Nagaya*, Düsseldorf (UPDATE)

UPDATE (Mai 2019)

Yoshizumi Nagaya hält auch weiterhin die Fahne der japanischen Haute Cuisine in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt hoch – das nach ihm benannte Nagaya darf weiterhin als das beste japanische Restaurant Deutschlands bezeichnet werden, auch wenn im Bonner Yunico ein weiterer ernsthafter Konkurrent um diesen Titel die Szene betreten hat. Viel hat sich in dem lichten Restaurant mit den klaren Kanten und den einsehbaren Küchenbereichen (kalt und warm) nicht geändert, doch erfreulicherweise wird die moderne Kunst, die die Wände ziert, immer wieder mal ausgetauscht. Die Servicetruppe unter der Leitung des Franken Matthias Däuble (weitere Details siehe unten) ist dagegen gut eingespielt und gehört schon längst zum Inventar des Hauses.

Das an diesem Samstagnachmittag mit ausgesprochen launischem Wetter bis auf den letzten Tisch gefüllte Lokal lockt nicht zuletzt wegen des günstigen Mittagsmenüs die Gäste in Scharen an: zum Preis von € 75 gibt es drei Vorspeisen, den klassischen Sushi-Gang, ein Hauptgericht und ein Dessert – Getränke nicht inkludiert. Auf Brotauswahl und Petits fours im Anschluss muss man ebenfalls verzichten, doch diese beiden Elemente sind ohnehin nicht dezidiert Nippon.

Als Amuse bekomme ich zu einem Monin Orange eine Wagyu-Kartoffel-Krokette serviert. Das geschmorte Fleisch wurde zusammen mit der Kartoffelfüllung in die mit Lauchkohle ummantelte Praline gegeben und hat ordentlich Umami für einen Einstieg. Kein schlechter Beginn!

Der erste Gang ist ein echter Hingucker: Sashimi von der Dorade wurde zunächst für mehrere Stunden in Kombualge gewickelt und gedämpft. Danach wird die Alge fermentiert und dient als knusprige (essbare) Unterlage für den herrlich aromensatten Fisch, der mit Texturen von Pflaume und Shisokresse veredelt wird und nach Bedarf noch mit etwas Limette abgeschmeckt werden kann. Großartig!

Etwas leisere Töne schlägt der nächste Gang an: Jakobsmuschel auf Bambus und Dashi gerät erstaunlich würzig, wenn man bedenkt, dass der Hauptdarsteller gedämpft wurde. Der knackige Bambus liefert einen schönen Textur-Kontrast zu der Muschel, die nicht weicher hätte geraten dürfen. Trotzdem fehlte diesem Gericht für meine Begriffe der letzte Kick, selbst wenn die typisch japanische, puristische Klarheit hier in Reinkultur vorgelebt wurde.

Ein echter Volltreffer dagegen war wieder Seeteufel mit Spargel-Tempura, Kirschblüten, Petersilienstreusel und Spicy-Lemon-Sauce. Der perfekt gegarte Fisch gerät auf diesem Teller in ein Spektrum voller unterschiedlicher Aromen, die allerdings superb harmonieren. Der fast schon ungewohnt farbenfrohe Teller überzeugt in puncto Optik sowie Geschmack gleichermaßen und darf mit Fug und Recht als der Höhepunkt des Menüs bezeichnet werden.

Der klassische Sushi-Teller mit Lachs, Dorade, Thunfisch und Hamachi ist wie immer eine reine Wonne und darf in diesem Menü natürlich nicht fehlen. Das frische (natürlich echte!) Wasabi, der eingelegte Ingwer und die Sojasauce runden diesen Klassiker wieder einmal stimmig ab.

Als Hauptgericht kommt diesmal baskisches Kalb mit Saubohnen und grünem Spargel auf den Teller. Während das aromensatte Stück Fleisch und der Spargel ganz puristisch auf den Teller kommen, sorgen die diversen vegetabilen Texturen sowie feine Noten von Senf für Abwechslung in einem Gericht, das gefällig wirkt und Spaß macht, wenngleich für diesen Gang kaum höchste Meisterschaft notwendig zu sein schien.

Dass in vielen Restaurants nach dem Hauptgericht ein gewisser Spannungsabfall einsetzt und die Desserts manchmal eher zu lästigen Pflichtaufgaben geraten, kann man leider auch hier immer wieder mal beobachten. Die geeiste Schokokugel, die mit frischen Erdbeeren gefüllt und mit etwas aromatisiertem Erdbeerpulver bestäubt wurde, bekommt obenauf noch einen Klecks Crème brûlée. Das macht optisch durchaus etwas her und schmeckt auch keineswegs schlecht, doch kann all dies trotzdem schwerlich über einen gewissen Grad an Beliebigkeit und Mangel an Inspiration hinwegtäuschen. Trotz all des untadeligen Handwerks darf man hier meines Erachtens von einem Sternerestaurant mehr erwarten, selbst wenn Desserts natürlich seit jeher schwerlich ein Aushängeschild der japanischen Küche darstellen – schade um einen etwas unterkühlten Abschluss eines ansonsten gelungenen Menüs!

Die Servicebrigade ist mit einem Knopf im Ohr untereinander verbunden und arbeitet gleichermaßen flink und präzise (selbst wenn dieses Mal skandalöserweise mein Erfrischungstuch ausblieb …). Maître Matthias Däuble punktet mit wohldosierten, aber durchaus pointierten Spitzen und kann kompetent Auskunft über alle Speisen erteilen. Seine Kollegin ist eine optimale Ergänzung, denn diese überzeugt mit profundem Wissen bei den Weinen und Spirituosen; bezeichnend und attraktiv für Kenner ist die große Auswahl an Sakes, die es hier in den unterschiedlichsten Preisklassen gibt. Beim Konsum von Getränken ermpfehle ich im Falle eines schlanken Budgets allerdings generell ein wenig Zurückhaltung, denn die Nebenkosten sind doch recht empfindlich. Dennoch ist es möglich, hier samt Trinkgeld, Aperitif und Wasser ein sehr attraktives Mittagsmenü für insgesamt € 100 zu erhalten – kein schlechtes Angebot für Düsseldorf.

Das mit einem Michelin-Stern und 17 Punkte im G&M ausgezeichnete Lokal garantiert auch weiterhin beständig hohe Qualität und veranlasste den GUSTO sogar jüngst, die vergebene Note auf 9 Pfannen anzuheben. Ganz so stark habe ich die aktuellste Darbietung zwar nicht eingeschätzt, aber von einer Enttäuschung war sie doch weit entfernt. Der Besuch hier hat sich jedenfalls noch immer gelohnt!

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Juli 2018

Wenn man weiß, dass Düsseldorf die größte japanische Gemeinde innerhalb Deutschlands anzubieten hat, dann ist die hohe Zahl an asiatischen Restaurants nördlich des Hauptbahnhofs leicht zu erklären. Unter all diesen gibt es jedoch eine Adresse, die so deutlich aus der Masse herausragt, dass man sie mit Fug und Recht zum besten japanischen Restaurant Deutschlands erklären kann: das Nagaya, benannt nach seinem Chefkoch Yoshizumi Nagaya.

Reisen Sie ja nicht mit dem Auto an, denn ansonsten wird der Genuss schon vorab wesentlich durch die enervierende Parkplatzsuche getrübt! Der ÖPNV funktioniert hier jedenfalls gut und sollte für einen Trip hierher auch in Anspruch genommen werden. Das von außen her voll auf Understatement setzende Lokal ist zudem leicht zu übersehen und gibt sich auch innen bescheiden und typisch japanisch: klare Konturen, scharfe Hell-Dunkel-Kontraste, hier und da ein zeitgenössisches Kunstwerk an der Wand und ansonsten durchgehende Sitzbänke und dezent angepasste Stühle. Der vordere Teil des überaus länglichen Restaurants bietet Einblick in den Sushi-Bereich des Hauses, während eine recht große Glasscheibe den Blick auf das Geschehen in der Küche im hinteren Bereich des Lokals freigibt.

Mittags wird hier zum überaus fairen Preis von € 75 ein sechsgängiges Mittagsmenü (bei allerdings weniger animierenden Nebenkosten) angeboten, das zum Kennenlernen der Küche geradezu ideal gerät. Die volle Meisterschaft des Kochs gibt es dagegen im ausschließlich abends angebotenen Omakase-Menü zu bewundern – wer das erleben möchte, muss unter Umständen (je nach Jahreszeit und Wochentag) ein paar Wochen im Voraus reservieren. An diesem heißen Samstagnachmittag ist das angenehm gekühlte Lokal dagegen nur an drei Tischen besetzt, so dass der ohnehin schon flinke und aufmerksame Service, der zudem mit Knopf im Ohr agiert, die Lage jederzeit im Griff hat. Präzision war schon immer eine Paradedisziplin der Japaner, die auch den Nicht-Japanern im Serviceteam längst in Fleisch und Blut übergeganen ist. Ein ganz besonderes Exemplar unter den Sommeliers ist der Franke Matthias Däuble: der überaus erfahrene Maitre hat Anekdoten en masse parat und versteht es wie kaum ein Zweiter, auf die Befindlichkeit seiner Gäste einzugehen und genau den richtigen Ton zu treffen – von ernst bis humorvoll.

Steigen wir also ein ins Mittagsmenü, das mit einem Sanbitter-Orange und einem Gruß aus der Küche startet: pochiertes Wachtelei, Hummerbisque, argentinische Wildgarnele, Milchespuma und gebeiztes Eigelb hielt leider nicht ganz, was die vollmundige Ankündigung versprach: die Vielzahl an verschiedenen Komponenten war in der Eierschale in einen zu engen Kontext gepresst und konnte nicht die volle Wirkung entfalten. Die Konsequenz daraus war ein aromatisch eher blasser Einstieg, der für die Verhältnisse dieses Haus sicherlich nicht maßstabsetzend war. Schwamm drüber …

Mit dem ersten Gang wurde es nach der pflichtbewussten Brotauswahl jedoch schnell besser: Kürbis, Schwimmkrabbe, Gurke und Thymian geriet zu einem farbenfrohen und geschmacklich glänzenden Spiel. Die Texturen der Karotte machten nicht nur optisch, sondern auch kulinarisch Sinn und kaschierten fast schon das gut versteckte Krabbenfleisch, das durch seine makellose Qualität ebenfalls zu beeindrucken wusste. Der dezente Einsatz von Gurke in diversen Texturen und Thymian steuerte weitere subtile Nuancen bei, die sich prächtig ergänzten.

Mit viel Opulenz und Theatralik in Szene gesetzt folgte sodann gedämpfte Jakobsmuschel, Spargel, Blätterteig und Carabinero. Umgeben von Dampf aus Trockeneis kam die ganze Muschel, deren Rand mit Blätterteig versiegelt war, an den Tisch. Erst nach dem Entfernen und Verzehr des Teigs gab die Muschel ihren köstlichen Inhalt preis: der grüne Spargel und das Muschelfleisch badeten in einem curry-artigen Sud von dezenter und angenehmer Schärfe. Der kleine Carabinero fühlte sich in diesem Umfeld ebenfalls sehr wohl und stellte eine echte Bereicherung des Gerichts dar, das keineswegs nur mit schöner Optik punkten konnte.

Weniger kompliziert in der Präsentation geriet Rotbarsch auf der Haut gebraten mit Erbsen und Spicy Lemon. Dass ein vorzügliches Grundprodukt manchmal nicht mehr als einen souverän und vielfältig in Szene gesetzten Begleiter braucht, verdeutlichte dieses Gericht sehr schön. Das Füllhorn an Erbsen-Texturen geriet zum befriedigenden Spiel zwischen Rot- und Grüntönen, während der nachträglich aufgegossene Spicy-Lemon-Sud dem Gericht den nötigen Tiefgang verlieh. Das unscheinbar anmutende Gericht hatte in Wirklichkeit viel Körper und wirkte in dieser Menüfolge besonders eindringlich. Ausgezeichnet!

Es folgt eine klassische Sushi-Präsentation mit Lachs, Holzmakrele, Thunfisch-Tatar im Hand Roll aus Algenblättern und Hamachi (Gelbschwanzmakrele). Die bestenfalls lauwarmen Türmchen beeindruckten durch die bestechende Frische der Produkte und den ihnen innewohnenden Purismus. Bestes Fleisch, etwas Reis, dazu noch etwas eingelegter Ingwer und selbstredend echtes Wasabi – fertig ist die Visitenkarte!

Nicht überaus japanisch wirkt dagegen das Kalb aus Ostspanien sowie Canneloni mit Maiscrème und Cashews. Die dezidiert japanischen Elemente treten hier zugunsten einer etwas plakativeren Geschmackswelt in den Hintergrund – allerdings nicht unbedingt zu deren Vorteil. Aus dem Kalb hätte man mit anderen Begleitern sicherlich mehr herausholen können, zumal die Canneloni fast schon die Hauptrolle beanspruchten. Ein solides Hauptgericht, aber mehr auch nicht.

Zum Wohlfühldessert geriet abschließend Rhabarbersorbet, Erdbeere, Himbeere und Schokolade. Was dieser Kreation an kulinarischem Wagemut gefehlt haben mag, glich sie durch ihre hinreißende Präsentation und das tadellose Handwerk wieder aus – ein launiges Sommerdessert wie aus dem Bilderbuch eben! Keine Eingebung, aber trotzdem wunderbar!

Was bleibt von diesem Nachmittag in Erinnerung? In puncto Niveau knüpfte der Chefkoch praktisch wieder da an, wo er bei unserem letzten Besuch im November 2016 aufgehört hatte. Sieht man einmal vom blassen Gruß aus der Küche und dem nicht restlos begeisternden Hauptgericht ab, war der übrige Eindruck absolut überzeugend. In Verbindung mit den Erinnerungen vom ersten Besuch drängt sich uns der Verdacht auf, dass beim nächsten Ma(h)l mit Sicherheit das große Menü fällig sein sollte. Ausschließlich japanisch ist diese Küche zumindest insofern nicht, da sie bei der Präsentation der Gerichte durchaus eher französisch als fernöstlich wirkt. Um auch den Puristen unter den Gästen (und davon sind logischerweise nicht wenige Japaner) gerecht zu werden, hat Nagaya inzwischen eine weitere Dépendance in Düsseldorf eröffnet: das nur 200 Meter entfernte Yoshi gibt sich noch japanischer und schmückt sich derzeit mit einem Michelin-Stern und 14 Punkten im G&M. Wer japanischer Kücke mit französischem Touch etwas abgewinnen kann, ist im Stammlokal jedenfalls genau richtig und wird nicht enttäuscht werden. Wer es dagegen lieber französisch mit japanischen Einflüssen mag, der sollte unbedingt den Weg zu Christian Bau ins saarländische Perl antreten und Weltklasseniveau genießen.

Im Mittagsmenü lässt Nagaya sein Talent zwar erkennbar aufblitzen, aber die ganz große Leistungsschau gibt es eben nur abends. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Messlatte auch mittags schon so hoch hängt, dass ich eine Aufwertung auf den zweiten Michelin-Stern als überfällig empfinde – auch die derzeit 17 Punkte im Gault&Millau werden mehr als ausreichend bestätigt. Wer nach Düsseldorf reist, sollte eine Stippvisite hier also dringend in Erwägung ziehen!