„Die Wissenden reden nicht, die Redenden wissen nicht.“ (japanische Redewendung)
UPDATE (Mai 2024)
In der Innenstadt der Rheinmetropole gibt es weiß Gott keinen Mangel an japanischen Lokalen – schließlich haben sich dort ca. 400 japanische Unternehmen niedergelassen, so dass die etwa 8000 Japaner, die hier leben, die einzige nennenswerte japanische Gemeinde der Bundesrepublik bilden. Der beste Koch unter ihnen ist Yoshizumi Nagaya, der dort nicht nur sein Flaggschiff Nagaya seit vielen Jahren fest und erfolgreich in der Gourmetszene verankern konnte, sondern auch mit dem noch puristischeren Yoshi sein Imperium weiter ausbauen konnte – zu Fuß liegen die Lokale übrigens zehn keine Minuten auseinander. Einerseits freue ich mich natürlich, dass es mir mal wieder hierher gereicht hat, doch andererseits sollte ich dringend mal zwecks noch aussagekräftigerer Eindrücke abends im Nagaya einkehren. Leider müsste man in dem Fall zwei Abende für Nagaya und Yoshi opfern, da letztgenanntes Lokal nur abends geöffnet hat. Doch so komme ich wenigstens in den Genuss des wesentlich günstigeren sechsgängigen Mittagsmenüs, das immer noch für unter € 100 zu haben ist – sofern man auf zuschlagspflichtige Upgrades verzichtet. Bei den Weinen hat das kleine, unscheinbare Lokal dagegen Pretiosen aus seinem Fundus zu bieten, die nur für einen vierstelligen Betrag zu haben sind – wie etwa diverse Jahrgänge an Sauternes vom berühmten Château d’Yquem oder Raritäten vom Château Margaux.
Seit meinem letzten Besuch – noch vor der Pandemie – hat sich nichts Wesentliches verändert. Das puristische japanische Ambiente mit weißen Wänden und dezenter Kunst stellt dabei genauso wie der offen einsehbare Bereich der Küche noch immer einen unverwechselbaren Bestandteil der in diesem Hause gepflegten Ästhetik dar. Lediglich der sympathische und unverwechselbar fränkische Maître, Matthias Däuble, fehlt inzwischen, denn er hat dem Vernehmen nach den Service im Yoshi übernommen.
Während es dort praktisch ausschließlich japanisch zugeht, vermischt der Meister in seinem Stammlokal durchaus kosmopolitische Produkte und Einflüsse mit dem Besten aus seiner Heimat. Das bringt ihm an diesem recht regnerischen und trüben Nachmittag zwar nicht sonderlich viele Gäste ein, doch stellt dies natürlich längst keinen Grund dar, schwächer oder unkonzentrierter zu kochen – zumal es jüngst mit den Bewertungen im einen oder anderen Guide weiter bergauf ging. Einen ersten Fingerzeig liefert gleich das beachtliche Amuse, welches ein Kellner im Anzug aufträgt: argentinische Wildgarnele mit Kartoffel (in einer Art Brandade) und Krustentierschaum. Das ist hochkonzentrierter Geschmack in vorzüglichen Proportionen auf engem Raum, zumal die wohldosierte Intensität des Schaums kaum besser ausgelotet sein könnte – ein verheißungsvoller Auftakt, zumal gleich auf ein relativ hochpreisiges Produkt zurückgegriffen wurde. Ein Juicy Tea aus dem Hause Van Nahmen mit Darjeeling und Rhabarber entpuppt sich als fruchtig-leichter Begleiter an diesem wenig einladenden Frühlingstag.
Den offiziellen Einstieg bildet ein Thunfischtatar von wirklich schöner Konsistenz und mäßig dosierter Würze. Hier trifft Kompaktheit auf japanische Demut, denn die dezente Begleitung aus Schnittlauch, Sojasauce, Wasabicrème und Ikura (Ceta-Kaviar) kommt gänzlich ohne exotische Produkte oder Effekte aus und erzielt doch eine beachtliche Wirkung. Speziell die mustergültige Balance des Gerichts, in dem alle Komponenten sorgsam integriert wurden, beeindruckt dabei, selbst wenn das letzte Maß an Extraklasse dabei noch nicht erreicht wurde. Beachtlich ist das aber allemal.
Fortgesetzt wird der Lunch mit warmen, im Tempurateig gebackenen Calamares, die beim Verzehr sogar noch leicht knackig erscheinen. Die Entourage aus grünem Spargel in Texturen, eingelegter Mairübe und Sesamsaat setzt auf viel Vegetarisches, das indes gut zur Geltung kommt und dem Gang ein eigenes, durchaus ungewohntes Gepräge verleiht. Durch das Spiel mit verschiedenen Temperaturen sorgt der Meister für noch aufmerksameren Verzehr, zumal die Spicy-Lemon-Sauce daraus endgültig ein Gericht für Fortgeschrittene zaubert: das ist nicht unbedingt gefällig, aber abseits der Routine ersonnen und wunderbar transparent gehalten. Sehr ordentlich!
Confit von kurz abgeflämmtem Rotbarsch labt sich an einer überraschend kalt temperierten Ponzu mit Ikura und markigem Daikon (Rettich). Angesichts dieser umami-lastigen Begleitung bedarf es dringend eines Kontrasts, welchen Bini (Brokkoli) und der optisch sehr auffällige Reiscracker obenauf beisteuern. Derart scharfe Kontraste in der Aromatik bin ich von Yoshizumi Nagaya nicht wirklich gewohnt, weshalb dieses Gericht in puncto Stilistik gehörig aus der Reihe tanzt – seinen Reiz hat es fraglos dennoch.
Urjapanisch ist dagegen der Sushi-Teller, der nie im Mittagsmenü fehlen darf: von rechts nach links handelt es sich um Sake (Lachs als Nigiri), Tai (Dorade), Akami (Rücken des Thunfischs) und Hamachi (Gelbflossenmakrele). Alle vier Varianten sind auf Sushireis gebettet und werden selbstredend mit frisch geriebenem Wasabi gewürzt. Der eingelegte Ingwer fehlt natürlich ebenfalls nicht, doch mit dem Gläschen Sake (Reiswein) sind alle Bedingungen für ein Gericht erfüllt, das nicht typischer für das Land der aufgehenden Sonne sein könnte. Als Nicht-Japaner verstehe ich zwar nicht, weshalb der Begriff „Sake“ sich sowohl auf Lachs als auch auf Reiswein beziehen kann, aber gelernt habe ich dennoch etwas: schließlich wusste ich vor dieser Stippvisite gar nicht, dass mit „Sushi Sake“ auch ein Lachs auf Sushireis gemeint sein kann!
Für das Hauptgericht greift der Meister auf australisches Black Angus Rind zurück, welches eher knapp gebraten und ganz puristisch mit Salzkristallen getoppt bescheiden am Tellerrand Platz nimmt. Zusammen mit Kraut und breiten Bohnen dominiert der krosse Chip von Schwarzwurzel optisch, doch das bemerkenswerteste Detail an sich stellt die seltene Bambusjus dar, die alle Komponenten stimmig miteinander verbindet. Das Gericht setzt auf unkomplizierten Genuss, sicheres Handwerk und ruht ganz in sich – kein Highlight, aber gelungen allemal.
Das Dessert punktet mit variablen Texturen und originellen Ideen, wenngleich es in Summe ein wenig zu Lasten der geschmacklichen Tiefe geht: auf einer Matcha-Kokos-Sauce drapiert die Küche ein Bouquet von Matchacrumble und Erdbeere in großer Vielfalt. Diese landet nicht nur in Form von Meringue und Parfait auf dem Teller, sondern auch in echter und falscher Frucht, wobei die nachgemachte Variante ein Innenleben von Vanillecrème in einer geeisten Erdbeerhülle offenbart. Ein weiteres Crumble von Original-Beans-Schokolade setzt der grenzwertig bitteren Aromatik von Matcha eine etwas gefälligere Variante entgegen. Erstaunlicherweise kommt das recht bunte Dessert dabei nur mit drei launig interpretierten Komponenten aus, wenn man den Hauch von Kokosnuss außer Acht lässt. Dem Fehlen eines roten Fadens stehen ein paar schöne einzelne Effekte gegenüber, die den Umstand ausreichend kompensieren. Alles in allem ein solider Abschluss, allerdings ohne bleibenden Wert im Gedächtnis.
Für € 98 bekommt man hier bei fairen Nebenkosten mittags in Summe ein (vor allem für großstädtische Verhältnisse) nach wie vor günstiges und dennoch ansprechendes Menü vorgesetzt, wenngleich es völlig logisch erscheint, dass das große Omakase-Menü des Abends mit Sicherheit noch eine Schippe drauf legen kann und auch noch kostspieligere Produkte eingesetzt werden. Für einen guten und souveränen Einblick in das Schaffen von Yoshizumi Nagaya reicht es allemal, zumal in den Momenten mit der größten Inspiration schon kleine Meisterwerke dabei sein können. So ragten fast folgerichtig einzelne Gänge wie das Amuse, die Calamares oder der Thunfisch etwas heraus, während aber auch die übrigen Gerichte mindestens ein durchschnittliches Niveau erreichten. So oder so versteht es der Meister immer wieder, japanische und französische Elemente stimmig miteinander zu verquicken, wenngleich eine Virtuosität wie etwa bei Christian Bau weder erkennbar noch angestrebt ist. Angesichts limitierter Möglichkeiten beim Personal und den Räumlichkeiten erscheint es so, dass offenbar zumindest abends derzeit das Optimum dessen herausgeholt wird, was machbar erscheint.
Konzentriert und strukturiert geht es auf den Tellern hier praktisch immer zu – und wenn doch mal ein Schaum dabei ist, dann kaschiert dieser nichts, sondern stellt einfach nur ein wohlschmeckendes Fundament wie bei der Wildgarnele dar. Eine weitere Trumpfkarte stellt die große Homogenität dar, welche die Menüfolge durchzieht, selbst wenn diesmal beim Rotbarsch leicht vom üblichen Pfad abgewichen wurde. Prägnante Würze trifft man durchaus öfter an, aber eben nicht in solch scharfem Kontrast – dennoch erkennt der geübte Esser ein Menü aus der Küche im Nagaya wegen dessen unverwechselbarer Stilistik meist ohne große Mühe. Nicht wenige Gäste sehen das Potential für einen zweiten Stern als gegeben an, doch selbst wenn mir ein abendlicher Eindruck bislang noch fehlt, so ist die Existenz einer eigenen Handschrift schon mal eine wichtige Voraussetzung dafür.
Ideal zum Kennenlernen erscheint der Umstand, dass man mittags erfreulicherweise ohne großen Vorlauf einen Platz bekommt, denn meist ist das Lokal nur etwa zur Hälfte gefüllt. Sämtliche Register seines Könnens zieht der Chef mittags schwerlich, doch auch so bereitete mir die zweistündige Einkehr im Regen von Düsseldorf sichtlich Freude, auch wenn es mir nicht ganz für 18 Punkte reichte. Die endgültige Rechtfertigung dafür wird vielleicht schon die nächste Stippvisite liefern, denn dann strebe ich unbedingt einen Termin abends an. So oder so wird das gemeinsame Foto dazu beitragen, mich stets an mein Versprechen zu erinnern!
Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten
Nagaya
Klosterstr. 42
40211 Düsseldorf
Tel.: 0211/8639636
www.nagaya.de
Guide Michelin 2024: *
Gault&Millau 2024: 3+ Hauben
GUSTO 2024: 9 Pfannen
FEINSCHMECKER 2024: 3 F
6-gängiges Mittagsmenü: € 98
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UPDATE (Mai 2019)
Yoshizumi Nagaya hält auch weiterhin die Fahne der japanischen Haute Cuisine in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt hoch – das nach ihm benannte Nagaya darf weiterhin als das beste japanische Restaurant Deutschlands bezeichnet werden, auch wenn im Bonner Yunico ein weiterer ernsthafter Konkurrent um diesen Titel die Szene betreten hat. Viel hat sich in dem lichten Restaurant mit den klaren Kanten und den einsehbaren Küchenbereichen (kalt und warm) nicht geändert, doch erfreulicherweise wird die moderne Kunst, die die Wände ziert, immer wieder mal ausgetauscht. Die Servicetruppe unter der Leitung des Franken Matthias Däuble (weitere Details siehe unten) ist dagegen gut eingespielt und gehört schon längst zum Inventar des Hauses.
Das an diesem Samstagnachmittag mit ausgesprochen launischem Wetter bis auf den letzten Tisch gefüllte Lokal lockt nicht zuletzt wegen des günstigen Mittagsmenüs die Gäste in Scharen an: zum Preis von € 75 gibt es drei Vorspeisen, den klassischen Sushi-Gang, ein Hauptgericht und ein Dessert – Getränke nicht inkludiert. Auf Brotauswahl und Petits fours im Anschluss muss man ebenfalls verzichten, doch diese beiden Elemente sind ohnehin nicht dezidiert Nippon.
Als Amuse bekomme ich zu einem Monin Orange eine Wagyu-Kartoffel-Krokette serviert. Das geschmorte Fleisch wurde zusammen mit der Kartoffelfüllung in die mit Lauchkohle ummantelte Praline gegeben und hat ordentlich Umami für einen Einstieg. Kein schlechter Beginn!
Der erste Gang ist ein echter Hingucker: Sashimi von der Dorade wurde zunächst für mehrere Stunden in Kombualge gewickelt und gedämpft. Danach wird die Alge fermentiert und dient als knusprige (essbare) Unterlage für den herrlich aromensatten Fisch, der mit Texturen von Pflaume und Shisokresse veredelt wird und nach Bedarf noch mit etwas Limette abgeschmeckt werden kann. Großartig!
Etwas leisere Töne schlägt der nächste Gang an: Jakobsmuschel auf Bambus und Dashi gerät erstaunlich würzig, wenn man bedenkt, dass der Hauptdarsteller gedämpft wurde. Der knackige Bambus liefert einen schönen Textur-Kontrast zu der Muschel, die nicht weicher hätte geraten dürfen. Trotzdem fehlte diesem Gericht für meine Begriffe der letzte Kick, selbst wenn die typisch japanische, puristische Klarheit hier in Reinkultur vorgelebt wurde.
Ein echter Volltreffer dagegen war wieder Seeteufel mit Spargel-Tempura, Kirschblüten, Petersilienstreusel und Spicy-Lemon-Sauce. Der perfekt gegarte Fisch gerät auf diesem Teller in ein Spektrum voller unterschiedlicher Aromen, die allerdings superb harmonieren. Der fast schon ungewohnt farbenfrohe Teller überzeugt in puncto Optik sowie Geschmack gleichermaßen und darf mit Fug und Recht als der Höhepunkt des Menüs bezeichnet werden.
Der klassische Sushi-Teller mit Lachs, Dorade, Thunfisch und Hamachi ist wie immer eine reine Wonne und darf in diesem Menü natürlich nicht fehlen. Das frische (natürlich echte!) Wasabi, der eingelegte Ingwer und die Sojasauce runden diesen Klassiker wieder einmal stimmig ab.
Als Hauptgericht kommt diesmal baskisches Kalb mit Saubohnen und grünem Spargel auf den Teller. Während das aromensatte Stück Fleisch und der Spargel ganz puristisch auf den Teller kommen, sorgen die diversen vegetabilen Texturen sowie feine Noten von Senf für Abwechslung in einem Gericht, das gefällig wirkt und Spaß macht, wenngleich für diesen Gang kaum höchste Meisterschaft notwendig zu sein schien.
Dass in vielen Restaurants nach dem Hauptgericht ein gewisser Spannungsabfall einsetzt und die Desserts manchmal eher zu lästigen Pflichtaufgaben geraten, kann man leider auch hier immer wieder mal beobachten. Die geeiste Schokokugel, die mit frischen Erdbeeren gefüllt und mit etwas aromatisiertem Erdbeerpulver bestäubt wurde, bekommt obenauf noch einen Klecks Crème brûlée. Das macht optisch durchaus etwas her und schmeckt auch keineswegs schlecht, doch kann all dies trotzdem schwerlich über einen gewissen Grad an Beliebigkeit und Mangel an Inspiration hinwegtäuschen. Trotz all des untadeligen Handwerks darf man hier meines Erachtens von einem Sternerestaurant mehr erwarten, selbst wenn Desserts natürlich seit jeher schwerlich ein Aushängeschild der japanischen Küche darstellen – schade um einen etwas unterkühlten Abschluss eines ansonsten gelungenen Menüs!
Die Servicebrigade ist mit einem Knopf im Ohr untereinander verbunden und arbeitet gleichermaßen flink und präzise (selbst wenn dieses Mal skandalöserweise mein Erfrischungstuch ausblieb …). Maître Matthias Däuble punktet mit wohldosierten, aber durchaus pointierten Spitzen und kann kompetent Auskunft über alle Speisen erteilen. Seine Kollegin ist eine optimale Ergänzung, denn diese überzeugt mit profundem Wissen bei den Weinen und Spirituosen; bezeichnend und attraktiv für Kenner ist die große Auswahl an Sakes, die es hier in den unterschiedlichsten Preisklassen gibt. Beim Konsum von Getränken ermpfehle ich im Falle eines schlanken Budgets allerdings generell ein wenig Zurückhaltung, denn die Nebenkosten sind doch recht empfindlich. Dennoch ist es möglich, hier samt Trinkgeld, Aperitif und Wasser ein sehr attraktives Mittagsmenü für insgesamt € 100 zu erhalten – kein schlechtes Angebot für Düsseldorf.
Das mit einem Michelin-Stern und 17 Punkte im G&M ausgezeichnete Lokal garantiert auch weiterhin beständig hohe Qualität und veranlasste den GUSTO sogar jüngst, die vergebene Note auf 9 Pfannen anzuheben. Ganz so stark habe ich die aktuellste Darbietung zwar nicht eingeschätzt, aber von einer Enttäuschung war sie doch weit entfernt. Der Besuch hier hat sich jedenfalls noch immer gelohnt!
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Juli 2018
Wenn man weiß, dass Düsseldorf die größte japanische Gemeinde innerhalb Deutschlands anzubieten hat, dann ist die hohe Zahl an asiatischen Restaurants nördlich des Hauptbahnhofs leicht zu erklären. Unter all diesen gibt es jedoch eine Adresse, die so deutlich aus der Masse herausragt, dass man sie mit Fug und Recht zum besten japanischen Restaurant Deutschlands erklären kann: das Nagaya, benannt nach seinem Chefkoch Yoshizumi Nagaya.
Reisen Sie ja nicht mit dem Auto an, denn ansonsten wird der Genuss schon vorab wesentlich durch die enervierende Parkplatzsuche getrübt! Der ÖPNV funktioniert hier jedenfalls gut und sollte für einen Trip hierher auch in Anspruch genommen werden. Das von außen her voll auf Understatement setzende Lokal ist zudem leicht zu übersehen und gibt sich auch innen bescheiden und typisch japanisch: klare Konturen, scharfe Hell-Dunkel-Kontraste, hier und da ein zeitgenössisches Kunstwerk an der Wand und ansonsten durchgehende Sitzbänke und dezent angepasste Stühle. Der vordere Teil des überaus länglichen Restaurants bietet Einblick in den Sushi-Bereich des Hauses, während eine recht große Glasscheibe den Blick auf das Geschehen in der Küche im hinteren Bereich des Lokals freigibt.
Mittags wird hier zum überaus fairen Preis von € 75 ein sechsgängiges Mittagsmenü (bei allerdings weniger animierenden Nebenkosten) angeboten, das zum Kennenlernen der Küche geradezu ideal gerät. Die volle Meisterschaft des Kochs gibt es dagegen im ausschließlich abends angebotenen Omakase-Menü zu bewundern – wer das erleben möchte, muss unter Umständen (je nach Jahreszeit und Wochentag) ein paar Wochen im Voraus reservieren. An diesem heißen Samstagnachmittag ist das angenehm gekühlte Lokal dagegen nur an drei Tischen besetzt, so dass der ohnehin schon flinke und aufmerksame Service, der zudem mit Knopf im Ohr agiert, die Lage jederzeit im Griff hat. Präzision war schon immer eine Paradedisziplin der Japaner, die auch den Nicht-Japanern im Serviceteam längst in Fleisch und Blut übergeganen ist. Ein ganz besonderes Exemplar unter den Sommeliers ist der Franke Matthias Däuble: der überaus erfahrene Maitre hat Anekdoten en masse parat und versteht es wie kaum ein Zweiter, auf die Befindlichkeit seiner Gäste einzugehen und genau den richtigen Ton zu treffen – von ernst bis humorvoll.
Steigen wir also ein ins Mittagsmenü, das mit einem Sanbitter-Orange und einem Gruß aus der Küche startet: pochiertes Wachtelei, Hummerbisque, argentinische Wildgarnele, Milchespuma und gebeiztes Eigelb hielt leider nicht ganz, was die vollmundige Ankündigung versprach: die Vielzahl an verschiedenen Komponenten war in der Eierschale in einen zu engen Kontext gepresst und konnte nicht die volle Wirkung entfalten. Die Konsequenz daraus war ein aromatisch eher blasser Einstieg, der für die Verhältnisse dieses Haus sicherlich nicht maßstabsetzend war. Schwamm drüber …
Mit dem ersten Gang wurde es nach der pflichtbewussten Brotauswahl jedoch schnell besser: Kürbis, Schwimmkrabbe, Gurke und Thymian geriet zu einem farbenfrohen und geschmacklich glänzenden Spiel. Die Texturen der Karotte machten nicht nur optisch, sondern auch kulinarisch Sinn und kaschierten fast schon das gut versteckte Krabbenfleisch, das durch seine makellose Qualität ebenfalls zu beeindrucken wusste. Der dezente Einsatz von Gurke in diversen Texturen und Thymian steuerte weitere subtile Nuancen bei, die sich prächtig ergänzten.
Mit viel Opulenz und Theatralik in Szene gesetzt folgte sodann gedämpfte Jakobsmuschel, Spargel, Blätterteig und Carabinero. Umgeben von Dampf aus Trockeneis kam die ganze Muschel, deren Rand mit Blätterteig versiegelt war, an den Tisch. Erst nach dem Entfernen und Verzehr des Teigs gab die Muschel ihren köstlichen Inhalt preis: der grüne Spargel und das Muschelfleisch badeten in einem curry-artigen Sud von dezenter und angenehmer Schärfe. Der kleine Carabinero fühlte sich in diesem Umfeld ebenfalls sehr wohl und stellte eine echte Bereicherung des Gerichts dar, das keineswegs nur mit schöner Optik punkten konnte.
Weniger kompliziert in der Präsentation geriet Rotbarsch auf der Haut gebraten mit Erbsen und Spicy Lemon. Dass ein vorzügliches Grundprodukt manchmal nicht mehr als einen souverän und vielfältig in Szene gesetzten Begleiter braucht, verdeutlichte dieses Gericht sehr schön. Das Füllhorn an Erbsen-Texturen geriet zum befriedigenden Spiel zwischen Rot- und Grüntönen, während der nachträglich aufgegossene Spicy-Lemon-Sud dem Gericht den nötigen Tiefgang verlieh. Das unscheinbar anmutende Gericht hatte in Wirklichkeit viel Körper und wirkte in dieser Menüfolge besonders eindringlich. Ausgezeichnet!
Es folgt eine klassische Sushi-Präsentation mit Lachs, Holzmakrele, Thunfisch-Tatar im Hand Roll aus Algenblättern und Hamachi (Gelbschwanzmakrele). Die bestenfalls lauwarmen Türmchen beeindruckten durch die bestechende Frische der Produkte und den ihnen innewohnenden Purismus. Bestes Fleisch, etwas Reis, dazu noch etwas eingelegter Ingwer und selbstredend echtes Wasabi – fertig ist die Visitenkarte!
Nicht überaus japanisch wirkt dagegen das Kalb aus Ostspanien sowie Canneloni mit Maiscrème und Cashews. Die dezidiert japanischen Elemente treten hier zugunsten einer etwas plakativeren Geschmackswelt in den Hintergrund – allerdings nicht unbedingt zu deren Vorteil. Aus dem Kalb hätte man mit anderen Begleitern sicherlich mehr herausholen können, zumal die Canneloni fast schon die Hauptrolle beanspruchten. Ein solides Hauptgericht, aber mehr auch nicht.
Zum Wohlfühldessert geriet abschließend Rhabarbersorbet, Erdbeere, Himbeere und Schokolade. Was dieser Kreation an kulinarischem Wagemut gefehlt haben mag, glich sie durch ihre hinreißende Präsentation und das tadellose Handwerk wieder aus – ein launiges Sommerdessert wie aus dem Bilderbuch eben! Keine Eingebung, aber trotzdem wunderbar!
Was bleibt von diesem Nachmittag in Erinnerung? In puncto Niveau knüpfte der Chefkoch praktisch wieder da an, wo er bei unserem letzten Besuch im November 2016 aufgehört hatte. Sieht man einmal vom blassen Gruß aus der Küche und dem nicht restlos begeisternden Hauptgericht ab, war der übrige Eindruck absolut überzeugend. In Verbindung mit den Erinnerungen vom ersten Besuch drängt sich uns der Verdacht auf, dass beim nächsten Ma(h)l mit Sicherheit das große Menü fällig sein sollte. Ausschließlich japanisch ist diese Küche zumindest insofern nicht, da sie bei der Präsentation der Gerichte durchaus eher französisch als fernöstlich wirkt. Um auch den Puristen unter den Gästen (und davon sind logischerweise nicht wenige Japaner) gerecht zu werden, hat Nagaya inzwischen eine weitere Dépendance in Düsseldorf eröffnet: das nur 200 Meter entfernte Yoshi gibt sich noch japanischer und schmückt sich derzeit mit einem Michelin-Stern und 14 Punkten im G&M. Wer japanischer Kücke mit französischem Touch etwas abgewinnen kann, ist im Stammlokal jedenfalls genau richtig und wird nicht enttäuscht werden. Wer es dagegen lieber französisch mit japanischen Einflüssen mag, der sollte unbedingt den Weg zu Christian Bau ins saarländische Perl antreten und Weltklasseniveau genießen.
Im Mittagsmenü lässt Nagaya sein Talent zwar erkennbar aufblitzen, aber die ganz große Leistungsschau gibt es eben nur abends. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Messlatte auch mittags schon so hoch hängt, dass ich eine Aufwertung auf den zweiten Michelin-Stern als überfällig empfinde – auch die derzeit 17 Punkte im Gault&Millau werden mehr als ausreichend bestätigt. Wer nach Düsseldorf reist, sollte eine Stippvisite hier also dringend in Erwägung ziehen!