Juni 2019
Protzig und unübersehbar schmiegt sich das moderne Hotel „Kameha Grand“ südlich von Bonn ans rechte Rheinufer: hier, in Sichtweite von Petersberg und Drachenfels, befindet sich eine der luxuriösesten Herbergen weit und breit mit deutlich asiatisch inspirierten Ornamenten und Raumkonzepten. Dazu passt das Restaurant Yunico im 5. Stock des Designer-Etbalissements hervorragend, denn der junge Chefkoch Christian Sturm-Willms zelebriert hier oben eine Fusion-Küche mit deutlich japanischen Einflüssen. Das überwiegend in dunklen Rot-Tönen gehaltene Restaurant erlaubt sowohl einen Blick in den außergewöhnlichen Innenhof des Hotels als auch auf Väterchen Rhein, denn die langgezogene Terrasse des Lokals ist für einen Ausklang mit Drink an einem sonnigen Abend geradezu prädestiniert. Das überaus geräumige Restaurant lockt offenbar auch einige spontane Hotelgäste an, die nicht selten über die Darbietungen hier ins Staunen geraten. Dazu haben sie auch allen Grund, denn binnen kürzester Zeit hat sich das Lokal in die Riege der drei besten Restaurants in Bonn vorgespielt. Der Feinschmecker vergibt bereits 4 F, während sich die anderen Guides noch ein wenig zurückhalten – wir sind gespannt, wie unser eigenes Urteil ausfallen wird.
Die Speisekarte offeriert einige Gerichte à la carte, aber wir entscheiden uns für das sechsgängige Überraschungsmenü zu € 149. Ein erster Gruß aus der Küche vermag schon einmal zu überzeugen: ein Sushi ohne Reis, das aus Kürbiskernen, Nuri-Algen und etwas roh mariniertem Thunfisch besteht, schwimmt in einem würzigen Sud, dessen süß-säuerliche Aromen klar zur Geltung kommen und den Happen würdig umrahmen. Dazu passt auch ein origineller, nicht zu süßer hausgemachter Cocktail mit Limette und Basilikum. Auch der zweite Gruß hält das Niveau hoch: ein mit Black-Angus-Rind gefülltes Gyoza (frittierte japanische Teigtasche) wird durch Karottenschaum und etwas Schweinekinn stimmig begleitet und sorgt so für ein ungewöhnliches aromatisches Erlebnis erster Güte.
Richtig neugierig sind wir allerdings auf den ersten Gang, der gebeizten Lachs mit Sesam-Ingwer-Schaum offeriert. Diverse Texturen von Gurke, Avocado, Mango und Banane(!) vereinen sich zu einer frischen und weitaus stimmigeren Kreation als erwartet. Das sommerlich leichte Entrée überzeugt nicht nur mit einem diffizilen Aromenspiel, sondern wird durch das Eis einer mir bislang unbekannten japanischen Frucht (leider habe ich den Namen bei der Ansage nicht verstanden) kongenial abgerundet. Man lernt eben nie aus …
Ein echter Höhepunkt ist das Sashimi vom Saibling mit Ceta-Kaviar, grünem und weißem Spargel und Algen. Trefflich begleitet wird das Gericht durch einen mit Limette aromatisierten Sud, der dem Gericht alles Schwere nimmt und für ungeahnte Geschmackserlebnisse sorgt. Bei aller handwerklichen Akkuratesse fällt nun schon zum zweiten Mal auf, welch wichtiges verbindendes Element die Saucen und Sude in dieser Küche darstellen. Glänzend!
Minimal schwächer als die übrigen Gänge fällt dann gegrillter Steinbutt mit Sellerie, Weißkohl, eingelegten Pilzen und Ingwer aus. Das bildschön arrangierte Gericht besteht aus einem massigen Türmchen mit allerlei Texturen unter den Begleitern, während ein herzhafter, mit Ingwer aromatisierter Sud das Fundament für das Gericht darstellt. Halten wir ganz nüchtern fest, dass ich froh wäre, wenn ich nur halb so gut kochen könnte, und dennoch ist die Balance unter den Komponenten diesmal nicht ganz so zwingend geraten. Trotzdem: eine kleine Kritik, die angesichts des hier gezeigten Muts zum Experiment locker verkraftet werden kann …
… zumal der nächste Gang ein Knüller ist: Bärenkrebs (habe ich das jemals zuvor gegessen?) im Tempurateig braucht nicht viel mehr als eine kleine, hinreißende Salatgarnitur obenauf und etwas Yuzu-Mayonnaise sowie einen federleichten säuerlichen Schaum, den ich leider nicht näher bestimmen konnte. Wie dem auch sei: die erheblich schlichter geratene Kreation liiert aromensatte Produkte mit genial abgestimmten Begleitern, die regelrecht süchtig machen können. Superb! Kein Wunder, dass dieser Teller blitzblank wieder abgegeben wird …
Livar-Schwein mit Mais, Zuckerschoten, Yuzu-Sud und Nussbutter ist ein solides Hauptgericht, dessen Begleiter fast schon zu blass ausfallen. Andererseits erscheint das Stück Fleisch in bestem Licht und entfaltet eine aromtische Wucht, die ich in dieser Form bislang höchst selten bei Schweinefleisch erleben durfte: saftig, herzhaft und aromensatt. Die Umrahmung des Hauptdarstellers hat bei diesem Gang in Zukunft wohl noch ein wenig Luft nach oben, doch mit solchen Produkten wie dem Livar kann man darüber gerne auch einmal hinwegsehen.
Beim Pré-Dessert überrascht die Küche mit Chawanmuschi, der klassischen japanischen Eierstichsuppe. Diese Variante wäre wohl kaum ein Dessert, wenn sie nicht mit Pistazie aromatisiert wäre und durch feine Noten von Estragon, Macadamia-Nüssen und einem Yuzu-Eis umspielt würde. Das klingt zugegebenermaßen exotisch, doch das Kalkül geht wunderbar auf.
Auch beim „echten“ Dessert macht die Patisserie keineswegs schlapp, denn cremige Pekannuss bildet die Basis für ein feines Kirscheis mit einer Spirale aus Valrhona-Schokolade. Wie diese Petitesse weiterhin mit essbaren Blüten und einem vergoldeten Sesamcracker mit etwas Kirschgel obenauf sinnvoll verziert ist, macht Eindruck. Offensichtlich ist der Küche von Herrn Sturm-Willms Optik durchaus wichtig, doch selten habe ich einen derart zweckdienlichen Einsatz dekorativer Elemente erleben dürfen. Wo anderswo entbehrliche oder fragwürdig erscheinende Elemente die Teller verzieren, so hatten wir hier nie den Eindruck, dass etwas Überflüssiges auf dem Teller gelandet wäre. Außerdem sei der Küche schon jetzt ein Kompliment für ihre Flexibilität ausgesprochen, denn ein As im Ärmel hatte sie noch parat – dazu gleich mehr.
Die Serviceleistung an diesem Abend ist mir noch in allerbester Erinnerung, denn der kompetent agierende Service kommt mit nur vier Personen aus und hat doch alles im Griff. Die komplett schwarz gekleidete Truppe punktet mit Humor, Präzision in den Abläufen, Kompetenz und Liebenswürdigkeit in einer Form wie ich sie bislang nur selten erleben durfte. Selbst der Tatsache, dass ich an diesem Abend in meinen Geburtstag hineinfeiern durfte, trug die Küche Rechnung: ein kostenloses, noch dazu bildschön angerichtetes Extra-Dessert versüßte mir den Einstieg ins neue Lebensjahr gleich noch angemessen! Auf einer Schieferplatte mit etwas Puderzucker positionierte die Küche noch eine Kreation samt kleiner brennender Kerze, die entfernt an eine Linzer Torte erinnerte: aus Schokolade und Johannisbeere machten aber ein paar weitere Elemente doch wieder eine inspirierte Komposition mit japanischem Touch. Freilich zog sich der Abend durch diese „Zusatzrunde“ etwas in die Länge, doch der Weg zum Hotelzimmer war ja zum Glück ein kurzer. Auch das angemessene Preis-Leistungs-Verhältnis trug ganz entschieden zu diesem ungewöhnlichen Erlebnis bei, das ich nur empfehlen kann. Ach ja: ein kleiner Fehler auf der Rechnung war dem Sommelier außerdem derart peinlich, dass wir dachten, er würde uns demnächst die ganze Rechnung erlassen (was wir natürlich abgelehnt hätten)!
Dieser Besuch geriet zu einem ausgesprochen unterhaltsamen Abend mit teils atemberaubenden Tellern. Die Fusion europäischer Elemente mit japanischen Zutaten gelingt hier ganz ausgezeichnet und ist weitaus konsequenter umgesetzt als etwa im Düsseldorfer Nagaya, wo die meisten Teller doch noch erheblich japanischer wirken. Rare Ingredienzen, die mir nach fast acht Jahren als Gourmet noch immer nicht geläufig waren) werden im Yunico dagegen ganz mühelos mit sattsam bekannten Viktualien auf verblüffende Weise miteinander verquickt. Herr Sturm-Willms hat eine klare Vorstellung davon, wohin der Weg führt und arbeitet weiter fleißig an der Schärfung seines Profils. Die ersten namhaften Auszeichnungen hat ihm seine Arbeit bereits eingebracht, und weitere dürften in naher Zukunft folgen. Ich wäre nicht überrascht, wenn der Weg weiter ziemlich rasch nach oben führen würde, denn die vor Kreativität nur so strotzende Küche arbeitet trotz allem sehr zielgerichtet und schießt nur ganz selten übers Ziel hinaus. Mit seiner jetzt schon unverwechselbaren Küchenstilistik konnte mich Herr Sturm-Willms absolut überzeugen – die 17 Punkte im G&M sowie der Michelin-Stern sind vollkommen angebracht. Dass der GUSTO derzeit nur 7 Pfannen vergibt, verärgert mich dagegen schon ein wenig.
Beim Verlassen des Lokals postierte sich übrigens die gesamte Servicetruppe nochmals am Ausgang (wir waren die letzten Gäste um kurz nach 1 Uhr morgens …), und der Chef höchstpersönlich erkundigte sich nach unserem Urteil und äußerte den Wunsch, wir möchten bald wiederkommen! Aber sicher doch …!