„Die Franken sind die Sanguiniker unter den Deutschen.“ (Theodor Heuss)
UPDATE (März 2024)
Bei dem englischen Wort „scout“ denken die meisten Menschen in erster Linie vermutlich an einen Pfadfinder oder einen Talentsichter im Profifussball. Im kulinarischen Sektor ist dieses Berufsbild hingegen noch so stark unterrepräsentiert, dass das im oberfränkischen Wirsberg gelegene Restaurant Aura der meines Wissens bundesweit einzige Zweisterner ist, der sich einen solchen Angestellten leistet. Die Hauptaufgabe von Joshi Osswald, selbst ein gelernter Koch, besteht darin, ein immer weiter expandierendes Netzwerk von rein fränkischen Lieferanten und Produzenten aufzubauen, die das Lokal mit den spannendsten, interessantesten und besten Viktualien der Region versorgen. Die Weiterverarbeitung des Rohmaterials in Kooperation mit Chefkoch Tobias Bätz und dem allseits bekannten Patron Alexander Herrmann gehört dabei ebenso zum Anforderungsprofil. So werden in dem hauseigenen Foodlabor namens Anima die unterschiedlichsten Methoden angewandt, um die Produkte zu veredeln und ihnen dabei ihre fränkische Seele zu entlocken – die Spanne reicht davon von bewährten einheimischen wie ausländischen Methoden wie Einlegen und Räuchern über die modernere Koji-Fermentation bis hin zum avantgardistischen Rotationsverdampfer, den man eher in einem Chemielabor als in einer Restaurantküche vermuten würde. Unterm Strich muss der Gast damit rechnen, eine herzhaft-rustikal anmutende, fränkisch geprägte Hochküche kennenzulernen, die in ihrer Direktheit durchaus forsch und ziemlich progressiv wirkt – selbst die Weinbegleitung zum Menü beschränkt sich ausschließlich auf fränkische Erzeugnisse. Wer also nichtsahnend hier einkehrt und womöglich aufgrund der Fachwerkfassade der ehemaligen Poststation von 1869 einen biederen Landgasthof erwartet, der wird schnell eines Besseren belehrt.
Alexander Herrmann, den wir beim ersten Besuch vor fünf Jahren ebenfalls nicht antrafen, ist auch an diesem Abend nicht anwesend – zumal man ehrlicherweise zugeben muss, dass die statistische Wahrscheinlichkeit dafür auch nicht allzu hoch ist. Viel zu umtriebig gebärdet sich der Patron des Hauses inzwischen, als dass er es sich noch ernsthaft erlauben könnte, die Leitung des Lokals zu überblicken – weshalb de facto seit mehreren Jahren sein Protégé Tobias Bätz das Sagen hat und sich dessen Zusammenarbeit mit Alexander Herrmann vor allem auf den forschenden Bereich bezieht. Der Patron selbst ist meist auf zahllosen Events oder in TV-Shows unterwegs, von denen etliche im Hotel ausgestellte lebensgroße Poster und sonstige Devotionalien zeugen – in einem Maße, das bereits scharf an der Grenze zur penetranten Selbstinszenierung wandelt. Dennoch ist klar, dass ein stattlicher Teil der bunt gemischten Gästeschar nicht zuletzt wegen des Renommés von Alexander Herrmann einkehrt: das oberfränkische Wirsberg, gute 20 Kilometer nördlich von Bayreuth, ist ein verschlafenes Marktfleckchen mit nicht einmal 2.000 Einwohnern, dem ansonsten wohl keine größere Aufmerksamkeit zuteil würde.
Der synchron getaktete Abend beginnt praktisch für alle Gäste um 18 Uhr, so dass sich im Hinblick auf einige zu früh gekommene Gäste, denen man ohne ersichtlichen Grund den vorzeitigen Einlass verwehrt, rasch eine kleine Menschentraube an dem engen Eingang bildet. Während des Wartens dringen Rufe des Chefs aus der Küche, die von den Mitarbeitern im Stile der „Call-and-Response“-Technik aus afro-amerikanischen Genres beantwortet werden. Sie sollen offenbar nochmals motivierend wirken – während mir vergleichbare Rituale anderswo in der Vergangenheit schon durchaus untergekommen sind, erinnert mich das Prozedere (oder sollte ich gar „Geschrei“ sagen?!) hier an die geradezu furchterregende Intensität, welche die martialischen Darbietungen der neuseeländischen Rugbynationalmannschaft bei ihren Spielen erlangen.
Das Ambiente des Lokals ist für meine Begriffe inzwischen das nichtssagendste weit und breit: unter einer massiven Holzdecke werden die weißen, asymmetrsich angeordneten Wände von blassen Neonfarben illuminiert und verleihen dem Interieur ein hochgradig künstliches Gepräge. Dazu gehört auch eine kleine Bühne für die showtaugliche Anrichte so mancher Speisen, während der überdimensionale (und für meine Begriffe peinliche) Spiegel mit dem hellblauen Aufdruck „F*ck normal – I want magic“ im Stile eines überdimensionalen Lippenstifts auch gleich hätte entsorgt werden können. Ich kann auf solche substanzlose Provokationen jedenfalls getrost verzichten. Das konservativste Element sind jedenfalls die klassisch eingedeckten Tische, die einen scharfen Kontrast eingehen zu den von der Decke hängenden, in Säcken baumelnden Lampen – alles in allem ein kühles und befremdliches Ambiente. Mein Geschmack ist das nicht.
Apropos Geschmack: zu einem Glas Champagner Bratbirne von Jörg Geiger tischt der nicht allzu herzliche Service die ersten drei Apéros auf, welche die Stilistik des Hauses unterstreichen und die Vorzüge der Küche demonstrieren sollen. Dabei handelt es sich um eine rein vegetarische Parade: Kimchi-Tartelette mit Blaukraut und Kürbiskernen, eine Kreation von Süsskartoffel mit Curry und schließlich eine vegetarische Blutwurstpraline – was es mit diesem Widerspruch auf sich hat, kann ich leider nicht sagen, da genauere Erklärungen ausbleiben. Was ich aber mit Sicherheit weiß: wenn Sie mal Franz Keller um seine Meinung dazu fragen würden, dann bläst er ihnen den Marsch! Dessen ungeachtet bewegt sich das geschmackliche Erlebnis rund um dieses Trio jedenfalls noch nicht auf einem Niveau, das Adrenalinschübe in mir freisetzen würde.
Die fix vorgegebene Karte bietet nur ein Menü an, bei dem zwei Gänge weggelassen werden können, doch die Preisgestaltung (€ 282,49 für das volle Angebot) wirkt in beiden Fällen sowohl optisch seltsam als auch nüchtern betrachtet relativ forsch. Die „krummen“ Beträge kann ich mir eigentlich nur im Zusammenhang mit der geänderten Mehrwertsteuer erklären. So oder so muss der Arbeitsaufwand offenbar immens sein, denn rein vom Einkaufswert der hier eingesetzten Viktualien ist dieser Betrag kaum zu rechtfertigen.
Zum Brot reicht man eine zu einem Buddha geformte Butter – wahrscheinlich eine Anspielung auf die phonetische Ähnlichkeit zwischen „Butter“ und „Buddha“, deren Reiz sich schnell abnutzt. Wenn man sich schon Franken-affin gibt, dann bleibt zu hoffen, dass das Brot von Meisterbäcker Arnd Erbel aus dem mittelfränkischen Dachsbach stammt – bestätigen kann ich es nicht.
Mit einem ersten Signature Dish namens „Huhn vs. Kaviar“ wird die Reihe an Petitessen fortgesetzt: gekochtes Eiweiß und gebeiztes Eigelb platziert die Küche auf einem mit Haselnuss aromatisierten Misoschaum, in dem auch bissfeste Stückchen der Nuss versteckt sind. Dank der Reduktion aufs Wesentliche kommt dieser bewährte Einfall auch gut ohne Kaviar aus, denn hier beginnt nämlich das erste Ärgernis. Dass ein Signature Dish in zwei Varianten (mit oder ohne Kaviar) auftritt, ist mir bislang noch nicht untergekommen, zumal der separat angebotene Kaviar (in drei Varianten) zu einem stolzen Aufschlag offeriert wird. Die Küche empfiehlt fünf Gramm von jeder Sorte – wer sich nichtsahnend darauf einlässt, ist für das recht harmlos anmutende Upgrade unversehens fast weitere € 60 los. Eine solche Dreistigkeit, schon beim Amuse arglosen Gästen den weitgehend entbehrlichen und vor allem teuren Luxus schmackhaft zu machen, empfinde ich als armselig. Dass ich die „Falle“ umgehe, nimmt der Service eher missmutig zur Kenntnis …
Der fränkische Schiefertrüffel ist ein weiteres Signature Dish des Hauses, in dessen Mittelpunkt ein Pilz aus dem Frankenwald steht. Er gehört nicht derselben Gattung wie der schwarze Trüffel aus dem Périgord an und fällt durch eine deutlich mehligere Konsistenz auf, welche von einer Füllung mit Pâte de cassis stabilisiert wird. Das salzige Brioche korrespondiert schlüssig mit den erdig-herben Aromen des etwas exotischen Produkts – ein gelungener Klassiker des Hauses seit nunmehr 1978, sofern man nicht mit der falschen Erwartungshaltung herangeht, einen „echten“ schwarzen Trüffel vorgesetzt zu bekommen.
Nach diesem in so manchem Moment seltsamen Auftakt erfolgt der Start ins Menü mit in Weidenholz geräuchertem und gebeiztem Zander, dessen Haut zudem gepufft wurde. Hinzu gesellen sich eine gebeizte und in Sagohachi (japanische Salzpaste) eingelegte Garnele, Aioli von geräucherten Pimientos de Padron, eine Julienne von „Bouillabaisse-Gurken“ und Salzzitrone. Der aus der Oberpfalz stammende und als Sashimi aufgeschnittene Fisch wird zudem von einer aromatisch eher schwächlichen Krustentierbisque sowie fermentiertem Knoblauch, Fenchel-Kresse und Estragonpulver begleitet. Der Hauptdarsteller (sofern man ihn angesichts der dominanten Entourage noch als solchen bezeichnen kann) überzeugt dabei mit bestechender und puristischer Klarheit – kurze Transportwege zahlen sich in diesem Fall bestimmt aus. Das umgebende Arrangement schneidet deutlich schwächer ab, denn angesichts all der weiteren Komponenten scheint mir im Laufe des Abends mehr als nur einmal ein intellektueller Ansatz im Zentrum des Geschehens zu stehen: eher selten werden die Teller durch die Überfrachtung mit zu vielen entbehrlichen Komponenten wirklich besser, zumal der Geschmack dabei oft nur die zweite Geige spielt. Jedenfalls hätten die Begleiter auch für zwei bis drei Teller gereicht, denn ein echter roter Faden fehlt mir hier, zumal der japanische Purismus deutlich mit dem umgebenden Aromengewitter fremdelt. Weniger wäre mehr gewesen.
Die detaillierten Informationen sind übrigens teils den Kärtchen entnommen, die zu jedem Gang in die dafür vorgesehene Halterung auf dem Tisch gesteckt werden. Dieses sind einerseits hochprofessionell gestaltet (vermutlich wird sogar ein eigener Graphikdesigner beschäftigt), irritieren aber auch teils mit detaillierten Beschreibungen marginaler Details oder mit suggestiven Andeutungen, welche die vermeintliche Größe des Gerichts sicherheitshalber vorwegnehmen und die Urteilskraft des Gastes in die richtige Richtung beeinflussen sollen.
Pilzexperte Bernd Wurzbacher versorgt das Haus zur Pilzsaison mit Fundstücken aus den umgebenden Wäldern, darunter auch den zuvor erwähnten Schiefertrüffel. Das laut Kärtchen „grandiose“ Zusammenspiel der Pilze im nächsten Gericht erzielt seine Wirkung durch eingelegte und gebratene Waldpilze (wie Morcheln, Steinpilze und Krause Glucke), die auf einem mit Lärchenöl verfeinerten Waldpilzsud ruhen. Gepickelte Cassisbeeren und Fichtenspitzenextrakt sollen für den aromatischen Feinschliff sorgen, doch angesichts der grenzwertig kleinen Portion tritt der Effekt nicht im gewünschten Maße ein. Den bisher besten Eindruck hinterlässt dieser Teller dennoch, da die variable Zubereitung (sautieren, einlegen, kräftig anbraten) für Reize auf engem Raum sorgt. Dank größerer Klarheit als beim Vorgänger überzeugt das deutlich mehr, doch zwei Anmerkungen gestatte ich mir dennoch: zum einen frage ich mich schon, wie es erst um die Frische der Pilze bestellt wäre, wenn dieses Gericht im Herbst und nicht wie in meinem Fall im Frühjahr aufgetragen würde. Zum anderen erreicht der Teller jedenfalls kein höheres Niveau als der Pilzgang aus dem Münchner Sparkling Bistro vom Herbst des letzten Jahres, als mir Chefkoch Jürgen Wolfsgruber die denkbar frischesten Pilze ohne große Verfremdung servierte und letztlich ein noch schlüssigeres Ergebnis erzielen konnte.
Das Kärtchen zum nächsten Gang widmet sich hauptsächlich dem „Sellerie-Schinken“ auf dem Selleriepurée und damit dem unwesentlichsten Element des Tellers, während auf den Schmorbraten von der Aubergine dagegen kaum eingegangen wird. Die im Ganzen geschmorte Aubergine wartet mit einer knusprigen Hülle und einem schmelzigen Innenleben auf, das mit allerlei Gewürzen wie Ingwer, Knoblauch und Koriander aufgewertet wird. Es ist zwar nicht so einfach, eine Aubergine korrekt auf diese Weise zuzubereiten, aber beim Vergleich mit Andreas Döllerers Version schneidet diese Variante nur im oberen Durchschnittsbereich ab. Deutlich mehr als das Brotgewürz und die Essigkirschen spricht mich die bemerkenswerte Sauerkirsch-Tamari an, welche die Reduktion einer Essenz darstellt, die bei der Herstellung von Miso entsteht. Die Einzelkomponenten schneiden somit recht unterschiedlich ab, was in Summe zu einem ordentlichen Gesamtergebnis führt – allerdings signifikant von der einmal mehr kolportierten „begeisternden“ Idee entfernt.
Die Portionsgrößen werden vor dem Hauptgericht offenbar noch kleiner, denn die fast schon asketische Reduktion und Gedrängtheit der vielen Komponenten des nächsten Gangs auf die Fläche eines Dominosteins erfordert ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit seitens des Gastes, wenn daraus noch ein kulinarischer Gewinn gezogen werden soll. Japanischer Unagi (ganz so genau nimmt man es offenbar mit der Regionalität dann doch nicht) wird durch Grillen, Dünsten, Marinieren und erneutes Grillen um einen beträchtlichen Teil seines Fettgehalts gebracht, so dass der typisch salzige Geschmack des Aals besser zum Tragen kommt. Durch Lackieren und kurzes Flämmen nimmt er eine Aromatik an, welche knusprigen Speck (Guanciale) als gar nicht so abwegigen Begleiter erscheinen lässt. Drapiert ist der Hauptdarsteller auf einem sauren Salatsud mit „wahnsinnig schönem“ Radicchio-Mus. Einer weiteren Komponente dagegen fehlt es an aromatischer Kraft, um sich dagegen zu behaupten, weshalb das Birnen-Schalotten-Chutney blass bleibt und allenfalls mit einer erheblich dickeren Schicht auf sich aufmerksam gemacht hätte. Die Säure des Suds droht dagegen, Wesentliches zu kaschieren, weshalb zumindest ein hin und wieder stärkerer Fokus auf den Geschmack zugunsten eines weniger intellektuell anmutenden Konstrukts eine sinnvolle und wohltuende Abwechslung darstellen würde.
Die besonders in den 1950ern beliebte Bowle „Kalte Ente“ ist als Hommage an die im Jahre 2019 mit 104 Jahren verstorbene Großmutter des Chefs zu verstehen und wird hier als Rotweineis in Gestalt einer Ente auf einem Sud von Haskapbeeren (auch als Sibirische Blaubeere bekannt) platziert – ein gehaltvoller Einschub von unerwartet intensiver Fruchtigkeit.
Eine wohltuende Portion Konservativismus hält beim Hauptgericht Einzug: ich gestehe, nicht wirklich damit gerechnet zu haben, dass die Lammkeule hier tatsächlich noch im Ganzen gebraten wird. Außerdem wird hier erfreulicherweise ohne jede Rustikalität auch der Bauch verarbeitet, indem er in Nam Prik geröstet wird und einen asiatischen Touch bekommt. Die begleitende Schalottenjus sowie mit Soja gegrillter Lauch erweisen sich als adäquate und handwerklich überzeugende Begleiter, die keinen Gast überfordern, doch ganz ohne etwas Exotik geht es offenbar nicht: zu einer Lauchmiso gesellt sich noch Calamondin als Gel und Zeste hinzu. Bis zu diesem Gericht war auch mir die Kreuzung aus Kumquat und Mandarine noch nicht geläufig gewesen, so dass man hier auf jeden Fall noch etwas lernen kann! Das erweist sich unterm Strich vielleicht nicht als weiß Gott wie raffinierter Hauptgang, doch dank klarer, kraftvoller Röstaromen und eines weniger verkopften Ansatzes gehört dieser Beitrag jedenfalls zu den besten des Abends.
Nach den insgesamt recht unsteten bisherigen Eindrücken hatte ich – ehrlich gesagt – nicht mehr mit einem echten Highlight gerechnet, doch zu meiner großen Überraschung entpuppte sich der Käsegang ohne jeden Vorbehalt als ein überaus ernstzunehmender Kandidat für meine Menüfolge des Jahres 2024 und sogar als einer der zehn besten Käsegänge überhaupt in meiner bisherigen Vita. Der Ziegen-Blauschimmelkäse vom Reimehof im Herzen der Hersbrucker Alb erfüllt alle Voraussetzungen für einen Käse der Extraklasse und wird als pur geschnittene Scheibe unter einer hauchdünnen Schicht von Pfirsichgelée versteckt. Die leicht gesalzenen und knusprigen Chips von Topinambur, junges Basilikum und Pfefferchips erweisen sich als wunderbar organische Begleiter von großer Ausdruckskraft, die sich jedoch nicht aufdrängt. Die kongeniale Abrundung dieses Geniestreichs stellt der Pfirsichsud mit deutlich herauszuschmeckendem Öl von Johannisbeerholz dar, denn trotz eines Reichtums an Spannung unter den Komponenten wirkt das Ensemble vollkommen harmonisch, punktet mit großer Tiefe und zeugt von geradezu aristokratischer Noblesse. Kaum etwas, was im Vorfeld geradezu inflationär als grandios, sensationell oder großartig angepriesen wurde, rechtfertigte die Vorschusslorbeeren, doch mit dieser Eingebung von einem Käsegang hat man in der Tat mal voll ins Schwarze getroffen!
Auch der Happen zum Pré-Dessert, der auf der Bühne angerichtet wurde, verblüffte auf ganzer Linie: das Steckerleis von geeistem Zwetschgenkuchen mit Blutampfer entfaltet eine kompakte und überraschende Wucht, die jedoch mit klug dosierter Süße auskommt und stattdessen die fruchtigen Noten stärker betont – erneut ein großer Wurf!
Rehydrierter Pink-Baby-Apfel ist ein extremes Beispiel für die teils verkopft anmutende Vorgehensweise in diesem Lokal: zuerst wurde der Apfel gedörrt, dann in einem (auch auf dem Teller befindlichen) Quitten-Honigsud eingelegt und somit quasi rehydriert. Zusammen mit Hanföleis und gepufftem Quinoa entsteht ein spärlich bemessenes und puristisches Gericht, dessen Wirkung mich allerdings nur bedingt anspricht: die gewünschte Intensität rechtfertigt das arbeitsintensive Prozedere meines Erachtens nicht. Unterm Strich wirkt dieses Dessert für einen Zweisterner einfach zu gewöhnlich und wenig artistisch.
Beim abschließenden Reineclaudensorbet gilt das Hauptaugenmerk eher dem begleitenden Yuzucello, einer Abwandlung des allseits bekannten Limoncello. Die Yuzu stammt aus dem Tropenhaus Klein Eden im Frankenwald und wird quasi als „fränkisch“ verkauft – einmal mehr wird deutlich, dass für das Etikett „fränkisch“ in diesem Haus nicht der Ursprung des Produkts an sich ausschlaggebend ist, sondern ob man es aus der Region beziehen kann. Das wiederum entspricht nicht meiner Auffassung einer Regionalküche, so dass ich an diesem Ausklang mit der adrett zu einem Zweig geformten Haselnuss-Schokoladen-Ganache leider nur den Edelpflaumen und den Haselnüssen von der Cadolzburg fränkisches Kolorit bescheinigen kann. Das geschmackliche Ergebnis bewerte ich jedoch höher als beim Vorgänger, zumal die Ganache subtil mit Fruchtnoten und etwas Paprika veredelt wurde.
Die Petits fours bestehen aus einer Erdnussbutterpraline mit Sonnenblumenkernen, einem Hagebutten-Polyeder und einem Toffee von Kirschkernlikör. Es sieht recht gewöhnlich aus, entpuppt sich aber als starker Ausklang – dachte ich zumindest, …
… denn unter dem Namen „Aura meets Anima“ kommt abschließend noch ein sechs Monate lang gereiftes Käse-Grissino mit in Heu geräuchertem Schinken. Fraglos wohlschmeckend, aber in dramaturgischer Hinsicht wäre es an so ziemlich jeder anderen Stelle vor dem Hauptgang besser aufgehoben. Manche mögen es amüsant finden – mir erscheint es dagegen einfach deplatziert.
Damit geht ein in seiner Gesamtheit außerordentlich schwierig zu beurteilender Abend zu Ende. Einerseits wartete die Küchenbrigade mit reichlich ungewöhnlichen Ideen auf, aber andererseits wirkten nicht wenige Gerichte zu gewollt oder forciert. Oft drängte sich mir der Eindruck auf, der primäre Wunsch hinter einem Gericht bestand in dem Versuch, eine besonders bizarre oder skurrile Zubereitung zu realisieren und diesem Ziel den Geschmack notfalls unterzuordnen, denn anders kann ich mir beispielsweise den aus meiner Sicht überfrachteten Einstieg mit dem Zander kaum erklären. Wenn dagegen das Bestreben im Vordergrund stand, ein ganz bestimmtes Geschmackbild zu bedienen, dann wirkte vieles schlüssiger: gerade beim Hauptgericht sollte offenbar ein besonders saftiges Stück Fleisch aufgetragen werden, weshalb man sich für die Keule entschied und das Tier im Ganzen briet, was dem Geschmack fraglos zugute kam.
Des weiteren muss angemerkt werden, dass ich trotz aller Bemühungen der Küche, die vermeintliche Einzigartigkeit fränkischer Produkte herauszuheben, jedes der hier eingesetzten Produkte mindestens schon einmal in noch deutlich besserer Qualität verkosten durfte. Die besten Ergebnisse erzielte die Küche folglich dann, wenn man die Vorzüge der jeweiligen Produkte nicht großartig verfälschen musste, sondern durch zauberhafte Kombinationen ins beste Licht rückte – nirgends wurde dies deutlicher als beim Käsegang, wo ein „gewöhnlicher“ Blauschimmelkäse durch den Pfirsich und die Holznoten auf ein Niveau gehoben wurde, von dem ich nicht zu träumen gewagt hätte. Manchmal drängte sich mir auch der Eindruck auf, dass sich auch ein besseres Ergebnis erzielen ließe, wenn nicht fast durchweg grenzwertig kleine Portionen das Menü durchziehen würden.
Eine ernstere Kritik verdient die rigide Preispolitik in diesem Haus, die meiner Auffassung nach nicht gerechtfertigt ist. Schon die Nebenkosten bei den Getränken sind nicht gerade gastfreundlich kalkuliert, was in einem so ländlich gelegenen Lokal doch einigermaßen überrascht. Der nicht allzu herzlich agierende Service versucht zudem immer wieder, hochpreisige Empfehlungen an den Gast zu bringen und scheut sich auch nicht, beim Auftragen der Petits fours noch zu fragen, ob es noch eine Flasche Wasser (zum Preis von knapp € 10) sein darf. Insgesamt agiert man hier mit wenig Feingespür – was auch nicht verwundert, wenn man bedenkt, wie viele verschiedene Servicekräfte im Laufe des Abends am Tisch erscheinen. Chefkoch Tobias Bätz macht auch öfters die Runde, schneidet mit seinem Auftreten allerdings deutlich besser ab als die bisweilen recht hölzernen Darbietungen der anderen Mitarbeiter. Echte Herzlichkeit sieht jedenfalls anders aus, zumal auch das eingangs erwähnte Ambiente wenig dazu beiträgt, daran etwas zu ändern.
Der Auszeichnung durch den FEINSCHMECKER zum „Restaurant des Jahres 2024“ hätte ich mich jedenfalls nicht angeschlossen, denn in Summe waren die Erlebnisse auf den Tellern einfach zu unstet. Außerdem habe ich schon unzählige Male besser gegessen für vergleichbares Geld, wenngleich natürlich nicht gesagt ist, dass der Weg nach oben für das Aura schon zu Ende wäre. Mir geht es im Gegenteil darum zu betonen, dass ich dieses Restaurant (noch) nicht auf dem Level sehe, wo es durch die Mehrzahl der Profiguides angesiedelt ist – die Zahl der ernüchternden Momente war mir dafür einfach zu hoch. Daher werde ich die weitere Entwicklung zunächst sicherlich eher aus der Ferne beobachten und gegebenenfalls dann neu entscheiden, ob es mal wieder Zeit für einen Besuch ist. Bis dahin können sich die Leser dieser Rezension gerne ihr eigenes Urteil bilden, wenn es sie mal nach Oberfranken verschlagen sollte.
Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten
Aura
Marktplatz 11
95339 Wirsberg
Tel.: 09227/2080
https://www.herrmanns-posthotel.de/de/gourmetwelten/aura.html
Guide Michelin 2023: **
Gault&Millau 2023: 3+ Toques
GUSTO 2024: 9 Pfannen
FEINSCHMECKER 2024: 4 F
8-gängiges Menü: € 282,49
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Mai 2019
Alexander Herrmann ist einer der umtriebigsten Spitzenköche Deutschlands: neben Auftritten in mehr oder weniger entbehrlichen TV-Kochshows und -formaten (die andererseits natürlich ein nettes Zubrot einbringen und seinen Bekanntheitsgrad steigern) unterhält er eine Dépendance im Herzen von Nürnberg (das Impérial), die sich ebenfalls eines recht regen Zuspruchs erfreut. Da verwundert es nicht sonderlich, dass er die Küchenleitung seines Stammhauses längst in andere Hände delegiert hat: Chefkoch Tobias Bätz wurde quasi vom Souschef befördert und zeichnet nun für die Geschicke des Restaurants verantwortlich. Seine Sache hat er bisher offensichtlich ganz ordentlich gemacht, denn zur nicht geringen Überraschung der meisten Gourmets wurde das oberfränkische Restaurant im Februar 2019 mit dem zweiten Michelin-Stern ausgezeichnet. Uns interessiert natürlich die Küchenleistung wesentlich mehr als die Prominenz des Patrons, die in den meisten Fällen eher eine Warnung darstellt (mein entbehrlicher Besuch bei Vincent Klink im vergangenen Jahr ist mir immer noch in unguter Erinnerung). Alexander Herrmann war an diesem Abend offensichtlich auch gar nicht im Hause – um so erfreulicher, dass sich der jüngst ausgezeichnete Chefkoch Tobias Bätz an jedem Tisch blicken ließ und für einen kurzen Plausch zur Verfügung stand.
Der Weg ins beschauliche Wirsberg führt von der A9 über kurvige und ausgesprochen hügelige Straßen in die Ortsmitte, wo das Hotel samt Restaurant unübersehbar den Marktplatz des kleinen Orts dominiert. Das überaus modern und eigenwillig gestaltete Restaurant wartet mit einer hohen Decke, ungewöhnlichen Lampenkonstruktionen, harten Hell-Dunkel-Kontrasten und einem recht geräumigen Speisesaal für gut und gerne 60 Gäste auf, den man in dieser Form sicherlich eher in einer Metropole, aber schwerlich im Herzen von Oberfranken, umgeben von Fachwerkbauten, erwarten würde. Sei’s drum: wie uns schnell klar wird, geht das moderne Design des Lokals durchaus eine stimmige Symbiose mit dem Küchenstil des Restaurants ein, der durchaus als kühn, gewagt oder einfach zeitgemäß interpretiert werden kann. Zwei Menüs (eines davon vegetarisch) stehen hier zur Auswahl: ich entscheide mich für die sechsgängige Variante zu € 164, die mit etlichen Extras aufgewertet wird.
Die stattliche Cocktailkarte ist im Gegensatz zur nicht weiter erwähnenswerten (allerdings ofenwarmen) Brotauswahl die reine Wonne und hält eine große Auswahl an unterschiedlichsten Kreationen zu angemessenen Preisen für jeden Geschmack parat. Das Steckenpferd des Lokals ist es offenbar, irgendwo in Franken einen Produzenten für Produkte zu finden, die es eigentlich gar nicht in Franken gibt. Da kommt schon mal Spargel oder Trüffel auf den Teller – beides nicht gerade Produkte, die man von dieser klimatisch eher rauhen Region erwarten würde. Die Einstimmungen belegen diese Theorie ebenfalls, denn es kommt eine in dünne Scheiben geschnittene „fränkische Papaya“ mit einer Vinaigrette und Chili-Noten in einem kleinen Schälchen – säuerlich und gewöhnungsbedürftig im Geschmack, aber keineswegs mißraten. Dazu gesellen sich zwei weitere Grüße: eine Sauerkrautroulade mit Wollschwein und schwarzem Trüffel sowie Saibling mit Texturen von Sellerie und Meerrettich (gerieben und als Gel). Der letzte Gruß gerät zu einem höllisch scharfen Einstieg und erweckt auch totgeglaubte Geschmackspapillen endgültig wieder zum Leben. Über den Sinn (oder Unsinn) eines solchen Einstiegs ließe sich sicherlich trefflich streiten, doch mutig ist diese Entscheidung allemal. Der offizielle Gruß aus der Küche ist ein lauwarmer Schiefertrüffel an einer Trüffelvinaigrette mit Texturen von Zwiebel und Ackersalat – ein Gang voller Umami, dessen erdig-würzige Aromen geradezu genial am Gaumen aufgehen und uns erahnen lassen, weshalb der Guide Michelin das Lokal aufgewertet haben könnte.
Nach diesem ungewöhnliche Einstieg starten wir ins Menü mit IkeJime-Zander, Ingwer und Lauch. Offenbar huldigt man auch hier dem Zeitgeist, denn manchmal scheint es fast so als wäre für Fisch schon gar keine andere Zubereitungsart mehr als das japanische IkeJime denkbar oder gar erlaubt. Facettenreich gerät der eingelegte und frittierte Ingwer, und auch der sous vide gegarte und anschließend geröstete Lauch steuert interessante Nuancen bei. Spritzer von Limette und eine Soja-Miso-Mayonnaise runden einen interessanten Gang, der allerdings gerne etwas weniger säuerlich hätte geraten dürfen, ab: kein Highlight, aber durchaus inspiriert.
Austern-Udonnudeln wird mit pochierten Gillardeau-Austern, einem hocharomatischen Austernblatt und einem Ceviche-Sud aus Fenchel und Dill veredelt. Der eigentliche Clou des Gerichts ist jedoch ist der fränkische Kaviar auf einem frittierten Algen-Chip, den die Küche von Frankens einzigem Kaviarproduzenten, dem Störzüchter Sebastian Salomon, bezieht. Die präsenten jodig-salzigen Aromen gehen in Kombination mit der Pasta eine ungewohnte Liaison ein, die alles andere als vorsehbar ist und uns gerade deswegen überzeugt und anregend wirkt.
Einen echten Volltreffer landet die Küche mit Schweinerücken, Wildaal und Sellerie. Die Kombination von trocken gereiftem Rücken mit dem Aal, der von Fischwirtschaftsmeister Karl-Peter-Schwegel bezogen wird, ist eine begeisternde Allianz, die durch den fermentierten, knallgrünen Selleriesud kongenial begleitet wird. Wie hier Eleganz und Rustikalität miteinander verquickt werden, hat großen Stil!
Vor dem Hauptgericht gibt es einen Klassiker. „Kalte Ente“ interpretiert die Küche selbstverständlich auf neue Art und Weise: ein Rotweingranité, auf dem sich auch noch Rotweineis befindet, badet in Champagner, der mit schmalen Minzstreifen veredelt wird. Das eiskalte Gericht gerät sehr erfrischend und überzeugt selbst den Abstinenzler in mir!
Als Hauptgericht kreiert die Küche Lammkeule und -bauch, Spargel, Ampferblätter und Rhabarber. Was wie eine höchst gewagte Kombination klingt, erweist sich auf dem Teller als ein launiges und originelles Gericht, das seinen Reiz auch aus farblichen Kontrasten bezieht. Die Röstaromen des Lamms mit der Knoblauch-Rhabarber-Jus werden von gegrilltem Spargel und Spargelmousse abgefedert, während der eingelegte Rhabarber und die Schalotten-Dill-Vinaigrette säuerliche Spitzen setzen. Der Teller stand kurz davor, überfrachtet zu sein, aber so wie die Dinge lagen war dies bislang eins der besten Hauptgerichte dieses Jahres.
Ein höchst ungewöhnlicher Käsegang folgte sodann: was schlicht als gereifter Parmesan angekündigt wurde, war ein Getreiderisotto, auf dem purer Parmesan und in Form eines Chips ruhte. Noten von Zwiebel sowie ein Sauerteigbrot bereicherten die Aromatik dieses Gerichts dabei genauso würdig wie die Sternfrucht-Safran-Jus. Übrigens bezieht die Küche selbst den Safran vom Ehepaar Waldmeyer aus Franken! Der allgemein grassierenden Langeweile bei Käsegerichten hatte die Küche hier wahrlich ein ausdrucksstarkes, intensives Statement entgegenzusetzen, das mich regelrecht begeisterte.
Ein launiges Pré-Dessert war das auf einem Holzstöckchen aufgespießte Sauerampfereis, das mit diversen kleinen Blüten noch verziert war. Das auch optisch höchst ansprechende Intermezzo war hochwillkommen und wurde sogar im Speisesaal einsehbar von der Patisserie zubereitet.
Das Dessert, Butterkuchen und Zitrone, geriet natürlich nicht so nüchtern wie die Ankündigung, denn die Zitrone wurde in einer Vielfalt interpretiert, die das Prädikat „Hochküche“ allemal rechtfertigte. Lemon Curd, Sorbet, eingelegte Schale und Verbene baten Baiser und Butterstreusel zum Tanz, so dass unterm Strich ein recht sommerlich anmutendes Dessert stand, das durchaus seinen Reiz hatte, die Intensität aber im Vergleich zu so manchem Gang davor deutlich herunterfuhr – nicht die schlechteste Entscheidung nach all den Aromenbomben zuvor!
Eine entzückende Idee hatte sich die Patisserie zum Abschluss einfallen lassen: nach sechs Generation Familienbetrieb sollte das anstehende Jubiläum von 150 Jahren so gefeiert werden, indem ein Signature Dish (kann man das über süße Ausklänge überhaupt sagen?) von jedem Chef aufgefahren wurde. In chronolgischer Reihenfolge waren dies zunächst ein Mini-Walnusskuchen sowie eine adrette Neuinterpretation von „Birne Helene“. Die nächste (und gewagteste) Kreation, bestehend aus einem süßen Chip mit Kirsche und Schwarzwälder Schinken, wurde von Herta Herrmann, der Großmutter des Chefs, seinerzeit entworfen.
Ich gestatte mir hier, einen kleinen Exkurs einzuschieben, denn die rüstige Dame zählt heute zarte 104 Jahre und sitzt praktisch immer noch jeden Abend in der Bar nebenan!!! Die noch bei vollem Verstand befindliche Rentnerin erzählte uns wie geradezu selbstverständlich, dass sie im Januar 105 Jahre alt werden würde! Sieht man einmal davon ab, dass ich ohnehin noch nie vor einer leibhaftigen 104-Jährigen stand, so beeindruckte insbesondere die Schlagfertigkeit der Dame (es wäre fast schon eine verharmlosende Untertreibung, sie als „Institution des Hauses“ zu bezeichnen): sie bedaure, dass man sie nicht mehr mit dem Fallschirm springen ließe! Selbst eine bundesweit bekannte Zeitung berichtet inzwischen alljährlich über ihren Geburtstag; sie kennenzulernen lohnt fast schon allein den Besuch hier!
Ein herzhafter Schokotrüffel und ein mit Orange aromatisierter Schaumkuss bringen uns immer näher an die Gegenwart heran, bis schließlich mit der Kreation des bekennenden „Star Wars“-Fans Alexander Herrmann, ein Darth Vader mit Nougat-Karamell gefüllt, die heutige Zeit wieder erreicht ist.
Dass unterschiedlichste Servicekräfte an den Tisch kamen und dabei praktisch ihr eigenes Lieblingsgericht vorstellten, empfanden wir als nette Abwechslung, zumal man auf diese Weise nicht nur von den bereitgestellten Kärtchen, sondern auch aus dem Munde der Ideengeber so manches Wissenswerte erfahren konnte. Was der Service ein wenig an Herzlichkeit vermissen ließ, machte er jedenfalls durch seine Kompetenz und Präsenz wieder locker wett. Dass Getränke und sonstige Extras zu moderaten Preisen angeboten werden, wertet das Vergnügen noch weiter auf.
Was nehmen wir von diesem Abend mit? Ein unterhaltsames und kurzweiliges Menü mit etlichen Highlights beeindruckte uns mehrmals gehörig. Die Küche agiert des öfteren an der Schwelle zur Avantgarde, doch nichts an diesem Abend wirkte völlig überdreht oder seltsam. Eine fast schon bedingungslose Lust am Experimentieren, die hierzulande selten geworden ist, verdeutlichte uns, dass man hier gewillt ist, seinen eigenen Weg zu gehen und sich schlimmstenfalls lieber einmal mehr zu weit aus dem Fenster lehnt als sich auf Bewährtes und Althergebrachtes zu verlassen. Die Individualität der Gerichte sowie die verwendeten Produkte mit Bezug zur Region stellten für uns die größte Stärke der Küchenleistung dar. Das geschmackliche Ergebnis brauchte keine Rechtfertigung, selbst wenn die Schärfe des Meerrettichs oder die Säure des eingelegten Ingwers recht grell gerieten. Trotz aller Moderne wurde im Gegensatz zu früheren Zeiten auf unnötige Showeffekte verzichtet, selbst wenn die farbenfrohe Optik der Gerichte durchaus wahrnehmbar geriet. Alles in allem hatte das Menü mehr Substanz als erwartet und rechtfertigte unserer Meinung nach die Anhebung auf zwei Sterne. Vielleicht ziehen der Gault&Millau (derzeit nur 16 Punkte) und der GUSTO (7 Pfannen) bald nach, denn das hielten wir für angebracht. Franken vermarktet sich ja ganz gerne als Genussregion und kann nun endlich mit diesem Lokal sowie dem Sosein in Heroldsberg gleich zwei neue Zweisterner anbieten – das macht zusammen mit dem längst etablierten Essigbrätlein in Nürnberg die stattliche Zahl von drei Lokalen mit dieser Auszeichnung. Es tut sich was in Franken – wir kommen wieder!