Sterneck*, Cuxhaven

Juni 2019

Das Angebot an Haute Cuisine ist im nördlichen Niedersachsen bereits ohnehin recht überschaubar – zu allem Überfluss erkannte der Guide Michelin nun auch noch im Februar 2019 dem Sterneck in Cuxhaven als einziges bisher zweifach besterntes Restaurant weit und breit einen der beiden Sterne ab. Dieser in den vergangenen Jahren höchst selten erfolgte Schritt (dem auch der Schlossberg in Baiersbronn diesmal zum Opfer fiel – siehe meinen Bericht) weckte zugegebenermaßen meine Neugier, da ein Urlaub in der Region ohnehin geplant war.

Chefkoch Marc Rennhack kocht hier seit vielen Jahren im Badhotel Sternhagen im mondänen Cuxhavener Ortsteil Duhnen auf, von wo aus der Blick weit über die Nordsee zur Insel Neuwerk reicht. Weitgehend unbeachtet von Presserummel handelt es sich beim Sterneck um eines dieser Lokale, über das Auswärtige in der Regel kaum Bescheid wissen – meine Wenigkeit inklusive. Der Weg zum Restaurant führt durch das rustikale und etwas angestaubt wirkende Foyer des Hotels, das inzwischen doch ein Facelifting ganz gut vertragen könnte (was erst recht für die schon leicht rissige und nicht gerade saubere Außenfassade des Hotels gilt). Vorbei an zwei „gewöhnlichen“ Speisesälen für weniger anspruchsvolle Hotelgäste führt der Weg schließlich in die hintere Ecke ins kleine Gourmetlokal mit den großflächigen Fenstern. Das maritim und stilsicher eingerichtete Restaurant punktet natürlich mit seiner phänomenalen Aussicht, doch der Inhalt der Teller muss eben auch passen. Hatte der Guide Michelin nun recht oder nicht?

Zur Auswahl stehen zwei verschiedene Menüs: das 7-gängige Menü „Sterneck“ für € 180 sowie ein rein vegetarisches 6-gängiges Menü namens „Neuwerk“, das der vorgelagerten Insel gewidmet ist. Wir entscheiden uns für die erste Option und bekommen zum Einstieg neben einem alkoholfreien Sekt eine recht bunte Palette an Einstimmungen vorgesetzt. Ein kleines Kalbsfilet, das zusammen mit etwas Schinken in einem Lauchmantel daherkommt, weiß dabei genauso zu gefallen wie die Auster, die allerdings gewöhnungsbedürftig mit etwas Curry und Kiwi-Crunch veredelt ist. Weniger überzeugt eine gewagte Komposition im Glas mit Spargel, Grapefruit und Parmesanschaum, denn der Schaum ist nahezu geschmacksneutral. Ein Lob dagegen verdient die reichhaltige Brotauswahl, die zudem mit interessanten Aufstrichen offeriert wird: neben einer klassischen Salzbutter findet man dort auch Ungewöhnliches wie eine Brombeer-Sellerie-Crème oder einen Aufstrich aus Aprikose, Ingwer und Curry. Das Amuse schließlich kombiniert Seeteufel mit Huhn, Melone, Pilzen und Zucchini – was exotisch klingt, erweist sich zwar als optisch schön, aber geschmacklich weniger überzeugend. Ich denke, eine stärkere Fokussierung auf das Grundprodukt hätte diesem überladenen Teller gut getan, denn ein wirklich schlüssiges Aromenbild wollte hier nicht entstehen.

Hätte die Küche zum ersten Gang die Fjordforelle lediglich mit den annoncierten Komponenten Fenchel, Sake und Orange kombiniert, dann hätte die bildschöne Komposition vielleicht mehr überzeugt. Stattdessen sorgen weitere Komponenten wie Radieschen und Wasabi leider für einen diffusen Geschmack, bei dem der Kampf zwischen säuerlichen und scharfen Aromen im Mittelpunkt steht. So stand unterm Strich ein Gericht mit unklarer geschmacklicher Aussage, in dem die Forelle leider (zu Unrecht) unterging, denn deren Zubereitung war tadellos und das Beste an diesem Gang, der ansonsten überfrachtet und nicht sehr durchdacht wirkte. Schade!

Auch der nächste Gang vereint auf engem Raum weit mehr Komponenten als nur Langostino, Schweinebauch, Petersilie und Pak Choi. Die offenkundige Vorliebe des Kochs für Schäume und sonstige wenig bissfeste Komponenten führt auch hier dazu, dass die Aromen in dieser ohnehin schon gewagten Kombination noch weniger zur Geltung kommen, weil sie unter dem Schaum alles andere als trennscharf zur Geltung kommen. Auch hier verdient die isolierte Betrachtung der Komponenten und deren Zubereitung absolut ein Lob, aber in Kombination will sich (jedenfalls meiner Auffassung nach) einfach keine echte Harmonie einstellen.

Es ist fast schon bezeichnend, dass der bis dahin puristischste Gang des Abends am meisten überzeugt: auch hier spart die Küche nicht mit knalliger Optik, doch diesmal steht die Rotbarbe mit ihrer wunderbar krossen Haut viel stärker im Mittelpunkt des Geschehens. Pulpo, Kohlrabi und Strandastern halten sich diesmal dezent zurück und gewähren dem Hauptdarsteller allen Platz zur aromatischen Entfaltung. Außerdem sind die Aromen diesmal viel subtiler ausgelotet und weniger stark durch unnötige Elemente kaschiert. Auch dieser Gang wäre von der Optik her absolut instagram-tauglich, doch geschmacklich übertrifft er die beiden Gänge zuvor klar.

Steinbutt wird als nächstes mit dem spanischen Schinken Cecina de León, Aubergine und Holunderblüte gepaart. Die recht exotische Kombination funktioniert besser als gedacht, doch wenn die Küche irgendwann mal auf aromatisierten Schaum auf dem Teller verzichten könnte, dann würde dies der Ausdruckskraft des Gerichts zu mehr Gewicht verhelfen. Warum die Qualität so guter Grundprodukte (die noch dazu durchgehend makellos zubereitet sind) hier ständig durch Effekthascherei verwässert werden muss, erschließt sich mir nicht. Auf Dauer ist das ohne kulinarischen Mehrwert vorhersehbar und langweilt eher.

Der nächste Gang kommt – man glaubt es kaum – ohne Schaum aus und könnte sich als der beste des Abends erweisen: Riebelmais-Poularde bekommt durch Spargelspitzen und Sojasauce eine ungewohnt delikate Note. Allerdings tummelt sich auf dem Teller auch noch eine Estragon-Sauce, deren recht bittere Aromatik wohl mit der Poularde harmonieren soll, aber im Verbund mit Soja und Spargel mir zu aufdringlich scheint. Nicht unerwähnt bleiben soll allerdings, dass dies mit Abstand der übersichtlichste Gang des Abends ist – und damit ist nicht die Menge auf dem Teller gemeint.

Als Erfrischung vor dem Hauptgang streut die Küche ein erfrischendes Gurke-Melone-Süppchen ein, das mit aromatisiertem Sakeschaum bedeckt ist – belebend und gut.

Der Hauptgang, bestehend aus Maibock, Spitzkohl, Dörrkirschen und Pfifferlingen, gehört zu den stärksten Eingebungen des Abends. Dieser Gang kommt weitgehend ohne Schnörkel aus, verfremdet die Zutaten auch weniger stark und stellt den exzellenten Maibock mit seinen intensiven Röstaromen klar ins Zentrum des Geschehens. Von Tellern dieser Art hätte ich mir jedenfalls an diesem Abend mehr gewünscht.

Ein und dasselbe Dessert wird hier originell auf zwei Arten interpretiert: Erdbeere, Popcorn, Waldmeister und Joghurt. Im ersten Teil werden die Zutaten (wieder einmal) recht stark verfremdet und verstecken sich unter einer kreisrunden Anordnung, die mit einer Art Mais-Crumble bedeckt ist. Daraus ragen Waldmeister-Blätter heraus, während ein Joghurt-Eis und Erdbeergel sich darunter verbergen. In der zweiten Variante sind die verwendeten Komponenten deutlicher erkennbar und zu einem Arrangement angeordnet, in dem Erdbeer-Segmente und Joghurteis mit Waldmeister-Blättern und Maisbaiser den Ton angeben. Nach der ersten Variante, die sich als die originellere erweist, hat die zweite Variante nicht mehr so viel Reizvolles zu bieten, obwohl sie durchaus einen gewissen Charme hat. Geschmacklich passiert allerdings nicht mehr viel Neues im zweiten Teil, so dass unterm Strich ein durchschnittliches und teils leicht fassbares Dessert steht, das eher aufgrund seiner Optik im Gedächtnis haften bleibt. Ob ein Versäumnis des Service daran schuld war, dass es keine Petits fours mehr gab oder dies einfach nicht in diesem Haus üblich ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich tippe eher auf die erste Theorie, doch angesichts der fortgeschrittenen Stunde fiel dies auch nicht wirklich ins Gewicht.

Der durchweg weiblichen Servicebrigade um Restaurantleiterin Anika Nührenberg kann man eine solide und aufmerksame Leistung bescheinigen. Individuelle Momente, die dafür sorgen, dass eine Serviceleistung lange im Gedächtnis verankert wird, gab es indes auch keine. Für die Wohlfühlatmosphäre ist in erster Linie der tiefenentspannte Blick aus den großen Panoramafenstern verantwortlich, während der Service eine durchschnittliche Leistung für ein Sternerestaurant abruft.

Amüsiert lauschten wir der Runde am Nebentisch, wie etwa die Aberkennung des zweiten Sterns hier als völlig unangemessen und beispielsweise ein Besuch bei Steinheuer (siehe meinen Vorgängerbericht!) als viel schwächer empfunden wurde. Diese Einschätzung ließ mich ziemlich schmunzeln, denn bereits nach den ersten zwei Gängen war mir klar, wo es im Sterneck derzeit hakt. Wie ein roter Faden zog sich meine Diagnose dann nahezu durch das gesamte Menü: ausgezeichnete Grundprodukte, die zudem souverän zubereitet wurden, bekamen immer wieder seltsame Begleiter zur Seite gestellt. Weshalb ausgerechnet saftiges Geflügel mit einer recht bitteren Estragon-Sauce begleitet werden musste, erschloss sich uns beispielsweise nicht. Es schien fast so, als sollte die knallige Optik immer wieder von einem gewissen Mangel an kulinarischer Kreativität bei der Zusammenstellung der Teller ablenken. Anders ausgedrückt: Optik und Geschmack bewegten sich leider nur allzu selten auf ein und demselben Niveau. Je voller die Teller dabei wurden, umso offenkundiger wurde das Problem. Schade um die durchweg bemerkenswerten Grundprodukte, denn echte Harmonie oder spannende Momente wollten sich nur selten einstellen – sinnlose Ornamente ohne geschmacklichen Mehrwert gab es dagegen leider reichlich. Die Aromentiefe konnte mich insgesamt nur bedingt überzeugen, was angesichts recht wilder Konstellationen auch nicht weiter überraschte. Ein weiteres Menetekel bestand in einer gewissen Vorhersehbarkeit, die sich nach und nach einschlich. Allzuoft wurden die Produkte von Schäumen, Düften und ähnlich wenig konkreten Konsistenzen umrahmt, so dass der Wunsch nach etwas Bissfestem bald überwog; hier wurde besonders deutlich, dass Herr Rennhack von Juan Amador, einem der Großmeister der molekularen Küche, geschult wurde. In Summe mangelte es dieser Menüfolge einfach an Gerichten, bei denen eine klare geschmackliche Aussage auch mal auf den Punkt gebracht wurde – die Küche blieb doch zu vieles schuldig, um einen zweiten Stern zu rechtfertigen.

Schon allein aufgrund der Distanz zur Heimat ist ein weiterer Besuch hier noch nicht wieder eingeplant, aber anhand des Berichts sollte auch so deutlich werden, dass mein Verlangen danach derzeit nicht sehr ausgeprägt ist. Nicht unerwähnt bleiben sollte auch die Tatsache, dass der geforderte Menüpreis angesichts des vollständigen Fehlens von typischen Luxusprodukten wie Kaviar, Hummer oder Jakobsmuschel zudem recht saftig ist – wenigstens sind die Nebenkosten noch im durchschnittlichen Preisbereich angesiedelt. Ob die gebotene Leistung nur ein temporäres Zwischentief darstellt, kann ich angesichts fehlender Vergleiche natürlich nicht feststellen. Dass die Abwertung durch den Michelin dagegen zurecht erfolgte, stand für mich nach diesem durchwachsenen Abend nicht mehr zur Diskussion, sondern war in Stein gemeißelt.