Vendôme***, Bergisch Gladbach (UPDATE)

„Es ist eine nicht genug gekannte und geübte Politik, dass jeder, der auf einigen Nachruhm Anspruch macht, seine Zeitgenossen zwingen soll, alles, was sie gegen ihn in petto haben, von sich zu geben. Den Eindruck davon vertilgt er durch Gegenwart, Leben und Wirken jederzeit wieder.“ (Johann Wolfgang von Goethe)

UPDATE (Januar 2022)

Der letzte Besuch im noblen Kavaliershäuschen von Schloss Bensberg liegt nun auch schon wieder mehr als drei Jahre zurück, doch war es in dieser Zeit verhältnismäßig ruhig um das Vendôme geblieben, das während der langen Lockdown-Phase sogar noch länger geschlossen blieb als die meisten anderen Lokale in dieser Liga. Trotz aller Widrigkeiten sieht man sich hier gemäß dem eigenen Selbstverständnis immer noch auf Augenhöhe mit den weltbesten Restaurants – ein Urteil, das nach meinem letzten Besuch umstritten gewesen wäre. Höchste Zeit also für eine neue Bestandsaufnahme, wobei es diesmal wieder das große Abendmenü wieder sollte – derzeit ist auch gar keine andere Option möglich, da das einstmals attraktive Lunchmenü derzeit gestrichen ist und möglicherweise auch nicht wieder angeboten werden wird. Die preiswerten Besuche in diesem Lokal gehören somit der Vergangenheit an.

Bei meinen bisherigen zwei Stippvisiten war es Joachim Wissler und seinem Team nicht gelungen, mich vollständig zu überzeugen – mal sehen, wie es diesmal werden würde. Sieht man einmal von einer relativ großen Fluktuation auf dem Posten des Sommeliers in den letzten Jahren ab (im Herbst 2020 kam Jochen Bücher vom nahen Gut Lärchenhof in Pulheim), scheint sich sonst nicht viel verändert zu haben. Das dezent modern eingerichtete und in Pastellfarben gehaltene Lokal lockt nach wie vor jede Menge betuchter und auch ausländischer Gäste an, die das Vendôme offenbar als eines der wenigen Spitzenrestaurants in Deutschland wahrnehmen, welches internationales Format aufweist. Seit 2005 mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet, kann man hier inzwischen auf eine beachtlich lange Historie zurückblicken, die Chefkoch Joachim Wissler im Laufe der Zeit an die Spitze der kulinarischen Avantgarde in der Drei-Sterne-Liga spülte. Dennoch sei für meine Begriffe festgehalten, dass etwa im Augsburger August oder im Leipziger Falco noch um einiges kühner aufgekocht wird, auch wenn diese Lokale jeweils nur zwei Sterne aufweisen. Verglichen mit der internationalen Avantgarde (man denke etwa an das Baskenland, Kopenhagen oder Stockholm) muten die Beiträge hier dagegen inzwischen regelrecht brav an.

An diesem winterlichen Abend ist man angesichts des windigen Schauerwetters für den unterirdischen Verbindungsgang zwischen Hotel und Restaurant dankbar, damit man nicht auch noch völlig durchnässt ankommt. Nach einem vergleichsweise sachlichen Empfang mit Erledigung der üblichen Formalitäten geleitet man uns zu unserem Tisch durch das Lokal, welches mit durchaus illustrem Publikum „bestückt“ ist. Am Platz befindet sich schon die Karte mit dem Wintermenü zu € 285, doch bevor wir ihr unsere Aufmerksamkeit zuwenden, genehmigen wir uns erst einen Apéritif: in meinem Fall ein alkoholfreier Traubensecco aus dem Hause Raumland, während meine Begleitung einen alkoholischen Cocktail wählt, der später mit stolzen € 21 auf der Rechnung zu Buche schlagen wird.

Bereits dieser Einstieg hinterlässt gemischte Gefühle, zumal das Auftragen nach der Entgegennahme der Bestellung recht lange dauert: Thunfisch-Sashimi mit Gurken-Wasabi-Vinaigrette, Kokoscrème und Sesam gerät zwar fein, aber ausgesprochen mild und alles andere als körperbetont – kaum zu glauben, dass ein Thunfisch so wenig eindringlich schmecken kann. Die Kombination von Orangen-Campari-Macaron (links) und Gambero Rosso (rechts) mit einer exzellenten Crème von Krustentieren gefällt uns besser, da der leicht bittere und säurebetonte Macaron einen schlüssigen Kontrast zu dem wesentlich intensiveren und festfleischigen Krustentier eingeht. Der Klassiker „ToffiVee“ (mit einem „V“ für Vendôme) mit cremiger Gänseleber und wunderbar herzhaften Nussaromen ist einmal mehr der Höhepunkt unter den Apéros, die wir in Summe als sehr gut, aber sicherlich nicht überragend empfinden. Wer jetzt übrigens nachfolgend auf ein „echtes“ Amuse gehofft hatte, der wird sogleich enttäuscht …

… denn nach diesem nicht sonderlich opulenten Einstieg geht es ohne Umschweife direkt mit dem Menü los. Unser Maß an Beeindruckung bewegt sich noch im überschaubaren Bereich, doch gegrillte Langoustine und Holunder-Wacholder-Vinaigrette mit Sepia, Topinamburcrème und Sauerklee zum Auftakt klang zumindest nach einem der typisch farbenfrohen Einfälle, an die sich Stammgäste schon längst gewöhnt haben. Den Höhepunkt dieses Gangs stellte jedoch für uns das optisch schlichte Süppchen in der Tasse dar, das mit typisch herben Krustentieraromen und straffer Säure voll zu überzeugen wusste. Der Hauptteller dagegen kombinierte das an der Karkasse gebratene und das Fleisch der Schere mit einer überbordenden Fülle an oben aufgelisteten Begleitern, doch abgesehen von dem klein gemörserten Pumpernickel aus Topinambur-Schale, auf dem das Salatbouquet in der Mitte thronte, wirkten diese Komponenten auf uns aromatisch eher zurückhaltend und in ihrer Vielfalt eher verwirrend. Hier fehlte mir so etwas wie ein roter Faden, zumal ich auch die Produktqualität nicht unbedingt als Referenz hätte ansehen wollen.

Weitaus stärker auf den Punkt gebracht geriet der zweite Gang, bestehend aus getauchter Jakobsmuschel mit Zimtblüten, Meerrettichbutter, Rettich, Zuckermaiscreme und Chicoreesalat. Die Optik wäre definitiv eines Designpreises würdig gewesen – beim Geschmack gilt es etwas dagegen etwas zu differenzieren. Der Zuckermais auf einer Korianderaioli in dem separaten Schälchen brillierte mit geschmacklicher Tiefe und wohltuender Schlichtheit, während der Hauptteller von einer im Zusammenklang eher herben Meerrettich-Vinaigrette dominiert wurde. Besonders auffällig an diesem Teller geriet die Tatsache, dass jede der zahlreichen Komponenten für sich genommen ein ausgesprochen starkes Handwerk dahinter verriet, doch in Summe wirkte das Ergebnis längst nicht so schlüssig. Der Gedanke, die Jakobsmuschel ungewöhnlich mit Meerrettich zu kombinieren, mag reizend sein, aber die Zahl der Nachahmer dürfte sich trotzdem in engen Grenzen halten – alles in allem eine kulinarische Erweiterung des Horizonts ohne denkwürdigen und von durchaus zweifelhaftem Wert. Die zwischendurch eingestreute Brotauswahl mit Olivenbrot, Focaccia und dreierlei Baguette mit Salzbutter entging übrigens meiner medialen Aufmerksamkeit – soll heißen, es gibt kein Foto davon, doch sonderlich spektakulär war sie ohnehin nicht geraten.

Poltinger Hase (nicht gerade das gewöhnlichste Produkt) gelangt zum Hauptgang als Rücken und in Form von Herz auf dem separaten Alblinsencassoulet auf den Teller, was vielleicht auch als Anspielung auf die schwäbische Heimat des Kochs verstanden werden kann, der in Nürtingen geboren wurde. Die Kombination von Räucheraal mit Blumenkohlblättern dazu würde auch nicht jedem in den Sinn kommen, doch von der begleitenden Pfeffer-Limonenjus ließe sich dasselbe problemlos behaupten. Ein ansprechender Begleiter, zu dem auch die tiefe, aber keineswegs herausragende Jus gut passt, ist die karamellisierte Blutwurst vorne im Bild. Alles in allem eine in sich stimmige Aromenwelt mit einem eher raren Hauptdarsteller einerseits, aber andererseits erneut ein Gang, bei dem mir grenzwertig viel auf dem Teller passiert und denkwürdige Momente ausbleiben.

Wir hatten die Hoffnung auf einen echten Knaller schon aufgegeben, zumal so etwas bei den Desserts besonders selten zu beobachten ist. Doch, siehe da, mit Rüblitorte „2022“ schien die Küche hier fast alles nachholen zu wollen, was ihr im Laufe des Abends aus meiner Sicht nur mäßig gut gelungen war: das mit weißer Schokolade ummantelte Törtchen und einem gelierten Orangen-Tequila-Sud obenauf vereinte perfekt dosierte Süße in ausgelassener Heiterkeit mit Texturen von Passionsfrucht sowie diversen Blüten. Fruchtige Leichtigkeit mit Limettensud wurde durch das Schälchen à part ansprechend kontrastiert, welches mit karamellisierten Haselnüssen, Haselnuss-und einer Tequlia-Praline aufwartete. Grandios!
Es fällt mir schwer, schlüssig zu erklären, weshalb dieses genauso kompliziert konzipierte Gericht trotzdem besser funktionierte als so ziemlich alle anderen Gänge an diesem Abend – am plausibelsten erscheint mir jedoch immer noch der simple Grund, dass die Qualität der Produkte diesmal einfach herausragend war.

Die bunten Petits fours bestanden unter anderem aus einem Mandelschaumkuss, einem Yuzu-Sesam-Macaron, einem Campari-Windbeutel und Spekulatius-Magnum. Aufgrund der relativ großen Hektik (siehe die genauere Beschreibung weiter unten) entgingen die beiden anderen Ausklänge leider meiner Aufmerksamkeit. Fazit: ein überdurchschnittliches Niveau zum Ausklang, aber das war auch relativ dringend nötig.

Das überragende Dessert am Ende riss noch einiges heraus, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Abend über weite Strecken nicht viele denkwürdige Momente zu bieten hatte. Fraglos gehören die auf den Tellern gebotenen Inszenierungen verlässlich zu den originellsten Darbietungen – weshalb allerdings der bräunliche Teller beim Gänselebergang die optischen Kontraste noch zusätzlich abschwächen musste, wollte sich uns nicht erschließen. Als schwerwiegender empfanden wir jedoch, dass sich der geschmackliche Eindruck längst nicht immer auf Augenhöhe mit der Präsentation bewegte. Hauptsächlich lag dies an zwei Aspekten: zum einen habe ich praktisch jedes der Produkte an diesem Abend anderswo in noch besserer Qualität vorgesetzt bekommen, und zum anderen wäre es mir im Nachklapp schwer gefallen, so etwas wie eine einheitliche und unverwechselbare Stilistik zu benennen. Eine gewisse Präferenz für bestimmte Produkte, Techniken oder eine Stilistik konnten wir nicht entdecken. Teils wirkten die Kombinationen auch gewollt neuartig, ohne dabei aber wirklich zu überzeugen – ein Eindruck, der sich bei der Jakobsmuschel am deutlichsten manifestierte. Tendenziell bewegten sich fast alle Gerichte am Rande der Überfrachtung – da muss schon jede Komponente ihren Sinn haben, doch in Einzelfällen zweifelten wir eben genau daran. Bei der Einordnung des Käsegangs betritt man ebenfalls einen schmalen Grat: die Grenze zwischen wohldosiertem Humor und einem lieblosen Einschub ohne große Klasse ist nur sehr schmal. Fast schien es, als wolle die Küche mit dem finalen Dessert alles nachholen, was sie an diesem Abend schuldig geblieben war. Einschränkend bleibt festhalten, dass wir die genauen Hintergründe in der aktuellen Situation natürlich nicht kannten: es ist durchaus denkbar, dass sich Teile des Personals in Quarantäne befanden oder Joachim Wissler an diesem Abend nicht im Hause war – zumindest bekamen wir ihn nicht zu Gesicht. Ein weiterer Umstand, der ins Gewicht fallen könnte, sind gekappte Lieferwege bei den luxuriösesten Viktualien – trotz allem kam an diesem Abend dann doch Etliches zusammen, das sich nicht nur mit höherer Gewalt hätte plausibel erklären lassen.

Insbesondere die Serviceleistung nahmen wir mit gemischten und eher irritierenden Eindrücken zur Kenntnis: einerseits brachte man meiner Begleitung wegen kurzzeitiger Zahnschmerzen ohne Umschweife einen Eisbeutel herbei, doch die weiteren bemerkenswerte Momente gerieten ansonsten eigentlich nur negativ. Schon die Tatsache, dass die Gäste in einem Lokal mit dieser Reputation wenigstens nicht hin und wieder namentlich am Tisch angesprochen werden (wie es in der Schwarzwaldstube oder im Bareiss absolut Usus ist), empfanden wir als einigermaßen kläglich. Doch auch sonst wirkte vieles an diesem Abend angesichts „full house“ eher gehetzt und pflichtbewusst – von Herzlichkeit weit und breit keine Spur. Im Laufe des Abends wurde es immer grotesker, denn angesichts einer trotz der aktuellen Bestimmungen nicht vorgezogenen Öffnung des Lokals (Einlass ab 19 Uhr) kam kurz vor Ende wegen der Sperrstunde eine mehr als unangenehme Hektik auf, die daran gipfelte, dass in einer nicht angekündigten Maßnahme kurz vor Mitternacht in wenig charmanter Weise an fünf oder sechs Tischen gleichzeitig und praktisch unaufgefordert die Rechnung präsentiert wurde. Doch damit nicht genug: die Tatsache, dass unsere ohnehin schon sündhaft teure Rechnung einen signifikanten Fehler aufwies, wurde nach der Korrektur eher weniger mit einer Entschuldigung als mit einem flapsigen Kommentar quittiert. Zur Einordnung seien hier noch die Nebenkosten aufgeschlüsselt: für fünf Gläser einer alkoholfreien Getränkebegleitung, bestehend unter anderem aus drei Gläsern „Bio Rose“ von Jörg Geiger (Preis für die Flasche im Handel ca. zehn Euro), die einfach nur in dasselbe Glas nachgeschenkt wurden, durften wir satte 70 Euro berappen – ein Betrag, den ich bislang sonst nur im Rutz in Berlin erlebt habe, aber dort handelte es sich wenigstens um selbst kredenzte Einfälle. Angesichts eines solch unverschämten Preiswuchers rätselten wir, ob Bergisch Gladbach inzwischen und ganz plötzlich zu einem Teil von Paris geworden ist …

Meine letzte Rezension schloss ich noch mit dem Urteil ab, dass eine Enttäuschung fast mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Gemessen an der Selbsteinschätzung des Hauses und der damit verbundenen Erwartungshaltung komme ich letztlich kaum umhin, diesmal von einer recht ernüchternden Erfahrung zu sprechen, die durch die Serviceleistung eher noch verstärkt wurde. Von meinen bisherigen drei Besuchen war dies jedenfalls der schwächste – wenn man dann noch die kaum anders als dreist zu bezeichnenden Nebenkosten bedenkt, kann die nächste Stippvisite getrost wieder eine Weile warten. Ich kann mir zumindest nicht vorstellen, dass die an diesem Abend gezeigte Leistung dem sonstigen Standard des Hauses entspricht, denn von einer Weltklasseleistung war man unserer Auffassung nach an dieser Soirée weit entfernt – mehr als zwei Sterne hätten wir diesem Auftritt jedenfalls nicht verliehen.

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Vendôme
Kadettenstrasse
51429 Bergisch Gladbach
Tel.: 02204/42906
www.althoffcollection.com/de/althoff-grandhotel-schloss-bensberg/restaurant-vendome

Guide Michelin 2021: ***
Gault&Millau 2021: 19,5 Punkte
GUSTO 2022: 10 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2021: 5 F

8-gängiges Menü: € 285

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Oktober 2018

In Fachkreisen bedarf Grand Chef Joachim Wissler schon lange keiner Vorstellung mehr: Höchstnoten in allen gängigen Gastro-Guides (darunter drei Michelin-Sterne seit 2005) sorgen dafür, dass sein Restaurant stets gut von internationalen Gästen frequentiert wird. Auf Schloss Bensberg, das eines der luxuriösesten Hotels von Deutschland beherbergt, finden all jene Foodies im angrenzenden ehemaligen Kavaliershäuschen eine Pilgerstätte des guten Geschmacks, die jeder ernsthafte Gourmet einfach besucht haben muss – den fantastischen Weitblick nach Westen von der Terrasse aus (bis zum Kölner Dom an klaren Tagen) gibt es übrigens gratis mit dazu. Wissler selbst, der in puncto Aussehen durchaus Ähnlichkeiten mit Joachim Löw aufweist, sieht sein Lokal unter den zwanzig besten Restaurants weltweit – ein Urteil, das zumindest dann, wenn die Küche ihre Topform abruft, nur die wenigsten in Zweifel ziehen würden. Nicht wenige sehen in Wissler den zur Zeit unangefochten besten deutschen Koch nach dem Abgang von Harald Wohlfahrt aus der Schwarzwaldstube vergangenes Jahr. Selbstverständlich hinkt der Vergleich des fast schon avantgardistischen Wissler mit dem klassisch-französisch geprägten Wohlfahrt ganz erheblich, doch außer dem 2017 verstorbenen Helmut Thieltges haben in den letzten Jahren keine anderen deutschen Köche die Haute Cuisine in der Bundesrepublik so sehr geprägt wie diese beiden. Wen wundert es da, dass die Geschäftsleitung der Althoff-Hotelgruppe ihren Star entsprechend hofiert und ihm einen Sonderparkplatz im Hof des Schlosses eingerichtet hat?! Ehre, wem Ehre gebührt!

Es ist hierzulande angesichts von Arbeitszeitbeschränkungen und weiterer gesetzlicher Schikanen beileibe keine Selbstverständlichkeit, dass ein derart hochdekoriertes Lokal Sonntag mittags geöffnet hat und noch dazu neben einem eigens kreierten Lunchmenü trotzdem auf Wunsch auch das volle Abendprogramm auffährt. Im Gegensatz zu meinem ersten Besuch vor drei Jahren entscheide ich mich angesichts der langen anschließenden Heimreise für das Lunchmenü, das angesichts opulenter Einstimmungen, vier Gängen und generösen Ausklängen keineswegs nur eine unbefriedigende Alternative darstellt. Da auch der Aperitif, Wasser und Kaffee im Preis von € 145 inkludiert sind, überrascht es daher kaum, dass die Mehrzahl der Gäste nicht nur wegen des recht günstigen Angebots, sondern auch wegen des wunderbaren sonnigen Wetters auf die ganz große Oper verzichtet und einen Teil des Nachmittags noch anderweitig genießen will. Trotzdem ist das Lokal natürlich auch an diesem Tag wieder bis auf den letzten der ca. 40 Plätze gefüllt.

Die dezente Erneuerung der Innenausstattung gegenüber meinem Premierenbesuch hat den weitgehend in Crèmefarben gehaltenen Gastraum noch heller und leichter gemacht. Die Tische sind dagegen mit der Serviette und einem kleinen Blumenschmuck eher spartanisch eingedeckt und nur mit einem Leintuch, in das das Logo des Lokals eingearbeitet ist, bedeckt. Die hochprofessionelle und ganz klassisch gekleidete Servicetruppe unter der Leitung des Sommeliers Marco Franzelin geleitet den Gast artig an den Tisch und begrüßt diesen selbstverständlich unter Nennung des Namens. In einer wunderbaren Mischung aus Ernsthaftigkeit und Charme wird der Gast hier vollendet durch das Menü geleitet, zumal Herr Franzelin jüngst in einer Leserabstimmung zum besten Sommelier Deutschlands gekürt wurde. Zu Beginn meines Besuchs nahm sich Herr Wissler sogar (eher ungewohnt) die Zeit für einen Plausch am Nebentisch, da es sich bei diesen Gästen offenbar um Stammkunden handelte. Immerhin brachte mir diese Konversation auf seinem Weg zurück in die Küche eine persönliche Begrüßung durch den Grand Chef ein – unerwartet, aber das nimmt man natürlich gerne mit, zumal die meisten deutschen Drei-Sterne-Köche im Vergleich mit ausländischen Kollegen eher als scheu gelten.

Nach diesem gelungenen Auftakt fährt die Küche zu einem Traubensecco von Raumland ihre berühmte Parade an Einstimmungen auf. Diese bekommt den Namen „Picknick“, doch was für ein Füllhorn wird hier gleich zu Beginn über den Gast ausgeschüttet! Da wäre beispielweise eine Zuckerschote, die mit Shrimps gefüllt ist oder ein krosses Stück Milchferkelbauch mit etwas roter Senfsaat obenauf – die Veredelung rustikaler Grundprodukte scheint Wissler besonders zu liegen und ist ein häufiges Markenzeichen seiner Küche. Hier kann man wirklich auch Dinge essen, die man schon hundertmal gegessen hat, nur eben noch nie auf diesem Niveau! Das gilt auch für den Tapiokacrouton mit gepickelten Pilzen, doch die zwei echten Knaller sind der Tomatenmacaron mit Wagyu als Füllung und einem Klecks Kaviar obenauf sowie die Petitesse, die sich binnen kürzester Zeit zum Signature Dish des Hauses entwickelt hat: „ToffiVee“. Das „V“ steht für Vendôme, während das eigentliche Gericht tatsächlich an den Klassiker „Toffifee“ erinnert – nur dass bei Wissler die Karamelhülle eben aus karamellisierter Gänseleber und die Füllung aus Crème von Piemonter Haselnuss besteht. Von der Optik her täuschend echt und vom Geschmack eine Klasse für sich – leider antwortete der Service auf meine süffisante Frage, wo es diese Variante zu kaufen gebe, mit der zu erwartenden Antwort, dass ich mir dies wohl selbst denken könnte. Ich nickte bestätigend und ergänzte, dass diese Delikatesse ja auch nichts Besonderes wäre, wenn man sie auch anderswo erhalten könnte. Die Brotauswahl hält das Niveau ebenfalls hoch, denn nicht weniger als fünf Brotsorten aus der schlosseigenen Bäckerei (!) werden dem Gast angeboten.

Nach diesem charmanten, federleichten und hinreissend gelungenen Einstieg setzt die Küche mit dem ersten Gang gleich ein weiteres Ausrufezeichen: Milchkalbstatar garniert die Küche mit Sauerklee, gepickelten Radieschen und eingelegten Kapern. Für die vollendete geschmackliche Abrundung sorgen allerdings kleine Tupfen von Holzkohlemayonnaise und etwas Ceta-Kaviar. Mit dem aufgegossenen Sellerie-Sud ist das Glück schließlich perfekt – ein Gericht von absolutem Weltklasseformat, das dem Anspruch dieses Hauses würdig ist und dessen Aromen perfekt harmonierend am Gaumen aufgehen. Umwerfend gut! Und als ob das nicht alles schon sensationell wäre, gibt es obendrein noch einen großen und krossen Parmesan-Chip mit noch etwas von der Mayonnaise obenauf. Ohne Worte!

Confierter Label Rouge Lachs mit grünem Spargel, Bouchotmuscheln und Dillbutter ist ein Gericht, das handwerklich nicht so komplex gerät wie so mancher andere Gang an diesem Tag. Es ist – mit Verlaub – aber auch gar nicht nötig, denn die makellose Produktqualität kann auch ohne große Effekthascherei gebührend in Szene gesetzt werden. Das beigegebene Gemüse-Cassoulet ist ein filigran geratener, aber angemessen dezenter Begleiter in einem Gericht, das der Küche möglicherweise nicht alles abverlangt, aber dennoch ausgezeichnet gelingt und in dramaturgischem Sinne auch einmal zwischendurch die Schlagzahl senkt.

Das nahezu Gleiche ließe sich auch beim nächsten Gang behaupten: Challans-Ente und Blaubeerkompott klingt im ersten Moment vielleicht nicht so außergewöhnlich, selbst wenn die Ente in Form von Brust und Keule auf den Teller kommt. Doch auch hier sind die Beigaben in Form von confierten Schwarzwurzeln, Shiitake-Pilzen und geräuchterter Kartoffelmousseline der Garant für ein weit mehr als nur profanes Hauptgericht. In einem à part gereichten Schälchen ruht zudem ein Weizen-Bun, der mit klein geschnittenem Fleisch von der Keule gefüllt ist. Wenngleich die Qualität der Mousseline nicht an die überirdische Variante aus dem Hertog Jan heranreicht, so ist sie doch ein stimmiger Begleiter in einem eher zurückhaltenden Hauptgericht, das nicht unbedingt Begeisterungsstürme hervorruft. Vielmehr ist dieser Gang ein eher stiller Genuss im Sinne einer nachhaltigen Wirkung.

Das Dessert, Essigzwetschge mit Walnuss und Apfel-Zwetschgensorbet, ist – wie mir der Service umgehend versichert – nicht so angsteinflößend wie der Name vielleicht klingen mag. Auf dem ersten Teller befindet sich das Sorbet, das mit Zwetschgen-Gel, Stückchen vom grünen Apfel und Walnüssen begleitet wird. Der originellere zweite Teller offeriert eine mit Walnuss ummantelte Kugel, die auf einem Zwetschgenkompott thront und mit Calvados-Parfait gefüllt ist. Die ungewöhnliche Idee verfehlt ihre Wirkung nicht und entlockt somit immer wieder denselben Grundprodukten durch verschiedene Texturen oder Konsistenzen eine aromatische Vielfalt, dass es eine wahre Pracht ist. Nach den weniger intensiven mittleren Gängen durfte die Patisserie somit wieder einen echten Knalleffekt setzen.

Ach ja, die Ausklänge: viel besser geht es kaum, denn angesichts von dreierlei Eiskonfekt (Bienenstich, Schwarzwälder Kirsch und Chessecake), einem Cassis-Schaumkuss, einem Erdbeer-Macaron und einem Himbeertörtchen mit Dulce-Schokolade wäre es einfach eine Sünde, dieser Versuchung nicht nachzugeben. Schon Oscar Wilde wusste ja bekanntlich, dass man Verlockungen stets nachgeben sollte, da man sich nie sicher sein kann, ob sie jemals wiederkehren. Außerdem bestünde der einzige Weg, eine Versuchung loszuwerden, darin, ihr nachzugeben. Da ich es auch sonst ganz gerne mit Wilde halte, sehe ich keinen Grund, hier eine Ausnahme zu machen und lasse selbstverständlich nichts übrig.

Es ist ja insgesamt verständlich, dass die Küche angesichts des gigantischen Aufwands, den sie betreibt, für das Mittagsmenü nicht unbedingt alle Register ihres Könnens ziehen muss. Erwarten Sie daher nicht, dass jeder einzelne Gang die allerhöchste Kunstfertigkeit beansprucht, sondern auch mal etwas bodenständiger gerät und trotz allem höchste Qualität offeriert. Bei den beiden mittleren Gängen fehlte vielleicht in der Tat so etwas wie der „Wow-Faktor“, aber das schmälert den Wert dessen, was auf die Teller kommt, kaum. Anstatt zündender Ideen verlässt man sich hier bisweilen eben auch auf die makellose Prdouktqualität und setzt stattdessen auf großartiges, aber nicht vordergründiges und auf Showeffekte abzielendes Handwerk. Dem Ruf der Weltklasse wurde diese Menüfolge an anderer Stelle ganz sicher mehrfach gerecht, und außerdem war dies eine der am leichtesten bekömmmlichen und doch hinreißendensten Menüfolgen seit langem. Wissler braucht keine verkopften Konstruktionen, um modern und zeitgemäß zu wirken, auch wenn ich sein Schaffen – im Gegensatz zu so manchem Kritiker – als nicht ganz so avantgardistisch einschätzte wie etwa das von Peter Maria Schnurr im Leipziger Falco oder das von Christian Grünwald im Augsburger August. Im Vergleich zu meinem jüngsten Besuch im ABaC in Barcelona ist das unterhaltende Element hier weitaus nachhaltiger und nicht so sehr auf Show am Tisch ausgelegt. Wem gelingt es außerdem schon, mit einer Einstimmung ein Signature Dish zu kreieren, über das derzeit gefühlt die gesamte Gourmetszene Deutschlands Bescheid zu wissen scheint?

Ein Besuch im Bergischen Land sollte für Gourmets im Grunde genommen immer mit dem Pflichtbesuch im Vendôme in Verbindung zu bringen sein. Joachim Wissler setzt seit Jahren internationale Maßstäbe mit seiner Küche und wird dies sicherlich auch weiterhin in den kommenden Jahren tun. Eine Enttäuschung ist daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.