Menü des Jahres 2023

Weiterhin im Aufwind befindet sich Chefkoch Edip Sigl im „es:senz“ zu Grassau. Vor der malerischen Kulisse des Chiemgaus hat der ambitionierte Chef ein Team von Spitzenkräften (Service, Wein, Pâtisserie) um sich gesammelt und macht rasante Fortschritte. Sein Signature Dish „Kalbsbries mit geflämmtem Rotkohl, Felsenbirne und Pfeffer“ sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen, wenn es gerade auf der Karte steht. Fast hätte es mit diesem Beitrag nämlich auf die Liste der allerbesten Gerichte des Jahres 2023 gereicht. 

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Wie schon in den vergangenen Jahren handelt es sich auch diesmal wieder um ein fiktives Menü mit den kulinarischen Höhepunkten eines unvergleichlich opulenten Jahres, welches denkwürdige Momente in Hülle und Fülle zu bieten hatte. Wie immer haben dazu die unterschiedlichsten Restaurants beigetragen, wobei wie schon in den Jahren zuvor darauf geachtet wurde, dass alle 15 Beiträge von unterschiedlichen Restaurants stammen.

Die Menüfolge beginnt mit den Apéros, gefolgt von je einem kalten und warmen Gruß aus der Küche. Nach der Brotauswahl folgt eine Zusammenstellung unterschiedlichster Vorspeisen, wobei ein Schwerpunkt dieses Jahres auf Krustentieren lag, doch auch das ungewöhnliche Hauptgericht geriet zu einer echten Sternstunde. Nach einem Käsegang bilden ein Dessert und die Petits fours den würdigen Abschluss dieser hervorragenden Parade.

Ich muss mich fast schon entschuldigen für all die wunderbaren Gerichte, die es nicht auf diese Liste geschafft haben. Noch nie fiel mir die Auswahl so schwer wie diesmal, weil die Zahl an würdigen Beiträgen immens hoch war und nicht alle berücksichtigt werden konnten.

Wer hat es nun auf die Liste geschafft? Die Auflösung folgt …

 

Menü des Jahres 2023

 

1. Jesper Koch: Apéros (Syttende, Sønderborg)

Diesem hochkonzentrierten und wunderbar vielseitigen Reigen kann ich gar nicht Respekt erweisen: was Jesper Koch in seinem nur einfach besternten dänischen Restaurant auf die Teller zaubert, hat Hand und Fuss. Seine akribische Suche nach bestmöglichem und unverfälschtem Geschmack begann schon mit dieser Parade und setzte sich im Menü nahtlos fort. Dabei gelang alles sensationell gut – ob nun Sellerie, Zwiebel, Pilze, Kohl, Rahm oder Topinambur zur Debatte standen. Ein verkanntes Genie!

 

2. Christian Bau: Meeressalat (Victor’s Fine Dining, Perl-Nennig)

Wenn es um Meeresfrüchte geht, kann kaum einer hierzulande Christian Bau das Wasser reichen: in seiner ihm ureigenen Ästhetik drängt er in geradezu vollkommener Optik auf einem winzigen Schälchen Stab- und Entenmuscheln, Gambero, Auster, Austerncrème, Yuzu-Vinaigrette, Ponzu, Algen und Strandkräuter so schlüssig und perfekt ausbalanciert zusammen, dass man angesichts der Aromendichte und Mundfülle glaubt, eine ganze Mahlzeit einzunehmen. Wenn man bedenket, dass Perl-Nennig von Weinbergen umgeben ist und nicht an der Nordsee liegt, so mutet der virtuose Umgang mit diesen Produkten noch unglaublicher an.

 

3. Torben Schuster: Shabu-Shabu vom Wagyu-Rind (Gut Lärchenhof, Pulheim)

Der zweite Stern ist für Torben Schuster überfällig: nicht nur während des Menüs, sondern auch schon bei den Amuses überzeugte er mit solch durchdachten Petitessen wie dem Shabu-Shabu vom Wagyu-Rind auf einer mit einem Rinderfond aromatisierten Dashi. Die genuin japanisch anmutende Reinheit und Reduziertheit zeitigte ein geschmackliche Ergebnis, welches die minimalistische Begleitung vollauf rechtfertigte und diesem Schälchen sogar einen verdienten Platz auf dieser illustren Liste einbringt.

 

4. Sascha Kemmerer: Brotauswahl (Kilian Stuba, Hirschegg)

Sascha Kemmerer zelebriert Menüfolgen, die so opulent ausfallen wie kaum anderswo auf Ein-Stern-Niveau (wobei mir der bislang ausbleibende zweite Stern ein absolutes Rätsel darstellt). Während dem Brot in den meisten Lokalen heutzutage keine nennenswerte Aufmerksamkeit zuteil wird, sollte man die Brotauswahl hier besser als Brotzeit auffassen, bietet sie doch neben einem Sauerteig-Weizenbrot nicht nur bretonische Butter, Tomatenschaum in Brikteig, Schinken und einen Tomatendip, sondern auch à part frisch geschlagenen Rahm mit Räucheraal, Meerrettich und Ceta-Kaviar. Was für eine Auswahl – von der Qualität ganz zu schweigen!

 

5. Jan Hartwig: Saibling, Kaffirlimette, Rahm und Dashi-Beurre-blanc (JAN, München)

Die einfache Zusammenfassung meines ersten Besuches im neuen JAN lautet, dass Chefkoch Jan Hartwig besser und entspannter denn je kocht. Eines von zahlreichen Beispielen ist die besonders gelungene Interpretation des in Öl gegarten Saiblings vom nahen Schliersee, den er in ein Spannungsfeld von rahmiger Dashi-Beurre-blanc und einer Vinaigrette von Fingerlimes, Zwiebel und Kaffirlimette setzt. Das fast lässig anmutende Handwerk überzeugt in Form von buttrigem Schmelz des Fischs und geschmacklicher Tiefe ohne dabei zu belasten. Exzellent!

 

6. Franck Giovannini: Royale, Seespinne, Bouillon und Anis
(Restaurant de l’Hôtel de Ville, Crissier)

Seit mehr als einem halbem Jahrhundert zählt das kleine Crissier am Genfer See zu den weltweit bedeutendsten Wallfahrtsorten für Gourmets, denn Franck Giovannini führt das Erbe seiner großen Vorgänger Frédy Girardet, Philippe Rochat und Benoît Violier unverändert auf demselben exorbitanten Niveau weiter. Die optisch ungemein ästhetischen und enorm vielschichtigen Gerichte ordnet der Connoisseur mühelos diesem Lokal zu, doch auch geschmacklich gehört dieses Gericht rund um Seespinne in jeder Hinsicht ins kulinarische Pantheon. Gebettet auf einer unvergleichlichen Royale, wird jede noch so winzige geschmackliche Facette hier minutiös in Szene gesetzt und mit Gewürzen in perfekter Dosierung vollendet abgerundet.

 

7. Clemens Rambichler: Sauté von Froschschenkeln, Gartenkräuter, Zwiebeln, Liebstöckelvelouté und Poulardenjus (Waldhotel Sonnora, Dreis)

Das hierzulande noch nie sonderlich beliebte Hauptprodukt findet man kaum mehr auf deutschen Speisekarten, zumal es – wie so vieles heutzutage – ethisch nicht unumstritten ist. Was Clemens Rambichler aber daraus zaubert, ist ein Beitrag für die Ewigkeit: das ungemein diffizile und jederzeit transparente Geflecht aus Kräutern, das er der Deftigkeit der Froschschenkel zur Seite stellt, verzückt bis zur letzten Gabel mit jedem überraschenden Bissen aufs Neue. Kein Geringerer als Christian Bau geriet übrigens bei diesem Gericht seines Kollegen in schier maßlose Schwärmerei – eine absolut nachvollziehbare Eloge!

 

8. Christoph Rainer: Tristan-Languste, Amasuzuke, Kanzurri und Yuzu
(Luce d’oro, Elmau)

Christoph Rainer hat seine stilistische Linie, die stark vereinfacht als eine Fusion französischer und japanischer Elemente bezeichnet werden könnte, endgültig gefunden und steigert sich nun immer weiter, indem er praktisch um ein stark begrenztes Arsenal an Lieblingsprodukten kreist und diese immer wieder mit spannenden Begleitungen neu entdeckt. So findet man einen seiner Favoriten, die Tristan-Languste – glücklicherweise! – immer wieder auf der Karte und kann sich doch sicher sein, die aktuelle Variante in der Vergangenheit noch nicht vorgesetzt bekommen zu haben. Dabei gehen dem Meister die Ideen nicht aus, denn diese schon dritte Variante überzeugt genauso wie ihre Vorgänger: waren jene eher herzhaft interpretiert, geriet diese Ausführung etwas stärker fruchtbetont und überzeugte auf ganzer Linie, da das Krustentier dank sorgfältigster Zubereitung seine Stärken voll ausspielen konnte. Grandios!

 

9. Boris Rommel: Sellerie und Rote Bete (Le Cerf, Zweiflingen)

Boris Rommel fliegt meiner Wahrnehmung nach immer noch unter dem Radar der meisten Guides durch, die sich mit ihren Noten im Allgemeinen eher zurückhalten. Das bleibt mir unverständlich, denn gerade dank seiner bemerkenswerten vegetarischen Menüs reichte es ihm zum dritten Mal in Serie mit einem Beitrag auf diese Liste: rund um seine beiden Hauptprodukte ersinnt er ein feingliedriges Arrangement aus Ziegenkäse, Senfsaat und Salzzitrone, wobei dies nur die annoncierten Komponenten waren! Dank enormer Tiefe und trennscharfer Aromen brannte sich mir dieser Beitrag mühelos ins kulinarische Langzeitgedächtnis ein.

 

10. Andreas Caminada: Languste in fünf Varianten (Schloss Schauenstein, Fürstenau)

Wenn es in diesem überreichlich mit grandiosen Tellern gespickten Jahr überhaupt ein Gericht des Jahres geben kann, dann war es wohl dieses: Andreas Caminada untermauerte mit diesem Klassiker seine vollauf verdiente Reputation als einer der weltbesten Chefs und deklinierte die Languste in nicht weniger als fünf, allesamt auf überragendem Niveau umgesetzten klassischen Varianten derart überzeugend durch, dass es mir den Atem raubte.
Ein unvergessliches Quintett!

 

11. Silio del Fabro: Rochenflügel, geschmolzener Kalbskopf, Honigtomatennage
(Esplanade, Saarbrücken)

Der ehemalige Souschef von Klaus Erfort bewegt sich auf der Überholspur und dürfte schon bald zu einem ernsthaften Kandidaten für den dritten Stern avancieren. Die trotz teils exotischer Lebensmittel stets leicht zugänglichen Kreationen punkten mit makelloser Produktqualität und Zubereitung sowie einem untrüglichen Gespür für phänomenale Saucen. Unter vielen ausgesprochen bemerkenswerten Beiträgen ragte dieser schlafwandlerisch sicher umgesetzte Gang rund um Rochenflügel auf einer himmlisch süffigen Honigtomatennage nochmals um ein gutes Stück heraus. Unglaublich gut!

 

12. Thomas Schanz: Pot-au-feu vom Kaninchen mit Wintertrüffel, Wurzelgemüse
und Liebstöckel (schanz, Piesport)

Die archaische Zubereitungsart sowie der teilweise Rückgriff auf Innereien hatten meine Neugier geweckt, doch dass dieser Teller einen derart umwerfenden Eindruck hinterlassen würde, war nicht zu erwarten! Alle eingesetzten Produkte verbanden sich dank mustergültiger Zubereitung zu einem harmonischen Gesamtklang voller Raffinesse und reizender Einfälle. Die fragile Textur wurde zudem von keinerlei Sauce zugekleistert, sondern nur mit einer vorzüglichen Velouté von Liebstöckel transparent und mit enormer Tiefe kongenial begleitet – mit dieser kulinarischen Visitenkarte dürfte Thomas Schanz auch den letzten Zweifler überzeugen. Eine reine Wonne!

 

13. Thomas Imbusch: Käsetoast (100/200 Kitchen, Hamburg)

Zugegebenermaßen ist Thomas Imbuschs Käsetoast fraglos dem berühmten Trüffeltoast aus dem Stockholmer Frantzén nachempfunden, doch mit seiner individuellen Auslegung hat der Chef dennoch einen ikonischen Beitrag kreiert, der im Laufe vieler Jahre verfeinert wurde (und möglicherweise noch immer wird). Gehobelte Champignons, frittierter Toast und geschmolzener Deichkäse ergeben einen originellen Dreiklang von lang anhaltender Wirkung.

 

14. Thomas Yoshida: Quitte und Marone (Facil, Berlin)

Es bleibt für mich dabei, dass Thomas Yoshida trotz namhafter Konkurrenz mein uneingeschränkt liebster Pâtissier in Deutschland ist. Mit seinen charmanten und handwerklich in anderen Sphären angesiedelten Kreationen, die oft eine Geschichte zu erzählen scheinen, entführt er den Gast ein ums andere Mal in ungekannte Welten – diesmal mit zwei Hauptprodukten, die er in allen möglichen Facetten und Varianten beleuchtet. Abgeschmeckt mit fermentiertem Pfeffer (!) und Bucheckern, entfaltet sich ein aromatisches Spektrum von ungeheurer Spannbreite, das keine Sekunde langweilig oder vorhersehbar wirkt. Absolut hervorragend! Allein die herausragenden Desserts wie dieses haben bislang noch jeden Besuch im Facil gerechtfertigt.

 

15. Ollie Schuiling: Petits fours (Kasteel Heemstede, Houten)

Eine der Entdeckungen des Jahres: was Ollie Schuiling in dem schmucken niederländischen Wasserschloss auf die Teller bringt, lässt ein großes Talent mit ungeheuer viel Potential erahnen. Neben etlichen sehr überzeugenden Kreationen im Menü hielten auch die Petits fours das gezeigte Niveau überraschend hoch: mit Dulcey-de-Leche-Praline, Kokos-Yuzu-Makrone, Cheesecake mit Feige und Kalamansi, Knuspercrunch mit Schokoummantelung und einem Madeleine mit Tonkabohne und fermentiertem Knoblauch bewies die Küche nicht nur ein ausgesprochen starkes Handwerk, sondern bewegte sich auch am Puls der Zeit.

 

 

Im Jahre 2023 war sehr viel Bewegung in der Branche, die sich angesichts der anstehenden Herausforderungen auch weiterhin ständig neu definieren und interessant bleiben muss. Seien wir gespannt, was das Jahr 2024 – nicht zuletzt wegen der angehobenen Mehrwertsteuer – alles mit sich bringt. So oder so ist es einfach mal wieder an der Zeit, dieses eine Wort auszusprechen, das meiner Verbundenheit und Bewunderung gegenüber den gezeigten Leistungen der gesamten Branche Ausdruck verleihen soll:

!!! DANKE !!!

 

Hier noch zum Vergleich die bisherigen Menüfolgen des Jahres:

Menü des Jahres 2022

Menü des Jahres 2021

Menü des Jahres 2020

Menü des Jahres 2019