„Erinnerung ist eine Form der Begegnung.“ (Khalil Gibran)
UPDATE (August 2023)
Die Tatsache, dass die Gastronomie und die Hotelbranche von der Corona-Pandemie besonders gebeutelt wurden, ist genauso wenig neu wie die Erkenntnis, dass nicht alle Etablissements im gleichen Maße betroffen waren. Die vor allem dank ihrer Lindenterrasse berühmte Hamburger Hotellegende Louis C. Jacob schien es dem Vernehmen nach relativ stark erwischt zu haben, denn vor allem das bereits seit einem Vierteljahrhundert von Thomas Martin geleitete Gourmetrestaurant schien die Auswirkungen besonders zu spüren bekommen: nach einer relativ langen Phase mit eher spärlicher Kommunikation ließ man nach außen verlautbaren, das ehemalige Zwei-Sterne-Restaurant würde zunächst der Verköstigung der hauseigenen Hotelgäste dienen. Dieser Status quo ist zwar angesichts der neuerlichen Öffnung für externe Gäste inzwischen wieder passé, doch legten die temporär ausgesetzten oder die neuerdings erheblich niedriger eingestuften Urteile der Profiguides im Vergleich zu früher den Verdacht nahe, dass hier inzwischen auf erheblich einfacherem Niveau gekocht wird. Da passt es vollendet ins Bild, dass seit 2021 ein Tochterunternhmen des REWE-Konzerns als neuer Hotelbetreiber angegeben wird.
Angesichts eines Urlaubs in Norddeutschland bot sich dieser Abstecher in die guten alten Zeiten vor der Pandemie einfach an, zumal ich hier zweimal zuvor eingekehrt war und so zumindest auf ordentliche Vergleichsmöglichkeiten aus früheren Zeiten zurückgreifen konnte. Immerhin konnte der auch durch einen eigenen YouTube-Kanal bekannt gewordene Chefkoch Thomas Martin (der praktisch schon als Influencer gelten kann) gehalten werden, aber sollten sich die aktuellen Urteile der Guides bewahrheiten, dann schiene mir dies ein klarer Fall von Talentverschwendung. Jedenfalls offerierte dieses Haus noch vor wenigen Jahren herausragende Kost, die mit zwei Sternen dekoriert war, während heute der Kampf um die Wiedererlangung des ersten Macarons angenommen werden muss. Vielleicht wird ja nicht einmal dieser mehr angestrebt, aber ein Thomas Martin ist nun mal eindeutig zu Höherem als nur leicht gehobener Küche berufen.
Gerade weil ich unbedingt den Wahrheitsgehalt der aktuellen Einschätzungen meiner eigenen subjektiven Wahrnehmung nach diesem Abend gegenüberstellen möchte, reserviere ich einen Tisch und bin gespannt, was mich denn nun an diesem Abend erwartet. Am Ambiente hat sich jedenfalls nichts geändert: noch immer ist der Raum geprägt von der hohen Decke, dem weißen Stuck, den Kristalllüstern und den großzügigen Fenstern mit Blick auf die Elbe. Auch die Tische sind weiterhin klassisch mit einem weißen Leintuch eingedeckt, so dass eine zeremonielle Stellung bei den Rahmenbedingungen nach wie vor gegeben zu sein scheint. Der Service ist korrekt und bemüht, lässt aber die Souveränität und das Gediegene früherer Tage in manchen Aspekten doch klar erkennbar vermissen. Jedenfalls lasse ich mir an diesem Spästsommerabend einen Herbal Spritz einschenken und staune über das zunächst noch leere Lokal, das sich im Laufe des Abends allerdings noch deutlich füllen sollte.
Zeitgleich mit der Speisekarte reicht man ohne nähere Erläuterung eine Brotauswahl, die mir gegenüber früheren Zeiten unverändert scheint und zumindest mit dem exzellenten Aufstrich aus Heumilchbutter punktet.
Ansonsten verrät ein Blick in die Karte, dass hier zwei Menüs offeriert werden, wobei eines davon vegetarisch in vier Gängen gestaltet ist und den Namen Menu vert (€ 89) trägt. Ich erweitere diese Menüfolge noch um einen Gang à la carte, der die Menüfolge nach dem Amuse eröffnen soll. Die neue Kargheit wird allerdings schon dadurch verdeutlicht, dass zuvor auf Apéros ganz verzichtet werden muss und man lediglich mit einem Amuse Vorlieb zu nehmen hat. Selbiges besteht aus aus einem Artischockensalat mit Oliventapinade, Paprikarelish und Pinienkernen – im Vergleich zur Klasse früherer Tage wirkt es einigermaßen belanglos, zumal das mediterrane Kolorit mit der Umgebung hier deutlich fremdelt. Das Maß an Präzision bei der Umsetzung ist zudem für höhere Sphären nicht ausreichend, da die Portionierung etwas unvorteilhaft gerät und nicht zu Ende gedacht wirkt. Mit diesem Einsteiger kann man mich jedenfalls nicht beeindrucken.
Deutlich besser gelingt der Einstieg ins Menü mit Rindertatar vom Holsteiner Ochsen, Kapern, Liebstöckel und Zwiebelgewächse. Trotz der annoncierten Produkte ist das mineralische und von der Textur her eher grob interpretierte Tatar ziemlich mild abgeschmeckt, wenngleich die essbaren Blüten und der Dill obenauf dadurch mehr geschmackliche Wirkung entfalten als gedacht. Alles in allem wäre dieses Darbietung recht risikolos geraten, wäre da nicht der Clou gewesen, nämlich die markige Tapinade aus Kapern rechts vom Tatar, die einiges an Umami beisteuert und im Vergleich zur flankierenden geflämmten Zwiebel auf Schalottencrème deutlich mehr hermacht.
Ab jetzt geht es wie im Programm vorgesehen vegetarisch weiter: der nächste, mit blumigen Worten als „Gemüsegarten vom Gut Haidehof“ angepriesene Gang gehört auf jeden Fall zu den besten Eingebungen des Abends: heimische rote Bete und diverse Rüben finden sowohl in roh marinierter als auch in fermentierter Form ihren Weg auf den Teller. Gebettet wird die aparte Kreation auf einer mit Dijon-Senf wunderbar abgeschmeckten und durchdacht wirkenden Sauerteigcrème. Dank weiterer stimmiger Details mit Abwechslung in den Texturen wie Schalotten, Brotchips oder einer gut versteckten, falschen Erde aus Pumpernickel beweist Thomas Martin, dass er durchaus mit der Zeit gehen kann und es ihm gelingt, eine Vielzahl von heiteren, auch „grünen“ Ideen organisch auf gedrängtem Raum zusammenzuführen. Das gleiche Maß an Esprit und geistiger Durchdringung hätte man sich von noch mehr Tellern an diesem Abend gewünscht. Ein ausgezeichneter und für dieses Haus überraschender Einsteiger!
Ganz bei sich ist die Küche bei der klassischen Disziplin der Suppen – in diesem Fall handelt es sich um Samtsuppe von gelben Linsen, welche mit etwas Joghurt verfeinert wurde. Angenehm fällt dabei auf, dass manche der Linsen noch etwas Restbiss aufweisen und die sorgsame Dosierung von Curry und Koriander diesem klassischen Gang deutlich mehr Charakter verleihen. Eine starke Beigabe ist zudem das buchstäblich über den Tellerrand hinausblickende Samosa, eine in diesem Fall mit Kartoffeln und Erbsen herzhaft gefüllte Teigtasche aus der indischen Küche. Würde man die letzten drei Teller zugrunde legen, wäre ein Michelin-Stern jedenfalls wieder im Bereich des Möglichen, denn in den besten Momenten trifft hier makelloses Handwerk auf inspirierte Ideen, die trotz des klassischen Kolorits nicht angestaubt wirken.
Deutlich weniger Begeisterung weckt trotz schöner Anrichte das Hauptgericht: zwar ist das Handwerk auch bei fehlerlos umgesetzten Gnocchi mit Trüffelschaum, Walnusspesto und Herbsttrüffel nicht zu beanstanden, aber weshalb zusätzlich zum ohnehin schon herben roten Chicorée eine weitere ausgesprochen bittere Komponente in Form von Rucola den Teller überfrachten musste, erschließt sich mir nicht – eine vollkommen entbehrliche Maßnahme, die das Gericht fast ruiniert und völlig unvorteilhaft zukleistert. Hier wäre weniger mehr gewesen. Außerdem wirken die zahlreichen Anleihen aus anderen Küchenstilen (mediterran, indisch, italienisch etc.) über das Menü hinweg nicht sehr harmonisch. Will sagen: eine klare Handschrift auf klassischer Basis ist momentan nicht sehr ausgeprägt.
Ähnlich ernüchternd fällt auch das Dessert aus, das sich trotz der Lage in Norddeutschland hemmungslos bei der Alpenküche bedient und die zuvor monierte Zusammenhangslosigkeit bei den Stilen abermals bestätigt: Topfenknödel, Zwetschge und Vanille ist so simpel gestrickt und erwartbar wie es schon die Ankündigung vermuten ließ. Da auch die eingesetzten Produkte durchaus nicht überragend sind, kommt dieses Dessert über den Status einer gewöhnlichen Pflichtaufgabe nicht hinaus. Die wenige Wochen zuvor verkostete Variante in Mittenwald schnitt da in puncto Inspiration jedenfalls deutlich besser ab.
Die größte Diskrepanz zu den glanzvollen Zeiten manifestiert sich bei den drei Petits fours, die wortlos abgestellt werden und in ihrer Biederkeit auch keine nähere Erläuterung verdienen. So ändern sich die Zeiten: früher gab es hier einen dreistöckigen (!) Pâtisserie-Wagen mit einer geradezu überbordenden Auswahl, die sogar dem Bareiss Konkurrenz machte, während heute drei Petitessen ohne jeden Charme das Menü lieblos ausklingen lassen …
Ein wohlwollendes Urteil fiele für das ehemalige Spitzenrestaurant vermutlich so aus, dass der erste Stern wieder in Reichweite ist: in den besten Momenten kamen ausgezeichnete Produkte in klassisch bewährten Kombinationen und Zubereitungen sehr ordentlich zur Geltung und ließen den Esprit vergangener Tage immer noch erahnen. Dem gegenüber standen allerdings auch Teller (wie der Hauptgang) mit einer gewissen Unwucht in der Balance oder tendenziell bieder anmutende Einfälle wie das Dessert, dem das Prädikat der Extraklasse abging – außerdem wirkte im Vergleich zu früher so manches deutlich weniger elaboriert und teils auf weniger hochpreisigen Zutaten basierend. Dass die Hauptschuld hierfür allerdings nicht bei Thomas Martin zu suchen ist, liegt für mich auf der Hand: das Fehlen von entsprechend qualifiziertem Personal in der Küche nach der Pandemie sowie ein potentieller Controller im Nacken, der ohne jeden Sinn für Kulinarik nur nackte Zahlen sieht und gerne mit dem Rotstift hantiert, stellen für mich weitaus plausiblere Argumente für den schleichenden Niedergang hier dar. Die dubiose Komposition im Hauptgang mag dem Chefkoch anzukreiden sein, aber hauptsächlich scheint sich für mich der Eindruck zu verfestigen, dass hier zukünftig ohnehin eine andere Klientel als in vergangenen Tagen angesprochen werden soll. Auf den gängigen Massengeschmack zielt man zwar weiterhin nicht ab, doch die Ansprüche aus vergangenen Tagen sind offenbar auch nicht mehr dieselben. Wie zur Bestätigung ist zudem der Presse zu entnehmen, dass das Louis C. Jacob seit 2020 nicht mehr dem renommierten Verband Leading Hotels of the World angehört. Jedenfalls hat sich mein Verlangen nach einer weiteren Einkehr in diesem Lokal gegenüber früher deutlich abgekühlt. Am meisten schmerzt mich die Erkenntnis, dass Thomas Martin mit der Besetzung des Chefpostens in diesem Haus unter Berücksichtigung der neuen Ausrichtung hoffnungslos überqualifiziert erscheint und in seinen Fähigkeiten ausgebremst anstatt gefördert wird. Mir jedenfalls fällt die Einordnung der Tatsache, dass er dem Haus dennoch die Treue hielt, einigermaßen schwer.
Um einer Bekannten eine Freude zu machen, lade ich sie übrigens am nächsten Morgen zum Frühstück hierher ein. Letztlich setzte sich die Erkenntnis durch, dass ich hier das Frühstück meines Lebens verkostet habe – allerdings nicht an jenem Morgen, sondern etliche Jahre zuvor. Der Preis war natürlich zwischenzeitlich angehoben worden, während das Gebotene im Gegenzug zwar eine ordentliche Qualität aufwies, aber das Format aus vergangenen Tagen klar vermissen ließ. Symptomatisch, dass der Gang auf die berühmte Terrasse bei Tageslicht zum Vorschein bringt, dass die Farbe der rückseitig zur Straße gelegenen Fassade inzwischen auch deutlich abzublättern begonnen hat und symbolisch den Verdacht nahelegt, dass dem Haus schon bald ein Investitionsstau größeren Umfangs drohen könnte, wenn nicht bald etwas unternommen wird.
All diejenigen Gäste, die hin und wieder einen Einsterner aufsuchen, mögen hier trotz allem mangels besserer Erfahrungen einen schönen Abend verbringen, während routinierte Gourmets natürlich erkannt haben, dass in der Hansestadt andere Lokale diesem Restaurant längst den Rang abgelaufen haben und erheblich Aufschlussreicheres bieten. Der wie Schönfärberei anmutende Versuch, das inzwischen Gebotene auf der hauseigenen Homepage mit blumigen Worten wie „ohne kulinarische Kompromisse, aber entspannter und weniger zeremoniell“ zu beschreiben, bestätigt mich eher noch in meiner Ansicht, dass man versucht, aus der Not eine Tugend zu machen. Mich jedenfalls hat dieser neue, fragwürdige Ansatz nicht sonderlich überzeugt, zumal die geforderten Preise mir dafür recht hoch angesetzt erscheinen. So verlasse ich das Louis C. Jacob an diesem Abend einigermaßen desillusioniert und denke immer wieder fast schon wehleidig an die alte Schnulze von Freddy Quinn: so schön, schön war die Zeit …
Mein Gesamturteil: 15 von 20 Punkten
Jacobs Restaurant
Elbchaussee 401-403
22609 Hamburg
Tel.: 040-300322530
www.hotel-jacob.de
Guide Michelin 2023: –
Gault&Millau 2023: 2 Toques
GUSTO 2023: –
FEINSCHMECKER 2023: 3,5 F
4-gängiges vegetarisches Menü: € 89
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Dezember 2018
Das malerische, in Weiß gehaltene Hotel Louis C. Jacob liegt direkt an der Hamburger Elbchaussee (scherzhaft auch die weltweit längste Hotelauffahrt genannt) und ist seit vielen Jahrzehnten eine Institution der Hansestadt. Großen Anteil daran hat auch die berühmte Lindenterrasse des Hotels, die 1902 von dem begnadeten Maler Max Liebermann in impressionistischen Stimmungen verewigt wurde. Eine Kopie des Gemäldes hängt im Hotel übrigens aus, während das Original in der Hamburger Kunsthalle zu bewundern ist. Das privat geführte Hotel gehört zu den „Leading Hotels of the World“ und offeriert den Service, den man von einem Hotel dieser Klasse auch erwarten darf: das beste Frühstück, das ich bis heute je genießen durfte (im Jahre 2015), Limousinenservice, Zimmerservice zweimal am Tag, hervorragendes Restaurant, altehrwürdiges Ambiente und Paradeblick auf die Elbe, wo einfahrende Ozeanriesen schon mal mit Salutschüssen des Hotels begrüsst werden.
Kulinarisches Herzstück des Hotels ist das zweifach besternte Jacobs Restaurant, in dem eher klassisch inspirierte Gerichte von großer Schlichtheit, aber auf höchstem Niveau präsentiert werden. Nach einer Verschlankung dessen, was auf den Teller kommt, zog der Gault&Millau im vergangenen Jahr vorübergehend einen Punkt ab, gewährte aber in seiner 2019er-Ausgabe wieder die Punktzahl von 17, nachdem der stilistische Wandel inzwischen souverän vollzogen worden und der Eindruck einer Sparmaßnahme widerlegt worden sei. Der GUSTO vergibt seit Jahren konstant 8 Pfannen, und auch der FEINSCHMECKER sieht das Lokal schon seit längerem bei 3,5 F. Mit anderen Worten: ein Besuch bei Chefkoch Thomas Martin lohnt sich durchaus. Kleine Randnotiz: wenn sich Herr Martin – was öfters vorkommt – mit seinen ebenfalls jeweils zweifach besternten Kollegen Dirk Luther (Meierei Dirk Luther, Glücksburg) und Johannes King (Söl’ring Hof, Rantum auf Sylt) zusammentut, dann kennt man diese Events im Norden in Feinschmeckerkreisen wegen der Nachnamen der drei Köche auch als „Martin Luther King“-Galas.
Nachmittags wird hier ein fünfgängiges Menü zu € 132 offeriert, das auch auf vier Gänge reduziert werden kann. Die auffälligste Neuerung vorab besteht in einer gestaffelten Weinbegleitung: wer sich dafür entscheidet, hat die Wahl zwischen einer Begleitung aus Premier Crus zum empfindlichen Preis von € 20 pro Glas oder aus Grand Crus zum noch stolzeren Preis von € 30 pro Glas. Aber auch im Lokal selbst fällt auf, dass der elegante, in Grüntönen gehaltene Speisesaal etwas moderner als früher wirkt. Speziell die schlankeren Lampen fallen in dieser Hinsicht auf, doch auch die modernere Bestuhlung und etwas weniger Ornamente lassen den Saal nun zeitgemäßer erscheinen, ohne dass etwas von seiner gediegenen Eleganz dabei verlorengegangen wäre. Offenbar wirkt sich das Ambiente auch auf das Publikum aus, das an diesem Nachmittag etwas jünger zu sein scheint als man das sonst so von diversen Restaurantbesuchen kennt.
Wir bestellen im Vertrauen auf eine gute Wahl durch den Service einen alkoholfreien Cocktail von der hauseigenen Bar, der uns dann doch ein wenig irritiert: qualitativ ist gegen den modischen Gurkencocktail nichts einzuwenden, aber angesichts der tanzenden Schneeflocken vor den Scheiben erscheint uns diese Variante jahreszeitlich doch arg deplatziert. Allen Grund zur Freude vermitteln jedoch die beiden kleinen Aufmerksamkeiten zu Beginn: eine ausgebackene und sehr heiße Pilzpraline, die unglaublich filigran mit winzigen Kräutern getoppt ist und ein Streifen Gänseleber auf einem Chip, der mit Kerbel und weiteren Gewürzen veredelt wurde – in beiden Fällen gelungen, aber wahrlich keine Belege für die proklamierte neue Einfachheit! Auch der Gruß aus der Küche, ein Hamachi-Tatar im Gazpacho mit einer Garnitur aus Fenchelsalat obenauf, schlägt voll ein und entspricht schon eher der neuen Stilistik. Nicht unerwähnt bleiben soll auch die süchtig machende, aromatische Heumilchbutter zur Brotauswahl, die mit Alpenkräutern (!) veredelt wurde. Die Bühne ist also bereitet!
Der offizielle Einstieg ins Menü erfolgt mit gebeiztem Wolfsbarsch, Rettich, Gurke, Wasabi und Soja. Wie Martin diese Komponenten stimmig und optisch überaus ansprechend auf den Teller zaubert, hat große Klasse: die Qualität der Produkte ist natürlich makellos, die Komposition von spritziger Frische – der Teller ist ein absolut federleichter und grandioser Einstieg. Auch hier vielleicht fast zu leicht für die Jahreszeit, aber isoliert betrachtet definitiv einer der besten Einstiege des gesamten Jahres, der nebenbei die Souveränität und Gelassenheit des hier praktizierten neuen Küchenstils bestens bestätigt.
Weiter geht es mit einer herzhaften Samtsuppe vom Hummer und Estragon. Auch hier wird im Vertrauen auf die Produktqualität und großartiges Handwerk kein unnötiges Chichi auf den Teller gezaubert. Dieser puristische Gang, so schlicht er auch klingen mag, verfehlt seine Wirkung nicht: qualitativ spielt diese gehaltvolle Suppe jedenfalls in einer Liga, die kaum ein ambitionierter Amateur je erreichen dürfte.
War der Einstieg von frühlingshafter Frische, so folgt jetzt ein eher herbstlicher Teller: gedämpfter Zander mit Kürbis, Ingwer und Koriander begeistert vor allem durch die perfekte Garung des Fischs und durch ein ausgelassenes Spiel der Texturen durch die Begleiter. Schwerlich eine Eingebung, sondern vielmehr ein leicht verständliches Gericht mit viel Wohlfühlpotential.
Gehaltvoller und etwas anspruchsvoller wird es wieder beim Hauptgericht: rosa gebratener Rehrücken im Gewürzmantel mit Portweinfeigen, Sellerie und Samthauben. Man würde hier in Norddeutschland nicht unbedingt das beste Wildgericht seit langer Zeit erwarten, doch allein die Qualität und die Verarbeitung des fleischlichen Hauptdarstellers sind schon herausragend. Die Begleiter werden nicht großartig verfremdet, sondern ganz pur (Feigen), als Crème und in kleinen Türmchen von gebackener Sellerie zur Seite gestellt. Die alles verbindende kräftige Jus setzt auf sinnstiftende Weise dem Gericht die Krone auf, das voll überzeugt.
Die Zutaten des nun wirklich winterlichen Desserts – Soufflé von Tonkabohne mit Muscovado, Gewürzorange und Topfen – klingen nicht gerade wie eine Hommage an die Moderne, werden aber trotzdem zeitgemäß arrangiert. In der Mitte des Tellers wird das Soufflé mit klein geschnittenen Obststückchen und daraus gewonnenen Gelen flankiert, während zentral ein Sud aus Gewürzorange aufgegossen wird. Einen kalten Kontrapunkt setzt das separat gereichte und überaus wohlschmeckende Topfensorbet. Wer hier nicht zum ersten Mal einkehrt, der weiß, dass der nun folgende Ausklang oft noch erheblich mehr Freude bereitet als das offizielle Dessert (das weiß Gott nicht schlecht geriet): der mehrstöckige Patisserie-Wagen gehört zu den opulentesten der gesamten Republik und ist diesmal prompt mit weihnachtlich anmutendem Naschwerk belegt. Schon allein deshalb lohnt es sich, stets noch etwas Platz zu lassen, denn gefüllte Kugeln aller Art, Pralinen, Sorbets, Törtchen und weihnachtliches Gebäck lassen das Herz des Gourmets mindestens genauso hoch schlagen wie das eines Kleinkinds an Heiligabend!
Im Service lief diesmal nicht alles rund: neben einem Posten auf der Rechnung, der erst auf Nachfrage dem Nebentisch zugeordnet werden konnte, stimmte die Koordination der Arbeitsabläufe diesmal nicht ganz reibungslos. Das Ganze bewegte sich noch in einem Rahmen, der von uns zwar nicht als störend, aber doch als auffallend empfunden wurde. Restaurantleiter Ricardo Löffler und Sommelier Sebastian Russold traten ihren Dienst als neues Führungsduo allerdings beide erst im September dieses Jahres an, so dass möglicherweise hierin eine Erklärung für das bisweilen suboptimal wirkende Auftreten zu sehen ist. Es ist allerdings kaum vorstellbar, dass diese Probleme nicht bis zum nächsten Besuch behoben sein sollten.
Das Fazit fällt trotz allem eindeutig aus: das Jacobs Restaurant ist auch nach der stilistischen Kehrtwende die verlässliche Bank, die es immer war. Wenn man dieser klassisch fundierten Küche überhaupt etwas vorwerfen mag, dann ist es lediglich eine leichte Vorhersehbarkeit dessen, was bzw. wie es auf den Teller kommt. Qualitativ gibt es so gut wie nichts auszusetzen, und auch die Menüfolge an sich wirkte absolut stimmig und kreativ, wenngleich sie heuer nicht besonders klug auf die Jahreszeit abgestimmt war. Dessen ungeachtet ruhen die meisten Teller hier in sich und überfordern mit Sicherheit kaum einen Gast. Die spürbaren Nebenkosten werden durch den opulenten Ausklang adäquat kompensiert, so dass an diesem Tag allenfalls die Leistung des Service eine kleinere Kritik verdiente. Die Urteile der Profi-Guides und den Besuch durch zahlreiche Gäste sehe ich somit als absolut gerechtfertigt an.