro Jahr gezüchteten Rinder ins Ausland – die überaus strengen Auflagen und Qualitätskontrollen wirken sich natürlich auf das Endergebnis (und den Preis) entsprechend aus. Allein das Bild verrät schon, von welch wunderbarer Farbe und welchem Fettgehalt diese Tranche durchdrungen ist. Getoppt wird dieses Prachtexemplar fast beiläufig von einer überaus generösen Portion an gebratener Gänseleber, garniert mit Trüffelstiften sowie Texturen von Blumenkohl und platziert auf einer getrüffelten Sauce von elementarer Wucht. WItzigmanns Diktum auf der Homepage des Lokals (siehe oben) findet hier seine konsequenteste Entsprechung, denn mit Luxusprodukten dieses Kalibers ist gut zaubern. Die Strahlkraft der Viktualien setzt natürlich bestes Handwerk voraus, was in diesem Haus fast wie eine bessere Fingerübung anmutet. Viel luxuriöser als diese Darbietung kann ein Gericht kaum sein. Das ist so nahe an der kulinarischen Vollendung, dass ich all diejenigen, die mit dem Eifeler Rehrücken zum Hauptgang Vorlieb nahmen, nur bedauern kann: hier werden selbst hartgesottene Gourmets ganz sensibel.

Trotz der derzeitigen Einschränkungen offeriert der gute alte Käsewagen eine Auswahl, die nur eine Handvoll Restaurants weltweit noch überbieten. Die in Referenzqualität vom Elsässer Käse-Großmeister Maître Antony zusammengestellte Auswahl auf dem Wagen lässt keine Wünsche offen und hat für jeden etwas zu bieten. Weichkäse und Hartkäse aus allerlei Milchsorten, von mild bis würzig, von cremig bis spröde – es ist einfach alles dabei und wird zudem mit den Trauben und dem Feigensenf auch noch wunderbar auf den Teller gezaubert. Auch meine Lieblingssorte, der getrüffelte Weichkäse Brillat Savarin, ist im Angebot und darf natürlich nicht auf dem Teller fehlen. Die reine Wonne!

Der relativ schwächste Gang (diese Aussage ist mit äußerster Vorsicht zu genießen) ist das Pré-Dessert, das sich allerdings der schwierigen Aufgabe stellt, praktisch nur ein Produkt in allen Facetten zu beleuchten. Das Melonensorbet auf einem Süppchen von geeister Melone sieht harmlos aus, doch die Zerbinati-Melone aus der Lombardei punktet mit intensivem und unverfälschtem Geschmack – vielleicht lediglich auf Dauer ein Tick zu eintönig.

Opulenz bis zum letzten Gang versprüht auch das Dessert: Délice von Mara de Bois-Erdbeeren mit Fromage blanc, Joghurteis und Holunderblüten-Sabayon ist so wunderbar austariert zwischen animierender Säure und dezenter Süße wie man es sich nur wünschen kann. Wer solche prächtigen Erdbeeren auftischt, der braucht auch nicht viel Aufhebens auf dem Teller darum machen. Dieses Gericht braucht kein Chichi und kommt mit der denkbar größten Frische aus, um bleibende Erinnerungen zu kreieren. Spätestens jetzt dürfte Helmut Thieltges von seinem Tribünenplatz im Himmel aus seinen Segen an Clemens Rambichler erteilt haben. Was für eine beeindruckende Darbietung!

Doch halt, da wären ja noch die Petits fours – diese geraten erwartungsgemäß erzklassisch, aber das makellose Handwerk verdient dennoch alle Anerkennung: Himbeeren auf Baiser (ganz hinten), Schoko- und Kaffeepralinen (davor), dann ein Mokka-Törtchen (links daneben), kandierte Kalamansi (davor), mit Kakao ummantelte Mandeln (davor), Zitronen-Tarte (rechts) und als geniale Krönung ein Pfefferrahmeis mit marinierter Feige (vorne). Das ungewöhnliche Geschmackserlebnis des letztgenannten Beitrags hallt noch lange am Gaumen nach, da die gekonnte Mischung aus feiner Würze und Fruchtigkeit ideal gelingt. Ein vollkomen würdiger Abschluss eines exzellenten Abends!

Teil des Zaubers im Waldhotel Sonnora ist allein schon das Retro-Ambiente, in dem man hier tafelt. Viel Blattgold, reichlich Ornamentik, schwere Vorhänge und edelstes Silberbesteck – während all dies anderswo als überkommen empfunden würde, gehört es hier immer noch zum guten Ton. Außerdem schafft man hier noch wie selbstverständlich Habitate für bedrohte Arten wie Käsewagen oder gar Brotwagen – fehlt nur noch die Entenpresse! All das, was hohe Tafelkultur einst ausmachte, kann man hier noch finden – die Gerichte dagegen gehen glücklicherweise behutsam mit der Zeit, selbst wenn die liebgewonnenen Klassiker natürlich schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Solche zeitlosen Gerichte auf der Karte zu haben, die nie langweilig werden, darf sich nur erlauben, wer absolut makellose Produkte offerieren kann. Genau diesem Anspruch gegenüber hat sich das Sonnora jedoch schon seit Jahrzehnten verpflichtet – was es zur klassischsten aller Spitzenadressen in der Republik macht.

Auch für die Serviceleistung ist jedes noch so große Lob kaum ausreichend. Der überaus aufmerksame und diskret agierende Service trifft immer den richtigen Ton, nimmt unerfahrenen Gästen mit Leichtigkeit die Scheu vor der vermeintlich spießigen Umgebung und kann in allen Belangen angemessene Auskünfte erteilen. Gekrönt wird diese Leistung durch das grandiose Dirigat von Ulrike Thieltges, die als Grande Dame den Service anführt und eine stets herzliche sowie einfühlsame Gastgeberin wie aus dem Bilderbuch ist.

Lange habe ich gerungen, ob ich diesem Abend die Höchstnote vergebe – und mich letztlich dafür entschieden, obwohl mir zwei, drei Gänge auf Dauer ein wenig zu gefällig erschienen und Überraschungen im Wesentlichen ausblieben. Das wurde selbstverständlich überreichlich anderweitig kompensiert, so dass die letztlich von mir vergebenen 20 Punkte dennoch mehr als gerechtfertigt erscheinen. Mit anderen Worten: fraglos eine Weltklassedarbietung, die nur knapp an einer genuinen Sternstunde vorbeischrammt. So oder so gehört das Sonnora für mich zu den besten fünf Restaurants in Deutschland. All das hat selbstverständlich seinen Preis, ist aber angesichts der durchweg überragenden Produktqualität und der makellosen Zubereitung mehr als gerechtfertigt, zumal das Sonnora unter den Drei-Sterne-Restaurants in Deutschland immer noch zu den preiswerteren gehört. Ein besseres klassiches Essen als im Sonnora werden Sie sowieso in ganz Deutschland definitiv nicht finden.

Man kann es kaum anders formulieren: die Darbietungen hier erweisen sich als Lehrstunde für all diejenigen Köche, die meinen, das Rad neu erfinden zu müssen. Wer etwas über klassische Tugenden und Küchentechniken lernen will, muss einfach hier gewesen sein!

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Sonnora
Auf’m Eichelfeld 1
54518 Dreis
Tel.: 06578/98220
www.hotel-sonnora.de

Guide Michelin 2020: ***
Gault&Millau 2020: 19,5 Punkte
GUSTO 2020: 10 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 5 F

8-gängiges Menü (ohne Aufpreise): € 230

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November 2017

Das malerisch und versteckt gelegene Hotel im Herzen der Eifel wirkt von außen so unscheinbar wie eh und je, hat jedoch eines der allerbesten Restaurants von Deutschland zu bieten. Unter der Leitung des im Juli 2017 plötzlich und viel zu früh im Alter von nur 61 Jahren verstorbenen Helmut Thieltges (siehe mein damaliges Essay) erlangte das Haus erstmals 1999 drei Michelin-Sterne und bestätigte diese seither ohne Unterbrechung. Auch der stets kritische Gault&Millau vergab bis zuletzt die Höchstnote von 19,5 Punkten, die derzeit ganze fünf Lokale in Deutschland innehaben. Nun hat sich Clemens Rambichler, ehemaliger Sous-Chef unter Helmut Thieltges, dankenswerterweise bereit erklärt, das Restaurant weiter im Sinne des Ausnahmekochs zu führen und zusammen mit dessen Ehefrau Ulrike Thieltges den Hotelkomplex samt Restaurant am Leben zu erhalten. Ob Rambichler den dritten Stern halten kann, war natürlich die entscheidende Frage, als der neue Guide Michelin 2018 am 14. November erschien – Auflösung unten.

Nirgendwo in Deutschland isst man jedenfalls so konsequent klassisch wie in dieser Veste des guten Geschmacks. Die durch und durch französisch inspirierte Küche wurde unter Thieltges stets behutsam ein wenig den Bedürfnissen der Zeit angepasst, ohne dabei irgendwelchen modischen Mätzchen zu verfallen. Das Credo von Thieltges bestand stets in barocker Opulenz auf höchstem Niveau und der kompromisslosesten Produktqualität, die es überhaupt nur geben kann. Außerdem bezeichnete Thieltges jeden Koch als „modern, […] der mit Gewalt was anders machen will.“ Folgerichtig wurde auch das Restaurant selbst feudal und mit ausladender Pracht eingerichtet: schwere Vorhänge, kostbare Teppiche, blütenweißes Leintuch und Silberbesteck vom Feinsten. Auf manche mag diese „old school“ wie aus der Zeit gefallen wirken, aber die Küche bewies bis zuletzt, dass sie – genau wie der Weinkeller – höchsten Ansprüchen genügen konnte. Regelmäßig Gäste aus Frankreich, Luxemburg und Belgien begrüßen zu können spricht da eine deutliche Sprache, und auch mein erster Besuch im Mai 2016 rangiert immer noch auf Platz 2 meiner Liste der besten Restaurantbesuche aller Zeiten. Gespannt erwarten wir, ob der noch nicht einmal 30-jährige Nachfolger des Grand Chefs nach dezenter Modernisierung strebt oder ob möglichst wenig verändert werden soll.

Bereits die ersten Küchengrüße beantworten diese Frage schon recht eindeutig. Ob nun Vichy-Soisse mit Räucheraal und Kaviar oder mit Holunderblütenvinaigrette marinierte Gillardeau-Auster mit Minze – das alles lässt vielleicht nicht die Herzen der so vielen nach Neuerungen lechzenden Foodies höher schlagen, aber dafür diejenigen, die schnörkellose Hochküche auf höchstem Niveau noch zu schätzen wissen. Selbiges gilt auch für die Praline von Edelfischen mit Mangochutney und das Thunfischtatar, die beide den Reigen der Einstimmungen eindrucksvoll beschließen. Die Brotauswahl ist nicht besonders vielfältig, aber die Echiré-Butter ist von höchster Qualität und tröstet darüber locker hinweg.  

Der Gast hat sodann die Wahl zwischen einem mehrgängigen Menü und ca. 15 Gerichten à la carte. Wir entscheiden uns für die letztere Variante und wollen die Klassiker des Hauses noch einmal richtig würdigen. Derzeit hat das Lokal übrigens nur sonntags auch mittags geöffnet, aber in puncto Preis oder Umfang der angebotenen Speisen gibt es keinen Unterschied.

Es geht also los mit dem Klassiker unter Klassikern: kleine Torte vom Rinderfilet-Tatar mit Imperial Gold Kaviar auf Kartoffelrösti. Das Gericht steht praktisch immer auf der Karte, weil etliche Gäste eigens dafür anreisen und enttäuscht wären, wenn es nicht angeboten würde. Aus gutem Grund: diese Kreation gehört zu den bekanntesten der Haute Cuisine in ganz Deutschland und schaffte es sogar als Bild auf die Seite von Helmut Thieltges in einer berühmten Online-Enzyklopädie. Die kleine Torte vereint das Beste von Acker, Weide sowie Fluss und verkörpert alle Tugenden von Thieltges‘ Philosophie auf engstem Raum: Klarheit in der Präsentation, unerhörte geschmackliche Tiefe und Reduktion auf das Wesentliche. Bei solcher Qualität sieht man auch über den stolzen Preis gerne hinweg …

Consommé double vom Ochsenschwanz mit Ravioli von Entenstopfleber ist ein weiteres vortreffliches Beispiel für französische Zurückhaltung und Fokussierung auf das Wesentliche. Die handwerklich großartigen Ravioli im tiefen Teller werden natürlich erst am Tisch mit der Consommé aufgegossen, von der Ulrike Thieltges auch gerne nochmals generös nachschenkt. Die Consommé ist eine Wucht, denn ihre Tiefe dürfte bis in die untersten Schichten der Vulkaneifel reichen …

Nach den eher puristischen Vorspeisen wird nun die große Genussoper präsentiert: Seezunge und Medaillons von bretonischem Hummer auf Pinienspinat mit Sauce Pomerol und Chablis-Crème. Die großzügigen Tranchen der Seezunge werden vom Hummer in perfekter aromatischer Harmonie genial drapiert, während der Spinat einen kräftigen Kontrast setzt und dennoch dem komplexen Spiel der alkoholischen Komponenten allen Raum zur freien Entfaltung lässt. Die Fülle an hinreißend austarierten Aromen ist schon beeindruckend, aber die fantastische optische Präsentation setzt dem Gericht noch die Krone auf.

Sorbet und Kompott von Mandarine mit geflämmtem Tahiti-Vanille-Schaum als Pré-Dessert ist eine wunderbare Hommage an vergangene Zeiten. Die phantastische Vanille verleiht dem Gericht eine aristokratische und edle Note.

Den Reigen beschließt Topfen-Soufflé auf geliertem Orangen-Physalis-Kompott. Das Dessert ist schwerlich als neuartig zu bezeichnen, aber angesichts der gebotenen Qualität stört mich das in keinster Weise. Das Soufflé gerät perfekt, und das elegante Süße-Säure-Spiel zwischen Orange und Physalis ist die pure Lust am Genuss. Warf man der Küche bei den Desserts oft eine etwas eindimensional wirkende geschmackliche Ausrichtung aus, so kann man dies von dieser Kreation schwerlich behaupten.

Die Petits fours sind – wie kaum anders zu erwarten – ebenfalls alte Schule, was aber in keiner Weise minderwertig wirken soll. Wirken die gefüllten Pralinés per se etwas altmodisch, so machen sie dies durch ihre handwerkliche Qualität locker wieder wett.

Der Service unter der Leitung der Neu-Witwe Ulrike Thieltges agiert aufmerksam und recht förmlich, ohne dass dabei die Lockerheit allerdings zu kurz käme. Frau Thieltges selbst ist die charmante und aufmerksame Gastgeberin geblieben, die sie immer war, und auch Sommelière Magdalena Brandstätter hat ihren Job voll verinnerlicht. Ach ja: normalerweise sind die Toiletten kaum eine Erwähnung wert, aber wer sie in diesem Haus nicht mindestens einmal aufsucht, hat etwas verpasst. Weshalb? So einen Wasserhahn haben sie noch nie gesehen …

Wie geht es nun weiter mit diesem Haus? Das ruhig gelegene Hotel selbst ist edel und elegant eingerichtet, kann aber sein Alter nicht verleugnen, da der Stil der Inneneinrichtung doch deutlich an die 60er-Jahre erinnert. Die Küche selbst ist auch unter dem neuen Chef Clemens Rambichler zunächst so klassisch geblieben wie sie es immer war – es gab wirklich keinerlei Abstriche zu bemängeln. Wer nach Dreis fährt, hat offensichtlich eine gewisse Erwartungshaltung, die befriedigt werden will: makellose Qualität, Opulenz und Klassik in Vollendung. Keine Frage – Rambichler liefert dies alles, und doch muss die Frage erlaubt sein, ob es immer so weiter gehen kann: will ein 28-jähriger Koch wirklich ein Leben lang in diesem erzkonservativen Stil weiterkochen und die Dynamik moderner Techniken einfach ignorieren? Wie will ein altehrwürdiges Haus wie dieses eine neue Gästeklientel gewinnen, wenn es so wenig bietet, was auch die jüngere Generation anspricht? Keinesfalls mangelt es dieser Institution an Stammgästen, aber jünger werden diese nun mal auch nicht.

Der berühmte rote Guide hielt auch für 2018 an den drei Sternen fest, aber mittelfristig ist die Diskussion über eine Neuausrichtung dieses Restaurants unumgänglich, wenn nicht am Ende der Geschichte die vorzeitige Schließung stehen soll. Bis dahin kann man allerdings – zumindest sofern es das Portemonnaie zulässt – weiterhin guten Gewissens und unbeschwert in großen Genussmomenten schwelgen, denn zu dem besten Dutzend Restaurants in deutschen Landen zählt das Lokal nach wie vor allemal.