Ophelia**, Konstanz (UPDATE)

„Oh flösse von Sankt Gotthards Höh‘
als Rheinweinstrom der Rhein,
so möchte ich wohl der Bodensee,
doch ohne Boden sein.“ (Friedrich Hornfeck)

UPDATE (Januar 2024)

In der Bodenseeregion tat sich in letzter Zeit einiges: so schloss zum Beispiel das ambitionierte Restaurant s’Äpfle in Bodman seine Pforten über mehrere Monate, nur um dann Mitte Mai ziemlich überraschend mit Christian Klemm, dem neuen Mann am Herd, wiederzueröffnen. Auch in Lindau gibt es nun mit dem KARRisma eine neue besternte Adresse, doch all dies konnte nichts daran ändern, dass Dirk Hoberg mit seinem Ophelia im Konstanzer Hotel RIVA weiterhin die kulinarische Speerspitze der Bodenseeregion darstellt. Hier wird derart wenig Aufhebens um die eigene Arbeit gemacht, dass mir vor meinem jüngsten Besuch noch nicht einmal bekannt war, dass ein Teil der Mauer in einem der Speisesäle herausgebrochen worden war, was nun einen großzügigen Blick auf das Treiben in der Küche und speziell in der Anrichte gestattet.

Da es an diesem Sonnntagabend meines Besuches lausig kalt ist und ordentlich Schnee liegt, hält sich der Besucherstrom erwartungsgemäß in Grenzen. So ist es kein Problem, einen Platz zu bekommen, der den Gast die Vorzüge dieser Umbaumaßnahme spüren lässt. Allerdings hege ich auch ohne die optische Aufwertung keinen Zweifel daran, dass Dirk Hoberg sich auch diesmal wieder ein klein wenig verbessert haben wird, weil bislang bei jedem Besuch (mit Ausnahme der Corona-Zeit) zu beobachten war, in welch unauffälligen und kleinen, aber höchst effektiven Schritten der Küchenmagier vom Bodensee weiter Fortschritte macht und sich somit zum ernsthaften Kandidaten für den dritten Stern gemausert hat. Man hört und liest sehr wenig über das Ophelia, was nur einmal mehr unterstreicht, wie fokussiert und zugleich bescheiden nach außen hier gearbeitet wird. Dirk Hoberg ist fraglos ein Leisetreter seiner Zunft, tritt aber keineswegs schüchtern auf: inzwischen lässt er es sich nicht nehmen, jedem Gast die ersten Apéros höchstpersönlich aufzutragen und zu erläutern – an Abenden mit wenig Gästen bleibt es meist nicht bei einer einzigen Stippvisite am Tisch. Unprätentiös im Habitus, hat dieser Chef eine klare Vorstellung davon, wie sein Stil aussehen soll, und setzt diesen zielstrebig um: das Arbeiten mit möglichst vielen heimischen Produkten aus der so reichhaltigen Region liegt ihm stets am Herzen, wobei die Viktualien fast immer mit glasklarer Schärfe und ohne Verfälschung in Szene gesetzt werden. Die Basis seiner Arbeit ist durch und durch französisch, aber zeitgemäß umgesetzt und von einem Charme wie er heutzutage selten geworden ist.

Der beste Beweis für diese Feststellungen ist sein vierteiliger Reigen an Apéros, der in schöner Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit zu den besten und inspiriertesten Darbietungen in der deutschen Hochküche überhaupt gehört. Dazu gehört meist ein ganz klassischer Beitrag wie in diesem Fall das Rindertatar mit gehobelten Trüffelstiften auf Kartoffel und Crème fraîche – handwerklich spielt diese Petitesse in jeder Hinsicht in der Oberliga mit. So elegant im Geschmack und organisch in den Texturen bekommen das nur wenige hin.

Ein Taco mit Saibling, Karottentatar, Saiblingskaviar und gepufftem Quinoa hinterlässt ebenfalls einen sehr starken Eindruck, denn eine zauberhaft leichte Süße trifft hier auf präsente Salinität und wird durch die filigrane Umsetzung zu einem höchst transparenten Einfall voller harmonischer Texturen. Fraglos ein großer Wurf!

Auch die dritte Kreation hält mühelos das bisher gezeigte Niveau: das überaus stimmige Arrangement von Avocadopaste, Ei, Basilikumcrème und Basilikumblüten auf Röstbrot ist sehr kreativ und filigran umgesetzt. Trotz der Komplexität entpuppt sich dies als ein überaus leichter und bekömmlicher Einfall, der ganz typisch für den unverwechselbaren Stil von Dirk Hoberg ist. Sein Talent, auch komplexere Geschmacksbilder ohne Überfrachtung oder Kaschierung der Aromen in Szene zu setzen, kommt hier bestens zum Tragen. Exzellent! 

Die Krönung des Quartetts, das fraglos schon jetzt ein ernstzunehmnder Kandidat für meine Menüfolge des Jahres ist, ist jedoch der Schlussakkord: es erscheint schlicht unglaublich, wie es der Küche gelingt, fermentierte rote Bete, Kaviar und japanische Senfcrème derart feinsinnig unter den essbaren Blüten zu drapieren und geschmacklich auszubalancieren. Nicht nur, dass Dirk Hoberg offenbar nie die Ideen ausgehen – nein, es gelingt ihm immer wieder, diese auch höchst überzeugend umzusetzen und in bestechender Frische sowie nicht für möglich gehaltener Klarheit in Szene zu setzen. Was für ein unfassbares Meisterwerk!

An der soliden und guten Brotauswahl wurde nichts verändert, weshalb ich für Details auf meine bisherigen Rezensionen verweise.

Als Souschef Fabian Obergfell das Amuse aufträgt, erfahre ich zunächst einmal zu meiner großen Überraschung, dass seine Eltern aus meinem Heimatort stammen und auch schon meine Konzerte besucht haben! Die Welt ist manchmal eben doch ein Dorf …

Der hauchdünn aufgeschnittene und geräucherte Bodenseeaal ummantelt eine Farce von Dinkel, Birne und Speck – eine exotische Kombination, die allerdings prächtig gelingt! Platziert ist die Nocke auf einer Birnenvinaigrette mit Tropfen von Schnittlauchöl und getoppt mit etwas Feldsalat. Diese ultrafrische Kreation schafft einen ausgesprochen reizvollen Kontrast zwischen säuerlichen Akzenten einerseits und erdig-deftigen Noten andererseits, so dass unterm Strich ein ausgesprochen durchdacht wirkender Teller steht, dessen Kühnheit mich einigermaßen an Thomas Schanz erinnert, welcher derzeit beim Amuse ähnlich gewagte Einfälle riskiert – den Vergleich muss Dirk Hobergs regional gehaltener Beitrag aber keinesfalls scheuen! Exzellent!

Den Auftakt ins sechsgängige Menü zu € 275 bildet ein alles andere als vorhersehbar umgesetzter Gang: marinierte und filetierte Rotbarbe wird vor allem mit eingelegter Artischocke in Texturen und Sellerie umspielt. Selbst mit der an sich schon hochklassigen, subtilen Aufwertung von am Platz darüber geriebenen Limettenzesten und dem feinsinnigen Abschmecken durch etwas Estragon gibt sich Dirk Hoberg längst nicht zufrieden: eine Mousse von fermentierten Tomaten mit Akzenten von Kardamom und Lorbeer fügt sich genauso organisch ein wie das Türmchen von Rettichcrème mit Wiesenkräutern und Frisée. Endgültig luxuriös wird es mit dem Satelliten, auf welchem eine Mousse der Barbe das Fundament für (nicht einmal annoncierten) Impérial-Kaviar bildet. Stroh und Crème von Artischocke schaffen einen noch stärkeren thematischen Zusammenhang zum Hauptteller, womit der Grand Chef beweist, wie wenig Produkte manchmal notwendig sind, um etwas in seiner Vielfalt ganz und gar Zuaberhaftes und doch Harmonisches zu schaffen, das zudem überaus bekömmlich schmeckt und ein Füllhorn an mediterranen Aromen über dem Gast ausleert – formidabel in jeder Hinsicht!

Das eigentlich siebengängige Menü hatte ich deshalb auf sechs Gänge verkürzen lassen, um sicher die Fähre nach Meersburg zu erreichen, aber schon bald werde ich vom Chef gefragt, ob er mir den entfallenen Gang gratis anbieten darf – im Hinblick auf die Synchronisation mit den anderen Tischen eine verständliche Maßnahme, aber trotz allem natürlich eine noble Geste, für ich mich hier nochmals herzlich bedanke. Außerdem wäre mir andernfalls ein Highlight in der an bemerkenswerten Momenten weiß Gott nicht armen Menüfolge entgangen: zu einem mustergültigen Brioche serviert man ein Gateau von Gänselebermousse auf einem Boden von Früchtebrot. Eine geradezu aristokratische Noblesse erlangt der Gang durch das aromatisch tiefe und ungeheuer dichte Gelée von Portwein und schwarzen Trüffeln, wobei die Maßnahme, die Innerei zur rechten Seite auch als Eis zu interpretieren, das mit Portulak und Champignons belegt ist, dagegen wohltuend leicht wirkt. Das ist leiser, unaufdringlicher Luxus in Reinkultur.

Selbstverständlich gelingt es Dirk Hoberg aber auch, Kreationen auf den Punkt zu bringen und auf Begleitteller zu verzichten, selbst wenn er bisweilen ein erkennbares Faible dafür hat. So überzeugt er auch mit perfekt gegartem und leicht geflämmtem Seeteufel von grandioser Qualität, wenn dieser trotz nicht weniger als fünf Varianten von Topinambur erkennbar im Mittelpunkt des Geschehens bleibt. Schön glasiger Tintenfisch ist ein vorzüglicher, wenn auch etwas kontrastarmer Kompagnon zum Hauptdarsteller, weshalb im Gegenzug etwas Holzkohlepulver und Sansho-Pfeffer dem Gericht ein paar Ecken und Kanten verleihen – einmal mehr ein angenehm unprätentiöser Teller von nachhaltiger geschmacklicher Wirkung.

Apropos angenehm: aus der offenen Schauküche dringt keinerlei Lärm, und selbst in diesem Fall würde die für ein Sternerestaurant eher ungewöhnliche Musik der 1970er und 1980er aus den Lautsprechern jedweden Anflug von schlechter Laune vertreiben – andererseits entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn bei Außentemperaturen unter dem Gefrierpunkt der Funk-Klassiker September von „Earth, Wind and Fire“ zu hören ist …

Gut situierten und fachkundigen Vinophilen unterbreitet das Ophelia übrigens neuerdings auch ein ganz spezielles Angebot. Nicht weniger als vier kostspielige Pretiosen werden nun glasweise angeboten, darunter auch die sündhaft teuren flüssigen Juwelen von dem weltberühmten Weingut Domaine Romanée Conti im Burgund. Wer ein exquisites Geschmackserlebnis wünscht, der kann für ca. € 500 ein Glas dieser dank Coravin quasi offen ausgeschenkten Weine degustieren und sich selbst ein Urteil bilden.

Nach diesem Exkurs richte ich den Fokus wieder aufs Wesentliche, denn auch der nächste Einfall sollte sich als sehr inspiriert erweisen: man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass der butterzarte und einfach traumhafte Steinbutt an Safranschaum (quasi im Stile des Münchner Sparkling Bistro von Jürgen Wolfsgruber) auch ganz puristisch hätte serviert werden können, doch stattdessen ersinnt der Ausnahmekönner in der Küche nicht nur eine Nocke von Quinoacrème mit gepufftem Quinoa, sondern auch einen bemerkenswert stimmigen und vielschichtigen Sandwich im leicht knusprigen Tramezzini-Mantel mit einer Farce von Steinbutt und Venusmuscheln (auch obenauf). Im Martiniglas à part lässt die Küche die Muskeln spielen: Venusmuscheln mit Fenchelsalat und Schaum von Sauce Rouille kommt deutlich gehaltvoller als der Hauptteller daher, doch erstaunlicherweise kommt das Gefühl von Ausgewogenheit und Eleganz, das diese Küche so sehr kennzeichnet, selbst hier nie wirklich abhanden. Vielmehr beweist die Küche, dass sie geschickt mit verschiedenen, aber stets wohldosierten Intensitäten virtuos umzugehen versteckt.

Die folgende Erfrischung (diesmal allerdings nicht direkt vorm Hauptgericht), die man nicht missen möchte, hat in diesem Haus schon längst Klassikerstatus erreicht, weshalb ich beim nun folgenden Zitronensorbet erneut auf frühere Beiträge untenstehend verweise. Vielleicht wäre es trotz allem eine Überlegung wert, im tiefsten Winter noch eine andere Backup-Variante zu dieser sommerlichen Ikone im Ärmel zu haben. Andererseits ist dies der vielleicht passendste Moment, um nicht nur anzumerken, dass das Ophelia auch am Sonntagabend geöffnet hat, sondern auch zu den ganz wenigen Spitzenadressen gehört, die in den ersten zwei Januarwochen weiterhin geöffnet hat, während viele andere Etablissements offenbar erst einmal den Weihnachts- und Silvesterstress vom alten Jahr noch abbauen müssen.

Gehaltvoll, aber recht konzentriert wird es beim Rindertatar in einer vergleichsweise groben Textur unter einem Arrangement von Pomme soufflé, Rosenkohl, Preiselbeere und schwarzem Trüffel. Die Kartoffelcrème auf einer alle Sinne schärfenden Reh-Wacholder-Essenz schafft eine stimmige Verbindung mit langem Nachhall, da süßliche und herbe Aromen schön changieren und ein ziemlich körperbetontes Gericht würdig abrunden.

Richtig aromensatt wird es bei gleichmäßig und kräftig gebratener Taube mit einem kreativen Defilée von dreierlei Kürbis (geschmort, gepickelt, Purée), Hollandaise, Kürbiskernöl und einer Nocke von Taubenklein. Die eigens mit einem Rechaud am Platz (welch seltener Anblick) warmgehaltene Taubenjus ist qualitativ absolut in der Oberliga angesiedelt und festigt den Eindruck eines hochklassigen, schnörkellosen und im bisherigen Kontext geradezu ernsten Hauptgerichts.

Selbst der rar gewordenen Spezies des auskomponierten Käsegangs huldigt man hier noch: fränkischer Rohmilchkäse wird verarbeitet zur Füllung eines Windbeutels, dessen recht krosse Hülle aus Feige und schwarzer Walnuss besteht. Auch wenn diese Produkte noch in weiteren Texturen unter dem Windbeutel Verwendung finden, so bleibt der Eindruck eines kompakten, kurzweiligen und schlüssig umgesetzten individuellen Beitrags haften.

Das virtuos ersonnene Dessert kommt als Trio daher und beleuchtet nur wenige Produkte in denkbar vielen Facetten: auf dem Hauptteller ist Joghurt mit einer gelartigen Ummantelung von exotischen Früchten als Halbkugel auf einem Keksboden mit Ananassalat platziert und umgeben von einer Vinaigrette von Thaibasilikum und am Platz geriebenen Zesten von Kaffirlimette. Über die weiße Stange habe ich leider keine Notizen gemacht, glaube mich aber an eine etwas festere Konsistenz zu erinnern und kann daher zumindest Meringue als Produkt ausschließen. Die beiden Beigaben bestehen aus Obstsalat mit Rum und Zabaglione sowie einem Piña-Colada-Eis auf Ananaskompott mit Kokosnoten – neben der Vielfalt ist es jedoch die große Temperaturspanne, welche besonders lange haften bleibt. All dies ist sehr kreativ, geschmackssicher und arbeitsintensiv umgesetzt worden, wenngleich der sommerliche Kommentar vom Zitronensorbet zuvor sich auch hier anwenden ließe. In Summe ist dieser Ausklang allerdings so vielfältig und großartig umgesetzt, dass ich über diesen Umstand gerne mal hinweg sehe!

Dann passierte etwas, was mir Jahre lang nicht untergekommen war und nun binnen sechs Wochen gleich zweimal: nach der Stippvisite im es:senz zu Grassau Anfang Dezember, wo ich von einem Ehepaar erkannt wurde, geschah mir dasselbe nun nochmals! Die kompetente und keineswegs unerfahrene Dame am Nebentisch kam mit mir noch so gut und ausführlich ins Gespräch, dass ich den Petits fours leider nicht mehr allzu viel Aufmerksamkeit widmete und hier ernüchtert feststellen muss, mich nur noch daran erinnern zu können, dass die hauseigene Interpretation des Klassikers „Hanuta“ (im großen Bild) den ohnehin schon grandiosen Qualitätsanspruch der Pâtisserie nochmals auf ein neues Level anzuheben schien! Auf jeden Fall konnte man von einer gelungenen Abrundung sprechen!

Aus dem Bericht sollte bereits ersichtlich geworden, dass dieser Abend nicht gerade sparte mit herausragenden, ja teils rauschhaften Eindrücken. Das fast schon unerhörte Gespür für Eleganz und Harmonie auf französischer Basis kennzeichnet diese Küche schon seit Jahren, weshalb es nicht weiter verwundert, dass Dirk Hoberg seinem leichten, hocheleganten Stil weiterhin absolut treu geblieben ist. Dennoch hat er das die geschmackliche Potential, welches ihm die heimischen Produkte bieten, noch gründlicher erforscht und sein fraglos überragendes Handwerk abermals verbessert. Die oftmals so mühelos und ohne übertriebene optische Spielereien auskommenden Teller könnten einen glatt vergessen lassen, wie viel detailreiche Kleinarbeit und Präzision dahinter steckt, bis solche Meisterwerke ersonnen und umgesetzt sind. Die Küche geizt nicht mit Überraschungen, doch Affronts oder bizarre Einfälle muss hier niemand befürchten. Wer hier öfters einkehrt, der weiß, dass Dirk Hoberg mit einem vergleichsweise kleinen Arsenal an Lieblingsprodukten aus der Bodenseeregion arbeitet und diesen immer wieder neue aromatische Facetten und Finessen entlockt ohne dabei jemals zu langweilen. Nein, puristisch ist diese Küche sicherlich nicht, liegen ihre Stärken doch ganz eindeutig in heiteren, variabel gestaltenen Tellern mit wenigen Produkten in vielfältigen Texturen. Verlässlichkeit und Konstanz (nicht mit dem Ortsnamen verwechseln!) haben diese Küche seit meinem ersten Besuch vor zehn Jahren ausgezeichnet – und daran hat sich auch diesmal nichts geändert.

Die Servicebrigade unter der Leitung von Jerom Nicke ist leichtfüßig unterwegs und stets nah am Gast – zumal die Mitarbeiter ja auch von Dirk Hoberg selbst unterstützt werden. Kompetente Auskünfte gehören dabei genauso zum Portfolio wie gute Laune, Aufmerksamkeit und die gebotene Distanz. Teils sind es auch Küchenmitarbeiter selbst, die diesen oder jenen Gang erläutern, so dass das Gefühl einer Hierarchie innerhalb der Servicebrigade ohnehin eher auf dem Papier zu existieren scheint. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist in Sachen Nebenkosten zwar nicht gerade das stärkste Argument für einen Besuch, doch bei maßvollem Genuss ergeben sich hieraus keinerlei Probleme.

Eine Beförderung auf drei Michelin-Sterne sollte der rote Gurmetführer inzwischen ernsthaft erwägen: neben einem aus meiner Sicht stets fehlerlosen Handwerk sind es unter anderem die homogenen Menüfolgen, das weit überdurchschnittliche Maß an Kreativität, die punktgenauen Zubereitungen und die exzeptionelle Leistung der Pâtisserie, welche die stärksten Argumente für eine Aufwertung liefern. Den zweiten Stern erlangte das Lokal im Jahre 2012 und hat sich seither stetig weiterentwickelt anstatt sich auf dem Erreichten auszuruhen. Sicherlich ersinnen andere Chefs knalligere Menüfolgen – sei es nun in optischer Hinsicht oder von der Zusammenstellung der Gerichte her. Solche Effekte hat man hier jedoch nicht nötig, und zwar aus gutem Grund: die Qualität der Gerichte und Menüfolgen spricht für sich, weshalb die Teller es nicht nötig haben, sich aufzuspielen. Dirk Hoberg kann seine Fähigkeiten genau einschätzen und weiß, dass er sich eine solch „leise“ Ästhetik erlauben kann, weil sich die grandiose Qualität letzlich immer gegen polternde Effekte durchsetzt – folgerichtig ist die von mir vergebene Punktzahl absolut in Stein gemeißelt und tendiert für meinen Geschmack in Ansätzen sogar schon zur Höchstnote.

Nimmt man dann im Sommer noch den zauberhaften Balkon mit Blick auf die Promenade und den Bodensee hinzu, dann steht hier einem überaus genussvollen Abend praktisch nichts im Wege! Ich kann den nächsten Besuch kaum erwarten …

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

Ophelia
Seestraße 25
78464 Konstanz
Tel.: 07531/363090
www.restaurant-ophelia.de

Guide Michelin 2022: **
Gault&Millau 2021: 18 Punkte
GUSTO 2022: 10 Pfannen
FEINSCHMECKER 2022: 4,5 F

6-gängiges Menü: € 275

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„Küsse vergehen, Kochkunst bleibt bestehen.“ (George Meredith)

UPDATE (Mai 2022)

Ob der englische Lyriker George Meredith selbst ein Gourmet war, entzieht sich leider meiner Kenntnis, aber an der hier zu erlebenden Beständigkeit hätte er mit Sicherheit seine Freude gehabt. Mir geht es ganz ähnlich: selbst die meist etwas zeitraubende Suche nach einem Parkplatz konnte meine Vorfreude auf einen erneuten Besuch im Ophelia bislang nicht im Geringsten trüben: zu überzeugend waren die bisherigen Darbietungen, zu attraktiv die Lage am Bodensee und zu tiefenentspannt der Service in diesem Lokal als dass mich irgendetwas im Vorfeld dazu gebracht hätte, einem erneuten Besuch hier nicht freudig entgegenzusetzen. So auch diesmal: trotz der leicht schwülen Gewitterstimmung ist die wunderbare Terrasse der weißen Villa simply the place to be an diesem Abend. Eine sanfte Brise umweht den Gast – und sofort ist wieder diese ganz besondere Atmosphäre da, die man bei einer Einkehr hier um keinen Preis missen möchte. Noch erfreulicher geriet der Umstand, dass eine sehr spontane Anfrage meinerseits erst am Abend zuvor trotz allem ein gutes Ende nahm, obwohl auch an diesem Montagabend praktisch alle Tische besetzt sind und die Klientel nicht selten zu einem signifikanten Anteil aus der nahen Schweiz anreist.

Dass die Küche des zweifach besternten Lokals natürlich nach wie vor das Hauptargument darstellt, regelmäßig dem Etablissement einen Besuch abzustatten, ist dennoch klar: mit Ausnahme kleinerer und verständlicher Probleme während der Corona-Restriktionen bekam ich hier noch immer höchst überzeugende und überaus inspirierte Darbietungen vorgesetzt. Beim jüngsten Besuch im letzten Jahr wurde das erreichte Niveau für meine Begriffe nochmals um ein gutes Stück angehoben, so dass allein schon die Bestätigung dieser Leistung als ein Erfolg anzusehen wäre. Ich hoffe natürlich auf eine Wiederholung des grandiosen Niveaus und kann die folgenden Stunden kaum erwarten …

Beim einzigen Menü in fünf (€ 215) bzw. sechs Gängen zu € 225 hat man bei einer Vorspeise und beim Hauptgericht eine Wahl, doch der Rest ist fix vorgegeben – dennoch kann man sich jederzeit vorbehaltslos auf die Darbietungen der Küche einlassen, da noch jede Menüfolge hier bislang immer Hand und Fuß hatte. Da es auch theoretisch möglich ist, alle sieben Gänge zu bestellen (was offenbar selten vorkommt), ist das Eis angesichts eines geradezu lachhaften Aufpreises von zehn Euro rasch gebrochen: selbstverständlich bestelle ich alle sieben Gänge, da Reisen an den Bodensee zeitintensiv sind und sich nicht gerade häufig einrichten lassen.

Vor der eigentlichen Menüfolge geht es wie immer los mit ein paar vom Chef selbst erläuterten Apéros, die trotz leichter Modifikationen teils Klassikerstatus einnehmen, aber andererseits auch neue Wege beschreiten. In die erste Kategorie fällt das mit Kataifi-Fäden ummantelte Röllchen mit einer Füllung von Rauchbrandade und Felchentatar, während die gebeizte Variante des Fischs obenauf thront. Ebenfalls der ersten Rubrik zuzuordnen ist das Tartelette mit Saibling und Saiblingskaviar. Vollendet abgeschmeckt mit Dill und ein paar Spritzern Zitrone, ist rasch wieder dieses Gefühl der höchst befriedigenden Küche im Ophelia da. Ungewohnt neu ist die Praline von gebackenem grünen Reis mit Aal, zumal die Veredelung mit Koriander und einer Dashi nicht so typisch für dieses Haus sind – dennoch gut gelungen. Ein augenzwinkernder Abschluss ist schließlich die winzige Quiche Lorraine mit Speck und Lauch, welche schwebend leicht zum Menü überleitet.

Zuvor tischt man noch eine Maultasche mit einer Füllung vom Rind auf, die in einer getrüffelten Oxtail von mittlerer Intensität ruht. Dieser heimatverbundene und augenzwinkernde Beitrag beweist, dass Dirk Hoberg trotz einer Vorliebe für allerbeste Viktualien aus aller Welt den Bezug zur Region nicht verliert und gerne auch heimische Produkte miteinbezieht, sofern sie seinen Qualitätsstandards genügen. Zur seit längerer Zeit unveränderten Brotauswahl gibt es hingegen nichts Neues zu vermelden, weshalb ich hier auf frühere Berichte verweise.

Als Gänseleber im Buchenrauch aromatisiert mit Bodenseeäpfel, geröstete Mandeln und Salat annonciert, entpuppt sich dieser Einsteiger als ungleich komplexer wie gedacht. Die Leber selbst gelangt als cremige Terrine (in Referenzqualität) und als Eis auf den Teller, doch die kunstvolle Begleitung erfüllt weit mehr als nur dekorative Zwecke. Die sauer eingelegte Kugel aus Rotkohl im Vordergrund links sowie die Bitterstoffe von Mandeln und der Salatgarnitur korrespondieren bestens mit der leichten Süße der dünn gehobelten Äpfel und feinen Akzenten von Bergamotte. Durch das ungewöhnliche, aber nicht aufdringliche Raucharoma verliert die Leber etwas an Schwere, so dass die fruchtbetonte Begleitung mühelos zu ihrem Recht kommt und aus diesem Entrée einen ausgewogenen und exzellenten Einstieg macht, wobei das fluffige und leicht geröstete Brioche alles vollendet abrundet.

Handgetauchte Jakobsmuschel, Sanchopfeffer, Fenchel und deutscher Kaviar wäre die Alternative im fünfgängigen Menü gewesen, aber so wie die Dinge liegen, bin ich froh, weder auf den Gänseleber-Gang noch auf die Muschel verzichten zu müssen – nicht nur, weil diese Luxusprodukte immer wieder gern gesehen sind, sondern auch weil die launige Interpretation das Erlebnis noch immer spürbar aufwerten konnte. So auch diesmal: die dünn geschnittene Muschel wird aufgerollt und mit Salicorn-Algen sowie dem Kaviar betont salzig interpretiert. Der mit Schnittlauch verfeinerte Krustentierfond bildet die Basis des Gerichts, doch auch ein gut versteckter Flan, der mit der Corail der Muschel mit präsenter Bitterkeit auf sich aufmerksam macht, schafft aus diesem herben Gericht ein kleines Meisterwerk mit straffer Säure und präsenter Jodigkeit. Trotz aller Komplexität im Detail bleiben die Gerichte dabei stets bekömmlich und von einer verblüffenden aromatischen Wirkung, die den Gast unmittelbar anspricht. Sehr gelungen!

Mit Loch Duart Lachs in Butter gegart (welch hinreißende Konsistenz!) beweist der Chef einmal mehr sein Faible und sein sicheres Gespür für das Beste aus Fluss und Meer. In einer spielerisch leicht anmutenden Begleitung nimmt die mit Kerbel aromatisierte Beurre Blanc die Aufgabe der stimmigen Verbindung aller Komponenten ein. Reichenauer Gartengurke und Röstaromen von Quinoacrème (mit geröstetem Quinoa und Amaranth ummantelt) stellen eine facettenreiche und stimmige Begleitung dar, doch die meiste Aufmerksamkeit beansprucht das wundervolle Türmchen aus verschiedenen Texturen von Artischocke: Fäden, Crème, Brotchip und Flan zeugen vom Ideenreichtum der Küche und bereichern den Gang mit herb-vegetabilen Aromen auf vortreffliche Weise. Einmal mehr ist das Handwerk kaum weniger als traumhaft zu bezeichnen, so dass die kreative Begleitung fast schon dem Hauptdarsteller die Show stiehlt. Doch keine Angst: die Qualität des enorm eiweißhaltigen Lachs überstrahlt alles!

Beim gebratenen Seeteufel übernimmt dann für meine Begriffe das Defilée vorübergehend das Kommando: Variationen von grünem und weißem Spargel (als kugelförmige Basis des Türmchens hinten links), geschmolzener Lardo-Schinken und das Knusperröllchen mit einer Füllung von Erbsen und Estragonschaum verwandeln den meist aromensatt begleiteten Hauptdarsteller auf eine eher kapriziöse, duftig-leichte Weise. Dennoch machen sich auch Austernkapern, Tomaten und die Hollandaise deutlich bemerkbar, so dass unterm Strich grenzwertig viel auf dem Teller passiert. Dennoch prägt sich der buttrige Geschmack des Fischs noch lange ein, was für seine inhärenten Qualitäten wie für die Zurückhaltung bei der Aromendichte gleichermaßen spricht.

Längst zu einer Art Klassiker ist das Sorbet und Granité von Zitrone avanciert: gerade an schwül-warmen Sommerabenden eine immer wieder willkommene Erfrischung mit fast vollständigem Verzicht auf Zucker und damit alles andere als belastend.

Wenn es überhaupt noch so etwas wie einen kleinen Schwachpunkt in dieser zur deutschen Spitzenadresse gereiften Küche gibt, dann sind es möglicherweise die Fleischgerichte, die bislang noch nicht ganz dieselbe Extraklasse wie andere Produktkategorien erlangen konnten. Doch auch diese Einschätzung ist spätestens seit meinem jüngsten Besuch passé: aus einer im Grunde genommen eher simplen Idee zaubert Dirk Hoberg mit Hilfe von Lamm aus der Eifel ein kraftstrotzendes, aber nicht zu wuchtiges Gericht, indem er Jus und Karrée vom Lamm in exzellenter Qualität in den Mittelpunkt stellt. Umspielt wird der saftige Star des Tellers von einem Arrangement diverser grüner und weiße Bohnen, während eine Polenta mit fermentiertem Knoblauch der dunklen Jus eine hellere Variante entgegensetzt. Der fast schon in ungewohnter Klarheit bei gleichzeitig einprägsamer Optik ersonnene Teller bringt alles mit, was ein gelungenes Hauptgericht so braucht: eine aromatische Vision, kein Brimborium und volle Konzentration auf den Eigengeschmack des Hauptdarstellers. Das hat schon große Klasse, doch es sollte noch besser kommen …,

… denn das zweite Hauptgericht (für einen zusätzlichen Spottpreis) sollte zum Highlight des Abends und sogar zu einem Knaller des gesamten Jahres werden: Schulter Scherzel vom Rind hat schon rein optisch eine Strahlkraft, die höchst animierend gerät. Aromatisch wird das Wagyu so kraftvoll und wuchtig in Szene gesetzt, dass die Begleiter sich in regelrechter Demut üben müssten, wenn sie nicht gerade grandiose Qualität erkennen ließen. Genau dies ist jedoch durchweg der Fall, denn allein die à part gereichte Kartoffelmousseline mit Texturen von confierter Kartoffel ist so phänomenal, dass sie allenfalls dem Beitrag aus dem belgischen Hertog Jan den Vortritt lassen müsste. Hinzu gesellen sich eine herbe Auberginenmousse, die mit Texturen von Portobello und Miso dekoriert ist, sowie wundervolle Morcheln, deren Erdigkeit und Intensität wahrlich selten ist. Das Türmchen von Sellerie-Variationen gelingt genauso vorzüglich wie alle anderen Begleiter, doch die Jus von unerhörtem Körper setzt diesem Hauptgang die Krone auf. Ein Meisterwerk! Nicht auszudenken, wenn ich diesen Beitrag verpasst hätte!

Nach einer etwas längeren Pause folgt auf diesen Ausnahmegang ein Pré-Dessert, welches das bisher gezeigte Niveau mühelos hochhält: ein auf einem Hippenteig platziertes Hibiskussorbet paart die Küche mit karamellisierter weißer Schokolade und schafft so eine fruchtig-leichte Überleitung zum Dessert, die vergleichsweise harmlos, aber dennoch ausgesprochen reizend gerät.

Die knappe Beschreibung des Desserts mit Rhabarber, Joghurteiscrème und Mandeln gibt nicht allzu viel preis, doch hier zieht die Pâtisserie noch einmal alle Register ihres Könnens und kreiert einen keine Sekunde langweiligen Ausklang. Der heitere und federleichte Hauptteller präsentiert eine nahezu monothematische Fülle an Texturen des Hauptprodukts, welches im Verbund mit Mandelmilch und Mandelbaiser völlig ausreichend begleitet ist, um ein launiges Potpourri daraus zu machen, welches darüber hinaus fruchtbetont und einfach bekömmlich schmeckt. Separat reicht man dazu auf einem weiteren Teller eingelegten Rhabarber mit Mandelcrunch sowie ein Glas mit Zucker und einer Rhabarberstange darin, was eine Hommage an längst vergangene Zeiten darstellen soll – das bekam Dirk Hoberg offenbar öfter als Kind von seiner Großmutter vorgesetzt!

Die Petits fours halten das Niveau bis zum Ende hoch: ein Zitronenschaumkuss, eine Haselnußschnitte mit Kaffee, eine Salzkaramellpraline und eine Apfeltarte mit Vanille dienen allesamt einer kompakten, farbenfrohen Ästhetik mit konzentrierter Aromatik.

Mit dieser Menüfolge meißelte Dirk Hoberg eine Erkenntnis, die für mich schon lange auf der Hand liegt, endgültig in Stein: das Ophelia gehört unter der Leitung seines charismatischen und hochtalentierten Chefs für mich ganz klar zu den zwanzig besten Restaurants der Republik. Nach dem Wegfall der meisten Corona-Beschränkungen fand die Küche rasch wieder zu alter Stärke und konnte ihr Profil für meine Begriffe dabei in den vergangenen Monaten sogar nochmals stärken. Die hocheleganten, federleichten Kreationen, die diese Küche schon immer ausgezeichnet haben, gehen inzwischen vollkommen einträchtig Hand in Hand mit durchaus konzentrierteren Gerichten, deren Tiefe und Unverwechselbarkeit gleichermaßen beeindrucken. Dass sich der Chef öfters die Freiheit nimmt, an den Tischen der Gäste zu erscheinen und die eine oder andere Kreation höchstpersönlich zu erläutern, zeugt für mich von einem straff, aber sicher organisierten Regiment in der Küche, das aus vollkommen verlässlichen und weitgehend autark agierenden Mitgliedern bestehen muss, von denen jeder einzelne genau weiß, was er zu tun hat. Eine derart souveräne Gelassenheit kommt unter solch hochdekorierten Chefs nur selten vor und zeugt für mich auch von großer Motivation für die Mitarbeiter, hier arbeiten zu dürfen – zumal die wenigen Meter bis zur Seepromenade und die herrliche Terrasse im ersten Stock nicht unerheblich zur Attraktivität des Lokals beitragen.

Was genau macht nun den auf mich ungebrochenen Reiz dieser Küche aus? Hier bekommt man stets durchdachte Gerichte, die aber niemals anecken oder mit fragwürdigen Ideen zu punkten versuchen. Natürlich greift der Chef ganz gerne auf die besten (und teils recht unbekannte) Produkte aus aller Welt zurück, verleugnet aber gleichzeitig die Vorzüge der Region nicht und baut ganz leichtfüßig heimische Viktualien auf augenzwinkernde Weise mit ein. Der aromatische Facettenreichtum des Dirk Hoberg gerät besonders ansprechend, zumal die meisten Gerichte die allzu ausgetretenen Pfade vermeiden und dennoch mit herausragenden Ergebnissen aufwarten. Bei alledem bleiben die Kompositionen stets geerdet und ziemlich natürlich – eine Parallele zum Naturell des Chefs, der mit seiner bescheiden anmutenden und einnehmenden Art schon viele Gäste auf charmante Weise immer wieder mal durch den Abend geleitete. Dass nun ein derart kraftstrotzendes Hauptgericht wie diesmal offenbar auch schon zum Repertoire des Chefs gehört, beweist für mich, dass die Küche hier inzwischen praktisch jede Art von Produkt in nahezu jeder beliebigen Intensität sicher zu einem gelungenen Teller transformieren kann. Abgerundet wird all dies von einem reizenden optischen Charme, der sich nie aufdrängt und dennoch ganz erheblich zum Gelingen dieser wunderbaren Menüfolge beiträgt.

Ein zwanglos, doch jederzeit aufmerksam agierender Service rundet die Darbietungen des Abends stimmig ab. Für einen kurzen Plausch zwischendrin ist immer mal Zeit – und wie schon erwähnt nimmt sich ja selbst Chef Dirk Hoberg bisweilen eine kurze Auszeit, um den Kontakt mit den Gästen zu suchen. Ich habe durchaus den Eindruck gewonnen, dass ihm an meinem Urteil wirklich etwas liegt und er mich sogar ermutigt, weiter diesem Hobby nachzugehen und davon zu berichten. Zu Befehl!

Zu den preiswerten Vertretern der Hochküche in Deutschland zählt das Ophelia zwar nicht, aber die wirklich makellose Qualität, der wunderbare Service und die stets aufs Neue dargebotene Präzision rechtfertigen den geforderten Preis mit Leichtigkeit. Außerdem offeriert man hier immer noch einige Flaschen von der legendären Brennerei Stählemühle (diesmal genehmigte ich mir Banane!), die unter Liebhabern inzwischen astronomische Preise erzielen, seitdem der Betrieb 2019 eingestellt wurde und die raren Bouteillen gefragter denn je sind.

Unterm Strich gleicht ein Besuch im Ophelia schon fast einem kleinen Gesamtkunstwerk: Küche, Atmosphäre und Service begegnen sich absolut auf Augenhöhe und garantieren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen herausragenden und zugleich beschwingten Abend. Zu meinen Favoriten zählt diese noble Adresse schon längst, zumal das Ende der Fahnenstange möglicherweise noch immer nicht erreicht ist und hier vielleicht doch irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft sogar noch der dritte Stern über dem Lokal aufgehen könnte. Mein Fazit fällt daher unmissverständlich aus: auf keinen Fall versäumen!

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

Ophelia
Seestraße 25
78464 Konstanz
Tel.: 07531/363090
www.restaurant-ophelia.de

Guide Michelin 2022: **
Gault&Millau 2021: 18 Punkte
GUSTO 2022: 10 Pfannen
FEINSCHMECKER 2022: 4,5 F

7-gängiges Menü: € 235

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„Die Kunst ist das mathematische Resultat des emotionellen Strebens nach Schönheit. Wenn ein Kunstwerk nicht durchdacht ist, ist es nichts.“ (Oscar Wilde)

UPDATE (Juni 2021)

Der letzte Besuch im Herbst des vergangenen Jahres ist noch nicht lange her – und doch waren die Konsequenzen des Lockdowns damals nicht spurlos an diesem noblen Lokal vorbeigegangen. Die Menüfolge wurde etwas verknappt und wirkte trotz einer immer noch exzellenten Qualität ein wenig so, als wäre sie mit angezogener Handbremse gestaltet worden – sei es durch Sparmaßnahmen oder durch eine Reduktion der Zahl an Küchenmitarbeitern, weil behördliche Vorgaben der Entwicklung der vollen Leistungsstärke einen Riegel vorgeschoben hatten. Natürlich ist Dirk Hoberg ein hinreichend erfahrener Koch, um auch aus schwierigen Rahmenbedingungen weit mehr herauszuholen als viele andere dies jemals erträumen würden – dennoch hoffte ich bei meiner jüngsten Stippvisite einfach darauf, dass diese unselige Episode den damaligen Umständen geschuldet war und inzwischen keinerlei Einschränkungen mehr zu befürchten waren.

Glücklicherweise lassen die sehr niedrigen Inzidenzwerte im Bodenseekreis uneingeschränkten Genuss zu (sieht man einmal von der Registrierungs- und Maskenpflicht außer am Tisch ab). So wartet man jetzt wieder mit einem opulenten achtgängigen Menü auf, das dem Gast zudem einige Wahlmöglichkeiten überlässt. Aufgrund eines ärgerlichen Umstands habe ich an diesem wunderbar sonnigen Abend leider etwas weniger Zeit als sonst und nehme daher schweren Herzens nur sechs Gänge – für ein aussagekräftiges Urteil wird es schon reichen …

Man geleitet mich zu meinem Tisch auf der Terrasse (das Dach schützt angenehm vor der Sonne), wo ich umgehend als Einstieg einen Ingwer-Kurkuma-Tonic bestelle. Danach wird mir gleich eine besondere Ehre zuteil, denn die ersten vier Amuses bringt mir Grand Chef Dirk Hoberg persönlich und sukzessive an den Tisch – außerdem werde ich namentlich begrüßt. Ob es nun daran liegt, dass ich etwas früher als geplant und als erster Gast des Abends hier eintreffe oder man mich hier inzwischen schon zu den besonderen Gästen zählt, entzieht sich meiner Kenntnis – ich fühle mich jedenfalls geschmeichelt und nehme zur Kenntnis, dass an den anderen Tischen die Amuses zwar auch in guter Tradition vom Chef persönlich überbracht werden, aber dort alle gleichzeitig aufgetischt werden.

Tatar und Carpaccio von Bodenseefelchen wird zum Auftakt mit geräucherter Mousse und Kaviar getoppt – fast schon ein Signature Miniature, das in ähnlicher Form hier häufiger aufgetischt wird, aber jedes Mal aufs Neue gut gelingt und den Bezug zur Region gleich wunderbar herstellt.

Auch der zweite Gruß kommt mir bekannt vor: gebackene Praline vom Duroc-Schwein mit Kataifi-Fäden und asiatischen Aromen überzeugt erneut durch herzhafte Aromatik und eine genau ausgelotete Temperatur.

Der dritte Gruß ist eine warme, aromensatte Quiche mit Saibling (auch als Ceta-Kaviar) und Lauch, die wunderbar ausgewogen daherkommt und sehr gefällt.

Blumenkohl und schwarzer Trüffel in einem Teigkorb ist der einzige Gruß, der mir neuartig erscheint – und mich insgesamt am wenigsten überzeugt, weil die Aromen hier für meine Begriffe am wenigsten harmonieren und das noch nicht ganz zu Ende gedacht wirkt – daraus kann man vielleicht in Zukunft noch mehr machen. Dennoch wird diese klitzekleine und wahrlich marginale Enttäuschung die einzige an einem außergewöhnlichen Abend bleiben.

An diesen Amuses hat sich gegenüber dem letzten Besuch noch recht wenig verändert, aber verständlicherweise genießt die Gestaltung der Menüfolge nach so langer Pause eine höhere Priorität. Außerdem würde man sich an diesem Umstand sicherlich nur dann ernsthaft stören, wenn die Qualität deutlich zu wünschen übrig ließe – was sie selbstverständlich nicht tat.

Der Gruß aus der Küche hängt die Messlatte schon wieder sehr, sehr hoch: geräucherter und kurz abgeflämmter Bodenseeaal bekommt als Begleiter Radieschen, Koriander und Brunnenkresse zur Seite gestellt, während die wunderbare Curry-Dashi diese Petitesse stimmig verbindet. Am Beispiel dieser Eingebung lässt sich wunderbar demonstrieren, was die Küche von Dirk Hoberg seit jeher auszeichnet: tiefe und intensive Aromen, die aber nie knallig wirken sowie eine unerhörte Eleganz bei der Umsetzung und der harmonischen Balance. Nebenbei gesagt ist Aal auch noch ein sehr seltener Gast auf den Tellern – mich erinnert diese Darbietung sofort an so manch unvergessliches Gericht mit diesem Produkt beim Dreisterner Hertog Jan nahe Brügge oder auch im legendären Landgasthof Adler in Rosenberg bei Josef Bauer (beide Lokale sind leider inzwischen geschlossen).

Die Brotauswahl besteht wie immer aus dem exzellenten Sauerteigbrot und der Süßrahmbutter mit dem emblematischen Aufdruck Ophelia.

Nach dem ausgesprochen verheißungsvollen Gruß aus der Küche kann es nun mit dem offiziellen Teil losgehen. Und wie! Was als Jakobsmuschel, Dill, Fenchel, Buttermilch und Kaviar eher unscheinbar klingend angekündigt wird, erweist sich als phänomenal gelungener Einstieg. Eis von Crème fraîche thront auf dem Fenchelsalat, der seinerseits auf einem bunten Arrangement Platz nimmt. Dieses besteht aus Fenchelmousse und Carpaccio der Muschel sowie Tropfen von Dillcrème und Streifen von Spirulina-Alge. Das Fundament dieser Kreation bildet eine Kabeljau-Vinaigrette, die – wie unschwer erkennbar – zudem mit reichlich Kaviar veredelt wurde. Säure und Salzigkeit harmonieren hier perfekt, doch die virtuose Handhabung der unterschiedlichsten Temperaturen und die faszinierende Balance beeindrucken fast noch mehr. Worte können der Genialität dieses Gerichts kaum angemessen huldigen – ich bin in der Tat nahezu sprachlos!

Die Küche macht allerdings genau da weiter, wo sie zuvor aufgehört hatte, denn auch Rote Garnele, Farro, Gurke und Olivenöl wird zu einem grandiosen Erlebnis. Die harmlos anmutende, aber ungeheuer gehaltvolle Hummerbisque im Hintergrund korrespondiert bestens mit dem stimmigen Arrangement von sanft gegarter Garnele (mit herrlichem Biss) samt Gurkenscheiben, dem Schaum von Olivenöl und der „Sülze“ von Farro (geschliffener Dinkel) mit Gurke. Alles in allem ein aufgrund seiner Dichte echtes Aromenwunder, das wie immer wundervoll alle Komponenten miteinander in Einklang bringt.

Auch bei Kreationen mit ausladender Optik bleibt bei Dirk Hoberg immer eine klare kulinarische Aussage erkennbar – so auch bei Seeteufel, Artischocke, Schweinebauch, Tomate und Parmesan. Eine Beurre Blanc von Tomaten bildet einen Halbkreis um zwei Türmchen, von denen das linke auf Basis einer Powerade (Artischocke) und eines Parmesanchips mit cremigen Texturen der Artischocke und einer filigranen Salatgarnitur aufwartet, während das rechte den maritimen Hauptdarsteller auf einer Julienne von Salatgurke sowie mit Brunoise von Tomate und Schweinebauch ins beste Licht rückt – ein heiterer, entzückender und leichterer Gang. Insgesamt fährt die Küche die Intensität bei diesem mediterranen Teller um einen Gang zurück, aber im Hinblick auf die Dramaturgie des Menüs ist dies ein cleverer Schritt.


Einmal drückt das Küchenteam das Gaspedal dann doch fast ganz durch: bei Pfifferlingen, Wirsing, Kalbsbries und -herz zaubert man eine Umami-Bombe auf den Teller. Im Zentrum des Interesses ruht ein Taler aus hocharomatischem Kalbsherz, von Kalbsjus umspielt und mit der Jus (verfeinert mit Wacholder, Haselnüssen und Pfifferlingen) auch noch lackiert. Die klein gestoßenen Haselnüsse und die Pfifferlinge drumherum verleihen diesem Gang eine ähnliche Wucht wie den Kalbsbries-Einfällen von Jan Hartwig (Atelier, München), doch das Röllchen mit Wirsingcrème im Wirsingblatt ist ein entwaffnender Begleiter in diesem erdigen Gang, zumal auch zwei Brioche-Croutons dazu beitragen. Dirk Hoberg bedient sich selten derart kräftiger Aromen, doch dass er sie beherrscht, beweist er hier eindringlich!

Die eingestreute Erfrischung, Zitronensorbet und -granité, kenne ich zwar noch vom letzten Besuch, doch wer würde sich an diesem sommerlich warmen Abend nicht über einen so spritzigen und gelungenen Einschub freuen?!

Auch vermeintlich profaneren Produkten entlockt man hier gekonnt tiefsinnige Aromen: diesmal besteht das Hauptgericht aus Perlhuhn, Erbse, Mandel und Eisenkraut. Der ausgesprochen saftige Hauptdarsteller ist mit Trüffelbutter bestrichen, während ein Tartelette mit allerlei Texturen von Erbsen, einem kleinen Salatbouquet und geräucherten Mandeln einen überzeugenden, grünen Begleiter darstellt. Außerdem gießt der Service noch eine süchtig machende Nussbutter auf. Der Clou ist jedoch die Kärntner Nudel in dem kleinen Schälchen, denn sie ist mit Keulenragout gefüllt und mit gehobeltem Trüffel garniert. Während der große Teller die zu erwartende Eleganz bietet, setzt das Schälchen einen rustikalen Kontrapunkt, der dem Gericht weitere Facetten angedeihen lässt. Abwechslungsreich umgesetzt und einmal mehr alles in Einklang gebracht – stark!

Auf den Käsegang habe ich angesichts der hohen Temperaturen verzichtet, so dass es nach einem kurzen Päuschen ohne Umschweife mit dem Pré-Dessert weitergehen kann. Dieses besteht ganz kompakt lediglich aus rotem Bodenseeapfel in den unterschiedlichsten Konsistenzen: als Eis, Crème, Sablé und Kompott wird aus dem monothematischen Ausgangsprodukt ein verblüffender Einfall von grandiosem Geschmack. Wer sagt denn, dass man grundsätzlich mehrere Komponenten braucht, um etwas Gelungenes daraus zu zaubern?! Obwohl dies kein offizieller Gang ist, stellt dieser vermeintlich schlichte Einschub für mich einen weiteren Beweis für die gereifte Küche Dirk Hobergs dar, denn an einen (noch dazu derart überzeugenden) Beitrag aus nur einem Produkt kann ich mich hier nicht entsinnen. Bravo!

Nach diesem Intermezzo sei die Frage gestattet, ob das offizielle Dessert überhaupt noch eine Schippe drauflegen kann?! Jedenfalls gerät auch Erdbeere, Sauerampfer und Hafer zu einem saisonal inspirierten Ausklang mit Langzeitwirkung am Gaumen. Kein Wunder, denn wieder einmal ist der getätigte Aufwand für größtmöglichen Geschmack enorm: das hochintensive Erdbeer-Carpaccio links wird nur mit leicht säuerlicher Erdbeersauce (die mit Holunder gedopt wurde) begleitet, während rechts Sauerampfereis die Regie übernimmt. Dazu gesellen sich das geröstete Haferblatt, Erdbeer-Ganache, Erdbeereis und etwas Blutampfer – so frisch, mit so punktgenau reifen Erdbeeren und so entzückend mit leichter Säure verfeinert wird auch dies zu einem echten Erlebnis!

Der Besuch hat mich bereits gehörig beeindruckt, doch die Petits fours halten auch an diesem Abend das gezeigte Niveau sehr hoch: Kokos-Eiskonfekt, Salzkaramellpraline, Lakritzwaffel und Zitronentartelette runden den Abend angemessen ab. Da gönne ich mir sogar ausnahmsweise einen Digestif von der inzwischen geschlossenen Obstbrennerei Stählemühle: westindisches Zitronengras hat man auch nicht alle Tage!

Da muss man erstmal durchatmen und sich ungläubig die Augen reiben: was war das für ein Menü! Natürlich wusste ich von vergangenen Besuchen her über Dirk Hobergs außergewöhnliche Fähigkeiten Bescheid, doch könnte man fast meinen, dass es erst dieser unsäglichen Krise bedurfte, damit man hier einmal durchpusten kann und die notwendige Zeit für den letzten Reifeprozess gewinnen kann.

Über weite Strecken war dies zwar ein vergleichsweise „leises“ Menü, aber ein kosmopolitisches, das ein unglaublich langes Glücksgefühl nach sich zog und kaum typischer für den Grand Chef Dirk Hoberg sein könnte: derart sensibel und durchdacht können nur wenig ausgesuchte Meister ihres Fachs einen Abend gestalten und ausfüllen. Was hier in allen Details inzwischen für ein Aufwand getrieben wird, ist phantastisch! Natürlich kann der Grand Chef auch ab und zu mal in aromatischer Hinsicht die Muskeln spielen lassen (wie z.B. beim Bries), aber das hat seine zutiefst ästhetische Küche nur ganz, ganz selten nötig. Bei der immerwährenden Suche nach Harmonie, Balance und makelloser Eleganz bei gleichzeitigem Einsatz von Produkten aus aller Welt ist man hier inzwischen in Bereiche vorgedrungen, die dem dritten Michelin-Stern schon ausgesprochen nahe kommen. Es scheint fast, als hätte man sich hier den jüngsten Hinweis des Gault&Millau zu Herzen genommen, als dieser die häufig zu beobachtende Sparpolitik in Krisenzeiten besonders geißelte und auch im Ophelia leichte Abstriche bei der Qualität auszumachen glaubte. Hier ein wenig beim Personal, da ein wenig bei den Produkten gespart – aus Sicht von Controllern (dem natürlichen Feind des Spitzenkochs) eine rationale Maßnahme, die allerdings der Erlangung weiterer Meriten sicherlich nicht dienlich ist. So bot man hier inzwischen wieder ein achtgängiges Menü an (anstatt sieben wie beim letzten Mahl), das im Preis durchaus angezogen hatte; dieser war aber angesichts der gebotenen Qualität locker zu rechtfertigen, zumal nur wenige Lokale mit einer derartigen Premiumlage direkt an der Seepromenade und einer spektakulären Aussicht vom Balkon des Restaurants aus aufwarten können. Ein lauer Sommerabend sei hier für einen Besuch daher besonders empfohlen!

Offenbar hat Dirk Hoberg in den sieben Monaten Zwangspause nochmals einen spürbaren Reifeprozess durchgemacht und alles auf den Prüfstand gestellt. Das Ergebnis kann sich mehr als sehen lassen: die ungemein fokussierten und bis ins Detail durchdachten Kreationen schlagen geschmacklich voll ein, drängen sich aber niemals auf. Diese Küche der subtilen Nuancen integriert inzwischen fast spielerisch heimische Produkte und beeindruckt nachhaltig mit intelligenten Portionen, die die gewünschte kulinarische Aussage voll unterstützen. Keine Komponente zu viel oder zu wenig befindet sich auf dem Teller, und neben sorgsam ausgeklügelter Aromatik trägt auch die dezente, aber hinreißende Optik nicht wenig zum Gelingen des Gesamtkunstwerks bei. Nicht unerwähnt bleiben soll auch die Tatsache, dass Dirk Hoberg ein absolut nahbarer Koch ist, der sich öfter als viele seiner Kollegen unter den Gästen blicken lässt und für jedwede Form von Anregung absolut offen ist. Ständiges Hinterfragen des bisher Erreichten hat seine sehr sinnliche Küche inzwischen auf ein Niveau gehievt, welches ihm aus meiner Sicht inzwischen klar den dritten Rang in Baden-Württemberg (hinter Schwarzwaldstube und Bareiss) einbringt. Das haben inzwischen natürlich auch viele Schweizer erkannt, die einen signifikanten Anteil unter den Gästen ausmachen.

Der Service versprüht jede Menge Heiterkeit und geleitet ganz leicht durch den Abend. Unter der Leitung von Sommelier Jerom Nicke demonstriert die kleine, aber aufmerksame Brigade, dass sie alles im Griff hat und jederzeit mit Rat und Tat zur Verfügung steht. Außerdem übernimmt neben Dirk Hoberg auch Souschef Fabian Obergfell hin und wieder die Rolle einer Servicekraft und erläutert die Speisen am Platz natürlich nicht nur kompetent, sondern auch hochauthentisch. Die Weinauswahl kann sich ebenfalls absolut sehen lassen, ist allerdings recht hoch bepreist – ein Erlebnis wie dieses darf man sich aber schon mal etwas kosten lassen!

Der Gesamteindruck überragt die bisherigen, ohnehin schon ausgezeichneten Besuche nochmals um ein gutes Stück. Speziell die Harmonie der Menüfolge, die konstant auf überaus hohem Niveau durchhielt und dennoch einzelne Highlights zu bieten hatte, verblüffte mich mit zunehmender Dauer immer mehr. Wer auf ein schwächeres Gericht wartete, der wurde an diesem Abend ganz klar enttäuscht! So gereifte, so geistig durchdrungene und so akribisch umgesetzte Teller wie diesmal habe ich hier bisher noch nicht erleben dürfen. Insofern freut es mich umso mehr, verkünden zu dürfen, dass meine Prognose vom letzten Mal eingetreten ist und ich absolut reinen Gewissens die zweithöchste Note zücken darf. Ein weiterer Aufstieg auf meiner Liste mit den „All-time Top 25“ stellt da nur eine logische Konsequenz dar. Obwohl das Ophelia inzwischen zu den hochpreisigsten Zweisternern der Republik gehört, ist jeder Cent hier bestens investiert. Ich hoffe, dass meine Begeisterung zwischen diesen Zeilen förmlich vibriert und sich auch auf den geneigten Leser überträgt. Ich kann den nächsten Besuch jedenfalls kaum erwarten!

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

Ophelia
Seestraße 25
78464 Konstanz
Tel.: 07531/363090
www.restaurant-ophelia.de

Guide Michelin 2021: **
Gault&Millau 2021: 18 Punkte
GUSTO 2021: 10 Pfannen
FEINSCHMECKER 2021: 4,5 F

8-gängiges Menü: € 240

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„Eleganz ist ungezwungen, Geste einer gehobenen Seele.“ (Sully Prudhomme)

UPDATE (Dezember 2020)

Obwohl am Bodensee inzwischen kein Mangel an beachtlichen Restaurants herrscht, nimmt das Ophelia in Konstanz nach wie vor die klare Pole Position ein. Das ist vor allem das Verdienst von Chefkoch Dirk Hoberg, der hier unaufgeregt und ohne großes PR-Getöse unablässig an seinen Fähigkeiten feilt. Das brachte ihm bsiher zwei Michelin-Sterne und 18 Punkte im Gault&Millau ein, doch am Ende des Weges scheint der ambitonierte Koch noch lange nicht angekommen. Warum auch? Die Rahmenbedingungen, die ihm das mondäne Hotel RIVA bietet, scheinen sowohl finanziell und auch räumlich absolut zu passen, zumal aktuell Renovierungsarbeiten geplant sind (die aktuelle Pandemie ist nicht der schlechteste Zeitpunkt dafür) und das Lokal noch weiter aufgewertet werden soll.

Das überwiegend in Anthrazit-Tönen gehaltene Restaurant bietet die würdige Bühne für des Chefs elaborierte Kreationen, die trotz einer gewissen Komplexität und liebevoller Details sehr leicht fassbar bleiben. Dirk Hoberg selbst ist ebenfalls sehr nahbar, denn mindestens einmal pro Abend zeigt er sich als Gastgeber am Tisch (meistens schon bei den Amuses), erläutert die Speisen und die Philosophie des Hauses ausführlich. Wer sich so etwas erlauben kann, der braucht zum einen das notwendige Format dafür (etwas, das ich längst nicht jedem Chef attestieren würde) sowie blindes Vertrauen auf sein Team in der Küche, das während seiner Stippvisiten im Gastraum ganz genau weiß, was zu tun ist. Beide Voraussetzungen dafür scheinen hier jedoch absolut gegeben zu sein, so dass einem gehobenen Abend nichts im Wege stehen sollte.

Ein kleiner, feiner Reigen an Amuses eröffnet den Abend: auf dem Löffel eine Kreation aus Reichenauer Gartengurke und Bodenseeaal, dann auf der Petrischale ein lauwarmes und genau abgeschmecktes Mürbteigtartelette mit Saibling, Lauch und Ceta-Kaviar sowie auf der Glasschale ein Brotchip mit Blumenkohlfüllung und einer Ummantelung von Kretzer (Flussbarsch). Ganz rechts findet sich schließlich noch herzhaftes Rindertatar, ummantelt von frittierten Kataifi-Fäden. Insgesamt geriet dieser Einstieg vielleicht nicht ganz so raffiniert wie manch früherer Einfall, aber dank der Klarheit in der Präsentation und der edlen Aromatik aller vier Beiträge vermochte auch dieses Entrée wieder voll zu überzeugen.

Eine kleine, den aktuellen Zuständen geschuldete Veränderung erleben wir insofern zu Beginn als die siebengängige Menüfolge zu € 205 diesmal nur an zwei Stellen nicht fest vorgegeben ist, während in normalen Zeiten ein Menü aus ca. 10 bis 12 Gängen individuell zusammengestellt werden konnte. Nicht weiter schlimm, denn natürlich kann man der Küche hier blind vertrauen, zumal ich mich nicht erinnern kann, hier jemals ein wirklich schwaches Gericht gegessen zu haben (und das sollte auch diesmal nicht der Fall sein).

Zum Amuses Gueule variiert Dirk Hoberg Felchen als Mousse, Tatar und in geräucherter Form. Dazu stellt er ihm eingelegten Kürbis und Apfel sowie Kürbis-Eis zur Seite – mit dem Ergebnis, dass eine hervorragende Komposition entsteht, die ihren Reiz aus den komplexen Temperaturen und der grandiosen Vielfalt auf kleinstem Raum bezieht. Stark! Die Brotauswahl fällt mit Sauerteigbrot und Butter spartanisch aus, überzeugt aber mit gehobener Qualität.

Auch zum wunderbaren Auftakt hält die Küche das Gaspedal nahezu ganz durchgedrückt: die bildhübsche Komposition, die bescheiden als Lachs, Passepierre-Algen, Kaviar und Auster annonciert wird, entpuppt sich als aromensatte und äußerst durchdachte Konstellation. Mit einer Kaviar-Nocke getoppt, gebeizte Lachs thront inmitten eines Arrangements von Auster, Blättern und Blüten sowie einer Austern-Vinaigrette, die dem Hauptteller einen mineralisch-jodigen Charakter verleiht. Den fluffigen Kontrapunkt setzt der leicht herbe Austernschaum mit Crème fraîche, Passepierre-Algen und Texturen von Rettich. Die virtuose Inszenierung dieses bis ins letzte Detail perfekten Gangs hätte es fast in meine Menüfolge des Jahres geschafft. Exzellent!

Leisere Töne schlägt Dirk Hobergs Team nun bei Zander, Artischocke, Edamame-Bohnen und Kerbel an. Der sanft gegarte, lauwarme Fisch punktet mit leichtem Biss und stellt seine Qualitäten, umgeben von keineswegs sauer eingelegten Artischocken und einer intensiv vegetabilen Kerbelsauce, bestens zur Schau. Die schon fast als cremig zu bezeichnenden Edamame-Bohnen runden das erneut gelungene Gericht würdig ab.

Dass es dem Ophelia-Team immer wieder ausgezeichnet gelingt, selbst so rustikalen Produkten wie Schweinebauch eine bemerkenswerte Eleganz angedeihen zu lassen, lässt sich schön am nächsten Gang demonstrieren. Das mit Spinatcreme und Pfifferlingen gefüllte Mürbteigtörtchen am Rand ist weit mehr als eine harmlose Dekoration: die aromensatte Petitesse harmoniert prächtig mit dem Hauptdarsteller, der die Krone eines kunstvoll konstruierten Türmchens aus gebratenem Seeteufel (von makelloser Konsistenz), Spinat und zweierlei Zwiebeln bildet. Trotz eines alles abrundenden Kassler-Suds gerät dieser Gang nur leicht deftig, minimal salzig und vor allem aristokratischer als die Beschreibung es jemals hätte erahnen lassen.

Gut versteckt unter einem frittierten Wirsing-Blatt, in welchem sich zudem etwas Brunoise desselben Gemüses und Kartoffelcrème befindet, liegt im nächsten Gang mageres Kalbsherz sowie gebratenes und lackiertes Kalbsbries. Eine Kalbskopfvinaigrette schließlich verbindet das intensive und hocharomatische Gericht auf harmonische Weise, doch die vielseitige Verwendung des Kalbs bei gleichzeitiger Ökonomie auf dem Teller beeindruckt fast noch mehr.

Nach solcher Umami-Wacht erweist sich das eiskalte und angenehm säuerliche Zitronen-Sorbet samt Granité in origineller Inszenierung vor dem Hauptgang als willkommene Erfrischung.

Beim Hauptgang überzeugen sowohl das festfleischige Lamm, das auf Lammzunge ruht, und die Sphäre von Balsamico-Linsen in der Kugel auf Karottencrème. Der Couscous vorne rechts in der gelierten Hülle dagegen wartet für meine Begriffe mit suboptimaler Konsistenz auf und ist auch seltsam gewürzt. Das vergleichsweise simple Gericht hätte durch die Unterschlagung des Couscous allerdings eher an Format gewonnen, so dass unterm Strich das schwächste Gericht des Abends steht, wenngleich es immer noch durchschnittliches Sterneniveau zu bieten hatte.

Die Käsepräsentation gehört hier dagegen seit vielen Jahren zu den Highlights und erlangt auch diesmal wieder ein Format, bei dem schon solche Legenden wie das Bareiss in Baiersbronn zum Vergleich herangezogen werden müssen, wenn man noch besser abschneiden möchte: zweierlei Chutneys, Trauben, Nüsse und Brot gehören im Ophelia zur gehobenen Ausstattung, die heutzutage leider sehr selten geworden ist.

Ein exotisches Pré-Dessert von außergewöhnlicher Klasse streut die Küche sodann ein: edles Kokoseis balanciert auf Crumble von weißer Schokolade, während die umgebenden Tropfen von cremiger Passionsfrucht und Mango raffinierte säuerliche Akzente setzen. Bemerkenswert gut!

Komplex bleibt es beim Dessert, das eine Art modernes Baba au Rhum darstellt: der Hauptdarsteller wird umspielt von Vanille-Eis (formidabel), Mascarpone und recht herben Zwetschgen-Texturen. Das führt in Summe zu einer diffizilen, aber nie aufdringlichen Süße von angenehmem Nachhall am Gaumen. Ein würdiger Abschluss, der das bisher gezeigte Niveau erneut bestätigte.

Den Abschluss bilden vier akkurat umgesetzte Ausklänge: ein Zitronentartelette, eine in schwarzen Farben gehaltene Salzkaramellpraline, ein Himbeerberliner sowie ein federleichtes Tiramisu. Was unspektakulär klingt, entpuppt sich in Wahrheit als herausragender Ausklang, der mit Sicherheit zu den besten fünf des Jahres gezählt werden muss. Chapeau!

Der hier gepflegte Küchenstil basiert weitgehend auf klassisch französischen Tugenden, bleibt aber stets zeitgemäß interpretiert und weist durch die häufige Verwendung von regionalen Produkten zudem ein klar erkennbares Profil auf. Die federnd leichte Eleganz der Kompositionen sowie die große Vielseitigkeit der Küche, die scheinbar bei allen verschiedenen Viktualien praktisch dasselbe Niveau abrufen kann, würde ich jedenfalls als die herausragendsten Merkmale bezeichnen. Neben allerfrischesten Produkten fällt zudem eine gewisse Vorliebe für farbenfrohe Optik auf, die allerdings zweckdienlich bleibt und sich nicht aufdrängt. Selbiges kann auch vom Service behauptet werden, der einen charmanten und durchweg untadeligen Job erledigt. Der Gast fühlt sich hier jederzeit gut angenommen, wird nie bevormundet und genau dort abgeholt, wo er gerade steht – sei es ein Anfänger oder ein erfahrener Gourmet. Lediglich die spürbaren Nebenkosten (vor allem beim Wein) sollen hier nicht unerwähnt bleiben, da sonst eine leicht unangenehme Überraschung bei der Rechnung drohen könnte. Andererseits sei auch hervorgehoben, dass die ehemalige (und fast schon als legendär zu bezeichnende) Brennerei Stählemühle nicht weit von hier entfernt ist und somit hier ein noch größeres Angebot an Obstbränden als sonstwo verfügbar ist.

Es kann keinen Zweifel geben, dass Dirk Hoberg das Potential für höchste Weihen gegeben ist. Der GUSTO vergibt bereits zehn Pfannen, und selbst wenn andere Guides in den letzten Jahren einigermaßen stabil an ihren Wertungen hier festgehalten haben, so scheint es mir nur eine Frage der Zeit, bis das Ophelia in den kleinen elitären Kreis des besten Dutzend an Restaurants in der Bundesrepublik dazustoßen wird. Die leidige Corona-Pandemie ist wohl kaum die am besten geeignete Zeit, um große Fortschritte zu machen, denn viele andere Lokale sind schon froh, wenn sie keine Abstriche machen oder Rückschritte verkraften müssen. Das gezeigte Niveau der Vorjahre konnte man hier jedenfalls scheinbar mühelos halten, so dass die mittelfristigen Voraussetzungen für den kulinarischen Olymp sicherlich weiterhin gegeben sind.

Dass dieser Küche die Ideen nicht ausgehen und dabei trotzdem das Profil, das sie seit jeher ausgezeichnet hat, dabei noch weiter geschärft werden konnte, macht einen Besuch hier für mich immer wieder lohnenswert – ob nun mit zwei oder drei Sternen. Dieser Besuch kratzte jedenfalls schon deutlich an der 19-Punkte-Marke, die bei meinem nächsten Besuch sicherlich geknackt werden wird.

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Ophelia
Seestraße 25
78464 Konstanz
Tel.: 07531/363090
www.restaurant-ophelia.de

Guide Michelin 2020: **
Gault&Millau 2020: 18 Punkte
GUSTO 2020: 10 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 4,5 F

7-gängiges Menü: € 205

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November 2017

Malerisch liegen das Hotel RIVA und die Jugendstilvilla, die das Restaurant Ophelia beherbergt, direkt am Ufer des Bodensees. Hier feilt Dirk Hoberg, Küchenchef des mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants, unermüdlich an seinen Fähigkeiten und führt das Lokal, das ohnehin das beste rund um den Bodensee ist, konsequent weiter nach oben.

Das Lokal wirkt trotz seiner anthrazit-farbenen Wände und den aubergin-farbenen Stühlen erstaunlich licht und ist speziell im Sommer eine außergewöhnliche Location, die zudem mit einer eigenen Terrasse aufwartet. An den Wänden prangen Fotos von Pflanzen und Skulpturen, während die Tische mit einem kleinen Blumenschmuck und einer Kerze mit Petroleumreservoir verziert sind. Die Atmosphäre kommt bei den Gästen scheinbar gut an, denn an einem Sonntagabend nahezu alle Tische vollzubekommen ist keine Selbstverständlichkeit. Eher nachvollziehbar erscheint dagegen, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Gäste aus der nahen Schweiz anreist.

Zu einem originellen Kalamansi-Früchtecocktail serviert Dirk Hoberg höchstpersönlich die ersten Grüße aus der Küche: eine kleine Kreation von Aal und Apfel vom Bodensee, ein kleines Türmchen aus Saibling und Sellerie, eine Praline vom Barsch mit Kaper, Estragon und Eiweiß, ein Cornetto aus Kalbstatar und Artischocke sowie einen kleinen Maronensalat mit Spitzkohl und Speckwürfeln vom Wildschwein. Bereits hier wird ein großer Aufwand praktiziert: das kulinarische Ergebnis ist sehr beeindruckend, von bemerkenswerter Leichtigkeit und vielseitig. Die Ouverture ist schon einmal gelungen!

Als Amuse serviert man Bodensee-Felchen in roh marinierter Form mit Feldsalat – sehr gut, aber ungleich aufregender ist das à part gereichte Glas mit Mousse und Schaum vom selben Fisch. Bereits hier deutet sich an, was den Küchenstil von Hoberg auszeichnet: federleichte Gerichte, farbige Optik in der Präsentation sowie immer wieder vegetabile oder florale Begleiter. Im Gegensatz zur Küche eines Nils Henkel etwa bleibt aber das verwendete Edelprodukt meist im Zentrum des Interesses. Die Brotauswahl dagegen offeriert ein Sauerteigbrot mit gesalzener Butter – im Prinzip kaum mehr als die übliche Pflicht, über die man hier nicht viele Worte verlieren muss. Vielseitiger gerät da schon die Menükarte: aus knapp 20 Gerichten kann man ein bis zu sechsgängiges Menü selbst zusammenstellen.

Starten wir also ohne Umschweife ins Menü: Jakobsmuschel, Schwarzwurzel und Trüffel. Die roh marinierte Muschel wird zusammen mit dem Périgord als eine Art Carpaccio präsentiert, während daneben ein schmaler Streifen von Schwarzwurzel floral umspielt und von einer Trüffelvinaigrette begleitet wird. Das ist alles sehr schön anzusehen, und doch beeindruckt mich die komprimierte Aromendichte der lauwarmen, gebackenen Praline von Jakobsmuschel, die mit einer Panade aus Totentrompeten ummantelt ist, noch erheblich mehr.

Die rote Garnele mit Avocado und Curry gerät ziemlich puristisch. Das Fleisch des Garnelenschwanzes schwimmt in einem leicht Curry-Sud mit wunderbar austarierter Schärfe. Einen angenehmen, fruchtig-säuerlichen Kontrast liefert dazu die Avocado, die sich in allen nur denkbaren Texturen an die Garnele anschmiegt. Hochelegant und trefflich gelungen!

Steinbutt, Rote Bete und Meerrettich ist keine Konstellation, die sich erst noch bewähren müsste. Also gleicht man dieses kleine Manko mit herzhafter Würze und untadeligem Handwerk wieder aus. Das vergleichsweise puristische Gericht muss wohl als Wandeln auf ausgetretenen Pfaden interpretiert werden, überzeugt aber trotzdem mit auf den Punkt gebrachtem Geschmack.

Bereits vor der letzten Vorspeise tischt man nun Allerlei von der Zitrone in der Zitrone auf: in einem Bett aus Eiswürfeln ruht eine halbe Zitronenschale mit Zitronen-Sorbet, Granité und Zesten. Dezente Ingwernoten verhindern eine etwaige Eindimensionalität und machen diesen Entre’acte zu einer gelungenen Überraschung.

Kalbsherz, Alba-Trüffel und Zucchini überzeugt mich leider nicht vollständig, weil sich das Aroma des (aus verständlichen Gründen) sparsam verwendeten „weißen Golds“ sich im Umfeld mit der zu dominanten Zucchini nicht entfalten kann. Der nussig-erdige Schaum kooperiert hingegen gut mit dem Trüffel, so dass hier vielleicht ein Nachdenken über einen dezenteren Kompagnon Sinn machen würde – schade um diese verschenkte Gelegenheit.

Taube, Kürbis und Pflaume ist ein wunderbar herbstliches Gericht: in drei Varianten (lackierte Brust, Schlegel vom Bein und Herz) wird der Vogel vom sehr präsenten Kürbis (vor allem die Crème) meisterhaft begleitet. Die Pflaume setzt sparsame süßliche Akzente, während das kleingeschnittene Herz durch die mutige Würze erstaunlich salzige Aromen beisteuert. Das komplexe Changieren der Aromen in diesem Gericht ist ungewöhnlich, aber durchaus so gewollt und verfehlt seine Wirkung nicht.

Das Pré-Dessert besteht aus Kiwi-Sorbet und – Sponge sowie einer leicht süßlichen Crème. Das eigentliche Dessert – Zitrone, Grapefruit, Blutorange und weiße Schokolade – wirkt sogar noch sommerlicher. Mittelpunkt der Kreation ist eine Halbkugel aus Buttermilcheis, die von einer dünnen Zitronen-Schicht umhüllt ist. Als eigentliche Überraschung findet sich am Grunde dieser Halbkugel klein gewürfelte Grapefruit, die eine gar zu aufdringliche Süße erst gar nicht entstehen lässt. Separat in einem Gläschen gibt es noch Zitroneneis mit Blutorangenschaum obenauf – das Resultat kann sich schmecken lassen, nur zur Jahreszeit passt es irgendwie nicht wirklich.

Die Ausklänge schließlich bestehen aus einem neu interpretierten „Lumumba“, bei dem man mir zuliebe den Rum wegließ. Die Aromen-Intensität der Schokolade gab es so im kompletten Menü kein zweites Mal! Außerdem reicht man einen Limetten-Marshmallow, eine Praline von Mandeln und Zimt (ja, ist denn heut‘ schon Weihnachten?), eine weitere Praline von weißer Schokolade sowie ein winziges Törtchen aus Birne mit Schokolade ummantelt – ein würdiger Abschluss.

Der Servicebrigade sei ein weitaus überdurchschnittliches Zeugnis ausgestellt: bei aller Professionalität wirkt ihre Präsenz stets natürlich und sachdienlich. Der Gast wird regelmäßig beim Namen angesprochen und umsorgt, ohne dabei penetrant zu wirken. Küchenchef Dirk Hoberg zeigt sich nicht nur zu Beginn am Tisch, sondern auch am Ende der Menüfolge und nimmt sich Zeit für einen kleinen Plausch. Wenn zu viele Gäste gleichzeitig die Einstimmungen bekommen, übernimmt eine weitere Gehilfin aus der Küche diesen Part und tritt dabei so sicher auf als ob sie selbst die Chefin wäre. Sommelier Werner Hinze vermittelt sein Wissen kompetent und charmant, auch wenn er an meinem Tisch natürlich nicht viel zu tun hat (die Tonics von Thomas Henry – Cherry Blossom und Elderflower – schenkt folgerichtig eine andere Servicekraft ein). Herr Hinze gebietet übrigens nicht nur über einen großen Weinkeller, sondern auch über eine exorbitante Sammlung an Obstbränden aus der ehemaligen Brennerei Stählemühle im nahegelegenen Stockach, deren Betreiber Christoph Keller ein langjähriger Freund des Sommeliers ist.

Alles bestens also? Fast – wären da nicht die Kosten. Dieser nahezu uneingeschränkt gelungene Abend belastet das Portemonnaie leider ganz erheblich: schon der Menüpreis von € 170 für sechs Gänge ist trotz aller Häppchen zwischendurch ziemlich happig. Die Nebenkosten sind leider noch aggressiver kalkuliert: schon die Flasche Wasser schlägt mit 12 Euro zu Buche, und auch beim Vergleich sonstiger typischer Nebenkosten schneidet dieses Etablissement leider nicht sonderlich gut ab. Kleines Beispiel: 4 cl Hennessy Paradis kosten im Drei-Sterne-Restaurant Bareiss weniger als hier 2 cl …

Dirk Hobergs Küche ruht in sich selbst und wirkt oft völlig unangestrengt. Ihre einfache Zugänglichkeit und Leichtigkeit lassen erahnen, warum so viele auf diesen Küchenstil anspringen. Gleichzeitig sehe ich aber hier am ehesten auch die Punkte, die es anzupacken gilt, wenn eines Tages der dritte Stern noch her soll: zum einen ist die Aromentiefe der Gerichte bislang keineswegs ausgereizt, und zum anderen würden schärfere Kontraste in der Menüfolge hier und da doch spürbar guttun. Andererseits mag der Menüfolge ein echter Knaller gefehlt haben, doch ist ihre Homogenität und ihr konstant hohes Niveau natürlich auch nicht von der Hand zu weisen. Mit anderen Worten: die zwei Sterne sind zweifelsohne berechtigt. Die 17 Punkte im Gault&Millau könnten eventuell eine Aufwertung vertragen, während mir die 4,5 F des Feinschmeckers dann doch noch ein wenig optimistisch vorkommen. Zu welchem Urteil man auch immer gelangen mag: es lohnt sich mit Sicherheit, die Entwicklung dieses noch jungen und sehr sympathischen Chefs weiter zu verfolgen.

Update (27.11.2017): der Gault&Millau 2018 hat Dirk Hoberg zum Aufsteiger des Jahres gekürt – ein weiterer Beleg für die kometenhafte Entwicklung des Kochs. Außerdem damit verbunden: eine Aufwertung auf 18 Punkte. Herzlichen Glückwunsch!