Palio, Celle

„Toren besuchen im fremden Land die Museen, Weise gehen in die Tavernen.“
(Erhart Kästner)

Oktober 2020

Gemessen an seiner Größe und seiner Einwohnerzahl von acht Millionen Menschen ist Niedersachsen ein Bundesland, das erstaunlich wenige herausragende Restaurants zu bieten hat; beachtliche Adressen liegen somit teils in recht großen Entfernungen zueinander. Manche Gebiete wie Ostfriesland oder das Emsland sind sogar völlige kulinarische Diaspora, so dass Urlaubsreisen in diese durchaus sehenswerten Regionen zumindest das Portemonnaie des geneigten Gourmets schonen.

Rund um die Lüneburger Heide sieht es zum Glück etwas besser aus, doch auch in dieser Region sind die namhaften Adressen praktisch an einer Hand aufzuzählen. Die unbedingt sehenswerte Fachwerkstadt Celle kann jedenfalls mit dem Fürstenhof ein Hotel vorweisen, das zur renommierten Althoff-Gruppe gehört und sicherlich zu den besten in Norddeutschland gezählt werden muss. Hier befand sich jahrelang das Sternerestaurant Endtenfang [sic], das allerdings vor wenigen Jahren geschlossen wurde. Seither ist das neue Aushängeschild des Hotels das Palio, das allerdings noch auf den ersten Michelin–Stern warten muss. 16 Punkte im G&M sind allerdings auch keine schlechte Referenz, so dass wir beschließen, dem mutmaßlich besten italienisch angehauchten Lokal von Norddeutschland einen Besuch abzustatten. Wir können dabei von Glück sagen, dass wir trotz völlig spontaner Anfrage vor Ort noch einen Tisch zugewiesen bekommen und hoffen auf einen gelungenen Abend, denn ein Besuch in einer gehobenen italienischen Taverne in der südlichen Lüneburger Heide klingt für uns zunächst so plausibel wie eine Wattwanderung in den Alpen.

Man geleitet uns in eine typisch mediterran gestaltete Taverne an unseren Tisch und fragt sogleich nach einem Apéritif. Wir entscheiden uns für einen Monin Orange und stellen danach eine individuelle Menüfolge à la carte mit drei Gängen zusammen. Die Speisekarte punktet eher mit Qualität als Quantität, denn ihr Umfang ist eher gering – dafür stehen im Gegenzug recht hochwertige Produkte und Kreationen auf der Karte, die fair bepreist erscheinen und unseren Appetit zusätzlich anregen.

Vor dem Beginn des Menüs tischt man eine toskanische Gemüsesuppe auf, die trotz der dominanten Tomaten auffallend facettenreich im Geschmack gerät und genau richtig temperiert ist – Chefkoch und Mittvierziger Holger Lutz scheint ein gutes Gespür für intensive und doch nicht aufdringliche Aromen zu haben – ein gelungener und bescheiden daherkommender Beginn.

Außerdem gesellt sich eine Brotauswahl hinzu, die durch Oliven und eine getrüffelte Kapernmayonnaise noch erheblich an Kontur gewinnt. Wir halten fest, dass die ersten Eindrücke gemessen an der Bewertung im G&M absolut passen und dass dieser windige sowie nasskalte Abend trotz allem noch angenehm ausklingen kann.

Ein ganz großer Wurf ist die Vorspeise, deren Lektüre noch nicht unbedingt erahnen lässt, welch kleines Kunstwerk die Küche aus den vermeintlich simplen Viktualien eines Panzanella (toskanischer Tomaten-Brotsalat) kreieren wird. Die generösen und schön knackigen roten Garnelen sind natürlich die Krönung des Gerichts, doch die absolut meisterhafte und genau abgeschmeckte Marinade des Salats mit Balsamico, Olivenöl, Basilikum, Pfeffer und einer Vielzahl an weiteren Gewürzen verblüfft mindestens im gleichen Maße. Außerdem wertet die Küche das Gericht mit kross frittiertem Parmesan auf und rundet auf diese Weise ein Gericht ab, das trotz (oder gerade wegen?) des Fehlens von originellen Texturen eine denkwürdige Wirkung erzielt und lange am Gaumen nachhallt. Dass dieses im Grunde genommen volkstümliche Gericht so gelungen und gleichzeitig bodenständig inszeniert werden kann, überrascht mich dann doch sehr.

Ravioli alla Palio bedeutet handgemachte Kalbsfleischravioli mit Salbeibutter, Spinat und Parmesan. Das recht herb interpretierte Gericht überzeugt durch solides Handwerk und kommt ohne Chichi aus, doch die Bekömmlichkeit dieses Gerichts, das doch in einer ordentlichen Portionsgröße auf den Teller gelangt und möglichst nicht nach zwei Bissen bereits durchschaut sein sollte, verhindert jedweden Anflug von Langeweile. Dies ist unbeschwerter, mediterraner Genuss ohne Reue und Völlegefühl – ein Musterbeispiel an Fokussierung auf das Wesentliche.

Törtchen von Amedei-Schokolade mit Herzkirschen und Basilikum-Eis rundet unser kurzes Abendmenü schließlich ab. Die farbenfrohe Inszenierung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser recht vorsehbare Gang der insgesamt schwächste an diesem Abend bleibt – dass man auch hier offenbar der derzeit grassierenden Mode verfällt, in ein Dessert unbedingt Basilikum in welcher Form auch immer einfließen zu lassen, passt da irgendwie auch ins Bild. Und dennoch: weiß Gott kein schlechtes Dessert, sondern eben eines, das mit dem bisher gezeigten Niveau nicht ganz mithalten konnte: zu viel dominante Süße und etwas zu wenig Kontur lauten die Kritikpunkte, bei denen ich Verbesserungspotential gesehen hätte.

Wir wollen aber auch nicht wirklich meckern, denn für ca. 40 Euro bekommt man hier ja schon ein ansprechendes Drei-Gang-Menü, bei dem leichte Qualitätsschwankungen absolut vertretbar sind. Die Petits fours fielen der Preisschere dann doch zum Opfer – was wir aber nicht als weiter tragisch empfinden, denn auch so wurde unsere Erwartungshaltung sicher bestätigt.

Der Service macht einen tadellosen, vielleicht etwas unauffälligen Job. Dennoch fühlen wir uns jederzeit wohl und kommen beim Anblick der anderen Gäste zu dem Schluss, dass wir damit offenbar nicht allein sind. Die Weinkarte hat für Vinophile jedenfalls einiges zu bieten und sollte einen weiteren Anreiz darstellen, hier irgendwann mal einzukehren.

Insbesondere die Vorspeise rechtfertigte den Besuch hier allemal, zumal italienisch angehauchte Sterne-Restaurants in Deutschland nach wie vor recht rar sind. Besagter Stern fehlt hier zwar noch, aber nach dieser Leistung zu beurteilen sollte er jedenfalls nicht außer Reichweite liegen. Holger Lutz scheint trotz der grundlegend neuen Ausrichtung im Anschluss an die Schließung des Endtenfang seinen Laden gut im Griff zu haben und kann offenbar auf ein verlässliches Team bauen, das grundsolide Gerichte spielend leicht auf gehobenem Niveau interpretiert und so fleißig Gäste anlockt. Mein Gefühl sagt mir, dass hier bald demnächst noch mehr gehen könnte, weshalb ich bei der Note noch etwas verhalten urteile – zumal die Aussagekraft von drei Gängen natürlich überschaubar bleibt. So oder so dürften die wenigsten Gäste den Besuch bei Norddeutschlands mutmaßlich bestem Italiener bisher bereut haben. Wir haben es jedenfalls nicht!

Mein Gesamturteil: 15 von 20 Punkten

 

Palio
Hannoversche Straße 55-56
29221 Celle
Tel.: 05141/2010
www.althoffcollection.de

Guide Michelin 2020: –
Gault&Millau 2020: 16 Punkte
GUSTO 2020: 7 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 2 F

3-gängiges Menü (individuelle Zusammenstellung): ca. € 40