Siedepunkt*, Ulm (UPDATE)

„Es bedarf nur eines Anfangs, dann erledigt sich das Übrige.“ (Sallust)

UPDATE (Juli 2021)

Diese feine Adresse nördlich der Ulmer Altstadt war auf dem besten Wege, sich ganz oben in der Region zu etablieren, als Chefkoch Christoph Hormel für viele überraschend seinen Rückzug ankündigte. Zwar bleibt er dem Haus weiterhin als gastronomischer Leiter für die Optimierung des Betriebs erhalten, doch die Leitung der Küche hat nun der 30-jährige Souschef Benedikt Wittek übernommen. Man durfte also gespannt sein, wie sich der Lockdown und die neue Personalie auf die Küchenleistung auswirken würden. Jedenfalls blieb Serviceleiterin Maren Stegmaier dem Haus erhalten, so dass wenigstens etwas Kontinuität gewährleistet werden kann.

Rein äußerlich hatte sich an dem dunkel gehaltenen Speisesaal mit dem gläsernen Weinschrank jedenfalls nicht viel verändert. Dass das Restaurant (derzeit nur von Donnerstag bis Samstag geöffnet) auch an einem regnerischen Werktag unter der Woche so gut gefüllt ist, überrascht mich dann doch ein wenig. Offenbar hat man hier in relativ kurzer Zeit schon eine nicht so kleine Menge an Stammgästen generieren können. Zwar bietet man hier derzeit nur sechs Gänge im Menü an, doch dafür wurden die Preise etwas gesenkt – keine schlechte Maßnahme, um nicht gleich eine allzu hohe Erwartungshaltung zu nähren. Das sechsgängige Menü zu € 115 namens KunstHandwerk gibt es allerdings auch in einer vegetarischen Variante für zehn Euro weniger.

Legen wir also los mit drei Amuses, die diesmal aus gebackenem Kalbskopf mit Liebstöckel und Majoran sowie einem Bleni mit Kohlrabi und Majtes bestehen. Abgerundet wird das Triumvirat von einem knusprigen Wan Tan mit Erbsencrème obenauf. In bester Tradition wird hier offenbar der dreiteilige Einstieg, der stets mit gleich ziemlich intensiven Aromen zur Sache kommt, beibehalten – und ich höre mich nicht meckern, denn das Entrée gerät schon mal sehr ordentlich. Ein recht exotischer Begleiter ist ein alkoholfreier Beerencocktail, der alles andere zu süß gerät.

Weiter geht es mit einer soliden Brotauswahl, bestehend aus Sauerteigbrot, einem mediterranen Tomatenbrot und Weißbrot. Dazu gibt es Salzbutter sowie einen mit Kräutern und Kresse veredelten Frischkäseaufstrich. Das lässt sich schon mal gut an …

… doch vor dem offiziellen Menübeginn streut man noch ein Amuse ein: Eigelb mit fermentiertem Lauch, Vadouvan-Schaum und einem darunter versteckten Crumble erweist sich als erstaunlich ausgewogene vegetarische Eingebung mit feiner Würze. Fast noch überraschender als die Qualität dieses beachtlichen Einfalls ist die Tatsache, dass die scheinbar harmlose Optik gut kaschiert, welch überraschende aromatische Wucht hinter diesem Gang steckt. Stark!

Dass noch nicht alles sofort wieder auf demselben Niveau wie vor dem Lockdown fortgesetzt werden kann, verdeutlicht dann der erste Gang des Abends. Im Zentrum der Ouverture steht eine leicht gekühlte Mousse von Entenleber, die mit einer Kakaoglasur ummantelt ist. Das ist an sich schon grenzwertig, doch spätestens mit der Beigabe von Banane in Form von einem kleinen Salat und als Eis ist ein Niveau an Süße erreicht, das viel zu plakativ gerät. Gegen die Intensität der Banane kommen weder die Leber die geeisten Yuzuperlen an, und auch das Brioche vermag hier nichts mehr herauszureißen. So steht unterm Strich eher ein Dessert mit hohem Sättigungsfaktor als eine Vorspeise – das hätte später als Nachspeise durchaus etwas hermachen können, denn auch Denis Feix von der (leider immer noch geschlossenen) Zirbelstube in Stuttgart experimentierte schon mehrfach – und durchaus nicht erfolglos – mit Gänseleber beim Dessert. So hingegen bleibt der Eindruck eines handwerklich untadeligen Gerichts, das aber viel zu aufdringlich an dieser Stelle gerät und die bisweilen noch fehlende Reife des jungen Chefs erahnen lässt. Als Begleitung kredenzt man außerdem einen Cocktail von Banane und Limette, der trotz seiner fraglos vorhandenen Qualität schließlich zum Overkill führt.

Zum Glück gerät der nächste Gang wesentlich herber und weniger belastend: bei gebeizter und abgeflämmter Forelle ist die Küche wieder eher in vertrauten Gefilden angekommen, zumal sich der Waldorfsalat (der hier mit mariniertem Staudensellerie veredelt wird) als erstaunlich passender Begleiter entpuppt. Walnüsse sowie ein knalliger Apfelsud und etwas Apfelgel sorgen für Biss und belebende, säurebetonte Erfrischung in einem aromatisch dichten, aber in etwas engen Grenzen verhafteten Geschmacksbild. Zusammen mit Apfelsaft von Streuobstwiesen aus dem Hause Van Nahmen gelingt dieser Gang jedenfalls um einiges besser als sein Vorgänger.

Noch stärkere Eindrücke hinterlässt das Stubenküken, das hier in gleich mehreren Texturen interpretiert wird: als sous vide gegarte und kurz gebratene Brust, dann als confierte Keule und schließlich als kross frittierte Haut. Angenehme Schärfe verleihen gegrillter junger Lauch sowie eine Topinambur-Schlaufe mit herzhafter Tapioka-Koriander-Füllung. Der asiatisch inspirierte aufgegossene Sud bringt nicht nur leichte Würze, sondern auch Spitzen von Zitrusfrüchten ins Spiel, die aus diesem optisch harmlos anmutenden Gang einen recht komplexen Teller machen, dessen Wirkung allerdings trefflich gelingt. Fraglos der bisher beste Gang des Abends, obwohl der trockene alkoholfreie Rivaner-Traubensaft vom Weingut Kallfelz an der Mosel für meine Begriffe kein idealer Begleiter ist, da er für dieses Gericht zu wenig Körper hat.

Wohltuende Reduktion und Fokussierung auf das Wesentliche gibt es beim letzten Gang vor dem Hauptgericht zu bestaunen: der Blickfang ist natürlich der von einem krossen Brikteig ummantelte und wunderbar saftige Steinbutt, der ganz puristisch auf einem Bett von mit klein gestoßenen Haselnüssen verfeinerten Blattspinat ruht. Dazu gibt man lediglich noch ein paar dünn gehobelte Scheiben Champignons, et voilà: fertig ist ein schnörkelloses, aber dadurch eher noch faszinierenderes Erlebnis, das seine Wirkung aus der Schlichtheit und der Konzentration auf den reinen Wohlgeschmack bezieht. Gerade die verschiedenen Konsistenzen sind zweckdienlich eingesetzt und machen sich beim Biss angenehm bemerkbar. Der seidige Schaum von Beurre blanc sowie der alkoholfreie Riesling aus dem Hause Van Nahmen als flüssiger Begleiter runden dieses wunderbare Wohlfühlgericht würdig ab. Exzellent!

Die etwas unsteten Eindrücke vom Beginn gewinnen beim Hauptgericht wieder die Oberhand, denn trotz gegenteiligen Anscheins ist das erneut sous vide gegarte Presa vom Iberico-Schwein leider recht trocken und etwas ausdruckslos, während die geschmorte Schulter (wenn ich mich recht erinnere) besser abschneidet. Auch die Begleitung mit Mais, wildem Spargel und Kartoffel wirkt auf mich letztlich zu beliebig, um eine Langzeitwirkung im Gedächtnis zu entfalten. Das ist bestenfalls ein solide inszenierter Hauptgang mit kleinen handwerklichen Mängeln, aber keinesfalls mehr. Morellenfeuer von Van Nahmen ist hingegen fraglos ein ausgezeichneter Begleiter.

Als Pré-Dessert streut die Küche eine höchst ungewöhnliche Idee ein: auf einem Kirschkomptt thront ein Tannenwipfeleis, das mit Waldmeisterstaub garniert ist! Das klingt gleichermaßen exotisch und gewagt, aber das Kalkül geht weit besser als erwartet auf. Der herbe und dennoch erstaunlich frische Einschub bringt die Geschmackspapillen nochmals auf Betriebstemperatur, zumal die aromatischen Eindrücke so ungewohnt sind: wer hat schon jemals Tannenwipfeleis in der Eisdiele bestellt? Und wenn doch, wer hat es dann auch tatsächlich serviert bekommen? Sprich: eine toll umgesetzte, individuelle Idee mit viel Potential für Neugierige. Andererseits ist spätestens nach dieser Überraschung auch klar, dass eine einheitliche Stilistik bislang noch nicht sehr ausgeprägte Formen angenommen hat. Na gut, mit dieser Achterbahnfahrt wird man wohl leben müssen – das sei der jugendlichen Unbekümmertheit des Chefs zuzuschreiben!

Auch der offizielle Ausklang vermag vollkommen zu überzeugen: lediglich drei Komponenten werden hier in ausgelassener Heiterkeit in den unterschiedlichsten Konsistenzen und Texturen präsentiert. Was die Küche lediglich aus Joghurt, Sauerampfer und Erdbeere kreiert, ist phantasievoll und überaus wohlschmeckend – und dabei um einiges bekömmlicher als der erste Gang mit der zu süß geratenen Leber. Baiser, Früchte, Sponges, Eis, Espuma und geeiste Joghurtperlen lassen keine Sekunde lang irgendwelche Langeweile aufkommen – ein wundervolles Finale! „Rosenzauber“ von Jörg Geiger ist ein angemessen spritziger Begleiter dieses sommerlich leichten Desserts, das vor allem durch den Sauerampfer ungemein aufgewertet wird.

Die Petits fours halten das Niveau hoch und runden den Abend angemessen ab: unten zwei Schokoladenpralinen mit Füllung von Baileys und Banane bzw. Sauerkirsch und Ingwer. Dahinter von links nach rechts Gelée von Blutorange, ein Schokotörtchen mit Maracuja und und ein Cheesecake mit Himbeere.

Serviceleiterin Maren Stegmaier gehört fast schon zum Inventar des Hauses und geleitet gewohnt sicher und mit einer guten Prise Humor durch den Abend. Ihre Kollegin agiert ungleich sachlicher, aber objektiv gibt es auch an ihrer Leistung nichts zu beanstanden. Die fair bepreiste Getränkeauswahl erschien mir fast immer schlüssig und wertete so manches Gericht abermals um ein gutes Stück auf.

Die gezeigten Darbietungen der Küche gerieten erwartungsgemäß dagegen etwas unsteter, was angesichts des Lockdowns und des Neubeginns mit einem jungen Chef nicht so verwunderlich sein sollte. Die meisten Gerichte vermochten durch solides Handwerk oder schöne Einfälle (im besten Fall natürlich beides) zu überzeugen, während die Dramaturgie des Menüs speziell aufgrund des ungeschickten Einstiegs noch Luft nach oben lässt. Mit einem Christoph Hormel als Mentor an der Seite ist allerdings davon auszugehen, dass dem jungen Chef Benedikt Wittek in Zukunft solche Missgriffe immer seltener passieren werden und das Siedepunkt vielleicht schon bald wieder an die besten Zeiten anknüpfen kann. Die meisten Gäste scheinen ja jetzt schon wieder sehr zufrieden mit dem gebotenen Niveau zu sein, so dass es dem nur an drei Tagen geöffneten Lokal in naher Zukunft so oder so nicht an Gästen fehlen dürfte. Es lohnt sich mit Sicherheit, dieses Etablissement weiterhin im Auge zu behalten, selbst wenn nun ein temporärer kleiner Rückschritt fast schon unvermeidlich erschien. Bekanntlich muss man jedoch auch mal einen Schritt zurück gehen, um dann zwei Schritte vorwärts machen zu können. Vor diesem Hintergrund will ich die aktuellen Eindrücke daher auch nicht überbewerten, da in diesen merkwürdigen Zeiten viele Lokale mit ganz anderen Widrigkeiten als nur der Küchenleistung selbst zu kämpfen haben (unterbrochene Lieferketten oder neue Servicekräfte beispielsweise). Vom Siedepunkt war diese Leistung somit schon noch ein gutes Stück entfernt, aber gemäß dem Eingangszitat des römischen Geschichtsschreibers Sallust ist der schwierigste Teil ja schon erledigt! Das sollte doch Mut machen …

Mein Gesamturteil: 16 von 20 Punkten

 

Siedepunkt
Eberhard-Finck-Straße 17
89075 Ulm
Tel.: 0731/9271666
www.siedepunkt-restaurant.de

Guide Michelin 2021: *
Gault&Millau 2021: 16 Punkte
GUSTO 2020: 7 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 2,5 F

6-gängiges Menü: € 115

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„Ganz und gar man selbst zu sein kann schon einigen Mut erfordern.“ (Sophia Loren)

UPDATE (November 2020)

Nun dauerte es entgegen meiner ursprünglichen Ankündigung doch fast drei Jahre, bis ich wieder hier aufkreuzte. An der Qualität der Premierendarbietung von damals lag es bestimmt nicht, sondern eher daran, dass Ulm in letzter Zeit eher selten auf meinen Routen lag, obwohl es von der Ostalb nicht so weit weg ist. Umso größer war jedenfalls die Vorfreude, denn das Lokal gehörte schon damals gemäß meiner Einordnung zu den am meisten unterschätzten Restaurants in Württemberg – und es stand kaum zu befürchten, dass das ehrgeizige Team rund um Küchenchef Christoph Hormel seither nachgelassen hatte. Im Gegenteil: im Siedepunkt gönnt man sich relativ viele und ausgiebige Kreativpausen, doch kommt dies der Qualität auch spürbar zugute. Im Sommer hatte das Lokal eine temporäre Dépendance in Oberschwaben eröffnet, die dem Vernehmen nach auch sehr gut angenommen wurde. Außerdem war schon beim ersten Mal trotz noch relativ niedriger Bewertungen in den Profi-Guides auch der Service sehr beachtlich: zu einer aufmerksamen Leistung gesellten sich außerdem mehr als akzeptable Nebenkosten für die Getränkebegleitung, so dass unterm Strich schon damals ein bemerkenswerter Besuch stand.

Wir hoffen also auf eine Wiederholung – wobei meine Begleitung diesmal ein noch relativ wenig erfahrener Bekannter ist, der aber durchaus nach und nach an gelegentlicher Haute Cuisine Gefallen zu finden scheint. Der Routinier in mir ist erfahrungsgemäß etwas schwerer zu begeistern, doch wenn es gelingt, dann fällt diese Begeisterung oftmals umso intensiver aus. Man führt uns durch das nach wie vor relativ dunkel gehaltene Restaurant vorbei an dem gläsernen Weinschrank (ein echter Hingucker) zu unserem Platz in einer der drei Nischen. Ein Menü mit sechs Gängen – in Vor-Corona-Zeiten waren es meist noch acht – sowie eine vegetarische Variante bietet man hier derzeit an. Wir entscheiden uns beide für das „normale“ Menü (€ 130) und sind gespannt, zu welchen Höhenflügen die Küche ansetzen wird.

Den Abend leitet die Küche zu einem PriSecco von Jörg Geiger (Apfel, Birne, Heublume) mit drei kleinen Amuses ein: links ein mit Tomate und Thymian verfeinertes Fenchel-Granité, rechts ein Bleni mit Matjes und in der Mitte schließlich Gänseleber mit Brombeere und Walnuss uin einer Teigtasche. Speziell der eigentümliche Geschmack des Fenchels kommt in dem erfrischenden Granité erstaunlich gut zum Tragen, während die säuerlichen Aromen des Matjes eine schöne Variante dazu darstellen. Etwas verloren wirkt auf mich dagegen die Gänseleber in diesem Umfeld, die ein wenig ausdruckslos bleibt und mit ihrer süßen Interpretation keine Verbindung zu den beiden anderen Petitessen herstellen kann.

Die Brotauswahl bietet mit drei Sorten (Baguette, Tomate und Speck) sowie Salzbutter und Kräuteraufstrich eine ordentliche Auswahl an, der wir gerne mehrfach und ohne Reue im Laufe des Abends zusprechen.

Das warme Amuse bouche setzt voll und ganz auf bewährte Kombinationen, doch das Ergebnis gibt der Küche ja auch recht: gebackene Kalbskopfpraline mit Kartoffelcrème und Steinpilzjus ist ein durch und durch herbstliches Gericht, das auf aromensatte Wucht und intensive erdige Aromen setzt und damit alles richtig macht, zumal das Fleisch schön mürb geraten ist. In Summe ein typisches Wohlfühlgericht, an dem es nichts auszusetzen gibt. Wunderbar!

Eine etwas bissfeste, auffallend kühle und mit Pistazie veredelte Terrine von Entenleber (die die Küche allerdings nur als „Ente“ auf der Karte deklariert und damit möglicherweise manchen Gast auch unangenehm überrascht, wenn dieser eine Aversion gegen dieses Produkt hegt) kombiniert die Küche mit Preiselbeere und Beerenauslese. Auf der Karte nicht erwähnt sind aber die eigentlichen Highlights auf dem Teller, nämlich das Eis und insbesondere die Innereien-Crème, die sich in der mit Zartbitter-Schokolade ummantelten Kugel versteckt. Das Mini-Brioche (nicht im Bild) ist untadelig, während der Hauptteller trotz einiger herber Kontraste eher auf der süßen Seite abschneidet. In Summe ist dies ein Gang, dem eine gute Idee zugrunde liegt, der aber noch etwas Feintuning vertragen könnte und somit nicht restlos überzeugt – ganz im Gegensatz zum Scheurebe-Saft aus dem Hause Van Nahmen, der zu meinen unumschränkten Favoriten zählt. Wir vermuten später zudem, dass das Eis absichtlich leicht zerlaufen ist, weil sich dies beim Dessert nochmals wiederholen sollte.

Saibling, Apfel und Avocado klingt nach einer harmlosen Ankündigung, doch hier ist die Küche wieder ganz bei sich: der mit Koriander, Ingwer und Chili verfeinerte Apfelsud bildet ein säurebetontes Fundament für dieses komplexe Gericht. Der Apfel wird hier zwar in vielen Varianten durchdekliniert (Gel, Stifte und Apple-Blossom-Blüten), doch kommt der gebeizte Hauptdarsteller dennoch schön zur Geltung, zumal etwas Ceta-Kaviar noch weitere Abwechslung ins Spiel bringt. Ein höchst außergewöhnlicher Begleiter zu diesem ohnehin individuellen Gang ist weisse Fichten-Cola aus dem Hause Dr. Filler, die mit ihren Nadelholzaromen fast ein Konzentrat für einen Aufguss in der Sauna darstellen könnte – das Kalkül geht jedoch auf, weil dieses herbe Aroma einen gelungenen Kontrapunkt zu der fruchtigen Säure darstellt. Ohne den Fisch hätte diesem Gang fast ein Overkill an Säure gedroht, aber so wie es war blieb alles in einer wohltuenden Balance.

Zumindest optisch gerät der nächste Gang weniger komplex, was aber nicht bedeutet, dass Dorade, Bulgur, Salzzitrone und Fenchel leicht zu durchschauen oder gar langweilig geriete. Die wunderbare sanft gegarte und saftige Dorade ist nämlich mit einer Garnelenfarce und Basilikum ausstaffiert worden, wobei letzteres Produkt auch die Basis für die leichte Sauce bildet, der es jedoch keineswegs an aromatischer Kraft mangelt. Der leicht bissfeste Bulgur ist von idealer Konsistenz und ergänzt sich vorzüglich mit dem marinierten Fenchel obenauf. Mehr als diese wenigen, aber ausdrucksstarken Begleiter braucht es nicht, um ein Gericht mit Langzeitwirkung sowohl im Gedächtnis als auch am Gaumen zu kreieren. Spätestens jetzt hatte die Küche wieder ihre volle Leistungsstärke abgerufen. Als Einfall der besonderen Art erweist sich auch der flüssige Begleiter, diesmal in Form von heißer Zitrone mit Ingwer und Honig, denn die sanfte Schärfe des Ingwers bereichert das ohnehin treffliche Gericht abermals. Vorzüglich!

Wenn man dem nächsten Gang etwas vorwerfen kann, dann ist es allenfalls eine gewisse Ähnlichkeit bei den verwendeten Produkten und Texturen im Vergleich mit dem Gang zuvor. Ansonsten gerät der kross auf der Haut gebratene Wolfsbarsch absolut exemplarisch, doch auch die in Mehl gewendeten und dann frittierten Calamaretti erweisen sich als prächtige Begleiter. Karottenflan und in Chili marinierte Melone als fruchtig-vegetabile Begleitung verleihen diesem starken Gericht wohltuende Leichtigkeit, wenngleich der Karottensud gerne etwas wärmer hätte geraten dürfen. Dennoch kompensiert die wunderbare Balance dies mehr als ausreichend, zumal Riesling aus dem Hause Van Nahmen ein gern gesehener Begleiter ist.

Nun aber Bühne frei für das Hauptgericht: Barbecue mag – zumal in einerm Sternerestaurant – sicherlich nicht nach jedermanns Geschmack sein, doch wenn man seine Vorbehalte diesbezüglich erst einmal überwunden hat, dann belohnt einen dieses Hauptgericht fürstlich. Machen wir es kurz: das 48 Stunden bei Niedrigtemperatur gegarte, dann mit BBQ-Lack eingepinselte und schließlich kurz (aber kräftig!) gebratene US Short Rib ist eine Umami-Bombe allerersten Ranges. Angesichts der Aromenfülle und des unbeschreiblich mürben Fleischs mit seinen wunderbar tiefen Aromen ringt mein Begleiter fast schon um die Contenance: so umwerfend gerät auch das Bouquet an herbstlichen Begleitern, dass man mit Fug und Recht von einem praktisch perfekten Gericht sprechen kann. Diverse Pilze, darunter auch Kräutersaitlinge und solche Exoten wie Krause Glucke, sowie geräucherte Süßkartoffelcrème und schön glasige Zwiebeln lassen in uns die Erkenntnis reifen, dass die Küche hier aus gutem Grund das Gaspedal voll durchgedrückt hat und ein Hauptgericht von kompromissloser Wucht geschaffen hat. Passend dazu auch Morellenfeuer aus dem Hause Van Nahmen – ein kaum weniger zurückhaltender und strammer Begleiter. Ich witzle danach ein wenig über die unbändige Begeisterung meines Begleiters und schlage ihm folgenden fiktiven Tagebucheintrag vor:
„Habe soeben das beste Fleisch meines Lebens gegessen – bin jetzt bereit zu sterben!“

Eine kleine (und verständliche) Auszeit genehmigt sich die Küche beim Pré-Dessert aus Walnuss, Zwetschge, Ziegenkäse und Kürbis-Espuma. Einerseits ist es überraschend festzustellen, wie elegant die Noten von Ziegenkäse hier eingebettet wurden – andererseits aber auch ernüchternd, anmerken zu müssen, dass dieser Einschub dringend einen krossen Texturgeber vertragen hätte, der der ausgesprochen weichen und wenig trennscharfen Konsistenz etwas entgegengesetzt hätte. Daraus hätte man mehr machen können, doch nach diesem Hauptgang würden wir der Küche inzwischen vieles verzeihen!

Beim Dessert verquickt die Küche Erdnuss und Banane, die klar im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Das mit Erdnusscrème gefüllte und mit Schokoladenpulver ummantelte Törtchen erweist sich als ausdrucksstarker Bestandteil, dem fruchtige Komponenten wie Mango und eben Banane in einer heiter-ausgelassenen Fülle an Texturen und Konsistenzen ausgesprochen gut zu Gesicht stehen. Bemerkenswert an diesem Gericht sind jedoch auch die zweckdienliche Optik, die nie vordergründig gerät, und die geistige Durchdringung, mit der all dies in eine feinsinnige Balance trotz sparsam dosierten Karamells ohne allzu plakative Süße gebracht wurde. Ein entwaffnend leichter und ausgesprochen bekömmlicher Begleiter ist der dazu verabreichte Chai Latte.

Ausruhen ist zudem erst nach den Petits fours angesagt, denn das allgemeine Niveau wird bei Fiorentiner, Himbeer-Macaron, Cassis-Gelée, weißer Praline mit Mango und Maracuja sowie schwarzer Praline mit Birne, Zimt und Kardamom nochmals locker bestätigt.

Man könnte nicht unbedingt von einer besonders homogenen Küchenleistung an diesem Abend sprechen, doch nach dem vergleichsweise verhaltenen Start legte die Küche eine ordentliche Schippe drauf und zeigte durchaus eindringlich, was sie zu leisten imstande ist. Sieht man einmal vom Pré-Dessert ab, dann war spätestens ab dem dritten Gang die volle Leistungsstärke erreicht und auch bis zum Ende durchgehalten worden. In ihren stärksten Momenten weiß die Küche somit längst mehr als nur zu gefallen, sondern auch voll zu überzeugen, zumal sie bereitwillig Wagnisse in Kauf nimmt, die andere Lokale schlichtweg ablehnen würden – nirgends wurde dies deutlicher als beim Hauptgericht, wo klassische Tugenden wie Demut, Eleganz und Zurückhaltung komplett verworfen wurden. Stattdessen wurde unser Adrenalin regelrecht zum Siedepunkt getrieben, doch büßen mussten wir dafür keinesfalls. Ein derart aus der Reihe tanzendes Hauptgericht aufzutischen erfordert nicht nur Mut, sondern auch großes Können, da ein solches Wagnis, wenn es schief gehen sollte, umso gnadenloser zerrissen wird. All dies ist jedoch nicht geschehen, da Christoph Hormel und sein Team inzwischen offenbar sehr gut einschätzen können, wie weit sie gehen dürfen und was sie ihren Gästen zutrauen (oder zumuten?) können. Doch selbst ohne die in jeder Hinsicht extreme Erfahrung des Hauptgangs komme ich kaum umhin, der Küche für ihr geschärftes Profil und ihre Art, heitere Gerichte zu kreieren, ein großes Lob auszusprechen.

Serviceleiterin Maren Stegmaier hielt dem Lokal glücklicherweise die Treue und leitet mit Hilfe einer weiteren Kellnerin sicher und leichtfüßig durch den Abend. Stilsicher werden alkoholfreie Getränke zum Menü angeboten und ausgiebig erläutert. Außerdem kann der Service kompetent auf Nachfragen antworten und trägt somit ganz erheblich zum Gelingen dieses Abends bei.

Alles in allem geriet der Abend über weite Strecken sehr überzeugend und bisweilen überraschend anders. Da dieses Erlebnis auch noch zum mehr als angemessenen Preis (samt stimmiger und unbedingt empfehlenswerter Getränkebegleitung) zu haben ist, sollte ein Abstecher ins östliche Württemberg nicht ohne eine Stippvisite hier auskommen. Ich verspreche mir jedenfalls noch einiges von diesem Lokal und werde die Entwicklung weiterhin genau beobachten!

Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten

 

Siedepunkt
Eberhard-Finck-Straße 17
89075 Ulm
Tel.: 0731/9271666
www.siedepunkt-restaurant.de

Guide Michelin 2020: *
Gault&Millau 2020: 16 Punkte
GUSTO 2020: 7 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 2,5 F

6-gängiges Menü: € 130

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Januar 2018

An einem nasskalten Winterabend mit Schneegestöber macht sich unsereins nach Ulm auf: sein Ziel ist ein Restaurant, das durchaus (noch) Geheimtipp-Status genießt, denn seit diesem Jahr besitzt die Münsterstadt ein zweites Etablissement, das sich nun mit einem Michelin-Stern und 15 Gault&Millau-Punkten zieren darf. Kurioserweise liegt auch dieses – genau wie das LAGO – fast 10 Fahrminuten vom Zentrum entfernt. Das Lokal in Ulm-Böfingen ist Teil eines von außen völlig unscheinbaren Hotelkomplexes einer bekannten Hotelkette und dürfte eher selten Zufallsgäste anlocken – wer hier anreist, weiß in der Regel ganz genau, warum er gerade hier gelandet ist. Allerdings wäre für just diese Zufallsgäste zumindest offenbar unter der Woche durchaus noch genug Platz vorhanden, denn an diesem Dienstagabend waren außer meiner Wenigkeit nur noch fünf weitere Personen sowie zwei Mädchen im Alter von ca. zehn Jahren an einem der anderen Tische versammelt. Gleich hier sei dem Service, von dem später noch detailliert die Rede sein wird, ein Kompliment ausgesprochen, denn der Service ging ausgesprochen freundlich mit den kleinen Gästen um, was in diesem gehobenen Segment beileibe keine Selbstverständlichkeit ist. Außerdem offerierte man den jungen Damen alternative Speisen auf offenbar hohem Niveau, denn die erwachsenen Begleitpersonen, die es sich nicht nehmen ließen, davon zu kosten, waren davon offenbar mehr als angetan.

Das frisch renovierte Restaurant ist überwiegend in anthrazit und schwarz gehalten, wirkt aber aufgrund der sorgsamen Ausleuchtung keineswegs abstoßend oder düster. Einige der Tische befinden sich zudem in Nischen und erlauben noch mehr Rückzugsmöglichkeiten. Sommers kann man außerdem auf der Terrasse vor dem Restaurant speisen und hat mit etwas Glück tatsächlich Fernsicht bis zu den Alpengipfeln. Aber auch der Innnenbereich punktet beispielsweise mit einem gläsernen, in die Wand eingelassenen Weinschrank, der bereits mit für einen Newcomer unter den Sternerestaurants beachtlichen 130 Positionen bestückt ist. Mindestens genauso überraschend ist, dass der Service eine beachtliche Palette an Säften aus dem Hause Van Nahmen offeriert, was auf diesem vermeintlich noch vergleichsweise bescheidenen Niveau eine echte Rarität ist. Die Tische selbst sind mit einem hellgrauen Tuch bedeckt und ansonsten recht spartanisch eingerichtet, doch in puncto Design scheint hier weniger tatsächlich mehr zu sein.

Ich entscheide mich für den „Rosenzauber“ von Jörg Geiger als Aperitif (wie auch schon letztes Jahr im LAGO, dem anderen Sternrerestaurant von Ulm), zu dem man sogleich die drei ersten kleinen Grüße präsentiert: typische Produktklassiker wie Kalbstatar werden hier mit interessanten Gewürzen wie z.B. einer Zwiebelmayonnaise gepaart und vermitteln auf durchaus ansprechende Weise einen ersten Eindruck davon, worauf der Fokus der Küche liegt.

Der zweite Gruß ist eine kleine Tranche von der Etouffé-Taube in einem Ananas-Curry-Sud, der vor allem aufgrund der Produktqualität durchaus Eindruck schindet. Die Brotauswahl hingegen gerät brav, aber solide. Die zuvor gereichte Karte offeriert ein 8-gängiges Menü, das auf bis zu drei (!) Gänge reduziert werden kann. Zudem fällt auf, dass für das gesamte Menü trotz kostspieliger Viktualien wie Jakobsmuschel, Königskrabbe oder weißem Alba-Trüffel ein Preis von gerade einmal schlappen € 110 gefordert wird. Sollte die Küche nicht gerade gnadenlos enttäuschen, wäre zumindest unter dem finanziellen Aspekt der Abend schon jetzt als gelungen zu bezeichnen. Soviel vorweg: die Küche enttäuschte keineswegs …

Als Vorspeise serviert man Wolfsbarsch, der mit Tomate, Avocado und grünem Apfel umspielt wird. Das optisch äußerst ansprechende Gericht ist filigran durchgearbeitet: neben hauchdünnen Apfelstiften fallen beispielsweise die beiden Sorbets von Strauchtomaten und Apfel sowie der federleichte Sud mit reduzierten Tomatenaromen auf. Der einzige winzige Vorbehalt an dem Gericht ist, dass dem kross auf der Haut gebratenen und exzellenten Wolfsbarsch in dieser Kreation fast eine Statistenrolle zuteil wird – ansonsten absolut gelungen!

Velouté von Miesmuscheln mit gebratener Jakobsmuschel ist ein schön austariertes Gericht mit jodigen Meeresaromen, das eher mit sorgsamer Balance als knalliger Optik punktet – ein absolut solides Gericht mit hohem Wohlfühlfaktor, das niemanden überfordert, aber durchaus Charme hat.

Unumstrittener Höhepunkt des Abends war Dreierlei von der Königskrabbe mit Papaya. Was beim Lesen eher banal oder einfallslos wirken mag, erweist sich als das genaue Gegenteil: ein sensationeller Reigen rund um den Hauptdarsteller mit Langzeitwirkung im Gedächtnis. Zum Hauptteller, auf dem die Krabbe in vietnamesischem Stil gewürzt in einer Art Wrap verarbeitet ist, serviert man zwei weitere Satelliten: der eine Teller als heißes Praliné von der Krabbe in einer superben Curry-Kardamom-Sauce sowie in einer chinesischen Variante mit äußerst delikat ausgearbeiteten Texturen von Papaya und weiteren exotischen Gewürzen. Dieses Gericht hatte durchweg große Klasse und hätte meines Erachtens sogar Tim Raue, dem Berliner Großmeister asiatischer Aromen, zur Ehre gereicht!

Tortellini Carbonara mit weißem Trüffel fuhr die Intensität nach dem Aromengewitter des vorherigen Gangs wieder deutlich herunter – und der Dramaturgie des Menüs tat dies auch spürbar gut. In dieser Neuinterpretation waren die mit Eigelb gefüllten Tortellini von dem leicht geschmolzenem Schinken bedeckt und obenauf mit feinem gehobeltem Alba-Trüffel getoppt, der ausgesprochen gut zur Geltung kam.

Zanderfilet mit Kalbsgraupen und Gulaschsud war sozusagen eine gewagte Interpretation von „Surf ’n‘ Turf“: der mit allerlei Techniken veredelte Gulaschsud drohte dem zarten Fisch ein wenig die Schau zu stehlen und hätte auf keinen Fall intensiver ausfallen dürfen. Trotz allem: das Gericht hatte Biss und punktete mit einer zwar gewöhnungsbedürftigen, aber originellen Idee.

Onglet vom US-Beef mit Roggenbrot und Kresse war ein fast kaltes (aber natürlich so gewolltes) Zwischengericht vor dem Hauptgang. Die nur ganz kurz gebratene Scheiben des Rindfleischs standen im Miittelpunkt der durchaus farbenfrohen Kreation, die eine erstaunliche Fülle verschiedener Techniken, was man so alles aus Kresse machen kann, demonstrierte. Es erinnerte ein wenig an eine Brotzeit mit kaltem Roast Beef, wenngleich das Brot nicht so serviert wurde wie erwartet, sondern in dekonstruktivistischer Form auf dem Teller verarbeitet und neu zusammengefügt wurde.

Rücken vom Salzwiesenlamm mit nordafrikanischen Aromen war weitaus opulenter gestaltet als zunächst erwartet. Das bretonische Grundprodukt war durchaus kräftig gebraten, strotzte aber dennoch vor wohltuendem Saft. Der eigentliche Clou waren jedoch die diversen Türmchen, die den Hauptdarsteller flankierten: Aromen von Pilzen und Artischocken verliehen dem Gericht eine wohltuende Vielfalt. Zusätzlich steuerte auch Couscous weiteres afrikanisches Kolorit bei – überhaupt fiel spätestens hier das Faible der Küche für außereuropäische Gewürze auf. In der Menükarte wurde es übrigens sinngemäß so formuliert, dass der Fokus bei den Produkten durchaus in der Heimat liegt, aber dort, wo es sinnvoll erscheint, der Blick auch weiter hinaus schweift. Das war an diesem Abend dann ziemlich oft der Fall …

Als Pré-Dessert gab es eine ansprechende Grieß-Flammerie mit einem Mango-Passionsfrucht-Eis in einem Sud aus Ananaswürfeln und Curry.

Das eigentliche Dessert Süßes von Roter Bete, Blutorange und Himbeeren war ein hochkomplexes Spiel unterschiedlichster Aromen rund um die Farbe rot, die den Teller auf knallige Art und Weise dominierte. Dass man inzwischen sogar schon für Desserts Gemüse sous vide gart und damit neue Geschmacksbilder erzeugt, war vielleicht die größte Überraschung an dieser Kreation. Die fast schon wuchtigen Aromen wurden in ihrer Intensität durch die Vielfalt an geschmacklichen Nuancen zum Glück etwas abgefedert, denn ansonsten wäre dieses keineswegs schlechte Gericht doch zu massig geraten. Die Petits fours halten das Niveau ebenfalls hoch: eher Klassischem wie gefüllten Pralinen oder Mini-Fiorentiner wird Exotisches wie ein Minze-Macaron zur Seite gestellt.

Die komplett schwarz gekleidete Serviceleiterin Maren Stegmaier und ihr Kollege, der auch als Sommelier fungiert, machen einen absolut souveränen und untadeligen Job. Die weniger erfahrenen Gäste am anderen Tisch waren jedenfalls nicht nur von den Kreationen angetan, sondern auch von der für sie offenbar unerwarteten Lockerheit und Weinkompetenz des jungen Weinkellners – aber auch der „alte Hase“ hatte nichts zu beanstanden, zumal man mir auch noch Lektüre für die Zeit zwischen den Gängen offerierte.

Der mir zuvor völlig unbekannte Küchenchef Christoph Hormel hat binnen kurzer Zeit eine kulinarische Handschrift entwickelt, die ein ausgeprägtes Interesse an asiatischen Gewürzen an den Tag legt und subtil einzusetzen versteht. Dabei kommt Bewährtes gleichermaßen zu seinem Recht wie Neuartiges – eine spannende Herangehensweise für eine stets zeitgemäß und charmant wirkende Küche. Alles in allem kommt dies dem „Fusion“-Stil schon ziemlich nahe, doch selten habe ich ihn derart überzeugend umgesetzt wahrnehmen dürfen. (Abgesehen davon: wer es lieber etwas konservativer mag, kommt im Zweitrestaurant „100 Grad“ ebenfalls auf seine Kosten.)

Die Rezension mag verdeutlichen, dass das Siedepunkt praktisch ein ideales Etablissement für Neueinsteiger in die Haute Cuisine darstellt. Man muss es so deutlich aussprechen: das Menü wies nicht ein einziges schwaches oder missratenes Gericht auf und überraschte mich über die Maßen auf positive Weise. Das Siedepunkt hätte definitiv mehr als die lediglich acht Gäste an diesem Abend verdient, denn es sollte meines Erachtens nicht mehr lange dauern, bis der Gault&Millau und Co. ihre Wertungen wieder anheben. Das Gebotene war jetzt schon definitiv mehr als 15 Punkte wert, da allein das unvergessliche Krabbengericht schon den Besuch lohnte. Wer weiß, wie lange dieses Restaurant dann noch ein Geheimtipp bleiben wird …?

Bedenkt man dann noch, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis unglaublich gastfreundlich kalkuliert ist, dann sollte es keine Ewigkeit mehr bis zum nächsten Besuch dauern, zumal Ost-Württemberg nicht so viele herausragende Adressen anbieten kann und ja erst allmählich aus dem kulinarischen Dornröschenschlaf erwacht.