„Was ich nicht gelernt habe, habe ich erwandert.“ (Johann Wolfgang von Goethe)
UPDATE (März 2024)
Spätestens seit der Transformation der Burg Wernberg von einem Hotel samt Gourmetrestaurant zu einer Klinik im Jahre 2019 hat das mitten auf der Oberpfälzischen Seenplatte gelegene mondäne Resort Der Birkenhof endgültig die kulinarische Pole Position in der Region übernommen. Mit einer höchst effektiven Neuverteilung der Rollen wurde zudem vor wenigen Jahren der Grundstein für einen erfolgreichen Weg in die Zukunft gelegt: seitdem Hubert Obendorfer den Kochlöffel an Filius Sebastian übergab und sich fortan um das operative Geschäft kümmerte, profitierte das luxuriöse Anwesen auf allen Ebenen von dieser Maßnahme. Was einst als schmuckes, kleines Refugium begann, wächst heute noch immer und orientiert sich voll am Puls der Zeit. Zum einen erwarten den Gast praktisch jedes Jahr neu hinzugekommene Annehmlichkeiten wie ein weiter ausgebauter Spabereich, zum anderen tut sich jedoch auch weiterhin etwas im kulinarischen Aushängeschild des Anwesens, dem zweifach besternten Eisvogel. Nach der Übernahme des Chefkochpostens führte Mittdreißiger Sebastian Obendorfer das Lokal rasch zum zweiten Michelin-Stern und strebt seither unverkennbar nach Höherem. Ganz im Einklang mit diesen Ambitionen steht auch die Tatsache, dass es zwischen meinem letzten und dem aktuellen Besuch eine neue Küche gab, die nun weitaus großzügiger gestaltet ist und deutlich mehr Optionen als ihre Vorgängerin bietet. Am Ende meiner Visite werde ich übrigens eingeladen, mir einen persönlichen Eindruck davon zu verschaffen und kann somit aus erster Hand bestätigen, dass es hier weiter aufwärts gehen soll.
Der Gang zum Restaurant an der Rezeption vorbei erscheint wie immer, doch das gegenüber früheren Zeiten inzwischen in Grautönen gehaltene Ambiente des Lokals wirkt einerseits entschlackter, aber andererseits auch ein wenig unnatürlicher als die bräunliche Vorgängervariante – ich bin mir ehrlich gesagt unschlüssig, welche Variante mir im Zweifel besser zusagen würde. Geblieben sind dagegen der begehbare, gläserne ovale Weinschrank in der Mitte des Raums sowie der Blick durch die großzügige Fensterfront auf das an diesem Abend in Magentatönen erscheinende Abendrot über der Seenplatte. Eine Neuerung stellen dagegen die Kärtchen mit erläuternden Informationen dar, die zu jedem Gang in einen eigens dafür vorgesehenen kleinen Ständer auf dem Tisch gesteckt werden – eine nach wie vor seltene, wenngleich nicht gänzlich neue Praxis, die beispielsweise auch einige Jahre im Hamburger Haerlin anzutreffen war und entsprechend interessierten Gästen wie mir zusätzliche Informationen an die Hand gibt.
Seitdem Restaurantleiter Christopher Pech zusammen mit Sommelière Miriam Mette das Lokal leitet, bewegt sich der Eisvogel auch in puncto Service wieder in deutlich ruhigerem Fahrwasser als im Vergleich zu den Corona-Zeiten, während denen die Fluktuation in der Brigade deutlich intensiver war. Flankiert von einer Truppe junger Damen hinterlässt die Servicetruppe nun jedoch wieder einen deutlich gefestigteren Eindruck als in den Jahren zuvor und sorgt für einen reibungslosen Ablauf des Abends. Eine kulinarische Entscheidung ist zudem schnell getroffen, da ein alternativloses siebengängiges Menü zu € 249 offeriert wird, das einem nur die Wahl zwischen einem Käsegang oder einem Pré-Dessert lässt bzw. ein Kaviar-Upgrade bei einem Gang erlaubt. Zwei Signature Dishes können übrigens auch noch dazu bestellt werden, worauf ich verzichte.
Besonders gespannt war ich auf die Apéros, denn im Rahmen meiner letzten Rezension hatte ich mir die leise Anmerkung gestattet, dass das Niveau der Petitessen zu Beginn sich nicht auf demselben Level wie die übrigen Darbietungen bewegen würde – eine verschmerzbare Tatsache, aber vielleicht hatte man sich diese Randnotiz hier trotzdem zu Herzen genommen. Es wäre jedenfalls eine plausible Erklärung für das erkennbar angehobene Niveau bei den Einstimmungen, die nun deutlich mehr hermachen als zuletzt. Zu einem Glas hausgemachten Sparkling Tea (hier hat Kopenhagen noch die Nase vorn …) trägt man die ersten Häppchen auf: so bin ich beispielsweise von der filigranen Balance bei Falafel, Minze und Kopfsalat ähnlich angetan wie von der sorgsam dosierten Süße von Mango im Zusammenspiel mit schmelziger Foie gras und Bergpfeffer. Der klassischste Apéro, das Beef Tatar, ist asiatisch interpretiert und überzeugt nicht nur mit üppigem und hochklassigem Périgord-Trüffel, sondern auch mit der Verfeinerung durch Kujo Negi (japanisches Lauchöl) – eine puristische, grandiose und fast schon unerhört umami-satte Petitesse. Komplettiert wird das Quartett von einem Taco mit Thunfisch, roter Zwiebel und Sesam – ein mineralisch-würziger Ausklang einer um ein bis zwei Klassen gereiften Ouverture. Stark!
Das Sauerteigbrot von Meisterbäcker Arnd Erbel aus dem mittelfränkischen Dachsbach bei Erlangen kommt mit zweierlei Butter (bretonische Salzbutter vom „Guru“ Jean-Yves Bordier sowie Nussbutter-Miso), Liebstöckel-Frischkäse und Olivenöl auf den Tisch. Früher wurde die Brotauswahl hier eher etwas bunter in Szene gesetzt, aber dafür wurde im Gegenzug die Qualität in allen Einzelteilen nochmals angehoben. Leicht könnte man das dargebotene Level auch in dieser Disziplin angesichts der eher dezenten Inszenierung unterschätzen.
Abgerundet wird die Parade an Einstiegen mit einem bemerkenswerten Amuse aus dem warmen Bereich, um den die Mehrzahl besternter Lokale in den letzten Jahren eher einen Bogen machte. Hier geschieht dies jedoch aus weit mehr Gründen als reinem Selbstzweck: die japanische Chawanmuschi labt sich an einer Eimischung aus Dashi mit Sojasauce, Bonito-Flocken und Mirin (Reisessig). Hinzu gesellen sich Ente, Buchenpilze und Calamaretti, die für ein kompaktes und ausdrucksstarkes Häppchen voller Charakter sorgen: Transparenz und Texturen könnten kaum harmonischer in Relation zueinander stehen, das Handwerk könnte kaum überzeugender sein und das Gesamtergebnis angesichts eines hohen Maßes an Durchdringung kaum schlüssiger. Diese Eingebung ist in jedem Fall ein heißer Anwärter für meine Menüfolge des Jahres!
Nach diesem mehr als beachtlichen Einstieg scheint auch das Entrée gleich auf sich aufmerksam zu wollen: die marinierte rote Eismeergarnele in schön glasiger und knackiger Auslegung wird getoppt mit Segmenten von Charentais-Melone, die dank dezenter Fruchtigkeit auf vorzügliche Weise mit dem Krustentier korrespondiert. Einen recht scharfen Kontrast geht das Speck-Garum dazu ein: der Speck selbst wird mit Salz und Brühe vermischt und bei 60° für mindestens zwei Monate (!) koji-fermentiert. Dementsprechend herzhaft gerät der Abgang, der auf keinen Fall intensiver hätte ausfallen dürfen – weswegen die Abfederung mit etwas Sanbaizu (Dillsauce) auch in dramaturgischer Hinsicht absolut Sinn macht. Unterm Strich steht somit ein ziemlich mutiger und wirklich exzellenter Gang, der mit Weltoffenheit punktet und Lust auf mehr macht.
Die handgetauchte norwegische Jakobsmuschel bietet einen schönen Vergleich zu der kurze Zeit zuvor verkosteten Interpretation im Haerlin: während man dort eher etwas erdige Aromen bevorzugte, fiel die Wahl der Küche hier hingegen auf eine leicht eingedickte und ziemlich körperbetonte Miso-Bouillabaisse, welche das minimal geflämmte, glasige Carpaccio der Muschel in ein fruchtig-herbes asiatisches Gewand kleidet. Nicht nur vegetabile Noten von verkohltem Lauch und Blumenkohl in Texturen federn die Würze gekonnt ab, sondern Zesten von am Platz darüber geriebener Kaffirlimette erweiterten das aromatische Spektrum zusätzlich. Wer möchte, kann darüber hinaus noch mit 10 Gramm von N25 Kaluga Kaviar Reserve zum Upgrade-Preis von € 35 den Gang veredeln lassen. Trotz der filigranen Komplexität von Salinität, Säure und Umami bleibt das Gericht selbst in diesem Fall erstaunlich durchlässig und überzeugt erneut dank faszinierender, aber nie vordergründiger Vielfalt.
Das bisher gezeigte Maß an Inspiration stellt alles bisher Erlebte in diesem Hause in den Schatten, weshalb schon zum jetzigen Zeitpunkt von einem bombenfest verankerten zweiten Michelin-Stern auszugehen war. Auch der weitere Verlauf sollte nicht enttäuschen, selbst wenn die Pausen zwischen manchen Gängen tendenziell recht lang gerieten: zum einen war das Lokal an diesem Freitagabend bis auf den letzten Platz gefüllt, und zum anderen stört dies nicht, solange es der Anhebung der Qualität förderlich ist – was hier offensichtlich der Fall zu sein scheint. Die hausgemachten Getränke bewegen sich für meine Begriffe noch nicht ganz auf dem Niveau wie das Festmahl, aber in puncto Priorisierung genießt dieser Aspekt momentan zurecht keine herausragende Rolle.
Der denkbar größte Kontrast folgt im nächsten Gang, der in mir umgehend Assoziationen mit dem berühmten Saibling von Sven Wassmer aus dem Memories im Schweizer Bad Ragaz weckt – das muss man sich erstmal trauen! Zwar ist der vorliegende Fisch hier weder geräuchert noch von einer gebrannten Rahmsauce umspielt, doch von der ähnlich minimalistischen Inszenierung geht eine vergleichbar große Gefahr aus. Wer solch reduzierte Gerichte auftischt, muss sich darüber im Klaren sein, dass selbst kleinste Fehler in grellem Licht erscheinen – längst ist Sebastian Obendorfer jedoch viel zu versiert, um nicht von dieser Stolperfalle zu wissen und somit alle Klippen gekonnt zu umschiffen. Nach all der kosmopolitischen Prägung kommt nun ein stärker regional gehaltener Teller an den Platz des Gastes: des Chefs Lachsforelle vom Fischhof Mulzer vor den Toren von Schwandorf ist ausgesprochen zart gedämpft und zergeht regelrecht auf der Zunge – fürwahr kein mondänes Produkt, aber bei dieser Zubereitung wirkt es so, als könne es einen wesentlich hochpreisigeren Fisch locker schlagen! Natürlich weiß die Equipe auch um den Stellenwert der meisterhaften Sauce in einem solch puristischen Gang: die mit Spinat verfeinerte Dashi Beurre blanc ist wunderbar ausbalanciert und punktet mit einer geschmacklicher Tiefe, die man der grünen Dashi nicht wirklich ansieht. Einen gekonnten, würzigen Akzent setzt schließlich der wohldosierte eingelegte Myoga auf dem zarten Fischlein. Auf dem Weg nach oben hat die Küchenbrigade hier fraglos eine weitere Reifeprüfung souverän gemeistert, zumal Nippon eine immer prominentere Rolle in Sebastian Obendorfers Kulinarik zu spielen scheint. Das hat jedenfalls das Potential zum Signature Dish!
Eine ebenfalls asiatisch angehauchte Erfrischung vor dem Plat principal, die allerdings als selbständiger Gang ausgewiesen ist, reinigt auf legere Art die Geschmackspapillen: auf einem Granité von Bergamotte thronen ein Sorbet von Litschi und Espuma von Sakura. Den bemerkenswertesten Einfall stellt jedoch die Veredelung mit einem Schuss grünen Tee dar, mit dem der ansonsten allzu gefällig wirkenden Fruchtigkeit ein herber Kontrapunkt entgegengesetzt wird. Die verschieden kalten Komponenten schärfen zudem das Bewusstsein des Gasts für einige Details, die bei oberflächlichem Verzehr durchaus untergehen könnten, so dass jedwede Vorhersehbarkeit gekonnt vermieden wird.
Die Hoffnung auf ein gelungenes Hauptgericht wurde nicht zuletzt durch etliche einprägsame Eindrücke aus der Vergangenheit bereits genährt … und wurde auch heuer nicht enttäuscht! Gerade bei dieser Disziplin beweist der noch junge und ambitionierte Chefkoch immer wieder ein besonders gutes Händchen – so auch diesmal bei Kalb, das er in einem Halbkreis von verschiedenen passenden Begleitern umspielen lässt. Über die genaue Zubereitung des Fleischs schweigt sich das Kärtchen leider aus, aber auch so lässt die tiefrote Farbe auf ein intensives und tadellos zubereitetes Stück Fleisch schließen, das selbstredend alle Erwartungen auch erfüllt. Mittig auf dem Teller drapiert die Küche einen Topinamburschaum, umgeben von einer intensiven, mit Ras el Hanout verfeinerten Jus. Im Uhrzeigersinn tummeln sich um die Tellermitte von oben ein Salat von Aubergine, eine Paste von Pistazie, Topinamburcrème, eingelegter Fenchel und zu guter Letzt ein adrettes und besonders überzeugendes Arrangement von Couscous mit essbaren Blüten. Offenbar versteht es die Küche, auch die nordafrikanische Klaviatur souverän zu bespielen, denn die Detailarbeit ist sensationell gut gelungen. Die Inszenierung erinnert ein wenig an die Ästhetik von Kevin Fehling, aber das muss weiß Gott keinen Tadel darstellen!
Die üppige Käseauswahl vom elsässichen Maître Antony erfüllt wie erwartet alle Anforderungen an eine herausragende Käsedegustation und stellt ein willkommenes Intermezzo dar, welches übrigens das offenbar recht unerfahrene, aber schwer begeisterte Ehepaar am Nachbartisch nutzt, um mit mir ins Gespräch zu kommen. Da sie etwas vor mir eintrafen und ihr Mahl somit schon beendet hatten, zeigten sie durchaus reges Interesse an meiner Tätigkeit bzw. meinen Notizen. Das ging letztlich so weit, dass ich dem Dessert zum Abschluss fast nicht mehr die ihm gebührende Aufmerksamkeit erteilt hätte …
Der fast wie ein kleines Feuer wirkende süße Ausklang setzt auf herbe Fruchtnoten in Kombination mit erdigen Aromen und geht damit einen wohltuenden Kontrast sowohl zu den bisweilen forciert wirkenden grünen Desserts als auch zu den etwas gewöhnlichen klassischen Kreationen ein. Ein löchriges Netz aus Schokolade bedeckt dabei eine Art Gelée aus Kaki auf einem Cranberrysud. Als besonderer Clou wurde die Kaki mit „Honeyballs rub“ eingerieben: dabei handelt es sich um eine Gewürzmischung mit Noten von gerösteten Mandeln, Orangen- und Zimtblüten, Tonkabohne, Kakao, Kardamom und Pfeffer. Eine derart intensive Behandlung der vor allem in Asien beheimateten Frucht kommt erwartungsgemäß mit wenigen Begleitern aus – in diesem Fall entschied sich die Pâtisserie für eine erdige Akzentuierung mit wohldosierten Noten von Erdnuss und Salzkaramell. Essbare Blüten sorgen schließlich für die aromatische wie optische Abrundung. Jedenfalls rechtfertigt der Geschmack dieses eher herbstlichen Desserts den immensen Aufwand voll und ganz, wenngleich meine Aufnahmefähigkeit am Ende eines langen Abends samt zuvor mehrstündiger Anreise inzwischen etwas ermattet ist.
Für eine Würdigung der Petits fours reicht es dennoch: den französischen Süßspeisenklassiker Paris-Brest aus Mürbteig setzt die süße Abteilung dabei genauso gekonnt wie das Walnusseis-Tartelette oder die Himbeer-Ivoire-Praline um. Höhepunkt der meisterhaften Darbietung, deren Herstellung mir Christopher Pech freundlicherweise detailliert erläutert, ist die Banane mit Caraibe-Schokolade. Sie mutet am harmlosesten an, verursacht aber mit Abstand den meisten Aufwand! So oder so hält auch der finale Akt das Niveau unverändert hoch und rundet einen überaus gelungenen Abend souverän ab. Außerdem schloss sich ja noch eine „Privataudienz“ von einer guten halben Stunde beim Chef in der Küche an …
Fraglos hat sich die Equipe auch binnen des relativ knappen Zeitraums von zwei Jahren zwischen meinen letzten beiden Besuchen wieder spürbar weiterentwickelt. Wies die letzte Visite noch die eine oder andere erkennbare marginale Schwäche auf, so musste man diesmal schon mit der Lupe nach offensichtlichen Mängeln suchen. Obwohl in der ländlich geprägten Oberpfalz angesiedelt, tritt die Küche im Allgemeinen erstaunlich kosmopolitisch geprägt auf, kann aber auch bei Bedarf die Produkte der Region offenbar ganz leichtfüßig in die Menüfolge integrieren. Die zwei Sterne sind für mich daher schon in Stein gemeißelt, während ich das aktuelle Urteil des Gault&Millau von drei Toques fast schon als Beleidigung auffassen würde. Dramaturgische Untiefen und potentielle Fallen umschifft die Küche inzwischen so sicher, dass eine Anhebung auf 19 Punkte bei meinem nächsten Besuch fast schon wie die logische Konsequenz erschiene.
Dass es nicht jetzt schon dafür reichte, ist im Grunde genommen nur zwei Aspekten geschuldet: zum einen dem Vergleich der Saucen mit denen anderer großer Meister, die meistens noch ein Quentchen mehr an Charakter und Präzision herauszuholen vermögen. Das ist aber wirklich nur Jammern auf höchstem Niveau, denn bei gleichbleibend rasanter Entwicklung dürfte auch diese Anmerkung schon bald vollkommen obsolet wirken. Zum anderen wären mit einer engeren Umgrenzung der eigenen Ästhetik zudem mittelfristig vielleicht nochmals ein, zwei Schritte nach oben denkbar. Verstehen Sie mich nicht falsch, denn scheinbar beherrscht man hier die unterschiedlichsten Küchenstile mit einer mehr als bemerkenswerten Gelassenheit. Durchaus könnte man diese Menüfolge als ein Wandern durch verschiedene ästhetische Ansätze auf der präzisen Suche nach der eigenen Handschrift interpretieren, denn das erreichte Niveau ist durchweg sehr hoch – und dennoch wäre eine stärkere Fokussierung auf eine genauer definierte Ästhetik für das Erreichen exzeptioneller Sphären wohl unerlässlich. Fraglos bot der aktuelle Status quo jede Menge inspirierende Momente und einen in Summe extrem kurzweiligen Abend, weshalb es mir nicht leicht fällt, diese Anregung überhaupt auszusprechen. Nichts wäre schließlich einfacher als sich eine Weile auf dem Erreichten auszuruhen, gehört man doch inzwischen aus meiner Sicht fraglos zu den dreißig besten Adressen der Republik. Da dies aber für den ambitionierten Chef keine echte Option darstellen dürfte, geht die beharrliche Suche nach Wegen, die weiter bergauf führen, unverändert weiter – nicht zuletzt zum Wohl der Gäste, die schon jetzt hier hervorragend dinieren können. Man darf also gespannt verfolgen, welchen Weg Sebastian Obendorfer einschlagen wird …
Serviceleiter Christopher Pech ist übrigens ein recht außergewöhnlicher Vertreter seiner Zunft, der seinen Gästen allerlei über die Natur in der Umgebung zu berichten weiß – kein Wunder, denn als passionierte Angler ist er in der Region perfekt aufgehoben und kennt sie offenbar wie seine Westentasche. Außerdem haftet seiner Art des Vortrags von Erläuterungen fast schon etwas Gesangliches an, so dass niemals der Eindruck einer auswendig heruntergebeteten Litanei entsteht. Die flinke und fast schon drahtige Truppe junger, ihn umgebender Damen in durchaus sportlich anmutender Kleidung sorgt ebenfalls für optisch unverwechselbare Momente im etwas monotonen Einerlei der Bekleidung von anderen Servicebrigaden. Angesichts fair kalkulierter Nebenkosten darf es übrigens gerne auch mal ein Getränk mehr als sonst sein, welches die Truppe auch ohne Umschweife bereitstellt.
Angesichts der zu erwartenden weiteren Entwicklung wird es bis zu meinem nächsten Besuch schwerlich eine Ewigkeit dauern – zu sehr brennt es mir einfach unter den Nägeln zu erfahren, was sich hier seit der letzten Einkehr wieder getan hat. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass bei konstanter Weiterentwicklung hier schon in wenigen Jahren womöglich ein potentieller Dreisterner heranreifen könnte. Da das Lokal in der Oberpfalz zudem praktisch nur Konkurrenz aus dem vierzig Autominuten entfernten Regensburg bekommt, sollte ein Urlaub in dieser Gegend unbedingt mit einem Abend im Eisvogel gekrönt werden. Sie werden es nicht bereuen!
Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten
Eisvogel
Hofenstetten 55
92431 Neunburg vorm Wald
Tel.: 09439-9500
www.der-birkenhof.de
Guide Michelin 2023: **
Gault&Millau 2023: 3 Toques
GUSTO 2024: 9 Pfannen
FEINSCHMECKER 2024: 4,5 F
7-gängiges Menü: € 249
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„Die gesamte, sehr starke Wirkung des Beispiels beruht darauf, dass der Mensch in der Regel zu wenig Urteilskraft, oft auch zu wenig Kenntnis hat, um seinen Weg selbst zu explorieren: daher er gern in die Fußstapfen anderer tritt.“ (Arthur Schopenhauer)
UPDATE (Mai 2022)
Mit Ausnahme von Regensburg gibt es in der Oberpfalz nach wie vor noch relativ ruhige Gegenden, echte Geheimtipps und eine fast grenzenlose Weite in einer wasserreichen Landschaft zu erleben. Das führt zum einen dazu, dass die großen Touristenströme hier ausbleiben und selbst Wanderungen auf einem so hervorragend ausgebauten Weg wie dem Goldsteig (besonders die Etappe von Falkenberg nach Neuhaus ist sehr empfehlenswert) zu einer recht einsamen, aber dafür erholsamen Angelegenheit werden können. Selbst Amberg, die heimliche Hauptstadt der Oberpfalz und eine echte kleine Perle, scheinen die meisten Besucher nicht auf dem Schirm zu haben.
Vor diesem Hintergrund kann es als durchaus riskantes Unterfangen angesehen werden, ein Ressort in einer derart ländlichen Gegend abseits der großen Infrastruktur erfolgreich etablieren zu wollen – dass es freilich funktioniert, beweist das Landhotel Birkenhof nun schon seit einem Vierteljahrhundert. Was einst als relativ kleines Refugium anfing, expandiert in Sachen Größe immer weiter und hat sich inzwischen zu einer Herberge der Extraklasse gemausert. Ein Ende dieser Entwicklung ist übrigens noch nicht abzusehen, denn die Fortschritte (wie ein weiterhin ausgebauter Wellness-Bereich) werden mit jedem erneuten Besuch erkennbar. Seit Patron Hubert Obendorfer fast zeitgleich mit der Erlangung des zweiten Michelin-Sterns vor zwei Jahren das kulinarische Geschäft im Restaurant Eisvogel inzwischen in die Hände seines Sohns Sebastian gelegt hat, konnte auch das Lokal abermals an Bekanntheit gewinnen und ist inzwischen eine fest verankerte Adresse im Bewusstsein vieler Gourmets.
Somit bietet sich eine erneute Stippvisite im gut eine Stunde von Regensburg entfernten Zweisterner natürlich an, denn immerhin ist mein letzter Besuch auch schon wieder drei Jahre her – gemessen an der jüngsten rasanten Entwicklung hier fast schon eine Ewigkeit. Mich interessiert vor allem, wie gut der Übergang zur nächsten Generation auf dem Posten des Chefkochs gelungen ist, denn dass solche Übergangsprozesse eine nicht ganz einfache Angelegenheit sein können, bewiesen auch die Besuche im Baiersbronner Schlossberg, wo Jörg Sackmann allmählich den Staffelstab an seinen Nico zu übergeben gedenkt. Andererseits ist gerade in diesen unsicheren Zeiten ein Familienbetrieb gerade auch für verdiente Mitarbeiter von unschätzbarem Wert: während anderswo kühl kalkulierende Manager Angestellte auf die Straße setzen und Lokale gegebenenfalls Knall auf Fall schließen lassen, zeigte jüngst das Beispiel der Schwarzwaldstube, wo viele Angestellte gehalten werden konnten, dass es auch anders gehen kann.
Schon bei meinem ersten Besuch im Birkenhof vor vier Jahren fiel mir die ausgesprochen herzliche und sympathische Art aller Mitarbeiter in diesem Haus auf, die als wirklich bemerkenswert gelten darf und hier offenbar einen extrem hohen Stellenwert genießt. Mit dem bisweilen kühlen Umgangston in Business-Hotels hat dieses Haus nichts gemeinsam, was die Vorfreude auf einen Besuch hier noch jedes Mal erhöht hat – kein Wunder, dass dieses Etablissement nahezu konkurrenzlos in der Region ist.
Auf den wie immer sehr freundlichen und hochprofessionellen Empfang ist Verlass: obwohl dies erst meine dritte Einkehr hier ist, werde ich schon fast wie ein Stammgast behandelt. Man weist mir – vorbei an dem gläsernen und üppig bestückten Weinschrank in der Mitte des Raumes – einen Tisch in dem Oval des Lokals zu, der einen formvollendeten Blick auf den Sonnenuntergang über der Oberpfälzer Seenplatte gestattet und den tiefenentspannten Charakter des Besuchs hier abermals potenziert. Zu einem Prisecco Weißduftig von Jörg Geiger werden dann die ersten Häppchen serviert: ein Brotchip mit Frischkäse und Meerrettich, ein Pastramistick mit einer Selleriecrème, dann gegrillte Melone mit Saiblingskaviar und schließlich Fisch-Cannelono mit einer Füllung von Forelle und Spitzkohl sowie einem Topping von Schnittlauch. Gemessen an früheren Darbietungen ist dies ein auffallend bescheidener Einstieg, der handwerklich fehlerfrei gerät, aber angesichts des recht schlichten Charakters noch nicht richtig zu begeistern vermag.
Die Brotauswahl ist nach wie vor überdurchschnittlich, denn neben diversen Sauerteigsorten reicht man Olivenöl, Palm-Island-Salz, zweierlei Butter (naturbelassen und mit Fichtensprossen) und einen Aufstrich aus Hummus mit schwarzem Pfeffer. Gegenüber früheren Zeiten, als hier noch ein falsches Beet aus Pumpernickel mit kleinen Möhren und weiteren Gemüsesorten inszeniert wurde, ist auch hier der Aufwand etwas reduziert worden.
Sollte der Plan allerdings darin bestehen, die bisher etwas sparsam eingesetzte Energie dem Amuse bouche zugute kommen zu lassen, dann ist dieses Kalkül voll aufgegangen: auf dem hauchdünnen Carpaccio von marmoriertem Wagyu A5 ist ein kleinteiliger thailändischer Salat rund um Minze, Thai-Basilikum, Buchenpilze und Bambussprossen drapiert worden, während ein asiatisch anmutender Sud mit Noten von Zitronengras das Fundament der Kreation bildet. In Summe ist dies ein filigran ersonnener Einsteiger, der nicht nur mit aparter Optik, sondern auch mit ausgesprochen delikatem Geschmack und einer feinen Balance recht kontrastierender Aromen aufwartet. Ganz stark!
Da ein einziges Menü offeriert wird, besteht die einzige Wahlmöglichkeit in der Zahl der Gänge, denn von fünf bis acht ist alles möglich. Meine Wahl fällt auf sieben Gänge (€ 189), wobei ich den Käsewagen an diesem recht warmen Abend links liegen lasse. Warum das zwischendurch gereichte Erfrischungstuch eiskalt sein musste, erschließt sich mir nicht unbedingt, aber viel Zeit, um darüber nachzudenken bleibt auch nicht, denn es geht schon bald mit dem ersten Gang des Abends weiter: zwei recht kalte Stangen besten Spargels mit leichtem Biss werden durch ein reizendes Bouquet aus Kapuzinerkresse, kleinteilige Blüten, Brotchips, Speck und Burrata in großer Vielfalt begleitet, doch etwas kontrovers gerät aus meiner Sicht die Begleitung mit Zitronengel (ganz hinten in der Mitte), Mojo Verde mit Paprika (jeweils daneben) und der klassischen Hollandaise im Vordergrund. Jede dieser Komponenten ist für sich genommen ganz reizend und in aromatischer Hinsicht überzeugend umgesetzt; lediglich das Zusammenspiel aller drei überzeugt mich nicht restlos, da mir die Aromen letztlich zu disparitätisch sind. Ansonsten ein gelungener und würdiger Einsteiger von frühlingshafter Frische.
Zum zweiten Gang dreht die Küche voll auf und lässt die Muskeln spielen: der Gang rund um getauchte Jakobsmuschel kratzt schon fast an der Grenze zur Perfektion! Das ultrafrische Tatar (im Grunde eine recht seltene Art, die Muschel zu interpretieren) ist getoppt mit einem unfassbar guten Krustentiergelée, etwas Salicorn-Algen, Texturen von Gurke und einem Gazpacho-Eis, das einen Tick zu dominant gerät. Der Einfall, das Türmchen in der Mitte von einem Pistou und einer Crème aus Pinienkernen zu flankieren, schlägt ebenfalls voll ein, da die somit beigesteuerten erdigen Aromen einen überraschend guten Kontrast zu den maritimen Darstellern eingehen, welche eher salzig und würzig begleitet werden. Das muss jedenfalls die individuellste und auch gelungenste Inszenierung einer Jakobsmuschel seit langer Zeit gewesen sein! Absolut großartig!
Auch der Carabinero im nächsten Gang erfährt eine höchst ungewöhnliche Umsetzung: das sanft gegarte Krustentier wird mit süßlich herben Aromen von Erdbeersaat und Mohn ummantelt, was für sich genommen schon ein höchst ungewohntes Geschmacksbild ergibt. Eine echte Eingebung sind auch die kreisrunden Türmchen aus lauwarmer Karottenmousse, welche mit etwas Gel von Papaya und Texturen von Zwiebel auf leicht scharfe und doch fruchtbetonte Weise in Szene gesetzt werden. Seinen genuin spanischen Charakter verdankt der Gang der Würzsauce Pico de Gallo, die mit ihren schmelzigen Akzenten von feuriger Paprika und vollreifen Tomaten eine prominente Rolle spielt. In Summe hat sich die Küche hier fraglos an eine recht gewagte Idee gewandt und viel riskiert, aber alles gewonnen: würden doch nur alle Umsetzungen exotischer Einfälle so wunderbar gelingen wie dieser hier …
Beim nächsten Gang, zu dem jetzt die tiefstehende Sonne das Rondell illuminiert, dominieren eher nordafrikanische Elemente. Die höchst filigranen Türmchen mit diversen Texturen von Fenchel imponieren mir dabei genauso wie das rundum stimmige aromatische Bild um Poweraden, die mit Estragon und Safran trefflich begleitet werden. Auch dem Couscous, der dem Hauptdarsteller als Unterlage dient, kann ich eine mustergültige Qualität bescheinigen, so dass der Fokus nun auf dem zarten Fischlein liegt: der sanft gegarte Saibling ist von exzellenter Qualität und blättert schon fast ab, wenn man sich ihm nur mit dem Besteck nähert. Allerdings kann sich das zarte Fischlein gegen all diese kraftstrotzenden Begleiter kaum behaupten, weshalb ich dem Service gegenüber auf Nachfrage anrege, etwa über eine Rotbarbe oder einen Wolfsbarsch als passenderen Poisson nachzudenken. Ohne dieses kleine Menetekel wäre auch dieser Teller nämlich absolut vorzüglich geraten.
Als Erfrischung vor dem Hauptgang streut die Küche ein Litschi-Sorbet auf einem Sud von grünem Apfel ein. Es sieht harmlos aus, aber der Service verzichtet wohlweislich darauf, den Kampot-Pfeffer in diesem Gang zu annoncieren, so dass die kleine Überraschung nicht gleich auffliegt und der Einschub nicht zur bloßen Routine verkommt. Ist Sebastian Obendorfer etwa ein Schelm, dass er solche „gemeinen“ Effekte einbaut?!
Die Aufmerksamkeit des Gastes wird zum Hauptgang vor allem von der Entourage rund um das zartrosa gebratene Lamm in einer recht dezenten Jus beansprucht. Damit wir uns richtig verstehen: wirklich gebraucht hätte das Fleisch all diese Begleiter nicht, da seine inhärenten Qualitäten gut zum Tragen kommen, doch ist die launige Darbietung am Tellerrand keineswegs nur eine alibihafte Anordnung von Banalitäten – im Gegenteil handelt es sich um sorgsam abgeschmeckte und facettenreich umgesetzte Inspirationen, welche dem Lamm gut zu Gesicht stehen. Es sind dies eine Olivensphäre auf einer Brunoise von Aubergine (unten rechts), Pesto von Bärlauch (oben rechts), Auberginencrème (oben und unten), gebackener Teig mit Bärlauchfüllung und etwas Bittersalaten und schließlich ein Dim Sum mit Pistaziencrème. Das virtuose Spiel rund um vegetarische Begleiter verleiht dem Gang zwar einen herben, aber auch aristokratischen Anstrich. Definitiv einer der stärksten Hauptgänge in diesem Jahr bisher.
Ich genieße gerade kurz vor 21 Uhr den Sonnenuntergang von meinem Platz aus, da wird vor dem ersten Dessert die Serviette amüsanterweise gegen ein anderes, zuvor mit Bergamotte aromatisiertes Exemplar (!) ausgetauscht – ich hatte jetzt nicht wirklich vor, sie zu essen …
Wozu auch, wenn das Pré-Dessert optisch und geschmacklich so viel mehr hermacht? Auf einem Flan von Buttermilch platziert die Küche zunächst eine karamellisierte Scheibe mit Aromen von Eukalyptus (die von einem Pulver herrühren), auf welcher dann in dicht gedrängter Form ein erfrischendes Sauerampfer-Eis, diverse Texturen von Himbeere (z.B. Baiser und Gel) und Rhabarber zum Tanz bitten. Wesentlich puristischer ist da die Stange Rhabarber rechts, welche in eingelegter Form sich selbst noch mit kleinen quadratischen getrockneten Scheiben variiert. Dieses frühlingshafte Dessert kommt gut ohne allzu plakative Süße aus, belastet nicht und punktet mit der auffälligen Kreativität in den Texturen, ohne dabei verspielt zu wirken. Ein zauberhafter Beitrag, leichtfüßig umgesetzt!
Das offizielle Dessert setzt zwei optische Fixpunkte auf dem Teller: die linke Erhebung auf dem Limettensud ist eine geeiste Hülle, unter der sich eine Ganache von Ivoire-Schokolade versteckt, während der kleine Hügel rechts eine Art dekonstruierten Hugo darstellt, in welchem Schaum, Crème und Brunoise von Limette mit Holunder und Minze stilecht begleitet werden. Dennoch wirkt diese zwar ganz nette und ungewöhnliche Komponente auf Dauer ziemlich massig und eher eindimensional, so dass das erste der beiden Desserts aus meiner Sicht klar den Vorzug verdient. Ich denke, aus der grundsätzlich guten Idee des zweiten Desserts lässt sich aber durchaus noch etwas machen.
Die Petits fours runden ein teils überraschend launiges Menü angemessen ab: von links nach rechts handelt es sich um einen kühnen Schoko-Essig-Macaron, einen edlen Vanille-Cassis-Windbeutel, ein Orangentörtchen und ein Pâte de fruit von Himbeere, wenn ich mich richtig entsinne.
Als der Eisvogel im Jahre 2020 den zweiten Stern verliehen bekam, war dies in den Augen vieler Gourmets nicht gerade der offensichtlichste Kandidat – meinem Besuch nach zu urteilen war die grundsätzliche Skepsis nie wirklich angebracht. Ich erlebte hier eine Menüfolge mit einer bemerkenswerten Klasse in manchen Gerichten und jeder Menge individueller Ideen, deren Umsetzung zudem meist souverän glückte, während bei den relativ verhaltenen Apéros die Messlatte niedriger als sonst für einen Zweisterner hing. Das wurde natürlich im Laufe des Abends überreichlich kompensiert, doch einer der kritischen Punkte bleibt aus meiner Sicht ein bisweilen noch nicht optimal ausgeprägtes Gespür für die Balance – wie bei dem fast wehrlosen Saibling oder den drei scharf kontrastierenden Begleitern zum Spargel. Dem gegenüber stehen vorzügliche Gerichte abseits der ausgetretenen Pfade, denn einen Carabinero mit Mohn und Erdbeersaat zu paaren fiele auch nicht vielen Chefs ein! Die Experimentierfreude des jungen Teams zu beobachten macht trotz allem großen Spaß, selbst wenn die Ergebnisse bislang noch nicht konstant auf demselben Niveau abschneiden. Das muss keinen Dauerzustand darstellen, denn handwerkliche Finesse, Produktqualität und Ideen sind alle im oberen Drittel angesiedelt, so dass in den nächsten Jahren hier eine spannend zu beobachtende Entwicklung stattfinden dürfte.
Nach dem ersten Dessert mache ich mich auf den Weg zur Toilette, doch zu meiner nicht geringen Überraschung fängt mich Chefkoch Sebastian Obendorfer direkt auf dem Gang vor dem Lokal ab – er wollte wohl offensichtlich einer Konversation mit mir im Lokal aus dem Wege gehen, damit nicht andere Gäste ständig fragen würden, ob ich ein Kritiker wäre?! So oder so entspinnt sich ein höchst aufschlussreiches und launiges Gespräch zwischen uns, das letztlich fast eine halbe Stunde dauern sollte! Wir plaudern über meine Eindrücke von diesem Besuch, aber auch über andere Lokale, die das Küchenteam demnächst mal besuchen möchte (und so meinen Neid hervorruft, da es sich um skandinavische Dreisterner wie die Kopenhagener Lokale Noma und Geranium sowie das Osloer Maaemo und das Stockholmer Frantzén handelt, welche ich allesamt noch nicht besucht habe!). Dessen ungeachtet gibt sich der neue, junge Koch völlig bodenständig, natürlich und auch absolut nahbar – das Gespräch mit dem 32-jährigen Chef erwies sich als absolut erhellend und hat mir große Freude bereitet, zumal sein Interesse an meinem Urteil nicht im Geringsten vorgetäuscht wirkte. An Selbstvertrauen mangelt es Sebastian Obendorfer nicht, aber am Ende des eingeschlagenen Weges ist er noch längst nicht angekommen – das weiß er auch selbst. Die zwei Sterne sind aus meiner Sicht inzwischen berechtigt, so dass der Fokus der kommenden Jahre ganz klar auf deren weitere Bestätigung liegen muss. Es gibt allen Grund zur Annahme, dass dies auch gelingen kann. Die Abnabelung vom bisherigen Chefkoch und Vater Hubert Obendorfer ist für meine Begriffe inzwischen weit fortgeschritten und insgesamt gelungen, so dass Schopenhauers grundsätzlich mahnende Skepsis vom Eingangszitat hier fehl am Platz sein dürfte.
Dass die Corona-Zeit auch an diesem Etablissement nicht spurlos vorbeiging, merkte man an diesem Abend am ehesten dem Service an. Restaurantleiter Christopher Pech hat es an diesem Abend offenbar gleich mit mehreren Neulingen zu tun, die zum ersten Mal überhaupt ein Sternerestaurant besuchen und daher an die Hand genommen werden wollen. Der Maître löst diese Aufgabe mit viel Geduld und Souveränität, doch in Einzelfällen droht das gut gemeinte Verhalten ins Gegenteil zu kippen – so zum Beispiel, als mir ein Teller mit dem einleitenden Wort „sodala …“ abgestellt wird, was mir in einem Zweisterner arg jovial verkommt. Kein Drama, aber doch eine Erwähnung wert – zumal die beiden anderen jungen Servicedamen weitaus nüchterner agieren und vermutlich auch erst vor kurzer Zeit zur Brigade dazu gestoßen sind. Ansonsten bemüht sich der recht leger gekleidete Service nach Kräften, locker und wenig forciert zu wirken. In der Mehrzahl der Fälle gelingt es ja auch gut, aber viel Erfahrung schienen die meisten anderen Gäste an diesem Abend eben nicht mitgebracht zu haben. Insofern würde ich hier empfehlen, ein wenig an den Stellschrauben zu drehen.
Alles in allem war diese Stippvisite auf jeden Fall aufschlussreich und kann angesichts durchschnittlicher Nebenkosten dem neugierigen Leser vorbehaltlos empfohlen werden. Die von mir vergebenen 18 Punkte sind zwar noch nicht bombenfest verankert, aber der Trend zeigt definitiv in die richtige Richtung. Mögen die Vorschusslorbeeren beflügeln, denn hier kann auf jeden Fall noch etwas Großes entstehen!
Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten
Eisvogel
Hofenstetten 55
92431 Neunburg vorm Wald
Tel.: 09439-9500
www.der-birkenhof.de
Guide Michelin 2022: **
Gault&Millau 2021: 17 Punkte
GUSTO 2022: 8,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2022: 4,5 F
7-gängiges Menü: € 189
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UPDATE (Mai 2019)
Nach dem mutmaßlichen Aus für das Restaurant Kastell in Wernberg-Köblitz hat der Eisvogel nun die kulinarische Pole Position in der Oberpfalz übernommen (gefolgt vom Storstad in Regensburg und dem Gregor’s Fine Dining in Rötz). Der letzte Besuch hier ist zwar noch kein Jahr her, und doch hat sich seither einiges in dem eleganten Ressort getan: das Restaurant wurde renoviert und merklich verändert. Das Interieur mit den nunmehr dunkleren Farben als früher wirkt nun noch mondäner und eleganter – immerhin waren die Designer klug genug, den gläsernen, begehbaren Weinschrank in der Mitte des Raumes sowie die mundgeblasenen Glasskulpturen darüber unangetastet zu lassen. Sommelier Holger Steck hat das Haus inzwischen ebenfalls verlassen und wurde durch einen charmanten, mit Wiener Akzent sprechenden Sommelier ersetzt, dessen Namen ich leider Gottes bislang nicht ermitteln konnte. Restaurantleiterin Katja Mauerer und der neue Sommelier bemühen sich redlich, ihren Job gut zu machen, doch anhand kleiner (aber verzeihlicher) Details wird dennoch offenkundig, dass das neue Team nach so kurzer Zeit noch nicht perfekt eingespielt sein kann.
Weiterhin wird hier eine einzige Menüfolge (saisonabhängig – in der Regel sieben bis neun Gänge) zu ordentlichen Preisen angeboten, die zudem mit etlichen Extras durchaus generös aufgewertet wird. Starten wir also an diesem trüben, verregneten Abend ins Menü mit vier Kleinigkeiten, die durchdekliniert sind und einfach Spaß machen: Blumenkohl gekocht und als Crème in einer gedrängten Komposition auf einem Schälchen, ein aromatisches Cornetto mit Rindertatar (bestens abgeschmeckt mit Senf und Estragon), ein Rote-Bete-Macaron mit Schmand und Kaviar obenauf sowie einen Tapiokachip getoppt von Lachs. Dazu lässt man sich einen großartigen Fruchtcocktail schmecken – und schon ist das Wetter draußen vergessen …
Nach der abwechslungsreich bestückten Brotauswahl (mit Butter und Bärlauchcrème – das originelle „Gemüsebeet“ vom letzten Besuch hatte dagegen leider ausgedient) folgt als erstes offizielles Amuse ein goldenes Ei, das mit Stör, Eigelb und Harissa-Espuma gefüllt war und großartig schmeckte. Dies trifft auch auf das zweite Amuse zu: gegrilltes Zanderfilet auf Spinat mit Apfelstreifen und Walnuss. Wenn das so weiter geht …
Zweierlei Spargel (polnisch), Igel-Stachelbart (Pilz) und Grüne Soße verblüfft mit einer echten Stange Spargel und einer täuschend echten aus Spargelcrème. Das filigrane Arrangement aus Ei, Bröseln und dem Pilz mit dem martialischen Namen ist nicht nur in aromatischer Hinsicht sorgsam ausbalanciert, sondern auch eine optische Wonne. Der scheinbar befremdliche hessische Saucenklassiker anstelle einer Hollandaise verbindet alles schließlich gekonnt und rundet den Einstieg ab. Welch stimmiger Auftakt!
Bretonischer Hummer, Shiso, Avocado und Yuzu gelingt nahe der Perfektion: das Shiso-Eis in der Mitte des Tellers wird als gleichberechtigter Partner von drei ultrafrischen Tranchen des Hummerfleischs und Avocado-Gel umspielt, wobei feinste Nuancen der japanischen Zitrusfrucht dem Gericht die Krone aufsetzen. Lediglich eine sehr bissfeste Komponente, die ich nicht näher definieren konnte, schien mir eher abträglich als gewinnbringend. So oder so: hervorragend!
Vergleichsweise übersichtlich (rein optisch, nicht auf die Menge bezogen!) geriet dagegen Kalbsbries, Carabinero, Curryschaum und Karotte. Der Carabinero kommt in puristischer Reinheit als Ganzes auf den Teller, was auch auf das kross ummantelte Bries zutrifft. Die asiatischen Aromen sowie die Türmchen von Karotte in unterschiedlichen Konsistenzen sorgen für spannungsreiche Kontraste – auch dieser Gang muss kaum einen Vergleich scheuen (allenfalls mit Jan Hartwigs Kreationen aus dem Münchner Atelier) und gelingt ausgezeichnet.
Steinbutt, Erbse, Morchel und Buttermilch erweist sich ebenfalls als Volltreffer: der frittierte, aber keineswegs fettige Fisch tummelt sich in einem mit Erbse aromatisierten Buttermilch-Bad, das eine reine Wonne darstellt. Die erdigen Noten der durchaus präsenten Morchel schmiegen sich perfekt an die Aromenkonstellation an und sorgen für einen gewinnbringenden Kontrast. Kurioserweise erinnert mich genau die faszinierende Wucht dieses Gangs an so manche Kalbsbries-Kreation von eben jenem Jan Hartwig – nur dass hier eben der Steinbutt die Rolle des Bries einnahm! Dass die Kreationen derart aromensatt daherkommen würden, überraschte mich dann doch sehr, da ein solcher Aufwärtstrend gegenüber dem letzten, schon sehr ordentlichen Besuch für einen Koch, der die 50 Lenze bereits überschritten hat, recht ungewöhnlich erscheint.
Das zweiteilige Hauptgericht Label-Rouge-Lamm, Kichererbse, Tomate, Feta beweist auch ein sicheres Gespür für nordafrikanische Aromen (ist dies derzeit ein Trend?). Teil eins besteht aus einem Schälchen mit Kraftbrühe und deutlichen Lammaromen sowie einem als Ganzes zu verzehrenden Cracker mit einem ungeheuer gedrängten Türmchen aus lauwarmem Lamm, Tomate und Feta. Teil zwei überzeugt mit kräftig angebratenem Lamm, einem Kichererbsensud und einem stimmigen Reigen kleiner Türmchen aus Tomate und Feta-Crème. Der opulente Hauptgang fand – wie praktisch alles zuvor – unsere ungeteilte Zustimmung. Bis hierher ein superber Abend!
Nun folgte jedoch leider ein seltsamer Riss: Mascarpone und Gorgonzola, Spitzpaprika, Pumpernickel-Malz und Knollenziest geriet beim Verzehr fast schon zu einer Qual. Hätte ich geahnt, dass bei diesem vermeintlichen Käsegang nicht der Gorgonzola, sondern die Paprikaschoten dominierend im Zentrum des Gerichts stehen würden, dann hätte ich mir diesen Gang getrost gespart (Paprika steht in meiner Gunst ganz weit unten, doch selbst meine diesbezüglich vorbehaltslose Begleitung pflichtete mir bei). Mascarpone und Gorgonzola waren unter bzw. in dem roten Paprika versteckt und kamen für meine Begriffe kaum zur Geltung (was auch auf den Pumpernickel zutraf). Hinzu kommt, dass der überportionierte Paprika auch noch mit dem faserigen und bissfesten Knollenziest gepaart wurde und so keinerlei nennenswerten geschmacklichen Kontrast erfuhr. Summa summarum aus meiner Sicht leider ein völlig entbehrlicher Gang, bei dem allenfalls die Optik stimmte …
Auch das Pré-Dessert zeigte eine Vorliebe für mir nicht gerade genehme Zutaten: ein Radieschen-Eis auf Pumpernickel bediente eher spezielle Geschmäcker. Wer’s braucht …
Weiße Schokolade, Zitrone und Eukalyptus als Dessert hätte auch gut ohne gelbe Paprika auskommen können, da dieses Produkt nun wirklich endgültig ausgereizt war. Glücklicherweise war die Dosierung hier sparsamer, doch als gewinnbringend empfand ich sie auch hier nicht. Das ansonsten durchschnittliche Dessert rund um Schaum, Gel und gelierte Zitrone hätte jedenfalls gut ohne den Paprika auskommen können.
Das zweite Dessert Holunder, Pistazie und Passionsfrucht stellte ein Holunder-Granité sowie ein Pistazienschäumchen in den Mittelpunkt der Kreation. Umspielt wurden die Hauptdarsteller von Gel-Tupfen aus Passionsfrucht, Pistaziencrumble und einer aromatisierten Holundercrème. Auch dieses Dessert zeigte sicheres Handwerk, ließ aber eine klare geschmackliche Aussage irgendwie doch vermissen. Zu den (optischen) Highlights unter den ansonsten alkoholfreien Petits Fours zählten zwei essbare Schachfiguren aus Mürbteig, die allerdings mit Rum aromatisiert waren. Irgendwie war seit dem Käsegang einfach der Wurm drin …
Der Eisvogel zählt fraglos nach wie vor zu den besten Adressen im östlichen Bayern. Wir erlebten hier einen Abend, der uns bis zum Hauptgang vollkommen überzeugte: intensiver Geschmack, spannende Aromenkonstellationen, große Abwechslung, hinreißende Kreativität, eine fair bepreiste Weinreise für meine Begleitung und sicheres Handwerk sowieso. All dies wirkte ungeheuer durchdacht, facettenreich, zeitgemäß und ganz einfach großartig. Auch über die kleinen Patzer im Service (z.B. falscher Wein, aber noch rechtzeitig bemerkt) sahen wir gerne großzügig hinweg. Der seltsame Riss, der mit dem Käsegang Einzug hielt, wirkte aber doch etwas befremdlich auf uns: dieser Gang war speziell wegen der Dominanz des Paprika für meine Begriffe einfach kein Käsegang und wusste auch nicht so recht, was er eigentlich stattdessen sein wollte. Die Desserts konnten mit dem (zugegebenermaßen sehr hohen) Niveau der Darbietungen zuvor ebenfalls nicht mithalten, da mir in beiden Fällen so etwas wie ein roter Faden fehlte. Schade um den unterkühlten Ausklang eines bis dato glänzenden Menüs, das im Falle einer gelungenen Fortsetzung sogar Chancen gehabt hätte, es auf meine ominöse Top-10-Liste zu schaffen. So aber erhielt die Euphorie letzten Endes leider einen merklichen Dämpfer. Chefkoch Hubert Obendorfer betreute an diesem Abend übrigens eine private Feier im Gebäude nebenan und überließ seinem Souschef diesmal die Küche. An diesem allein hat es allerdings mit Sicherheit auch nicht gelegen, dass der einst so gelungene Abend etwas unterkühlt endete.
Ich gehe trotzdem davon aus, dass dies nicht mein letzter Besuch hier war. Die positiven Eindrücke überwogen trotz allem ganz klar, denn bis zum Hauptgericht bewegte sich die gezeigte Darbietung für meine Begriffe ganz klar auf Zwei-Sterne-Niveau. Ich bin gespannt, ob die Profi-Guides in ihrer nächsten Ausgabe einen weiteren Anstieg erkennen werden oder sich doch in Zurückhaltung üben werden. Das Potential für eine Aufwertung hat diese kosmopolitisch geprägte Küche (derzeit 17 Punkte im G&M und 8 GUSTO-Pfannen), die das Beste aus aller Welt gekonnt vereint, allemal – nur rief sie es diesmal leider nicht komplett ab. So oder so ist das idyllisch gelegene Ressort immer eine Reise wert.
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Mai 2018
Da rieb sich wohl manch Hobby-Gourmet verwundert die Augen, als die bekannte Zeitschrift FEINSCHMECKER in der Juli-Ausgabe 2016 die Oberpfalz als Urlaubs- und Genussregion für sich entdeckt hatte (wissen überhaupt alle, dass die Oberpfalz in Bayern und nicht in Rheinland-Pfalz liegt?). Allerdings schien es die Redaktion mit ihrem Ansinnen nicht so genau genommen zu haben, denn ein anderer rieb sich seinerzeit sicherlich ebenfalls verwundert (um nicht zu sagen: verärgert) die Augen: Hubert Obendorfer, Küchenchef und Inhaber des Landhotels Birkenhof im Herzen der Oberpfalz. In der August-Ausgabe wurde ein Leserbrief von Herrn Obendorfer publiziert, in dem er sich (sowas von zurecht) darüber echauffierte, dass sein Etablissement mit keiner Silbe in dem Beitrag erwähnt wurde – und das, obwohl das renommierte Haus seit zwei Jahrzehnten zu den allerersten Adressen der Region gehört und das Restaurant Eisvogel stetig mit einem Michelin-Stern sowie 17 Punkten im Gault&Millau bewertet wird. Die Redaktion wand sich sinngemäß damit heraus, der Bericht beinhalte eine subjektive Auswahl des Redakteurs. Peinlich …
Erfahrene Gourmets wissen zum Glück auch so, dass es in der Oberpfalz vier namhafte Adressen gibt: das „Storstad“ in Regensburg (mein letzter Besuch ist schon über drei Jahre her), das Ressort „Die Wutzschleife“ mit dem Restaurant Gregor’s Fine Dining in Rötz (das ich noch nicht besucht habe), die (von mir bereits rezensierte) Burg Wernberg mit Restaurant Kastell (wo Chefkoch Thomas Kellermann Anfang Juli gen Rottach-Egern am Tegernsee aufbricht) sowie das Landhotel Birkenhof mit dem Restaurant Eisvogel. Gut zehn Kilometer von der Neunburger Altstadt entfernt thront die geräumige Anlage auf einem Hügel mit Paradeblick über die Oberpfälzer Seenlandschaft. Das Hotel punktet mit geräumigen Zimmern, einem Wellnessbereich mit 2.000 Quadratmetern und zwei weiteren Restaurants für kulinarisch weniger anspruchsvolle Gäste – oder eben solche, die keinen Platz im Eisvogel bekommen haben. Soviel vorweg: das ganze Angebot gibt es zu durchaus erschwinglichen Preisen – offenbar schätzen das auch viele weitere der durchaus zahlreichen Gäste. Tagsüber bietet sich entweder ein Aufenthalt im Wellness-Bereich, eine Partie Golf, eine Wanderung oder eine Kanutour an, denn die Oberpfalz ist ein regelrechtes Outdoor-Paradies ohne von Touristen überlaufene Hotspots (sieht man einmal von Regensburg ab).
Mein primäres Interesse gilt jedoch dem Eisvogel, dessen Bewertung der GUSTO und auch der FEINSCHMECKER 2017 anhoben, so dass eine gewisse Erwartungshaltung meinerseits durchaus vorhanden war. Die erste Anspannung wich jedoch schon bald, denn das überwiegend in Beige- und Brauntönen gehaltene Restaurant vermittelt eine durchaus wohnliche und doch elegante Atmosphäre, zumal sich durch die großflächigen Fenster der Sonnenuntergang wunderbar verfolgen lässt. Kernstück des nahezu runden Speisesaals ist jedoch ein begehbarer Weinschrank aus Holz und Glas, der als Raumteiler und optischer Blickfang gleichermaßen fungiert. Der Herr über die beneidenswert bestückte Sammlung an Weinflaschen ist Sommelier Holger Steck, von dem später noch ausführlich die Rede sein wird.
Nun aber zum Wesentlichen: die ersten Petitessen reicht man – sehr schön – bereits vor der Speisekarte und fällt nicht gleich mit der Tür ins Haus. Auf einem Brotchip gibt es etwas Hamachi mit Sauerrahm und Limette sowie auf einem weiteren Chip Saibling mit Gurkenperlen und Ceta-Kaviar (ein echter Hingucker). Außerdem reicht man einen mit Passionsfrucht ummantelten Gänseleber-Lollipop sowie ein Cornetto mit etwas Crème fraiche und Honigmelone obenauf. Am besten von diesem beachtlichen Reigen gefällt mir jedoch die rein vegetarische Teig-Tulpe mit etwas Karotten-Riccotta gefüllt. Dazu kredenzt man mir an der Bar einen wunderbaren großen fruchtigen Cocktail, dessen Preis mir später überaus fair vorkommt. Als Gruß aus der Küche tischt der Service eine Radieschen-Rose auf etwas Bärlauchcrème auf – eingearbeitet finden sich confiertes Kaninchen sowie versteckte klein gewürfelte Stücke unter der Crème. Geschmacklich überzeugend, und an Ideen mangelt es der Küche jedenfalls nicht. Offeriert wird dann ein siebengängiges Menü, das durchaus vielseitig gerät und stark den saisonalen Gegebenheiten Rechnung trägt.
Getauchte Jakobsmuschel, Erbse, Zitrusfrucht, Fenchel und Macadamia bildet den Einstieg in den Reigen. Die lauwarme Muschel (beste Konsistenz) wird auffällig von dem Erbsen-Eis im Mittelpunkt des Tellers dominiert, während der eigentliche Hauptdarsteller die Ecken eines Dreiecks bildet, dessen Kanten aus kleinen Türmchen aus Erbsencreme, Zitrusfrucht und Fenchel bestehen. Das macht in lukullischer und optischer Hinsicht durchaus etwas her – lediglich der Sinn der Macadamia-Nuss erschloss sich mir nicht und scheint mir eher dem momentan grassierenden Trend, auf mindestens einem Teller pro Menü eine Nuss unterzubringen, geschuldet zu sein. Das habe ich dieses Jahr schon mehrfach erfahren – und meist wurde das Ergebnis dadurch nicht besser.
Marinierter Spargel mit Luma-Rind, Ziegenkäse, Eigelb und Frühlingskräuter scheut das Experiment nicht. Die Spargelspitzen stehen senkrecht in einem Bett aus Ziegenkäsecrème, die mit den Kräutern veredelt wurde, während ein mit einer hauchdünnen Sülze ummanteltes Röllchen aus Rindfleisch um die Aufmerksamkeit des Gastes mit dem Spargel konkurriert. Besonders gefallen an dieser Kreation die kleinen Eigelb-Perlen, die die Kreation noch weiter spürbar aufwerten. Spargel mit einem vergleichsweise kräftigen Begleiter wie dem Rind zu paaren erfordert einen gewissen Mut, doch das Wagnis gelingt hier.
Besonders gespannt war ich bereits bei der Lektüre der Speisekarte auf Bretonischen Hummer, Kohlrabi, Rissotto, Himbeer und Haselnuss – nicht so sehr wegen des Grundprodukts, sondern vielmehr wegen der Begleitung desselbigen. Zwei wunderbare Tranchen baden in einem herrlich süffigen Hummersud, unter dem sich das Rissotto versteckt. Die hauchdünnen Streifen von Kohlrabi setzen feine Akzente, doch der Clou des Gerichts ist ein Crumble aus geeisten Himbeerperlen und klein gestoßenen Haselnüssen: dieses wird mit dem Löffel oben aufgetragen und verleiht dem Gericht einen superben und herrlich leichten Twist. Hier ist es Hubert Obendorfer und seinem Team wirklch gelungen, die Nuss mit Mehrwert zu integrieren und die scheinbar disparitätischen Eigenschaften der Himbeere vollkommen vorteilhaft in Szene zu setzen. Chapeau!
Noch besser wird es mit Dreierlei vom Kalbskopf, Steinpilze und Rührei. Hier wird in einer vergleichsweise schlichten und plakativen Inszenierung die höchste Aromendichte des Abends erreicht. Zweimal Innereien (Herz und Hirn, wenn ich mich nicht täusche) sowie umwerfend mürbe Bäckchen in einer kräftigen Sauce werden denkbar einfach, aber enorm effektiv von lang gebratenen Steinpilzen und Rührei in Szene gesetzt. Klingt simpel, machte aber enorm viel her.
Schwarzachtaler Zander, gegrillter Spargel, Spinat und Morcheln kommt in eher schlichtem Gewand daher. Der Spargel darf zunächst unter einer Glasglocke am Tisch des Gastes grillen und wird dann per Zange auf den Teller befördert. Auf selbigem befindet sich eine knallig grüne Spinatsauce sowie eine würfelförmige Tranche des hervorragenden Zanders. Die Bewertung des in erster Linie durch die plakative Farbgebung auffallenden Gerichts steht und fällt mit dem Spargel: meiner Meinung nach führte die konkrete Zubereitungsart des Spargels zu einem zu würzigen Aroma, das den Teller eher ein wenig aus der Bahn warf. Man kann hier aber sicherlich geteilter Meinung sein (wie die Reaktion von Gästen an den anderen Tischen zeigte).
Irisches Anchorena-Lamm kam in zwei Etappen: zunächst als eine Art Einsteiger in einem kleinen Schälchen mit herzhaftem Lamm-Ragout und Tomatensphäre – nicht kompliziert, aber absolut großartig! Das eigentliche Hauptgericht bot eine gratinierte Tranche vom Rücken, die von einer Parmesan-Kräuter-Kruste getoppt wurde. Geschmorter Lauch und die beigegebene Tomaten-Essigjus stellten bewährte Begleiter in einem Gericht dar, das diesmal ein wenig das Experiment scheute und eher die sicher ausgetretenen Pfade bevorzugte. Das machte die Kreation aber keineswegs schlechter, die ihren Reiz daraus bezog, dass das Lamm einmal von eher rustikalem (Ragout) und einmal eher elegantem Geschmack (Rücken) war.
Als Pré-Dessert reicht man wieder eine gewagte Eingebung: ein Sellerie-Sorbet mit Apfelragout und Yuzuschaum gelingt vortrefflich und wird zu einem erfrischenden Gaumenkitzler. In ähnlich leichtem Gewande präsentiert sich auch das eigentliche Dessert Rhabarber, Mandel und Whiskey. Dem Hauptdarsteller, der in einer Fülle verschiedenster Texturen und Konsistenzen auftritt, wird der Teller vollständig überlassen. Die Mandelcreme und das leicht mit Whiskey aromatisierte Bett, auf dem eine Stange Rhabarber ruht, halten sich wunderbar zurück und steuern elegante Nuancen in einem wahrlich frühlingshaften Dessert bei, das nochmals voll einschlägt. Ganz klassisch dagegen geraten zum Schluss die Petits fours, die keine Experimente mehr eingehen: Kugeln (z.B. Kokosnuss) und (Beeren-)Törtchen als traditioneller Ausklang.
Einen nicht unerheblichen Anteil am Erfolg des Hauses hat Sommelier Holger Steck, der mit geradezu jugendlichem Elan und dennoch souveräner Gelassenheit durch den Abend führt. Er nimmt sich viel Zeit für seine Gäste und nimmt deren Weinvorlieben durchaus ernst. Auch die ständige Nennung des Gastes beim Namen hat bei ihm einen geradezu selbstverständlichen Charakter (der Name des Gastes ist übrigens auch auf der vom Chef handsignierten Menükarte zum Mitnehmen eingetragen). Man bot mir Lektüre für die Zeit zwischen den Gängen an und erkundigte sich auch nach dem richtigen Abstand zwischen den Gängen. Die Frage nach der Befindlichkeit des Gastes hat bei ihm nichts Gleichgültiges oder Routinehaftes – selten habe ich mich ernster genommen gefühlt, auch wenn ich keinen Alkohol trinke. Auch an den anderen Tischen gibt es von ihm eine wohldosierte Präsenz, die nichts Aufdringliches hat. Kurzum: das Wohl des Gastes steht hier nicht nur in der Theorie, sonern auch in der Praxis im Vordergrund.
Am überraschendsten an der Menüfolge dieses Abends erschien mir im Nachhinein die kosmpolitische Prägung, denn in einer solch ländlichen Gegend erwarten viele Gäste normalerweise eher heimische Produkte von regionalen Erzeugern. Oft genug habe ich anderswo schon erlebt, dass in Landgasthöfen die Nichterfüllung einer solchen Erwartungshaltung zu Gästeschwund führt. Es spricht jedoch eindeutig für die Fähigkeiten des Chefs, wenn es ihm ganz leicht und wie selbstverständlich gelingt, seiner Gästeklientel auch eine vergleichsweise anspruchsvolle und nicht gerade schlichte Stilistik zu offerieren: selbst unter der Woche bekommt man hier nämlich bei geringer Vorlaufzeit häufig keinen freien Tisch.
Zwar bot das Menü an ein paar Stellen interessante Einfälle, deren Bewertung durchaus kontrovers ausfallen kann. Aufgeschlosses Gäste sollten damit allerdings kein großes Problem haben, denn von einem gelungenen und non-konformen Menü darf man schließlich ein paar Denkanstöße erwarten (man nehme beispielsweise das Himbeer-Crumble oder den gegrillten Spargel). Dessen ungeachtet gab es jedenfalls eine enorme Bandbreite von vergleichsweise schlicht präsentierten bis hin zu kunstvoll durchdeklinierten Kreationen – und das alles zu gastfreundlich kalkulierten Preisen.
Eine große Überraschung hatte jedoch auch Herr Obendorfer für mich parat: ich rechnete mit einer gewöhnlichen „Stippvisite“ eines Chefs an allen Tischen nach vollbrachter Arbeit, doch als ich an die Reihe kam, wusste er zu meinem nicht geringenen Erstaunen von meiner Tätigkeit hier als „Hobby-Rezensent“ und meiner regen Aktivität bereits Bescheid! Jedenfalls versicherte ich ihm glaubwürdig, damit sei nichts Professionelles (ich habe noch keinen Cent damit verdient!), sondern nur reine Leidenschaft meinerseits verbunden. Gleichwohl freue ich mich natürlich auch, wenn Profis meine Kritiken zur Kenntnis nehmen. Damit auch kein falscher Eindruck entsteht: ich habe natürlich ganz brav meine Rechnung gezahlt!
Nach den gezeigten Darbietungen kann ich jedenfalls bestätigen, dass die aktuellen Bewertungen der Profi-Guides angemessen und nachvollziehbar sind. Damit steht das vielfach ausgezeichnete Haus an der Schwelle der Top 50 von Deutschland – eine beachtliche Leistung.
Jenseits aller Beurteilungen stehen für mich zwei Dinge außer Frage: erstens, dass Hubert Obendorfer sein Metier vollkommen beherrscht und dennoch offen für Kritik seiner Gäste ist sowie zweitens, dass die gesamte Belegschaft von der Rezeption bis hin zu den Kellnern in diesem Haus eine Leidenschaft und Hingabe an den Tag legt, die heutzutage leider sehr selten geworden sind. Eine derart herzliche Wohlfühlatmosphäre, wie man sie in diesem Haus noch erfahren darf, muss man anderswo lange suchen. Vermutlich ist es genau dieser Umstand, der am stärksten dazu beiträgt, dass sich dieses Etablissement eines ungebrochenen Interesses erfreut und dies sicherlich auch in Zukunft weiter tun wird.