Juwel*, Schirgiswalde-Kirschau

Mai 2019

Tief in der Oberlausitz, fernab gängiger Touristenpfade oder Gourmetrouten, irgendwo zwischen Bautzen und der tschechischen Grenze versteckt, liegt das beschauliche Schirgiswalde-Kirschau. Hier befindet sich das Hotel BEI SCHUMANN, das man in dieser Form schwerlich dort erwarten würde, denn die weitläufige Anlage, die derzeit sogar noch um einen Pool erweitert wird, macht schon von außen einiges her. In dem wie ein kleines Schlösschen konzipierten Gebäude befindet sich unter anderem das kulinarische Aushängeschild einer ganzen Region: das Restaurant Juwel. In puncto Optik ist der Name schon mal mit Sicherheit gut gewählt, denn das halbkreisförmige Restaurant mit zwei verschiedenen Ebenen macht gehörig Eindruck. Die dunklen Amethystfarben, der fast schon loungeartige Charakter des Zimmers und das gedämpfte Licht sorgen für eine Atmosphäre der besonderen Art. Bemerkenswert finden wir allerdings, dass das Restaurant selbst an einem Samstagabend nicht einmal annähernd ausgebucht ist. Es scheint fast, als wären die Vorbehalte gegen Hochküche in dieser Gegend noch ziemlich präsent; ernsthafte Konkurrenz auf diesem Gebiet muss das Juwel allerdings nicht fürchten, denn die nächstgelegenen Sternerestaurants befinden sich in Dresden und bieten jedenfalls keine bessere Qualität als hier. Dies ist in erster Linie das Verdienst von Philipp Liebisch, dem jungen und ambitionierten Chefkoch des Hauses. Seit dieser hier 2016 den Kochlöffel schwingt, geht es mit dem zuvor kaum bekannten Lokal stetig bergauf; aktuell nennt das Juwel 16 Punkte im G&M, einen Michelin-Stern und 8 GUSTO-Pfannen sein Eigen. Zusammen mit Sommelière Jana Metting und Restaurantleiter Patrick Grunewald, der vor kurzem nach neun Jahren im Leipziger Falco zum Team stieß, ist das Restaurant in allen Schlüsselpositionen professionell und kompetent besetzt – beste Voraussetzungen also für einen besonderen Abend in der Lausitz, die wahrlich nicht mit herausragenden Adressen gesegnet ist. Klare Sache: da es mich nicht gerade wöchentlich hierher verschlägt, gilt es diese seltene Gelegenheit zu nutzen.

Zu einem Träublein-Secco vom Schloss Vaux (Rheingau) gibt es zunächst etwas Knäckebrot mit feiner Kokos-Bergamotte-Crème, die mit Currypulver bestäubt ist. Große Meisterschaft erlangt das Team dann bereits mit den Amuses, die sich samt und sonders um drei Komponenten drehen: Fenchel, Rindfleisch und Kirsche (eine Referenz an den Ortsnamen). In großer Vielfalt und gehörigem Einfallsreichtum entlockt die Küche den Produkten ungeahnte Nuancen: so wird beispielsweise in einem Reagenzglas ein mit Fenchelpollen veredelter und sehr intensiver Fenchelsaft offeriert. In einem goldenen Ei befindet sich geschmortes Rindfleisch und pochiertes Wachtelei mit Kirscharomen – getoppt wird das Ganze von einem Brotchip mit geschmolzenem Rindermark. Was exotisch klingen mag, schmeckt einfach vorzüglich. Dies trifft auch ohne Einschränkung auf das gekühlte Rindertatar zu, das mit Crème fraiche und Kirschkaviar veredelt wurde. Die mit Pistazie ummantelte Beefpraline beeindruckt genauso wie die krosse, dünne belgische Waffel mit Bündnerfleisch, Crème fraiche und Mark (anstelle von Butter). Liebischs Küche versucht, pro Gang mit drei Elementen auszukommen – die Vielfalt, die der Chef diesen Produkten entlockt, ist beeindruckend, aromensatt und umwerfend gut.

Nach der höchst erfreulichen Brotauswahl (nicht weniger als sechs verschiedene Sorten) mit Kresse zum Selbst-Schneiden starten wir in das einzig verfügbare Menü zu € 144 für sieben Gänge, das auch auf fünf Teller reduziert werden kann. Angesichts erfreulich niedriger Nebenkosten lässt man sich hier auch gerne das eine oder andere Gläschen Wein oder Van-Nahmen-Saft ohne Reue schmecken. Kerbel, Tandoori und Quitte kommt als kreisrunde Kreation, die in einem knallgrünen Kerbelfond schwimmt. Das hocharomatische Tandoori-Eis am Tellerrand thront auf einem Quitten-Brunoise, während sich Kerbel und Quitte (sowie vereinzelt Haselnuss) in diversen Texturen in dem Bade tummeln. Die straffe Säure des Gerichts und die elegante Würze des Tandoori harmonieren perfekt in einem Gericht, das man in dieser Form noch nicht oft auf den Tellern anderer Spitzenrestaurants der Republik bekommen hat – definitiv ein sehr bemerkenswerter Einstieg!

Gelbflossen-Thunfisch, Sellerie und Sobresada de Mallorca ist eine exotische Kombination, da die deftigen Noten der Wurst scheinbar nicht mit den Aromen des Fischs harmonieren können. Der Fisch selbst wird als Ganzes getoppt von Sellerie in unterschiedlichsten Texturen, während eine Marinade aus Soja und Sesam sowie fettige Tupfen mit Aromen der spanischen Wurst den Fisch elegant umspielen. Der Clou dieses nordafrikanisch anmutenden Gerichts ist allerdings der würzige Tuna-Tee, der dem Gericht ungeahnten Körper verleiht. Auch dieser Gang machte sehr viel her, selbst wenn Fisch und Sellerie hier deutlich über die Wurst dominierten.

Zander, Hahnenkamm und gepickelte Cipollini hätte zu einem hochinteressanten Gericht werden können, wenn die Balance nicht empfindlich gestört gewesen wäre. Die eingelegten Cipollini-Zwiebeln und der krosse Hahnenkamm (auch nach acht Jahren gibt es Dinge, die ich noch nie gegessen habe) ließen dem à point gegarten Zander keine Chance, sich aromatisch zu entfalten. Die butterzarte Konsistenz kam trotz der schieren Größe der Tranche überhaupt nicht zur Entfaltung – mit einem anderen, intensiveren Hauptdarsteller wäre dieser Gang meines Erachtens ganz leicht zu retten. Es wäre die Mühe wert, denn die aromatische Dichte auf engstem Raum an sich wirkte schon gekonnt.

Königskrabbe, Dill und Ziegenmilch fuhr die Betriebstemperatur nach all den intensiven Erlebnissen dramaturgisch geschickt herunter: drei kleine Scheiben des Krabbenfleischs (das nicht weicher hätte geraten dürfen) ruhten in einem tiefen Schälchen auf einem Kissen aus Dill-Gel, während Tupfen von eingedickter Ziegenmilch mit der aufgegossenen Krabbenbisque um die Gunst des Hauptdarstellers buhlten. Unterm Strich geriet dieser Gang zu einem soliden Zwischengericht mit weniger Power als so mancher Vorgänger, aber wohltuend dosierten erdigen und säuerlichen Noten.

Wir gönnen uns dann doch das optionale Signature Dish des Hauses, das freilich mit zusätzlichen € 54 nicht ganz billig zu Buche schlägt. Im Gegenzug erhält man freilich ein Highlight der besonderen Art: Morgan Ranch Wagyu Navel Short Rib mit Kirsche und Fenchel. Als Remineszenz an die Amuses werden hier wieder dieselben Begleiter aufgegriffen, die sich eingangs schon so souverän bewährt hatten. Im ersten Teil des Gerichts gibt es drei Kleinigkeiten: einen im Vakuum gezogenen hochintensiven Beef-Tea, einen Cracker mit Rinderzunge, Kirschgel und Fenchel-Texturen sowie einem (meines Erachtens) eher entbehrlichen Kirschsorbet auf eingelegtem Fenchel. Teil zwei besteht aus dem Wagyu, das lange im Green Egg (einem speziellen Grill) gegart und am Schluss nur ganz kurz auf bis zu 400°C erhitzt wurde. Marmorierung, Konsistenz und Saftigkeit des Fleischs waren erwatungsgemäß ein Gedicht (das drittbeste Stück Fleisch, das ich je gegessen habe). Fenchelsaat und -crème sowie ein Kirschgel machten aus diesem zweiten Teil einen Aromenflash mit lang anhaltender Wirkung am Gaumen. Die Extra-Investition hatte sich wahrhaftig gelohnt, denn ein würdiges Signature Dish war dies fürwahr!

Dagegen hatte es der eigentliche Hauptgang natürlich schwer: trotzdem geriet Miéral-Wildente, bretonische Artischocke und Mole Negro (mexikanische Chilisauce) alles andere als enttäuschend. Im Gegenteil, denn die texturelle Vielfalt der Artischocke und so liebevoll herausgearbeitete Details wie die bitteren Kakaoperlen schufen einen Spannungsbogen, der die kraftvolle Chilisauce gekonnt abfederte und den Hauptdarsteller in ein Umfeld rückte, das mit Konvention herzlich wenig zu tun hatte und doch absolut zu überzeugen vermochte.

Das eingeschobene Pré-Dessert, bestehend aus einem Tonkabohneneis auf Schokolade und Kirschgelée geriet erheblich aufregender als die eher nüchterne Beschreibung. Auf den Käsegang verzichteten wir, da der Grad an Sättigung beim Dessert bereits beträchtlich war: Kakaobohne, Blutorange und Tahitivanille war ein bildschön drapierter Teller mit Eis von Blutorange und Kakakobohne im Mittelpunkt. Das entzückende Défilée unterschiedlichster Texturen auch einiger Elemente, die nicht in der Karte erwähnt waren, machte enorm viel her und wertete das ohnehin schon raffinierte und facettenreiche Dessert noch weiter auf, zumal vordergündige, plakative Süße gekonnt umgangen wurde. Wer danach noch Platz hat, kann gerne einer opulenten Auswahl an Pralinen zusprechen, die verführerisch in allen Farben angeboten werden. Außerdem gibt es noch ein Schokoladentörtchen sowie einen augenzwinkernden, mit Kirsche ummantelten Schaumkuss-Lolli.

Ein ereignisreicher Abend endete wie er begonnen hatte: Chefkoch Philipp Liebisch ließ sich zweimal am Tisch blicken und war ein charmanter Gastgeber, der im Bedarfsfall auskunftsfreudig über alle Speisen aufklärte, sein Signature Dish mit Recht anpries und sich doch erfreulich bescheiden gab. Die Küchenleistung kann man mit Fug und Recht als leidenschaftlich, originell und ambitioniert bezeichnen: die Ästhetik der drei Komponenten geriet über weite Strecken hinreißend umgesetzt. Schwächen erkannten wir noch in der zu exzessiv eingesetzten Kirsche (irgendwann war der Reiz einfach verflogen) und einer Balance, die noch nicht immer stimmig geriet (am offenkundigsten beim Zander). Auf der anderen Seite beeindruckte die generelle kreative Vielfalt bei der Optik und den Texturen, zumal der Geschmack praktisch nie sinnlosen Spielereien geopfert wurde. Die Handschrift des jungen Chefs ist bereits deutlich zu erkennen und bedient sich keineswegs bei größeren Vorbildern. Viele der hier präsentierten Gerichte gerieten absolut individuell und überhaupt nicht vorsehbar.

Die aktuellen Noten der Profi-Guides erschienen mir mehr als nachvollziehbar; ich verspreche mir von diesem Haus jedenfalls noch einiges und bin auf die weitere Entwicklung sehr gespannt, denn in diesem Lokal schlummert sicherlich ein überdurchschnittliches Potential. Das ist allenthalben spürbar und wird vom Personal auch genau so vorgelebt. Der eingeschlagene Weg ist noch lange nicht zu Ende – und vieles spricht dafür, dass es weiterhin nach oben gehen wird. Ob es dann immer noch so leicht bleibt, einen Tisch zu ergattern, wird sich dann zeigen …