Stadtpfeiffer*, Leipzig (UPDATE)

„Leute mit Mut und Charakter sind den anderen Leuten immer sehr unheimlich.“ (Hermann Hesse)

UPDATE (Dezember 2023)

Auf dem Spielplan des Gewandhauses Leipzig steht an diesem Abend Der Stadtpfeiffer – eine große kulinarische Oper von Detlef Schlegel in zwei Akten. Zum Pausenprogramm begebe man sich an diesem Tag in den Konzertsaal des Gewandhauses, wo Beethoven 9. Sinfonie unter der Leitung von Manfred Honeck aufgeführt wird.

Falls Sie jetzt etwas verwundert ob dieser merkwürdig klingenden Ausführungen sind, so lassen Sie sich am besten zuerst über das Arrangement des Lokals an den beiden Tagen vor Silvester aufklären: die Gäste werden um 17 Uhr zum ersten Teil des Dîners gebeten, lauschen danach um 20 Uhr der Vorpremiere von Beethoven 9. Sinfonie, die traditionell an Silvester aus dem Gewandhaus Leipzig live vom MDR (dann um 17 Uhr) übertragen wird, und begeben sich danach wieder gegen 21.30 Uhr zum zweiten Teil der Genuss-Oper in das angrenzende Lokal. Für den besonderen Gast, den Chefkoch Detlef Schlegel offenbar in mir sieht, hat er mal wieder nicht weniger als drei (!) Zusatzgänge eingebaut – und das, obwohl der Preis für vergleichbare Arrangements in anderen Städten wesentlich höher angesiedelt ist als in der Sachsenmetropole.

Schon beim Premierenbesuch vor zwei Jahren waren mir die außerordentliche Herzlichkeit der gesamten Servicetruppe unter der Leitung von Petra Schlegel, der Ehefrau des Chefs, sowie die erfrischend individuelle Küche Detlef Schlegels in bester Erinnerung geblieben. Es ist erstaunlich genug zu sehen, dass ein Chef, der heuer seinen 60. Geburtstag feiert, besser und reflektierter aufkocht denn je: seine Synthese von durchaus regionalen Produkten mit den Grundfesten der französischen Klassik führt zu außerordentlichen Erlebnissen, die spätestens seit der ziemlich überraschenden Schließung des Falco in einem Umkreis von mehr als 100 Kilometern absolut konkurrenzlos sind. Dass der Guide Michelin dem Lokal auch jüngst wieder eine Aufwertung auf zwei Sterne verwehrte, befeuert meines Erachtens nur die kolportierte Benachteiligung von Lokalen in den neuen Bundesländern. Warum ich so gerne eine Lanze für dieses Lokal brechen möchte, wird hoffentlich aus den nachfolgenden Ausführungen deutlich.

Das Rahmenprogramm für Beethovens 9. Sinfonie im Mendelssohn-Saal des Gewandhauses bildet das Menü mit dem passenden Namen „Götterfunken“, das gerade mal mit kaum für möglich gehaltenen € 150 zu Buche schlägt. Für die begehrten Konzertkarten im weltbekannten Gewandhaus werden jeweils nochmals € 140 fällig, so dass dieses Arrangement in Summe deutlich günstiger als anderswo ein vergleichbar gelungenes Menü alleine ausfällt! Da fällt die Zusage nicht schwer, zumal ich mir als Musiker natürlich kaum etwas Schöneres als das inkludierte Konzerterlebnis vorstellen könnte!

In der dunklen Jahreszeit wirkt sich das etwas diffuse Licht im Lokal zwar nicht unbedingt positiv auf die Qualität der Fotos aus, aber für aussagekräftige Eindrücke sollte es dennoch ausreichen. Den ungewöhnlichen Auftakt bildet ein Amuse, das rein vegetarisch gestaltet ist und gehörigen Eindruck macht: auf einer Wiesenkräutercrème drapiert das Küchenteam Kerbel, Kresse, Sellerie (auch als geröstetes Crumble) und Karotte derart durchlässig, dass alle Komponenten bei aufmerksamem Verzehr deutlich erkennbar sind und in Summe ein überraschend dichtes und kompaktes Geflecht an Aromen entfalten. Dank feinster Abstufungen und des herben Begleiters, ein Glas Champagner Bratbirne von Jörg Geiger, stellt dies einen würdigen Einsteiger dar. Ja, so faszinierend können vegetarische Gerichte ausfallen!

Die reichhaltige Brotauswahl, bestehend aus Weizen- und Roggensauerteigbrötchen sowie Brioche, gewinnt durch die subtile Würze von Kümmel und Leinsamen weiter an Kontur und wird durch die bretonische Bordier-Butter noch zusätzlich aufgewertet.

Wir starten ins Menü mit einem kalten Fischgang, in dessen Mittelpunkt mild gebeizter und recht festfleischiger Färöer-Lachs steht. Die Begleitung mit Dill, Texturen von Gurke und Imperial Gold Kaviar mag noch einigermaßen gewöhnlich erscheinen, doch erst danach zeigt sich, dass sich Detlef Schlegel mit einer solch risikofreien Auslegung keineswegs zufrieden gibt und warum diese Küche so außergewöhnlich ist: anstelle der klassischen Crème fraîche kommt unerwartet eine geeiste Beurre blanc zum Einsatz, wobei spätestens mit der Beigabe von Zitrusfrüchten und grünem Apfel dieser Gang ein völlig ungewöhnliches Kolorit bekommt. Trotz der ungewohnten Aromen gelingt es der Küche, eine völlig unangestrengt wirkende und höchst elegante Kreation auf den Teller zu zaubern, die mit klassischer Ausgewogenheit und Klarheit punktet – ein Gericht der leisen Töne, aber dennoch ganz groß.

Noch besser wird es jedoch im nächsten Gang, denn ich nehme es gleich vorweg: dieser kühne Geniestreich rund um Gänseleber gehört zu den zehn einprägsamsten Gerichten, die mir jemals mit diesem Produkt vorgesetzt wurden. Allein schon die an den Maler Mark Rothko erinnernde Optik gerät hinreißend; vor allem ist indes das Maximum an Geschmack, welches die Küche aus gerade einmal zwei weiteren Produkten extrahiert, das Bemerkenswerteste an diesem Teller. Die ungestopfte Innerei wird als Parfait interpretiert, doch mit zwei divergierenden Ansätzen begleitet: zum einen ist sie als Würfel mit einem zwischen herb und bitter changierenden Gel von Kaffee, Pfeffer und Gänsereduktion ummantelt, während die zweite Variante unten mit einem fruchtig-herben Sorbet von Hagebutte getoppt und von zwei hauchzarten Karamellchips eingerahmt wird – gebettet ist das Ganze auf zweierlei Pulver von Karamell und Kaffee zum beliebigen Nachwürzen. Dank auffallend wenig Süße und idealer Portionierung kommen enorm viele Facetten der Innerei bestens zur Geltung, so dass man hier nur unumwunden von einem echten Meisterwerk sprechen kann, das schon ikonisch wirkt.

Die Jakobsmuschel im nächsten Gang wird nur kurz geflämmt und bleibt dadurch innen bewusst etwas glasig. Der in Frankreich recht übliche, aber in Deutschland eher seltene Ansatz, die Corail ins Gericht mit einzubeziehen, muss hier nicht infrage gestellt werden, da sie dank sorgsamer Zubereitung von wachsweicher Konsistenz ist und keinerlei penetrante Bitterkeit von ihr ausgeht. Wenn schon ein für die Hochküche typisches Luxusprodukt zum Einsatz kommt, so muss bei Detlef Schlegel dann wenigstens die Begleitung individuell geraten: das ist auch hier der Fall, denn das Topping des geschmorten Chicorée mit gerösteten Erdnüssen und Trauben verströmt eine höchst eigentümliche Form von Süße, die man als Begleitung der Muschel so nicht kennt. Die Sauce dagegen weist eine deutliche Pfeffernote auf und fängt im Verbund mit einer würzigen Crème unter dem Chicorée die Süße geschickt auf, weshalb auch hier von einer gelungenen und eigenwilligen Visitenkarte gesprochen werden darf.

Seine Vorliebe für rare Pilze lässt Detlef Schlegel beim nächsten Gang einfließen: den Hummer mit leichtem Restbiss bettet er auf einer grenzwertig dünnen Bisque, wohl um die Krause Glucke besser zur Geltung kommen zu lassen. Dank des dünnen, aber präsenten Streifens von Lauch wird daraus eine selten würzige und etwas gewöhnungsbedürftige Variante, das Krustentier zu interpretieren. Das mag vielleicht nicht nach dem Gusto jedes Gastes sein, aber der Mut der Küche zum Risiko zahlt sich aus, da ich dies als ein schönes und trotz der ungewohnten Aromatik stimmiges Gericht empfinde – schwerlich der Höhepunkt der Menüfolge, aber nach all den bisherigen Eingebungen muss dies auch gar nicht sein!

Völlig unstrittig in der Bewertung dürfte dagegen das Sorbet von schwarzem Holunder ausfallen, denn die ungeheuer tiefe Fruchtigkeit und die fast cremige Konsistenz zeugen von Extraklasse, die selbst den Vergleich mit Sven Wassmer (Memories, Bad Ragaz) nicht scheuen muss. Platziert ist der Hauptdarsteller auf grünem Apfel, der zuvor in Holunderblütenöl eingelegt wurde – ein durchdachtes und erfrischendes Intermezzo abseits aller Routine. Wunderbar!

Der letzte Gang vor der Pause dreht sich um ein Raviolo auf Spinatcrème. Die Teigtasche wird außen mit gebackenem Eigelb, Haselnuss und Périgord-Trüffel umspielt, doch der eigentliche Clou ist die Farce der Teigtasche: Gänseklein, Steinpilze und flüssiges Eigelb verbinden sich zu einer habhaften Füllung, die dieser klassischen, an Eckart Witzigmann erinnernden Kombination ein eigenes, ziemlich würziges und aromensattes Gepräge verleiht. Dank des schlafwandlerisch sicheren Handwerks wirkt das gänzlich entspannt und zutiefst beglückend. Jetzt kann das Konzert kommen …

Die Wiederaufnahme des Mahls gut zwei Stunden später beginnt zu unserer nicht geringen Überraschung abermals mit einem Amuse bouche: die markanten Bitterstoffe einer Terrine von Rehleber (wann darf man das schon mal verkosten?!) werden durch die nicht näher definierte Glasur und das Birnensorbet darauf geschickt abgefedert, ohne dabei jedoch die geschmackliche Wirkung in irgendeiner Weise zu relativieren. Das schärft die Sinne vor dem Hauptgang und erzielt die intendierte Wirkung ohne Mühe. Das Plat principal kann nun kommen …

… und schlägt voll ein: es schafft eine Verbindung zum Amuse, indem das Reh nun die Hauptrolle einnimmt. Das komplett gleichmäßig rot gebratene Fleisch gibt sich betont herb, aber dennoch nicht so markant als dass nur knallige Begleiter dagegen ankommen könnten. Die tiefe, mit roter Bete veredelte Jus bildet ein starkes Fundament für das Arrangement aus einer Rose von roter Bete. Man sieht dem Teller kaum alle Produkte an, doch beim Verzehr erstrahlen nochmals alle Zutaten in schönster Harmonie: sei es die Senfsaat in der Rose, eine Quarkcrème, ein Gnocchi-Würfel, ein Gel von Zwetschge oder die subtile Würze mit Zimt. Das einmal mehr harmonische und vollkommen organisch wirkende Ensemble überzeugt mit stiller Größe und muss sich dank seiner inhärenten Qualität in keinster Weise aufspielen – fraglos ein Highlight dieses an bemerkenswerten Momenten keineswegs armen Abends!

Auch beim Käsegang mangelt es dem Chef mitnichten an Ideen: der leicht säuerliche, aber insgesamt milde korsische Käse Fleur de Maquis bekommt als Begleiter nicht nur eine knusprige Hühnerhaut zur Seite gestellt, sondern wird auffallend präsent von Bohne in dreierlei Variante begleitet: neben den gut erkennbaren Streifen ist auch die Crème aus weißen Bohnen hergestellt. Des weiteren fließt auch noch ein Bohnenragout mit ein, so dass dieser Beitrag ungewohnt deftig und mit einer durchaus präsenten Pfeffernote in Szene gesetzt wird. Bedenkt man, wie wenige andere Lokale überhaupt noch Käsegange ersinnen, so muss man diesen außergewöhnlich kreativen Beitrag umso höher bewerten.

Beim Dessert empfinde ich die optische Inszenierung als ein wenig klobig, weshalb hier wohl noch etwas Raum für Verbesserungen bliebe. Dem Geschmack selbst tat es freilich keinen Abbruch: im Mittelpunkt des Desserts steht die Blutorange, welche als Sorbet, Baiser, Sud und in filetierter Form den Löwenanteil zu diesem Ausklang beiträgt. Das bleibt dank variabler Texturen hinreichend interessant und wird durch die Beigabe von gehackter Pistazie und Pistaziencrème weiter aufgewertet. Diesem Einfall liegt eindeutig das Wechselspiel von Nussigkeit und Fruchtigkeit am Herzen, was aber nicht bedeutet, dass ein Feinschliff ausbleibt: dank der Beigabe von weißer Ivoire-Schokolade als Flan (im Sud) und als Luftschokolade entsteht auch aus dieser seltenen Kombination ein reizendes Spiel mit Konventionen.

Seiner Linie, bloß nicht zu sehr auf Bewährtes, aber dafür jederzeit auf Qualität zu setzen, bleibt Detlef Schlegel auch bei den Petits fours und damit bis zum Schluss treu: von links nach rechts handelt es sich um eine Tartelette von Valrhona-Schokolade, dann ein Amarettini mit Nougat, gefolgt von einem Macaron aus Steinpilz (!), einer Lavendel-Praline und schließlich einer Tartelette von Heidelbeeren und Zitrone. Bei der Annoncierung des Macarons glaubte ich zunächst, mich verhört zu haben …
Trotz mehr als ausreichender Sättigung gelang es mir noch, diese Parade am Ende eines langen Abends ausreichend zu würdigen, denn speziell der Macaron hatte nochmals meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen – und faszinierte mich über alle Maßen! Ein grandioses Finale!

Der stets so bescheiden und natürlich auftretende Detlef Schlegel hat es einmal mehr geschafft, uns vollkommen zu überzeugen. Hier kann man spannungsgeladene Gerichte mit höchst seltenen Viktualien erleben, die von der Machart her durch und durch französisch erscheinen, aber dank der sorgsamen geistigen Durchdringung und der Bevorzugung verkannter Lebensmittel zugunsten arg geschundener und sattsam bekannter Produkte so frisch und voller Elan erscheinen, dass man zu dem Schluss kommt, hier habe jemand seine ganz persönliche Stilistik gefunden und konsequent perfektioniert. Mir bleibt jedenfalls schleierhaft, weshalb mit Ausnahme des GUSTO keiner der professionellen Guides dem Stadtpfeiffer eine überdurchschnittliche Note vergibt – mit nunmehr 60 Jahren wirkt der Chef zwar durch und durch glücklich, aber über ein verdienteres Maß an Anerkennung würde auch er sich sicher freuen. Argumente dafür gäbe es meiner Meinung nach zuhauf: allein schon der Mut, in einer kulinarisch nur mäßig attraktiven Region eine solch erfrischend andere Küche anzubieten, verdient Respekt. Dabei werden die Grenzen des guten Geschmacks aber niemals verlassen, sondern eher neu definiert – gerade so kreative und doch vollkommen organisch anmutende Höhenflüge wie der Gänseleber-Gang verdeutlichen, mit wie viel Kreativität hier neue Wege betreten werden, ohne dass der Geschmack dabei jemals dem Intellekt geopfert würde. Trotz der klassischen Ausrichtung kommt die gesamte Menüfolge nahezu ohne Routinen aus und weitet den kulinarischen Horizont ganz unmerklich, wenn seltene heimische Pilze zur Anwendung kommen oder wie beim ersten Besuch die exotische Blaugurke den Weg auf den Teller findet.

Einen unverzichtbaren Teil des Gesamterlebnisses stellt der unvergleichlich charmante Service dar, der unter der Leitung von Petra Schlegel nicht nur sicher agiert, sondern auch jedem Mitarbeiter, der in der Hierarchie nicht ganz oben steht, das Gefühl gibt, ein ungemein wichtiger Teil des Gesamtpakets zu sein. So kommt zu nahezu jedem Gang eine andere Servicekraft oder ein Küchenmitarbeiter an den Tisch und erläutert die Gerichte authentisch. Kompetente Antworten auf etwaige Nachfragen sind dabei genauso selbstverständlich wie ein fehlerfreies und authentisches Auftreten aller Mitarbeiter – logisch, dass auch dieser zweite Besuch wieder mit einem Gruppenfoto in der Küche endet, auch wenn wir einmal mehr die letzten Gäste sind und sich die Zeiger der Uhr bereits gen Mitternacht bewegen.

Selbstverständlich wäre eine Aufwertung auf zwei Sterne im Alter von 60 Jahren praktisch beispiellos, aber meines Erachtens gehört diese Perle von einem Restaurant fraglos zu den fünf besten Einsternern der Republik. Sieht man von den Touristenhochburgen an der Ostsee ab, gibt es praktisch kein Lokal in den neuen Bundesländern, welches diesem das Wasser reichen könnte. Während es anderswo die Spatzen von den Dächern pfeifen, verkünden hier die Stadtpfeiffer selbst die Botschaft, dass der zweite Stern längst fällig ist!

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

Stadtpfeiffer
Augustusplatz 8
04109 Leipzig
Tel.: 0341/2178920
www.stadtpfeiffer.de

Guide Michelin 2023: *
Gault&Millau 2023: 3+ Toques
GUSTO 2024: 9,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2024: 3,5 F

5-gängiges Menü „Götterfunken“: € 150

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„Namen sind Schall und Rauch.“ (volkstümliches Sprichwort)

Oktober 2021

Trommelwirbel, Vorhang auf und Tusch: der Koch des Jahres im GUSTO 2022 ist …???
Detlef Schlegel !!! – Bitte wer ???

Ja, so ähnlich lautete meine Reaktion bei der Bekanntgabe des Preisträgers! Zwar war mir der Stadtpfeiffer in Leipzig durchaus ein Begriff gewesen, aber wegen Terminkollisionen mit einem Besuch im Falco oder wegen eines Opernbesuchs hatte es mir bislang bei meinen bisherigen Stippvisiten in Leipzig nie gereicht, hier mal vorbeizuschauen. Offen gestanden genoss dieses Lokal aus meiner Sicht lange Zeit den Status eines durchschnittlichen, einfach besternten Restaurants, das man sicherlich mal besuchen kann, aber nicht zwingend muss. Selbst als der GUSTO binnen der letzten drei Jahre seine vergebene Note um anderthalb Punkte auf nunmehr stolze 9,5 Pfannen anhob, kannte ich den Namen des Chefkochs noch immer nicht. Dieses Versäumnis ist inzwischen natürlich Geschichte, denn die angeblich rasante Entwicklung der letzten Jahre hatte mich nun doch aufhorchen lassen – offenbar war mir da (was selten vorkommt) etwas sehr Lohnenswertes bisher entgangen. Kann es andererseits wirklich sein, dass Mittfünfziger Detlef Schlegel plötzlich auf die Überholspür ausschert und jetzt aufblüht?

Meine Neugier war fraglos geweckt – wie passend, dass der Termin unseres Besuchs exakt der zehnte Jahrestag vom Beginn meiner Leidenschaft als Gourmet war: an jenem nasskalten und herbstlichen Sonntag, den 30. Oktober 2011, besuchte ich völlig unvoreingenommen das damalige Zwei-Sterne-Restaurant La Belle Epoque von Kevin Fehling und wurde Zeuge einer nicht für möglich gehaltenen Darbietung. Meine kulinarischen Erfahrungen hatten sich bis dato auf das Burgrestaurant Staufeneck in Salach beschränkt, welches an sich schon eine ordentliche Adresse darstellte. Was Kevin Fehling und sein Team an jenem Abend auf die Teller zauberten, gehört für mich allerdings bis heute zu den besten Besuchen aller Zeiten. Mein Eindruck einer fabelhaften Darbietung wurde bestätigt, denn im folgenden Jahr erhielt Kevin Fehling den begehrten dritten Michelin-Stern, den er bis heute in seinem aktuellen Lokal The Table in der Hamburger Hafencity behauptet. Insofern hoffte ich natürlich, wieder in der Gegenwart angekommen, auf einen würdigen Abend anlässlich dieses für mich ganz besonderen Jubiläums.

Dass ein Lokal, dessen Räumlichkeiten sich im weltberühmten Leipziger Gewandhaus befinden, einen gewissen kulinarischen Anspruch zu befriedigen hat, stand für mich außer Frage. Da Detlef Schlegel dieses Lokal bereits seit nunmehr 20 Jahren zusammen mit seiner Frau Petra betreibt, durfte man schon von einem gewissen etablierten Niveau ausgehen, doch während die Namen berühmter vergangener Leipziger Kapellmeister wie Kurt Masur, Herbert Blomstedt, Riccardo Chailly und des aktuellen Amtsinhabers Andris Nelsons selbst denjenigen, die nicht viel mit klassischer Musik am Hut haben, teils etwas sagen dürften, so verhält es sich mit dem Namen Detlef Schlegel im Gegenteil eher so, dass er bis vor kurzem selbst Gourmets wie mir nichts sagte. Höchste Zeit, das zu ändern!

Das etwas versteckt in einem Seitentrakt gelegene Lokal gibt sich von außen völlig bescheiden und würde geschickt tarnen, welches Genussrefugium sich dahinter verbirgt, wenn draußen nicht das einfach besternte Emailschild des Guide Michelin befestigt wäre. Drinnen findet der Gast eine absolute Wohlfühlatmosphäre vor: eher schlicht gehalten, fallen die großzügigen Abstände zu den Nachbartischen und das überdimensionale Kunstwerk eines Leipziger Künstlers an der Wand auf (über dessen Entstehung und Inspiration der Service auf Nachfrage gerne auch Auskünfte erteilt). Ansonsten sind die Tische ganz klassisch eingedeckt und lassen umgehend auf ein zwar gehobenes, aber keineswegs herausragendes Küchenniveau schließen. Understatement werden wir im Laufe dieses Abends allerdings mehr als nur einmal erleben, so dass hier von einem echten Antipoden zum nicht mal einen Kilometer entfernten Falco gesprochen werden kann, wo große Gesten und einiges an Show regelmäßig auf der Tagesordnung stehen.

Dies bedeutet aber keineswegs, dass man im Stadtpfeiffer etwa eine uniforme Küche mit einschlägigen Luxusviktualien auf mehr oder weniger gewohnte Art und Weise anbieten möchte. Schon die erste Einstimmung verdeutlicht, welche individuelle Ideen hier umgesetzt werden, die nicht im Geringsten überdreht wirken: zum Auftakt erläutert der sehr persönlich agierende Service das erste Amuse gleich im Detail. Der seltene und vom Chef höchstpersönlich gesammelte Klapperschwamm gelangt in gleich dreierlei Ausfertigung hinreißend auf den Teller: links in Form einer leicht eingedickten Crème von ausgesprochen delikatem Geschmack, in der Mitte asiatisch eingelegt und rechts schließlich in gebratener Form, was die erdig-nussigen Aromen des Pilzes in bestem Licht erscheinen lässt. Solch ein delikater Einstieg, der jedweder Routine entbehrt und zudem voll der Jahreszeit huldigt, lässt schon mal erahnen, dass hier ein Küchenchef am Hantieren ist, der inzwischen eine höchst eigenständige Handschrift entwickelt hat – und das gleich zu Beginn mit einem eher profan wirkenden Produkt, welches uns sofort Appetit auf mehr machte. Ein kraftvoller und mutiger Cocktail mit Gartenkräutern, Limette, Ingwer und Kardamom unterstrich das soeben Gesagte abermals und punktete mit herbem Geschmack. Lediglich ein wenig Kohlensäure hätte dem mit stillen Wasser kredenzten Getränk vielleicht gut getan.

Während der Lektüre der Speisekarte reicht man dazwischen eine ganz ordentliche und vor allem noch sehr warme Brotauswahl, die auch wieder unaufgefordert aufgefüllt wird und ganz schlicht mit Salzbutter an den Tisch kommt. Zur Auswahl stehen hier derzeit zwei sechsgängige Menüs zu je € 145, von denen das eine vegetarisch ist – allein der geforderte Preis lässt uns beim großstädtischen Vergleich schon mal ungläubig staunen, doch das sollte im Laufe des Abends noch besser werden …

Unsere Wahl fällt auf das gewöhnliche sechsgängige Menü, doch kommt vor dem offiziellen Auftakt noch zu unserer nicht geringen Überraschung trotz des durchaus opulenten Apéros zum Beginn noch ein weiterer Gruß aus der Küche, der mit nichts weniger als Kaisergranat gestaltet ist. Das Krustentier kommt in kräftig geflämmter, in sanft gegarter und roh marinierter Variante auf den Teller, während eine Brunoise aus Blaugurke und „echter“ Salatgurke ausgesprochen gut korrespondierende Fruchtigkeit beisteuert. Dabei sei angemerkt, dass die Blaugurke, ursprünglich in China beheimatet, inzwischen wohl auch als Spezialität im Leipziger Raum zu finden ist und gar nicht nach Gurke, sondern eher wie ein Zitrusfrucht schmeckt. Das Sorbet vom Essigbaum schließlich rundet ein luxuriöses und individuell gestaltetes Amuse ab, das in vielen anderen Sternelokalen locker einen eigenen (und teuren) Gang hätte darstellen können. Superb!

Wir hoffen inständig, dass die Küche die Messlatte inzwischen nicht so hoch gehängt ist, dass sie im weiteren Verlauf am selbst gesteckten Anspruch zu scheitern droht – schließlich vergeben der Guide Michelin sowie der Gault&Millau im Gegensatz zum GUSTO keineswegs überragende Noten. Ach ja: eine alkoholfreie Getränkebegleitung zum Spottpreis von € 34 für den ganzen Abend lasse ich mir gerne auch noch empfehlen – ich sollte es nicht bereuen!

Zum ersten Gang annonciert man Entenleber, Schlehe und Vanille – tendenziell natürlich eine süßliche Begleitung, aber doch eine, die sich bei näherem Hinsehen als subtil erweist: nicht nur die Varianten der Leber (als Parfait in der Praline sowie als cremige Terrine) sorgen für gerne gesehene Abwechslung. Die Geltropfen von Schlehe sind weit mehr als nur optisches und überflüssiges Beiwerk, sondern federn mit straffer Säure den Zuckergehalt deutlich ab. Vanille und Fuchsie verleihen dem Gang, der nicht süßer hätte ausfallen dürfen, dagegen aristokratische Eleganz. Wer solche Produkte in dieser Qualität offerieren kann, braucht nicht viel Beiwerk – das weiß auch Detlef Schlegel, der seine Parade mit einem selten puristischen Gang einläutet. Ein toller Einstieg von großer handwerklicher Akkuratesse, stilsicher begleitet mit Verjus aus dem Hause Tement in der Steiermark.

Oktopus, Fenchel und Olivenlakritz entpuppt sich als der launigste Teller des Abends: das Karottenraviolo mit Crème-fraîche-Füllung, etwas Dill sowie ein aufgegossener Artischockensud komplementieren die annoncierten Zutaten auf stimmige Weise, denn in diesem mediterranen Arrangement ist alles trennscharf herauszuschmecken. Dabei sorgen die Anisnoten der Lakritze für einen individuell geprägten und ziemlich herben Abgang, der in diesem recht wuchtigen Gericht allerdings seinen Reiz hat. Mehr hätte dieser Teller nicht verkraftet, aber so wie die Dinge lagen gelang auch dieser Teller ausgezeichnet – lediglich die Begleitung mit weißem Pfirsichsaft aus dem Hause Van Nahmen empfand ich ausnahmsweise mal als weniger gelungen.

Als weitere Überraschung schiebt man fast beiläufig Jakobsmuschel (!) ein, die im Vergleich zum vorigen Gang eher puristisch, aber ungewöhnlich mit Chicorée begleitet wird. Die Bitterstoffe des vegetabilen Begleiters werden durch die Corail der Muschel noch verstärkt, so dass zum Ausgleich eine mit Orangeat aromatisierte Sauce dringend benötigte Fruchtigkeit ins Spiel bringt. Die wunderbar glasige und nur kurz geflämmte Jakobsmuschel steht voll im Mittelpunkt, doch auch die kleinen Scheiben von gerösteten Haselnüssen auf den Komponenten runden mit deutlich nussigen Akzenten diesen fast schon gewagt herben Gang ab. Marillensaft aus dem Hause Kohl entpuppt sich dabei als idealer flüssiger Begleiter.

Saibling dominiert den nächsten Gang und wird wunderbar begleitet mit einem süffigen Sanddornschaum. An dessen Seite tummelt sich ein Bouquet aus Kürbis und Karotten, welches in stimmiger aromatischer Vielfalt den Hauptdarsteller begleitet. Dabei bleibt dieser der unangefochtene Star des Tellers, denn dank des grandiosen Handwerks und der schieren Präzision darf der konfierte und zart gegarte Fisch seine Qualitäten voll ausspielen. Wunderbar mürb und unendlich saftig gerät dieser – absolut grandios! Die dezent rauchigen Noten von Buchenrauch wären dabei wohl gar nicht notwendig gewesen. Bergapfelsaft mit Hopfen aus dem Hause Kohl ist jedenfalls ein transparenter und nicht zu schwerer Begleiter, der hervorragend passt.

Vor dem Hauptgang erwartet uns eine abermalige Überraschung, die wir mehr als wohlwollend zur Kenntnis nehmen: während die saftige Tranche von Zander gut erkennbar ist, wird auf der rechten Seite etwas Aal unter einem filigran drapierten Arrangement versteckt: dabei kommen Kraut, Kresse, gepuffter Quinoa und Senfsaat alle gleichermaßen zu ihrem Recht. Der vorzügliche Fisch dominiert das Gericht fraglos, doch auch die genau ausgeklügelte Begleitung erweist sich zu keinem Zeitpunkt als langweilig. Einmal mehr bestätigt sich, dass die eigenwillige Interpretation durchaus einschlägiger Produkte hier immer wieder deshalb so gut gelingt, weil die Gerichte trotz allen Wagemuts niemals die gebotenen aromatischen Grenzen durchbrechen und die geistige Durchdringung der Kreationen ein Entgleisen sicher verhindert. Abermals kann uns dieser Teller vollkommen überzeugen, zumal Traubensecco von Raumland ein fruchtig-leichter Begleiter ist, der das Gericht keinesfalls dominiert.

Als Erfrischung vor dem Hauptgericht streut man ein herbes Basilikumsorbet ein, dessen Aromen von dem aufgegossenen Limettensud und seiner leichten Süße schön aufgefangen werden. Die mir bis dato überhaupt nicht geläufigen kleinen Tulsi-Blüten (indisches Basilikum) sind weit mehr als nur optisches Beiwerk, denn sie potenzieren die Wirkung des Sorbets darunter ganz eindeutig und verleihen diesem Gang ungeahnte aromatische Kraft. Was uns erneut so gefällt, ist die niemals sinnfreie Verwendung irgendwelcher Komponenten – doch damit nicht genug, denn ganz gleich, ob es sich um exotische oder konventionelle Begleiter handelt, es wirkt immer stimmig und zeugt vom großen Wissen des Chefs bei den unterschiedlichsten Produkten. Bravo!

Auch der Hauptgang knüpft nahtlos an das zuvor gezeigte Niveau an: der ganz gleichmäßig, tiefrot gebratene Hirsch aus dem nahen Düben weckt schon aufgrund seiner umwerfenden Farbe Erwartungen, die beim Verzehr natürlich allesamt bestätigt werden. Mineralische Frische und die ganz leicht bitteren, für diese Art von Fleisch so typischen Aromen zeugen von der makellosen Qualität und Zubereitung, doch ohne die unglaublich tiefe, mit Traubenkernpulver gewürzte Jus würde etwas Entscheidendes fehlen. Die vielfältige Begleitung übernehmen Schwarzwurzel, Weintrauben und Radicchio, der vermutlich leicht geschmort wurde. Unterm Strich ist dies ein sensorisches Fest wie es einem bei Hauptgängen nur selten einmal zuteil wird. Kongenial abgerundet wird der Gang von wildem Pflaumensaft (Van Nahmen), dessen Bitternoten im Abgang ideal zu diesem Teller passen. Ganz hervorragend!

Der einzige minimal schwächere Teller an diesem Abend ist der Käsegang – schon allein deshalb, weil der Roquefort lediglich in wenigen kleinen Würfeln unter den flächendeckend drapierten, hauchzarten Scheiben von säuerlich eingelegter Quitte kaum zur Geltung kommt. Das keinesfalls nur dekorative Türmchen darauf vereint Chicorée, karamellisierte Erdnüsse und Ysop (Eisenkraut) zu einem stimmigen Einfall, doch gegen all diese Komponenten kommt selbst der ausgesprochen wuchtige Blauschimmelkäse nicht an. Alles in allem fehlte mir hier ausnahmsweise so etwas wie ein roter Faden, doch ein spontan kredenzter Cocktail aus Grapefruit, Quitte und Tonic tröstete mich locker darüber hinweg.

Auch beim Pré-Dessert gehen der Küche die Ideen nicht aus: zwei Türmchen, deren Fundament aus Renekloden besteht, schichtet die Pâtisserie mit einer Knusperscheibe von Lakritz, Pfirsich und weißer Luftschokolade auf. Das vielfältige und voller Überraschungen steckende Dessert wird durch das Eis von weißer Schokolade würdig abgerundet und mit der alkoholfreien Variante des Champagner-Bratbirnen-Secco aus dem Hause Jörg Geiger flüssig veredelt.

Deutlich gehaltvoller, aber dafür sparsam portionierter gerät das Dessert: zwischen einer hauchzart gelierten Scheibe schwarzen Holunders und dünn aufgetragenen Konfitüre desselben Produkts platziert man hier Bitterschokolade in den unterschiedlichsten Varianten (Sorbet, Ganache, Gel und Würfelpraline). Klein gestoßene Edelkastanie rundet diesen kompakten und gleichzeitig sehr variablen Ausklang, dem man das Prädikat eines kleinen Meisterwerks anheften muss, würdig ab. Die kreative Umsetzung dieser Idee bei gleichzeitiger Vermeidung allzu plakativer Süße macht daraus einen Beitrag der Extraklasse, selbst wenn dieser ohne flüssige Begleitung auskommen muss.

Auch bei den Ausklängen schaltet die Pâtisserie nicht etwa in den Leerlauf, sondern bleibt ihrem Qualitätsanspruch an sich selbst treu: Nougattarte, Papaya-Kaffee-Praline, Bitterorange-Törtchen mit Brombeere, Mandel-Haselnuss-Schnitte und Karameltartelette (vordere Reihe von links nach rechts) können wir nicht widerstehen, obwohl der Sättigungsgrad inzwischen beträchtlich ist.

Was für ein Abend! In meinen kühnsten Träumen hätte ich nicht mit einer solchen Darbietung gerechnet! Im Gegensatz zum Falco setzt man hier niemals auf knallige Effekte, sondern ersinnt Gerichte, die stets auf solidem französischem Fundament ruhen. Deren Qualität basiert nicht auf dem Einsatz von durchweg teuren Viktualien, sondern auf der detailgenauen Arbeit und der geschmacklich exakt ausgeloteten Wirkung. Die hier präsentierten Gerichte werden von einer Art inneren Logik zusammengehalten, die trotz einer gewissen Variabilität bei den Gerichten immer stimmig wirkt: mal wird ein Stück Fleisch relativ aufwendig begleitet, mal wird die Gänseleber ganz puristisch inszeniert. Und doch ist da stets eine kulinarische Aussage zu erkennen, die für den Stil dieser Küche typisch ist – das ist im Grunde genommen gar keine große stilistische Kehrtwende, die zur rapiden Aufwertung durch den GUSTO führte, sondern offenbar vielmehr eine bislang ungekannte Präzision bei der Zusammenstellung und Zubereitung der Gerichte. Man betrachte nur den ganz homogen dunkelrot gebratenen Hirsch, den wunderbar saftigen Saibling oder die glasige Jakobsmuschel – die Optik weckt Erwartungshaltungen beim Geschmack, die beim Verzehr allesamt noch übertroffen werden. Auf den Tellern findet sich kein Gepolter, das die Produkte überhöhen müsste, sondern große Harmonie, die die Qualität der verwendeten Produkte ganz beiläufig mit großer Tiefenschärfe ins beste Licht rückt. Während anderswo das Einschieben von sogenannten Überraschungen bisweilen dazu dient, von fehlender Substanz oder geistiger Durchdringung ablenken zu müssen, so freute man sich hier wirklich über jeden nicht annoncierten Zwischengang, da das Niveau praktisch durchgehend überragend war. Wenn man dann noch bedenkt, dass wir quasi neun anstatt sechs Gänge zu € 145 vorgesetzt bekamen, von denen keiner auch nur annähernd missraten oder langweilig gewesen wäre, dann steht unterm Strich eines der allerbesten Preis-Leistungs-Verhältnisse, das wir je bei einem Abendessen erleben durften. Wir fragten uns sogar, wie man solche Spottpreise wie die hier geforderten überhaupt durchhalten kann: kein Sponsor, kein Hotel. Wie geht das?

Da die Preispolitik sich auch bei den Nebenkosten fortsetzt, ist es nicht weiter verwunderlich, dass das derzeit nur donnerstags, freitags und samstags geöffnete Lokal bis auf den letzten Platz besetzt ist. Hier stimmt einfach extrem vieles: Qualität, Preis und – nicht zu vergessen – die Serviceleistung. Petra Schlegel ist eine charmante und tiefenentspannte Gastgeberin mit ganz viel natürlichem Charme und unangestrengt wirkender Empathie. Unter ihrer Leitung hat die aufmerksame Servicetruppe, zu der sich bisweilen auch mal der Souschef oder der Pâtissier gesellt, alles im Griff. Abgerundet wird diese Leistung nicht nur durch eine stattliche Anzahl an Weinen, sondern auch mit einer Stippvisite in der Küche zu vorgerückter Stunde. Da wir die letzten Gäste sind, ist sich der völlig bodenständige Chefkoch Detlef Schlegel nicht zu schade, sein Küchenteam sogar noch zum Fototermin zusammen zu trommeln und redselig Auskünfte zu erteilen. Gelebte Herzlichkeit in Reinkultur und auf allen Ebenen – das ist perfektes Gastgebertum mit Vorbildcharakter!

Sicherlich ist das Falco das kulinarische Aushängeschild der Stadt, doch die Konkurrenz schläft bekanntlich nicht. Unserer Meinung nach ist es allerhöchste Zeit, dass der rote Gourmetführer den einfach besternten Stadtpfeiffer in die Zwei-Sterne-Liga befördert. Selten haben wir einen beeindruckenderen Abend in einem Einsterner verbringen dürfen. Da in einem riesigen Umkreis von Leipzig nichts auch nur annähernd so Qualitatives wie die beiden im Zentrum gelegenen Sternerestaurants existiert, ist es schwer vorstellbar, dass Gourmets, die nach Leipzig kommen, nach diesem Bericht hier nicht vorbeischauen. Wir haben den Abend in vollen Zügen genossen, keine Sekunde bereut und planen einen weiteren Besuch bei der nächsten Stippvisite in Leipzig ganz bestimmt wieder ein. Vor diesem Hintergrund scheue ich mich nicht, dem GUSTO meinen Respekt für seine mutige Entscheidung bei der Ernennung von Detlef Schlegel zum Koch des Jahres zu zollen und honoriere diesen außergewöhnlichen Abend mit der zweithöchsten Note.

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

Stadtpfeiffer
Augustusplatz 8
04109 Leipzig
Tel.: 0341/2178920
www.stadtpfeiffer.de

Guide Michelin 2021: *
Gault&Millau 2021: 17 Punkte
GUSTO 2022: 9,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2021: 3 F

6-gängiges Menü: € 145