„Es wäre ein Riesenfehler, plötzlich alles anders zu machen.“ (Clemens Rambichler)
UPDATE (November 2022)
Diese weisen Worte sprach der jüngste Drei-Sterne-Chef der Republik nur wenige Monate nach dem Tod seines großen Mentors Helmut Thieltges. Damals hatten sich die Kassandra-Rufer schon zuhauf in Stellung gebracht und standen bereit, den Abgesang auf eine legendäre Institution der deutschen Hochküche zu intonieren. Sie befürchteten dabei sicherlich keine gänzlich andere Ästhetik, sondern trauten offenbar dem jungen Souschef Clemens Rambichler ganz einfach nicht zu, das große Erbe seines verstorbenen Vorgängers erfolgreich und würdig fortführen zu können, obwohl er vom Meister selbst als der beste Souschef bezeichnet worden war, den er je hatte.
Seitdem sind gut fünf Jahre vergangen, in denen die notorischen Nörgler längst wieder in der Versenkung verschwunden und praktisch verstummt sind. Das liegt ganz einfach daran, dass Clemens Rambichler nicht nur den Küchenstil durch dezente Erneuerung und gleichzeitige Bewahrung des kulinarischen Erbes seines Mentors mit leichter Hand in die Gegenwart geführt hat, sondern inzwischen auch unternehmerisch tätig ist: zusammen mit seiner Frau Magdalena ist er seit einiger Zeit der Geschäftsführer des Sonnora und machte sogleich Nägel mit Köpfen. Den langen Lockdown des ersten Halbjahres 2021 nutzte man für umfassende Renovierungen und eine ansprechende Gestaltung der Hotelzimmer mit zeitgemäßer Ausstattung – dabei wurde nicht nur ordentlich Geld in die Hand genommen, sondern in weiser Voraussicht die Witwe des verstorbenen Patrons, Ulrike Thieltges, weiterhin eingebunden. Sie ist bei aller Wertschätzung für die herausragende Arbeit des neuen Chefs mit seinem Team immer noch so etwas wie das Gesicht des Sonnora schlechthin. Ohne ihre Präsenz und ihre über viele Jahrzehnte gereifte Erfahrung im Service würde dieser Institution schlicht etwas Entscheidendes fehlen. In ihrer Funktion als Bindeglied zwischen glanzvollen Zeiten unter ihrem Mann und dem neuen Kapitel, an dem hier höchst erfolgreich geschrieben wird, ist sie schlicht unentbehrlich und trägt bestimmt nicht unerheblich zur Treue vieler langjähriger Stammgäste bei.
Auch das Restaurant wurde von seiner barocken Schwere entschlackt, ohne dass dabei die typische Architektur des Speiseraums entstellt worden wäre. Durch eine lichtere Farbgebung wirkt das Ambiente inzwischen noch reiner und fast schon klassizistisch, wodurch eine weitere Symbiose mit dem hier praktizierten Küchenstil erzielt werden konnte. An vergangene Zeiten erinnern freilich noch die goldenen Wasserhähne in Form eines Schwanenhalses in den Toiletten, doch ohne dieses (wenn auch altmodische) ikonische Detail würde dem Hause für meine Begriffe die Retrospektive auf andere Zeiten fehlen. Das gilt gleichermaßen für das edle Besteck, die Gläser, den Präsentierteller und die Stoffservietten, denn bei aller Anpassung an die Gegenwart wird hier ein gehobenes Dinieren immer noch außerordentlich zelebriert. Das anstehende Festmahl wird hoffentlich beredtes Zeugnis davon ablegen! Wir haben daran keine Zweifel, denn dem Vernehmen nach gehört das dreifach besternte Sonnora inzwischen zu den zehn besten klassischen Restaurants der Welt – freilich eine exorbitante Messlatte, doch bereits unser letzter Besuch bestätigte das extrem hohe Niveau, das hier mit großer Konstanz praktiziert wird. Das siebengängige Menü, auf das unsere Wahl fällt, kostet jedenfalls ohne zuschlagspflichtige Extras derzeit € 268 und deckt eine breite Palette an Produkten und Klassikern der Haute Cuisine ab.
Zu einem Monin Orange serviert man ein Tartelette von Thunfischtatar und Segmenten von Birne, welches mit Liebstöckel aromatisiert und mit Spänen von Gänseleber getoppt ist. Hinzu gesellt sich außerdem Stabmuschel mit Blumenkohlcrème und einer Orangenvinaigrette – was in beiden Fällen eher lakonisch vom Service angekündigt wird, lässt in Wirklichkeit einmal mehr höchste handwerkliche Kunst schon bei den Amuses erkennen. Speziell die Begleiter der Stabmuschel sind so subtil abgeschmeckt, dass eine Fülle an reizenden Einfällen sich vollkommen harmonisch an das grandiose Hauptprodukt anschmiegt. Das ist nicht zuletzt dank ungeheuer feinsinniger Balance und beispielloser geschmacklicher Transparenz ein reiner Genuss von fantastischer Qualität. Das trifft auch vollkommen auf die Trilogie an Apéros zu, die zum Abschluss dieser unglaublichen Parade aufgetragen wird: links wird die Gillardeau-Auster mit Kaviar, Salatgurke und einer ganz leichten Minznote, wenn ich mich nicht irre, perfekt begleitet. An dasselbe Niveau knüpft auch mittig der Label-Rouge-Lachs mit Kürbiseis und Vinaigrette an, doch die ultimative Krönung ist der mit Texturen von grünem Apfel und Mandelcrème abgeschmeckte Taschenkrebs – eine Eingebung, wie sie einem höchst selten zuteil wird. Wen diese kulinarische Visitenkarte nicht zu beeindrucken vermag, der muss aus Stein sein!
Die Brotauswahl vom reichlich bestückten Wagen lässt ebenfalls keine Wünsche offen und verdeutlicht einmal mehr die Exzellenz auf allen Gebieten hier. Ganz klassisch reicht man Butter, welche vom Service bei Bedarf am Tisch nachgesalzen wird.
Rituale und Signature Dishes spielen im Vergleich zum Ausland gemäß meiner Wahrnehmung in deutschen Topadressen eine immer noch vergleichsweise geringe Rolle; dennoch kann es keinen Zweifel geben, dass ein Besuch hier ohne die (wenn auch zuschlagspflichtige) kleine Torte vom Rinderfilet-Tatar, N25-Kaviar und Kartoffelrösti einfach undenkbar wäre. Dieser Klassiker unter Klassikern – dem ich schon etliche Elogen gewidmet habe – altert kein bißchen, weil seine kluge Reduktion auf das Wesentliche auch vierzig Jahre nach seiner Erfindung durch Helmut Thieltges immer noch Maßstäbe zu setzen vermag. Allerbeste Produkte, perfekte Konsistenz, die richtige Temperatur – Genießerherz, was willst du mehr?
Nach dieser obligatorischen Einleitung setzen wir die kulinarische Reise mit sautierten Langoustines „Royal“ aus Loctudy fort. Die untadelige Referenzqualität der Hauptprodukte war schon immer ein Markenzeichen des Hauses, doch die Begleitung entpuppt sich als ebenbürtig: ein Kompott von Physalis und geschmorter Spitzpaprika setzt gekonnte süßliche Akzente, doch gleichzeitig toppen dieselben Produkte auch das zarte Prachtexemplar in der Mitte des Tellers. Die zutiefst elegante Nage von Krustentieren und orientalischen Gewürzen schließlich lässt den Teller regelrecht schweben: sehr bekömmlich, alles andere als zu schwer und von einer selten gelungenen Veredelung. Ein Meisterwerk!
Äußerst knapp gegrilltes Wagyu A5 vom Kagoshima-Rind entfaltet im nächsten Gang wunderbar tiefe Röstaromen, wobei der sehr präsente Säureschub durch Vinaigrette von gereifter Sojasauce dramaturgisch harmoniert. Ganz puristisch und recht traditionell inszeniert, reichen etwas Nussbutter und Sesam schon aus, um ein erneut großartiges Gericht perfekt abzurunden. Die kurze Verweildauer auf dem Grill ist mir als Zubereitungsart noch nicht so häufig untergekommen, doch geschmacklich öffnen sich hier neue Türen, hinter denen der aromatische Facettenreichtum dieses Luxusfleischs bestaunt werden kann.
Als nächstes interpretiert die Küche sanft gegarten Steinbutt aus der Vendée mit leichtem Biss und überaus saftig. Seinen Reiz bezieht dieser Gang hauptsächlich durch die filigrane Würze von Anis und iranischem Safran, doch die Bouchot-Muscheln aus dem bretonischen Saint-Brieuc will ich hier natürlich nicht übergehen. Die vielleicht überraschendste Komponente des Ganges, nämlich sanft geschmorter Fenchel, setzt wohldosierte vegetabile Akzente, ohne dabei das Gericht aus der Bahn zu werfen. Die leichte Nage ist zudem vollkommen ausgewogen und verleiht dem Gericht eine ganz natürlich anmutende Harmonie – einmal mehr ein unbeschwerter Genuss mit hohem Suchtfaktor.
Ein Lieblingsprodukt der Küche des Sonnora ist seit eh und je der Rehrücken aus der Eifler Jagd, aber trotz der relativ regelmäßigen Verwendung gehen dem Grand Chef die Ideen offenbar niemals aus, wie man Wildgerichte stets neu, immer wieder ansprechend und ohne jede Forciertheit interpretieren kann. Hier wird das Reh mit einem Buchweizen-Crêpe umspielt, der als Farce nichts weniger als gebratene Foie Gras enthält. Doch damit nicht genug: in dem Umfeld aus Pistazien-Gremolata tritt die Gänseleber noch in weiteren Varianten auf, welche allesamt ihre Berechtigung haben und zusammen mit Orangenaromen ein faszinierendes Geflecht an geschmacklichen Eindrücken ergeben. Gebettet ist die Kreation auf einer klassischen Sauce Rouennaise von mittlerer Intensität – was angesichts der vergleichsweise üppigen Begleitung durchaus Sinn macht. Ich zolle der Küche meinen Respekt, dass es ihr einmal mehr gelungen ist, trotz einer neuen Auslegung ein völlig stimmiges und richtig starkes Gericht zu ersinnen, welches ein echtes geschmackliches Statement setzt.
Monreal-Clementine erweist sich trotz des aromensatten Hauptgangs als ein alles andere als zurückhaltendes Pré-Dessert von ungeahnt intensiver Fruchtigkeit. Dieser mit diversen Texturen der Clementine und etwas Meringue umgesetzte, eiskalte Einschub entpuppt sich als sehr erfrischend, wobei dies an einem regnerischen und sehr kühlen Novembertag schwerlich notwendig gewesen wäre. Dank winterlicher Gewürze wird daraus ein recht kraftvoller Einfall von fast schon forschem Geschmack: was anderswo als Kritik zu verstehen wäre, ist hier dagegen dank der perfekten Umsetzung eine reizende Aufwertung eines ohnehin schon überragenden Desserts, dem keine Spur von Langeweile anhaftet. Superb!
Um einiges traditioneller geht es dagegen bei Baba au rhum zu, welcher auf Wunsch mit einem Zerstäuber besprüht wird, dessen Inhalt ein 20 Jahre alter Rum von Cadenhead ist. Die Güte des französischen Klassikers steht außer Frage, doch den letzten Feinschliff erfährt dieser Teller durch Crème Chantilly (süßliche Schlagsahne), ein unfassbar gutes Crème-Eis von Tahiti-Vanille und Würfel von gegrillter und marinierter Ananas. Dank der einzigartigen Qualität der Produkte braucht auch ein vergleichsweise simpel konzipiertes Dessert wie dieses kein Chichi, um voll einzuschlagen. Die hier gelebte Klassik bewegt sich im Sonnora praktisch unentwegt am Rande der Perfektion und lockt vollkommen zurecht scharenweise Gäste von weit her.
Unter den generösen Petits fours, die einen unvergleichlichen Nachmittag abrunden, finden sich ein Schoko-Baignet, Schokonüsse, eine Opéra-Schnitte, eine Himbeer-Praline, ein Topfenbällchen auf Marillenkompott, Limettenschaum mit Mango, Choux au caramel (Windbeutel mit Karamel), eine Ananastarte mit Kokos und schließlich ein Mangotartelette – logisch, dass dieser Ausklang dort nahtlos anknüpft, wo das Dessert zuvor aufgehört hatte. Man muss sich nochmals vergegenwärtigen, dass hier entgegen aller Plausibilität und abseits aller Großstädte absolute Weltklasse zelebriert wird, welche inzwischen in Stein gemeißelt ist – ein Umstand, der mir allerhöchste Anerkennung abringt.
Es ist ungeheuer befriedigend, erleben zu dürfen, welch astronomisch hohes Niveau Clemens Rambichler hier binnen fünf Jahren als Grand Chef erreichen konnte: seine Profession hat er vollkommen verinnerlicht und seine Leidenschaft in gänzlich unaufgeregten, aber großartigen Tellern voll auf den Gast übertragen. Dass dieser an solch einem Erlebnis überhaupt teilhaben darf, ist schon für sich genommen als eine bedeutsame Ehre zu verstehen. Die Souveränität, mit der hier inzwischen vollkommen gelassen wirkende, ganz und gar klassische Teller kreiert werden, ist schlichtweg atemberaubend. Das Maß an Präzision, geschmacklicher Tiefe und harmonischer Balance allein gerät schon unfassbar gut, wird es doch stets so zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk umgesetzt. Da gelangt nichts Überflüssiges auf den Teller, da werden hervorragende Produkte ohne jedwede Verfälschung in allerbestem Lichte präsentiert, und wie selbstverständlich werden auch neue Kreationen ersonnen, die Helmut Thieltges von seinem Ehrenplatz im Himmel aus noch mit der Zunge schnalzen lassen würden. Clemens Rambichler hat klugerweise an den Grundwerten dieser erzklassischen Veste nicht gerüttelt und trotzdem das Lokal mit einem nicht für möglich gehaltenen Elan in die Gegenwart geführt. Vollkommen zurecht zählen nicht wenige internationale Gourmets diese Institution abseits aller Touristenpfade inzwischen zu den zehn besten klassischen Restaurants der Welt.
Um eine solche Anerkennung erlangen zu können, finden hier nur allerbeste Produkte den Weg auf die Teller. Mit einer geradezu fanatischen, an Eckart Witzigmann erinnernden Besessenheit werden ungenügende Produkte aussortiert – der Gast kann sich somit sicher sein, nur handverlesene Ware allerbester Güte vorgesetzt zu bekommen, die schon ohne jedwede Veredelung zutiefst beeindrucken würde. Die Kunst dieser Küche besteht eben darin, die begleitenden Akzente so zu gestalten, dass die Luxusprodukte nicht kaschiert und trotzdem noch bereichert werden – eine Fertigkeit, die in dieser Form nur die wenigsten Chefs beherrschen. Die ikonische Torte mit Rindertatar mag als Beispiel für eine extreme Reduktion auf das Wesentliche herhalten, die Teil des Zaubers der Gerichte in dieser Institution ist. Klassiker wie Baba au rhum werden mit gebotener Demut und Fokussierung auf den reinen Geschmack präsentiert, und das nur denkbar knapp gebratene Wagyu wird fast spartanisch begleitet – so überzeugend gerät es in seiner Qualität, dass viele Begleiter daneben einfach verblassen würden. Selbst wenn mal ein vergleichsweise profanes Produkt wie der Eifeler Rehrücken verwendet wird, bedarf es auf dem Weg zum Olymp nicht viel mehr als Gänseleber von schlichtweg umwerfender Konsistenz und der traumhaftesten Sauce Rouennaise, die sich nur vorstellen lässt. Trotz inzwischen einiger Besuche hier konnte ich noch nie eine Disziplin der Hochküche hier ausmachen, bei der Clemens Rambichler nicht reüssiert hätte. Seien es nun Saucen oder Garzeiten – es wirkt, als sei diese Küche nahezu unfehlbar.
Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: besser kann man derzeit nicht klassisch in Deutschland essen. Der Service und die Weinkarte lassen ebenfalls praktisch keine Wünsche offen, so dass dieses Fazit mehr als eindeutig einfällt. Wir sollten uns glücklich schätzen, dass diese legendäre Institution der deutschen Spitzenküche dank der Weitsicht der Betreiber auch für die nächsten Jahrzehnte bestens aufgestellt zu sein scheint und uns hoffentlich noch viele unvergleichliche Genussmomente bescheren wird.
Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten
Sonnora
Auf’m Eichelfeld 1
54518 Dreis
Tel.: 06578/98220
www.hotel-sonnora.de
Guide Michelin 2022: ***
Gault&Millau 2022: 5+ Toques
GUSTO 2023: 10 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2022: 5 F
8-gängiges Menü (ohne Aufpreise): € 268
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„Klassik ist die wahre Kunst. Das ist die Basis von allem. Modern kann sich jeder nennen, der mit Gewalt was anderes machen will.“ (Helmut Thieltges)
UPDATE (September 2020)
Drei Jahre ist das Ableben des legendären Chefs Helmut Thieltges nun schon her. Bei unserem damaligen Besuch kurz nach diesem unseligen Ereignis trieb Ulrike Thieltges, die Witwe des Chefs, vor allem die Angst um, man könne hier nun den dritten Michelin-Stern verlieren. Nichts von alledem ist jedoch eingetreten – und die gar nicht so unbegründete Furcht von damals erscheint im heutigen Lichte betrachtet als vollkommen obsolet. Hauptsächlich ist dies das Verdienst von Clemens Rambichler, Thieltges‘ damaligem Souschef: die vollkommene Verinnerlichung der kulinarischen DNA seines verstorbenen Chefs hat der junge Grand Chef inzwischen behutsam um eigene Gerichte bereichert und so dafür gesorgt, dass die Gästeschar hier nach wie vor reichlich eintrudelt und sie dabei jederzeit die Gewissheit genießt, hier die allerbesten Produkte in luxuriöser Pracht aufgetischt zu bekommen. Langjährige Klassiker blieben dabei unangetastet, doch auch neuere Gerichte sind nach wie vor durchdrungen von all den Qualitätskriterien, die dieses Lokal schon immer ausgezeichnet haben.
Das wohl meistzitierte Diktum eines deutschsprachigen Kochs überhaupt – Eckart Witzigmanns „Das Produkt ist der Star“ – ziert die Homepage des Lokals. Während in den allermeisten Fällen hinter der Wiedergabe dieses Spruchs allerdings kaum mehr als eine oberflächliche Aufhübschung steckt, die sich eben gefällig anhört, wird dieses Motto hier dagegen wahrlich immer noch bis in die letzte Pore gelebt und umgesetzt. Wer hier einkehrt, darf sich auf die Reinkarnation einer erzklassischen Hochküche, die allerdings kein bißchen angestaubt wirkt, freuen. Kein Wunder, dass man nach Neuerungen lechzende Foodblogger hier gar nicht zu Gesicht bekommt. Erstaunlich dagegen, dass am Nebentisch eine sechsköpfige Familie aus den Niederlanden mit zwei Kindern um die 10 und 15 Jahre Platz nimmt und die Erziehung der Kinder offenbart so gut funktioniert, dass der Verzehr dieser Speisen nicht als Strafe, sondern als Belohnung empfunden wird und selbst das omnipräsente Smartphone weitgehend in der Tasche bleibt. Mustergültig!
Das achtgängige Mneü zu € 230 liest sich absolut verlockend, so dass unsere Wahl schnell getroffen ist. Wesentlich schwerer fällt da die Entscheidung, ob man auch die zwei attraktiven, aber zuschlagspflichtigen Alternativen zu den eigentlichen Gängen wählen soll. Da wir hier schließlich nicht jeden Tag in der südlichen Eifel vorbeischauen und dies der letzte Ort für Sparsamkeit ist, entscheiden wir uns für beide Upgrades und sollten es – soviel vorweg – natürlich nicht bereuen.
Bereits der Einstieg mit einer individuell zusammenstellbaren Brotauswahl vom reichhaltigen Brotwagen gerät großartig, zumal die Echiré-Butter von allerbester Konsistenz ist und die Brotauswahl selbst keine Wünsche offen zulässt, da das Brot erst am Tisch abgeschnitten wird.
Zum Einstieg nehme man das Silberbesteck und führe es langsam an das erste Amuse heran, das diesmal aus einer gelierten Gazpacho mit Gurken-Sauerrahm und Mousse von weißen Strauchtomaten besteht. Dies ist ein luftig-leichter und regelrecht betörender Anstieg, wie gemacht für diesen schwülen Sommerabend. Das Sonnora wäre allerdings nicht das Sonnora, wenn nicht umgehend ein Edelprodukt bereits das erste Ausrufezeichen setzen würde. Die sorgsam versteckten Crevetten punkten mit idealem Biss und bestmöglicher Zubereitung. Dieser voll auf Understatement setzende Einstieg hat bereits mehr Aussagekraft und geschmackliche Tiefe als anderswo ein ganzes Menü. Grandios!
Kaum weniger beeidruckend geraten die Gillardeau-Auster Nr. 3, arrangiert an einem Bouquet von Gurke und Dill, der Label-Rouge-Lachs an Wasabi und Ingwer sowie die Krustentierpraline an einem wunderbar fruchtig-würzigen Mango-Chutney und frittierten Fäden. Die äußerst stimmige Balance aller drei Kompositionen sowie das Maß an geistiger Durchdringung, das darauf abzielt, die Komponenten im besten Licht erscheinen zu lassen, waren seit jeher Merkmale dieses Lokals, doch selten habe ich dies in deutlicherer Form als diesmal wahrgenommen. Bereits diese Einstiege künden von einem großartigen Abend, der uns da bevorsteht.
Und wie könnte man den offiziellen Auftakt des Menüs würdiger einläuten als mit dem mutmaßlich größten Klassiker der Haute Cuisine von ganz Deutschland? Natürlich mit der kleinen Torte vom Rinderfilet-Tatar mit Impérial-Kaviar und Kartoffelrösti. Aus gutem Grund und seit mehr als dreißig Jahren steht dieses unnachahmliche Signature Dish auf der Speisekarte. Kein Wunder: die Reduktion auf das absolut Wesentliche, die überragende Qualität aller Einzelkomponenten und die harmonische Zusammenführung von edelsten mit einfachsten Produkten (Kaviar und Rösti) überzeugt bis zum heutigen Tag. Das denkbar knusprigste Rösti, 20 Gramm des wunderbar jodigen Kaviars, das opluenteste Tatar weit und breit sowie die ideal abgeschmeckte Crème fraîche machen aus dieser Eingebung zurecht ein kleines Festmahl, für das man den nicht ganz billigen Aufpreis bereitwillig zahlt. Fragt sich nur, wo die Küche die restliche Torte versteckt hat …
Bretonischer Hummer mit jungem Gemüse und mit indischem Curry aromatisierte Champager-Nage ist, obwohl ein Klassiker des Hauses, eine echte Sensation, die ich hier bislang noch nicht verkosten durfte. Was mir da entgangen ist: das zarteste Hummerfleisch weit und breit in einem höchst sensibel arrangiertem Bouquet von Gemüse wie Blumenkohl und Karottenstiften. Die absolute Krönung ist jedoch die Champagner-Nage, die leicht sämig ist und eine Fruchtigkeit erlangt, die so diffizil gerät, dass ihre Herstellung mit einem gigantischen Arbeitsaufwand verbunden sein muss. Außerdem gibt es noch à part (nicht im Bild) eine Hummerbisque von so erdigem Charakter, dass ich wohl kaum jemals eine bessere irgendwo bekommen werde. Dieser Teller ist Weltklasse bis ins letzte Detail. Zum Dahinschmelzen!
Sauté vom Kalbsbries flankiert die Küche diesmal mit schwarzem Wintertrüffel, gehobelten Champignons, Vin Jaune und Tropfen von Petersilien-Jus. Auch dieser Gang, der den Herbst bereits vorwegzunehmen scheint, überzeugt uns voll und ganz. Zum einen ist das Bries intensiv und so festfleischig wie sonst kum irgendwo. Zum anderen wurde die Aromenwelt zweier doch ziemlich unterschiedlicher Pilze harmonisch verquickt. Damit das opulente Gericht nicht zu sehr von erdigen Aromen dominiert wird, ist der leicht säuerliche Schaum von Vin Jaune ein geradezu idealer Begleiter, der dem Gericht entwaffnende Leichtigkeit verleiht. Wie feinsinnig all diese Komponenten ausbalanciert werden, ist dabei vielleicht das größte Wunder an diesem Gang.
Ein weiterer Produktklassiker, dessen Vorzüge hier in schöner Regelmäßigkeit zelebriert werden, ist der Steinbutt aus der Vendée in Referenzqualität – unendlich saftig, zart sowieso und mit ganz leichtem Biss. Diesmal wurde er flankiert von etwas Kartoffelmousseline, die eine Vielzahl von Kräutern sowie Blattspinat umrahmte. Zwischen Kerbel, Basilikum und Estragon ragt die Minznote für meinen Geschmack ein wenig zu sehr heraus – mit etwas weniger prominent eingesetztem Grün wären die Qualitäten des Fischs vielleicht noch besser zur Geltung gekommen, doch auch so bleibt dies nur eine ganz leise und verhaltene Kritik – und die praktisch einzige bisher an diesem Abend.
Der zweite Aufpreis wird für das Hauptgericht fällig, denn Filet vom Kagoshima-Rind (der höchsten Marmorierungsstufe A5) gilt als das teuerste Rindfleisch der Welt. Japan exportiert jährlich nur 300 der insgesamt 3.000 pro Jahr gezüchteten Rinder ins Ausland – die überaus strengen Auflagen und Qualitätskontrollen wirken sich natürlich auf das Endergebnis (und den Preis) entsprechend aus. Allein das Bild verrät schon, von welch wunderbarer Farbe und welchem Fettgehalt diese Tranche durchdrungen ist. Getoppt wird dieses Prachtexemplar fast beiläufig von einer überaus generösen Portion an gebratener Gänseleber, garniert mit Trüffelstiften sowie Texturen von Blumenkohl und platziert auf einer getrüffelten Sauce von elementarer Wucht. WItzigmanns Diktum auf der Homepage des Lokals (siehe oben) findet hier seine konsequenteste Entsprechung, denn mit Luxusprodukten dieses Kalibers ist gut zaubern. Die Strahlkraft der Viktualien setzt natürlich bestes Handwerk voraus, was in diesem Haus fast wie eine bessere Fingerübung anmutet. Viel luxuriöser als diese Darbietung kann ein Gericht kaum sein. Das ist so nahe an der kulinarischen Vollendung, dass ich all diejenigen, die mit dem Eifeler Rehrücken zum Hauptgang Vorlieb nahmen, nur bedauern kann: hier werden selbst hartgesottene Gourmets ganz sensibel.
Trotz der derzeitigen Einschränkungen offeriert der gute alte Käsewagen eine Auswahl, die nur eine Handvoll Restaurants weltweit noch überbieten. Die in Referenzqualität vom Elsässer Käse-Großmeister Maître Antony zusammengestellte Auswahl auf dem Wagen lässt keine Wünsche offen und hat für jeden etwas zu bieten. Weichkäse und Hartkäse aus allerlei Milchsorten, von mild bis würzig, von cremig bis spröde – es ist einfach alles dabei und wird zudem mit den Trauben und dem Feigensenf auch noch wunderbar auf den Teller gezaubert. Auch meine Lieblingssorte, der getrüffelte Weichkäse Brillat Savarin, ist im Angebot und darf natürlich nicht auf dem Teller fehlen. Die reine Wonne!
Der relativ schwächste Gang (diese Aussage ist mit äußerster Vorsicht zu genießen) ist das Pré-Dessert, das sich allerdings der schwierigen Aufgabe stellt, praktisch nur ein Produkt in allen Facetten zu beleuchten. Das Melonensorbet auf einem Süppchen von geeister Melone sieht harmlos aus, doch die Zerbinati-Melone aus der Lombardei punktet mit intensivem und unverfälschtem Geschmack – vielleicht lediglich auf Dauer ein Tick zu eintönig.
Opulenz bis zum letzten Gang versprüht auch das Dessert: Délice von Mara de Bois-Erdbeeren mit Fromage blanc, Joghurteis und Holunderblüten-Sabayon ist so wunderbar austariert zwischen animierender Säure und dezenter Süße wie man es sich nur wünschen kann. Wer solche prächtigen Erdbeeren auftischt, der braucht auch nicht viel Aufhebens auf dem Teller darum machen. Dieses Gericht braucht kein Chichi und kommt mit der denkbar größten Frische aus, um bleibende Erinnerungen zu kreieren. Spätestens jetzt dürfte Helmut Thieltges von seinem Tribünenplatz im Himmel aus seinen Segen an Clemens Rambichler erteilt haben. Was für eine beeindruckende Darbietung!
Doch halt, da wären ja noch die Petits fours – diese geraten erwartungsgemäß erzklassisch, aber das makellose Handwerk verdient dennoch alle Anerkennung: Himbeeren auf Baiser (ganz hinten), Schoko- und Kaffeepralinen (davor), dann ein Mokka-Törtchen (links daneben), kandierte Kalamansi (davor), mit Kakao ummantelte Mandeln (davor), Zitronen-Tarte (rechts) und als geniale Krönung ein Pfefferrahmeis mit marinierter Feige (vorne). Das ungewöhnliche Geschmackserlebnis des letztgenannten Beitrags hallt noch lange am Gaumen nach, da die gekonnte Mischung aus feiner Würze und Fruchtigkeit ideal gelingt. Ein vollkomen würdiger Abschluss eines exzellenten Abends!
Teil des Zaubers im Waldhotel Sonnora ist allein schon das Retro-Ambiente, in dem man hier tafelt. Viel Blattgold, reichlich Ornamentik, schwere Vorhänge und edelstes Silberbesteck – während all dies anderswo als überkommen empfunden würde, gehört es hier immer noch zum guten Ton. Außerdem schafft man hier noch wie selbstverständlich Habitate für bedrohte Arten wie Käsewagen oder gar Brotwagen – fehlt nur noch die Entenpresse! All das, was hohe Tafelkultur einst ausmachte, kann man hier noch finden – die Gerichte dagegen gehen glücklicherweise behutsam mit der Zeit, selbst wenn die liebgewonnenen Klassiker natürlich schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Solche zeitlosen Gerichte auf der Karte zu haben, die nie langweilig werden, darf sich nur erlauben, wer absolut makellose Produkte offerieren kann. Genau diesem Anspruch gegenüber hat sich das Sonnora jedoch schon seit Jahrzehnten verpflichtet – was es zur klassischsten aller Spitzenadressen in der Republik macht.
Auch für die Serviceleistung ist jedes noch so große Lob kaum ausreichend. Der überaus aufmerksame und diskret agierende Service trifft immer den richtigen Ton, nimmt unerfahrenen Gästen mit Leichtigkeit die Scheu vor der vermeintlich spießigen Umgebung und kann in allen Belangen angemessene Auskünfte erteilen. Gekrönt wird diese Leistung durch das grandiose Dirigat von Ulrike Thieltges, die als Grande Dame den Service anführt und eine stets herzliche sowie einfühlsame Gastgeberin wie aus dem Bilderbuch ist.
Lange habe ich gerungen, ob ich diesem Abend die Höchstnote vergebe – und mich letztlich dafür entschieden, obwohl mir zwei, drei Gänge auf Dauer ein wenig zu gefällig erschienen und Überraschungen im Wesentlichen ausblieben. Das wurde selbstverständlich überreichlich anderweitig kompensiert, so dass die letztlich von mir vergebenen 20 Punkte dennoch mehr als gerechtfertigt erscheinen. Mit anderen Worten: fraglos eine Weltklassedarbietung, die nur knapp an einer genuinen Sternstunde vorbeischrammt. So oder so gehört das Sonnora für mich zu den besten fünf Restaurants in Deutschland. All das hat selbstverständlich seinen Preis, ist aber angesichts der durchweg überragenden Produktqualität und der makellosen Zubereitung mehr als gerechtfertigt, zumal das Sonnora unter den Drei-Sterne-Restaurants in Deutschland immer noch zu den preiswerteren gehört. Ein besseres klassiches Essen als im Sonnora werden Sie sowieso in ganz Deutschland definitiv nicht finden.
Man kann es kaum anders formulieren: die Darbietungen hier erweisen sich als Lehrstunde für all diejenigen Köche, die meinen, das Rad neu erfinden zu müssen. Wer etwas über klassische Tugenden und Küchentechniken lernen will, muss einfach hier gewesen sein!
Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten
Sonnora
Auf’m Eichelfeld 1
54518 Dreis
Tel.: 06578/98220
www.hotel-sonnora.de
Guide Michelin 2020: ***
Gault&Millau 2020: 19,5 Punkte
GUSTO 2020: 10 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 5 F
8-gängiges Menü (ohne Aufpreise): € 230
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November 2017
Das malerisch und versteckt gelegene Hotel im Herzen der Eifel wirkt von außen so unscheinbar wie eh und je, hat jedoch eines der allerbesten Restaurants von Deutschland zu bieten. Unter der Leitung des im Juli 2017 plötzlich und viel zu früh im Alter von nur 61 Jahren verstorbenen Helmut Thieltges (siehe mein damaliges Essay) erlangte das Haus erstmals 1999 drei Michelin-Sterne und bestätigte diese seither ohne Unterbrechung. Auch der stets kritische Gault&Millau vergab bis zuletzt die Höchstnote von 19,5 Punkten, die derzeit ganze fünf Lokale in Deutschland innehaben. Nun hat sich Clemens Rambichler, ehemaliger Sous-Chef unter Helmut Thieltges, dankenswerterweise bereit erklärt, das Restaurant weiter im Sinne des Ausnahmekochs zu führen und zusammen mit dessen Ehefrau Ulrike Thieltges den Hotelkomplex samt Restaurant am Leben zu erhalten. Ob Rambichler den dritten Stern halten kann, war natürlich die entscheidende Frage, als der neue Guide Michelin 2018 am 14. November erschien – Auflösung unten.
Nirgendwo in Deutschland isst man jedenfalls so konsequent klassisch wie in dieser Veste des guten Geschmacks. Die durch und durch französisch inspirierte Küche wurde unter Thieltges stets behutsam ein wenig den Bedürfnissen der Zeit angepasst, ohne dabei irgendwelchen modischen Mätzchen zu verfallen. Das Credo von Thieltges bestand stets in barocker Opulenz auf höchstem Niveau und der kompromisslosesten Produktqualität, die es überhaupt nur geben kann. Außerdem bezeichnete Thieltges jeden Koch als „modern, […] der mit Gewalt was anders machen will.“ Folgerichtig wurde auch das Restaurant selbst feudal und mit ausladender Pracht eingerichtet: schwere Vorhänge, kostbare Teppiche, blütenweißes Leintuch und Silberbesteck vom Feinsten. Auf manche mag diese „old school“ wie aus der Zeit gefallen wirken, aber die Küche bewies bis zuletzt, dass sie – genau wie der Weinkeller – höchsten Ansprüchen genügen konnte. Regelmäßig Gäste aus Frankreich, Luxemburg und Belgien begrüßen zu können spricht da eine deutliche Sprache, und auch mein erster Besuch im Mai 2016 rangiert immer noch auf Platz 2 meiner Liste der besten Restaurantbesuche aller Zeiten. Gespannt erwarten wir, ob der noch nicht einmal 30-jährige Nachfolger des Grand Chefs nach dezenter Modernisierung strebt oder ob möglichst wenig verändert werden soll.
Bereits die ersten Küchengrüße beantworten diese Frage schon recht eindeutig. Ob nun Vichy-Soisse mit Räucheraal und Kaviar oder mit Holunderblütenvinaigrette marinierte Gillardeau-Auster mit Minze – das alles lässt vielleicht nicht die Herzen der so vielen nach Neuerungen lechzenden Foodies höher schlagen, aber dafür diejenigen, die schnörkellose Hochküche auf höchstem Niveau noch zu schätzen wissen. Selbiges gilt auch für die Praline von Edelfischen mit Mangochutney und das Thunfischtatar, die beide den Reigen der Einstimmungen eindrucksvoll beschließen. Die Brotauswahl ist nicht besonders vielfältig, aber die Echiré-Butter ist von höchster Qualität und tröstet darüber locker hinweg.
Der Gast hat sodann die Wahl zwischen einem mehrgängigen Menü und ca. 15 Gerichten à la carte. Wir entscheiden uns für die letztere Variante und wollen die Klassiker des Hauses noch einmal richtig würdigen. Derzeit hat das Lokal übrigens nur sonntags auch mittags geöffnet, aber in puncto Preis oder Umfang der angebotenen Speisen gibt es keinen Unterschied.
Es geht also los mit dem Klassiker unter Klassikern: kleine Torte vom Rinderfilet-Tatar mit Imperial Gold Kaviar auf Kartoffelrösti. Das Gericht steht praktisch immer auf der Karte, weil etliche Gäste eigens dafür anreisen und enttäuscht wären, wenn es nicht angeboten würde. Aus gutem Grund: diese Kreation gehört zu den bekanntesten der Haute Cuisine in ganz Deutschland und schaffte es sogar als Bild auf die Seite von Helmut Thieltges in einer berühmten Online-Enzyklopädie. Die kleine Torte vereint das Beste von Acker, Weide sowie Fluss und verkörpert alle Tugenden von Thieltges‘ Philosophie auf engstem Raum: Klarheit in der Präsentation, unerhörte geschmackliche Tiefe und Reduktion auf das Wesentliche. Bei solcher Qualität sieht man auch über den stolzen Preis gerne hinweg …
Consommé double vom Ochsenschwanz mit Ravioli von Entenstopfleber ist ein weiteres vortreffliches Beispiel für französische Zurückhaltung und Fokussierung auf das Wesentliche. Die handwerklich großartigen Ravioli im tiefen Teller werden natürlich erst am Tisch mit der Consommé aufgegossen, von der Ulrike Thieltges auch gerne nochmals generös nachschenkt. Die Consommé ist eine Wucht, denn ihre Tiefe dürfte bis in die untersten Schichten der Vulkaneifel reichen …
Nach den eher puristischen Vorspeisen wird nun die große Genussoper präsentiert: Seezunge und Medaillons von bretonischem Hummer auf Pinienspinat mit Sauce Pomerol und Chablis-Crème. Die großzügigen Tranchen der Seezunge werden vom Hummer in perfekter aromatischer Harmonie genial drapiert, während der Spinat einen kräftigen Kontrast setzt und dennoch dem komplexen Spiel der alkoholischen Komponenten allen Raum zur freien Entfaltung lässt. Die Fülle an hinreißend austarierten Aromen ist schon beeindruckend, aber die fantastische optische Präsentation setzt dem Gericht noch die Krone auf.
Sorbet und Kompott von Mandarine mit geflämmtem Tahiti-Vanille-Schaum als Pré-Dessert ist eine wunderbare Hommage an vergangene Zeiten. Die phantastische Vanille verleiht dem Gericht eine aristokratische und edle Note.
Den Reigen beschließt Topfen-Soufflé auf geliertem Orangen-Physalis-Kompott. Das Dessert ist schwerlich als neuartig zu bezeichnen, aber angesichts der gebotenen Qualität stört mich das in keinster Weise. Das Soufflé gerät perfekt, und das elegante Süße-Säure-Spiel zwischen Orange und Physalis ist die pure Lust am Genuss. Warf man der Küche bei den Desserts oft eine etwas eindimensional wirkende geschmackliche Ausrichtung aus, so kann man dies von dieser Kreation schwerlich behaupten.
Die Petits fours sind – wie kaum anders zu erwarten – ebenfalls alte Schule, was aber in keiner Weise minderwertig wirken soll. Wirken die gefüllten Pralinés per se etwas altmodisch, so machen sie dies durch ihre handwerkliche Qualität locker wieder wett.
Der Service unter der Leitung der Neu-Witwe Ulrike Thieltges agiert aufmerksam und recht förmlich, ohne dass dabei die Lockerheit allerdings zu kurz käme. Frau Thieltges selbst ist die charmante und aufmerksame Gastgeberin geblieben, die sie immer war, und auch Sommelière Magdalena Brandstätter hat ihren Job voll verinnerlicht. Ach ja: normalerweise sind die Toiletten kaum eine Erwähnung wert, aber wer sie in diesem Haus nicht mindestens einmal aufsucht, hat etwas verpasst. Weshalb? So einen Wasserhahn haben sie noch nie gesehen …
Wie geht es nun weiter mit diesem Haus? Das ruhig gelegene Hotel selbst ist edel und elegant eingerichtet, kann aber sein Alter nicht verleugnen, da der Stil der Inneneinrichtung doch deutlich an die 60er-Jahre erinnert. Die Küche selbst ist auch unter dem neuen Chef Clemens Rambichler zunächst so klassisch geblieben wie sie es immer war – es gab wirklich keinerlei Abstriche zu bemängeln. Wer nach Dreis fährt, hat offensichtlich eine gewisse Erwartungshaltung, die befriedigt werden will: makellose Qualität, Opulenz und Klassik in Vollendung. Keine Frage – Rambichler liefert dies alles, und doch muss die Frage erlaubt sein, ob es immer so weiter gehen kann: will ein 28-jähriger Koch wirklich ein Leben lang in diesem erzkonservativen Stil weiterkochen und die Dynamik moderner Techniken einfach ignorieren? Wie will ein altehrwürdiges Haus wie dieses eine neue Gästeklientel gewinnen, wenn es so wenig bietet, was auch die jüngere Generation anspricht? Keinesfalls mangelt es dieser Institution an Stammgästen, aber jünger werden diese nun mal auch nicht.
Der berühmte rote Guide hielt auch für 2018 an den drei Sternen fest, aber mittelfristig ist die Diskussion über eine Neuausrichtung dieses Restaurants unumgänglich, wenn nicht am Ende der Geschichte die vorzeitige Schließung stehen soll. Bis dahin kann man allerdings – zumindest sofern es das Portemonnaie zulässt – weiterhin guten Gewissens und unbeschwert in großen Genussmomenten schwelgen, denn zu dem besten Dutzend Restaurants in deutschen Landen zählt das Lokal nach wie vor allemal.